Migranten machen Schule!

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1 Migranten machen Schule! Schule gestalten: Vielfalt nutzen! Fachtagung zum Wissen, Können und Lernen von Lehrerinnen und Lehrern im interkulturellen Kontext 26./ 27. Februar 2010 Rathaus Stuttgart, Großer Saal Tagungsdokumentation 1

2 Tagungsdokumentation 26./ Redaktion: Elisabeth Rangosch-Schneck Fotos: Gabriel Hensche Herausgeberin: Landeshauptstadt Stuttgart Stabsabteilung für Integrationspolitik Eberhardstraße Stuttgart Martha Aykut April 2010 Die veröffentlichten Beiträge geben ausschließlich die persönlichen Meinungen der Autorinnen und Autoren wider. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird an manchen Stellen der Begriff Lehrer an Stelle der Bezeichnung Lehrerinnen und Lehrer benutzt, damit sind stets beide Geschlechter gemeint. Gleiches gilt bezogen auf Schüler, Ausbilder usw. 2

3 Tagungsdokumentation 26./ Migranten machen Schule! Fachtagung zum Wissen, Können und Lernen von Lehrerinnen und Lehrern im interkulturellen Kontext Schule gestalten: Vielfalt nutzen! 26. und 27. Februar 2010 Rathaus Stuttgart 3

4 Von Anfang an Tagungsdokumentation 26./ Inhalt Von Anfang an S. 6 Ankommen Vorgeschichte und erste Einblicke Auftakt Migranten machen Schule! Filmporträt einer Lehrerin mit Migrationshintergrund Hochschule der Medien, Stuttgart Programm der Tagung Begrüßung Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter der Landeshauptstadt Stuttgart Impulse S. 13 Migrationsbedingte Heterogenität: Merkmal für Schulqualität? Prof. Dr. Heike Ackermann, Philipps-Universität Marburg/ Institut für Schulpädagogik Professionelle Lehrerarbeit braucht interkulturelle Kompetenz Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda, Universität zu Köln Kulturelle Heterogenität in der Schule: Qualifizierungsbedarf und Ausbildungserfahrung aus der Sicht angehender Lehrpersonen Elisabeth Rangosch-Schneck, Universitäten Marburg u. Tübingen, Migranten machen Schule! Stuttgart Professionelle Lehrerarbeit braucht interkulturelle Kompetenz: zentrale Kompetenzen und Ausbildungsinhalte in der Lehrerbildung Ein Diskussionsentwurf der AG Lehrerbildung in Migranten machen Schule! Präsentiert durch Vittorio Lazaridis, Dr. Uwe Böhm, Gökcen Tamer-Uzun, PD Dr. Philipp Thomas Beispielsammlung: Schule gestalten: Vielfalt nutzen! S. 47 Beispielsammlung zur schulpraktischen Bedeutung der spezifischen Ressourcen von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund Präsentiert durch Martha Aykut und Elisabeth Rangosch-Schneck Positionen Diskussionen Ansätze S. 53 Aus den Diskussionsrunden 1. Fachdidaktik mit Migrationshintergrund? Interkulturelle Perspektiven im Unterricht 2. Toleranz, Folklore, Neutralität : Was tun mit den Wertewelten im Klassenzimmer? 3. und die Potenziale?! zu blinden Flecken in der Sicht auf Schüler/innen mit Migrationshintergrund 4. Die kommen eh nicht Migranten-Eltern als Bildungs- und Erziehungspartner 5. Wir und die Fremden? - Interkulturelle Perspektiven in Unterrichtsmaterialien und medien 6. Migrationsbedingte Heterogenität: ein Blick in schulrechtliche Regelungen 7. Reflexion von Leistungsbewertungen 8. Vielfalt im Lehrerzimmer: Aspekte interkultureller Teamentwicklung 9. DaZ für alle?! - Sprachförderung als Querschnittsaufgabe und Qualifizierungsbedarf 10. Zwischen Theorie und Training : Interkulturelle Qualifizierung in der Lehrerbildung 11. Migrationserfahrung als Kompetenz : Portfolio in der Lehrerbildung 12. Schule: Kommune in der Verantwortung? 4

5 Tagungsdokumentation 26./ Von Anfang an Materialien aus den Diskussionsrunden S.59 Von Migrantenkindern lernen! Studierende und Kinder mit Migrationshintergrund lernen von einander in Miniprojekten Prof. Dr. Ingrid Dietrich,(PH Heidelberg Deutsch als Zweitsprache im Fachunterricht Ein Diskussionsbeitrag Dr. paed/rus Elena Tregubova, Universität Saarbrücken Fachdidaktik mit Migrationshintergrund? - Interkulturelle Perspektiven im Unterricht: Ein Protokoll Helga Widmann, Seminarschulrätin Seminar für Didaktik u. Lehrerbildung (Realschule), Reutlingen Interkulturelle Kompetenzen im Lehramtsstudium Mind-Map zur Lehrerbildung Olivia Kobiela, Lehramtsstudierende/ Gymnasium, Eberhard Karl Universität Tübingen Migrationserfahrung als Kompetenz : Portfolio in der Lehrerbildung Ein Input für die Diskussion Friedericke Kämpf-Kick, Seminarschulrätin am SSDL (GHWRS) Nürtingen Schule: Kommune in der Verantwortung Ein persönliches Resümee Alexandra Gulija, Kunsterzieherin Poster Präsentation S. 69 Interkulturelles Lernen an Beruflichen Schulen (Forschungsprojekt) Dr. Martin Kenner, Universität Stuttgart Vielfalt bilden! Interkulturelle Kompetenzen im Lehrberuf Modul Personale Kompetenzen (GymPO I) PD Dr. Philipp Thomas, Olivia Kobiela, Eberhard Karls Universität Tübingen Mehrsprachigkeit und interkulturelle Vielfalt im Klassenzimmer Studentisches Projekt Mirjam Käpernick, Samuel Preuß, PH Schwäbisch-Gmünd Interkulturelle Kompetenz Ausbildungskonzept zum Erwerb einer Zusatzqualifikation am SSDL Realschulen Reutlingen Helga Widmann,Seminarschulrätin Seminar für Didaktik u. Lehrerbildung (Realschule), Reutlingen Projekt LernKUHLT Förderprojekt Universität Hildesheim/ Mercator-Stiftung Tina Pflüger (Universität Hildesheim) Lehrkräfte mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg (Forschungsprojekt) Elise Weber (Christian Albrechts Universität zu Kiel) Schlussfolgerungen für die Lehrerbildung: ein Abschlussgespräch im Fishbowl S. 75 Rückmeldungen und Ausblick S. 91 Anhang S. 95 Literatur- und Link-Listen 5

6 Von Anfang an Tagungsdokumentation 26./ Ankommen Ein Stummes Schreibgespräch : angeregt durch Karikaturen und Zitate wird Strittiges und Nachdenkliches festgehalten 6

7 Tagungsdokumentation 26./ Von Anfang an Vorgeschichte und erste Einblicke Migranten machen Schule! das Projekt Migranten machen Schule!, eine Initiative der Landeshauptstadt Stuttgart, arbeitet seit 2006 daran, dass mehr Lehrerinnen und Lehrer mit eigener Migrationserfahrung an unseren Schulen unterrichten, und daran, dass ihre spezifischen Ressourcen für die Gestaltung der Schule und die Lehrerbildung genutzt werden. Um diese Ressourcen ganz konkret sichtbar zu machen, wurde mit Unterstützung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Beispielsammlung erstellt, die anschaulich macht, was Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund Besonderes in den Unterricht, in die Gestaltung von Schule einbringen können. Warum eine Fachtagung? Migrationserfahrung ist eine Ressource für die Schule! Forschende und Lehrpersonen, Vertreter/innen der Schulverwaltung, Lehramtsstudierenden und Schulleiter/innen, Expert/innen mit und ohne Migrationshintergrund sollte ein interdisziplinäres und professionsübergreifendes Forum geboten werden für den Informationsaustausch und den Diskurs darüber, Ä Ä Ä Ä was migrationsbedingte Heterogenität für die Gestaltung unserer Schulen und für die Aufgaben der Lehrpersonen bedeutet, welches Wissen und Können die pädagogische Professionalität im interkulturellen Kontext von Lehrerinnen und Lehrern verlangt, wie interkulturelle Perspektiven in der Lehrerbildung verstärkt eingebracht werden können, wie die spezifischen Potenziale von Lehrpersonen mit Migrationshintergrund wahrgenommen, entwickelt und im Schulalltag und der Lehrerbildung genutzt werden können. Stichworte zum Tagungsverlauf Am 26. und 27. Februar fand die Fachtagung im Stuttgarter Rathaus statt: Rund 250 Personen nahmen teil sie kamen aus Stuttgart und der Region, aus anderen Teilen Baden-Württembergs und dem Bundesgebiet: von Potsdam bis Saarbrücken, von Erfurt bis Konstanz, von Köln bis Nürnberg, von Kiel bis München Das Tagungskonzept hatte den Erfahrungsaustausch und den Diskurs, die gemeinsame Arbeit an konkreten, schulalltäglichen Fragestellungen in den Mittelpunkt gestellt dieses Konzept konnte nur realisiert werden, weil die Teilnehmenden Experten für ganz unterschiedliche Felder waren: Lehrerinnen und Lehrer aller Schularten, Vertreter aus den Kommunen, Dozenten an Hochschulen und Lehramtsstudierende, Ausbilderinnen und Ausbilder an Staatlichen Seminaren, Vertreter der Schulverwaltung und der Bildungspolitik, Schulleitungen und Referendare Präsentiert wurde bei der Fachtagung eine Beispielsammlung : ein Ordner, angefüllt mit Beispielen interkultureller Perspektiven auf den Unterricht, die Schulentwicklung und die Lehrerbildung. Wie diese Beispielsammlung, rückte die Fachtagung selbst die spezifischen Ressourcen von Lehrpersonen mit Migrationshintergrund in den Blick. Gleichzeitig ist beides das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und macht deutlich, welche Produktivität durch Perspektivenvielfalt entsteht! 7

8 Programm Tagungsdokumentation 26./ Migranten machen Schule! Fachtagung zum Wissen, Können und Lernen von Lehrerinnen und Lehrern im interkulturellen Kontext Freitag, Uhr Auftakt Uhr Migranten machen Schule! ein Filmporträt Hochschule der Medien, Stuttgart Aktualisiertes Tagungsprogramm Begrüßung durch Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter Stuttgart Schulqualität und Lehrerbildung Impulse Uhr Prof. Dr. Heike Ackermann Migrationsbedingte Heterogenität: Merkmal für Schulqualität Uhr Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda Professionelle Lehrerarbeit braucht interkulturelle Kompetenz Akteure mit und ohne Migrationsbiografie PAUSE Uhr Elisabeth Rangosch-Schneck Kulturelle Heterogenität in der Schule : Qualifizierungsbedarf und Ausbildungserfahrung aus der Sicht von Lehreranwärter/innen Signal zur Mittagspause durch DAS TRIO der Stuttgarter Musikschule Myriam Ghani (Querflöte), Rebecca Roth (Violoncello), Tobias Strenger (Klavier) spielen Ä Joseph Haydn: Trio in D-Dur, 1. Satz Ä Astor Piazzolla: Invierno Porteno und Primavera Portena aus den 4 Jahreszeiten, Tango MITTAGSPAUSE Uhr Uhr Prof. Dr. Ingrid Dietrich (PH Heidelberg) Von Migrantenkindern lernen! Studierende und Kinder mit Migrationshintergrund lernen voneinander Miniprojekten Kurzpräsentation mit unveröff. Filmmaterialien (RAUM s. Aushang!) Ab Gespräche am Rande Gelegenheit zum informellen Austausch mit Referentinnen und Posterautor/innen im Posterbereich (Großer Saal) in Lehrerprofessionalität und Migrationserfahrung (1) Uhr Martha Aykut, Elisabeth Rangosch-Schneck Präsentation der Beispielsammlung Uhr Diskussionsrunden (parallel) Positionen - Diskussionen Ansätze Schulalltag und Lehrerarbeit 1. Fachdidaktik mit Migrationshintergrund? Interkulturelle Perspektiven im Unterricht 2. Toleranz, Folklore, Neutralität : Was tun mit den Wertewelten im Klassenzimmer? 3. und die Potenziale?! zu blinden Flecken in der Sicht auf Schüler/innen mit Migrationshintergrund 4. Die kommen eh nicht Migranten-Eltern als Bildungs- und Erziehungspartner 5. Wir und die Fremden? - Interkulturelle Perspektiven in Unterrichtsmaterialien und -medien 6. Migrationsbedingte Heterogenität: ein Blick in schulrechtliche Regelungen 7. Reflexion von Leistungsbewertungen 8. Vielfalt im Lehrerzimmer: Aspekte interkultureller Teamentwicklung Uhr (An-)Sätze aus den Diskussionsrunden Gelegenheit zum gemeinsamen Abendessen 8

9 Tagungsdokumentation 26./ Programm Samstag, Impuls Lehrerprofessionalität und Migrationserfahrung (2) 9.00 Uhr Zentrale Kompetenzen und Ausbildungsinhalte in der Lehrerbildung ein Diskussionsentwurf eingeführt von Gökcen Tamer-Uzun, Dr. Uwe Böhm, Vittorio Lazaridis, PD Dr. Thomas u.a. Positionen - Diskussionen - Ansätze 9.30 Uhr Diskussionsrunden (parallel) 9. DaZ für alle?! - Sprachförderung als Querschnittsaufgabe und Qualifizierungsbedarf 10. Zwischen Theorie und Training : Interkulturelle Qualifizierung in der Lehrerbildung 11. Migrationserfahrung als Kompetenz : Portfolio in der Lehrerbildung 12. Schule: Kommune in der Verantwortung? Uhr Schlussfolgerungen für die Lehrerbildung Gespräche im Fishbowl mit Prof. Dr. Stefanie Gropper Prorektorin Universität Tübingen Prof. Dr. Stefan Immerfall Prodekan PH Schwäbisch-Gmünd LMR Ulrich Lübke Kultusministerium MR in Martina Oesterle Wissenschaftsministerium Gari Pavkovic Leiter Stabsabt. Integrationspolitik Stuttgart Ende der Tagung Uhr Gesamtmoderation der Tagung: Dr. Martin Kilgus (SWR) 9

10 Begrüßung Tagungsdokumentation 26./ Auftakt Denkanstöße durch das filmische Porträt einer Lehrerin mit Migrationshintergrund 10

11 Tagungsdokumentation 26./ Begrüßung Begrüßung Gari Pavkovic Integrationsbeauftragter der Landeshauptstadt Stuttgart Sehr geehrte Damen und Herren, herzlich Willkommen im Stuttgarter Rathaus zur Tagung Migranten machen Schule Schule gestalten Vielfalt nutzen! Ich freue mich über die enorme Resonanz. 250 Anmeldungen aus dem ganzen Bundesgebiet das zeigt uns: Schulen und Kommunen haben das Thema interkulturelle Schulentwicklung als ein wichtiges Aufgabengebiet aufgegriffen. Heute und morgen geht es darum, wie Wissen, Können und Lernen von Lehrerinnen und Lehrern im interkulturellen Kontext gezielt eingesetzt werden kann, um die Bildungschancen aller Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Es geht um interkulturelle Kompetenzen in der Lehrerbildung, um die Nutzung dieser Kompetenzen für den Unterricht und für die Zusammenarbeit mit den Eltern, und um den Beitrag der kommunalen Partner zu einer besseren Integration der jungen Menschen aus Einwandererfamilien durch Bildung. Herzlich begrüßen möchte ich die beiden Hauptreferentinnen des heutigen Vormittags, Frau Prof. Ackermann aus Marburg und Frau Prof. Allemann-Ghionda aus Köln, ebenso alle, die in intensiver Zusammenarbeit in unserem Kooperationsnetzwerk aktiv an der Vorbereitung mitgewirkt haben und die heute und morgen als Referenten, Moderatoren und Diskutanten zum Gelingen beitragen. Mein Dank geht an das Wissenschafts- und das Kultusministerium, an die beteiligten Hochschulen aus Stuttgart, Tübingen, Schwäbisch Gmünd und Ludwigsburg, an die Staatlichen Seminare für die Lehrerbildung, an das Regierungspräsidium Stuttgart, das Staatliche Schulamt Stuttgart, die Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere an alle Autoren der Beispielsammlung, die heute vorgestellt wird, an die beteiligten Fachleute aus dem Gemeinderat, namentlich Herr Vittorio Lazaridis, und vom Internationalen Ausschuss, Herr Kerim Arpad, die von Anfang an dieses Projekt begleiten. Mein besonderer Dank gilt Herrn Martin Kilgus vom SWR International, der auch die gesamte Tagungsmoderation übernimmt. Diese Aufzählung zeigt, wie aus einer ursprünglichen Kampagne für mehr Migrantinnen und Migranten für den Lehrerberuf vor vier Jahren ein großes Kooperationsnetzwerk entstanden ist, das schon konkret an der Umsetzung arbeitet. Vor einem Jahr wurde ein Portfolio herausgegeben und nun eine Handreichung für den Unterricht, die Beispielsammlung, die Ihnen nach der Mittagspause vorgestellt wird. Meine große Anerkennung und meinen besonderen Dank möchte ich an die beiden Turbomotoren dieses Netzwerks aussprechen: Elisabeth Rangosch-Schneck, und Martha Aykut, die stv. Leiterin meiner Stabsabteilung für Integrationspolitik. Sie haben in phänomenal kurzer Zeit diese Tagung vorbereitet, und zugleich in intensiver Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren die Beispielsammlung erstellt, die gestern fertig gestellt wurde. Beides Tagung und Beispielsammlung konnten wir nur Dank der Förderung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) realisieren. Unser Dank geht an das BAMF, das unsere Integrationsarbeit in Stuttgart in vielfältiger Weise fördert. Das BAMF organisiert auch einen Bundeskongress am 8. und 9. März 2010 in Paderborn zum Thema Lehrkräfte mit Migrationshintergrund. Stiftungen wie die ZEIT-Stiftung haben das Thema mit einem Schülercampus aufgegriffen. 11

12 Begrüßung Tagungsdokumentation 26./ Wir sind, wie bereits eingangs erwähnt, schon bei dem zweiten und dritten Schritt bei der Weiterentwicklung von interkulturellen Curricula für die Lehrerausbildung an Hochschulen (Uni Tübingen, PH Schwäbisch Gmünd) und bei der interkulturellen Qualitätsentwicklung an Stuttgarter Schulen gemeinsam mit Lehrkräften ausländischer Herkunft, die bereits im Schuldienst tätig sind. Doch warum engagiert sich Stuttgart als Kommune integrationspolitisch im Bereich der Schulentwicklung, einer originären Landesaufgabe? Unsere kommunalen Schwerpunkte in der Schnittstelle von Integration und Bildung sind die vorschulische und die außerschulische Sprach- und Bildungsförderung, die soziale Schülerbetreuung und die Elternbildung. Hier engagieren wir uns als Stadt seit Jahren und auch mit großem Erfolg. Auf der anderen Seite machen auch die Schulen sehr viel über ihren Kernunterricht hinaus, um die Bildungschancen aller Schülergruppen zu verbessern. Und dennoch mussten wir in Stuttgart feststellen, dass die vielen Aktivitäten auf beiden Seiten bisher nicht ausreichen, um die Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien auszugleichen. Laut unserer Schulstatistik sind Einwandererkinder der 2. und 3. Generation als Bildungsinländer nach wie vor in den Hauptschulen über- und in den Gymnasien unterrepräsentiert. Jeder zehnte ausländische Schulabgänger verlässt die allgemein bildende Schule ohne Abschluss (bei italienischen und türkischen Schülern sind es noch mehr) und nur jeder zehnte ausländische Schulabgänger erwirbt die Hochschulreife. Bei deutschen Schulabgängern erlangen dagegen 40 % die Hochschulreife. Bedenkt man, dass über die Hälfte der Jugendlichen in Stuttgart und ein Drittel in Baden- Württemberg einen Migrationshintergrund hat, werden die Folgen unzureichender schulischer Bildung deutlich für die jungen Menschen selbst, für unsere Wirtschaft, die auf qualifizierten Nachwuchs angewiesen ist und der ihr zunehmend fehlt, und für unsere entjüngte Gesellschaft, die immer weniger Leistungsträger hat, weil sie altert. Wir können nicht warten, dass wir durch eine bessere Sprach- und Bildungsförderung in Kindertageseinrichtungen vielleicht in 10 bis 15 Jahren auch genügend gut qualifizierte Schulabgänger mit Migrationshintergrund bekommen. Wir brauchen sie jetzt, und die jungen Menschen brauchen jetzt eine Bildungsförderung, die ihren Bedürfnissen und Talenten entspricht. Deshalb setzen sich kommunale Integrationsbeauftragte für den Ausbau kommunal-staatlicher Bildungspartnerschaften ein, und auch hier übernimmt Stuttgart eine Vorreiterrolle. Schule ist mit die wichtigste Integrationsagentur in unserer Einwanderungsgesellschaft. Doch die Schule kann in der Organisationsform und Arbeitsweise, die derzeit vorhanden ist, diese Aufgabe nicht allein erfüllen. Ebenso die Kommune nicht. Also benötigen wir pädagogische Verbünde zwischen Schulen und kommunalen Stellen, zu denen ich auch freie Träger der Wohlfahrtspflege, Migrantenorganisationen und andere Akteure der Zivilgesellschaft sowie die Wirtschaft zähle. Auch weiterführende Schulen sind Bildungshäuser und Lernorte, die ein längeres gemeinsames Lernen und eine differenziertere und individuellere Förderung durch eine bessere Verzahnung von Unterricht und kommunaler Bildungsangebote im Rahmen der Nachmittagsbetreuung entwickeln können. Das passiert vielfach auch schon. Es geht aber nicht nur um mehr Lernangebote sondern auch um andere Zugänge der Lehrerinnen und Lehrern zu Schülern und Eltern im interkulturellen Kontext. Mehr desselben ist nicht immer besser. Lehrkräfte mit Migrationshintergrund können andere Perspektiven und neue Zugänge im Lehrerkollegium fördern wenn die Schule diese Ressource als ein Potenzial nutzt. Darum wird es heute und morgen gehen. Ich wünsche Ihnen einen anregenden Austausch und freue mich auf den weiteren Verlauf der Tagung. Vielen Dank. 12

