Fall 6: Bruno Baulustig und die Baulust

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1 Fall 6: Bruno Baulustig und die Baulust prozessual: isolierte Anfechtungsklage gegen einen Widerspruchsbescheid; Zulässigkeit und Begründetheit eines Nachbarwiderspruchs; Verpflichtungsklage auf Erlass eines Widerspruchsbescheides materiell-rechtlich: Rechtsgrundlage für den Widerspruchsbescheid; Zulässigkeit eines Vorhabens im unbeplanten Innenbereich; Baugenehmigung mit stillem Dispens Ausgangsfall Bruno Baulustig (B) besitzt ein Grundstück mit einem zweigeschossigen Haus in der kleinen sächsischen kreisangehörigen Gemeinde Alf. Das Grundstück befindet sich in einem Gebiet, für welches kein Bebauungsplan existiert. Dieses Gebiet ist durch Wohnbebauung geprägt. In unmittelbarer Umgebung des Grundstücks befinden sich noch mehrere kleine Läden, die von den umliegenden Bewohnern frequentiert werden, ein kleines Schuhfachgeschäft mit einer Ein-Mann-Werkstatt, sowie eine Änderungsschneiderei und drei Restaurants. Da B in seinem gut gehenden Architektenbüro häufig bis spät in die Nacht arbeitet, empfindet er seinen bisherigen Arbeitsweg in die Innenstadt inzwischen als zu weit. Er beschließt deshalb, sein Architektenbüro (sechs Angestellte) dadurch in die Nähe seiner Wohnung zu verlegen, dass er einen zweigeschossigen Anbau seines Hauses plant und hierfür die Baugenehmigung beantragt. Der Anbau soll auf dem ebenfalls ihm gehörenden Nachbargrundstück errichtet werden und einen eigenen Eingang erhalten; bis auf ein Zimmer im Dachgeschoss, in das der Sohn des B einziehen will, soll der Anbau der Unterbringung seines Architektenbüros dienen; infolge der Großaufträge, die B bearbeitet, ist ein starker und bis in die Abendstunden währender An- und Abfahrtsverkehr von Klienten und Rechtsanwälten zu erwarten. Die beantragte Baugenehmigung wird dem B am erteilt; Mitte Januar 2013 beginnt er mit den Bauarbeiten. Am ficht nun allerdings der Nachbar Norbert Nixmach (N) die Baugenehmigung, die ihm seinerzeit nicht bekannt gegeben wurde, obwohl er im Jahre 2011 am Verfahren beteiligt war, wegen Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften mit seinem Widerspruch an. Er müsse ein solches gewerbliches Unternehmen in dem sonst ruhigen Gebiet schließlich nicht hinnehmen. Daraufhin hebt die Landesdirektion nach Anhörung des B, der auf seiner Rechtsposition beharrt und nur hilfsweise eine Abweichung beantragt, die Baugenehmigung auf. Dazu führt sie aus, dass auch eine ausnahmsweise Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben zu Gunsten des B nicht in Betracht kommt. Der Erhalt eines insgesamt ruhigen Wohngebiets sei insoweit vorrangig. Nunmehr erhebt B fristgerecht Klage vor dem Verwaltungsgericht: Mit einem Widerspruch habe er nach so langer Zeit nicht mehr zu rechnen brauchen. Sein Bauvorhaben genieße daher unabhängig von möglichen Rechtsverstößen Bestandsschutz; jedenfalls müssten ihm die im Vertrauen auf die Genehmigung getätigten Aufwendungen ersetzt werden. Darüber hinaus sei schon gar nicht ersichtlich, wie N durch den Anbau gestört werden könne, dieser passe sich baulich hervorragend an das Hauptgebäude an, und die darin ausgeübte Tätigkeit rufe gleichfalls keine unzumutbaren Belästigungen für die Nachbarschaft hervor. Frage: Wie sind die Erfolgsaussichten der Klage zu beurteilen? 1

2 Abwandlung Wie im Ausgangsfall, aber nach einem halben Jahr hat die Widerspruchsbehörde noch immer nicht über den Widerspruch des N entschieden. Zu diesem Zeitpunkt ist der Anbau bereits fertig. B will die unsichere Lage beenden. Er erhebt Klage vor dem Verwaltungsgericht, die Widerspruchsbehörde zum Erlass eines Widerspruchsbescheids zu verpflichten. Frage: Wäre eine solche Klage zulässig? Vgl. BVerwGE 94, 151; BVerwG, NVwZ 1996, S. 787; BVerwG, DVBl 1996, S. 1315; BVerwG NVwZ 2001, 1284; VGH Mannheim, ESVGH 43, 142; speziell zum Begriff des Doppelhauses: BVerwG, NVwZ 2000, S. 1055; VGH München, NVwZ-RR 2001, S. 228; Dürr, Das öffentliche Baunachbarrecht, DÖV 1994, S. 841 ff.; zur Abwandlung: Fallbearbeitung bei Heckmann, JuS 1999, S

3 Lösung Fall 6: Bruno Baulustig und die Baulust Ausgangsfall: Klage des B vor dem VG gegen den Widerspruchsbescheid A. Zulässigkeit I. Verwaltungsrechtsweg Erforderlich ist zunächst, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Mangels aufdrängender Sonderzuweisungen richtet sich dies nach 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hiernach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet. Die streitentscheidenden Normen entstammen in diesem Fall dem öffentlichen Baurecht und sind damit öffentlich-rechtlicher Natur. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art liegt vor (da mit B ein Bürger beteiligt), eine abdrängende Sonderzuweisung besteht nicht. Der Verwaltungsrechtsweg nach 40 Abs. 1 VwGO ist eröffnet. II. Statthafte Klageart Entscheidend für die Bestimmung der statthaften Klageart ist das Begehren des Klägers. Im Ergebnis will der B die Baugenehmigung, einen (begünstigenden) VA (vgl. 35 VwVfG) erstreiten. Die vorliegende Situation unterscheidet sich jedoch insofern von der Situation der Verpflichtungsklage, als B die begehrte Begünstigung ursprünglich von der Ausgangsbehörde zugesprochen wurde. Er wurde erst durch den aufhebenden Widerspruchsbescheid beschwert. Für diesen Fall lässt 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO die alleinige isolierte Anfechtung des allein belastenden Widerspruchsbescheids zu; der ursprüngliche begünstigende VA lebt danach wieder auf (vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 281a). Richtige Klageart ist folglich die Anfechtungsklage nach 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO (einschränkend Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 14, Rdnr. 18: Das Wiederaufleben des VA ist nur dann denkbar, wenn man auch dem aufgehobenen VA noch eine latent fortexistierende innere Wirksamkeit zugesteht, die zumindest bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Aufhebung durch den Widerspruchsbescheid besteht. Dogmatisch richtiger, zumindest vertretbar ist seiner Ansicht nach in diesem Fall die Verpflichtungsklage auf die beantragte und durch den Widerspruchsbescheid aufgehobene Baugenehmigung. Folgt man dieser Ansicht, so müsste man in der Begründetheit zunächst einen materiell-rechtlichen Anspruch des Bauherrn auf Erteilung der Baugenehmigung 3

