Public Private Partnership beim Autobahnbau - Einstieg in die Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland?

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1 5. Europäischer Verkehrskongress Juni 2006, Brünn / Tschech. Rep. Public Private Partnership beim Autobahnbau - Einstieg in die Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland? mit einem Fallbeispiel aus Niedersachsen Prof. Dr. Jürgen Deiters & Dipl.-Geogr. Simon Deutler Institut für Geographie der Universität Osnabrück D Osnabrück

2 PPP-Projekte in Deutschland 2000 bis 2005 nach Jahr des Vertragsabschlusses (kumuliert) Deutsches Institut für Urbanistik (DIFU): Public Private Partnership Projekte. Eine aktuelle Bestandsaufnahme in Bund, Ländern und Kommunen. Studie im Auftrag der PPP Task Force. Berlin

3 Anzahl der PPP-Projekte* nach Projektinhalten Kommunen Länder * PPP-Projekte im weiteren Sinne, das sind alle in der Befragung genannten Infrastrukturprojekte, also auch solche ohne vertragliche Vereinbarung weiterer Leistungen im Rahmen des Lebenszyklus (Planen Bauen Finanzieren Betreiben Verwerten) Quelle: Umfrage in Bund, Ländern und Kommunen der PPP Task Force beim BMVBW (DIFU 2005) 3

4 PPP-Modelle für den Bundesfernstraßenbau Autobahn-Ausbaumaßnahmen als PPP-Projekte (A-Modelle) die A 8 in Bayern (Augsburg West München Allach) die A 4 in Thüringen (Waltershausen Herleshausen) die A 1 / A 4 in Nordrhein-Westfalen (Düren Kreuz Köln Nord) die A 5 in Baden-Württemberg (Baden-Baden Offenburg) die A 1 in Niedersachsen (Dreieck Buchholz/Hamburg Bremer Kreuz) Refinanzierung durch Lkw-Maut und Anschubfinanzierung des Bundes Betreibermodelle für abgegrenzte Vorhaben wie Brücken, Tunnel und Gebirgspässe nach dem FStrPrivFinG von 1994 (F-Modelle), u.a. Warnowtunnel Rostock, Travetunnel Lübeck (abgeschlossen) Albaufstieg im Zuge der A 8 Elbequerung nordwestlich Hamburg (A 20) Der Betreiber kann von allen Nutzern, auch Pkw und leichten Lkw, Gebühren erheben 4

5 Privatfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur Empfehlungen der sog. Pällmann-Kommission 2000 Die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen 1999 eingesetzte Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung kam im September 2000 zu folgenden Empfehlungen: Ausgliederung der Bundesverkehrswege aus der Bundesverwaltung und Schaffung einer Bundesfernstraßenfinanzierungsgesellschaft Umstellung von der Haushalts- auf eine Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur auf der Basis strecken-/belastungsbezogener Nutzerentgelte Weiterentwicklung der Finanzierungsgesellschaft zu einer Betreibergesellschaft bzw. zu Betreibergesellschaften Die Reformvorschläge der Pällmann-Kommission wurden nicht umgesetzt 5

6 Privatfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats für Verkehr Der Wissenschaftliche Beirat für Verkehr beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen legte im März 2005 sein Gutachten mit folgenden Empfehlungen vor: Gesamtplanung der Verkehrswege sowie Umweltschutz und Verkehrsicherheit sollen Staatsaufgaben bleiben alle übrigen Aufgaben wie Entwurf, Bau, Finanzierung und Betrieb von Verkehrswegen sollen privaten Akteuren übertragen werden Vergabe von Gesamtnetz- oder Teilnetzkonzessionen Einbeziehung aller Nutzergruppen in Entgeltfinanzierungssysteme und deren Ausweitung auf überregional bedeutsame Bundesstraßen strikte Zweckbindung der Einnahmen für die Verkehrsinfrastruktur und Steuersenkung zur Kompensation der Nutzerbeiträge 6

7 Fallbeispiel Küstenautobahn A 22 (Niedersachsen) Künftige Realisierung als PPP-Straßenbauprojekt? als weiterer Bedarf mit Planungsrecht nach dem Bundesverkehrswegeplan 2003 befindet sich die Küstenautobahn A 22 in einem frühen Planungsstadium 7