13 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Migrationsbedingte Heterogenität: Merkmal für Schulqualität? Prof. Dr. Heike Ackermann Philipps-Universität Marburg/ Institut für Schulpädagogik Sehr geehrte Damen und Herren, die Devise der heutigen Fachtagung heißt: Schule gestalten: Vielfalt nutzen! Damit wird eine Erwartung formuliert, die sich denen von Eltern und Öffentlichkeit zugesellt. Die Erwartungen an die Schulen sind hoch, denn fit zu sein für die globalisierte Gegenwart wird allenthalben von heutiger Schulbildung gefordert. Auch die Schulen nehmen aus ihrer spezifischen Perspektive Probleme, an denen sie laborieren, wahr. Die Bereitschaft, Individuen stärker zu fördern, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anbahnung und Begleitung schulischer Veränderungsprozessen mühsam und kompliziert ist und einer Vielzahl von Einflussfaktoren unterliegen. So ist Zielklarheit für Schulreform bedeutsam. Auch haben Überlegungen zu reflektieren, dass Lehrerinnen und Lehrer bislang für Unterrichten im Sinne von Wissen vermitteln ausgebildet werden, nicht jedoch für das Arrangieren von selbstständigen Lernaktivitäten ihrer Schülerinnen und Schüler. Diese Kompetenz zur Lernprozessgestaltung unterstützt die Kompetenzentwicklung der Schüler. Schulen sind Habitate unterschiedlicher Lehrerpersönlichkeiten und wenn wir die Lehrpersonen in den Blick nehmen, so ist deren eigene, persönliche Lerngeschichte bedeutsam für deren jeweilige Wahrnehmung von Schule und Unterricht. Unreflektiert gebliebene Erfahrungen sind gewissermaßen nachhaltiger und wirksamer als pädagogische Beseeltheit. Somit ist Veränderung immer auch von der Lehrerbiographie abhängig. Sind hiermit Einflussfaktoren auf Reformbemühungen genannt, so darf d i e zentrale Grundbedingung des Schulehaltens nicht vergessen werden: Die gesellschaftliche Selektionsfunktion von Schule, die heißt, die heranwachsende Generation für die spätere Hierarchie der Berufe vorzusortieren. Um meine Vorbemerkung zu einer Aussage zusammenzufassen: Die Veränderung von Schule ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Für die Steuerung von Schul- und Unterrichtsreform liefern Professionalisierungsforschung und Schulentwicklungsforschung wichtige Hinweise. So viel vorweg aus meiner Perspektive der Begleitung von Schulentwicklung. Meinen Vortrag möchte ich dazu nutzen, eine etwas andere Perspektive auf Vielfalt und Heterogenität in der Schule zu entwickeln. Denn ich muss nicht akzentuieren, was allerseits geschätzt zu sein scheint: Vielfalt (ob in Tier-, Pflanzen- und sozialer Welt) ist positiv konnotiert, für Vielfalt wird allgemein geworben. Wenn gleichberechtigt zu Vielfalt ebenso für Standardisierung und Normierung eingetreten wird, frage ich mich allerdings schon, ob beides zusammen passt und beide Zielsetzungen miteinander vereinbar sind. Insofern wage ich anzumerken: Bedarf die in Rede stehende Forderung nach Heterogenität oder Vielfalt nicht eines Attributs, einer näheren Bestimmung? Sollte Vielfalt die Selbstverständlichkeit meinen, dass Individuen unterschiedlich sind und dass an Unterschiedlichkeit, z.b. im Vorwissen, in den Erfahrungen, angeknüpft werden muss, so ist dies in Bildungskontexten didaktischer Ausgangspunkt zumindest theoretischer Überlegungen. Aber der Appell einer Berücksichtigung von Vielfalt lässt sich auch als Fingerzeig auf eine offenbar unzulängliche Erziehungspraxis lesen: Heterogenität - in ihrer Beachtung oder auch in ihrer Nichtbeachtung - hat offensichtlich schwerwiegende Folgen für Einige. Nämlich dann, wenn Unterschiede zum Ausgangspunkt für Unterscheidung gemacht werden. 13

14 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Das klingt einigermaßen abstrakt. Auf einer schulpolitischen Ebene will ich hierfür ein konkretes Beispiel geben. Zur Gliederung meiner Ausführung: 1. Zuerst werde ich Ihnen zwei verschiedene Schulszenarien vorstellen, in denen Heterogenität eine unterschiedliche Rolle spielt. Nach Identifikation des relevant gemachten Differenzpunktes thematisiere ich 2. die Rolle, die Vielfalt im Kontext der zu bewältigenden Hürden im deutschen Bildungssystem spielt. Die Schule ist als d i e zentrale Lernorganisation und Qualifikationsinstanz für die heranwachsende Generation Sozialisationsbestandteil. Sie hat erheblich Anteil daran, gesellschaftliche Strukturen zu reproduzieren. Dies geschieht per Verweigerung und Ausschluss von weiteren Bildungsgelegenheiten, paradoxerweise gerade dann, wenn Lernbedarf vorliegt. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass Schulfragen, ob wir das wollen oder nicht, immer auch auf gesellschaftliche Prämissen verweisen. 3. In meinem Ausblick befasse ich mich schließlich mit einem Anerkennungsinstrument von Qualifikationen, dem Europäischen bzw. Nationalen Qualifikationsrahmen (EQR und DQR). Deren Basis in einer Ergebnisfeststellung von wissensbasierten Kompetenzen birgt das Potential, die Macht der Zertifikate im Bildungssystem in Deutschland zu schwächen. 1. Lassen Sie sich nun in zwei Schul-Szenarien entführen, in denen kulturelle Vielfalt eine Rolle spielt. Können Sie bedeutsame Unterschiede ausfindig machen: In der Schülerschaft, in unterrichtlichen Zielen und Methoden, im Schulklima, in Umfeldfaktoren, in bildungspolitischen Interessen? Schule A nenne ich Regenbogen-Schule ; sie liegt in einem Hochhausviertel eines regionalen Oberzentrums mit geringer Industriestruktur und dem Schwerpunkt auf Dienstleistungen. 362 Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren besuchen die Regenbogen-Schule. Sie stammen aus 26 Nationen (Daten vom Mai 2009). Aus den Schülerdaten geht hervor, dass 300 Schülerinnen und Schüler dieser Grundschule (82,9%) einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Großen Wert legt die Schule auf soziales Lernen. Das Ziel des miteinander Lebens und Lernens ist Schwerpunkt des Schulprogramms, das für alle Interessierte auf der Homepage veröffentlicht ist. Realisiert wird soziales Lernen durch vielerlei Unternehmungen: Klassenfindungstage, das gemeinsame Frühstück, ein gemeinsames Erarbeiten von Verhaltensregeln, ein Pausenkonflikttraining, in der Schaffung von Gestaltungsspielräumen für die Schülerinnen und Schüler, einen Klassenrat in den Jahrgangsstufen 3 und 4, ein von einer Schulmediatorin betreuter Kummerlösungsraum, die Arbeit in kulturellen Projekten wie darstellendem Spiel und eine Einführung in gewaltfreie Kommunikation. Ebenso gehören Diagnostik, verschiedene Förderangebote und die Zusammenarbeit mit den Eltern und anderen Förderinstitutionen zum Schulalltag. Es wird versucht Übergänge vom Kindergarten in die Schule und von der Grundschule in weiterführende Schulen institutionell abzustimmen, miteinander zu harmonisieren. Die Schulinspektion, die es an hessischen Schulen gibt und die auf Basis eines einheitlichen Referenzrahmens Schulqualität arbeitet, hat der Schule gute Noten ausgestellt. Besonders hervorgehoben wurde das Schulklima. Bestätigt wurde, dass das Kollegium an einem Klima der Akzeptanz und Wertschätzung arbeitet und an der Förderung der Kinder interessiert ist. 14

15 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Die Bemühungen im Feld unterrichtliche Innovationen haben der Schule sogar verschiedene Schulpreise eingetragen. Somit scheint alles zum Besten zu stehen. Doch keineswegs, weil diese Schule grundlegende Mechanismen, die zu einer Benachteiligung eines erheblichen Teils ihrer Schülerschaft führen, nicht zu überwinden vermag. Trotz aller Anstrengungen der engagierten Lehrer gibt es eine Schülerfluktuation, die als negativ empfunden wird; der Prozentsatz der Übertritte in die Gymnasien ist im Vergleich zu anderen Grundschulen relativ gering. Das heißt, trotz intensiver Förderung werden nur Wenigen größere Chancen eröffnet, ihren benachteiligten sozialen Hintergrund zu verlassen. Auch bedarf der pädagogische Umgang mit Heterogenität ständiger großer Anstrengungen seitens der Lehrpersonen; das Burnout-Problem ist auch an dieser Schule aktuell. Ich breche hier die Aufzählung von Problemen ab. Schule B meines Szenarios - nennen wir sie die Babylon-Schule - liegt in einer Metropolregion. Die Metropole verfügt über eine Schifffahrtsroute und einen großen internationalen Flughafen. Neben industriellen Schlüsseltechnologien spielt auch der Finanzsektor eine große Rolle. In der selbstbewussten Bezeichnung als Mainhattan vergleicht sich die Metropole mit einer Weltstadt, in der das Thema Heterogenität kaum größer sein könnte. Die Strahlkraft der Metropole wirkt bis in den ferneren Einzugsbereich, in dem sich die Babylon- Schule konstituiert hat. Diese ist angesiedelt auf dem Schulgelände einer Schulgemeinde, die einst als erste Gesamtschule gegründet wurde. Nach Zeiten des Auf und Abs dieser Schulgemeinde, die auf die Abhängigkeit von bildungspolitischen Präferenzen zurückzuführen ist, gibt es seit 2005 ein weithin beachtetes Schulprojekt. Die Aufnahmebestimmungen regulieren, dass nicht mehr als ein Drittel der Schüler(eltern) Deutsche sein dürfen! Die übrigen zwei Drittel der Schülerschaft stammen aus 20 Nationen. Sowohl die Schüler- als auch die Lehrerfluktuation ist groß; manchmal besucht ein Schüler die Schule nur ein halbes Jahr. Seit Projektbeginn besinnt sich die Schule wieder stärker auf den Gründungsakt als Community School. Dies versucht man nun zu profilieren. Die curriculare Struktur beginnt mit dem Kindergarten ab 3 Jahren und endet mit Klasse 12/13. Gefördert werden fächerübergreifendes Arbeiten und kulturelle und sportliche Aktivitäten. Deutsch und Englisch sind Unterrichtssprachen, auch anderer Sprachunterricht wird von Muttersprachlern erteilt. Das Gesamtkonzept der Schule ist am angelsächsischen Schulprofil orientiert. Eine Ausrichtung am deutschen Lehrplan scheint nur wichtig, damit flexibel in den deutschen Zweig mit deutschen Abschlüssen gewechselt werden kann. Vergeben werden international anerkannte wie auch deutsche Abschlüsse. Wie ist die Situation hier? Was wird im Vergleich zur Regenbogenschule als Problem oder überhaupt nicht als Problem gesehen? In beiden Beispielen handelt es sich um staatliche Schulen, ohne Extra-Schulgeld. Hier wie dort kennt man Raumprobleme und unzureichende Ausstattung. Hier wie dort wendet sich die Schule zur Unterstützung des Schulzwecks an Sponsoren und Unterstützer. In Schule B beginnt sich bereits die räumliche Situation und die Ausstattung zu verbessern. Sie ist im Wettbewerb gut aufgestellt. 15

16 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Unterschiedlich ist, dass in der Beispielschule A über zu viel kulturelle Vielfalt, über ein Zuviel an Internationalität geklagt wird. In Schule B hingegen ist das Konzept bedroht, wenn es zu wenig kulturelle Vielfalt gibt. Schulqualität in den Augen von Lehrpersonen, Eltern und Stadtteilöffentlichkeit heißt in dem einen Fall, kulturell stärker homogen sein zu wollen; im Fall B soll jedoch ein möglichst breites Spektrum der Herkunftskulturen gegeben sein. Im ersten Beispiel gilt Integration als Aufgabe und Problem, im zweiten Fall ist Diversität Ausgangspunkt und gewolltes Ergebnis. Die Sozialschicht der jeweiligen Eltern wird als Umstand dafür relevant, dass kulturelle Vielfalt so unterschiedlich bewertet wird. An einem Unterschied (Sozialschicht) wird eine Unterscheidung vorgenommen, so meine These. Die Regenbogenschule liegt in einem sozialen Brennpunkt, in einem Stadtteil mit Hochhäusern und einer unintelligenten Bebauungsstruktur. Hier wohnen in der Mehrzahl Menschen, die nur kurzzeitig Arbeit haben oder den Arbeitsplatz verloren haben. Hier existiert Bildungsarmut. Unter dieser versteht die Bildungsforschung ein gesellschaftlich unzureichendes Bildungsniveau bezogen auf Bildungszertifikate oder Kompetenzen. Unterhalb des gesellschaftlichen Standards eines Bildungsminimums gibt es keine aussichtsreiche Teilhabe an der Konkurrenz um Arbeit oder Ausbildung. Kein Individuum kann sich heutzutage ohne ausreichende Literalität in Industriegesellschaften behaupten, das hat die PISA-Studie betont. Es wäre in der Konkurrenz derart benachteiligt, dass nicht einmal gewiefte Strategien wie beim Hasen und Igel Erfolg versprechen. Aus diesem Grund gibt es z.b. innerhalb der Bildungsforschung Stellungnahmen, die einen Hauptschulabschluss für nicht ausreichend erachten, um zu Ausbildung und längerfristiger Beschäftigung zu gelangen. Bildungsarmut im Einzugsgebiet der Regenbogenschule bedeutet, dass ein erheblicher Prozentsatz von Schülereltern über geringes soziales und kulturelles Kapital (Bourdieu) verfügt. Auf die Eltern der Babylon-Schule B trifft dies nicht zu. Diese Schule spricht einen gut situierten, in der Regel sehr qualifizierten und hochmobilen Personenkreis an, der in international agierenden Unternehmen tätig ist. Weiterhin sucht diese Gruppe nicht unbedingt eine langfristige Zukunft in Deutschland; für die Zeit ihres Aufenthalts wird nach einer Schule gesucht, die die Weiterentwicklung und das Fortkommen ihres Kindes fördert und nicht behindert. Heterogenität gilt hier als aussichtsreiches Mittel in einer als weltweit verstandenen Konkurrenz um Arbeitsplätze. Soziale Beziehungen zu nutzen, um im Vorteil zu sein, beginnt bereits in der Schule. 2. Wir können aus diesem Schulvergleich folgern, dass die Bewertung kultureller Divergenz in deutlichem Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit steht. Soziale Ungleichheit wird markiert durch Einkommen und Besitz, über Bildungserwerb und Bildungsabschlüsse, durch den Beruf und Aufstiegsmöglichkeiten. In unserem ersten Fall mit sozialer Benachteiligung gilt Heteronomie, Abweichung, als besonderes Problem, im 2. Fall bei sozialer Privilegierung als Auszeichnung, als eine besondere Konkurrenzchance. Diese Unterscheidung macht sich besonders bei drei sozialen Hürden geltend, die zentrale Selektionspunkte für Bildungs- und Lebenschancen darstellen: 1. Die Familie, in die ein Individuum geboren wird = die soziale Herkunft. 2. Das Schulsystem, das durch zahlreiche Übergangsschwellen gekennzeichnet ist = die schulische Selektion, deren erste Schwelle zu einem nahezu einzigartig frühen Zeitpunkt stattfindet. 16

17 Tagungsdokumentation 26./ Impulse 3. Die Aufnahme einer Ausbildung sowie der Berufseinstieg, für den formale wie auch soziale Voraussetzungen geltend gemacht werden. Günstigere und ungünstigere Ausgangspunkte zur Bewältigung dieser Hürden entfalten sich nochmals über die Kategorien Geschlecht und Migrationshintergrund. Dies ist empirisch durch die Bildungsforschung gut belegt. Auf den Verlauf der Prozesse, über die Bildungsbegrenzung und Selektion erfolgen, kann ich hier nicht näher eingehen. Dies erforderte eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Diskussion der empirischen Ergebnisse der Bildungsforschung in ihren unterschiedlichen Bewertungen, nicht zuletzt in ihren Konsequenzen. Wen dies näher interessiert, der sei ausdrücklich verwiesen auf: Heike Solga/Rosine Dombrowski: Soziale Ungleichheit in schulischer und außerschulischer Bildung (Arbeitspapier 171 der Hans-Böckler-Stiftung) Düsseldorf Auch wenn die Resultate der Auslese für bestimmte Gruppen - seien es gering Qualifizierte, türkische Jugendliche oder Frauen mit Kindern beklagt werden - das dafür ursächliche gesellschaftliche Verteilungsprinzip wird darüber nicht in Frage gestellt. Ein Zitat der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Frau Dr. Böhmer (nach Deutschlandfunk vom ) kann dies illustrieren: Wahrscheinlich in kritischer Absicht forderte sie, dass angesichts des Fachkräftemangels kein Talent verloren gehen dürfe. Sie will auf das brachliegende Arbeitskräftepotential der Migranten hinweisen. Denkt man diese Argumentation konsequent fort, dann kann auf Förderung verzichtet werden, wenn kein Fachkräftemangel herrscht. Ist dies wirklich so gemeint? Wird Förderung in den Zusammenhang mit Wirtschaftsbelangen gestellt wird, so sind die einschränkenden Bedingungen gleich mit formuliert. Die Publikation von Solga/Dombrowski (2009) enthält gleichfalls zahlreiche Hinweise darauf, dass die Forderung nach Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit zuvörderst den Wettbewerbsgedanken stärkt. Das Prinzip der Konkurrenz, des Jeder gegen Jeden, das zwischenmenschliche Beziehungen unterminiert und zersetzt, sowie produzierte gesellschaftliche Werte und Güter ver- 17

18 Impulse Tagungsdokumentation 26./ nichtet, wird hochgehalten. Der Fokus auf Fairness plädiert für Konkurrenz, die Gleichheit in der Ausgangsbedingung eines Ringens um einen guten Schulabschluss, im Ergattern einer gesicherten beruflichen Position, im Durchboxen der eigenen Privilegien. Dass diese Gleichheit eine illusorische ist, wird gewusst. Unter der Gleichheitsbedingung kommen soziale und individuelle Unterschiede zum Tragen. Dies darf allerdings die Leistungsideologie nicht beschädigen, das heißt delegitimieren. Man kann den Eindruck gewinnen, dass je knapper die zu verteilenden Güter und Positionen sind, desto engagierter werden saubere Wettkampfregeln betont. Der Göttinger Arbeitssoziologe Baethge konstatiert, dass die Bildungszertifikate immer schwerer am Arbeitsmarkt eingelöst werden können und sich die, wie er es nennt, Zone prekärer Bildung weiter nach oben verschiebt. Der Fokus auf fairen Wettbewerb de-thematisiert sowohl die große Wahrscheinlichkeit eines Unterliegens für Viele im harten Gegeneinander als auch das Ergebnis installierter Konkurrenz in der Auszeichnung Weniger. Der Aufstieg Weniger ist mit dem Abstieg Vieler gekoppelt. Ich schließe diesen Teil meiner Ausführung über die gesellschaftliche Funktion von Bildung mit einer These, die ich mit meiner Argumentation nur vorbereitet habe. Sie lautet: Individuelle Förderung und Selektion durch Notenkonkurrenz vertragen sich nicht. Sie sind ein installierter Widerspruch. Dieser Widerspruch zwischen pädagogischem Anspruch und der Instrumentalisierung des Unterrichts in allen Schulstufen für das gesellschaftliche Verteilungsprinzip entmutigt Schülerinnen und Schüler und zermürbt viele Lehrpersonen. 3. Vielfalt nutzen heißt seit PISA, Kompetenzen fördern und diese im Ergebnis als Umgang mit Wissen in situativen Kontexten festzustellen (Outcome-Orientierung). Kompetenzen werden in vielen sozialen Bereichen erworben. Die Schule ist unter diesen nur einer unter anderen und die Ferne in den schulischen Inhalten von den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen verhindert oftmals die Entwicklung von Sinnbezügen des Lernens. Kompetenzentwicklung ist ein komplexes Geschehen hierbei greifen unterschiedliche Fähigkeiten ineinander. Deren Ausbildung kann wahrscheinlich durch handlungsorientiertes Lernen angeregt und gefördert werden. Ausgesprochen wichtig ist die Reflexion der Lernvorgänge. Generell fehlt Forschung über die sich ereignenden Lernprozesse im Rahmen anspruchsvoller Lerngelegenheiten und Lernanlässe für Schüler und Schülerinnen aus Elternhäusern, denen wenig soziales und kulturelles Kapital zukommt. Seit die EU sich der Bildungspolitik als Mittel in der Konkurrenz um Märkte angenommen hat (Lissabon-Strategie), wird daran gearbeitet, Qualifikationen vergleichbar zu machen. In diesem Kontext ist ein Europäischer Qualifikationsrahmen entstanden, der noch dieses Jahr europaweit intelligent mit nationalen Übersetzungen verbunden werden soll und für die gesamte Bildungslandschaft maßstabsbildend werden wird. Interessant für unsere heutige Thematik ist dabei, dass die sehr formal- und zertifikatsorientierte deutsche Bildungsdiskussion aus europäischer Sicht hinterfragt wird: Bildungswege könnten in Zukunft durchlässiger werden und die Monopolstellung von meritokratischen Instanzen in Frage stellen. Im Deutschen Qualitätsrahmen (DQR) spielt der Kompetenzbegriff eine zentrale Rolle. Er bildet die Klammer für alle betrachteten Lernergebnisse: Er bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und persönliche Entwicklung zu nutzen. Kompetenz wird in 18

19 Tagungsdokumentation 26./ Impulse diesem Sinne als Handlungskompetenz verstanden (DQR-Entwurf 2009: 14, erarbeitet vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen ). Das klingt zustimmungswürdig. Zugleich muss man sich fragen, welche Rolle der Schule im Rahmen dieser Zielsetzung zukommen wird. Noch fehlt ein allgemeinverbindliches Kompetenzmodell, nach dem diese auf fast allen Niveaustufen gemessen werden können. Jedoch muss sorgfältig vorgedacht werden, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf schulisches Lernen haben wird. Es muss von den Verantwortlichen in der Bildungspolitik beantwortet werden, wann, wie und wodurch Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erwerben. Die Einführung von Bildungsstandards bedeutet eben nicht zugleich, dass auch ein für den Kompetenzerwerb unerlässlicher und hinreichender Zeitrahmen als grundlegende Bedingung für nachhaltiges Lernen sowie das Know-How kompetenzförderlichen Unterricht zu gestalten, mit eingeführt worden sind. Kann in der Schule ein Mix von unterschiedlichen Lernqualitäten realisiert werden oder fällt dieser dem Zeitdruck oder einer Verschlechterung in der Lehrerausbildung zum Opfer? Durch welche Methoden werden Lernergebnisse nicht mehr nur rein an sprachlichen Fähigkeiten, sondern auch an ästhetischen, motorischen und sozialen Expressionsformen festgemacht? Und welche Rolle kann dabei Diversität spielen, d.h. wie können Schüler mit Migrationshintergrund ihre mitgebrachten Transformations -Kompetenzen einbringen? An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass die Fokussierung auf Kompetenzen durch Orientierung an Lernergebnissen die Prozesse des Erwerbs von Kompetenzen außer Acht lässt. Weiterhin werden Kompetenzen nicht in ihrer komplizierten Genese und aufgrund unterschiedlicher 19

20 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Erwerbsgeschwindigkeiten ihren internen Dependenzen gesehen. Es gibt also erheblichen Forschungsbedarf in Bezug auf die aktuelle wie zukünftige Bildungspolitik. Ein anderes Problem ist es, dass die für Kompetenzentwicklung nötige Motivation, sich anzustrengen, nachvollziehbarerweise an die Aussicht auf Erfolg geknüpft ist. Denkt man nur an die Prognosen eines sich verschärfenden Wettbewerbs auf dem Ausbildungsmarkt, der nicht zuletzt durch doppelte Abiturjahrgänge an Fahrt gewinnt, so kann man flapsig formulieren, dass sich unsere Gesellschaft da noch anstrengen muss. Meine Damen und Herren, das initiierte Fachgespräch Migranten machen Schule stellt einen wichtigen Impuls dar, die derzeitige Bildungslandschaft zu reflektieren. Ich versuchte auszuführen, dass wer einen Stein ins Wasser wirft, Ringe erzeugt. Wem das nicht ausreicht, wer Wellen erzeugen will, der muss vielleicht noch ein paar Brocken hinterher werfen. Ich schließe damit, dass Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer eine Bildungsdiskussion brauchen. Sie brauchen Veränderung in der Bildungsqualität, sie brauchen Vielfalt der Lernanlässe, der Lerngelegenheiten, der Lernpartner und aussichtsreiche Perspektiven. Prof. Dr. Heike Ackermann lehrt als Professorin für Schulpädagogik und Unterrichtsforschung an der Philipps-Universität Marburg. 20

