»THE FuTuRE OF WORK, EDuCATION & LIVING« KONFERENZ. Palais Kaufmännischer Verein, Linz 19. September

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1 PROCEEDINGS Aichinger Regina Gaisch Martina»THE FuTuRE OF WORK, EDuCATION & LIVING«KONFERENZ Palais Kaufmännischer Verein, Linz 19. September

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3 Proceedings KONFERENZ: COMING SOON - THE FUTURE OF WORK, EDUCATION & LIVING

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5 Proceedings KONFERENZ: COMING SOON - THE FUTURE OF WORK, EDUCATION & LIVING Linz, 19. September 2019

6 Die Verantwortung für den Inhalt der Texte liegt bei den AutorInnen. Kontakt FH Oberösterreich Franz-Fritsch-Straße 11/ Wels Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdrucks, der auszugsweisen oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen und der Übersetzung, vorbehalten. ISBN Printed in Austria. Herstellung: Trauner DRUCK GmbH & Co KG, Köglstraße 14, 4020 Linz, Austria, Umschlaggestaltung: COMO GmbH, Am Winterhafen 11, 4020 Linz, Austria Layout: DI Barbara Eigruber MBA, Marion Friedl BA, Victoria Rammer MA MA Linz 2019

7 VORWORT Konferenz: Coming Soon - The Future of Work, Education & Living Linz, 19. September 2019 Der technologische und demografische Wandel beeinflusst alle Aspekte unseres Lebens, von der Arbeitswelt über die Bildungswelt bis hinein in unser persönliches Umfeld und stellt Unternehmen und Bildungsorganisationen quer durch alle Branchen und Sektoren vor neue Herausforderungen. Laut internationalen Zukunftsstudien, bei denen weltweit mögliche Arbeitsszenarien für das Jahr 2030 analysiert wurden, werden zentrale Bereiche des uns bisher vertrauten Lebens einer dynamischen Veränderung unterworfen und damit in eine neue Dimension geführt: Industrie 4.0, Energie 4.0, Medizin 4.0, Landwirtschaft 4.0, Arbeiten 4.0, Studieren 4.0 etc. Nicht zuletzt aufgrund dieser dynamischen Entwicklungen lohnt es sich, unterschiedliche Perspektiven und Szenarien über die Auswirkungen von digitaler Transformation und globalen Trends zu beleuchten. In diesem Sinne lädt die FH OÖ dazu ein, die kommenden Herausforderungen in den Bereichen, Arbeitswelten, Bildungswelten und Lebenswelten aus wissenschaftlicher Sicht zu analysieren. Mit 37 Konferenzbeiträgen bietet dieser Proceedingsband einen breiten Überblick über innovative Ansätze in Arbeitskontexten, hochschulischen Welten und vielfältigen Lebensrealitäten. Als Organisatorinnen der Konferenz sowie als Herausgeberinnen des vorliegenden Proceedingsbandes danken wir allen Expertinnen und Experten für ihre Beiträge und die Aufbereitung der vielfältigen Forschungserkenntnisse. Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir eine interessante Lektüre. Dr. Regina Aichinger MSc & Mag. Dr. Martina Gaisch 5

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9 INHALTSVERZEICHNIS Konferenz: Coming Soon - The Future of Work, Education & Living Linz, 19. September 2019 Session A1 Arbeitswelten: Arbeiten 4.0 Riedl René, Auinger Andreas, Ebner Christine, Jodlbauer Herbert, Losbichler Heimo, Petz Gerald, Stieninger Mark, Überwimmer Margarethe, Wagner Gerold Erfolg durch Digitalisierung: Eine Managementperspektive...13 Wala Thomas, Schmid Judith Bewegungsförderung im Büro durch Active Workplace Design...21 Pukl Claudia, Billinger Barbara Persönliche Kompetenzen von Marketing Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zukunft Rammer Victoria, Friedl Judith Bedeutung von Soft Skills für die Beschäftigungsfähigkeit von Absolventen und Absolventinnen...45 Session A2 Arbeitswelten: Transformation Rubenzer Mario Wie sich Alumni-Vereine im deutschsprachigen Raum in den kommenden zehn Jahren wandeln müssen, um ihr Fortbestehen sicherzustellen...51 Ratheiser Kirsten Neue Professionen: zwischen Notwendigkeit und Identitätsfindung am Beispiel von Diversitätsexpert*innen...57 Kröppl Michaela Student centred learning in Chemie-Vorlesungen...63 Session A3 Arbeitswelten: Technische Lösungen Kronberger Gabriel, Wolfartsberger Josef, Wild Norbert, Zenisek Jan, Affenzeller Michael White-Box Predictive Maintenance...73 Beham Andreas, Hauder Viktoria, Raggl Sebastian, Karder Johannes, Wagner Stefan, Affenzeller Michael Industrielle Optimierung und Prozessautomation: Stahllogistik in Bewegung...79 Kriegel Johannes Use Case Entwicklung für Robotik-Einsatz in der stationären Altenversorgung