4 prüfen. Nur sofern dieser besteht, hat B auch Anspruch auf Fortbestehen der ursprünglich erteilten Baugenehmigung. Der Widerspruchsbescheid wäre dann rechtswidrig.) III. Klagebefugnis Nach 42 Abs. 2 VwGO muss B geltend machen können, durch den Widerspruchsbescheid in seinen Rechten verletzt zu sein. B ist Adressat des ihn belastenden (weil die ihn begünstigende Baugenehmigung aufhebenden) Widerspruchsbescheids. Aus diesem Grund besteht die Möglichkeit, dass er zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt ist (sog. Adressatentheorie). Außerdem hat B nach 72 Abs. 1 SächsBO bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung. Wenn ihm diese nun wieder genommen wird, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass B in seinem Recht aus 72 Abs. 1 SächsBO verletzt ist. B ist klagebefugt. (Soweit eine Verpflichtungsklage statthaft ist, ergibt sich hieraus dann die Klagebefugnis, da die Möglichkeit der Verletzung in einem subjektiven öffentlichen Recht besteht). IV. Passive Prozessführungsbefugnis Fraglich ist, wer passiv prozessführungsbefugt ist. Dies richtet sich nach 78 Abs. 1 Nr.1 i. V. mit 78 Abs. 2 VwGO: Die Klage muss gegen den Rechtsträger der Behörde gerichtet werden, die den Widerspruchsbescheid erlassen hat. Rechtsträger der hier tätig gewordenen Widerspruchsbehörde, der Landesdirektion, ist der Freistaat Sachsen. Er ist folglich passiv prozessführungsbefugt. V. Beteiligtenfähigkeit B ist als natürliche Person beteiligtenfähig nach 61 Nr. 1, 1. Alt. VwGO. Die Beteiligtenfähigkeit des Freistaates Sachsen als juristische Person des öffentlichen Rechts richtet sich gleichfalls nach 61 Nr. 1, 2. Alt. VwGO; 6 Abs. 1 Satz 1 SächsVwOrgG. VI. Prozessfähigkeit Die Prozessfähigkeit des B ergibt sich aus 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Der Freistaat Sachsen wird gemäß 62 Abs. 3 VwGO, 58 Abs. 1 Nr. 1 SächsJG i.v.m. 4 Abs. 1 SächsVertrVO durch den Präsidenten der Landesdirektion gesetzlich vertreten. 4

5 VII. Vorverfahren Ein erneutes Vorverfahren ist nach 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO entbehrlich, denn die Widerspruchsbehörde hat bereits entschieden (vgl. Bosch/ Schmidt, Praktische Einführung, 26 III 2., S.126; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 6, Rdnr. 22). Bei einer Verpflichtungsklage würde dasselbe gelten, vgl. 68 Abs. 2 VwGO. VIII. Klagefrist Laut Sachverhalt ist davon auszugehen, dass B die Klagefrist des 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingehalten hat. IX. Zwischenergebnis Die Klage des B ist zulässig. B. Notwendige Beiladung Nach teilweise vertretener Auffassung gehört die Beiladung nicht zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage des Bauherrn (ihre Prüfung wird daher im Gutachten als verfehlt betrachtet), sie wird aber vom Gericht (praktisch) geprüft werden müssen, um die Bindungswirkung zu erreichen. Nach 65 Abs. 2 VwGO sind Dritte beizuladen, die an einem Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Gäbe das Gericht der Klage statt, so wäre auch der Nachbar N betroffen, denn der ihn begünstigende Widerspruchsbescheid müsste aufgehoben werden. N ist folglich derart an dem Rechtsverhältnis beteiligt, dass die Entscheidung des Gerichts auch ihm gegenüber einheitlich ergehen muss. Folglich ist N beizuladen. 5

6 C. Begründetheit Die Klage des B wäre begründet, wenn die Aufhebung der Baugenehmigung rechtswidrig und B hierdurch in seinen Rechten verletzt wäre, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Fall der Verpflichtungsklage nach 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, wenn die Ablehnung der Erteilung rechtswidrig und B dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Das ist dann der Fall, wenn er einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hat. I. Rechtmäßigkeit der Aufhebung 1. Rechtsgrundlage Rechtsgrundlage der Aufhebung sind die 68 ff. VwGO. Anmerkung: Rechtsgrundlage sind also nicht 1 SächsVwVfZG, 50, 48 Abs. 1 VwVfG [Rücknahme eines rechtswidrigen VA]. Einerseits handelt es sich bei dem Vorverfahren und dem möglichen Rücknahmeverfahren um zwei voneinander zu trennende selbstständige Verwaltungsverfahren. Andererseits ist die Landesdirektion nach 1 SächsVwVfZG, 48 VwVfG (Abs. 5 regelt insoweit nur die örtliche Zuständigkeit, vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 6. Aufl. 2000, 48 Rdnr. 148), 57 Abs. 1 Satz 2, Satz 2 Nr. 1 SächsBO unzuständig. Nach ganz h. A. wendet sich deshalb auch 50 VwVfG ausschließlich an die Ausgangsbehörde (vgl. Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Auflage, 1995, 64 Rdn. 6; 61 Rdnr. 4; a. A. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 6. Aufl. 2000, 50 Rdnr. 30; ausführliche Nachweise zum Streitstand bei Remmert, VerwArch 91 [2000], S. 209 [210, Fn. 6]; Zweifel an 68 ff.vwgo werden dabei hauptsächlich aus Kompetenzgründen geltend gemacht, vgl. Pestalozza, in: von Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rdnr. 109, 112, 114, 125 f., 165 ff. ). Die Landesdirektion hat allenfalls nach Missachtung einer schriftlichen Weisung und Fristsetzung zur Rücknahme gegenüber dem Landkreis ein Selbsteintrittsrecht, 58 Abs. 1 und 5 Satz 1, 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SächsBO. Eine derartige Weisung ist dem Sachverhalt nach nicht ersichtlich. Es kann in der vorliegenden Situation außerdem dahinstehen, ob und inwieweit bei der Aufhebung des VA die Einschränkungen der Vorschriften der 48, 49 VwVfG bzw. der entsprechenden Regelungen der Landes-VwVfG zu beachten sind (vgl. hierzu bereits Fall 4). Denn hier hat nicht der Widerspruchsführer Widerspruch gegen den aufgehobenen VA erhoben, sondern ein Dritter, so dass ohnehin die Vorschrift des 50 VwVfG zur Anwendung gelangen müsste. 6

