Projekt Geschlechtergerechte Sprache in Rechtstexten des Landes Vorarlberg ein Leitfaden für die Praxis
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- Johanna Pfeiffer
- vor 8 Jahren
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1 Projekt Geschlechtergerechte Sprache in Rechtstexten des Landes Vorarlberg ein Leitfaden für die Praxis Vorschlag nach dem Diskussionsstand vom 11. September 2004 Text: Gerold Amann I. Bedeutung des Leitfadens Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel, sie wirkt bewusstseinsbildend und ist insofern auch Spiegelbild unserer Gesellschaft. Einseitiger Sprachgebrauch wird benachteiligend empfunden und wirkt auch benachteiligend, weil mit der Sprache bestimmte Vorstellungen verbunden sind und bei einseitigem Gebrauch die unterschiedlichen Lebenssituationen oft nicht ausreichend Berücksichtigung finden. Rechtsvorschriften haben Regelungen über das Zusammenleben der Menschen in einer Gesellschaft zum Inhalt. Besonders Rechtsvorschriften zeichnen sich aber durch eine nahezu ausschließliche Präsenz der männlichen Sprachform aus, in der die Existenz der Frauen bestenfalls über einen meist zu Beginn des Rechtstextes vorzufindenden Hinweis auf die weibliche Sprachform mitgedacht werden kann. Diese Form der sprachlichen Gleichbehandlung der Frauen ist weder zeitgemäß, noch wird sie dem Anliegen, Frauen in der Sprache sichtbar und damit auch bewusst zu machen, gerecht. II. Anwendungsbereiche und Inhalt des Leitfadens Anwendungsbereiche des Leitfadens sind Gesetze und Verordnungen des Landes Vorarlberg sowie Erläuterungen zu denselben. Der Leitfaden enthält die wichtigsten Prinzipien sprachlicher Gleichbehandlung. Durch Beispiele für geschlechtergerechte Formulierungen soll er zur Sensibilisierung im Umgang mit der gewählten Sprachform beitragen. Um zu vermeiden, dass die Verwendung geschlechtergerechter Formulierungen die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Rechtstexte beeinträchtigt, werden praktische Möglichkeiten eines kreativen Einsatzes von Ausdrucksformen aufgezeigt. Der Leitfaden ist so konzipiert, dass er sowohl von jenen, die die Texte produzieren, als auch von allen, die sich später mit diesen Texten beschäftigen müssen, leicht angenommen werden kann. Nur eine breite Akzeptanz sichert die Durchsetzung der sprachlichen Gleichbehandlung
2 III. Problematik eindeutiger Lösungsansätze Theoretisch ist das Problem geschlechtergerechter Formulierung sehr leicht zu lösen, nämlich durch konsequente Verwendung der Paarform überall dort, wo grammatische Maskulina als Personenbezeichnungen vorkommen. (Bsp.: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter). Eine Umsetzung dieser Lösung ist aber aus mehreren guten Gründen weder möglich noch wünschenswert: 1. Die Texte werden wegen der zu beachtenden Kongruenzen grammatisch so kompliziert, dass ihre Lesbarkeit sehr stark beeinträchtigt ist (Bsp: Die oder der Vorgesetzte hat einmal jährlich mit jeder oder jedem ihrer oder seiner Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter ein Mitarbeitergespräch oder ein Mitarbeiterinnengespräch zu führen ). 2. Die gehäuften Wortwiederholungen beeinträchtigen die stilistische Qualität. 3. Die einzelnen Sätze enthalten so viele Redundanzen, dass es großer Anstrengung bedarf, die Lektüre nicht alsbald abzubrechen. 4. Die konsequente Verwendung der Paarform bringt eine zu starke Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch mit sich. Ungewohnte Formulierungen werden nicht akzeptiert und sind schon allein deswegen nicht durchsetzbar (man denke nur an die großen Widerstände gegen die im Vergleich um ein Vielfaches geringeren Änderungen im Zuge der Rechtschreibreform). IV. Dreistufenplan der Textkonzeption Stufe 1 Zunächst werden alle Möglichkeiten geschlechtsneutraler Formulierung (siehe Punkt V) ausgeschöpft, um die Verwendung der Paarform zu vermeiden. Stufe 2 Die Paarform wird verwendet, wenn es keine Umformulierungsmöglichkeit gibt, vordringlich aber dann, wenn das grammatische Maskulinum einen geschlechtssensiblen Bereich betrifft. Dies ist hauptsächlich dann der Fall, wenn es um Machtpositionen oder Berufsstereotype geht (Bsp.: Obmann, Präsident, Direktor, Arzt, Dienstnehmer, Näherin, ). Je nach Kontext wird die Paarform mit und oder oder verknüpft. Welche Form vorangestellt wird, bleibt der Praxis überlassen; es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass innerhalb des Rechtstextes die gewählte Systematik beibehalten wird. Zu vermeiden sind die Ausdrücke und/oder und bzw