10 Session B1 Bildungswelten: Megatrends Gornik Elke Die Entwicklung und Bedeutung von Lifelong Learning und Weiterbildung im Hochschulsektor mit einem Fokus auf die österreichischen Fachhochschulen...95 Boldrino Susanna Digitalisierung und andere Megatrends Orientierung für Hochschulen auf dem Wandel in die Zukünfte Aichinger Regina, Park Elke Das Modell der entrepreneurial university - Innovation und Leistung am Beispiel der FH Oberösterreich Gaisch Martina, Kerschbaumer Berthold Informatikausbildung: QUO VADIS? Impulse von (potentiellen) Informatikstudentinnen zur Erhöhung des Frauenanteils in der Informatik Session B2 Bildungswelten: Transversale Skills Preymann Silke, Park Elke Diversitätsmanagement und Inklusion im Studienprogramm Lästige Aufgabe oder sinnvolle Praxis? Wagner Petra, Strohmeier Dagmar, Gradinger Petra Interkulturelle Lernkompetenz als Aspekt des Lebenslangen Lernens im Hochschulbereich Telsnig-Ebner Andrea Didaktik all inclusive mit Professionals in der Lehre Session B3 Bildungswelten: Didaktische Modelle Docherty Mathew, Kröppl Michaela Seamless Learning: Learning the Chemical Terms with Quizlet Schutti-Pfeil Gisela, Wagner Gerold, Ortner Wolfgang Das Inverted Classroom Modell und der Umgang mit heterogenen Bedürfnissen Docherty Mathew, Gaubinger Kurt Using State-of-the-Art Methodological Approaches to Enhance Interdisciplinary Synergies in STEM Subjects Session L1 Lebenswelten: Gesundheit Soziales Kriegel Johannes Patient Journey in der integrierten geriatrischen Komplexbehandlung Rau Christiane, Aschauer Andrea, Hagler Jürgen, Mathmann Katrin Partizipative Zukunftsstudie zum Einfluss von Digitalisierung auf das Wertschöpfungsnetzwerk Lebensmittel Brandl Paul, Ehrenmülller Irmtraud Die Neue Effizienz als Paradigmenwechsel und Forschungsansatz in der Sozialwirtschaft im Brennpunkt Wissenschaft trifft Praxis Fischer Thomas Wahrnehmung von digitalem Stress im Arbeitsalltag

11 Session L2 Lebenswelten: Technische Lösungen Cecon Franziska, Kränzl-Nagl Renate, Ortner Tina Akzeptanzstudie zum fahrerlosen Fahren von Regionalbahnen Winkler Stephan, Schaller Susanne, Dorfer Viktoria, Kronberger Gabriel, Affenzeller Michael Machine Learning in Medizin- und Bioinformatik Wie künstliche Intelligenz hilft, biologische und medizinische Prozesse zu verstehen Burgstaller Peter, Hermann Eckehard, Lampesberger Harald Beweiskraft von Bilddaten im Anbetracht der Manipulierbarkeit durch Verfahren der künstlichen Intelligenz Session L3 Lebenswelten: Wissensgesellschaft Maierl Katharina, Ortner Christina, Strohmaier Dagmar, Jadin Tanja, Gradinger Petra Chancengleichheit für die digitale Zukunft? Zur Entwicklung von Medienkompetenz bei sozial benachteiligten Jugendlichen Gaisch Martina, Linde Frank Der HEAD CD Frame: ein ganzheitlicher Zugang zu einem inklusiven Curriculum- Design auf Basis des HEAD Wheels Richter Juliane, Remias Daniel, Zwirzitz Alexander Nachhaltige Strategien zur Produktion von Biowertstoffen Session CS Coming Soon: Early Scholar Bachinger Florian, Kronberger Gabriel Management von lernfähigen Vorhersage-Modellen für Industrie-Anwendungen Obermeier Gabriele Die Auswirkungen der Customer Experience mit interaktiven Technologien im stationären Einzelhandel Edlinger Raimund, Froschauer Roman, Nüchter Andreas Robuste Algorithmen zur Situationsanalyse von flexiblen und mobilen Roboterassistenten Hauser Fabian Vascular Microlab AutorInnenverzeichnis Aphabetisches Verzeichnis aller AutorInnen