7 2. Formelle Rechtmäßigkeit a) Zuständigkeit Hier hat die Landesdirektion den Widerspruchsbescheid erlassen. Ihre Zuständigkeit richtet sich nach den 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Die Erteilung der Baugenehmigung liegt gemäß 57 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 Nr. 1 SächsBO grundsätzlich im Aufgabenbereich des Landkreises als unterer Bauaufsichtsbehörde. Mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt kann davon ausgegangen werden, dass dieser dem B die Baugenehmigung auch erteilt hat. Demzufolge war die Landesdirektion als nächst höhere Behörde ( 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SächsBO, obere Bauaufsichtsbehörde) für den Erlass des Widerspruchsbescheids zuständig. b) Verfahrensfehler Nach 71 VwGO soll derjenige, der durch das Widerspruchsverfahren beschwert wird, vor Erlass des Widerspruchsbescheids gehört werden. B ist selbst der erstmalig durch die Aufhebung der Baugenehmigung Beschwerte (während N den Widerspruch geführt hat). Eine Anhörung ist laut Sachverhalt auch erfolgt. c) Form Nach 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist der Widerspruchsbescheid zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. 3. Materielle Rechtmäßigkeit Die Aufhebung der Baugenehmigung (im Widerspruchsverfahren) wäre materiell rechtswidrig, wenn der Widerspruch des N unzulässig oder unbegründet gewesen ist. Denn: Während im zweiseitigen Rechtsverhältnis Vertrauensschutzgesichtspunkte (zugunsten des Widerspruchsführers) nicht zum Tragen kommen, steht der Widerspruchsbehörde mit Rücksicht auf die Dritt-Rechtsposition des B nur eine eingeschränkte Sachherrschaft über das Verfahren zu (vgl. BVerwGE 65, 313 [318 f.]). Die Aufhebung wäre daher nur rechtmäßig, wenn der Widerspruch des Nachbarn zulässig und begründet ist, soweit es auf eine Ermessensentscheidung der Widerspruchsbehörde ankommt (Ausnahme, Befreiung zugunsten des Bauherrn?), auch dann, wenn die Widerspruchsbehörde ermessensfehlerfrei zu Gunsten des Nachbarn 7

8 entschieden hat. Die Aufhebung wäre in diesem Fall insbes. rechtswidrig, wenn das (Ausnahme-/Befreiungs-) Ermessen der Widerspruchsbehörde zugunsten des Bauherrn B auf Null reduziert war (vgl. dazu BVerwGE 117, 50 [54 ff.]). a) Zulässigkeit des Widerspruchs des N Ist ein Widerspruch des N unzulässig, so ist er zurückzuweisen; die Widerspruchsbehörde ist in diesem Fall nicht berechtigt, zur Sache zu entscheiden. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind insofern Sachentscheidungsvoraussetzungen des Widerspruchsbescheids (Dies gilt selbst dann, wenn mit dem BVerwG eine Sachherrschaft der Widerspruchsbehörde angenommen wird, da insoweit ein Dritter der B schon eine Rechtsposition innehat, vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9, Rdnr. 7 m. w. N.). Zulässig ist der Widerspruch des N bei Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen. aa) Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet wäre Streitentscheidende Normen sind öffentlich-rechtliche, solche des BauGB und der SächsBO. Daher liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor, der Verwaltungsrechtsweg ist analog 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. bb) Statthaftigkeit Der Widerspruch des N wäre gem. 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor Erhebung der Anfechtungsklage statthaft. N müsste sich folglich gegen einen ihn belastenden VA wenden, vgl. 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO. Der Widerspruch des N richtet sich gegen die Baugenehmigung, die dem B erteilt wurde. Diese stellt einen VA i. S. des 1 SächsVwVfZG, 35 VwVfG dar. Der Widerspruch ist demnach statthaft. cc) Widerspruchserhebung bei zuständiger Behörde Mangels weiterer SV-Angaben ist davon auszugehen, dass N sich an die Ausgangsbehörde, d.h. den Landkreis, oder Widerspruchsbehörde gewandt hat, 70 Abs. 1 VwGO. 8

9 dd) Beteiligtenbezogene Zulässigkeitsvoraussetzungen N ist nach 1 SächsVwVfZG i.v.m. 11 Nr. 1 VwVfG beteiligtenfähig und nach 12 Nr.1 VwVfG handlungsfähig. ee) Widerspruchsbefugnis Analog 42 Abs. 2 VwGO muss N geltend machen können, durch den angegriffenen VA in eigenen Rechten verletzt zu sein. Da N nicht Adressat der Baugenehmigung ist (dies war nur der B), ist die Adressatentheorie in diesem Fall nicht anwendbar. Auf einen Verstoß gegen 70 SächsBO kann sich N nicht berufen, da er am Verfahren beteiligt war. Als drittschützende Normen, die verletzt sein könnten, kommen hier aber Normen des Bauplanungsrechts in Betracht, die die Zulässigkeit des Vorhabens des B regeln. Voraussetzung ist, dass es sich um ein Vorhaben nach 29 BauGB handelt: Nach 29 Abs. 1 BauGB ist der Anwendungsbereich der 30 ff. BauGB dann eröffnet, wenn es sich um ein Vorhaben handelt, das die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt hat. Der Vorhabenbegriff bezieht sich einmal (Merkmal des Bauens) auf bauliche Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind. Zum anderen muss das Vorhaben i. S. des 29 Abs. 1 BauGB, die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung, abweichend von 59 Abs. 1, 2 Abs. 1 SächsBO, von einiger bodenrechtlicher Relevanz sein (vgl. dazu E/Z/B, BauGB, 29 Rdnr. 24, 28). Diese Voraussetzungen sind bei dem Anbau, um den es hier geht, erfüllt: dabei kann zunächst offen bleiben, ob es sich um die Änderung einer bestehenden baulichen Anlage handelt oder eine Neuerrichtung (eines Doppelhauses) vorliegt. Der Anbau ist schon angesichts seiner Größe, vor allem aber wegen der ihm zugedachten Funktion (dazu E/Z/B, a.a.o., Rdnr. 29) geeignet, die in 1 Abs. 6 (hier etwa: Nr. 1: allgemeine Anforderungen an gesunde Wohn- u. Arbeitsbverhältnisse) BauGB genannten Belange in einer Weise zu berühren, die das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit verbindlich regelnden Bauleitplanung hervorruft (Verhältnis Wohnnutzung störende gewerbliche/freiberufliche Nutzung). 9

10 Für das Baugebiet besteht selbst kein B-Plan, so dass sich die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit und damit die möglichen nachbarschützenden Normen nach 34 BauGB richtet (dass das Vorhaben nicht im Außenbereich liegt, ergibt sich hier daraus, dass umliegend Bebauung vorhanden ist, die den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist, so dass ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil besteht). Danach muss es sich nach Art und Maß in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Hier könnte die Eigenart der Umgebung einem der Baugebiete nach BauNVO entsprechen, so dass sich die Zulässigkeit der Art des Vorhabens nach den 1 Abs. 2, 2 ff. BauNVO richten könnte, vgl. 34 Abs. 2 BauGB: Damit stellt sich die Frage, ob dem Nachbarn aus dem Gebot des Einfügens hinsichtlich der Art ein eigenes, ein subjektives öffentliches Recht entstehen kann, ob er sich auf einen möglichen Verstoß hiergegen berufen darf: Nach der Schutznormtheorie ist dies dann der Fall, wenn die Norm zumindest auch seinen Rechten zu dienen bestimmt ist und er sich darauf berufen kann (vgl. BVerwG, DVBl 1999, 101 [102]). Werden Baugebiete nach der BauNVO in einem Bebauungsplan festgesetzt, so hat diese Festsetzung nach neuerer Auffassung des BVerwG kraft Bundesrechts nachbarschützende Wirkung, d. h. der Nachbar darf sich auf die festgesetzte Gebietsart unabhängig davon berufen, ob die mögliche Abweichung ihn tatsächlich beeinträchtigt (vgl. BVerwGE 94, 151 [155]). Begründen lässt sich dies damit, dass die genannten Festsetzungen Inhalt und Schranken des Grundeigentums bestimmen und damit gleichzeitig auf den Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte abzielen. Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz beruht damit auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (vgl. BVerwG, a.a.o., S. 155; BVerwG NVwZ 1996, 787, 788). Die Planbetroffenen werden so zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Aus der Verweisung in 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung auf die Festsetzungen der BauNVO ergibt sich, dass für solche 10