21 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Professionelle Lehrerarbeit braucht interkulturelle Kompetenz Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda Universität zu Köln 1. Professionalität und Lehrerarbeit Immer häufiger wird der Begriff Professionalität auf den Beruf der Lehrerin, des Lehrers angewandt. Es ist nicht verwunderlich, denn der soziale und kulturelle Wandel sowie ökonomische und bildungspolitische Trends wirken sich auf Bildungsziele, Organisation der Schule und anderer Bildungsinstitutionen aus, auf das Familienbild und die Familienformen, auf Vorstellungen von Kindheit und von Erziehung und somit auch auf die Erwartungen, die an die Lehrpersonen und an die Eltern (oder Erziehungsberechtigten) gestellt werden sei es stillschweigend, sei es ausdrücklich. Diese Erwartungen sind unterschiedlich und harmonieren nicht immer mit der Rolle, die die einzelnen Lehrpersonen (oder deren Lobby, Berufsverband, Gewerkschaft) für sich bzw. für sie definieren. Eines steht fest: In allen Berufen wird Professionalität erwartet, und es wird auch etwas dafür getan, um die Professionalität den Zeiten und den neuen Erkenntnissen anzupassen: Qualifikationen und Kompetenzen werden formuliert, Fortbildungen werden angeboten, an Fortbildungen wird teilgenommen sei es freiwillig, weil man in seinem Beruf und seiner Funktion auf der Höhe der Anforderungen sein möchte, oder weil es der Arbeitgeber so will. Es gibt keinen logischen Grund, weshalb der Lehrerberuf vom Streben nach Professionalität abgekoppelt sein sollte. Die Frage ist, wie Professionalität zu definieren ist, zumal wir es hier mit einer komplexen Arbeit an und mit sehr jungen und jungen Menschen zu tun haben. Die Kommunikation mit Erziehungsberechtigten und mit Kolleginnen und Kollegen sowie anderen Professionellen gehört dazu. Professionalität im Lehrerberuf hat viel mit Reflexivität zu tun. Reflexivität setzt eine wissenschaftliche Ausbildung voraus, denn erst diese setzt den Pädagogen die Augen ein, die darüber bestimmen, was der Pädagoge in seinem Tätigkeitsfeld sieht und welche Relevanzen er in seinem Handlungsfeld setzt (Heite & Kessl, 2009). Mit anderen Worten: Arbeit in der Schule kann kaum erfolgreich sein, wenn lediglich dem einmal erworbenen und abgeprüften Wissen und der eigenen Intuition und Berufserfahrung vertraut wird. Die Aneignung von Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen und die aktive Auseinandersetzung mit solchen Erkenntnissen, der Vergleich des erworbenen Wissens mit der in der Klasse und in der Gesellschaft wahrgenommenen Realität, die kritische Interaktion mit den Entwicklungen in der Bildungspolitik all das bereichert den Alltag der Lehrperson und macht aus diesem Beruf, der durchaus seine anstrengenden und frustrierenden Seiten hat, zu einem anspruchsvollen, dynamischen Beruf. 2. Interkulturelle Kommunikation In der pädagogischen Literatur über interkulturelle Bildung (in Deutschland etwa seit Ende der 1970er Jahre ein eigenes Forschungsfeld) wird im Zusammenhang mit den Gründen, die für eine interkulturelle Bildung sprechen, damit argumentiert, dass die gegenwärtige Gesellschaft in höherem Maße als in früheren Zeiten soziokulturell und sprachlich plural ist. Wenn diese Tatsache in ihrer Vielschichtigkeit verstanden wird, ist kaum zu übersehen, dass die Professionalität von Lehrpersonen den Erwerb und Aufbau von interkultureller Kompetenz beinhalten muss. Interkulturelle Kommunikation und interkulturelle Kompetenz sind in verschiedenen pädagogischen Feldern nicht zuletzt in der Erwachsenenbildung und in der betrieblichen Fortbildung, aber auch in der Schule und in der Lehrerbildung zu einem wichtigen Begriff geworden (Auernheimer, 2003, S. 103 ff.). 21

22 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Ein wichtiger Aspekt der interkulturellen Kommunikation ist der Umstand, dass verschiedene Stereotypen (Vorurteile, Autostereotypen, Heterostereotypen) aufeinander treffen. Obwohl die bestehenden Strukturen (die Stereotypen) für die Wahrnehmung notwendig sind, ist es ebenso notwendig, Stereotype dekonstruieren zu können, damit es zu einer effektiven Kommunikation im Idealfall zum gegenseitigen Verstehen kommen kann (vgl. Allemann-Ghionda & Ogay, 1995, S. 29). Wenn Menschen mit verschiedenen soziokulturellen Hintergründen miteinander kommunizieren, spielen nicht nur individuelle Stereotype eine Rolle, sondern auch Kollektiverfahrungen eine Rolle. Innerhalb einer Gruppe (diese muss nicht zwingend und nicht immer über die nationale Zugehörigkeit definiert werden) besteht Konsens über gewisse Werte, Normen und Verhaltensweisen. Es kann sein, dass kulturell bestimmte Scripts und Codes in der eigenen Gruppe als normal betrachtet werden, was automatisch beinhaltet, dass andere Scripts und Codes als nicht normal gesehen werden. Dann kann es zu Missverständnissen oder Konflikten kommen, was aber nicht unbedingt der Fall sein muss. Missverständnisse und Konflikte ergeben sich eher dann, wenn eine Machtasymmetrie vorliegt (vgl. Auernheimer 2003, S. 108). Zum Beispiel besteht ein Machtgefälle zwischen der Lehrperson und der Schülerin oder dem Schüler oder auch zwischen Ersterer und den Eltern. Wenn dann Schüler/innen und Elternteile sozial und kulturell teilweise anders sozialisiert wurden als die Lehrperson und obendrauf die sprachliche Kommunikation schwierig ist, wird die interkulturelle Kommunikation kompliziert sein. Interkulturelle Kompetenz ist von beiden bzw. allen Seiten gefordert. Da aber die Lehrperson Status und Macht hat (und oft mehr Bildung, also mehr Möglichkeiten der intellektuellen Verarbeitung, der Eigenreflexion und der Weiterbildung), liegt die Hauptverantwortung bei der Lehrperson. An der eigenen Professionalität zu arbeiten bedeutet zu einem großen Teil auch, die eigene Kommunikationsfähigkeit und interkulturelle Kompetenz zu verfeinern. Doris Edelmann spricht von pädagogischer Professionalität in transnationalen Räumen (Edelmann, 2007). Interkulturelle Kompetenz könnte folgendermaßen definiert werden: Die Fähigkeit, Ä in Situationen der kulturellen Überschneidung Ambiguitätstoleranz walten zu lassen; Ä den kulturellen Unterschied zu erkennen und zu verstehen, dass er das Ergebnis einer bestimmten Geschichte und Sozialisation ist; Ä das Soziokulturelle vom Sozioökonomischen zu unterscheiden, damit nicht jede Verhaltensweise auf angebliche kulturelle Differenzen projiziert wird; Ä sich so zu verhalten, dass der kulturelle Unterschied oder das Missverständnis nicht zum Konflikt eskaliert; Ä Missverständnisse anzusprechen (Metakommunikation). Voraussetzung ist, dass der eigene Ethno- und Soziozentrismus reflektiert wird. Auf dieser Ebene der Reflexivität fließen wissenschaftliche Erkenntnisse und die persönliche Verarbeitung eigener Stereotype und biographischer Erfahrungen zusammen. Interkulturelle Kompetenz ist keine in Stein gemeißelte Fähigkeit, die sich so klar definieren lässt wie etwa die Kompetenzen eines lernenden Skifahrers in den Klassen 1 bis 5. Es ist vielmehr eine dynamische Eigenschaft, die ständig auf die Probe gestellt wird und sich ständig weiterentwickeln kann. Deshalb ist das folgende Modell von Bennett als willkommene Hilfe (aber nicht mehr als das) zu sehen, auf die wir uns mit Gewinn stützen können, wenn wir verstehen wollen, worin eigentlich interkulturelle Kompetenz besteht. 22

23 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Abbildung 1: Stadien interkultureller Sensibilität (oder Kompetenz) nach Bennett Ethnozentrismus Ethnorelativismus Integration Erfahrungen aus verschiedenen Kulturen vereinen sich in der Identität der Person Adaption Es werden Perspektiven anderer Kulturen in die eigene Kultur integriert Akzeptanz Andere Kulturen werden als gleichwertig empfunden Minimierung Die eigene Kultur wird als universell empfunden Aus: (Bennett, 2003). Abwehr Die eigene Kultur wird als die einzig gute Kultur empfunden Leugnung Die eigene Kultur wird als die einzige Kultur empfunden Im zitierten Aufsatz werden Modelle des interkulturellen Training für Erwachsene beschrieben, die genau auf die sechs Stadien zugeschnitten sind und das Ziel haben, die Personen oder Gruppen so auszubilden, dass sie zu einer höheren Kompetenz auf dem jeweils höheren Stadium gelangen. Die Grafik könnte zur Annahme verleiten, dass jede Person die sechs Stufen erklimmt bzw. die sechs Stadien durchläuft, genauer: durchlaufen kann, vor allem dann, wenn sie bestimmte Trainings absolviert. Eine andere Annahme könnte lauten, dass manche Personen auf einem der Stadien (zum Beispiel auf einem der drei ethnozentrischen Stadien) stehen bleiben und sich nicht weiter entwickeln. Die Wirklichkeit ist komplizierter. Es ist denkbar (und zu hoffen), dass jemand, der in einer Aus- oder in einer Fortbildung etwas Neues und Einschlägiges lernt, interkulturell sensibler und kompetenter wird, aber wir wissen es nicht, denn es ist denkbar schwer, dies festzustellen. Es kann auch sein, dass eine bestimmte Person aufgrund biographischer Erfahrungen interkultureller Art interkulturell kompetenter ist als eine andere Person, die keine solchen Erfahrungen gemacht hat. Erkenntnisse aus der Psychoanalyse und aus der Sozialpsychologie, insbesondere aus der Vorurteilsforschung, könnten zusätzliche Erklärungen liefern: open minded, close minded, sind etwa Begriffe, die in diesem Forschungsbereich verwendet werden. Was uns hier besonders interessiert, ist nicht so sehr, woher es kommt, dass manche Personen interkulturell offener und kompetenter sind als andere, sondern vielmehr folgende Fragen: Ä Wie kann der Grad (das Stadium) der interkulturellen Sensibilität bzw. Kompetenz von Jugendlichen und Erwachsenen festgestellt werden? Ä Wie kann interkulturelle Kompetenz erlernt und gelehrt werden? In der Literatur sind zahlreiche Impulse und Methoden zu finden - Rollenspiele, interkulturelle Didaktik der Fächer, interkulturelles Lernen als soziales Lernen (vgl. Holzbrecher, 2009). Ä Kann man sich interkulturelle Kommunikation vorstellen, wenn man nicht auf eigene biographische Erfahrungen zurück greifen kann? Ä Kann gelebte Auseinandersetzung mit Alterität und Interkulturalität simuliert (Rollenspiele) oder imaginiert (Literatur) werden? 23

24 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Zur Frage nach der Erlernbarkeit von interkultureller Kompetenz liegen noch nicht viele gesicherte Forschungsergebnisse vor, aber die Analogie zum Erwerb sprachlicher Kompetenz legt nahe und sozialpsychologische Theorien legen nahe, dass dies möglich ist (vgl. Göbel & Hesse, 2009). Eine der Möglichkeiten, interkulturelle Kompetenz aufzubauen, ist die Erweiterung der allgemeinen Bildung in Richtung Interkulturalität. Nach meiner Definition lässt sich diese folgendermaßen definieren: Eine Bildung, die sich breit aufgefasst als interkulturell und pluralistisch versteht (jenseits der Dichotomie Mehrheit / Minderheit), bietet Wissen und Instrumente an, um den soziokulturellen Horizont eines jeden Individuums zu erweitern. Es geht um den Aufbau interkultureller Kompetenzen. Menschen sollen befähigt werden, Unterschiede (Differenzen) zu analysieren und zu verstehen, ohne alles auf vermeintliche kulturelle Eigenheiten und Konflikte zurück zu führen. Eine solche Bildung und Erziehung soll Menschen besser in die Lage versetzen, sich in Gesellschaften zurecht zu finden, die zunehmend plural sind (vgl. Allemann-Ghionda, 2009). Der Diskurs über interkulturelle Bildung hat in Europa seit den Anfängen (Mitte der 1970er Jahre), nachdem es zunächst um eine pädagogische Reaktion auf internationale Migrationsflüsse und deren Auswirkungen auf den Unterricht ging, zwei Horizonterweiterungen erfahren. Die erste Horizonterweiterung besteht darin, dass heute interkulturelle Bildung nicht nur eine Bildung für Schülerschaften sein soll, die aufgrund von Migration heterogen sind. Vielmehr ist es so, dass Pluralität weitere Dimensionen beinhaltet. Die europäische Vielfalt und Integration tragen zu einem intensivierten Austausch von Sprachen und Kulturen bei. Historisch mehrsprachige Länder sind in sich (nicht nur wegen der Migrationsflüsse, sondern aufgrund früherer politischer Ereignisse) aus historischen Gründen vielfältig. Und schließlich begünstigt Globalisierung den Kontakt zwischen Menschen und Gruppen mit verschiedenen sprachlichen und soziokulturellen Hintergründen. Aus diesen vier Achsen der Pluralität (vgl. Allemann-Ghionda, 2008) ergeben sich Argumente für eine Bildung, die interkulturell ist. Die zweite Horizonterweiterung besteht darin, dass der Fokus auf sprachlicher und soziokultureller Vielfalt erweitert wird. Postuliert wird eine Bildung, die alle Aspekte und Formen der Diversität oder Heterogenität mitberücksichtigt. Diese zweite Horizonterweiterung geht auf das Konzept der Intersektionalität zurück. Danach kann Differenz anhand unterschiedlicher Merkmale definiert werden: 1.Kultur bzw. Ethnie (in den Vereinigten Staaten und in England auch Rasse ) 2.Staatsangehörigkeit 3.Sprache 4.Religion 5.Gender und sexuelle Orientierung 6.Ability / disability (Behinderung, Nichtbehinderung) 7.Sozioökonomischer Status (arm / reich; mehr oder weniger gebildet; soziale Herkunft). Weitere Differenzmerkmale (zum Beispiel Alter, Aussehen, Gesundheit, Intelligenz) sind denkbar und oft auch wirksam. Kernpunkt ist hierbei, dass Individuen und Institutionen dazu neigen, die genannten Merkmale zu benutzen, um Trennungslinien zu ziehen und zwischen Wir und die Anderen zu unterscheiden. In der Schule ist es nicht anders als in anderen Institutionen. Zum Stellenwert der kulturellen Unterschiede, die in der interkulturellen Diskussion eine so wichtige Rolle spielen, ist zu sagen: sie können im Alltag eine Rolle spielen, aber es darf insbesondere auch in der Schule nicht jedes Missverständnis auf vermeintlich kulturelle Unterschiede zurückgeführt werden. Eine gelungene interkulturelle Kommunikation anzustreben und interkulturelle Kompetenz aufzubauen, sind wichtige Ziele. Dabei sollte aber nicht das Allerwichtigste vergessen werden, nämlich dass sozioökonomische Unterschiede eine Form der Machtasymmetrie alle anderen Differenzlinien in den Schatten stellen. Fragen zur Interkulturalität und zur Diversität können erst und nur vernünftig analysiert und angegangen werden, wenn Grundprobleme der sozio- 24

25 Tagungsdokumentation 26./ Impulse ökonomischen Ungleichheit gesehen werden und versucht wird, sich dem Ziel der Chancengleichheit zu nähern. Der Fokus auf kulturelle Differenz ist zu eng und verzerrend. Heterogenität als vielschichtiges Phänomen ist die Grundlage, die die uns umgebende und umfassende Normalität bildet und eine Pädagogik verlangt, die dies akzeptiert. Es geht weniger um einen Abschied von der interkulturellen Pädagogik (Hamburger, 2009), sondern vielmehr um ein wissenschaftliches und wirklichkeitsgemäßes Verständnis davon. Aus den beiden Horizonterweiterungen der interkulturellen Pädagogik (oder Bildung) ergeben sich differenzierte Aufgaben für eine allgemeine Bildung, die interkulturell ist: Ä Ä Ä Ä Ä Ä Alle Arten von Mehrsprachigkeit fördern Wissen über und Verstehen von Migration und Pluralität bzw. Diversität erwerben und vermitteln Schulische Integration und Bildungserfolg von Migranten unterstützen Interkulturelle Sensibilisierung und Kompetenz lernen und lehren Bewusstsein für die internationale, transnationale und interkulturelle Einbettung fördern Pädagogisch reflektierte Behandlung von Diversität begünstigen. 3. Bildungsstandards und Kompetenzen aus interkultureller Sicht Der Begriff Standards ist im deutschen Bildungsdiskurs seit Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu einem allgemein verwendeten Begriff geworden: Bildungsstandards formulieren Anforderungen an das Lehren und Lernen in der Schule. Sie benennen Ziele für die pädagogische Arbeit, ausgedrückt als erwünschte Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler. ( ) Bildungsstandards konkretisieren die Ziele in Form von Kompetenzanforderungen (Klieme u. a., 2003). Diese Definition kann auf jede Kategorie und Gruppe von Lernenden einschließlich der angehenden Lehrpersonen oder solcher, die im Dienst sind und sich fortbilden, übertragen werden. Natürlich fehlen nicht kritische Stimmen, die die negativen Auswirkungen einer Standardisierung auf verschiedenen Ebenen befürchten (vgl. Abs, 2009). Im Zusammenhang mit der Professionalität und der interkulturellen Kompetenz von Lehrpersonen ist ein Verständnis von Bildungsstandards und Kompetenzen leitend, das nicht die Standardisierung betont, sondern das Festlegen von Dingen, die eine Lehrperson wissen und können muss, um erfolgreich und motiviert handeln zu können. An anderer Stelle habe ich fünf Standards und die jeweils dazu gehörigen Kompetenzen ausführlich beschrieben (Allemann-Ghionda, 2006). Diese Kompetenzen können nur unter der Bedingung erworben werden, dass Lehrpersonen sich selbst motivieren, sich darauf einzulassen. Ein Hindernis dürfte darin bestehen, dass Vorurteile - basierend auf Unwissen - über kulturell Andersartige und über die angenommenen Nachteile der Zweisprachigkeit (allerdings nur wenn Letztere sich auf Migranten bezieht) unter Lehrpersonen verbreitet sind. Dazu liegen empirische Untersuchungen aus den Vereinigten Staaten, Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern vor (vgl. unter anderen Edelmann 2007). Der Motivation kann auf die Sprünge geholfen werden. Interkulturelle Fragestellungen sollten als Querschnittdimension der Lehrerbildung etabliert werden. Schwerpunkte sollten dabei das Wissen über Interkulturalität und Diversität, der Aufbau interkultureller Kompetenz mit verschiedenen Methoden, und schließlich das Erlernen und Weiterentwickeln einer Didaktik der Interkulturalität für die zu unterrichtenden Fächer sein. Zum unverzichtbaren Wissen über Migration (wohlgemerkt: Migration sorgt für die sichtbarste Ausprägung der Pluralität, ist aber nicht das einzige Argument für interkulturelle Bildung) gehört die 25

26 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Information, dass Schülerinnen und Schüler mit Migration unterschiedliche Geschichten und Sozialisationen haben können, wie die folgende Aufstellung erahnen lässt: Ä Kind mit Migrationshintergrund, das in Deutschland geboren wurde; Ä Kind mit Migrationshintergrund, das während und bis Ende der Grundschule zugewandert ist Ä Kind, das in einer zweisprachigen Familie aufwächst (mit und/ohne Migrationshintergrund) Ä Kind international mobiler Eltern (diplomatischer Dienst, transnationale Firmen) Ä Quereinsteiger/innen mit guter Schulbildung Ä Quereinsteiger/innen mit bescheidener Schulbildung. Ausschlaggebend ist dabei immer der sozioökonomische Hintergrund; damit korrespondiert die Einstellung der Lehrperson zu den verschiedenen Ethnien bzw. Herkunftsländern. Die Genderdimension wird meistens erst bedeutend, wenn der sozioökonomische Hintergrund der Eltern von dem der Lehrperson abweicht (Machtasymmetrie) und eine negative Einstellung gegenüber einer bestimmten Ethnie vorliegt. Im Hinblick auf eine wirksame Unterrichtsgestaltung muss die Lehrperson sich dessen bewusst sein, dass Migration, Mobilität und die damit einhergehende Begegnung mit einer neuen Sprache und neuen Lebensweisen, sowie der Aufbau gemischter Identitäten, für die Familien, die einwandern, aber auch für deren Kinder (zweite, dritte Generation) anspruchsvolle biographische Ereignisse (Allemann-Ghionda, Stanat, Göbel & Röhner, 2010). Daraus erwachsen auch für die Lehrpersonen anspruchsvolle Aufgaben. Spezifische, nachhaltige Förderangebote sind nötig. Optimal ist eine parallele Förderung der Zweitsprache Deutsch (L2) und der jeweiligen Herkunftssprache. Eine professionelle pädagogische Diagnostik würde den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund sowie dem deutschen Bildungssystem viele Fehlzuweisungen zu Sonderklassen ersparen. Der Unterricht in Deutsch als Zweitsprache wurde nach den nicht begeisternden Ergebnissen der PISA-Untersuchung über Lesekompetenz an vielen Orten aufgestockt und intensiviert. Die Ergebnisse lassen auf sich warten, und es liegt die Vermutung nahe, dass zwar viele Gelder geflossen sind, aber der Unterricht nicht immer qualifizierten Lehrpersonen anvertraut wurde. Die Intensität (in Wochenstunden) und die Dauer (in Jahren) des Unterrichts weisen ebenfalls noch Defizite auf, obwohl positiv zu vermerken ist, dass Projekte im Rahmen des Programms Förmig und des Förderungsprogramms der Stiftung Mercator (Schwarz, o. J.) Schritte in die richtige Richtung darstellen. Der Unterricht in Deutsch als Zweitsprache kann beginnen, effektiv zu sein, wenn allen Beteiligten folgende Fakten bewusst werden: Ä Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten ist nicht dasselbe wie Deutsch als Muttersprache zu unterrichten. Ä Grammatik kann nicht nur spielerisch und nebenbei (durch Sprechen, Vorlesen usw.) spontan erworben werden. sie muss systematisch und altersgemäß unterrichtet werden. Ä Formale und strukturelle Eigenschaften des Deutschen, die in anderen Sprachen so nicht vorkommen, müssen ausdrücklich und wenn möglich vergleichend unterrichtet werden: Artikel, Deklinationen, Konjugationen, Verbstellung ). Ä Sprachtraining muss konstant sein und in einer Langzeitperspektive erfolgen; crash courses nützen nichts, sie kosten nur viel. Ä Deutsch als Zweitsprache zu fördern, ist nicht nur für das Fach Deutsch, sondern für alle Fächer relevant; es sind also nicht nur Deutschlehrer/innen gefordert. Ä In mehrsprachigen Klassen sind die verschiedenen Kompetenzniveaus zu berücksichtigen Ä Sprachliche Förderung beginnt mit Gewinn schon im vorschulischen Alter. 26