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13 SESSION A: Arbeitswelten A1 - Arbeiten 4.0 A2 - Transformation A3 - Technische Lösungen 11

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15 Erfolg durch Digitalisierung: Eine Managementperspektive René Riedl 1, Andreas Auinger 1, Christine Ebner 1, Herbert Jodlbauer 1, Heimo Losbichler 1, Gerald Petz 1, Mark Stieninger 1, Margarethe Überwimmer 1, Gerold Wagner 1 1 FH Oberösterreich Campus Steyr, Wehrgrabengasse 1-3, 4400 Steyr, Österreich, rene.riedl@fh-steyr.at, andreas.auinger@fh-steyr.at, christine.ebner@fh-steyr.at, herbert.jodlbauer@fh-steyr.at, heimo.losbichler@fh-steyr.at, gerald.petz@fh-steyr.at, mark.stieninger@fh-steyr.at, margarethe.ueberwimmer@fh-steyr.at, gerold.wagner@fh-steyr.at 1 EINLEITUNG Kaum ein Phänomen hat die Wirtschaft und Gesellschaft in den vergangenen Jahren so stark geprägt wie die Digitalisierung. Hess (2013) schreibt dazu: Der Begriff Digitalisierung kann auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden. Traditionell ist die technische Interpretation. Danach bezeichnet Digitalisierung einerseits die Überführung von Informationen von einer analogen in eine digitale Speicherform und andererseits thematisiert sie die Übertragung von Aufgaben, die bisher vom Menschen übernommen wurden, auf den Computer. Heute wird Digitalisierung häufig etwas breiter mit der Einführung digitaler Technologien in Unternehmen und als Treiber der digitalen Transformation gleichgesetzt. Das MIT Center for Digital Business und Capgemini Consulting (2011) definieren die digitale Transformation als the use of technology to radically improve performance or reach of enterprises. Für das Management von Unternehmen jeder Größenordnung stellen sich zunehmend Fragen wie In welcher Weise verändert der Einsatz digitaler Technologien betriebswirtschaftliche Abläufe?, Wie kann mein Unternehmen von der Digitalisierung profitieren? oder Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit Digitalisierungsvorhaben erfolgreich verlaufen? Antworten auf diese Fragen und dementsprechendes Managementhandeln sind die Basis, die genannten Chancen zu nutzen und weitere aus der Digitalisierung resultierende Erfolgspotenziale zu erschließen. Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft ist somit primär ein Managementthema und weniger auf die Technologiekomponente selbst fokussiert. 2 METHODISCHES VORGEHEN Die Inhalte dieses Beitrags basieren primär auf einer Sichtung von Fachliteratur. Charakteristisch für die vorliegende Abhandlung ist, explizit nicht nur auf wissenschaftliche Fachliteratur zurückzugreifen, sondern auch auf Beiträge aus der Praxis. Ein weiteres Merkmal des Beitrags ist, dass die Autoren ihre teilweise mehrere Jahrzehnte umfassende Erfahrung mit Projekten aus der betrieblichen Praxis einfließen lassen, wodurch die Praxisrelevanz des Beitrags gestärkt wird. 13