11 faktisch den in der BauNVO geregelten Gebieten gleichenden Baugebiete der Bundesgesetzgeber einen entsprechenden Interessenausgleich vorgesehen hat, so dass sich der Nachbar auch hier auf die Einhaltung der Gebietsart kraft BauGB berufen darf (vgl. BVerwGE 94, 151 [156]; im Ergebnis ebenso Dürr, DÖV 1994, 841 [848]; nicht nachbarschützend ist demgegenüber das Maß, BVerwG, UPR 1995, 396): Gebietserhaltungsanspruch (BVerwG NVwZ-RR 1999, S. 105; BVerwG NVwZ 2004, S. 1244). Im hier zu bearbeitenden Sachverhalt kann das betroffene Gebiet entweder als (faktisches) Allgemeines Wohngebiet i. S. des 4 BauNVO qualifiziert werden oder mit vertretbarer Argumentation auch noch als Reines Wohngebiet i. S. des 3 BauNVO (allerdings passen insoweit die Restaurants nicht hinein). Damit richtet sich die Zulässigkeit nach den Normen BauNVO betreffend die Art der baulichen Nutzung. 13 BauNVO konkretisiert, inwieweit Gebäude und Räume für freie Berufe in diesem Gebiet zulässig sind. Die Vorschrift zielt darauf ab, dass der (Wohn-) Gebietscharakter gewahrt bleibt (BVerwGE 68, 324; BVerwG NVwZ 2001, 1284 [1285]). 13 BauNVO hat insofern an der nachbarschützenden Wirkung der Gebietsart teil, denn auch er betrifft die Art der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 787, 788). Es besteht die Möglichkeit, dass N durch die Genehmigung des Anbaus in seinem Recht auf Einhaltung der Gebietsart nach 3 bzw. 4 i. V. mit 13 BauNVO verletzt worden ist, denn es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass der Anbau insofern den Anforderungen an die zulässige (gebietsypische) Art der baulichen Nutzung widerspricht. Anmerkung: Ein Rückgriff auf 15 Abs. 1 BauNVO erübrigt sich. Der Nachbarschutz aus der Festsetzung des Baugebietes geht weiter als der Schutz des Rücksichtnahmegebotes in 15 Abs. 1 BauNVO, der solche Beeinträchtigungen voraussetzt. Auf die Bewahrung der festgesetzten Gebietsart hat der Nachbar einen Anspruch auch dann, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im Einzelfall noch nicht zu einer spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führt (vgl. BVerwGE 94, 151, 161). Auch die Ausnahmen nach 31 BauGB (zu dessen entspr. Anwendung im Bereich des 34 Abs. 2 BauGB, vgl. Erbguth/Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl. 1998, Rdnr. 395) brauchen nicht hinsichtlich ihrer nachbarschützenden Wirkungen untersucht zu werden. Ebenfalls muss die tatsächlich spürbare, nachweisbare Beeinträchtigung durch handgreifliche Betroffenheit oder besondere Intensität der Beeinträchtigung anders als bei 15 Abs. 1 BauNVO nicht dargelegt werden.) 11

12 ff) Verfristung Die Monatsfrist des 70 Abs. 1 VwGO, auch die Jahresfrist nach 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO eine Rechtsbehelfsbelehrung erfolgte nicht werden nur bei ordnungsgemäßer Bekanntgabe in Lauf gesetzt, 43 Abs. 1 VwVfG. Daran fehlt es. Der Widerspruch des N wäre danach nicht verfristet (vgl. Hufen, 6, Rn. 34 f.). Nach überwiegender Ansicht folgen jedoch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis gemäß Treu und Glauben rechtliche Verhaltenspflichten. Auch ohne Bekanntgabe muss sich daher der Nachbar die sichere Kenntnis oder Kenntnismöglichkeit des Verwaltungsakts, z. B. durch sichtbare Bautätigkeit, zurechnen lassen. Unternimmt er keine rechtlichen Schritte, ist das Vertrauen des Bauherrn in den Bestand seiner Genehmigung geschützt und eine spätere Anfechtung durch den Nachbarn unzulässige Rechtsausübung. Deshalb gelten 70, 58 Abs. 2 VwGO unmittelbar, so dass ab Kenntnis bzw. Kenntnismöglichkeit die Jahresfrist zu laufen beginnt (vgl. BVerwGE 44, 294, 298 ff.; vgl. Hufen, 6, Rdnr. 49; Bosch/Schmidt, 26 IV. 2. a. bb., S. 130). Hier hat N die Baugenehmigung nur wenige Wochen nach Aufnahme der Bautätigkeit und damit seiner Kenntnisnahmemöglichkeit angefochten (Seine frühere Beteiligung am Genehmigungsverfahren führt mangels Mitteilung eines Ergebnisses nicht zu einer hinreichenden Kenntnismöglichkeit). Die Jahresfrist ist somit nicht ausgeschöpft und das Widerspruchsrecht noch nicht verwirkt worden. Exkurs: Gegebenenfalls kann die Aufhebung eines VA auch nach Eintritt der Bestandskraft begehrt werden. Eine Aufhebung kann zunächst durch einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach 51 VwVfG erreicht werden (sogenanntes "Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne"): Zulässig ist ein solcher Antrag bei - Unanfechtbarkeit des VA, 51 Abs. 1 VwVfG, - Fehlen groben Verschuldens, 51 Abs. 2 VwVfG, - Einhaltung der Antragsfrist, 51 Abs. 3 VwVfG und - schlüssiger Darlegung des Wiederaufnahmegrundes (BVerwG, NJW 1982, 2204; OVG Münster, NVwZ 1986, 51). Begründet ist ein solcher Antrag bei 12