27 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Ä Nicht nur in der Hauptschule, sondern auch in der Realschule und auf dem Gymnasium gibt es Förderbedarf. Als Schlusswort sei auf den Begriff Lehrerarbeit, der mir für den Titel vorgeschlagen wurde, eingegangen. Ein wenig Etymologie beleuchtet die Bedeutungen des Wortes Arbeit. Im Altgriechischen heißt Arbeit ponos, das wir mit Anstrengung und Pein übersetzen können. Das lateinische Wort laborare bedeutet ursprünglich leiden. Das mittelhochdeutsche arebeit, aus dem lateinischen Wort arvum (Feld) abgeleitet, suggeriert Feldarbeit, die notwendig ist, um sich und andere zu ernähren. Das französische travail, hervorgegangen aus dem lateinischen Begriff tribulum (Dreschwagen), später tribulare (sich quälen) weckt weitere unangenehme Assoziationen. Lehrerarbeit, das heißt: die Arbeit der Lehrpersonen, soll keine Qual sein, wohl aber eine besondere Art der Feldarbeit, bei welcher ohne Hingabe und professionelles know how keine Früchte zu ernten sind. Ziel ist eine nachhaltige Bildung, und nachhaltig soll hier bedeuten, dass kein Potenzial an seiner Entfaltung gehindert wird auch nicht das Potenzial einer heterogenen Schülerschaft, die unsere Normalität prägt (vgl. Bekerman & Kopelowitz, 2008). Literatur Abs, H. J. (2009): Standards schulischer Bildung. In: Andresen, S., Casale, R., Gabriel, T., Horlacher, R., Larcher Klee, S. & Oelkers, J. (Hrsg.). Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. (S ). Weinheim, Basel: Beltz. Allemann-Ghionda, C. (2006): Soziokulturelle und sprachliche Pluralität als anthropologische Voraussetzung und notwendige pädagogische Perspektive der Entwicklung von Standards und Kompetenzen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: Plöger, W. (Hrsg.). Was müssen Lehrerinnen und Lehrer können? Beiträge zur Kompetenzorientierung in der Lehrerbildung. (S ). Paderborn: Schöningh. Allemann-Ghionda, C. (2008): Für die Welt Diversität feiern - im heimischen Garten Ungleichheit kultivieren? Von gegenläufigen Entwicklungen in der Politik, Theorie und Praxis der interkulturellen Bildung in Europa. Zeitschrift für Pädagogik, 54 (1), S Allemann-Ghionda, C. (2009): Interkulturalität und interkulturelle Bildung. In: Andresen, S., Casale, R., Gabriel, T., Horlacher, R., Larcher Klee, S. & Oelkers, J. (Hrsg.). Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. (S ). Weinheim, Basel: Beltz. Allemann-Ghionda, C. & Ogay, T. (1995): Interkulturelle Sensibilisierung: Ein Vademecum. Bern, Aarau: Bundesamt für Bildung und Wissenschaft, Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung. Allemann-Ghionda, C., Stanat, P., Göbel, K. & Röhner, C. (2010): Migration, Identität, Sprache und Bildungserfolg. Beiheft Nr. 55 der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim, Basel: Beltz. Auernheimer, G. (2003): Einführung in die interkulturelle Pädagogik. 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Bekerman, Z. & Kopelowitz, E. (Hrsg.). (2008): Cultural Education - Cultural Sustainability: Minority, Diaspora, Indigenous and Ethno-Religious Groups in Multicultural Societies. New York: Routledge. Bennett, J. M. (2003): Turning Frogs into Interculturalists: A student-centered developmental approach to teaching intercultural competence. In: Boyacigiller, N. A., Goodman, R. A. & Phillips, M. E. (Hrsg.). Crossing Cultures. Insights from Master Teachers. (S ). New York & London: Routledge. Edelmann, D. (2007): Pädagogische Professionalität im transnationalen Raum. Eine qualitative Untersuchung über den Umgang von Lehrpersonen mit der migrationsbedingten Heterogenität ihrer Klassen. Münster: LIT. 27

28 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Göbel, K. & Hesse, H.-G. (2009): Interkulturelle Kompetenz - ist sie erlernbar oder lehrbar? Konzepte für die Lehrerbildung, die allgemeine Erwachsenenbildung und die berufliche Weiterbildung. In: Meder, N., Allemann-Ghionda, C., Uhlendorff, U. & Mertens, G. (Hrsg.). Handbuch der Erziehungswissenschaft, Band III/2 Umwelten: Sozialpädagogik / Medienpädagogik / Interkulturelle und Vergleichende Erziehungswissenschaft / Umweltpädagogik. Teil VIII, bearbeitet von Cristina Allemann-Ghionda (S ). Paderborn: Schöningh. Hamburger, F. (2009): Abschied von der interkulturellen Pädagogik. Plädoyer für einen Wandel sozialpädagogischer Konzepte. Weinheim: Juventa. Heite, C. & Kessl, F. (2009): Professionalisierung und Professionalität. In: Andresen, S., Casale, R., Gabriel, T., Horlacher, R., Larcher Klee, S. & Oelkers, J. (Hrsg.). Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. (S ). Weinheim, Basel: Beltz. Holzbrecher, A. (2009): Interkulturelle Fachdidaktiken und soziales Lernen. In: Meder, N., Allemann- Ghionda, C., Uhlendorff, U. & Mertens, G. (Hrsg.). Handbuch der Erziehungswissenschaft, Band III/2 Umwelten: Sozialpädagogik / Medienpädagogik / Interkulturelle und Vergleichende Erziehungswissenschaft / Umweltpädagogik. Teil VIII, bearbeitet von Cristina Allmann-Ghionda (S ). Paderborn: Schöningh. Klieme, E., Avenarius, H., Blum, W., Döbrich, P., Gruber, H., Prenzel, M., Reiss, K., Riquarts, K., Rost, J., Tenorth, H.-E. & Vollmer, H. J. (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Bonn: Bundesministerium für Bildungsforschung. Schwarz, P.: (o. J.): Ohne Deutsch kann man hier nichts machen. Förderunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund Projektfilm. Stiftung Mercator. Prof. Dr. Cristina Allemann-Ghionda lehrt vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität zu Köln. Website: 28

29 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Kulturelle Heterogenität in der Schule: Qualifizierungsbedarf und Ausbildungserfahrung aus der Sicht angehender Lehrpersonen Elisabeth Rangosch-Schneck 1 Sehr geehrte Damen und Herren, herzlichen Dank für die Gelegenheit, Ihnen einige Ergebnisse meiner empirischen Untersuchung der Einstellungen angehender Lehrpersonen zu migrationsbedingter Heterogenität in der Schule und ihren Konsequenzen für die Lehrerbildung vorzustellen. Dank auch dafür, dass Sie, im wahrsten Sinne des Wortes pausenlos, sich nunmehr dem dritten Vortrag öffnen. Worum geht es bei meiner Untersuchung? Zwei zentrale Annahmen liegen der Arbeit zugrunde: 1. Migrationsbedingte Heterogenität in den Schulen ist Normalfall, nicht Ausnahme. 2. Lehrpersonen gestalten diese, unter vielerlei Aspekten, heterogene Schule und dazu brauchen sie pädagogische Professionalität. Wir haben Vorstellungen davon, was notwendig wäre, was an interkultureller Qualifikation Lehrpersonen benötigen. Aber: Wir wissen nicht, wie die Lehramtsstudierenden, die Referendare, die Lehreranwärter, dies sehen. Und wir wissen nicht, was wirkt. Das wunderbare Angebot alleine bedeutet weder, dass es überhaupt genutzt wird, noch dass es im von uns geplanten Sinne zu pädagogischem Handeln führt. Diese Ungewissheit war Ausgangspunkt meiner Untersuchung. Das Forschungskonzept Warum wurden gerade Lehreranwärter/innen und Referendar/innen befragt? Sie stehen an der Schnittstelle von Ausbildung und Berufspraxis: sie haben das Lehramtsstudium hinter sich, auch einen Teil der Ausbildung am Seminar, sind aber immer noch Lernende, werden über das Seminar mit aktuellem Wissen konfrontiert und zur ständigen Begründung und Reflexion ihres Handelns herausgefordert damit stehen sie exemplarisch für ein realisiertes Maß an Lehrerprofessionalität, die wesentlich bestimmt wird durch die Fähigkeit, das berufliche Handeln aus einem empirisch-wissenschaftlichen Habitus heraus zu begründen, zu reflektieren, in einen Diskurs darüber einzutreten, über ein umfassendes pädagogisches Handlungsrepertoire zu verfügen und persönlich die Verantwortung für Handlungsfolgen des beruflichen Tuns zu übernehmen. Fragestellung war: 1. wie (re)konstruieren angehende Lehrpersonen die Relevanz einer Qualifizierung für interkulturelle Heterogenität an der Schule. Wie wichtig ist es ihnen, das entsprechende Wissen und Können zu erwerben 2. mit welchen Bedeutungen versehen sie den Begriff der kulturellen Heterogenität. Was spielt sich in ihrem Kopf ab, wenn sie diesen Begriff hören oder lesen. Also auch: was erwarten sie von einer interkulturellen Qualifizierung. 1 Lehrbeauftragte an den Universitäten Marburg u. Tübingen, Projektkoordination Migranten machen Schule! Stuttgart 29

30 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Das zentrale Erkenntnisinteresse der Untersuchung war, einen möglichst facettenreichen Einblick in die subjektiven Sichtweisen angehender Lehrpersonen zu erhalten. Für das Forschungskonzept verband sich damit die Notwendigkeit, dass die Befragten selbst das, was ihnen wesentlich war, formulieren konnten. Das bedeutete ein qualitatives Konzept, mit offenen Fragestellungen. Gleichzeitig erschien es aber sinnvoll, Anhaltspunkte für Bewertungen zu erhalten: wie wichtig erscheint es den angehenden Lehrpersonen, für den Umgang mit kultureller Heterogenität qualifiziert zu werden, wie gut fühlen sie sich dafür ausgebildet? Hier wurde ein quantitatives Vorgehen gewählt. Beide methodischen Zugänge wurden verschränkt, beide Ergebnisse werfen von unterschiedlichen Punkten aus einen Blick auf die Frage nach der interkulturellen Qualifizierung von Lehrpersonen (Methoden-Triangulation). Die Idee zur Befragung selbst entstand im Kontext der Initiative Migranten machen Schule!, die Ergebnisse sollten, ursprünglich auch nur bezogen auf ein Seminar, eine Momentaufnahme liefern, wie künftige Lehrerinnen und Lehrer über die Vielfalt im Klassenzimmer dachten, wie es demnächst um die Vielfalt im Lehrerzimmer bestellt sein könnte, d.h. wie viele der angehenden Lehrpersonen Migrationserfahrung in die Schule einbringen, und wie ihre spezifischen Ressourcen in der Seminarausbildung verstärkt einbezogen werden könnten. Dieser konkrete Verwertungszusammenhang ließ andere Fragen in den Hintergrund treten, die rückblickend angesichts der großen Zahl sinnvoll gewesen wären (z.b. die Frage nach dem Geschlecht, den Fächern der Befragten). Auszug aus dem Fragebogen Die Qualifizierung für den Umgang mit kultureller Heterogenität in der Schule halte ich für Für besonders wichtig halte ich es, Ich habe selbst einen Migrationshintergrund Ja konkret:. Nein unwichtig sehr wichtig Die Vorbereitung auf den Umgang mit kultureller Heterogenität in der 1. Phase war für mich vollkommen vollkommen ungenügend ausreichend Konkret heißt das für mich: Die Vorbereitung auf den Umgang mit kultureller Heterogenität in der 2. Phase war für mich 2 Die Besonderheit der qualitativen Daten liegt in der Möglichkeit, in hohem Maß subjektive Sichtweisen zu rekonstruieren. Beispielhaft dafür steht die Offenheit der Fragen für jeweils ganz individuelle Anschlüsse an die Frage: Für besonders wichtig halte ich es,, die es den Einzelnen überlässt, ob sie über Ziele, Begründungen, Inhalte usw. schreiben. 2 Dort wo der Kurs an den Seminaren erst begonnen hatte wurde alternativ dazu nach den Erwartungen gefragt 30

31 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Datengrundlage 918 Fragebögen aus Staatlichen Seminaren aller Schularten liegen vor, die Datengrundlage ist damit für eine qualitative Erhebung ungewöhnlich breit. 101 Befragte gaben einen Migrationshintergrund an: 11% der Befragten. Ein Durchschnitt von 15% ergibt sich, lässt man ein Seminar, in dem nach Aussage der Seminarleitung im befragten Kurs auffallend wenig Lehreranwärter/innen mit Migrationshintergrund waren, unberücksichtigt. Worüber können die Daten Auskunft geben? Für die unmittelbare Frage nach der Relevanz und der Bewertung der erfahrenen interkulturellen Qualifizierung können exakte Verteilungen von Sichtweisen angegeben werden. Die qualitativen Daten wurden codiert und in Clustern zusammengefasst. In Einzelfällen wurden dabei extreme Verteilungen deutlich (s.u.). Diese nachträglich quantifizierten Ergebnisse werden ausschließlich im heuristischen Sinne verwendet, als Anstoß, den Sachverhalt näher zu betrachten und gegebenen Falls präziser zu erforschen. Der zentrale Ertrag der Untersuchung liegt in der Darstellung von Deutungsräumen, von Facetten der Wahrnehmung, des Denkens von Lehreranwärtern. Die Daten geben damit Hinweise auf Lernvoraussetzungen der angehenden Lehrpersonen und können in die Exemplarische quantitative Ergebnisse In der Darstellung wurde darauf verzichtet, einen allgemeinen Durchschnittswert anzugeben. Aussagekräftiger erschien es, jeweils den höchsten bzw. niedrigsten Wert an den einzelnen Seminaren anzugeben und auch hier die Spielräume sichtbar zu machen. Relevanz interkultureller Qualifizierung Maximal 2% der Befragten sagen: Das halte ich eher für unwichtig. Umgekehrt halten zwischen 75% und 90% eine Qualifizierung für (sehr) wichtig. Wir können also davon ausgehen, dass mindestens ¾ unser künftigen Lehrerinnen und Lehrer sagen: Ich finde es wichtig, dass ich für diese Fragenstellung qualifiziert werde. 31

32 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Studienerfahrung Bei der Frage nach der Vorbereitung durch das Studium dreht sich Sicht: Maximal 16% halten ihre Ausbildung in dieser Frage für (vollkommen) ausreichend. Umgekehrt sehen sich mindestens (!) 38% (vollkommen) ungenügend vorbereitet, teilweise sieht dies mehr als die Hälfte der Befragten so. Variable Migrationshintergrund? Eine Frage, die immer wieder kommt: Wie haben die Befragten mit Migrationshintergrund geantwortet? Anders? Ein Beispiel: Auf die Frage Die Qualifizierung für den Umgang mit kultureller Heterogenität in der Schule halte ich für unwichtig/ sehr bedeutsam war die Antwort: Null - also vollkommen unwichtig. Und auf die anschließende Impulsfrage Für besonders wichtig halte ich es, folgt in den freien Linien der Satz: dass man die Tatsache der Heterogenität nicht überbewertet. Das macht deutlich, dass wir vorschnelle Annahmen in Frage stellen müssen. Gerade weil die Befragung Raum für singuläre Aussagen gibt, weitet sie den Blick auf mögliche Sichtweisen und Positionen. Der Preis ist, dass nur wenig Berechenbares, Ein-Deutiges vorgelegt werden kann, vielmehr Erwartetes neben Un-Erwartetem und Strittiges nebeneinander steht. Diese Vielfalt in den Sichtweisen angehender Lehrpersonen mit Migrationshintergrund explizit zu benennen erscheint mir angesichts der zunehmenden Diskussionen um DIE Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund von besonderer Bedeutung. 32

33 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Exemplarische qualitative Ergebnisse Der Gegenstand oder: an was denken die Lehreranwärter beim Stichwort Kulturelle Heterogenität? Heterogenität In den Antworten wird der Begriff der Heterogenität in die eigene Sprache übersetzt. Die dabei verwendeten Begriffe bewegen sich zwischen Neutralität und erkennbarer Bewertung ( Fronten ). Den Fokus möchte ich auf jene Gruppe von Aussagen lenken, in denen die Befragten sich selbst, das Eigene thematisieren und dem Fremden gegenüber stellen: Unabhängig davon, wie man dem Anderen begegnet, erscheint es (oft explizit!) als eigenartig, das Eigene damit implizit als normal. Anders formuliert: Kultur Problem Nr. 1: Ein unbewusster Bezug auf die Normalität des Eigenen Der Begriff der Kultur wird häufig in unmittelbarer Kombination mit anderen Begriffen verwendet: als Kultur und Religion, die andere Sprache und Kultur usw. Die Begriffsfelder erscheinen im Detail unterschiedlich, gemeinsam ist ihnen eine statische Qualität: Das zeigt sich einerseits sehr konkret in der Verwendung von Stereotypen (vgl. Beispielzitat: Türken, Asiaten ), durch die Schülern ganz bestimmte Hintergründe, zugewiesen werden (vgl. Beispielzitat Patriarchalische Hintergründe ) und damit ihr Verhalten, zu erklären, zu verstehen. Andererseits wird ein theoretisches Modell formuliert, nach dem hinter ähnlichen Worten, Verhaltensweisen recht unterschiedliche Wertewelten stecken können. Die Menschen sind nicht nur individuell verschieden, sondern auch innerhalb ihrer Gruppe, Umgebung, Herkunft sehr ähnlich. (s. Beispielzitat). 33

34 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Hier wird die Differenz zum Anderen in den Vordergrund gerückt, insbesondere aber wird diese Differenz gekoppelt an die Zugehörigkeit zu einer Gruppe/ Umgebung/ Herkunft, die eben eine ganz bestimmte Kultur zur Folge hat: Problem Nr. 2: Konstrukt einer homogen-anderen Kultur als Differenzmerkmal Zentrale Arbeitsfelder Ich möchte Ihnen exemplarisch zwei Arbeitsfelder vorstellen, denen durch die erkennbare besondere Häufigkeit ihrer Nennung eine besondere Bedeutung zugeschrieben wird: Sprache Das am häufigsten benannte Thema ist die Sprache. Sowohl die Schülerinnen und Schüler, als auch die Eltern mit Migrationshintergrund werden in hohem Maße dadurch charakterisiert, dass sie kein Deutsch können, dass sprachliche Probleme zu lösen sind. Der Begriff der Mehrsprachigkeit taucht zwar nie als Problem auf, wird aber insgesamt nur sehr selten genannt. Es dominiert die Sicht: Was mache ich mit denen, die kein Deutsch können? führt zum Problem Nr. 3: Für die Beschreibung von Schülern und auch von Eltern mit Migrationshintergrund ist das Muster mangelnde Deutschkenntnisse zentral. Eltern Eltern sind zum einen in der Rolle von Objekten : Man geht mit ihnen um. Darin liegt nicht unbedingt eine Besonderheit der Einstellung gegenüber Migranteneltern. Deutlicher wird die Besonderheit, wo sie als Subjekte wahrgenommen werden, sich allerdings und ausschließlich falsch verhalten (vgl. Beispielzitate). Und Eltern als Bildungsund Erziehungspartner? Eltern mit Migrationshintergrund als Elternvertreter, als Gesprächspart- 34

35 Tagungsdokumentation 26./ Impulse ner, die der Schule Rückmeldung geben (s. 114 Schulgesetz)? In den 918 Fragebögen fand sich dazu keine Aussage. Bilder oder: welches Bild machen sich die Lehrpersonen - z.b. von Schülerinnen und Schüler. In einem der Fragebögen wird die Frage nach der Vorbereitung auf den Umgang mit kultureller Heterogenität mit einer klaren Null als vollkommen ungenügend charakterisiert. Ergänzend heißt es daran anschließend zur Frage Konkret heißt das für mich : Wie gehe ich mit der Frauenrolle um? Wie mit Sprachförderung ab Kl. 5 wenn vorher nichts passiert? Auf was muss ich achten? Aufgelistet werden sowohl Einzelfragen (Frauenrolle, Sprachförderung) als auch die Generalisierung: Auf was muss ich achten? Und abschließend wird der Satz formuliert: Wie gehe ich mit S(chülern) um, dass für sie klar (ist), dass sie nicht anders sind? Unübersehbar besteht zwischen beiden Aussageteilen ein Widerspruch Damit einher geht ein Dilemma, das die Wahrnehmung der Befragten prägt: Die erste Perspektive ist die der Differenz: man nimmt Probleme und Defizite wahr, durchaus auch Ressourcen und Bereicherung, aber eben die Differenz. Die zweite Perspektive ist die der Gerechtigkeit: man möchte allen Schülern gerecht werden, weiß aber nicht wie Ob man die jetzt besonders behandeln muss? Ob man flexibel mit den Noten umgehen soll? (vgl. Beispielzitate). Nimmt man Aussagen aus anderen Fragebögen hinzu, wird das Dilemma noch deutlicher: Jeden Schüler gleich zu behandeln Jeden Schüler zu tolerieren, auch wenn man eine völlig andere Ansicht hat Keinen Sonderstatus, Normalität, keine Ausgrenzung Ä Tatsache der multikulturellen Gesellschaft akzeptieren Keinen Unterschied zw. Schülern mit/ ohne Migrationshintergrund zu machen Die Fokussierung auf die Differenz steht der gleichzeitigen Orientierung an der Neutralität, dem gleich behandeln aller Schülerinnen und Schüler als Ausweis von Gerechtigkeit entgegen: Wenn die Schüler Migrationshintergrund anders sind, was mache ich dann mit denen? Problem Nr. 4: Perspektive der Differenz ist verknüpft mit der Unsicherheit, gerecht handeln zu können. 35

36 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Betrachtet man die Perspektive der Differenz genauer, wird deutlich, weshalb sich offensichtlich automatisch aus Differenz ein Gerechtigkeitsproblem ergibt: Differenz bedeutet Defizit auf Seiten der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Ein quantitativer Exkurs Um diese Annahme zu überprüfen wurden die Daten von drei Seminaren mit insg. 386 Fragebögen einer quantitativen Inhaltsanalyse unterzogen: Gesucht wurde nach den Begriffen: Problem, Konflikt, schwierig* (erfasst werden konnte damit sowohl schwierig sein als auch Schwierigkeiten ). In den 386 Fragebogen tauchten diese Begriffe insgesamt 104 mal auf. Gesucht wurde auch nach den Begriffen: Potenzial bzw. Potential, Chance, Gewinn. Diese Begriffe tauchten insgesamt fünf mal auf. Berufliche Selbstbilder Oder: welches Bild machen angehende Lehrpersonen sich von sich, von ihren Aufgaben, ihren Normen, Werten und guten Vorsätzen Aufgabenverständnis und Berufsrolle Das berufliche Selbstbild wird zum einen davon bestimmt, welche Aufgaben die künftigen Lehrpersonen, wenn das Stichwort kulturelle Heterogenität fällt, als ihre Aufgabe betrachten, eng damit verknüpft ist die Rolle, in der sie sich dabei sehen. Entlang weniger exemplarischer Aussagen nachfolgend nur einige der Facetten: (1) Förderung von Migrantenkindern in dem Fach (2) Die kulturelle Heterogenität in der Schule zu thematisieren z.b. Essen aus anderen Ländern (3) Kulturelle Konflikte bei Bedarf zu behandeln (also auf Anfrage) (4) Die Schüler sollen lernen, sich zu integrieren, dabei hilft der Lehrer, eine aktivere Rolle wäre aber kontraproduktiv (5) Wie das Thema im Unterricht mit den Schülern aufbereitet/ thematisiert werden kann (6) Bei der U-Vorbereitung bereits auf kulturelle Unterschiede zu achten und das Konzept darauf einzustellen Das eingangs dargestellte Verständnis von Kultur wird hier ganz praktisch zum Ausgangspunkt der Definition von Aufgaben: migrationsbedingte Heterogenität wird neben dem Fördergedanken (1) - verknüpft mit Konflikten und Folklore (2) (3) Vieles erscheint in den Antworten als ungeklärt: Ist kulturelle Heterogenität ein Thema (5) oder ist sie als eine Lernvoraussetzung (6) zu betrachten? Ist das Handeln des Lehrers beliebig (3) (4)? 36