16 3 POTENZIALE DURCH DIGITALISIERUNG IN BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHEN BEREICHEN 3.1 Digitalisierung und Geschäftsmodelle Die Transformation klassischer Geschäftsmodelle im Handel, in der Industrie und auf dem Dienstleistungssektor hin zu digitalen Geschäftsmodellen stellt viele Unternehmen branchenübergreifend vor große Herausforderungen. Sowohl technologische Entwicklungen als auch das sich verändernde Kundenverhalten machen tiefgreifende Anpassungen notwendig (Stieninger et al., 2019). Geschäftsmodelle haben sich folglich bereits seit Beginn der Digitalisierungsbewegung als zentraler Bestandteil der digitalen Transformation etabliert (Westermann et al., 2011). Unternehmen, die Digitalisierung als Chance sehen und deren Potenziale heben möchten, haben mit der Geschäftsmodell-Innovation oder -Transformation ein Werkzeug zur Hand. Ein in Wissenschaft und Praxis vielfach verwendetes Modell von Gassmann et al. (2014) definiert ein Geschäftsmodell, wer die Kunden sind, was verkauft wird, wie das Angebot erbracht wird und warum das Geschäft Gewinne erwirtschaftet. Ein Geschäftsmodell kann als Blueprint eines Unternehmens interpretiert werden, in dem sowohl interne als auch externe Dimensionen dargestellt werden (Gassmann et al., 2014; Stieninger et al., 2019). Um neu entwickelte Geschäftsmodelle in die Realität umzusetzen, sind neben einem entsprechenden Change-Prozess einige Schritte im Unternehmen notwendig. Schallmo (2016) definiert dafür fünf Schritte (Phasen) in einer Roadmap zur digitalen Transformation: (i) Digitale Realität: Verständnis für die digitale Realität im Unternehmen schaffen; (ii) Digitale Ambition: Definition und Priorisierung der Ziele für das Geschäftsmodell; (iii) Digitale Potenziale: Ermitteln von Best Practices und Enablern für den Veränderungsprozess; (iv) Digitaler Fit: Bewertung der Optionen für die Ausgestaltung des digitalen Geschäftsmodells; (v) Digitale Implementierung: Finalisieren des digitalen Geschäftsmodells. 3.2 Digitalisierung in der Produktion Klassische materialisierte Produkte werden in vielen Bereichen durch Smart Connected Things (Porter und Heppelmann, 2014) und durch Dienstleistungen (Brauckmann, 2015) ergänzt bzw. substituiert. Fertigungsunternehmen müssen für die Entwicklung und Fertigung smarter Produkte Kompetenzen im Bereich smarte Komponenten aufbauen. Die kundenorientierte Bereitstellung von Dienstleistungen erfordert neue Paradigmen und Ansätze basierend auf den Unterschieden zwischen einer Dienstleistung und einem materiellen Produkt (Shekar, 2007). Wesentliche Eigenschaften von Dienstleistungen sind nicht greifbar, nicht separierbar, nicht lagerbar und ein hoher Individualisierungsgrad. Die Digitalisierung verändert auch die Produktion materialisierter Güter. (Digitale) Assistenzsystem (Deuse et al. 2015) werden Aufgaben in der Planung, Produktion, Logistik und Montage unterstützen. Data Mining und Business Analytics werden Beiträge leisten, um Prozesse zu automatisieren sowie zu optimieren (Strasser et al., 2019) und die Basis für automatisierte Entscheidungsfindung sein. Methoden der Mixed Reality werden Informationsvisualisierung und Assistenzsysteme unterstützen. Mit Mensch-Maschine-Kollaborationssystemen können die jeweiligen Stärken des Menschen und der Maschinen vorteilhaft kombiniert werden (Jodlbauer et al., 2018). Präskriptive Methoden finden in der vorausschauenden Instandhaltung 14