13 Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes i. S. des 51 Abs. 1 Nr. 1-3 VwVfG; Wiederaufnahmegründe sind: - nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage, Beachte: Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist keine Änderung der Sachund Rechtslage i.d.s. (vgl. BVerwG, NJW 1981, 2595; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, 51 Rdnr. 29 ff. m.w.n.). - Vorliegen eines neuen Beweismittels und Beachte: Eine neue Bewertung bereits bekannter Tatsachen reicht nicht aus. Der neuen Bewertung müssen auch neue Tatsachen zugrunde liegen. (vgl. BVerwG, NJW 1990, 199). - Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes i. S. des 580 ZPO Ist ein Antrag i. S. des 51 VwVfG zulässig und begründet, muss die Behörde erneut in der Sache entscheiden, die Gegenstand des VA war. Für die Frage, welche Entscheidung in der Sache zu treffen ist oder - bei Ermessensentscheidungen - getroffen werden kann, kommt es ausschließlich auf das in der Sache anzuwendende materielle Recht im Zeitpunkt der nunmehr zu treffenden Entscheidung an (vgl. BVerwG, NJW 1982, 2204; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, 51 Rdnr. 18; a. A. wohl: OVG Münster, NVwZ 1986, 134). Darüber hinaus kann ein Antrag auf erneute Entscheidung auch unabhängig von den Voraussetzungen des 51 VwVfG gestellt werden (sogenanntes "Wiederaufgreifen des Verfahrens i.w.s."); hier steht eine erneute Entscheidung grundsätzlich im Ermessen der Behörde; etwas anderes gilt nur dann, wenn infolge einer Ermessensreduzierung auf Null ausnahmsweise ein Anspruch auf erneute Entscheidung besteht (vgl. BVerwG NVwZ 2007, 709= Bspr Waldhoff JuS 2008, 266). Zulässig ist ein solcher Antrag bei - Unanfechtbarkeit des VA und - Vorliegen einer Beschwer des Betroffenen. Begründet ist ein solcher Antrag, wenn infolge einer Ermessensreduzierung auf Null ein Anspruch auf erneute Entscheidung besteht (vgl. BVerwGE 44, 333, [336]). Ist ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens i.w.s. zulässig und begründet, muss die Behörde auch hier unter Beachtung der oben genannten Maßgabe erneut in der Sache entscheiden. Sowohl gegen eine Ablehnung des Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens als auch gegen eine erneute Entscheidung durch die Behörde sind die allgemeinen Rechtsbehelfe gegeben (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, 51 Rdnr. 53 ff. m.w.n.) Hat die Behörde einen Antrag abgelehnt oder ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist darüber entschieden, so ist streitig, ob der Antragsteller (ggf. nach Durchführung eines Vorverfahrens) 13

14 sofort Klage auf Verpflichtung der Behörde auf Aufhebung oder Änderung des VA erheben kann (so: BVerwG, NJW 1982, 2204, allerdings zu einer nicht im Ermessen der Behörde stehenden Entscheidung; dem folgend: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, 51 Rdnr. 53) oder zunächst Klage auf Verpflichtung der Behörde auf Wiederaufnahme des Verfahrens erheben muss (Korber, DÖV 1982, 858 [559]). gg) Zwischenergebnis Der Widerspruch des N war zulässig. b) Begründetheit des Widerspruchs des N Der Widerspruch des N war auch begründet, sofern die Erteilung der Baugenehmigung rechtswidrig ist und den N in seinen Rechten verletzt, 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 113 Abs. 1 Satz 1 analog (vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9 Rdnr. 8). Zu beachten ist dabei, dass die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsverfahren an die Stelle der Ausgangsbehörde tritt. Sie kann kraft ihrer Sachherrschaft über das Verfahren eigene Ermessenserwägungen anstellen und etwaige Ermessensfehler der Ausgangsbehörde heilen. Es darf hier also nicht (nur) darauf abgestellt werden, ob die Erteilung der Baugenehmigung durch die Ausgangsbehörde rechtswidrig war. Es kommt darauf an, ob die Widerspruchsbehörde die Baugenehmigung aufheben musste, weil die Erteilung der Baugenehmigung rechtswidrig wäre. Im Grundsatz ist die Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung nach 72 Abs. 1 SächsBO eine gebundene Entscheidung. Dennoch spielen auch Ermessenserwägungen eine Rolle: Ist die Baugenehmigung nur unter einer Ausnahme bzw. einer Befreiung i. S. des 31 BauGB erteilbar, steht ihr Erlass im Ermessen der Verwaltung. Damit ist der Widerspruch des Nachbarn auch dann begründet (und damit die Aufhebung rechtmäßig), wenn trotz Vorliegens eines (Ausnahme- bzw. Befreiungs-)Tatbestands die Ausgangs-Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde (Erteilung der Baugenehmigung) unzweckmäßig war und die Widerspruchsbehörde nunmehr ihr Ermessen zu Gunsten des Nachbarn rechtmäßigerweise ausüben durfte. Das setzt voraus, dass das Ausnahme- /Befreiungsermessen nicht zugunsten des B reduziert war. 14

15 Damit gibt es insgesamt drei Fallkonstellationen: Entweder die Behörde muss angesichts überragender Interessen ihr Ermessen zu Gunsten des Bauherrn ausüben (1) (Ermessensreduktion auf Null, etwa weil mangels gesetzlich anerkannter Ablehnungsgründe keine willkürfreie Ablehnung möglich ist, dazu BVerwGE 117, 50 [54 ff.]) oder umgekehrt zu Gunsten des Nachbarn (2), etwa weil Nachbarrechtspositionen intensiv beeinträchtigt sind. Oder es sind zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausnahme oder Befreiung gegeben, ohne dass eine Ermessenreduktion besteht, so dass eine ermessensfehlerfreie Entscheidung in die eine wie die andere Richtung möglich ist (3). Gutachtlich ist also zunächst herauszuarbeiten, ob die Erteilung der Baugenehmigung überhaupt im Ermessen der Behörde steht, also die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermessensnorm erfüllt sind, sodann, welche der drei Fallgruppen hier vorliegt. Schließlich wäre bei Fallgruppe (3) die Fehlerfreiheit der tatsächlichen Ermessensausübung der Widerspruchsbehörde (im Sachverhalt) zu prüfen. Mit Blick auf den Gebietserhaltungsanspruch des Nachbarn (Art der baulichen Nutzung) kommt aber in Fallgruppe (3) eine Ermessensausübung zugunsten des Bauherrn B nur ausnahmsweise in Betracht, etwa wenn vom seinem Vorhaben nicht die Gefahr einer späteren Wandlung des Gebietscharakters ausgeht. Zwar ist der Gebietserhaltungsanspruch von vornherein durch die Möglichkeit der Befreiung nach 31 Abs. 2 BauGB begrenzt. Ihm kommt aber in den meisten Fällen ein nicht unerhebliches Gewicht zu (vgl. Wortlaut Grundzüge der Planung ). Die Situation ist insofern anders als beim Anspruch (des Nachbarn) auf Einschreiten, in der die bloße Ausnahme-/Befreiungsmöglichkeit ausreicht, einen Einschreitensanspruch des Nachbarn zu verneinen. Eines ausdrücklichen Antrags (des Bauherrn) auf Ausnahme oder Befreiung nach 31 BauGB wird es wohl nicht bedürfen, weil die Erteilung von Ausnahme oder Befreiung nach 31 BauGB auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zum Prüfprogramm der Behörde gehört ( 63 S. 1 Nr. 1 SächsBO, nicht 63 S. 1 Nr. 2 SächsBO der nicht auf 67 Abs. 2 Satz 1 und 2 SächsBO, sondern nur auf umliegende Vorschriften verweist; vgl. Jäde, in: Jäde/Dirnberger/Böhme, Bauordnungsrecht Sachsen, 41. AL August 2005, 63 Rn. 31). Die Abweichung 15

