AG zur Vorlesung Strafrecht Besonderer Teil April 2009 Sommersemester Benzin-Fall
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- Peter Schmitt
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1 Prof. Dr. Klaus Marxen Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie AG zur Vorlesung Strafrecht Besonderer Teil April 2009 Sommersemester Benzin-Fall A fährt mit seinem PKW an einer Selbstbedienungstankstelle vor und hält neben einer. Er steigt aus und tankt 45 Liter Superbenzin, wobei eine Kontrolllampe im Verkaufsraum den Vorgang anzeigt. Dort unterhält sich der Kassierer gerade intensiv mit einem anderen Kunden. A kommt auf den Gedanken, die Situation zu nutzen. Mit einem Satz springt er in seinen Wagen, startet und fährt davon. Der Kassierer kann sich gerade noch das Kennzeichen merken. Er war aufmerksam geworden durch das Klingelgeräusch, das ein quer über die Ausfahrt gelegtes Kabel im Verkaufsraum verursacht, wenn ein Fahrzeug darüber fährt. Nach kurzer Fahrt wird A von einem Polizeiwagen angehalten.
2 2. Benzin-Fall Seite 2 Zusammenstellung der Prüfungsansätze Das Gesamtgeschehen legt nahe, eine Strafbarkeit des A wegen Betruges gem. 263 Abs. 1 StGB, wegen Diebstahls gem. 242 Abs. 1 StGB und wegen Unterschlagung gem. 246 Abs. 1 StGB zu prüfen. Für die Prüfung von Betrug und Diebstahl kann bereits an die Handlung des Tankens angeknüpft werden (so der vorliegende Lösungsvorschlag). Dafür spricht, dass sich zu diesem Zeitpunkt der Gewahrsamswechsel an dem Benzin vollzieht. Es ist jedoch einzuräumen, dass das Verhalten des A zu diesem Zeitpunkt dem eines gewöhnlichen Kunden entspricht. Auch verfolgt er während des Tankvorgangs noch keine deliktischen Absichten. Deshalb ist es ebenfalls gut vertretbar, eine Prüfung von Betrug und Diebstahl erst (oder zusätzlich) für die Handlung des Wegfahrens vorzunehmen. Das Ergebnis der Prüfung ändert sich dadurch jedoch nicht. Auch im Wegfahren ist weder eine Täuschung zu sehen (A gibt zu diesem Zeitpunkt nicht vor, zahlungsbereit zu sein), noch eine Wegnahme (A war zu diesem Zeitpunkt bereits Inhaber des Gewahrsams). Für die Prüfung der Unterschlagung kommen ebenfalls beide Handlungen als Anknüpfungspunkt in Betracht. Der vorliegende Lösungsvorschlag nimmt eine Prüfung für das Wegfahren vor, weil diese Handlung das Gesamtgeschehen abschließt. Es ist jedoch vertretbar, auch das Tanken bereits zum Gegenstand einer entsprechenden Prüfung zu machen. Im Ergebnis ist eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung für diese Handlung jedoch zu verneinen. Für die Begründung werden unterschiedliche Erwägungen angeführt. Es scheint nahe liegend, die Rechtswidrigkeit der Zueignung zu verneinen, weil der Inhaber der Tankstelle zu diesem Zeitpunkt mit dem Einfüllen des Benzins einverstanden war. 1 Handlung: dadurch mglw. erfüllte Straftat: Einfüllen des Benzins 263 Abs. 1 StGB (1. Teil, A.) 242 Abs. 1 StGB (1. Teil, B.) Wegfahren 246 Abs. 1 StGB (2. Teil) 1 Anders etwa Lange/Trost, die eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung für diese Handlung erst wegen fehlenden Vorsatzes im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit ablehnen, JuS 2003, 961, 963.