17 und in modernen Qualitätsmethoden Einzug (Allmendinger und Lombreglia, 2005). Schließlich werden in vielen Bereichen generative Fertigungsmethoden eine personalisierte Fertigung mit geringen Kosten und kurzen Lieferzeiten ermöglichen (Hofmann und Oetmaier, 2016). Eine digitalisierte Produktion baut auf neuen Paradigmen auf (Jodlbauer, 2018): On- Demand-Konzepte lösen Just-in-time Konzepte ab, personalisierte Produkte substituieren Produktvarianten und ganz allgemein Statisches, Vorgedachtes sowie dauerhaft fix Geplantes wird durch Dynamisches und ad-hoc Entstehendes verdrängt werden. 3.3 Digitalisierung in der Logistik Die Vielfalt neuer Kommunikationskanäle hat die Art und Weise wie Menschen kommunizieren verändert. Zusätzlich ist der Vernetzungsgrad zwischen unterschiedlichen Anwendern, Anwendungen und Endgeräten erheblich gestiegen. In diesem Kontext wird Hyper- Connectivity (Fredette et al., 2012) als die Vernetzung von allem und jedem vorangetrieben. Beispiele in der Logistik gibt es u.a. in den Bereichen Spedition und Lagernetzwerke. Die Innovation für Spediteure zielt dabei auf eine bessere Auslastung der Transportkapazitäten, die pünktliche Lieferung von Waren sowie eine Steigerung der Flexibilität auf Seiten der Verlader und Logistikdienstleister ab. Nachhaltige Lösungen müssen Infrastrukturen (z. B. Informationsinfrastruktur, Verkehrsinfrastruktur, Transportnetzwerk) effizient und effektiv nutzen und Logistikprozesse ganzheitlich sowie Akteurs-übergreifend optimieren. Hierfür ist die Bereitstellung relevanter Informationen, der zeitnahe Informationsfluss zwischen Akteuren und dessen Unterstützung durch adäquate Anwendungen unerlässlich. Aktuelle Studien zur Digitalisierung in der Logistik legen unterschiedliche Handlungsbedarfe für Forschung und Entwicklung offen Beispiele sind: Angst, den Anschluss bei der Digitalisierung der Transportbranche zu verlieren (Continental, 2016), fehlendes Know-how zur Digitalisierung, fehlende Unterstützung bei der Einführung von digitalen Lösungen durch das Management und die Mitarbeiter, Angst vor dem Verlust sensibler Daten, Angst vor dem Verlust des Wettbewerbsvorteils, Potenzialerschließung neuer Technologien und Geschäftsmodelle (z. B. autonomes Fahren, Infrastrukturanforderungen an autonomes Fahren, Logistikdienstleister-übergreifende Kollaborationsmodelle) sowie Veränderung der Branche durch disruptive Technologien (Berger, 2016). 3.4 Digitalisierung in Marketing und E-Business Die Fachliteratur definiert Marketing als Konzept der markt- und kundenorientierten Unternehmensführung. Digitalisierung bedeutet daher mehr als nur Anpassungen im Marketingmix mit Ausrichtung auf Werbung und Kommunikation. Auch wenn die operative Steuerung des Marketingmix nach den 4Ps (Product, Price, Place, Promotion) in der digitalen Welt überholt erscheint, so kann diese Strukturierung dennoch für mögliche Digitalisierungsansätze herangezogen werden. Das Produkt selbst kann mithilfe von digitalen Services und Dienstleistungen angereichert werden bzw. können digitale Produkte das Sortiment ergänzen. Im Rahmen der Preispolitik kann Dynamic pricing eingesetzt werden, um Preise in Echtzeit an Nachfrage und Angebot anzupassen. Die Distribution (Place) wird durch E-Commerce, Social Commerce sowie durch Verteilung mittels digitaler Kanäle erweitert. Im Bereich der Kommunikation (Promotion) sind mittlerweile eine Vielzahl von Online-Marketing-Kommunikationsinstrumenten und Online-Werbeformen verfügbar: Suchmaschinenmarketing (SEA 15