3 Stufe 3 Sollte die Wahl der Paarform zu einer massiven Beeinträchtigung der sprachlichen Qualität des Rechtstextes führen (z. B. bei einer Häufung innerhalb eines Textes), dann kann in Ausnahmefällen von einer geschlechtsneutralen Formulierung abgesehen werden, jedoch nur, wenn sich aus dem Kontext zweifelsfrei ergibt, dass die gewählte Form geschlechtsneutral gemeint ist. Dies ist insbesondere bei eingebürgerten Rechtstermini der Fall (Bsp.: Nachbar, Pächter, Gläubiger, Schuldner, Inhaber, Eigentümer, Kapitalgeber, ) oder wenn das Wort in einem Kompositum nicht als Grundwort, sondern nur als Bestimmungswort vorkommt (Bsp.: Mitarbeitergespräch, Ärztehonorar). Die Qualität des Rechtstextes und das Ziel des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs sind in jedem einzelnen Fall gegeneinander abzuwägen. V. Grammatische Möglichkeiten geschlechtsneutraler Formulierung 1. Verwendung substantivierter Verben oder Adjektive im Plural: die Angestellten, die Jugendlichen, die Studierenden, die Teilnehmenden, die Vermögenden, die Bediensteten, die Anspruchsberechtigten 2. Adjektivierung: die zahnärztliche Behandlung statt die Behandlung durch den Zahnarzt, fachärztliche Betreuung statt ärztliche Betreuung durch Fachärzte und Fachärztinnen, sind nicht als ärztliche Ordinationsstätten anzusehen statt sind nicht als Ordinationsstätten von Ärzten und Ärztinnen anzusehen, das einberufende Mitglied statt der Einberufer oder die Einberuferin, die antragstellende Person statt der Antragsteller oder die Antragstellerin, die bevollmächtigte Person statt der oder die Bevollmächtigte 3. Verwendung geschlechtsabstrakter Personenbezeichnungen: Person, Personal, Belegschaft, Kollegium, Delegation, Präsidium, Individuum, Patientenanwaltschaft, Volksanwaltschaft die mit der Sachwalterschaft verbundenen Kosten statt die mit der Tätigkeit des Sachwalters oder der Sachwalterin verbundenen Kosten, Bestellung der mit der Jagdverwaltung betrauten Person statt Bestellung des Jagdverwalters oder der Jagdverwalterin - 3 -
4 4. Ersetzung von Nomina durch Gliedsätze: Wer die Verhandlung leitet statt die Verhandlungsleiterin oder der Verhandlungsleiter, Personen, die ein Verwaltungspraktikum absolvieren statt der Verwaltungspraktikant und die Verwaltungspraktikantin 5. Verwendung abstrakter Nomina: die Teilnahme berechtigt zu statt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind berechtigt 6. Verwendung geschlechtsneutraler Pronomina: alle statt jedermann, spärlicher Einsatz von man jede Person ist berechtigt statt jedermann ist berechtigt 7. Sporadische Verwendung von Passivformen: Es wird darauf verwiesen statt Der Amtsvorsteher verweist darauf. Hier ist zu beachten, dass die gehäufte Verwendung des Passivs stilistisch problematisch ist, unpersönlich wirkt und außerdem die handelnde Person nicht immer weggelassen werden kann. 8. Pronomina durch Artikel ersetzen: Niemand wird wegen der Hautfarbe diskriminiert statt Niemand wird wegen seiner oder ihrer Hautfarbe diskriminiert VI. Zusätzliche Regeln 1. Verzicht auf Binnen-I (LeiterInnen) und Schrägstrich (Leiter/innen), da diese nur gelesen, nicht aber gesprochen signifikant sind. 2. Verzicht auf Einklammerung, da hier die weibliche Form als sekundär erscheint: Leiter(in) 3. Verzicht auf offensichtlich antiquierte Ausdrücke: Bsp.: Haushaltsvorstand, Obsorgeberechtigter, 4. Verzicht auf überflüssige Ausdrucksformen: Im Mitarbeitergespräch sind die Arbeitsziele der Stelle, der Arbeitserfolg der Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen und deren die Aufgabenstellung im Folgejahr zu erörtern. 5. Neue Rechtstexte sind von Anfang an geschlechtsneutral zu konzipieren. Eine herkömmliche Formulierung mit anschließender Umarbeitung bringt keine befriedigenden Ergebnisse
5 6. Bei Novellierungen in größerem Umfang empfiehlt sich eine generelle sprachliche Anpassung. Bei kleinen Änderungen werden nur die novellierten Passagen geschlechtsneutral formuliert, doch ist darauf zu achten, dass es dabei nicht zu inhaltlichen Veränderungen bzw. Unklarheiten kommt. 7. Verfassungsrechtlich vorgegebene Organbezeichnungen sind kein Hinderungsgrund, geschlechtsneutral umzuformulieren, zumal sich Änderungen in der Praxis auf untergeordneter Ebene häufig schon eingebürgert haben. Bsp.: Landeshauptfrau, Landesrätin, Bürgermeisterin Bei der Wahl geschlechtsabstrakter Ausdrücke ist aber darauf zu achten, dass es nicht zu unzulässigen Bedeutungsverschiebungen kommen kann. Bsp.: Bundesminister als verantwortliches Organ im Gegensatz zu Bundesministerium als Hilfsapparat 8. Bei Institutionen bestimmt das jeweilige grammatische Geschlecht, ob im unmittelbaren Kontext Femininum, Maskulinum oder Neutrum verwendet wird: Bsp.: die Gemeinde als Schulerhalterin, das Land als Schulerhalter - 5 -
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