Wenn das Gewicht ein anderes Gewicht bekommt
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- Irmela Hummel
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1 Wenn das Gewicht ein anderes Gewicht bekommt Psychologische Hintergründe Dr. med. Patrick Pasi, OA Ambulante Dienste Luzern 28. Februar 2008
2 Adipositas Untergruppen Phänomenologische Unterscheidung 1.Rauschesser 2.Daueresser 3.Nimmersatte 4.Nachtesser Essattacken häufig durch Unlustsituationen ausgelöst Appetit ständig erhöht. Night-eating-Syndrom Sättigungsempfinden fehlt Bei ca. 10% der Adipösen. Nocturnal-eating-Syndrom
3 Andere physiologische Gesetze? 1. Hunger und Sättigung beeinträchtigt. 2. Hohe Leptinspiegel führt nicht zur Drosselung der Nahrungszufuhr. 3. Gewichtsregulation (set point Theorie) verschoben 4. Vererbbarkeit (Zwillingsstudien) nur in den mittleren Gewichtsbereichen bedeutend.
4 Psychologische Erklärungsmodelle 1. Bewältigung von negativen Emotionen durch Essen z.b. Langeweile, Ärger, Wut, Hilflosigkeit, Angst. 2. Externalitäts-/ Internalitätshypothese (Keine Orientierung an Hunger- und Sättigungsgefühl, sondern an äusseren Stimuli) 3. Restriktions- / Inhibitionshypothese (Herman, Polivy 1988) Kognitive Disinhibition: interne kognitive Mengenbegrenzung, wird vom nahrungsdepriviertem Organismus durch geringen Sättigungssignalen bei gleichzeitiger Hungeradaptierung hintergangen Dadurch Essattacken bei Binge Eating erklärbar. Aber: kontrolliertes Essverhalten zur Gewichtsreduktion notwendig -> Flexible Kontrolle (von Westenhöfer 1991): - Grenzen nicht nach dem Alles oder Nichts Prinzip formuliert - Weitere Regeln bei Grenzenüberschreitungen vorgesehen
5 Psychische und psychiatrische Begleitprobleme 1. Gegenseitige Wechselwirkung mit sozialem Umfeld ("Drogenabhängige, Ladendiebe oder Betrüger den Übergewichtige als Partner vorgezogen") 2. Sozialer Rückzug ("Gedanken an die nächste Mahlzeit häufig die einzige Abwechslung, Essen das einzige positive Erlebnis") Gemeinsame Mahlzeiten werden vermieden. 3. Psychische Erkrankungen nicht bedeutend häufiger als in der Normalbevölkerung Gering vermehrte Prävalenz von depressiven Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen. 4. Essstörungen begünstigende Erkrankungen Binge Eating: 3% bei Adipositas (1,5 % Allgemeinbevölkerung)
6 Psychologische Konsequenzen des Jo-jo-Effekts - Ärztlich begleitete Diäten: führen häufig zu hochsignifikanten Gewichtsabnahme - Nach Beendigung der Diät: Gewichtszunahme, der sich der Übergewichtige machtlos gegenüber sieht - Diese Gewichtszunahme wird häufig mit der mangelnden Disziplin des Patienten erklärt (im Gegensatz zum Diäterfolg -> Erfolg des Arztes) - Insuffizienzgefühl wird dadurch bestätigt - Tendenz zu hohe Gewichtsreduktionsziele zu setzen - Resignation -> Glück nur nach Gewichtsabnahme erreichbar
7 Familiäre Muster bei Adipositas 1. Vermeiden adäquater Frustrationen Überfürsorglichkeit -> life events weniger flexibel bewältigt. Aktivität und Bewegung als Handlungs-/Bewältigungsoption wenig genutzt. 2. Konfliktvermeidung/ Affektdämpfung durch Essen Schwierigkeiten Bei Differenzierung/Abgrenzung von Gefühlen, Körperempfindungen und Bedürfnissen der Familienmitglieder bedingen gestörte Interaktionsmuster/Kommunikationsprobleme, die negative Affekte hervorrufen. Adipöse essen zur Dämpfung dieser Affekte und verstärken die familiäre Konfliktvermeidung. 3. Unklare Generationsgrenzen (Konflikte der Eltern) 4. Autonomie-Abhängigkeitskonflikt
8 Dynamiken der Paarbeziehung 1. Gegenseitige Bemutterung Partner ebenfalls Tendenz zu Selbstwertprobleme, Aggressionsgehemmtheit, evtl. Depression. Versorgung mit der Erwartung uneingeschränkte Akzeptanz und Verzicht auf Autonomie zu erhalten. Verschmelzungswünsche. 2. Selbstbehauptung vs. Nähe/ Intimität Partner kompensatorisch dem gesellschaftlich akzeptierten Schönheitsideal entsprechend gewählt. Beziehung wirkt eher geschwisterlich. Machtkampf. Verzicht auf Ernährungsgewohnheiten bedeutet Unterwerfung, deswegen auf adipöse Statur beharrend. Partner fühlt sich durch Übergewicht angegriffen, reagiert mit Entwertung.