16 muß aber ausdrücklich zugelassen werden (sonst: Ermessensfehler Nichtgebrauch wegen Verkennung der Notwendigkeit einer förmlichen Abweichung). Da die Widerspruchsbehörde im vorliegenden Fall nicht zu Gunsten des Bauherrn entschieden hat, kommt es indes auf die grundsätzlich denkbare Situation, dass sie ohne Ermessensreduzierung zu Gunsten des Bauherrn fehlerfrei entscheiden kann, nicht an. Die Widerspruchsbehörde hat die Baugenehmigung im Widerspruchsbescheid aufgehoben; das ist rechtmäßig, wenn das Vorhaben nicht genehmigungsbedürftig oder nicht genehmigungsfähig und auch eine Ausnahme oder Befreiung dem B nicht zu erteilen war (dabei tatbestandl. Voraussetzungen und Ermessen zu prüfen). aa) Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung (1) Formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung Die Baugenehmigung könnte zum einen formell rechtswidrig sein. Mangels Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Baugenehmigung von dem nach 57 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 Nr. 1 SächsBO zuständigen Landratsamt des Landkreises erteilt wurde (s. o. III 1 b aa). Sonstige Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich. Die Baugenehmigung erging ohne formelle Verstöße. (2) Materielle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung Zum anderen müssten die materiellen Voraussetzungen für den Erlass der Baugenehmigung vorgelegen haben. (a) Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens Das Vorhaben des N müsste zunächst genehmigungsbedürftig sein. Nach 59 Abs. 1 SächsBO bedürfen die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen einer Baugenehmigung. α Bauliche Anlage 16

17 Das Haus muss folglich als bauliche Anlage i. S. des SächsBO zu qualifizieren sein. Das ist so, denn eine bauliche Anlage ist nach 2 Abs. 1 Satz 1 SächsBO jede mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlage. B beabsichtigt entweder eine Änderung dieses Gebäudes oder gar die Errichtung eines weiteren Gebäudes (in geschlossener Bauweise), so dass sein Vorhaben grundsätzlich einer Baugenehmigung bedarf, soweit nicht 60 SächsBO greift (hier: ) oder es sich nicht nur um ein verfahrensfreies oder genehmigungsfreigestelltes Vorhaben handelt. β Ausnahme nach 61 SächsBO Verfahrensfreiheit Die Genehmigungsbedürftigkeit könnte nach 61 SächsBO entfallen. Eine Ausnahme nach dieser Vorschrift liegt indes nicht vor, insbes. handelt es sich nicht um Errichtung/Änderung eines Gebäudes nach Nr. 1 der Vorschrift, auch nicht um eine anforderungsneutrale Nutzungsänderung nach 61 Abs. 2 SächsBO. γ Ausnahme nach 62 SächsBO Genehmigungsfreistellung In Betracht kommt jedoch der Ausnahmetatbestand des 62 SächsBO, wonach die Errichtung und Änderung von Vorhaben genehmigungsfreigestellt ist. Dies gilt nach Abs. 1 für alle Vorhaben, die nicht Sonderbauten i. S. des 2 Abs. 4 SächsBO sind. Die Genehmigungsfreistellung scheitert hier aber daran, dass für das entsprechende Gebiet gar kein Bebauungsplan existiert, und es damit an der Voraussetzung nach 62 Abs. 2 Nr. 1 SächsBO fehlt. Das Vorhaben ist genehmigungsbedürftig. (b) Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens Eine Baugenehmigung ist nach 72 Abs. 1 SächsBO dann zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind). Der Prüfungsumfang folgt aus den 63, 64 SächsBO. Nach 63 SächsBO besteht für genehmigungsbedürftige Vorhaben, die keine Sonderbauten nach 2 Abs. 4 SächsBO sind, nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht (=Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren). Um einen Sonderbau, insbesondere ein 17

18 Hochhaus handelt es sich bei dem Vorhaben des B nicht (vgl. 2 Abs. 4 Nr. 1 SächsBO). Die Genehmigung des Anbaus könnte gegen Bauplanungsrecht, welches auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen ist (vgl. 63 Satz 1 Nr. 1 SächsBO), verstoßen. α Vorhaben nach 29 BauGB: (+) s. o. bei Widerspruchsbefugnis, S. 7 ff. β Zulässigkeit nach 34 BauGB Im Rahmen der Klagebefugnis wurde festgestellt, dass sich das Vorhaben in einem Gebiet befindet, das im Zusammenhang bebaut ist und daher als Innenbereich gelten kann, so dass es nach 34 BauGB zulässig ist, wenn es sich nach Art und Maß usw. einfügt. Wenn die Umgebungsbebauung einem der in der BauNVO typisierten Baugebiete entspricht, richtet sich die Zulässigkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allein nach 34 Abs. 2 BauGB i. V. mit den Vorschriften der BauNVO (vgl. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 6. Aufl., 34 Rn. 46, s. o. bei Widerspruchsbefugnis, S. 7 ff.). Die Umgebung könnte hier faktisch einem Gebiet nach 3 oder 4 BauNVO entsprechen (s. o.), so dass sich auch die Zulässigkeit hinsichtlich der Art danach bemisst. Die Umgebungsbebauung weist laut Sachverhalt überwiegend Wohnbebauung auf. Das könnte auf ein Reines Wohngebiet nach 3 BauNVO schließen lassen. Allerdings gibt es neben den kleinen, die Bewohner versorgenden Läden und nicht störenden Handwerksbetriebe (Schuh-Werkstatt) auch noch mehrere Restaurants, also Schank- und Speisewirtschaften nach der BauNVO: Diese sind im Reinen Wohngebiet auch nicht als Ausnahmen zugelassen (vgl. 3 Abs. 2 BauNVO), so dass von einem faktischen Allgemeinen Wohngebiet i. S. des 4 BauNVO auszugehen ist. Die Errichtung des Anbaus ist also der Art nach zulässig, wenn er nach 4 BauNVO zulässig ist. Zulässigkeit nach 34 Abs. 1 Abs. 1 Hs. 1 BauGB, 4 Abs. 2, 13 BauNVO Welche Vorhaben in einem Allgemeinen Wohngebiet zulässig sind, richtet sich nach 4 Abs. 1 und 2 BauNVO, wonach dort nur Wohngebäude, der Versorgung des Gebietes dienende Läden, Schank- und Speisewirtschaften, 18

19 nicht störende Handwerksbetriebe und Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke errichtet werden dürfen. Für den Anbau des B enthält 13 BauNVO eine spezielle Bestimmung, die die Zulässigkeit von Gebäuden und Räumen für freie Berufe regelt. Nach 13 BauNVO sind für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben, in den Baugebieten nach den 2 bis 4 BauNVO nur Räume zulässig, in den anderen Baugebieten dagegen auch Gebäude. Die Architektentätigkeit des B als freiberufliche Tätigkeit (vgl. 1 Abs. 2 Satz 2 Var. 18 PartGG) wird von 13 BauNVO erfasst. Sinn und Zweck der Regelung in 13 BauNVO ist es, den Gebietscharakter, der bei einem Allgemeinen Wohngebiet nach 4 Abs. 1 BauNVO überwiegend durch Wohnnutzung geprägt ist, zu erhalten (hierzu BVerwG NVwZ 2001, 1284). Denn lediglich Wohngebäude sind, mit Ausnahmen, in einem Allgemeinen Wohngebiet zulässig. Die Beschränkung auf Räume macht gerade deutlich, dass trotz der Inanspruchnahme eines Gebäudes für freiberufliche oder gewerbliche Zwecke der Charakter als Wohngebäude gewahrt werden soll, d. h. die typische Prägung der Gebäude in den Wohngebieten durch die Wohnnutzung erhalten werden soll. Davon kann aber jedenfalls dann keine Rede mehr sein, wenn die Wohnfläche ganz überwiegend wohnfremd genutzt wird (vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 787, 788: näher BVerwG NVwZ 2001, 1284 zur 50%-Grenze). Ein ganzes Gebäude, das nur für (frei-)berufliche Zwecke genutzt wird, entspricht nicht mehr diesem Gebietscharakter. Es ist deshalb auch an dieser Stelle zu klären, ob es sich bei dem Anbau des B, der für sich betrachtet überwiegend zu wohnfremden Zwecken genutzt wird, um ein Gebäude hier i. S. des 13 BauNVO handelt oder lediglich um (zusätzliche) Räume im (erweiterten) Wohnhaus des B. 13 BauNVO definiert nicht, ebenso wenig wie die Baugebietsvorschriften, auf die er Bezug nimmt, was unter einem Gebäude zu verstehen ist. Dem in den Vorschriften der 2 9 BauNVO jeweils enthaltenen Zulässigkeitskatalog lässt sich immerhin entnehmen, dass der Gebäudebegriff als ein Anwendungsfall des allgemeinen Begriffs der (baulichen) Anlage mit 19