8 Warum sich die Küstenautobahn als Testfall für neue Finanzierungs- und Betreibermodelle der Bundesfernstraßen in Deutschland eignet: für das Projekt Küstenautobahn konnte ein starkes regionale Interesse mobilisiert werden (Land, Kommunen und Wirtschaft der Region teilen sich die Planungskosten) Fertigstellung der Küstenautobahn durch Privat- oder Mischfinanzierung in 3-5 Jahren (nach Planfeststellung) erwartet gegenüber Jahren bei herkömmlicher Finanzierung durch Bund und Land hohe regionalwirtschaftliche Bedeutung der Küstenautobahn, vor allem für den Hinterlandverkehr der großen Seehäfen (insb. Jade-Weser-Port als künftiger Tiefwasserhafen) und für den Tourismus die Küstenautobahn soll die Hansalinie A 1 Hamburg-Ruhrgebiet entlasten und beeinflusst daher die Refinanzierung ihres sechsspurigen Ausbaus (zwischen Hamburg und Bremen) als PPP-Projekt (A-Modell) die Küstenautobahn erfordert zum Anschluss an die A 20 eine zweite Elbquerung nordwestlich Hamburg, die im Unterschied zum Elbtunnel in Hamburg (A 7) als PPP-Projekt (F-Modell) mautpflichtig ist 8

9 Projekt Küstenautobahn (A 22) aus regionaler Sicht RAG Regionale Arbeitsgemeinschaft Bremen/Niedersachsen: Vordringliche Verkehrsprojekte (2003) 9

10 Bessere Kooperation der norddeutschen Seehäfen durch Vernetzung der Küstenstandorte Niedersächsischer Industrie- und Handelkammertag (NIHK): Die Wirtschaft braucht die A 22, Plädoyer für eine durchgängige Küstenautobahn in Deutschland, Hannover

11 Bedeutung der A 22 für den künftigen Jade-Weser-Port Jade-Weser-Port, der neue Tiefwasserhafen für den Containerverkehr (ab 2010): Küstenautobahn zur Erweiterung des Hafenhinterlandes und zur Kooperation der Hafenstandorte Wilhelmshaven und Bremerhaven Quelle: NIW Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung: Raum- und wirtschaftsstrukturelle Untersuchung für die A 22 Küstenautobahn. Hannover, Nov

12 Stärkung von Wilhelmshaven beim Containerumschlag im Wettbewerb der Häfen der Nordrange Verlagerung der Containerverkehre mit Osteuropa von den westlichen zu den östlichen (deutschen) Nordseehäfen NIW

13 Küstenautobahn A 22 als Bestandteil transeuropäischer Verkehrskorridore BAW Institut für regionale Wirtschaftsforschung GmbH: europaregion-nordwest.de Konzeptstudie im Auftrag der nordwestdeutschen Industrie- und Handelskammern. Bremen, Nov

14 Innerregionale Verkehrsverlagerungen Differenz der Verkehrsbelastungen 2015 zwischen Planfall (A 22) und Bezugsfall: Tsd. Kfz/Werktag auf A 22, Abnahme um 9-10 Tsd. Kfz/Werktag auf A 1 Ingenieurgruppe IVV et al. : Fernstraßennetz im Nordwestdeutschen Küstenraum. Vergleich der verkehrswirtwirtschaftlichen und umweltbezogenen Wirkungen der A 20 (bis Sittensen) und A 22 (bis Westerstede). Aachen, Hannover

15 Großräumige Umverteilung des wachsenden Straßengüterverkehrs im Nordwesten bis 2020 A22 A1 A1 ohne Küstenautobahn mit Küstenautobahn A 1 (HH/Buchholz Bremen): Lkw/Werktag A 1 (HH/Buchholz Bremen): Lkw/Werktag A 1 (Bremen AD A1/A29): Lkw/Werktag A 1 (Bremen AD A1/A29): Lkw/Werktag A 22 (Elbe- / Wesertunnel): Lkw/Werktag A 22 (Wesertunnel Varel): Lkw/Werktag Beratergruppe Verkehr+Umwelt (BVU), Institut für Seeverkehrswirtschaft u. Logistik (ISL): Abschätzung von Verkehrsmengen aus dem Seehafen-Hinterlandverkehr für eine Küstenautobahn A 22 im Jahre Bremen/Freiburg