3 2. Benzin-Fall Seite 3 Prüfungsgliederung und Hinweise zur Lösung 1. Teil: Strafbarkeit des A durch das Einfüllen des Benzins in den Tank A. Betrug gem. 263 Abs. 1 StGB I. Tatbestandsmäßigkeit Objektiver Tatbestand Täuschung über Tatsachen ( ) Gegenstand der Täuschung kann vorliegend allenfalls die Zahlungsbereitschaft des A gewesen sein. Zum Zeitpunkt des Tankens war dieser jedoch noch zur Zahlung bereit. Eine Täuschung ist deshalb zu verneinen. II. Ergebnis: 263 Abs. 1 StGB ( ) B. Diebstahl gem. 242 Abs. 1 StGB I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand a) fremde bewegliche Sache (+) b) Wegnahme ( ) Wegnahme bedeutet den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig eigenen Gewahrsams. 2 Gewahrsam ist die tatsächliche Herrschaft über eine Sache, die von einem entsprechenden Willen getragen ist und sich nach der Verkehrsanschauung beurteilt. 3 Gewahrsam an dem Benzin hatte demnach zunächst der Betreiber der Tankstelle. Mit dem Einfüllen in den Tank hat A sodann neuen Gewahrsam begründet. Der Gewahrsamswechsel erfolgte jedoch im Einverständnis mit dem Tankstellenbetreiber. Denn bei einer Selbstbedienungstankstelle ist dieser damit einverstanden, dass seine Kunden selbständig Benzin in ihren Tank einfüllen. Damit fehlt es an einem Bruch des fremden Gewahrsams. Das Benzin ist daher nicht weggenommen worden. 2. Zwischenergebnis: Tatbestand ( ) 2 Rengier, BT I, 11. Aufl. 2009, 2 Rn Vgl. Rengier (Fn. 2), 2 Rn. 11.
4 2. Benzin-Fall Seite 4 II. Ergebnis: 242 Abs. 1 StGB ( ) 2. Teil: Strafbarkeit des A durch das Wegfahren Unterschlagung gem. 246 Abs. 1 StGB I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand a) bewegliche Sache (+) b) Schwerpunkt: fremd (+/ ) Zum Zeitpunkt des Wegfahrens könnte A bereits alleiniges Eigentum an dem Benzin erworben haben. Dann wäre es für ihn keine fremde Sache mehr gewesen. aa) In Betracht kommt zunächst ein gesetzlicher Eigentumserwerb durch Vermischung mit dem noch im Tank vorhandenen Benzinrest nach 948 Abs. 1, 947 Abs. 1 BGB. Danach könnte A jedoch allenfalls Miteigentümer des Benzins geworden sein. Damit wäre das Benzin für A noch immer eine fremde Sache. Der Erwerb von alleinigem Eigentum nach 948 Abs. 1, 947 Abs. 2 BGB scheidet vorliegend aus. Da A 45 Liter Benzin getankt hat, war im Tank allenfalls noch eine geringe Menge an Benzin vorhanden, die nicht als Hauptsache im Sinne von 947 Abs. 2 BGB angesehen werden kann. bb) Möglicherweise ist A jedoch durch rechtsgeschäftlichen Erwerb gem. 929 Satz 1 BGB alleiniger Eigentümer des Benzins geworden. Dies setzt grundsätzlich eine Einigung über den Übergang des Eigentums voraus, sowie eine Übergabe und die Berechtigung des Veräußerers. Zweifel bestehen hier lediglich an einer entsprechenden Einigung. Diese ist ein dinglicher Vertrag ( 145 ff. BGB), dessen Zustandekommen zwei entsprechende Willenserklärungen voraussetzt. Bei der Auslegung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist darauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte. Die Auslegung erfolgt also auf der Grundlage eines verobjektivierten Empfängerhorizonts, vgl. 133, 157 BGB. (1) In Betracht kommt zunächst, das Angebot zur Übereignung in der Freigabe der zu sehen. Die Annahme würde dann im Einfüllen des Benzins durch den Kunden liegen. Auf diese Weise findet der Eigentumsübergang nach
5 2. Benzin-Fall Seite 5 üblichem Verständnis auch bei einem Warenautomaten statt. Danach wäre A bereits alleiniger Eigentümer des Benzins geworden. (2) Eine andere Möglichkeit besteht darin, in der Freigabe der lediglich eine Aufforderung zur Abgabe von Angeboten zu erblicken (invitatio ad offerendum). 4 Das Angebot zur Übereignung bestünde dann erst im Einfüllen des Benzins durch den Kunden. Zu einem Eigentumswechsel wäre es danach noch nicht gekommen, wenn man davon ausgeht, dass die Annahme des Angebots durch den Kassierer erst zum Zeitpunkt des Bezahlens erfolgt. 