20 umfasst wird, auf den insbesondere auch 29 BauGB abstellt. Mit Blick auf das anerkannte Phänomen von Doppelhäusern und angesichts der Tatsachen, dass der Anbau zum ursprünglichen Gebäudes bautechnisch abgeschlossen ist, einen eigenen Eingang erhält und zudem auf dem Nachbargrundstück gelegen ist, ist hier davon auszugehen, dass der Anbau sich nicht als eine Anzahl von Räumen (im erweiterten ursprünglichen Gebäude) i. S. des 13 BauNVO, sondern als eigenständiges Gebäude i. S. des 13 BauNVO zu begreifen ist. Dafür spricht die in 22 Abs. 3 BauNVO getroffene Regelung (hier wird ausdrücklich formuliert: geschlossene Bauweise und die Gebäude ). Vor allem aber kennzeichnet seine funktionale Selbständigkeit den Anbau als eigenes Gebäude : Dem unbefangenen Betrachter erscheint der Anbau als ein Büro-Gebäude, das ausschließlich Büros von Freiberuflern beherbergt und das mit dem daneben liegenden Wohnhaus nur baulich ganz besonders eng, i. S. eines Doppelhauses verbunden ist (vgl. zum Ganzen auch BVerwG, NVwZ 1996, 787 f.; VGH München, NVwZ-RR 2001, 228)). Damit sind die Grenzen des 13 BauNVO überschritten. Es handelt sich bei dem Anbau nicht mehr um Räume i. S. der 4 Abs. 1 und 2, 13 BauNVO. Das Vorhaben ist damit nicht nach 34 Abs. 1 Abs. 1 Hs. 1 BauGB, 4 Abs. 2, 13 BauNVO zulässig. Zulässigkeit nach 34 Abs. 1, Abs. 2; 31 Abs. 1 und 2 BauGB Die Widerspruchs-Behörde könnte indessen das Vorhaben des B durch eine Ausnahme oder Befreiung ( 31 BauGB mit 34 Abs. 2 Hs. 2 BauGB) genehmigungsfähig machen. Sie wäre auch dazu verpflichtet, soweit auch bei Rücksicht auf die Nachbarrechtsposition des N das Abweichungsermessen zugunsten des Bauherrn B auf Null reduziert ist (s. o.; hier ist auch ein ausdrücklicher Antrag formuliert worden, auch wenn die Behörde die Voraussetzungen des 31 BauGB nach 63 Nr. 1 SächsBO von Amts wegen zu prüfen hat). Der Ausnahmetatbestand des 4 Abs. 3 BauNVO scheidet indessen schon deshalb aus, weil 13 BauNVO eine spezielle und abschließende Regelung der Zulässigkeit der Nutzungsart enthält. 20

21 [Im Übrigen käme nur eine Ausnahme nach 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in Betracht. Hierfür müsste es sich bei dem Architekturbüro um einen nicht störenden Gewerbebetrieb handeln. Gewerbe ist jede selbständige, erlaubte, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf eine gewisse Dauer ausgeübte Tätigkeit, mit Ausnahme der Urproduktion; künstlerischer und wissenschaftlicher Tätigkeiten und Dienste und persönlicher Dienstleistungen höherer Art, die eine höhere Bildung (Hochschul-, Fachhochschulausbildung) erfordern (freie Berufe) sowie der bloßen Verwaltung eigenen Vermögens (vgl. dazu nur Landmann/ Rohmer, GewO, Einl., Rdnr. 32; Einl, Rdnr. 66 a. E.). Die Tätigkeit von Architekten stellt als freier Beruf (s. o.) keinen Gewerbebetrieb dar. Der Ausnahmetatbestand des 4 Abs. 3 BauNVO ist nicht erfüllt. Das Vorhaben fügt sich daher nicht unter Berufung auf diese Vorschrift ein.] Schließlich könnte eine Befreiung i. S. des 31 Abs. 2 BauGB zu erteilen sein: Durch 34 Abs. 2 Hs. 2 BauGB wird der nicht beplante dem beplanten Innenbereich gleichgestellt. Es muss daher geprüft werden, ob die Baugenehmigung unter einer Befreiung von der Regelbebauung des faktischen Baugebietes zu erteilen und daher der Widerspruch des N zurückzuweisen wäre. In Betracht kommt hier allein 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB, soweit die Abweichung städtebaulich vertretbar ist. In keinem Fall dürfen aber die Grundzüge der Planung berührt werden: Die Zulassung von Bürogebäuden im Allgemeinen Wohngebiet verstößt gegen die Gebietstypik (vgl. 13 BauNVO) und damit gegen die Grundzüge der Planung. Außerdem wäre die Befreiung jedenfalls nicht i. S. des 31 Abs. 2, Hs. BauGB auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Der Tatbestand des 31 Abs. 2 BauGB ist nicht erfüllt. Die Widerspruchsbehörde hat zutreffend erkannt, dass der erwartete An- und Abfahrt-Verkehr in einem Allgemeinen Wohngebiet nicht hingenommen werden kann, deshalb eine Befreiung zulässigerweise abgelehnt. Anmerkung: Darauf, dass die Ausgangsbehörde hier eine faktische Befreiung erteilt hat, kommt es nicht an. Insoweit ist die Genehmigungserteilung allerdings außerdem ermessensfehlerhaft, worauf 21

22 sich der Nachbar aufgrund seines Gebietserhaltungsanspruchs berufen kann. Zwischenergebnis: Das Vorhaben des B war danach nach 34 BauGB unzulässig. γ Zwischenergebnis Das Vorhaben des B war damit nicht genehmigungsfähig. (c) Zwischenergebnis Die Baugenehmigung darf dem B nicht erteilt werden. (3) Zwischenergebnis Die Erteilung einer Baugenehmigung an B wäre insgesamt rechtswidrig. bb) Rechtsverletzung Die rechtswidrige Erteilung der Baugenehmigung (unter Befreiung von den Regelanforderungen) würde den Nachbarn in seinem Gebietserhaltungsanspruch aus 34 Abs. 2 BauGB, 4, 13 BauNVO (hilfsweise in seinem Anspruch auf Rücksichtnahme, 31 Abs. 2 Hs. 2 BauGB) verletzen. c) Zwischenergebnis Der Widerspruch des N war damit begründet. 4. Zwischenergebnis Die Aufhebung der Baugenehmigung durch Widerspruchsbescheid war damit formell und materiell rechtmäßig. II. Rechtsverletzung des B Weil die Aufhebung der Baugenehmigung rechtmäßig war, kann B hierdurch auch nicht in seinem Recht aus 72 Abs. 1 SächsBO verletzt sein. III. Zwischenergebnis Die Klage des B ist damit unbegründet D. Ergebnis 22