16 Realisierung der Küstenautobahn als F-Modell? Das deutsche F-Modell entspricht dem britischen BOT-Modell (Build-Operate- Transfer), d.h. ein privates Konsortium baut und betreibt das Straßenprojekt, erhebt Nutzungsgebühren und gibt das Projekt nach Ablauf der Nutzungsdauer (20-35 Jahre) an den Staat zurück. Vorteile: Betreiber erhebt selbst Nutzungsgebühren (Maut) für Lkw und Pkw/Busse die Mauthöhe ist abhängig von den Gesamtkosten einschl. Gewinnzuschlag Betreiber kann über die Mauteinnahmen unmittelbar verfügen Nachteile: Alternativroute Hamburg Bremen (A7 / A1) lässt auf der Küstenautobahn kaum höhere Lkw-Mautsätze zu als auf übrigen Autobahnen Akzeptanz für Nutzungsgebühren bei Pkw und Bussen nur bei deutlichen Reisezeitvorteilen Mautpflichtige Elbequerung im Zuge der A20 / A22 (neu) im Wettbewerb mit mautfreiem Elbtunnel in Hamburg 16

17 Realisierung der Küstenautobahn als A-Modell? Das A-Modell wurde für den Ausbau bestehender Autobahnen (i.d.r. von vier auf sechs Fahrspuren) und nicht für den Neubau konzipiert. Es kommt daher für das Fallbeispiel Küstenautobahn nur bedingt in Betracht. Vorteile: Betreiber erhält staatliche Anschubfinanzierung (bis zu 50% der Baukosten) mögliche Kosteneinsparungen durch Effizienzgewinne erhebliche Verkürzung der Bauzeit gegenüber traditioneller Herstellung Nachteile: Anschubfinanzierung reicht zum Ausgleich fehlender Mauteinnahmen von Pkw, leichten Lkw und Bussen nicht aus höheres Verkehrsmengenrisiko als beim Ausbau bestehender Autobahnen Betreiber hat zu wenig Einfluss auf die wirtschaftliche Ausgestaltung des Straßenprojekts 17

18 Realisierung der Küstenautobahn als DBFO-Modell? PPP-Mischmodell als Alternative: DBFO-Modell (Design-Build-Finance-Operate), in GB entwickelt und erfolgreich umgesetzt Unterschied zum BOT-Modell: Privater wird bereits an der Planung beteiligt (besserer Risikoausgleich); die Refinanzierung erfolgt durch regelmäßige Zahlungen der öffentlichen Hand. Vorteile: Minderung des Betreiberrisikos durch Vergütungszahlungen, die sich an der Verfügbarkeit (nutzbare Fahrstreifen), nicht an Verkehrsmengen orientieren Modell setzt kein Entgeltsystem für alle Verkehrsteilnehmer voraus (in Deutschland ist die Pkw-Maut politisch umstritten) Nachteile: Gesamtkosten durch Private voraussichtlich höher als bei herkömmlicher Herstellungsweise (gegen den Vorteil der Bauzeitverkürzung abwägen) mit anderen PPP-Straßenbauprojekten im Verkehrskorridor der A 22 (Ausbau A 1 als A-Modell, Elbequerung als F-Modell) nur bedingt verträglich 18

19 F a z i t Die Befürchtung des Wissenschaftlichen Beirats für Verkehr beim BMVBS, verschiedene Einzelprojekte privat finanzierter Verkehrsanlagen könnten zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Lösungen führen, die sich später nur schwer in einen Gesamtrahmen einfügen, scheint sich zu bestätigen. Im vorliegenden Fall sollte für die drei PPP-Straßenbauprojekte eine Teilnetzlösung mit nur einem Betreiberkonsortium angestrebt werden. Ein sich selbst finanzierendes System der Verkehrsinfrastruktur setzt die Einbeziehung aller Nutzergruppen in die Entgeltfinanzierung voraus. Die deutsche Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungs-Gesellschaft (VIFG) sollte analog zur österreichischen ASFINAG weitere Kompetenzen wie Planung, Erhaltung und Finanzierung des Bundesfernstraßennetzes erhalten. Im Unterschied zum österreichischen Modell kommen für Deutschland eher Teilnetzkonzessionen für verschiedene private Betreiber in Betracht. 19