52. Treffen des Arbeitskreises Angewandte Gesprächsforschung (AAG) Wissen in der institutionellen Kommunikation

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1 52. Treffen des Arbeitskreises Angewandte Gesprächsforschung (AAG) Wissen in der institutionellen Kommunikation 24. und 25. Mai 2013 in Bayreuth, Gebäude: GWI, Raum: S120 Abstracts Organisation: Alexandra Groß Inga Harren Information: 1

2 Inhalt: 1. Das Rahmenthema 2. Programm 3. Abstracts 1. Das Rahmenthema Wissen in der institutionellen Kommunikation In der institutionellen Kommunikation hat Wissen eine besondere Relevanz. Dies gilt nicht nur für Institutionen, deren explizite Aufgabe im Wissenstransfer besteht, wie Schule, Universität, Ausbildung oder auch Beratungen, vielmehr spielen Asymmetrien und Differenzen bei Wissensbeständen von Gesprächspartner/innen in (fast?) allen Institutionen eine große Rolle. In Verkaufsgesprächen wird zu einem gewissen Anteil fachbezogenes Wissen vermittelt; in Reklamationsgesprächen handeln die Institutionenvertreter gemäß ihres Wissens über die firmeninterne Abläufe; Manager, Juristen und Ärzte agieren auf der Basis ihres Fachwissens, das im Gespräch mit dem Klienten für unterschiedliche Zwecke (z. B. Diagnosestellung im Arzt-Patient-Gespräch) relevant gesetzt wird. Aber nicht nur das "Expertenwissen", sondern auch das Laienwissen steht im Fokus linguistischer Forschung: Die Bearbeitung und Konstruktion gemeinsamen Wissens fordert zum einen den interaktiven Abgleich unterschiedlicher Wissensbestände, zum anderen bringen Laien aber auch selbst (semi)professionelles Wissen in die Interaktion ein. Nicht zuletzt müssen in vielen Arbeitszusammenhängen auf der Basis von Wissen Entscheidungen in Teams getroffen werden, teilweise von Beteiligten mit unterschiedlichen Herkunftssprachen und disziplinären Zugehörigkeiten. Wir danken der Fritz Thyssen Stiftung für die finanzielle Unterstützung der Tagung! 2

3 2. Programm Warming up: Donnerstag, ab Uhr im Sinnopoli, Badstraße 13, bei schönem Wetter im Biergarten ( Freitag, 24. Mai :00 Eintreffen und Begrüßung 9:30 Vorstellung und Berichte der Teilnehmenden 10:45 Kaffeepause Alexandra Groß / Inga Harren (Universität Bayreuth): Einführung Vortrag Miriam Morek (Technische Universität Dortmund): Du schlauer Vortrag Junge! - Wissen in Interaktionen mit und unter Kindern Mittagspause Michael Klemm (Universität Koblenz-Landau): Die multimodale Vortrag Konstruktion von Expertenwissen. Betrachtungen am Beispiel des Klimawandel-Diskurses im Fernsehen Ramona Pech (Universität Bayreuth): Wenn der Wissenstransfer zu Datensitzung scheitern droht: Praktiken der Informationsvermittlung in der HIV/Aids-Prävention Kaffeepause Maria Egbert (Süddänische Universität, Sønderborg): 'Subjektives' und Vortrag 'objektives' Wissen in der audiologischen Diagnose Ulla Kleinberger/ Sandra Hanselmann/ Igor Matic (Zürcher Vortrag Hochschule für Angewandte Wissenschaften): "Sie nehmen das alleine, oder? Wissensverhandlungen zwischen PflegerInnen und fremdsprachigen KlientInnen in der häuslichen Pflege Kaffeepause Astrid Porila (Universität Chemnitz): Wissen und Verstehen in Datensitzung Migrationsbehörden Ende ab 20 Uhr Abendessen im Oskar, Maximilianstraße 33 ( Samstag, 25. Mai :00 Thomas Spranz-Fogasy (IDS Mannheim): Kognitiva in prädiagnostischen ärztlichen Mitteilungen Jenny Winterscheid (IDS Mannheim): Wenn Eltern die Beschwerdenschilderung übernehmen Die Beanspruchung der Wissenshoheit in pädiatrischen Gesprächen Kaffeepause Christina Burbaum (Universität Freiburg)/ Karin Birkner (Universität Bayreuth): Wissenstransfer als Suchbewegung im Therapiegespräch Caroline Weinzinger (Universität Zürich): Wissenskonstruktion in Online-Coaching-Prozessen Kaffee und Brötchen Reflexion und Abschluss Ende der Tagung Vortrag Vortrag Vortrag Datensitzung 3