9 Besonderheiten in der Adipositasbehandlung Patient/in - Symptomzentriertheit: Fixierung auf Gewichtsreduktion - Ambivalente und schwankende Motivation - Chronifizierte Symptomatik - Emotionale Belastung durch soziale Diskriminierung - Behandlungsmisserfolge in der Vorgeschichte - Negative oder überhöhte Erwartungen an die Behandlung - Trotz als Reaktionsbildung auf Misserfolgsängste - Konfliktvermeidende Abwehr mit vordergründig sozial erwünschtem Verhalten - evtl. komorbide depressive Erkrankung, Persönlichkeitsstörung - evtl. Körperschemastörung
10 Besonderheiten der Adipositasbehandlung 2 Behandler/in - Evtl. Vernachlässigung einer oder mehrerer Symptomebenen: Essstörungen, körperliche Aktivität, Körpererleben, Sozialkontakt. - Wechsel zwischen Aktivismus und Resignation, Inkonsequenz. - Neutrale Position gegenüber dem Gewicht gelingt nur bedingt, wegen: > eigener Fixierung auf Schlankheitsideal > Unter- oder Überschätzung des Veränderungspotentials > geringere positive Erwartungen durch ungünstigere Prognose und Erfahrungen mit ungünstigen Behandlungsergebnissen - Unausgewogenheit in der Berücksichtigung emotionaler, kognitiver, sozialer, behavioraler Behandlungsziele - Vernachlässigung der Einbeziehung relevanter Bezugspersonen
11 Besonderheiten der Adipositasbehandlung 3 Soziokulturelles Umfeld - Überbewertung von Schlankheit und Aussehen - Nahrungsüberfluss erfordert ständige Selbstkontrolle - Lebensmittel- und Pharmaindustrien profitieren von der Aufrechterhaltung des Problems - Unterhaltungselektronik fördert Bewegungsreduktion in der Freizeitgestaltung - Erforderliche enge Kooperation zw. den Disziplinen in der Adipositasbehandlung ist im ambulanten Bereich finanziell wenig abgesichert.
12 Mögliche Behandlungsziele - Psychodynamisch - 1. Stärkung der Eigenverantwortung 2. Entwicklung eines positiveren Selbstbildes 3. Abbau von rigiden Kontrollen zugunsten von Genuss und flexibler Kontrolle bezüglich Ess- Bewegungsgewohnheiten 4. evtl. Integration weiblicher Identität und Sexualität 5. Verbesserung der emotionalen Ausdrucksfähigkeit 6. Aufbau von Bewältigungsstrategien bei interpersonellen Problemen 7. Förderung der Autonomie im partnerschaftlichen und familiären Kontext
13 Mögliche Behandlungsziele - Psychodynamisch - 8. innerfamiliäre Durchsetzung neuer Ess- und Bewegungsgewohnheiten 9. Unterstützung der Krankheitsbewältigung bei unveränderbaren Konstellationen und Konflikten, die das Krankheitsbild begünstigen, wie Disposition, Bewegungseinschränkungen, chronische Erkrankung von Familienangehörigen.
14 Mögliche Behandlungsziele - Verhaltenstherapeutisch - 1. Gewichtsziele müssen erreichbar sein: - Gewichtsabnahme von 10% des Ausgangsgewichtes ist schon mit einer Verbesserung von Blutdruck und Blutfette verbunden. - Zwischenziele sollten kontinuierlich angepasst werden - Hungerphasen wenn möglich vermeiden - Strukturierung der Mahlzeiteneinnahme 2. Esstagebuch 3. Stimuluskontrolle 4. Kognitive Therapie 5. Körperliche Aktivität
15 Effizienz VT - Gewichtsabnahmeprogramme. In kontrollierten Studien langfristiger Effekt nicht nachgewiesen.. Retrospektiv diejenigen erfolgreich, die: - ihr Essverhalten ohne Hunger regulieren - emotionale Einflüsse auf das essen minimieren - mit den sozialen Gefahrensituationen umgehen - regelmässig körperlich aktiv werden - veränderungsmotiviert sind.
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