37 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Die Beispielzitate machen den Kontrast zwischen den Positionen sichtbar: Angehende Lehrpersonen sehen sich in so unterschiedlichen Rollen wie der des Lernbegleiters, des eher unbeteiligten Beobachters, des Streetworker oder aber der des unabhängig und frei agierenden Pädagogen Diese Offenheit der Berufsrolle ist ein allgemeines Kennzeichen des Lehrerberufs. Am Beispiel des Umgangs mit migrationsbedingter Heterogenität stoßen wir allerdings im Einzelfall auf problematische Eigenkonstruktionen der Berufsrolle, die für Schülerinnen und Schüler höchst unterschiedliche Lerngelegenheiten begründen. Problem Nr. 5: Individuelle Konstruktion von Aufgaben und Berufsrolle Damit stellt sich die Frage nach berufstypischen Werten 3, die diese Konstruktion rahmen. Die verwendeten Begriffe wie Verständnis oder Toleranz sind alltagsnahe, und damit vieldeutige, Begriffe und die Beispielzitate deuten erkennbar widersprüchliche Wertund Normbezüge der Befragten an. Die Handlungsrelevanz der Eigenkonstruktionen wird im letzten Beispiel deutlich: Das Vorhandensein individueller Erfahrung wird zur Variable beruflichen Handelns, ein intersubjektiv gültiger Anspruch ist nicht erkennbar. Problem 6: Begründungen der Handlungen und Werthaltungen erfolgen kaum unter Bezug auf eine Berufswissenschaft 3 s. dazu u.a. Bauer u.a. (1996) Pädagogische Professionalität und Lehrerarbeit. Weinheim u. München: Juventa 37

38 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Ausbildung oder: welche Maßstäbe legen angehende Lehrpersonen an ihre Ausbildung an Quantität des Angebots Die Angabe nichts vorhanden, oder nichts besucht scheint eindeutig zu sein. Bei Diskussionen an Seminaren, die auf diese Art Rückmeldung bekamen, wurde allerdings sichtbar, dass durchaus Veranstaltungen angeboten wurden Die Daten zeigen also nur, was wirkt, was die Befragten wahrnehmen, wie sie ihr Bild der Situation konstruieren Wichtiger erscheinen mir an dieser Stelle die subjektiven Bedeutungen, mit denen die Quantitäten belegt werden: Wenn man nichts besucht hat oder wenn nichts angeboten wird, muss das gar nicht schlimm sein, weil: man hat es gar nicht vermisst. Oder aber man erachtet es an anderen Schulen als wichtig, denn: Bei uns ist alles in Ordnung Wenn 75 % der Befragten eine interkulturelle Qualifizierung für (sehr) wichtig halten (s.o.), zeigen jetzt die qualitativen Aussagen, was die Einzelnen damit verbinden, warum es wichtig ist. Und das macht sich offensichtlich in hohem Maß fest an subjektiv wahrgenommenen Problemlagen. Problem 7: Die Notwendigkeit interkultureller Qualifizierung wird aus situativen Problemlagen abgeleitet Inhalte des Angebots Es wird niemand überraschen: gefragt sind Tipps, Vorschläge, Anregungen Die Befragten möchten Situationen bewältigen: Was tun, wenn man als Lehrerin von südländischen Machos nicht akzeptiert wird? Der Begriff des Handwerkzeugs wird mehrfach benutzt. Und welches Wissen wird nachgefragt? Es ist einerseits ein segmentiertes Wissen darüber, was gerade im Fokus ist, und es ist ein praktisch verwendbares Wissen. Andererseits, allerdings wesentlich seltener, wird ein systematisches Wissen, Kontextwissen, Theorie nachgefragt, aber: nicht zu theoretisch Auch hier müssen wir uns überlegen, was geschieht in der Lehrerausbildung, welches Verhältnis zur Theorie erzeugen vielleicht auch wir an der Hochschule, dass offensichtlich bezogen auf wissenschaftliches Wissen die Haltung entsteht: Bitte nicht zu viel davon...!? 38

39 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Definition der eigenen Rolle als Lernende An dieser Stelle kann nur auf das Problem der Konstruktion von Lernen, auch vom Begriff der Erfahrung, hingewiesen werden. Zum Selbstverständnis der befragten angehenden Lehrerinnen und Lehrer als Lernende hier nur die Andeutung der Facetten: Kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Methoden Auf Hintergründe bezüglich Religion geschult zu werden, insb. Moslems Zwischen beiden Ansprüchen und Lern-Bereitschaften liegen Welten! Pädagogische Professionalität In einem der Fragebögen wird die Vorbereitung auf den Umgang mit kultureller Heterogenität im Studium als vollkommen ausreichend (Wertung 4) bezeichnet und weiter heißt es: Zusammenleben im Studentenwohnheim mit ausländischen Mitbewohnern sensibilisier für viele auftretende Probleme Diese Aussage steht für viele andere (vgl. Beispielzitate), die gemeinsam haben, dass sie sich auf Alltagsbewusstsein, nicht auf Professionswissen beziehen. Der gesunde Menschenverstand scheint zu genügen. 39

40 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Problem Nr. 8: Die Qualifikation für Lehrerarbeit gründet nur begrenzt in den Kategorien einer Profession: Wissenschaftliches Wissen kann, es muss nicht sein. Nachgefragt wird Anwendungswissen, erforderlich ist Reflexionswissen. Für die Bewertung der Daten erscheint es an dieser Stelle wichtig zu sein darauf hinzuweisen: Die Befragten schreiben nicht, wie z.b. in einer Klausur, was als richtig und erwünscht gelernt wurde, sondern was von (möglichen) Ausbildungsangeboten hängen blieb. Die Daten lassen aber keine Schlüsse zu, welche Angebote es im Studium, welche Impulse es in den Schulpraktika, der Ausbildung am Seminar bislang gab. Sichtbar wird nur, was wirkt. Welches Wissen brauchen Lehrerinnen und Lehrer um mit migrationsbedingter Heterogenität gut umgehen zu können? Welches Können brauchen sie? Welchen pädagogisch-professionellen Habitus? Welche Einstellung brauchen sie? Und welches Lernen ist notwendig, damit sie das alles erwerben, sich aneignen können? In Massenveranstaltungen mit 120 Studierenden, die dennoch Seminar heißen und nicht Vorlesung, aus meiner Sicht nicht das aber wäre ein zweites Thema Elisabeth Rangosch-Schneck ist Erwachsenenpädagogin, arbeitet als Lehrbeauftragte an der Philipps- Universität Marburg/ Institut für Schulpädagogik und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen/ Deutsches Seminar und ist Projektkoordinatorin von Migranten machen Schule! Kontakt: 40

41 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Professionelle Lehrerarbeit braucht interkulturelle Kompetenz: zentrale Kompetenzen und Ausbildungsinhalte in der Lehrerbildung Ein Diskussionsentwurf der AG Lehrerbildung in Migranten machen Schule! Martin Kilgus (Moderation) Herzlich Willkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Teilnehmer hier am zweiten Tag der Fachtagung Schule gestalten: Vielfalt nutzen! Eine Fachtagung zum Wissen, Können und Lernen von Lehrerinnen und Lehrern im interkulturellen Kontext Wir hatten gestern schon einen sehr arbeitsreichen, intensiven Tag: wissenschaftliche Impulse wurden in acht Diskussionsrunden vertieft, eine Beispielsammlung wurde präsentiert. Teil dieser Beispielsammlung ist der Diskussionsentwurf der AG Lehrerbildung in Migranten machen Schule! zu zentralen Kompetenzen und Ausbildungsinhalten in der Lehrerbildung, der Entwurf eines Curriculums für die Lehrerbildung. Vorgestellt wird uns der Curriculum-Entwurf von Gökcen Tamer-Uzun, Lehrbeauftragte für islamische Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg, Dr. Uwe Böhm Bereichsleiter für Evangelische Religionspädagogik am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung für Realschulen in Ludwigsburg und Lehrbeauftragter an der PH in Ludwigsburg, Vittorio Lazaridis, Schulleiter an der Bergerschule in Stuttgart, Mitglied im Stuttgarter Gemeinderat und im Internationalen Ausschuss der Stadt Stuttgart, Dr. Philipp Thomas, Privatdozent an der Universität Tübingen und Geschäftsführer des dortigen Zentrums für Lehrerbildung. Entwurf zu einem Curriculum für die Lehrerbildung Vittorio Lazaridis Wir haben uns auf den Weg gemacht, vor einiger Zeit, mit unserem Netzwerk Migranten machen Schule!. Aber ein Curriculum für die Lehrerbildung entwickeln? Warum? Warum ist die interkulturelle Kompetenz in der Lehrerbildung wichtig? Sitzen denn nicht alle Kinder in einem Boot - egal ob sie jetzt Migrationshintergrund haben oder nicht? Unser Anspruch als Lehrerinnen und Lehrer ist es, Kinder individuell zu fördern und wenn das keine Worthülse sein soll, dann müssen wir fragen, welche Kinder bei uns in der Schule sind und wir müssen Migration als eine spezifische Lernvoraussetzung berücksichtigen. Damit wird deutlich, dass wir uns in diesem Bereich qualifizieren, weiterbilden müssen. Migrationsbedingte Heterogenität ist der Normalfall: über 60% der unter 12-jährigen Kinder hier in Stuttgart haben einen Migrationshintergrund. Das erfordert eine Qualifikation und zwar nicht nur für Migrantinnen und Migranten, die eventuell diesen Beruf ergreifen wollen, sondern für alle Kolleginnen und Kollegen. Migrationshintergrund allein ist kein Qualitätsmerkmal. Aber was ist damit gemeint, wenn wir von Professionalisierung reden? Es geht um Inhalte und um Wissensformen. Es geht darum, dass man sich Wissen aneignen muss über die geschichtliche, rechtliche, soziale, und gesellschaftliche Situation von Zuwanderern - das muss eigentlich state of the art sein für jeden Kollegen, für jeden Lehrer, für jede Lehrerin. 41

42 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Wir brauchen ein Wissen um theoretische Zusammenhänge und wir brauchen ein praktisch-anwendbares Wissen. Es geht um Deutsch als Zweitsprache, um ein gutes Konzept zur interkulturellen Arbeit mit Eltern, um das Wissen über Mehrsprachigkeit. Es geht aber auch um die Gestaltung der Lernprozesse der Lehrpersonen selbst: um die Bereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer zur kritischen Reflexion der eigenen Einstellung und des eigenen Verhaltens und Handelns. Dies geht nicht über Vorträge, es geht nur über offene Workshops, über Diskussionsrunden und über Netzwerke, so wie es das Netzwerk Migranten machen Schule vorgemacht hat. Nur dann werden wir in diesem Bereich erfolgreich sein. Und die Lehrpersonen mit Migrationshintergrund? Wo ist da der Mehrwert? Was bringen die uns, an unseren Schulen? Wir haben immer gesagt: sie sind Brückenbauer, sie sind Vorbilder. Das sind sie natürlich auch. Aber ich betone es nochmals, das sind sie nur, wenn sie ihre Alltagserfahrungen professionalisieren. Ansonsten bleiben sie so etwas wie Kulturdolmetscher an der Schule, die mit ihrer Sprache hilfreich sein können, aber das wäre zu wenig. Lehrpersonen mit Migrationshintergrund unterstützen wie alle Lehrerinnen und Lehrer - die individuelle Entwicklung, das Lernen von Kindern und Jugendlichen. Sie können aber vielleicht verborgene Potenziale sehen, sie können durch ihre Person motivieren. Sie kennen durch ihre eigene Biografie eventuelle Fallstricke in der Entwicklung von Jugendlichen und können, vielleicht eher als andere, wo es um die Funktion von Schule geht, Exklusionsprozesse erkennen. Wir sprechen viel von Inklusion und dabei sind viele Prozesse bei uns in der Schule eher exklusiv als inklusiv. Lehrpersonen mit Migrationshintergrund haben hier einen großen Beitrag zu leisten: Sie wissen, dass Kindern mit Migrationshintergrund oft weniger zugetraut wird, als anderen Kindern. Wenn man das, vielleicht durch das ganz persönliche Erleben, kennt, braucht es, um als Lehrperson handeln zu können, Erkenntnis und Wissen um die Vielfalt von Ursachen, Zusammenhängen und Möglichkeiten, dem etwas entgegenzusetzen. Vielleicht ist es die zentrale Aufgabe von Lehrpersonen mit Migrationshintergrund, den Diskurs, die Reflexion zu interkulturellen Fragestellungen im Kollegium anzuregen, zu unterstützen, mit dazu beizutragen, dass es so etwas wie eine bewusste interkulturelle Teamentwicklung im Bereich der einzelnen Schulen gibt. Das ist vielleicht aber auch die schwerste Aufgabe. 42 Zur Diskussion um die Inhalte, um das, was aus unserer Sicht alle Lehrerinnen und Lehrer wissen und können müssen um die migrationsbedingte Vielfalt in den Klassenzimmern zu nutzen, um alle Schülerinnen und Schüler zu unterstützen und zu begleiten haben wir ein Curriculum zur Diskussion vorgelegt.

43 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Gemeinsame Arbeit am Curriculum : die Autorenwerkstatt Nr. 5 Uwe Böhm Das Curriculum war Gegenstand der Diskussion in einer der fünf Autorenwerkstätten. Ich kam erst gegen Ende des Prozesses dazu und möchte Ihnen meine ganz persönlichen Eindrücke aus der Sicht eines Lehrenden am Seminar und an der Hochschule berichten. An diesen Nachmittag im Dezember 2009 haben wir dem Curriculum den letzen Schliff gegeben. Alle stellten sich zu Beginn vor und nannten ihren Migrationshintergrund. Da merkte ich, dass auch ich einen besonderen kulturellen Background habe: Ich bin Schwabe und der deutschen Hochsprache auch nicht immer ganz mächtig. Auch die Zweitsprache Englisch ist schwierig. Mir wurde bewusst, dass auch die deutsche und die schwäbische Kultur spannungsgeladen sind - ich nenne nur die schwäbische Kehrwoche. Sie spüren, dass wir in Deutschland keine einheitliche kulturelle Prägung haben. Deshalb sind wir im Alltag häufig unbewusst bereit, den anderen als Anderen in seinem Anderssein und seiner Andersheit wahrzunehmen und zu versuchen, ihn auch zu verstehen. In dieser Bereitschaft zur Wert-Schätzung liegt die Chance der Wert-Schöpfung. Das bedeutet, jede und jeder bringt neue Gedanken, Impulse, Perspektiven, Sichtweisen in die Diskussion ein und daraus konnten wir als Autorinnen und Autoren einen Mehrwert schöpfen. Bezogen auf drei Personengruppen möchte ich meinen persönlichen Gewinn verdeutlichen: Erstens bezogen auf die Schüler und Schülerinnen: Fast in jeder Klasse gibt es Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund - ein langes Wort! Die Schweden nennen schwedische Menschen mit Migrationshintergrund übrigens liebevoll Neu-Schweden. Deshalb erlaube ich mir hier, nun von Neu-Deutschen zu sprechen. Denn die Jugendlichen sehen sich selbst oft als deutsche Jugendliche, die in Stuttgart aufgewachsen sind und in Stuttgart zur Schule gehen. Im Curriculum sprechen wir deshalb in der ersten Kompetenz nicht vom Verstehen individueller Migrations-Biografien, sondern vom Verstehen individueller Biografien. Als zweite Gruppe beziehe ich mich auf Lehrpersonen ohne Migrationshintergrund: Aus dem bisher Gesagten folgt für mich, dass gerade sie aufmerksam sein müssen. Zum Beispiel bei der Formulierung von Arbeitsaufträgen, bei der Erstellung von Arbeitsblättern usw. Und die dritte Gruppe sind die Lehrpersonen mit Migrationshintergrund, - wenn Sie so wollen - die neu-deutschen" Lehrerinnen und Lehrer: Sie besitzen ein wesentliches Potenzial, welches noch stärker im Kollegium zur Geltung gebracht werden darf. Das kreative Engagement vieler Neu- Deutschen, zum Beispiel in Kulturszenen, wie Popmusik und Theater, bereichert Stuttgart immens. Die Schule schöpft aus diesem kulturellen Mehrwert leider noch etwas zu wenig. In wirtschaftlichen Bereichen ist diese kulturelle Wertschöpfung viel stärker ausgeprägt. Das heißt also für den Bildungsbereich: die Vielfalt als Potenzial nutzbar machen, nicht nur im Hinblick auf Globalisierung, sondern auch im Hinblick auf die lokale Wirkung an der Schule. 43

44 Impulse Tagungsdokumentation 26./ Die Zusammenarbeit in der Autorenwerkstatt war für mich somit von gegenseitigem Respekt, wechselseitiger Korrektur und Ergänzung geprägt. Im Bild gesprochen: Es war ein mehrstimmiger Gesang mit je eigenen passenden Melodien, die Konsonanz und Dissonanz in der Harmonie zuließen. Ohne Konsonanz und Dissonanz wäre ein Gesang schließlich langweilig. Wir sind gemeinsam der Meinung, dass es in der zukünftigen Lehrerbildung um Wissen und Können in diesen Bereichen interkultureller Begegnung geht, dass Studierende und Referendare - und zwar alle - theoretische Erkenntnisse erhalten und praktische Umsetzung erfahren sollen. In der Lehrerbildung muss Theorie und Praxis enthalten sein und ich denke das gelingt am ehesten in Modulen der Erziehungswissenschaft und in den Fachdidaktiken, damit dann in unseren Schulen interkulturelles Lernen als didaktisches Prinzip flächendeckend berücksichtigt wird. Das entstandene Curriculum und diese Fachtagung ermutigen die Lehrerbildung dazu. Interkulturelle Kompetenz : der Diskurs um die Inhalte Gökcen Tamer-Uzun Lehrpersonen brauchen interkulturelle Kompetenz was damit ganz konkret gemeint ist, war auch unter uns nicht so klar, wie es vielleicht jetzt, wo das Curriculum gedruckt vorliegt, scheinen mag. Zwei Beispiele für strittige Themen: Sprachkenntnisse der Lehrpersonen Eine der Forderungen zu Beginn unserer Diskussion: Alle Lehrer können die wichtigsten Migrantensprachen. Das Problem beginnt schon damit, zu bestimmen, welche Sprachen gemeint sind - bedeutet das: Türkisch können? Was ist mit Griechisch, Italienisch, Kroatisch, Serbisch?! Das zweite Problem: Auf welchem Level sollen Lehrpersonen diese Sprache beherrschen: sollen sie nur einige Signalwörter aus der Sprache, oder müssen auch die Grammatik kennen? Sollen sie Eltern in deren Muttersprache begrüßen oder mit ihnen auch über pädagogische Themen sprechen können? Unser Konsens: wichtig sind Grundkenntnisse über Deutsch als Zweitsprache und Mehrsprachigkeit, damit Lehrer wissen, was es bedeutet, wenn Deutsch die zweite Sprache ist, und sie dieses Wissen in ihrem Unterricht beachten und Mehrsprachigkeit wertschätzen können. Kulturalisierung und kulturelle Hegemonie Schnell einig waren wir uns darin, dass Lehrpersonen kultursensibel auf Schüler mit Migrationshintergrund eingehen sollten. Aber wie? Nur weil Ahmeds Eltern aus Türkei kommen, ist er noch lange kein Vertreter DER Türken. Nur weil Margherita Italienerin ist, kommt sie nicht automatisch aus einer lauten, kinderreichen Familie! Viele Kindern nehmen sich gar nicht als Migranten wahr: sie sind hier in Deutschland geboren, haben einen besonderen Namen, aber schauen genauso wie alle anderen SpongeBob, oder andere Kultsendungen im Fernsehen. Es gibt keinen Unterschied aus Sicht dieser Kinder. Was heißt hier kultursensibel?! Ayse ständig nach ihrer Sicht als Muslima zu fragen? Dimitri beim Schulfest um ein Lied aus seiner Heimat zu bitten? Auf die 44

45 Tagungsdokumentation 26./ Impulse Mutter mit Kopftuch besonders Rücksicht zu nehmen, denn bestimmt wird sie unterdrückt und spricht kaum Deutsch? Oder sollen wir nicht ganz einfach neutral Schule machen? Geht das? Welchen Preis zahlen wir, wenn wir einfach bestimmen: so und nicht anders hat Schule zu sein?! Es gab noch viele andere Themen, über die wir gestritten haben und sicherlich auch weiter nachdenken und streiten werden! Das Curriculum im Kontext praktischer Lehrerbildung Vielfalt bilden! : Ein Seminar für Lehramtsstudierende der Uni Tübingen Philipp Thomas In der Gymnasiallehrerausbildung wird es in Baden-Württemberg ab dem Wintersemester 2010/11 das Modul Personale Kompetenz geben, das einen Ort bietet auch für die Vermittlung interkultureller Kompetenz. Wir wollten noch bevor die neue Prüfungsordnung in Kraft tritt einen ersten Versuch mit einem Pilotprojekt machen. Das Seminar haben wir im Januar und Februar 2010 durchgeführt. Zum rechtlichen Rahmen: Das Modul Personale Kompetenz im Umfang von 6 ECTS muss von allen künftigen Lehramtsstudierenden absolviert werden, inhaltlich gibt es aber verschiedene Möglichkeiten, etwa Stimmbildung, Körpersprache usw. und eine weitere Möglichkeit ist die interkulturelle Kompetenz. An der Uni Tübingen werden wir dauerhaft ein Angebot zur interkulturellen Kompetenz etablieren, das von Interessierten gewählt werden kann. Gestern wurde davon gesprochen, dass die interkulturelle Kompetenz im Lehramtsstudium eine Querschnittsaufgabe ist und unser langfristiges Ziel ist, über Beispiele wie unser Seminar die Fächer anzusprechen und das Thema auch stärker in den Curricula der Fächer zu verwurzeln. Eine weitere Bedingung: Wir haben für unser Angebot keine zusätzlichen Mittel. Deswegen ist unsere Idee auch, unsere Materialien zur Verfügung zu stellen und diese gemeinsam mit anderen Universitäten weiterzuentwickeln. Unser Seminarkonzept sieht zwei Tage vor: Der erste Tag fokussiert eher den Wissensaspekt, der zweite eher den Empathieaspekt beides gehört zu interkultureller Kompetenz. Angefangen haben wir mit rechtlichen Grundlagen. Hier kam uns das Abschlusspapier der Deutsche Islamkonferenz vom Juni 2009 zugute, das viele typische Schulsituationen aufgreift, z.b. Schwimmunterricht, Klassenfahrt, Kopftuch u.a. und dazu einerseits rechtliche Bestimmungen aufgearbeitet hat, dann aber auch pädagogische Empfehlungen zur praktischen Umsetzungen enthält. Die Migrationsgeschichte war ein zweiter Schwerpunkt des ersten Tages, weil wir die Reflexion darüber anregen wollen, dass der Zustand heute die Folge einer mangelhaften Integrationspolitik ist. Ein weiterer Wissensaspekt betrifft die Milieuforschung: Die Sinus Studie zu den Migrantenmilieus zeigt, dass einerseits Migrant nicht gleich Migrant ist (es gibt sehr verschiedene Milieus) und andererseits stellt sich uns die Frage, warum es der deutschen Gesellschaft nicht gelungen ist, Migranten an allen gesellschaftlichen Bereiche teilhaben zu lassen? Am zweiten Tag stand im Mittelpunkt, was ich oben als Empathieaspekte bezeichnet habe: wir haben z.b. versucht, ein Gefühl dafür zu wecken, wie es ist, vormittags in der deutschen Schulwelt und nachmittags wieder in einer migrantischen anderen Welt zu sein. Ganz wichtig für unser Konzept war, dass wir Experten eingeladen haben: Am ersten Tag Hakan Turan, Gymnasiallehrer türkischer Herkunft, der uns in der Arbeit mit dem Arbeitspapier der Deutschen Islamkonferenz unterstützt hat und gleichzeitig seine Erfahrung sowohl als Schüler, als auch jetzt als Lehrkraft einbrachte. Eine Studentin mit Migrationshintergrund berichtete davon, welche spezifischen Verletzungen sie als Migrantenkind erlebt hat, was man als Lehrkraft vermeiden sollte und was ihr persönlich geholfen hat. Und eine Gymnasiallehrerin berichtete davon, wie schon deutsche Achtklässler sehr problematische Klischees in ihren Auf- 45