4 3. Abstracts Dr. Miriam Morek (Dortmund) "Du schlauer Junge!" - Wissen in Interaktionen mit und unter Kindern In meinem Beitrag gehe ich der Frage nach, welche Rolle diskursive Praktiken des Umgangs mit Wissen und Wissensasymmetrien in Interaktionen mit und unter Kindern spielen. Ausgehend von der Annahme, dass wissensdarlegende und wissensverhandelnde Diskurspraktiken wie z.b. Erklären und Argumentieren stets mit der interaktiven Herstellung und Aushandlung epistemischer Autorität verbunden sind ( Wer weiß etwas (besser)? Wer darf etwas wissen? ) (Liebscher/Dailey-O'Cain 2007; Stukenbrock 2009; Sidnell 2012), untersuche ich, ob und auf welche Weise Kinder in verschieden Interaktionskontexten an solchen wissensbezogenen Praktiken teilhaben. Datengrundlage sind audio-/videographierte Interaktionen von Schüler/innen in Familien-, Peer- und Unterrichtsinteraktionen (u.a. aus dem laufenden Projekt DisKo, Diskursive Praktiken von Kindern in außerschulischen und schulischen Kontexten, TU Dortmund, U. Quasthoff). In vergleichender Perspektive zeigt sich, dass Kinder verschiedener Familien und Milieus in außerschulischen Interaktionssituationen in sehr unterschiedlichem Maße an Diskurspraktiken teilhaben, die sich zentral um die Darlegung und Aushandlung von Wissen drehen. Während einige Kinder regelhaft in ihren Familien und Cliquen Gesprächssituationen begegnen, in denen sie z.b. im Rahmen von Erklärsequenzen aktiv an der Bearbeitung von Wissensasymmetrien beteiligt sind, haben andere Kinder kaum Zugriff auf derartige Erfahrungen (z.b. weil stets die Eltern erklären und/oder weil in der Clique wissensdarlegende Praktiken nicht angesagt sind). Vor diesem Hintergrund stellt sich die insbesondere auch unter sprachdidaktischen Gesichtspunkten relevante Frage, wie es Kindern mit ihren unterschiedlichen (Vor)Erfahrungen und habitualisierten Praktiken gelingt, mit schulischen Anforderungen der mündlichen Darlegung von Wissen umzugehen und sich im Kontext des Klassenzimmers als Wissende zur präsentieren. Prof. Dr. Michael Klemm (Koblenz): Die multimodale Konstruktion von Expertenwissen. Betrachtungen am Beispiel Klimawandel-Diskurs im Fernsehen Experten gehören praktisch seit Beginn zum Stamminventar des Fernsehens. Sie erläutern uns das politische Geschehen, erklären wissenschaftliche, medizinische oder technische Zusammenhänge, orientieren uns im Alltag. Dabei sind sie angewiesen auf Glaubwürdigkeit und Autorität, die wie alles in einer Interaktion erst einmal reflexiv über Accounts konstruiert werden müssen und das stets in einem multimodalen Zusammenspiel (dazu Diekmannshenke / Klemm / Stöckl 2011) von Zeichen. Meine These: Nicht nur das Doing being an expert lässt sich analysieren, sondern auch das Doing presenting an expert der Fernsehmacher. Im Vortrag sollen Verfahren rekonstruiert werden, die in einer Kombination aus Sprachhandlungen, Wortwahl, Prosodie, Ton, Bildauswahl, Kameraoperationen, Setting und manchem mehr Experten-Autorität konstruieren (wollen), um die Zuschauer von der Kompetenz des Sprechers zu überzeugen (prinzipiell zu diesen Techniken auch Klemm 2011b, 2013). Oder aber andererseits Wissen in Zweifel zu ziehen, da man eine Person ebenso multimodal diskreditieren kann. Als Beispiel 4

5 dient der populärwissenschaftliche Klimawandel-Diskurs (vgl. Klemm 2011a, Neverla / Schäfer 2012) im Fernsehen, der besonders prägnant zu zeigen scheint, wie man in einem wissenschaftlich kontroversen Phänomenbereich Expertise schafft oder anzweifelt und so in Mediendiskursen implizit Position bezieht. Literatur: Diekmannshenke, Hajo / Michael Klemm / Hartmut Stöckl (Hg.) (2011): Bildlinguistik. Theorien Methoden Fallbeispiele. Berlin: Erich-Schmidt-Verlag. Klemm, Michael (2011a): Bilder der Wissenschaft. Verbale und visuelle Inszenierungsstrategien der populären Wissenschaftspräsentation. In: Olivier Agard / Christian Helmreich / Hélène Vinckel (Hg.): Das Populäre. Untersuchungen zu Interaktionen und Differenzierungsstrategien in Literatur, Kultur und Sprache. Göttingen: V&R Unipress, Klemm, Michael (2011b): Bilder der Macht. Wie sich Spitzenpolitiker visuell inszenieren (lassen) eine bildpragmatische Analyse. In: Hajo Diekmannshenke / Michael Klemm / Hartmut Stöckl (Hg.): Bildlinguistik. Berlin: Erich-Schmidt-Verlag, Klemm, Michael (2013): Wenn Politik auf Einspielfilme trifft. Zur multimodalen Argumentation in der politischen Fernsehdiskussion Hart aber fair. In: Heiko Girnth / Sascha Michel (Hg.). Multimodale Kommunikation in Politik-Talkshows. Forschungsansätze zwischen Theorie und Praxis. Stuttgart: Ibidem (im Druck). Neverla, Irene / Mike S. Schäfer (Hg.) (2012): Das Medien-Klima: Fragen und Befunde der kommunikationswissenschaftlichen Klimaforschung. Wiesbaden: Springer VS. Ramona Pech (Bayreuth) Wenn der Wissenstransfer zu scheitern droht: Praktiken der Informationsvermittlung in der HIV/Aids-Prävention (Datensitzung) Das Dissertationsprojekt Wissen in der Interaktion beschreibt die HIV/Aids-Prävention in der Dominikanischen Republik als eine Form der Experten-Laien-Kommunikation. Es untersucht die Sprachhandlungen von Präventionsgebern und Präventionsempfängern im Aufklärungsgespräch und arbeitet mit Methoden der linguistisch-ethnographischen Gesprächsanalyse die Charakteristika und Dynamiken des dabei stattfindenden Wissenstransfers heraus. Die Analyse basiert auf einem Sprachkorpus, das im Frühjahr 2012 in Santo Domingo erhoben wurde. Entscheidend für eine gelungene Wissensvermittlung sind die Orientierung an der Laienperspektive und der adäquate Zuschnitt des Fachwissens. Dies erfordert vom Präventionsgeber, die Expertise und das Verständnisniveau der Präventionsempfänger einzuschätzen, die richtigen Teile des Expertenwissens auszuwählen und adressatengerecht und verständlich zu vermitteln. In der Datensitzung soll anhand von ausgewählten Audio/Video- und Transkriptausschnitten der zentralen Frage nachgegangen werden, inwiefern die Laienperspektive das Expertenhandeln steuert. Wann orientiert sich der Experte am Laienwissen? Wann knüpft er nicht daran an? Mögliche Fragestellungen sind hierbei: Wann und wie fragen die Präventionsgeber das Laienwissen ab und wie gehen sie mit den Antworten der Präventionsempfänger um? Welche Wissensbestände werden vom Experten ausgewählt und wie werden sie verbalisiert? Wie wird mit Fachterminologie umgegangen? Welche Erklärungs- und Veranschaulichungsstrategien kommen zum Einsatz? 5

6 Welche Verfahren der Verständnissicherung werden verwendet? Welche Rückmeldesignale geben die Präventionsempfänger? Prof. Dr. Maria Egbert (Sønderborg) 'Subjektives' und 'objektives' Wissen in der audiologischen Diagnose In Deutschland verwenden nur 15% der Hörbehinderten ein Hörgerät, obwohl es für die meisten keine andere medizinisch-technologische Hilfe gibt. Von den Patienten, die einen Arzt oder Hörgeräteakustiker aufsuchen, werden nur 12% mit einem Hörsystem versorgt. Diese Zahlen zeigen, dass außer den psycho-sozialen Barrieren (z.b. Stigma) die Interaktion zwischen Audiologen und Patienten selten erfolgreich verläuft. Eine Hauptaufgabe der Hörgeräteakustiker liegt darin, die 'objektive' Hördiagnose, (erstellt durch ein Audiogramm) in Zusammenhang zu bringen mit den 'subjektiven' Hörbeschreibungen des Patienten. Hier kommt es oft zu Diskrepanzen. Diese konversationsanalytische Studie widmet sich diesen Deskrepanzen. Die Analyse von authentischen Videoaufnahmen zeigt, wie interaktionelle Resourcen im Umgang mit solchen Diskrepanzen genutzt werden, insbesondere Reparaturen, abrupter Themenwechsel und sequentielle Positionierungen. Als methodischer Rahmen für die Anwendung der Ergebnisse der konversationsanalytischen Untersuchung werden die Ansätze "User-Centred Design" und "Social Innovation" herangezogen. Prof. Dr. Ulla Kleinberger/ Sandra Hanselmann/ Igor Matic (Zürich) "Sie nehmen das alleine, oder? Wissensverhandlungen zwischen PflegerInnen und fremdsprachigen KlientInnen in der häuslichen Pflege Die sprachliche Verständigung zwischen Pflegepersonen und Patientinnen und Patienten gilt als grundlegende Voraussetzung für einen effizienten und effektiven Pflegeprozess. Wenn diese Kommunikation aufgrund limitierter Sprachkenntnisse der Patientinnen und Patienten eingeschränkt ist, kann dies zu Schwierigkeiten führen. Dies zeigt sich besonders deutlich in Situationen, in denen pflegerelevantes Wissen ausgehandelt wird. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt OLBiHN (Overcoming Language Barriers in Homecare Nursing) untersucht anhand von Tonaufnahmen authentische Pflegeinterventionen in mehrsprachigen Settings der häuslichen Pflege (Spitex). Aus linguistischer Sicht stellen sich dabei folgende Fragen: Welche Strategien wenden Gesprächsteilnehmer an, um Wissen auszutauschen und zu generieren? In welchen Situationen und in welcher Form treten dabei Schwierigkeiten auf? Im Vortrag soll exemplarisch aufgezeigt werden, wie komplex und vielfältig die kommunikativen Herausforderungen für die Beteiligten sind. Der Fokus liegt dabei auf sprachlichen Praktiken, welche im Handlungsfeld der Spitex besonders häufig zur Wissensverhandlung eingesetzt werden. Ziel des Forschungsprojektes ist es, die Resultate für die Pflegeausbildung, insbesondere zur Verbesserung der sprachlichen Ausbildung von Pflegefachpersonen und deren Sensibilisierung für mehrsprachige Kontexte, nutzbar zu machen. Astrid Porila (Chemnitz) Wissen und Verstehen in Migrationsbehörden (Datensitzung) Asymmetrien im Wissen der Aktanten stellen in Institutionen für beide beteiligte Parteien, Agenten und Klienten, oft ein Problem dar, das kommunikativen Mehraufwand erfordert. Wenn aber je nach Institutionsspezifik weitere Asymmetrien hinzukommen, Ungleichheiten, was die Macht der Beteiligten und ihre persönliche Betroffenheit angeht, gepaart mit 6

7 unterschiedlichem Zugang zur Sprache, die in der institutionellen Kommunikation verwendet wird, kann dieser kommunikative Aufwand auch stark abnehmen, obwohl die Wissenskluft bestehen bleibt. So entstehen Asymmetrien hinsichtlich des Verstehens und Mangel an verstehensbezogenen Handlungen. Beispiele für solche sich kumulierenden Asymmetrien zeigen die Handlungsbedingungen in der Kommunikation zwischen Agenten und Klienten von deutschen Migrationsbehörden. Ihre Abwehrfunktion gegenüber ihrem Klientel und die gesetzliche Festlegung auf Deutsch als Behördensprache bringen Diskurse hervor, in denen die Verantwortung zu verstehen größtenteils beim Klienten liegt. Unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gestalten sich auch die verstehens- und verständigungsbezogenen Asymmetrien in einer Migrationsbehörde milder, obwohl der behördenspezifische Zwangscharakter der Kommunikation und ihr Hauptzwecke, Migration zu kontrollieren und zu steuern, bestehen bleiben. Meine Aufnahmen aus einer Migrationsbehörde in Estland dokumentieren Fälle, in denen Agenten ihre Klienten zum einen in deren Muttersprache bedienen und selbst mit Problemen des Kommunizierens in einer Fremdsprache konfrontiert sind. Zum anderen arbeiten die Agenten unter anderen politischen Prämissen und folglich unter anderer Zwecksetzung der Behörde als ihre Kollegen in deutschen Ausländerbehörden. Vergleiche von Praktiken der Wissensvermittlung und von verstehensbezogenen Handlungen anhand des Materials aus sowohl deutschen als auch estnischen Migrationsbehörden stellen also eine ergiebige Analyse- und Diskussionsgrundlage für unsere Datensitzung dar. Prof. Dr. Thomas Spranz-Fogasy (Mannheim) Kognitiva in prädiagnostischen ärztlichen Mitteilungen Explizite