5 Diese Konstellation entspricht der herrschenden Auffassung zum Eigentumsübergang in einem Selbstbedienungsladen. Danach wäre das Eigentum an dem Benzin noch nicht auf A übergegangen. (3) Zu beachten ist jedoch, dass sich die Interessenlage an einer Selbstbedienungstankstelle von den geschilderten Konstellationen unterscheidet. 6 Anders als bei einem Warenautomaten ist der Kunde an der Tankstelle nicht vorleistungspflichtig. Der Verkäufer hat deshalb ein gesteigertes Interesse, das Eigentum bis zur Bezahlung noch zu behalten. Die Interessenlage von Käufer und Verkäufer weicht aber auch von der Situation in einem Selbstbedienungsladen ab. Denn dort erfolgt die endgültige Konkretisierung der Ware, die übereignet werden soll, erst an der Kasse. Bis dahin kann der Kunde sich (bei den meisten Produkten) auch noch gegen den Erwerb entscheiden. An der Tankstelle ist die Ware dagegen mit Beendigung des Tankvorgangs konkretisiert. Eine Rückgabe des eingefüllten Benzins ist faktisch nur noch schwer möglich. Der Käufer hat deshalb ein gesteigertes Interesse daran, eine gesicherte Stellung im Hinblick auf den Eigentumserwerb zu erlangen. Der Interessenlage von Käufer und Verkäufer entspricht deshalb die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts. Auf sachenrechtlicher Ebene hat dieser die Wirkung, dass die Einigung über den Übergang des Eigentums zwar bereits mit der Beendigung des Tankens erfolgt, aber unter der aufschiebenden Bedingung der Zahlung steht, 929 Satz 1, 158 Abs. 1 BGB. Damit ist auf der einen Seite für den Verkäufer sichergestellt, dass er sein Eigentum nur nach erfolgter Zahlung verliert. Und auf der anderen Seite ist für den Käufer gewährleistet, dass sein Eigentumserwerb nicht mehr einseitig durch den Verkäufer gehindert wer- 4 OLG Düsseldorf NStZ 1982, So OLG Koblenz NStZ-RR 1998, Zum folgenden Lange/Trost, JuS 2003, 961, 963 f.
6 2. Benzin-Fall Seite 6 den kann. Mit seinem Anwartschaftsrecht erhält der Käufer eine gesicherte Erwerbsposition. Bei einer Beurteilung nach dem verobjektivierten Empfängerhorizont, der maßgeblich von der Interessenlage der beteiligten Parteien abhängt, ist im vorliegenden Fall also von der konkludenten Vereinbarung eines Eigentumsvorbehaltes auszugehen. Da die Bedingung der Kaufpreiszahlung jedoch nicht eingetreten ist, hat A das Eigentum an dem Benzin auch rechtsgeschäftlich nicht erworben. Das Benzin war für ihn damit auch zur Zeit des Wegfahrens noch eine fremde Sache. (Die Gegenauffassung ist ebenfalls vertretbar; für sie kann insbesondere die fehlende Schutzwürdigkeit des Verkäufers angeführt werden, der selbst entscheiden kann, ob er sich das Eigentum an dem Benzin bis zur Bezahlung in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorbehält.) c) Zueignung (+) Im Verbrauch des Benzins durch A ist eine Manifestation seines Zueignungswillens zu sehen. d) Rechtswidrigkeit der Zueignung (+) 2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz gem. 15 StGB (+) II. Rechtswidrigkeit (+) III. Schuld (+) IV. Ergebnis: 246 Abs. 1 StGB (+) Zum Nacharbeiten Lange/Trost, JuS 2003, 961 ff. Marxen, Kompaktkurs BT, 2004, S. 265 ff. (mit abweichender Bewertung der Eigentumslage).
7 2. Benzin-Fall Seite 7 Übersichtsgrafik Einigung über den Eigentumsübergang an der Selbstbedienungstankstelle OLG Düsseldorf, NStZ 1982, 249 OLG Hamm NStZ 1983, 266 OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364 invitatio ad offerendum ---- Freigabe der (Freigabe der ) (Freigabe der ) Angebot Freigabe der Tanken Tanken Tanken Annahme Einfüllen des Benzins Hinnahme des Tankens Hinnahme des Tankens (Einigung an der, aber Eigentumsvorbehalt) an der Kasse (arg: Selbstbedienungsladen) Eigentumsübergang an der an der an der Kasse an der Kasse Benzin ist mit dem Einfüllen bereits in das Eigentum des Kunden übergegangen 246 Abs. 1 StGB (-) Benzin beim Wegfahren ohne zu bezahlen = fremde Sache 246 Abs. 1 StGB (+)
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