46 Impulse Tagungsdokumentation 26./ sätzen über Ausländer verbreiten und wie man damit umgehen kann. Die Experten standen ausführlich für Fragen zur Verfügung. Zum Schluss möchte ich noch auf die Frage eingehen: Ist es überhaupt legitim, mit Problemen anzufangen? Nur ein ganz kleiner Teil der muslimisch gläubigen Mädchen will sich vom Schwimmunterricht abmelden - ist es legitim, trotzdem mit diesem Beispiel ein Seminar zu Vielfalt und Interkulturalität zu beginnen? Dazu gibt es zwei Meinungen: Entweder man sagt Nein, das ist nicht legitim, weil dadurch eine statistische Normalität suggeriert wird, die dann ihrerseits wieder diskriminierend ist. Man könnte es aber auch andersherum sagen: Wir haben im Vortrag von Frau Rangosch-Schneck gestern gehört, dass in einer Befragung von Referendaren zur kulturellen Heterogenität in der Schule 104 Äußerungen zu Problemen, Konflikten, Schwierigkeiten lediglich 5 Aussagen zu Chancen, Gewinn oder Potenzialen gegenüberstehen. Ängste stehen also im Vordergrund und das bedeutet für uns, dass es wichtig ist, die Lehramtsstudierenden dort abzuholen, wo sie sind. Wir haben uns daher für die letztere Variante entschieden. Dazu stehe ich, es ist aber wichtig, dass wir diesen Punkt dann in einer dialektischen Entwicklung weiterverfolgen: Nach den ersten eineinhalb Stunden waren ganz viele dieser angstbesetzten Fragen besprochen (Schwimmunterricht, Klassenfahrt, Sexualkunde usw.). Man hat gesehen, es gibt rechtliche Grundlagen, es gibt pädagogische Empfehlungen, es gibt Support, wir sind nicht die ersten, die mit diesen Fragen konfrontiert sind, und das heißt: sie sind irgendwie auch zu bewältigen. Und an dieser Stelle ist das Seminar nicht vorbei, sondern im Gegenteil, es fängt grade an! Denn jetzt kann man sagen: Diese Probleme lösen zu können ist vielleicht ein Aspekt der kulturellen Kompetenz, aber das ist sie nicht allein! Hinzu kommt eben die Fähigkeit der Empathie, die Einsicht in eigene Vorurteile und Ängste und das Interesse, Vielfalt zu bilden in den beiden Bedeutungen der Formulierung. Wir führen unser Angebot im Sommersemester leicht verändert erneut durch und werden weitere Erfahrungen sammeln. Ein Ausblick: aus dem Grußwort des Staatlichen Schulamts Stuttgart 46

47 Tagungsdokumentation 26./ Beispielsammlung Schule gestalten: Vielfalt nutzen! Beispielsammlung zur schulpraktischen Bedeutung der spezifischen Ressourcen von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund Präsentation der Beispielsammlung Martha Aykut (stv. Leitung Stabsabteilung Integrationspolitik) Elisabeth Rangosch-Schneck (Projektkoordination) Meine Damen und Herren, liebe Gäste, es freut uns sehr, dass wir Ihnen nun ein paar Sätze zu unserem Projekt Migranten machen Schule erzählen dürfen und Ihnen dann unser neuestes Produkt, die Beispielsammlung, vorstellen können. Mit Migranten machen Schule begannen wir in Stuttgart im Jahr Die Ursprungsidee war, an Schulen zu gehen und vor allem bei Schülerinnen und Schülern aus Migrantenfamilien Werbung für den Lehrerberuf zu machen. Den meisten von Ihnen ist sicherlich unsere kleine Portraitbroschüre mit Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund bekannt, mit der unser Projekt anfing. Uns wurde schnell klar, dass es nicht reicht, lediglich mehr Lehrerinnen oder Lehrer mit Migrationshintergrund an unseren Schulen zu haben. Es ist auch wichtig, deren spezifische Ressourcen zu erkennen und als zusätzliche Qualifikation anzuerkennen. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Wir müssen interkulturelle Perspektiven in den Lehrplänen und in der Lehrerbildung stärker verankern und wir wollen mit unserem Projekt Anstöße geben, um die Erfahrungen von Lehrkräften mit Migrationshintergrund hierfür zu nutzen. Mehrfach erwähnt wurde bei der Konferenz bereits unser Kooperationsnetzwerk. Die Stadt Stuttgart ist zwar der Motor, der Initiator, aber wir arbeiten im Projekt mit vielen zusammen: 47

48 Beispielsammlung Tagungsdokumentation 26./ Sie können in einem Portfolio unsere bisherigen Aktivitäten im Rahmen von Migranten machen Schule nachlesen - als Broschüre ist das Portfolio leider vergriffen, aber im Internet ist es eingestellt unter Die Beispielsammlung Projektlaufzeit 7 Monate Gefördert vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Erweiterbarer Ordner mit Anregungen für Unterricht und Lehrerbildung Das neueste Produkt, die Beispielsammlung, ist entstanden im Rahmen eines siebenmonatigen Projekts. Wir hatten im August 2009 einen Antrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt, dann sehr schnell den Zuschlag bekommen. Für die Erstellung der Beiträge waren nur wenige Monate Zeit. Es ist daher wirklich eine große Leistung im Wesentlichen von Frau Rangosch-Schneck und den Autorinnen und Autoren - dass hier in so kurzer Zeit diese Beispielsammlung erarbeitet wurde. Es ist ein toller Ordner entstanden mit Anregungen für den Unterricht und für die Lehrerbildung. Beispielhaft für die vielen Beiträge hier ein kleiner Ausschnitt verfasst von einer Lehrerin türkischer Herkunft, die an einem Gymnasium unterrichtet. Sie schreibt: Eine Idee, die ich umsetzte ist so banal und dennoch von großer Bewirkung. Im Fach Naturphänomene habe ich die Thematik Lupe und Mikroskop behandelt. In einem Fachbuch fand ich einen schönen Vorschlag für die Umsetzung in der Praxis, eine Kriminalgeschichte. Ich habe diese verändert, aus dem deutschen Kriminalhauptkommissar wurde ein türkischer Kriminalhauptkommissar, Herr Esiktas. Es hätte auch beispielhaft jede andere Nationalität genommen werden können, aber diese kleine Veränderung brachte große Wirkung. Die Reaktion der Schülerinnen und Schüler mit oder ohne Migrationshintergrund waren herrlich. Einige fragten ganz spontan, ob ich den Herr Esiktas kennen würde, ob es den wirklich gebe. Sie wollten alles über ihn erfahren.. (siehe Beispielsammlung Kapital 1.5) Ich finde dies ist ein sehr schönes Beispiel. Weitere Anregungen, darunter auch ausführliche Unterrichtsentwürfe, können Sie selbst nachlesen. 48

49 Tagungsdokumentation 26./ Beispielsammlung Die Autorinnen und Autoren Insgesamt sind es 31 Autorinnen und Autoren, die 39 Artikel geschrieben haben und deren Herkunft sehr vielfältig ist: von Albanien über Benin bis hin zu Weißrussland. Auch der berufliche Hintergrund ist breit gefächert: Studierende, Lehrerinnen und Lehrer im Referendariat oder bereits im Schuldienst tätige, Schulleitungen, Lehrbeauftragte an Hochschulen, Bereichsleiter und Leiter von staatlichen Seminaren. Auch die Schularten sind unterschiedlich, ebenso die Fächer, die sie unterrichteten. Herkunft Albanien, Benin, Deutschland, Ecuador, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Nigeria, Polen, Rumänien, Türkei, Ungarn, Japan, Weißrussland Beruflicher Hintergrund Studierende, Lehrer/innen, Schulleitungen, Lehrbeauftragte an Hochschulen, Leiter/ Bereichsleiter/innen an Staatlichen Seminaren der Lehrerbildung Schularten Grund- und Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Sonderschule Fächer Biologie, Chemie, Deutsch, Englisch, Ethik, Französisch, Geschichte, Kunst, Mathematik, Physik, Philosophie, Religion Die Autorenwerkstätten Wie kamen nun die Beiträge ganz konkret zustande? Frau Rangosch-Schneck hatte eine super Idee: Sie lud in Kooperation mit den Seminaren für Didaktik und Lehrerbildung zu fünf Autorenwerkstätten mit folgenden Themen nach Stuttgart ein: Ä Ä Ä Ä Ä Konzepte zur interkulturellen Kompetenz in der Lehrerbildung Migrationsspezifische Ressourcen wahrnehmen und dokumentieren (z.b. Portfolio) Interkulturelle Perspektiven auf die Unterrichtsfächer Migranteneltern / Erziehungsvorstellungen Curriculum für die Lehrerbildung Alles weitere hierzu erfahren Sie nun von Frau Rangosch-Schneck selbst. 49

50 Beispielsammlung Tagungsdokumentation 26./ Diskussionen in den Autorenwerkstätten Zur Arbeit in den Autorenwerkstätten eine kurze inhaltliche Anmerkung: Mit den Ausbildenden an den Staatlichen Seminaren waren auch Lehrpersonen ohne Migrationshintergrund einbezogen ein Gewinn für die Beispielsammlung. Die Autorenwerkstätten hatte ganz unterschiedliche Personen in einen Diskussionsprozess gebracht, der mich persönlich sehr beeindruckt und mir gezeigt hat, das ist der richtige Weg: miteinander zu reden, überhaupt erst mal ins Gespräch zu kommen! Wir hatten z.b. heftige Diskussionen über Kulturalisierung : Sollen wir jetzt auf Migrantenkinder besonders eingehen? Wollen die denn das überhaupt? Das Besondere, denke ich, war, dass nicht über Migranten geredet wurde oder dass vielleicht einer zufällig dabei saß, sondern dass die Verhältnisse einmal umgekehrt waren und für alle Anwesenden unhintergehbar erkennbar war: Diese Lehrpersonen mit Migrationshintergrund bringen Kompetenzen mit und mancher hat vielleicht still für sich gedacht: Das hätte ich so gar nicht erwartet... Kontext der Beispielsammlung : Professionelle Lehrerarbeit Diese gemeinsame Arbeit von Lehrpersonen mit und ohne Migrationshintergrund schärfte vielleicht auch den Blick für die Frage nach dem Kontext: Wir haben gedanklich einige Schleifen gemacht um letztendlich die Beispielsammlung in den Kontext der Lehrerprofessionalität zu stellen. Nicht in irgendeine interkulturelle Nische, nicht als etwas für Leute, die sich eben mit diesen Themen befassen, sondern einfach in die Mitte der Schule, als ein Element von Schulqualität. Deshalb ist der Bezugspunkt der Beispielsammlung die Vereinbarung der Kultusministerkonferenz und der Lehrerverbände zu den Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer aus dem Jahr Und mit diesem Ausgangspunkt war einerseits eine Gliederung vorgegeben, andererseits aber auch ein Maßstab: wir können festzustellen, zu welchen Aspekten Beiträge, Impulse vorliegen, oder Beiträge fehlen, und vielleicht müssen wir gerade diese Leerstellen überhaupt erst wahrnehmen. Die Beispielsammlung ist also bewusst als erweiterungsbedürftig ausgewiesen! Ein zweiter Aspekt war, und das wurde auch unter den Autorinnen und Autoren mit Migrationshintergrund heiß diskutiert: Was tragen wir denn jetzt eigentlich Besonderes bei? In der Autorenwerkstatt zu den Fächern war ganz konkret die Frage: Was machen wir denn jetzt anders? Erdkunde, ja doch schon, vielleicht, aber machen wir Mathe anders? Nein? Oder doch? Und Bio? Und irgendwann meinte Nermin Erdogan: Ja, ich hab jetzt ein bisschen nachgedacht und präsentierte eine Idee nach der anderen dazu, wie man interkulturelle Perspektiven in Biologie und Sport einbringen könnte! Ich denke, das geht Vielen so, denn allein durch das Fragen kommt ein Nachdenken in Gang über eine andere, zweite Perspektive. Und wenn man 50

51 Tagungsdokumentation 26./ Beispielsammlung diese migrationsspezifische Perspektive zulässt, merkt man plötzlich auch, wie man in Bio interkulturelle Ansätze nützen kann. Worin bestehen die migrationsspezifischen Ressourcen? In meinem einleitenden Beitrag zur Beispielsammlung habe ich mir diese Frage auch gestellt: Aus der Analyse der Beiträge, so wie sie jetzt in der Beispielsammlung abgedruckt sind, entstand eine erste, vorläufige Antwort: 1. Ergänzung von Perspektiven Das bedeutet zum einen: Viele Lehrpersonen mit Migrationshintergrund haben selbst hier in Deutschland die Schule besucht und wissen aus einer Innensicht, was es bedeuten kann, als Migrantenkind in der Schule zu sein, mit Vor- und Nachteilen, mit Diskriminierungs- und mit Förderungserfahrung. Zum anderen bedeutetet es einen geschärfter Blick auch auf interkulturelle Aspekte in den Bildungsplänen, darauf, wie Mehrsprachigkeit genutzt werden kann, wie ganz einfach kreative Impulse aus dem anderen Alltag eingebracht werden können. In den biografischen Interviews im Vorfeld der Porträt-Broschüre von Migranten machen Schule! sagte mir im Interview eine der Lehrpersonen: Wissen Sie, es ist halt manchmal einfach lustiger bei uns Migranten. Auch eine andere Art zu kommunizieren, Menschen zu begegnen, kann eine Ressource sein in seinem Beitrag in der Beispielsammlung beschreibt Vittorio Lazaridis die Veränderungen der Kommunikationskultur mit den Worten eines Kollegen, der nach einiger Zeit mit Blick auf die vielen Eltern, die plötzlich in die Schule kamen, meinte: Da geht s ja zu wie auf einer Piazza in Italien! Also, es wird etwas anders 2. Biografische Krisen- und Konflikterfahrung Sie kann Ausgangspunkt für ein empathisches Nachempfinden sein, sie kann aber auch bedeuten, dass ich glaubwürdiger und lebenspraktischer von Migranten Handeln einfordern kann. 3. Wissen und Kenntnisse: Zum Wissen gehört all das, was man in seinem Migrantenalltag anderes erlebt, das kann anderes Essen sein, das können andere Regeln und Wertesysteme sein, das kann, und das ist mir sehr wichtig, darin bestehen, dass ich ganz genau um die Differenz von Theorie und Praxis weiß. Es gibt das Bild: Türken sind Moslems und die Moslems, die sind alle SO. Und dann lesen Nicht- Muslime den Koran und leiten daraus ab, welche Sichtweisen und Regeln wohl für die Eltern der fünf türkischen Schüler in der 4 B gelten. Wer selbst muslimischen Glaubens ist, wird differenzierter mit diesem Wissen umgehen, er wird um diese Differenz zur Praxis wissen. Und so ist es, denke ich, auch für diejenigen unter uns, die z.b. Christen sind: wir feiern Ostern, aber wie unterschiedlich wird Ostern gefeiert? Bei den einen kommt nur der Hase, andere besuchen in den Wochen zuvor Passionskonzerte und fasten vielleicht... Und Wissen bedeutet unmittelbare Sprachkenntnisse, das Wissen um das Aufwachsen im mehrsprachigen Alltag. 51

52 Beispielsammlung Tagungsdokumentation 26./ Können Zum Können gehört der praktische Umgang mit Mehrsprachigkeit, dazu gehört aber auch ein über die Sprache hinausgehendes erweitertes Repertoire in der Kommunikation die Praxis der Piazza! Es geht darum, möglicherweise einen anderen Zugang zu Migrantenorganisationen, zu Moscheevereinen, Kulturvereinen zu haben, einfach weil dies Teil des eigenen Alltags ist und diese Kontakte für die Schule zu nutzen. 5. Die symbolische Rolle Als ein Letztes: es geht um eine symbolische Rolle, diese Formulierung stammt aus einem der Beiträge und hat mir sehr gut gefallen, denn sie greift den Aspekt der Vorbildfunktion auf, ohne sie mit voller Wucht einzufordern: ich spiele symbolisch eine Rolle, indem man mich ganz einfach wahrnimmt, mit diesen Wurzeln Und jetzt kommt die Ernüchterung: das alles ist nur eine Möglichkeit! Nicht jede Migrantin, jeder Migrant hat die gleichen Erfahrungen und nicht jede/r möchte als Migrant wahrgenommen werden. Es sind potenzielle Ressourcen. Was gehört dazu, um sie für die Schule nutzbar zu machen? Es gehört dazu, sie erst einmal wahrzunehmen! Mit der Beispielsammlung versuchen wir dazu einen Beitrag zu leisten, es muss aber in jeder Klasse stattfinden, es muss an der Hochschule stattfinden und in den Seminaren. Und ich muss diese - möglicherweise vorhandenen - Ressourcen nachfragen, weil bestimmte Erfahrungen veranlassen Personen zu sagen: Hoffentlich merkt es keiner, dass ich Migrationshintergrund habe! Und migrationsspezifische Ressourcen, die ja Alltagserfahrungen entspringen, müssen um im Kontext professioneller Lehrerarbeit wirksam werden zu können reflektiert, erweitert, diskutiert, kurz: professionalisiert werden. Es reicht nicht, dass ich aus meinem Alltag erzähle, sondern ich muss meine Kompetenzen in den Diskurs des Berufsstandes einbringen. Die Professionalisierung migrationsspezifischer Ressourcen kann nur funktionieren, wenn es einen gemeinsamen Arbeits- und Lernprozess der Lehrpersonen gibt. Das sind in diesem Fall modellhaft Sie als Teilnehmende dieser Fachtagung: Sie gestalten das Laboratorium, in dem hier Lehrpersonen mit und ohne Migrationshintergrund daran tüfteln. Die Beispielsammlung ist für diesen gemeinsamen Arbeits- und Lernprozess, auch bewusst Lernprozess, ein sehr guter Impuls und ich wünsche mir, dass sie ein Ausgangspunkt für diese Prozesse wird. 52

53 Tagungsdokumentation 26./ Aus den Diskussionsrunden Aus allen zwölf Diskussionsrunden kamen kurz gefasste (An-)Sätze, die einen Einblick in die Inhalte und die exemplarische Ergebnisse geben. Zwölf Diskussionsrunden bedeutet Vielfalt: Einige der Runden waren klein, ermöglichten den intensiven Diskurs, andere waren sehr groß, boten Gelegenheit sehr viele Perspektiven kennenzulernen. Und nicht zuletzt trugen die interkulturelle und professionsübergreifende Zusammensetzung der Runden, aber auch der Moderatorenteams, zur Perspektivenvielfalt bei. 1. Zentrale Fragestellung: Was versteht man unter Fachdidaktik mit Migrationshintergrund? 2. Das wichtigste Ziel: Wie nutze ich Ressourcen, damit auf diesem Weg auch andere Arbeitsweisen Eingang in die Schule finden? 3. Das Haupthindernis: Finanzielle Gründe, fehlende Bereitschaft und Föderalismus 4. Der nächste Schritt Schulalltag und Lehrerarbeit 1. Fachdidaktik mit Migrationshintergrund? Interkulturelle Perspektiven im Unterricht Helga Widmann (Bereichsleiterin Deutsch/ Interkulturelle Kompetenz SSDL (RS) Reutlingen) Karolina Maron (RS Lehreranwärterin Rilke-Realschule, Stuttgart; SSDL Ludwigsburg; Fächer Deutsch, Englisch, Kath. Religion) Vielfalt im Klassenzimmer bedeutet auch eine Vielfalt an Lernvoraussetzungen an Zugängen zu den Fächern, Unterrichtsstoffen und Themen. Was ist anders, könnte anders sein, wenn nicht nur in Deutsch die damit verbundenen neuen Perspektiven bewusst in die Unterrichtsgestaltung einbezogen werden? Unwissenheit in Wissen verwandeln, die Schulleitungen sensibilisieren, empirische Basis in der Lehrerbildung erweitern 2. Toleranz, Folklore, Neutralität : Was tun mit den Wertewelten im Klassenzimmer? Gökcen Tamer-Uzun (Lehrbeauftragte Islam. Religionspädagogik PH-Ludwigsburg, GHS-Lehrerin) Arata Takeda (Wissenschaftl. Mitarbeiter am Deutschen Seminar Universität Tübingen) Vielfalt als solche belassen (vielleicht sogar betonen?) oder minimalen Konsens erzielen? Verständnis und Akzeptanz/Toleranz für das Andere in jedem Fall? Verständigung untereinander, gegenseitiger Respekt und was wenn restriktive Wertevorstellungen uns gegenüberstehen? 1. Zentrale Fragestellung: Wie unterstützen wir SchülerInnen bei Ihren Wertekonflikten? 2. Das wichtigste Ziel: Erziehung zur Anerkennung im Dialog 3. Das Haupthindernis: Selbstbestimmung der SchülerInnen wird von Dritten abgenommen 4. Der nächste Schritt Ein Gesprächsangebot mit Rücksicht auf Sprachfähigkeit und Machtverhältnisse 53

54 Positionen Diskussionen Ansätze Tagungsdokumentation 26./ und die Potenziale?! zu blinden Flecken in der Sicht auf Schüler/innen mit Migrationshintergrund Karl Anton Schuster (Seminarschuldirektor SSDL (RS) Ludwigsburg, Fach Pädagogik, Schulfächer Deutsch u. Geschichte) Olivia Kobiela (Lehramtsstudentin (Gymnasium) Universität Tübingen, Fächer Deutsch, Philosophie, Geschichte) Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind im Gymnasium, zum Teil auch in der Realschule, unterrepräsentiert. Kulturelle und milieubedingte Klischees versperren den Blick auf die Schülerin oder den Schüler mit Migrationshintergrund. Dies wirkt sich auch in der Bewertung der Schulleistung aus. Unsere Fachdidaktiken gehen immer noch von den einsprachig aufgewachsenen deutschen Schülerinnen und Schülern aus. Migrantensprachen haben ein geringes Prestige. Das verzögerte Lernen einer Zweitsprache ist häufig ein Handikap. Die Schule wird ihrer Integrationsaufgabe nur gerecht, wenn sie mit interkultureller Bildung und Erziehung" alle Schülerinnen und Schüler in den Blick nimmt. 1. Zentrale Fragestellung: Sicht auf die SchülerInnen! 2. Das wichtigste Ziel: Menschen als Individuen wahrnehmen. 3. Das Haupthindernis: Wie schaffen wir es Lehrer dafür zu sensibilisieren, vorurteilsfrei auf SchülerInnen zuzugehen? 4. Der nächste Schritt Vermittlung interkulturellen Wissens; d.h. Hintergrundwissen zu Wertesystemen und Förderung der Reflexionsfähigkeit der Lehrkräfte bezüglich der eigenen (kulturellen) Wertevorstellungen. 4. Die kommen eh nicht Migranten-Eltern als Bildungs- und Erziehungspartner Martha Aykut (stv. Leiterin der Stabsabteilung Integrationspolitik Landeshauptstadt Stuttgart) Anila Kretz (GHS Lehreranwärterin an der Ostheimer Schule, Stuttgart; SSDL Sindelfingen) Was läuft falsch, wenn sich Eltern mit Migrationshintergrund kaum an der Schule beteiligen? Steht dahinter mangelndes Interesse? Sind es fehlende Sprachkenntnisse? Wie können wir Eltern als Partner für eine erfolgreiche Schulzeit der Kinder zu gewinnen? 1. Zentrale Fragestellung Wie können wir die Eltern besser motivieren, einbinden und aktivieren? 2. Das wichtigste Ziel: Eltern als gleichberechtigte Bildungs- und Erziehungspartner gewinnen durch gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz. 3. Das Haupthindernis: Die soziale Sprachlosigkeit erzeugt durch fehlende Empathie, Vertrauen, Sprachbarrieren und Machtasymetrien 4. Der nächste Schritt Kooperationen mit Kulturvermittlern schaffen und individuelle, nicht-konfliktbeladene Ansprache der Eltern 54