23 Die Klage des B hat keine Aussicht auf Erfolg. Fallabwandlung: Zulässigkeit der Klage des B I. Verwaltungsrechtsweg Erforderlich ist zunächst, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Mangels auf- oder abdrängender Sonderzuweisungen richtet sich dies nach 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hiernach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet. Die streitentscheidenden Normen entstammen in diesem Fall dem Baurecht und sind damit öffentlich-rechtlicher Natur. Eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art liegt vor, der Verwaltungsrechtsweg nach 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist eröffnet. II. Statthafte Klageart Entscheidend für die Bestimmung der statthaften Klageart ist das Begehren des Klägers. B begehrt den Erlass eines Widerspruchsbescheids, den die Behörde bisher unterlassen hat. Dieser ist ein VA gem. 1 SächsVwVfZG i.v.m. 35 VwVfG (vgl. auch 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (vgl. VGH Mannheim, ESVGH 43, 142). Statthafte Klageart ist somit die Verpflichtungsklage gem. 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO. III. Klagebefugnis Nach 42 Abs. 2 VwGO muss B geltend machen können, durch die Unterlassung des VA in eigenen Rechten verletzt zu sein. Fraglich ist, welches Recht des B durch den Nichterlass des Widerspruchsbescheids verletzt sein könnte Abs. 1 Satz 1 VwGO Grundsätzlich gibt es kein einklagbares subjektives Recht auf Erlass eines Widerspruchsbescheids. Ein solches lässt sich nicht aus 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach im Fall der Nichtabhilfe ein Widerspruchsbescheid ergeht, herleiten. 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO regelt aus kompetenzrechtlichen Gründen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) das Widerspruchsverfahren nur als Vorverfahren eines Verwaltungsprozesses und normiert damit nur eine prozessuale Verpflichtung der Behörde. Diesen prozessualen Charakter teilt die Bescheidungspflicht nach 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO, womit auf deren Erfüllung kein subjektiv einklagbares Recht i. S. des 42 Abs. 2 VwGO besteht. 23

24 Dies zeigt auch die Regelung des 75 VwGO, die für den Fall der Untätigkeit der Widerspruchsbehörde nur bestimmt, dass nach Ablauf der dort genannten Frist der materielle Anspruch als das Sachbegehren unmittelbar, d.h. ohne Durchführung eines Vorverfahrens mit der entsprechenden Klage verfolgt werden kann. Schließlich führt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift im Vorverfahren, wenn der Widerspruchsbescheid hierauf beruht, gem. 79 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur zur Aufhebung des Widerspruchsbescheids; ein Verpflichtungsausspruch gegenüber der Widerspruchsbehörde, einen neuen Widerspruch zu erlassen, erfolgt nicht. Die dahingehende, nur prozessuale Verpflichtung der Widerspruchsbehörde besteht aufgrund der weiterhin gegebenen Abhängigkeit des Widerspruchs besteht aufgrund der weiterhin gegebenen Abhängigkeit des Widerspruchs. 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthält folglich kein subjektives Recht auf Erlass eines Widerspruchsbescheids. (a. A.: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, vor 68, Rdnr. 13; : Der Bürger hat im Hinblick auf den Rechtsschutzzweck des Vorverfahrens und weil im Rechtsstaat den Verpflichtungen der Verwaltung [ ergeht ] grundsätzlich subjektive Rechte der Bürger entsprechen, einen mit der Verpflichtungsklage verfolgbaren Anspruch auf Erlass des Widerspruchsbescheids.) 2. Materieller Anspruch Zu beachten ist hier jedoch, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Erlass eines den Nachbarwiderspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheids bei genauer Sicht nicht der soeben beschriebene und verneinte allgemeine Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids ist, sondern das rechtstechnische Gewand für den dahinterstehenden materiellen Anspruch. Bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen hat B einen Anspruch auf Erlass der beantragten Baugenehmigung nach 72 Abs. 1 SächsBO. Dieser Anspruch ist auf eine bestandskräftige Baugenehmigung gerichtet, denn nur eine bestandskräftige Baugenehmigung ist eine vollwertige i.s.v. Art 14 Abs. 1 GG, 72 Abs. 1 SächsBO. Das Eintreten der Bestandskraft wurde aber bisher durch die Einlegung des Nachbarwiderspruchs verhindert. Dieses Manko kann der Bauherr nur mit Erhebung der hier in Frage stehenden Klage beheben (vgl. VGH Mannheim, ESVGH 43, 142, 144). 24

25 Die Klagemöglichkeit ist auch ein Gebot der Waffengleichheit: Bei einem VA mit Doppelwirkung, wie der Baugenehmigung, sollen beide Parteien die gleichen prozessualen Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung ihrer jeweiligen gegenläufigen Interessen haben, wie auch die Regelung des 80a VwGO im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes zeigt. Dem Nachbarn steht in diesem Fall der Untätigkeit jedoch die Möglichkeit offen, gem. 75 VwGO Anfechtungsklage gegen das streitige Bauunternehmen in Form der Untätigkeitsklage zu erheben (vgl. VGH Mannheim, ESVGH 43, 142, 145). Ohne eine entsprechende Klagemöglichkeit wäre der Bauherr gegen die Untätigkeit der Widerspruchsbehörde machtlos, was auch der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG widersprechen würde (vgl. VGH Mannheim, DVBl 1994, 707, 708) Die Klagebefugnis des B ergibt sich somit unmittelbar aus 72 Abs. 1 SächsBO. IV. Passive Prozessführungsbefugnis Fraglich ist, wer passiv prozessführungsbefugt ist. Dies richtet sich nach 78 Abs. 1 Nr. 1 i.v.m. 78 Abs. 2 VwGO, wonach die Klage gegen den Träger der Behörde zu richten ist, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat. Träger der Landesdirektion ist der Freistaat Sachsen, der damit passiv prozessführungsbefugt ist, vgl. 6 Abs. 1 Satz 1 SächsVwOrgG. V. Beteiligtenfähigkeit B ist beteiligtenfähig nach 61 Nr. 1, 1. Alt. VwGO als natürliche Person. Der Freistaat Sachsen ist gleichfalls nach 61 Nr. 1, 2. Alt. VwGO als juristische Person des öffentlichen Rechts beteiligtenfähig. VI. Prozessfähigkeit Die Prozessfähigkeit des B richtet sich nach 62 Abs. 1 Nr.1 VwGO, für den Freistaat Sachsen nach 62 Abs. 3 VwGO. VII. Vorverfahren Üblicherweise ist vor Erhebung der Verpflichtungsklage ein Vorverfahren nach 68 Abs. 2 i.v.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO durchzuführen. Hier war über den Widerspruch aber innerhalb einer Frist von mehr als drei Monaten nicht entschieden worden, so dass nach 75 Satz 1, Satz 2 VwGO die Klage auch ohne die Durchführung eines Vorverfahrens 25