und implizite Verweise auf Kognitionen spielen in ärztlichen Gesprächen mit Patienten eine wesentliche Rolle. Sie zeigen an, welche epistemischen Operationen, welche medizinischen und alltagsweltlichen Konzepte und Kategorien und welche logischen Verfahren Ärzte durchführen bzw. nutzen. Verweise auf Kognitionen dienen dabei unterschiedlichen Zwecken. Sie zeigen den Verstehens- und Gewissheitsstatus des Arztes an, dokumentieren die epistemische Grundlage ärztlicher Äußerungen und dienen der Erfassung, Sammlung und Ordnung der verschiedenen Aspekte eines Beschwerdenbildes. Die Informationsaufbereitung bringt einzelne Beschwerdensachverhalte auf ein vergleichsfähiges Abstraktionsniveau und macht sie damit integrationsfähig bzgl. einer Diagnose. Dieser Vorgang geschieht aber nicht linear, sondern ist stets abhängig von der Komplexität des Beschwerdenbildes, den Entwicklungen des Interaktionsprozesses und den Erfordernissen medizinischen Handelns. Die jeweiligen Erkenntnisse sind dabei Ausgangspunkt weiterer explorativer Aktivitäten. Kognitiva dokumentieren auch die laufende professionelle Arbeit des Arztes und sind zugleich Verweise auf seine fachliche Kompetenz und Autorität. Insbesondere die Verwendung alltagsweltlich vertrauter Kategorien und Operationen trägt zum Ausgleich der Wissenswelten bei und schafft so eine gemeinsame intersubjektive Basis. Die Trias von Transparenz, Kompetenz bzw. Autorität und Wissensausgleich, die qua Verweisen auf kognitive Vorgänge erzeugt wird, bildet eine wesentliche Basis für Vertrauen seitens des Patienten und damit auch für Compliance, die Mitarbeit des Patienten an seiner Therapie. 7

8 Jenny Winterscheid (Mannheim) Wenn Eltern die Beschwerdenschilderung übernehmen Die Beanspruchung der Wissenshoheit in pädiatrischen Gesprächen In der Phase der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration, in welcher das spezifische Fallwissen über die Beschwerden seitens des Patienten und das allgemeine medizinische Wissen des Arztes [ ] abzugleichen (Spranz-Fogasy 2005:21) sind, trifft man in pädiatrischen Arzt-Patient-Gesprächen häufig auf Korrekturen oder Rederechtsübernahmen zwischen der erwachsenen Begleitpersonen und den betroffenen Patienten. Dies führt letztendlich in vielen Fällen dazu, dass die Patienten sich verbal immer mehr zurücknehmen und den Eltern das Rederecht völlig überlassen. In meinem Vortrag möchte ich auf der Basis meiner bei vier Kinderärzten erhobenen Daten (35 Aufnahmen, davon 18 zusätzlich auf Video) herausstellen, wie Aushandlungsprozesse bezüglich der epistemischen Autorität (Heritage/Raymond 2005) zwischen Eltern und Patienten während der Phase der Beschwerdenschilderung das weitere Gespräch prägen und Strategien aufzeigen, wie diesen Konfliktsituationen in dieser bereits durch die triadische Struktur erschwerten Kommunikationssituation vonseiten des Arztes vorgebeugt werden kann. Literatur: Heritage, John/Raymond, Geoffrey (2005): The Terms of Agreement: Indexing Epistemic Authority and Subordination in Talk-in-Interaction. In: Social Psychology Quarterly 68, S Spranz-Fogasy, Thomas (2005): Kommunikatives Handeln in ärztlichen Gesprächen. In: Neises, Mechthild/Ditz, Susanne/Spranz-Fogasy, Thomas (Hrsg.): Psychosomatische Gesprächsführung in der Frauenheilkunde. Ein interdisziplinärer Ansatz zur verbalen Intervention. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, S Prof. Dr. Karin Birkner (Bayreuth), Dr. Christina Burbaum (Freiburg) Wissenstransfer als Suchbewegung im therapeutischen Gespräch Wissen über medizinische Vorgänge, Krankheit und Gesundheit ist nicht nur beim medizinisch ausgebildeten Personal, sondern auch bei den Patient/innen vorhanden, die sich in Behandlung befinden. Diese Wissensbestände werden als "Subjektiven Krankheitstheorien" gefasst und nach Faller (1997: 265) in Abgrenzung zu medizinischen Krankheitstheorien definiert als [ ] Vorstellungen von Patienten über das Wesen, die Entstehung und die Behandlung ihrer Erkrankung [ ]. Im A/P-Gespräch treffen subjektive und medizinische Krankheitstheorien einander. Das Sprechen über Gesundheit und Krankheit beruht immer auf einem Prozess der Bedeutungszuschreibung, in dem körperliche Empfindungen interpretiert werden; Krankheitserfahrungen werden maßgeblich sozial konstruiert und durch kognitive Schemata und soziale Praktiken geformt (vgl. Kirmayer 1994). Als besonders dringlich erweist sich die Einbeziehung von subjektiven Krankheitstheorien bei Patient/innen mit medically unexplained symptoms (MUS), d.h. Körperbeschwerden, für die kein eindeutiger medizinischer Befund vorliegt. Die Bereitschaft für eine psychotherapeutische Behandlung setzt bei Patient/innen nicht nur die Anerkennung psychosomatischer Zusammenhänge, sondern auch deren Integration in ihre Subjektiven Krankheitstheorien voraus. Die Akzeptanz dieser Zusammenhänge für die eigenen Beschwerden steht jedoch immer in einem Spannungsfeld von Legitimierungsproblemen, Stigmatisierung und nicht zuletzt einem Defizit an diagnostischer Eindeutigkeit (Psychosomatik als Restkategorie). Der Vortrag basiert auf 44 8

9 psychosomatischen Konsilgesprächen mit 10 MUS-Patient/innen, die sich zur somatischen Abklärung stationär im Krankenhaus befanden. Im Zentrum steht die therapeutische Bearbeitung von Subjektiven Krankheitstheorien zwischen Patient/in und Therapeut/in, unter den besonderen Bedingungen von MUS und die Frage, wie Kausalattributionen unter diesen spezifischen Bedingungen interaktiv bearbeitet werden. Den methodischen Bezugsrahmen bildet die konversationsanalytisch geprägte Gesprächsforschung. Caroline Weinzinger (Zürich) Wissenskonstruktion in Online-Coaching-Prozessen Der Fokus der Datensitzung soll auf der Wissenskonstruktion und entwicklung im Rahmen von beruflichem Online-Coaching liegen. Coaching ist ein relativ junges, noch wenig beforschtes Beratungsformat. Üblicherweise wird Coaching in einer face-to-face-situation durchgeführt. Beim Online-Coaching hingegen, das Gegenstand meines Dissertationsprojekts ist, ist der Coaching-Prozess auf einer Online-Plattform in einer Forenstruktur angesiedelt. Die Kommunikation erfolgt somit schriftlich und asynchron. Da sich die Beteiligten in ihren Beiträgen jedoch wechselseitig aufeinander beziehen, muss eine Analyse über die Textanalyse hinaus diesem besonderen dialogischen Charakter gerecht werden. Das zu untersuchende Korpus umfasst vier Coaching-Prozesse beruflichen Coachings mit insgesamt ca. 550 Postings (insgesamt etwa 250 A4-Seiten). Eine Frage, mit der ich mich inhaltlich in meiner Dissertation auseinandersetze, ist: Mit welchen kommunikativen Strategien entwickeln Coachin und Klientin den Coaching-Prozess und wie bringt die Klientin Veränderungsprozesse im Verlauf eines Online-Coachings kommunikativ zum Ausdruck? Das heißt auch: Wie werden Veränderungen angestoßen und gemeinsam bearbeitet? Als zentrale personale Veränderungsmomente (Martens-Schmid, 2011: 63) gelten beim Coaching Selbstreflexion und Selbsterkenntnis. Daher besteht die Aufgabe einer Coachin darin, einen dialogischen Raum für die Vermehrung von Wissen über sich selbst zu schaffen (ebd.: 63, Hervorhebung durch C.W.). Im Rahmen der Datensitzung sollen in diesem Sinne Fragen im Vordergrund stehen wie: Wie erzeugen Coachin und Klientin diese Wissensvermehrung? Wie wird bestehendes Wissen in Frage gestellt oder umstrukturiert? Und welche neuen Wissensbestände treten dadurch hinzu? Wie verändert die Fokussierung auf Selbstreflexion die Bedeutung von Wissensasymmetrien?. Literatur: Martens-Schmid, Karin (2011): Wissensressourcen im Coachingdialog. In: Bernd Birgmeier (Hrsg.): Coachingwissen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 9