55 Tagungsdokumentation 26./ Positionen Diskussionen Ansätze 5. Wir und die Fremden? - Interkulturelle Perspektiven in Unterrichtsmaterialien und medien Nermin Erdogan (StR in am Schickhardt Gymnasium Stuttgart, Fächer Sport, Biologie, Naturphänomene) Nadjib Irewole Sadikou (Germanistik u. Islamwissenschaft (MA), Lehrbeauftragter am Institut Erziehungswissenschaften u. am Deutschen Seminar Universität Tübingen) Unterrichtsmaterialien und -medien sind für Schüler/innen Quellen der Begegnung von Eigenem und Fremdem. In der Diskussionsrunde wollen wir darüber sprechen, wie Fremdheit bzw. Interkulturalität in Unterrichtsmaterialien und -medien dargestellt und stereotypische Darstellungen vermieden werden können. Wie könnte ein inhaltlicher Perspektivenwechsel aussehen? Und wo müsste die Sprache der Unterrichtsmedien die Besonderheiten von Mehrsprachigkeit berücksichtigen? 1. Zentrale Fragestellung: Wie können wir die Ressourcen des Migrationshintergrunds nutzen, insbesondere Literalität und Mehrsprachigkeit, um Materialien und Inhalte zu entwickeln 2. Das wichtigste Ziel: Sensibilisierung für das Thema durch Änderung der Haltung der Lehrpersonen, durch Einbeziehung der Schüler und durch veränderte Materialien. 3. Das Haupthindernis: Fehlendes Gefühl für die Relevanz des Themas (z.b. durch Wissensdefizite). 4. Der nächste Schritt Mehrsprachigkeit und interkulturelle Basiskompetenzen als Bestandteil der Lehrerbildung. 6. Migrationsbedingte Heterogenität: ein Blick in schulrechtliche Regelungen Dr. Wolfgang Bosse (MR a.d. Wissenschaftsministerium BW, Lehrbeauftragter für Schulrecht an der Universität Tübingen, SSDL Gymnasien Tübingen und Berufl. Schulen Stuttgart) Hakan Turan (StR am Fanny-Leicht-Gymnasium, Stuttgart; Fächer Physik, Mathematik, Ethik) Die Diskussionsrunde thematisiert Fragen wie: Ä Gibt es rechtlich verbindliche Rahmenbedingungen für Toleranz, für Gleichheit und Bildungsgerechtigkeit? Ä Wie steht es mit der religiösen Gleichberechtigung in der Schule? Ä Haben Eltern rechtliche Pflichten zur Mitwirkung? Wie können sie motiviert werden, die Erziehungs- und Bildungsarbeit als gemeinsame Aufgabe von Schule und Eltern zu verstehen? Ä Wie sieht die Rechtspraxis im Schulalltag aus? Ä Welches Wissen über Recht brauchen Lehrpersonen, um die ethischen/ rechtlichen Gebote von Toleranz, Menschenwürde und Gerechtigkeit in der Praxis besser umsetzen zu können? Ä Wie kann die Schulverwaltung ihre Hilfestellung ausbauen? 1. Zentrale Fragestellung: Interkulturelle Kompetenz setzt verfassungsrechtliche, ethische, gesellschaftliche Rahmenbedingungen voraus. 2. Das wichtigste Ziel: Interesse für diese Fragestellungen im Lehramt in allen drei Ausbildungsphasen vertiefen und vermitteln, um das Bewusstsein zu schärfen, damit auf dieser Grundlage in Konfliktfällen pädagogisch überzeugende Lösungen entstehen können: Einsatz von Kulturvermittlern ggf. mit authentischen Kenntnissen 3. Das Haupthindernis: Unterschätzung der Dringlichkeit der rechtlich ethischen Grundlagenkenntnisse und mangelnde Sachkenntnis darüber. 4. Der nächste Schritt Konkrete Einforderung, diese Inhalte in allen drei Ausbildungsphasen einzubringen, insbesondere konkrete Ausbildungsmodule mit Pflichtcharakter und Forderung, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. 55

56 Positionen Diskussionen Ansätze Tagungsdokumentation 26./ Reflexion von Leistungsbewertungen Christina Prätsch-Koppenhöfer (Bereichsleiterin Pädagogik u. Päd. Psychologie SSDL (GY) Stuttgart) Canan Günec (Lehramtsstudentin (Sonderschule) PH Ludwigsburg; Fächer Deutsch, Englisch, Sprachbehindertenpädagogik und Pädagogik der Lernförderung) Es geht um das generelle Problem der Leistungsbewertung, vor allem bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Sollen oder müssen solche Schülerinnen und Schüler anders bewertet werden? Wie sieht der Bewertungsmaßstab im aktuellen Bildungssystem aus und was müssen wir daran ändern, um Chancengleichheit und Gleichberechtigung für alle Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten? 1. Zentrale Fragestellung: Wie kann man damit umgehen, dass unser gegenwärtiges Leistungsbewertungssystem dem Anspruch, Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zu fördern nicht gerecht wird? 2. Das wichtigste Ziel: Eine solche Tagung muss ein Signal setzen, das zu Strukturveränderungen führt. 3. Das Haupthindernis: Die zu früh selektierende, starre Struktur unseres Schulsystems und das Bewusstsein vieler Lehrkräfte, die in Stereotypen denken. 4. Der nächste Schritt Den Leistungsbegriff überdenken auf langfristige Ziele hin, alternative Messinstrumente und Beurteilungskriterien für kognitive Leistungen und Kompetenz 8. Vielfalt im Lehrerzimmer: Aspekte interkultureller Teamentwicklung Vittorio Lazaridis (Schulleiter Berger Schule, Stuttgart) Edwin Bartels (Schulleiter Schickhardt Gymnasium, Stuttgart) Zunehmend unterrichten an unseren Schulen Lehrpersonen mit Migrationshintergrund - zumindest als Referendarinnen oder Lehramtsanwärter... Was kann für Ihren gelingenden Berufseinstieg getan werden? Wie können migrationsspezifische Ressourcen im Schulalltag zur Geltung gebracht werden? Wie verlaufen Prozesse "interkultureller Teamentwicklung" im Kollegium? Wo gibt es Vorbehalte, Irritationen über die "neue Vielfalt - auch im Lehrerzimmer"? Wie kann ein Kollegium die "neue Vielfalt" nutzen? Wo gibt es gute Erfahrungen? 1. Zentrale Fragestellung: Wie kann für diese Vielfalt sensibilisiert werden? 2. Das wichtigste Ziel: Die Potenziale von Lehrern mit Migrationshintergrund zu definieren und als Chance zu erkennen. Die vorhandenen interkulturellen, sprachlichen Potenziale zu erkennen, einzusetzen und auszubauen. Für eine offene Gesprächskultur zu sorgen. 3. Das Haupthindernis: Migration wird als Problem wahrgenommen. Es ist in der Schule noch nicht zum Thema geworden. 4. Der nächste Schritt Einer von vielen Schritten wäre die noch größere Integration des Themas als Querschnittsaufgabe in der Ausund Fortbildung. 56

57 Tagungsdokumentation 26./ Positionen Diskussionen Ansätze Wissen Können - Lernen: Lehrerbildung im interkulturellen Kontext 9. DaZ für alle?! - Sprachförderung als Querschnittsaufgabe und Qualifizierungsbedarf Erhard Hönes (Schulleiter Porsche Gymnasium Stuttgart; Fächer Deutsch, Evangel. Religion, Philosophie; GF Direktor Gymnasien Stuttgart) Karolina Maron (LA Rilke-Realschule, Stuttgart; SSDL Ludwigsburg; Fächer Deutsch, Englisch, Kath. Religion) Zentrale Frage ist: Wer braucht Deutsch als Zweitsprache (DaZ)? Welche Konsequenzen hat dies für den Bildungsbereich, für die Schule, für die Lehrerbildung? Was ist konkret zu tun? 1. Zentrale Fragestellung: Wie kann Sprachförderung als durchgehendes Unterrichtsprinzip durchgesetzt werden, wie können Schüler in ihrer sprachlichen Entwicklung optimal unterstützt werden? 2. Das wichtigste Ziel: Kinder dazu motivieren und fördern, sich deutschsprachlich auszudrücken, zu denken und zu handeln (und zu verbessern). Dazu: Lehrkräfte für die Zweitsprache, Fehlertoleranz und Interkulturalität sensibilisieren. 3. Das Haupthindernis: Das fehlende Bewusstsein sowie die fehlenden zeitlichen, finanziellen und materiellen Ressourcen (auch in der Aus- und Weiterbildung). 4. Der nächste Schritt Wir brauchen Integration der muttersprachlichen Lehrer, Fortbildungsangebote und Materialien mit Praxisbezug. 10. Zwischen Theorie und Training : Interkulturelle Qualifizierung in der Lehrerbildung Ä Ä Ä Eva Woelki (Bereichsleiterin für Mathematik, Qualifizierung und Fortbildung SSDL Offenburg, Nationale Koordinatorin Comenius-Projekt-TICKLE, Systemische Beraterin, Fortbildnerin) Olivia Kobiela (Lehramtsstudentin (Gymnasium) Universität Tübingen, Fächer Deutsch, Philosophie, Geschichte) Gibt es so etwas wie einen Leitfaden wie ich mit Türken umgehe? Ich möchte gerne mehr wissen über die Lebensverhältnisse von Menschen mit Migrationshintergrund, über die Vielfalt von Religionen und Kulturen. Deutsch als Zweitsprache müsste an der PH Pflicht sein. (Referendar/innen zu Beginn der Ausbildung) Interkulturelle Qualifizierung in der Lehrerbildung: Was müssen Lehrkräfte wissen, können, welche Einstellung sind notwendig, um in interkulturellen schulischen Kontexten wirksam zu sein? 1. Zentrale Fragestellung: Wie kann die Verbindung von Theorie und Praxis interkultureller Kompetenzen auf allen Ebenen strukturell umgesetzt werden (Basiswissen/ Fachdidaktik)? Wie wollen wir mit Interkulturalität im Rahmen von Heterogenität umgehen? 2. Das wichtigste Ziel: Jeden Lehramtsstudierenden mit ik in Kontakt bringen + qualifizieren - Basismodul verankern (analog zu EPG + MPK?) - Fachspezifische Angebote entwickeln 3. Das Haupthindernis: Fehlendes Bewusstsein für die Relevanz, fehlende rechtliche Verankerung, individuelle Unsicherheit, zeitliche Überforderung. 4. Der nächste Schritt Verpflichtung zum Erlernen interkultureller Kompetenzen in der Lehrerbildung Pflichtmodul, evtl. separieren von allgemeinen personalen Kompetenzen Netzwerke schaffen/ ExpertInnen von außen holen. 57

58 Positionen Diskussionen Ansätze Tagungsdokumentation 26./ Migrationserfahrung als Kompetenz : Portfolio in der Lehrerbildung Friederike Kämpf-Kick (Seminarschuldirektorin SSDL (GHWRS) Nürtingen) Vittorio Lazaridis (Schulleiter Berger Schule, Stuttgart) Zunehmend wenden Schulleitungen zur Besetzung freier Stellen die Möglichkeit der schulscharfen Ausschreibung an, in deren Rahmen auch migrationsbedingt besondere Qualifikationen der Bewerber/innen berücksichtigt werden können. In der Diskussionsrunde geht es darum, Migration(serfahrungen) als Kompetenzfeld für den Beruf einer Lehrerin oder eines Lehrers näher zu bestimmen und den Begriff der Kompetenz in diesem Kontext zu präzisieren. Und es geht um die Frage: Was bedeutet das für die Lehrerausbildung? Wie werden die besonderen Qualifikationen von Studierenden/ Lehreranwärter/innen mit Migrationshintergrund wahrgenommen, gewürdigt, weiterentwickelt? Eine besondere Bedeutung dabei hat das Portfolio als Reflexionsinstrument. Mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sollen auf dieser Grundlage Kompetenzen definiert werden, die spezifisch sind/ sein könnten für Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund. 1. Zentrale Fragestellung: Was können wir als LehrerInnen mit Migrationshintergrund für den schulischen Alltag mit allen Schülern einbringen? 2. Das wichtigste Ziel: Heterogenität als Normalität wahrnehmen. LehrerInnen mit Migrationshintergrund in den Schulen. 3. Das Haupthindernis: Alte Denkstrukturen und mangelndes Vertrauen in die Kompetenz der LehrerInnen mit Migrationshintergrund. 4. Der nächste Schritt Das Thema in die Lehrerbildung und Fortbildung zu integrieren als Querschnittsbereich Interkulturelles Lernen als Unterrichtsprinzip Statistisches Erfassen von Lehrpersonen mit Migrationshintergrund 12. Schule: Kommune in der Verantwortung? Kerim Arpad (GF Deutsch-Türkisches Forum, Stuttgart; Mitglied im Internationalen Ausschuss Landeshauptstadt Stuttgart) Gari Pavkovic (Integrationsbeauftragter Landeshauptstadt Stuttgart) Integration und Bildung sind politische Schlüsselthemen für die Zukunftsfähigkeit unserer Städte. Es gibt vielerorts gute Projekte, oftmals fehlt es jedoch an nachhaltigen Strategien. Trotz unterschiedlicher Ressortzuständigkeit von Kommunen und Bundesländern ist die Verantwortung für die Erziehung und Bildung der Kinder eine gemeinsame. Was können Kommunen tun, um erfolgreichere Bildungsverläufe zu unterstützen, um interkulturelle Schulentwicklung voranzubringen? Welche Aufgaben sollten Kommunen übernehmen, welche Anreize können sie schaffen, damit Bildung - auch bei Migrantenkindern - besser gelingt? 1. Zentrale Fragestellung: Wie intensivieren wir die Zusammenarbeit zwischen Kommune und Schulen zur besseren Bildungsförderung der Schüler? 2. Das wichtigste Ziel: Potentiale in der Kommune erkennen und mit der Arbeit der Schulen vernetzen 3. Das Haupthindernis: Keine zentrale Koordination vor Ort und fehlende Finanzen 4. Der nächste Schritt Schaffung eines kommunalen Bildungsbüros und einer Bildungspartnerschaft von Kommune und Schulbehörden 58

59 Tagungsdokumentation 26./ Positionen Diskussionen Ansätze Materialien aus den Diskussionsrunden Die nachfolgend dargestellten Materialien geben nur einen kleinen Ausschnitt der in die Diskussion eingebrachten oder auch durch sie angeregten Positionen wider: es sind Protokolle des Diskussionsverlaufs, Impulse und Beiträge aus einzelnen Diskussionsrunden, persönliche Notizen. Sie vermitteln einen Eindruck der Vielfalt der Sichtweisen und Ideen und regen damit den weiteren Diskurs und nicht zuletzt auch die Weiterentwicklung Beispielsammlung an. Von Migrantenkindern lernen! Studierende und Kinder mit Migrationshintergrund lernen von einander in Miniprojekten Prof. Dr. Ingrid Dietrich (PH Heidelberg) Forschungsprojekt Das Forschungsprojekt Sprachförderung in Kleingruppen für Jugendliche an Hauptschulen läuft seit Mai Es wurde bis Juli 2009 unter der wiss. Leitung von Prof. Dr. Ingrid Dietrich und der Wiss. Mitarbeiterin Sylvia Selke durchgeführt. Die Finanzierung der studentischen FörderlehrerInnen trug die Essener Stiftung Mercator für 3 Jahre (bis Sommer 2009). Die Gesamtdurchführung des Projektes erfolgte in Kooperation mit der Freudenberg Stiftung Weinheim, die die wissenschaftliche Evaluation finanziell unterstützte. Somit nimmt dieses Projekt einen wichtigen Teil im Gesamtkonzept Integration der Region Weinheim ein. Ziel der Mercator-Projekte an bereits über 30 Standorten in Deutschland ist die Unterstützung und Verbesserung der sprachlichen und fachlichen Fähigkeiten von jungen Hauptschülerinnen und Hauptschülern mit Migrationshintergrund durch außerschulischen Förderunterricht. Unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache verhindern für viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund einen erfolgreichen Schulabschluss. Genau hier setzt das Projekt Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund" an. Außerschulischer Unterricht soll die Bildungschancen dieser Zielgruppe verbessern. Die Besonderheit des Konzepts liegt darin, dass sich der Förderunterricht gezielt an Schüler/innen der Klassen 5-10 (Sekundarstufe I) richtet; denn gerade in diesen Schuljahren werden die Weichen für den Schulabschluss und damit für den Übergang in den Beruf gestellt. Gleichzeitig wird Studierenden der Pädagogischen Hochschule Heidelberg durch die praktische Lehrerfahrung in den Kleingruppen, vertieft durch thematisch entsprechende Lehrveranstaltungen, der Erwerb einer zusätzlichen Qualifikation als Interkulturelle/r Lernbegleiter/-in ermöglicht. Konzeption: Qualitative Forschung (Handlungsforschung) Wissenschafts-Praxis Projekt Ä Ä Ä Ä Qualitative Evaluation des Projekts durch die Studierenden, Projektleitung, Projektpartner 1 x pro Woche Supervision und Beratung für die studentischen Lehrerinnen und Lehrer Anleitung der Studierenden zur Selbstevaluation und systematischen Reflexion der Praxis Qualitative Prozess- und Ergebnisevaluation (Forschungstagebuch, Lerntagebuch, Interviews u. a.) Ä Ä Ä Sprachförderung in Kleingruppen (3-4 Kinder oder Jugendliche mit Migrationshintergrund) in Hauptschulen der Region Sprachförderung 2 x pro Woche am Vormittag oder Nachmittag Zusammenarbeit mit den Lehrkräften und Eltern vor Ort 59

60 Positionen Diskussionen Ansätze Tagungsdokumentation 26./ Grundlagen qualitativen Denkens Ä Ä Ä Ä Ä Subjektbezogenheit Ganzheitlichkeit, Problemorientierung Betonung der Deskription Einzelfallbezug, Offenheit Betonung der Interpretation Interaktion zwischen Forscher und erforschter Person Alltagsorientierung Schrittweiser Verallgemeinerungsprozess Evaluation des Projektes Theoretische Positionen zum Forschungstagebuch Ä Ä Ä Ä Ä Ä Forschungstagebücher dienen als Begleiter des eigenen Forschungs- und Entwicklungsprozesses, die alle Forschungs- und Veränderungsaktivitäten zusammenfassen. Aus ihnen ist die Entwicklung der Vorstellungen und Einsichten über die verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses hinweg dokumentiert; aus ihnen können die Wege und Irrwege des Lernens erschlossen werden (Altrichter/Posch 1998, 26f.). Im Rahmen der qualitativen Evaluationsforschung, die Praxisveränderungen wissenschaftlich begleiten und auf ihre Wirkung hin einschätzen will, indem die ablaufenden Praxisprozesse offen, einzelfallintensiv und subjektorientiert beschrieben werden, hat das Forschungstagebuch einen fixen Platz (vgl. Mayring 1999, S.46). Seine Form ist meist halb-strukturiert; qualitative, offen beschreibende wie auch quantitative Elemente können darin zusammengeführt werden (vgl. VIB-Evaluation, Mayring). Seine Anwendung ist wie für qualitative Evaluation generell gültig besonders dort interessant, wo die zu beobachtenden Veränderungen in einem komplexen, sich verändernden Praxisfeld stattfinden und sich keine klaren Effizienzkriterien aufstellen lassen (Mayring 1999, S.47). Forschungstagebücher können zudem auch wertvolle Ergänzung zu summativer, also quantitativer Evaluation liefern. Dass Forschungstagebücher wertvolle Informationen und Einblicke in Prozesse bringen und damit Entwicklungspotential freisetzen können, kann ich aus meiner eigenen Erfahrung im Rahmen der Lehrerausbildung nur bestätigen. Aber oft muss die Akzeptanz dafür meistens erst mehr oder weniger hart erarbeitet werden. Der abschließende Rückblick der Studierenden auf ihre Teilnahme am Forschungsprojekt dokumentiert den Zugewinn der Studierenden an interkultureller Lehrkompetenz: Innerhalb dieser Förderzeit lernte ich jeden Jungen und seine familiäre Situation besser kennen. Die Jugendlichen sind mir stets offen begegnet und das schätze ich sehr. Auch durch die begleitende Supervision durch die Hochschule habe ich einen anderen Blick auf die Jugendlichen bekommen. Meine Einstellung zu Migranten hat sich verändert: Beispielsweise sehe ich einen Schüler mit Deutsch als Zweit- oder Drittsprache nicht mehr als einen, der sich noch besser anstrengen muss und endlich Deutsch lernen sollte, sondern als einen Menschen, der bereits Kompetenzen in 60

61 Tagungsdokumentation 26./ Positionen Diskussionen Ansätze seiner Muttersprache und Deutsch besitzt und der nun eine optimale Förderung benötigt, um diese zu erweitern. (Nadine A.) Was zunächst als Erfahrungssammeln dienen sollte, hat mich wachgerüttelt, was die zum Teil schwierige Situation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund angeht. Für uns Studenten war dieses Projekt - kurz zusammengefasst - eine Möglichkeit, interkulturelle und diagnostische Kompetenzen aufzubauen und Schüler im Einzelnen wahrzunehmen und ein Verständnis und Sensibilisierung für ihre Lage zu entwickeln. Es war für mich eine sehr lehrreiche und anstrengende Zeit, die mich aber bekräftigt hat, den richtigen Weg gewählt zu haben, in der Hauptschule zu unterrichten. Ich freue mich schon, wenn mein Studium bald fertig ist und ich endlich das Referendariat antreten kann. Ich bin sehr gespannt. (Gülcan B.) Deutsch als Zweitsprache im Fachunterricht Ein Diskussionsbeitrag Dr. paed/rus Elena Tregubova (Universität Saarbrücken) Folgende Übersicht ist als Ausgangspunkt für die Überlegungen und einen anschließenden dauerhaften Austausch mit Kollegen/innen über die gemeinsame Sprachförderung in allen Fächern der Schule gedacht. Hier finden sich einige der häufigsten sprachlichen Schwierigkeiten der Migrantenschüler/innen sowie einige Vorschläge zum Behandeln beziehungsweise Vorbeugen dieser Stolpersteine im Fachunterricht. Die Übersicht soll zunächst zur bewussten Reflexion der sprachlichen Seite des eigenen Fachunterrichts anregen und dabei für die Fragen sensibilisieren: Warum sind einige Aufgabenstellungen für Schüler/innen mit nichtdeutscher Muttersprache sprachlich schwieriger zu bewältigen als die anderen? Woran liegt es? Woran erkennt man die individuellen Probleme der Schüler/innen? Aufbauend auf den erkannten Problembereichen werden einige Vorschläge für eigene Unterrichtsgestaltung in mehrsprachigen Klassen angeboten mit dem Ziel, Sach- und Sprachprobleme sowie Sach- und Sprachleistungen der Schüler/innen möglichst deutlich voneinander zu trennen und zwar beim Vermitteln, beim Üben und bei der Leistungsbeurteilung. Das erfordert neue Sicht auf die Unterrichtsmaterialien, die nicht nur dem Fachlernen, sondern auch dem Sprachlernen dienen. 61

62 Positionen Diskussionen Ansätze Tagungsdokumentation 26./ Durch bewusste Wortschatzarbeit im Rahmen der Begriffsvermittlung des jeweiligen Faches kann z.b. einigen Fehlern gezielt vorgebeugt werden, indem die neuen Begriffe von Anfang an nicht nur in ihrer Bedeutung, sondern auch in ihrer sprachlichen Seite präsentiert werden. So können beim Thema Vögel Beherrscher der Luft die Vogelarten mit dem Artikel geübt werden: die Lachmöwe, der Grünfink, der Steinadler. In den Schemata und Abbildungen müssen die Nomen mit Artikel & Pluralformen und Verben mit Perfektformen versehen werden, damit die Bedeutungsvermittlung mit dem Erlernen des korrekten Gebrauchs Hand in Hand geht (vgl. die Abbildung). Werden in der Physikstunde Experimente beschrieben, bietet sich u.a. die Gegenüberstellung von Aktiv und Passiv und die damit verbundene Änderung des handelnden Subjekts an: Der Stabmagnet zieht eine Kugel an. Die Kugel wird von einem Stabmagneten angezogen. Soll die Antwort aus einem oder mehreren Sätzen bestehen - wie im Falle einer Beschreibung (eines Bildes, eines Diagramms oder einer Statistik), bei Diskussionen in der Gruppe oder bei Definitionen eines Alltagsbegriffs - erleichtern gemeinsam erstellte Formulierungsvorschläge eine sprachlich korrekte Aufgabenbewältigung. Redemittel zum Argumentieren, Erklären, Berichten etc. geben als Plakat an der Wand grundlegende Formulierungshilfen. Eine solche Entlastung der sprachlichen Seite ermöglicht sowohl den Migrantenschülern/innen als auch den Schülern/innen mit der deutschen Muttersprache eine Konzentration auf die inhaltliche Seite ihres Redebeitrags, weil sie nicht mehr nach Worten suchen oder sich die Struktur der Antwort überlegen müssen. 62

63 Tagungsdokumentation 26./ Positionen Diskussionen Ansätze Deutsch als Zweitsprache als Aufgabe aller Fächer: Sprachprobleme und Fördermöglichkeiten in multikulturellen Klassen Das Sachlernen findet nicht nur in der Sprache statt, es ist selbst eine Form des Sprachlernens. Paul R. Portmann-Tselikas Welche sprachlichen Probleme können meine Schüler/innen im Unterricht haben?(auswahl) Allgemeine Sprachprobleme: Ä Fehlende Kenntnisse von Wörtern, Begriffen und Wendungen der deutschen Allgemeinsprache Ä Grundsätzliche Defizite in der Grammatik Ä Überforderung durch das Lernen von zahlreichen Fachbegriffen UND Fachinformationen Ä Differenzierung der Alltagssprache und der Schulsprache beim Sprachgebrauch Formulierungsprobleme beim (freien) Sprechen, zu erkennen durch: Ä Auswendiglernen Ä Vermeiden des freien Sprechens vor allem bei leistungsschwächeren Schülern Ä Tendenz zu Einwort-Antworten bzw. zu Antworten nicht in ganzen Sätzen Ä sprachliche Sackgassen, unstrukturiertes Sprechen, undeutliches und unverständliches Sprechen/ Vortragen erschweren eine (inhaltliche) Fehlerkorrektur Welche Aufgaben bzw. Übungsformen sind für meine Schüler/innen besonders schwierig? Woran kann es liegen? Wie kann ich meine Schüler/innen dabei unterstützen? Wortschatzarbeit im Fachunterricht mit grammatikalischen Elementen (z.b. Angabe von Artikel, Pluralform, Perfekt etc. bei den zu erklärenden Wörtern bzw. neuen Begriffen). Satzmuster und Formulierungshilfen als Instrumente einer angemessenen Lernprogression, z.b. als Plakat. Weiter s. unten. Situative thematische Rollenspiele zum Bewusstmachen der Unterschiede im Sprachregister. ( Wie erzählst du das einem Freund?, Wie würde ein Professor über diese Entdeckung wohl bei einer internationalen Konferenz berichten? bzw. Was würdest du in einer Klassenarbeit darüber schreiben? ) Angemessene Steigerung der sprachlichen Leistung bei der Lösung von Aufgaben: Den Schüler von der Textrezeption über Textreproduktion (Wiederholung des Mustertextes) zur Textproduktion (freiem Sprechen) sprachdidaktisch Schritt für Schritt begleiten: Å angemessene Progression der Sprachleistung innerhalb Å einer Stunde notwendig (Wort - Satz-Text) zusätzliche Redemittel (z.b. für Argumentation) für einzelne Aufgaben zur Verfügung stellen oder gemeinsam als Plakat erarbeiten Å inhaltliche Struktur und/oder Redemittel vorgeben, wenn die Merkleistung sonst zu anspruchsvoll ist 63

64 Positionen Diskussionen Ansätze Tagungsdokumentation 26./ Fachdidaktik mit Migrationshintergrund? - Interkulturelle Perspektiven im Unterricht: Ein Protokoll Helga Widmann,Seminarschulrätin Seminar für Didaktik u. Lehrerbildung (Realschule), Reutlingen Konzepte interkultureller Kompetenz müssen in den Schulalltag integrierbar sein. Insbesondere der Fachunterricht kann zum Ort der Umsetzung eines interkulturell orientierten Unterrichtsprinzips werden, zum Ort interkultureller Bildung. Um tatsächlich alle Anwesenden so weit wie möglich aktiv mit einzubeziehen, wurde zur Moderation die Arbeitsform einer wachsenden Gruppe gewählt. Dabei reflektierte zunächst jeder ganz individuell anhand von 6 Schlüsselfragen seinen eigenen Wissens- und Erfahrungsstand, der dann zuerst im Partnergespräch und anschließend in Vierer- bis Sechsergruppen ausgetauscht und auf wesentliche Punkte konzentriert wurde. In der abschließenden Plenumsphase konnten dann die strukturierten Ergebnisse auf den Moderationskarten in die Formulierung für die Präsentation einfließen. 1: Was muss ich/ will ich über interkulturelle Perspektiven im Fachunterricht wissen? Was kann ich überhaupt mit interkultureller Didaktik erreichen? Wie beeinflussen unterschiedliche Lehr- und Lernkulturen eine interkulturelle Didaktik? Welche Themen/Begriffe können interkulturell aufgegriffen werden? Gibt es dazu eine besondere Didaktik oder Methode? 2: Welche Ziele könnten mit interkulturellen Perspektiven im Fachunterricht verfolgt werden? Diagnoseinstrumente kennen Deutsch als Zweitsprache als Pflichtmodul in der Ausbildung (für alle in allen Fächern) Zielgruppenbezogenes Sprach- und Fachwissen vermitteln 3: Welche Probleme sehe ich auf Schüler/innen und Lehrer/innen zukommen? Thematisierung kultureller Differenzen ist abhängig vom Fach Unterschiedliche Rezeption von Lerninhalten je nach kulturellem Hintergrund Unterschwellige Vorurteile zwischen ethnischen Gruppen führen zu Konflikten Überbetonung kultureller Unterschiede 4: Was muss bei der Unterrichtsplanung berücksichtigt werden? - Mitgestaltung des Unterrichts durch Schülerinnen und Schüler (Themenwahl) Kompetenzstärkung ganzheitliche Konzepte (Bsp. Theaterpädagogik) einbeziehen Integration von interkulturellen Aspekten im naturwissenschaftlichen Unterricht (nicht rein additiv) Prinzip der Differenzierung nicht nach Herkunft, sondern nach Leistung vollziehen 5: Welche Erfahrungen können eingebracht werden? (es liegen keine Moderationskarten vor) 6: Welche Unterstützung brauchen Lehrer/innen dazu und woher bekommen sie diese? Selbstreflexion Sensibilisierung Comenius -Projekte Austausch mit Eltern Supervision Erfahrungsaustausch Beispielsammlung Austausch im Dienst innerhalb des Kollegiums Seminare über Interkulturalität Verankerung im Leitbild der Schule Verankerung in der Ausbildung (Studium, Praktika, Referendariat) 64

65 Tagungsdokumentation 26./ Positionen Diskussionen Ansätze Bezügliche der Formulierung einer zentralen Fragestellung kam deutlich zum Ausdruck, dass im Rahmen der Unterrichtsplanung bislang in der Regel keine interkulturelle Dimension der Inhalte mitgedacht wird. Auch fehlt die Ausweisung aktueller Themen interkultureller Relevanz in den Bildungsplänen und Unterrichtsmaterialien. Diese Dimension aufzunehmen, müsste auch Aufgabe der Fachdidaktiken sein. Ansatzpunkte für interkulturelle Ausrichtung der Unterrichtsinhalte sind aber nicht auf den gesellschaftswissenschaftlichen Lernbereich beschränkt; in allen Fächern besteht die Möglichkeit, fachspezifischen Inhalten eine interkulturelle Bedeutung zuzuordnen bzw. sie entsprechend zu ergänzen. Mit der interkulturellen Perspektive eng verbunden sind didaktische Konsequenzen. Gewohnte Vermittlungsmuster greifen unter Umständen zu kurz und erfordern gravierende Änderung des Unterrichtsarrangements. Multiperspektivisches Lernen setzt viel Interesse, Wissen und Material voraus, der Arbeitsaufwand für Lehrerinnen und Lehrer ist höher. Darauf baut das kurz angesprochene ressourcenorientierte Planungsmodell 4 auf, mit dem diese Haltung angebahnt wird, die die Referendar/innen befähigen soll, Unterrichtsinhalte und ziele gemäß dem aktuellen Bildungsplan für ihre multikulturelle Schülerschaft situationsadäquat, regional- und schulspezifisch sowie personalbezogen aufzubereiten. Ressourcenorientierter Unterricht bietet die Chance, das Potential eines jeden Kindes in den Mittelpunkt zu stellen. Je größer das aufgebaute Netzwerk mit unterschiedlichen Personen und Organisationen ist, desto leichter können in Schulen sogenannte Enrichment -Angebote verwirklicht werden, innerhalb und außerhalb des regulären Unterrichts. Als wichtigstes Ziel wurde von daher Fortbildung zum Thema Ressourcennutzung genannt, mit der gleichzeitig auch andere Arbeitsweisen in die Schule Eingang finden können. Mit den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen ändert sich auch das Profil der Ressourcen. Deshalb kann Kompetenzerwerb nicht nur als Ausbildungsinhalt sondern muss als lebenslange Berufsaufgabe erfahren und praktiziert werden. Eine spannende Unternehmung, die vielleicht auch an manchen Stellen den Burn-out-Prozess deutlich unterbricht. Fehlende Bereitschaft in den Kollegien hindert die Entwicklung. Sie macht jedoch nicht allein das Haupthindernis aus. Interkulturelle Bildung für Lehrer/innen und Schüler/innen, d.h. Unterstützung durch Aus- und Fortbildung sowie Umsetzung ressourcenorientierter Unterrichtsformen und mehrperspektivischer Unterrichtsinhalte in den Fächern bedürfen auch finanzieller Unterstützung. Wer interkulturell denken und unterrichten will, darf auch nicht innerhalb der Landesgrenzen stehen bleiben. Föderalistische Strukturen verhindern Erfahrungsaustausch, Bereicherung von Unterricht und Schule durch Vielfalt und mögliche Synergieeffekte. Eine länderübergreifende Kooperation scheint deshalb fast zwingend notwendig. In der Reflexion des nächsten Schrittes kam noch einmal zusammenfassend ganz deutlich zum Ausdruck, wie hoch der Bedarf an Impulsen und Ideen für die Möglichkeit interkulturell aufbereiteter Unterrichtsinhalte in allen Fächern ist. Einigkeit herrschte darüber, dass der Umgang mit dem Fremden essentiell zu dem gehört, was man Bildung nennt und bei entsprechender Fachkompetenz den Fachunterricht um diese Perspektive erweitern kann. Da den gängigen fachdidaktischen Konzeption diese in der Regel fehlt, gibt es nur mehrere und auf allen Ebenen anzusiedelnde Schritte. Hierzu gehören: erweitertes Fachwissen bezüglich interkultureller Fachinhalte, Schulentwicklung insbesondere in Bezug auf die schulinternen Curricula und eine breite empirische Basis hierzu in der Lehrerbildung. Verständlicherweise hätten die Teilnehmer/innen gern selbst einen Workshop zu diesem Thema mit Input- und Fortbildungscharakter gehabt pdf 65

66 MIND-MAP: MÄglichkeiten får den Erwerb ÇInterkultureller KompetenzenÉ an der UniversitÑt ÄInterkulturelle KompetenzenÅ im Lehramtsstudium: Mind-Map zur Lehrerbildung Olivia Kobiela (Lehramtsstudierende/ Gymnasium, Eberhard Karl UniversitÄt TÅbingen) Leittragende Idee des Mind-Maps ist, MÄglichkeiten aufzuzeigen, Lehramtsstudierende auch ohne rechtlich verpflichtenden Rahmen mit Angeboten zum Erwerb Çinterkultureller KompetenzenÉ in Kontakt zu bringen. EPG ÇEthisch-Philosophisches- GrundlagenstudiumÉ EinfÅhrungsveranstaltung (Vorlesung) Im Rahmen der EinfÄhrungsveranstaltungen fär alle Lehramtsstudierende ist u.a. eine Einheit zur ÇTranskulturalitÑtÉ måglich. Ziel dieser Veranstaltung ist, das Interesse fär die zunehmende kulturelle Vielfalt zu wecken oder bestenfalls weitere motivierende Anregungen fär bereits vorhandene Kenntnisse zu bieten. SQ-Kurse /MPK Die SchlÅsselqualifikationskurse bieten fär alle Studierende die MÅglichkeit, interkulturelle Kompetenzen zu erwerben. Nach neuer gymnasialen PrÄfungsordnung (GymPOI.) ist die Teilnahme am ÇModul Personale KompetenzÉ obligatorisch. Die Qualifikation im Bereich Çinterkulturelle KompetenzÉ. bildet eine MÅglichkeit. ÇDeutsch als FremdspracheÉ Hospitanz bei Grammatikkursen etc. PÑdagogische Studien z.b. Seminar zur Çkonstruktivistischen TheorieÉ am Beispiel Çmigrationsspezifischer ErfahrungenÉ. Fachdidaktik

67 Tagungsdokumentation 26./ Positionen Diskussionen Ansätze Migrationserfahrung als Kompetenz : Portfolio in der Lehrerbildung Ein Input für die Diskussion Friedericke Kämpf-Kick (Seminarschulrätin am SSDL Nürtingen) Überlegungen zu folgenden Punkten: zum Begriff Kompetenz zum Portfolio als Reflexionsinstrument zur reflektierten Lernbiografie als Basis für die Konstruktion und Entwicklung der eigenen Professionalität Migration(serfahrungen) als Kompetenzfeld für den Beruf einer Lehrerin oder eines Lehrers Überlegungen zum Begriff Kompetenz F.E.Weinert: Kompetenzen sind die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. Wissen Fachkompetenz Fertigkeiten Einstellungen Selbstkompetenz Soziale Kompetenz Wissen Fertigkeiten Einstellungen Wissen Fertigkeiten Einstellungen Migrationserfahrung als "Kompetenz" SeminarNT Kämpf-Kick Migrationserfahrung als "Kompetenz" SeminarNT Kämpf-Kick " Portfolio als Reflexionsinstrument Reflektierte Lernbiografie als Grundlage für Professionalität Ausbildungsstandards Bildungsplan Prüfungsordnung Gesellschaftliches Umfeld Kompetenzportfolio Kompetenzen, die ich mitbringe Kompetenzen, die ich gerne erwerben möchte Kompetenzen, die ich für meinen Beruf benötige Potentiale, die mir bewusst sind Potentiale, die noch in mir liegen Potentiale, die für meinen Beruf fruchtbar sind vergleichen abgleichen Potentiale Kompetenzen Entwicklungsfelder Individuelle Ziele Entwicklungsportfolio Bewerbungsportfolio Entwicklungsfelder, die ich selbst definiere Entwicklungsfelder, die mir aufgezeigt werden Entwicklungsfelder, die sich aus den professionellen Standards ergeben Das Wissen über sich selbst ist zweifellos ein wesentlicher Aspekt der menschlichen Motivation. (Joseph LeDoux) Individuelle Ziele, die sich aus meiner Biografie ableiten Individuelle Ziele, die sich aus Notwendigkeit ergeben Qualität der eigenen Schulzeit - Studium Lernbiografie Kulturelle Herkunft Werteerziehung Migrationserfahrung als "Kompetenz" SeminarNT Kämpf-Kick Individuelle Ziele, die sich in einem definierten Zeitrahmen erreichen lassen Ziele, für die ich mich entscheide Migrationserfahrung als "Kompetenz" SeminarNT Kämpf-Kick Kompetenzfeld Migration Erfahrungen mit unterschiedlichen Kulturen Zweisprachigkeit? Erfahrungen mit alternativen Lebensentwürfen Erfahrungen mit Emigration Erfahrungen mit Integration? Zorn? angenommen sein zu Hause sein verstanden sein mitten drin sein aufgehoben sein Freiheit geschenkt bekommen Stärke? Ambiguitätstoleranz? abgelehnt werden in der Fremde sein unverstanden sein am Rande stehen ausgesetzt sein sich Freiheit erkämpfen Durchsetzungskraft? Toleranz? Verständnis? Migrationserfahrung als "Kompetenz" SeminarNT Kämpf-Kick Migrationserfahrung als "Kompetenz" SeminarNT Kämpf-Kick 67

68 Positionen Diskussionen Ansätze Tagungsdokumentation 26./ Schule: Kommune in der Verantwortung Ein persönliches Resümee Alexandra Gulija (Kunsterzieherin) Ich habe an der Diskussionsrunde Schule: Kommune in der Verantwortung teilgenommen, weil ich im Stuttgarter Stadtteil Heslach als freischaffende Künstlerin (mit Migrationshintergrund) tätig bin. Die anderen Teilnehmer der Runde kamen aus verschiedenen Arbeitsfeldern: Kulturmanagerinnen, Schulleiter/innen, Projektleiter/innen aus verschiedenen Verbänden und Stiftungen. Diese Breite der Berufe, sowie unterschiedliche Herkunftshintergründe der Teilnehmer hat mich positiv überrascht. Die Erfahrungen anderer zu hören, war für mich eine große Bereicherung und ich habe einiges für meine Arbeit mitgenommen. Als ein Beispiel für gelungene kommunale Tätigkeit habe ich die Arbeit des Generationenhauses im Stadtteil Heslach erwähnt: Als Bürgerin mit Migrationshintergrund habe ich dort unkompliziert und schnell Räume für mein Kunstangebot für Kinder und Erwachsene bekommen. Ich musste nicht einmal die Räume gleich bezahlen, sondern durfte mich erst um die Organisation der Arbeit mit verschiedenen Gruppen kümmern. Das hat es mir ermöglicht, effizienter tätig zu werden. Langfristig liegt der Schwerpunkt meiner kunsterzieherischen Tätigkeit auf der Arbeit mit Mitbürgern mit Migrationshintergrund. Heslach ist ein Stadtteil mit einem sehr hohen Anteil von Migranten und ich hoffe hier Migranten und natürlich ihre Kinder erreichen zu können. Gegenwärtig ergänzen meine Kurse und Veranstaltungen im Caffe-Nach-Bar-Schafft das Kulturangebot im Stadtteil. In der Diskussionsrunde diskutierten wir auch über den dringenden Bedarf der Einrichtung eines Künstler-Büros zum Zweck der besseren Kooperationen zwischen Künstlern, Schulen und Kindergärten: Die Künstler brauchen eine solche Stelle, von der aus sie den Schulen und Kindergärten ihr kunstpädagogisches Angebot einfach und ohne Umstände anbieten können. Ich bin zuversichtlich, dass auch die Schul- und Kindergartenleiter diese Initiative begrüßen würden. Der Vorteil für die Kinder und Jugendlichen liegt auf der Hand: mehr Kunstprojekte an den Schulen sowie eine erleichterte, langfristig angelegte Kooperationen mit und in den kommunalen Einrichtungen. Ich hoffe, dass wir in der Zukunft zusammen mit dem Stabsabteilung für Integrationspolitik diese Pläne ins Leben rufen werden! 68

69 Tagungsdokumentation 26./ Poster Poster Präsentationen Neben den Diskussionsrunden gab es einen zweiten Raum, der zum Meinungsaustausch und zum Diskurs anregen sollte: die Präsentation von Postern. Die in der Dokumentation dargestellten Postern stellen nur einen Teil der thematisch und institutionell vielfältigen Präsentationen dar: Seminararbeiten von Studierenden waren ebenso vertreten wie die Darstellung von Forschungsprojekten, Konzeptionen für die Lehrerbildung ebenso wie die Visualisierung eines Pädagogischen Tags an einer Schule zur interkulturellen Schulentwicklung 69

70 23.01/ Vielfalt bilden! Interkulturelle Kompetenzen im Lehrberuf ( Modul personale Kompetenzen gemäß GymPO I.) Durchführung: PD Dr. Philipp Thomas und Olivia Kobiela Vielfalt bilden, das heißt: Bildung für alle! Und gleichzeitig: die Lerngruppe, die Gesellschaft zu einer vielfältigen machen, nicht Homogenität durch Ausgrenzung herstellen, sondern Vielfalt als Chance, als Bereicherung verstehen. Lernziele im Seminar: Sensibilisierung für die Lebenswelten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund; Erfahrungen der Ausgrenzung, Auseinandersetzung mit kulturellen Teil-Identitäten Blick hinter den Migrationshintergrund, statt Blick auf eine Wand voller Vorurteile! Erfahrungsbezogenes Lehren und Lernen im Unterricht: Herkunftskulturen mit einbeziehen, z.b. durch Beispiele oder kulturelle Zeugnisse Kulturell sensibler Umgang mit möglichen Konfliktsituationen im Unterricht (Fallbeispiele, Hilfe: Handreichung der Islamkonferenz) Plurale Identität statt singulärer Zugehörigkeit! Auseinandersetzung mit verschiedenen Identitätsmodellen Erkennen der Zusammenhänge von Migrationsgeschichte und gegenwärtiger Integrationspolitik Erkennen der Zusammenhänge von Migration, kultureller und milieuspezifischer Vielfalt und Bildung (Sinusstudie s.u.) Vielfalt bilden! Meine Klassenlehrerin war mir gegenüber sehr distanziert. Ich war schnell eine sehr gute Schülerin, aber sie hat nie etwas Freundliches über meine Noten gesagt. Einmal hatte ich als Einzige in der Klasse nur einen Fehler im Diktat. Das hat die Lehrerin kurz erwähnt. Die Zweitbeste, eine deutsche Schülerin, mit zwei Fehlern hat sie dagegen ausführlich gelobt. Nazli Mahjoubi Ihr müsst mir Glauben der Umgang mit euch ist gar nicht leicht ihr schmeißt uns alle auf einen Haufen und sagt wir sind alle gleich [ ] wir mussten kämpfen und haben nie was von euch gewollt ihr sollt nur wissen wir sind auch ein Teil vom deutschen Volk Alpa Gun, Songtext MIGRATIONS- GESCHICHTE! LEBENSWELTEN VON MIGRANTINNEN