18 und SEO), Affiliate Marketing, Social Media Marketing und dergleichen. Darüber hinaus werden der Aufbau einer Einzigartigkeit des Leistungsangebotes und einer eindeutigen Differenzierung gegenüber den Mitbewerbern durch die Digitalisierung wesentlich unterstützt. Unter E-Business versteht man die Nutzung der Informationstechnologien für die Vorbereitung (Informationsphase), Verhandlung (Kommunikationsphase) und Durchführung (Transaktionsphase) von Geschäftsprozessen zwischen ökonomischen Partnern über innovative Kommunikationsnetzwerke (Kollmann, 2016, S. 55). Insofern sind Digitalisierung und die digitale Unterstützung implizite Bestandteile. E-Business fokussiert dabei auf die Bereiche Beschaffung, Verkauf und die Unterstützung innerbetrieblicher Abläufe. 3.5 Digitalisierung und Vertrieb, Export und B2B Marketing Wirft man einen Blick auf den industriellen Sektor, so hat gerade der Vertrieb eine wesentliche Rolle und Verantwortung als Sprachrohr des Unternehmens zum Kunden inne. Der persönliche Verkauf erfährt zunehmende Unterstützung durch systematische Erhebung von Daten und deren Nutzung sowie durch digitale Werkzeuge. In einer globalisierten, digitalisierten und vernetzten Welt ist es unumgänglich, dass sich Vertrieb und Marketing gemeinsam ausrichten, um die Customer Journey und die Customer Experience erfolgreich zu managen. Je mehr Kanäle ein Unternehmen nutzt und bedient, desto mehr Daten von unterschiedlicher Qualität über Kunden und Märkte werden gesammelt (Big Data). Aus diesen Daten müssen qualitativ hochwertige Informationen generiert und zusammengeführt werden, um sie strategisch in einem gesamtheitlichen Customer Relationship Management (CRM) zu nutzen. Somit ist CRM eine Frage der Strategie und Kultur. Um den Vertriebsprozess zielgerichteter planen und die Wirkung von Vertriebs- und Marketingmaßnahmen besser steuern zu können, können Business Intelligence und Analytics- Werkzeuge eingesetzt werden, was beispielsweise die Prognosegüte erhöht und Risiken reduziert und dadurch das Unternehmen langfristig absichert (Überwimmer 2019).Dem Verkauf selbst stehen während des Verkaufsprozesses digitale Tools zur Verfügung. Zur Leadgenerierung werden in der Industrie zunehmend digitale Instrumente wie SEO/SEM (Search Engine Optimization / Search Engine Marketing), soziale Medien und Influencer Marketing genutzt. Eine optimale Steuerung und ein kostenoptimierter Einsatz diverser Maßnahmen kann mit kompetenter Anwendung von Business-Analytics-Methoden unterstützt werden. Um aus den Leads attraktive Interessenten zu gewinnen, können Solution Finders, Live Chats und Chatbots die Chancen heben. Gerade durch die vorhandene Datenfülle setzen Unternehmen zunehmend strategisch auf Servitization. Dabei werden die Chancen durch industrielle und wissensbasierte Services genutzt, die Organisation wird danach ausgerichtet und neue Business-Modelle werden entwickelt und erfolgreich in internationalen Märkten eingesetzt. 3.6 Digitalisierung in Finanzierung und Controlling Die Konsequenzen der Digitalisierung sind heute das bestimmende Thema in der einschlägigen Fachliteratur und den Fachkongressen des Finanzbereichs. Dieser ist jedoch weit verzweigt und unterteilt sich in den Bereich der Finanzdienstleistungen (Banken, Kapitalmarkt, 16

19 Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Versicherungen, etc.) und unternehmensinterne Funktionen wie Rechnungswesen, Controlling, Treasury, Risikomanagement. Entsprechend dieser Breite sind die Einsatzmöglichkeiten und potenziellen Auswirkungen vielfältig. Diese reichen von neuen Branchenstrukturen und Geschäftsmodellen im Bankensektor durch Fintechs und Blockchain, über Effizienzsteigerungen im Rechnungswesen durch automatisierte Geschäftsprozesse (Robotic Process Automation RPA), neue Möglichkeiten der Entscheidungsunterstützung im Controlling durch Big Data und Realtime Analytics bis hin zu neuen Ansätzen der Fraud Prevention und Detection im Bereich der Wirtschaftsprüfung durch KI- Systeme (Künstliche Intelligenz). Auch wenn die Diskussion über die Auswirkung der Digitalisierung heute aus den verschiedenen Blickwinkeln des Finanzbereichs geführt wird, zeigt sich ein gemeinsamer Kern in der Frage, ob Mitarbeiter des Finanzbereichs durch die Digitalisierung an Aufgaben und Stellenwert verlieren oder im Extremfall sogar überflüssig werden. Fachliteratur und Praxis sind sich einig, dass die Digitalisierung die Rollen und Aufgabenprofile verändern und sich auch das Berufsbild des Data Scientist etablieren wird. Die anfängliche Angst, dass z.b. Controller dadurch zu den Verlierern der Digitalisierung gehören könnten, relativiert aktuelle Studien. Generell wird sich das Aufgabengebiet des Controllers von der Erstellung der Zahlen zur Verwendung von Zahlen verlagern. Die Digitalisierung kann den Controller unterstützen, damit er sich auf das Wesentliche in seiner Rolle als Partner des Managements konzentrieren kann. Die Auswirkung der Digitalisierung auf das Controlling und den Controller wird unternehmens-, job- und personenspezifisch sein. Sie hängt nicht nur von den technischen Möglichkeiten, sondern von weiteren Faktoren wie Unternehmenskultur, Controllingorganisation oder der Persönlichkeit von Controllern und Managern ab. 3.7 Digitalisierung und Personalmanagement Der Bereich des Personalmanagements nimmt im Zuge der digitalen Transformation eine maßgebliche Rolle im Unternehmen ein, da einerseits Veränderungsprozesse begleitet werden und andererseits das HR-Management selbst von der Digitalisierung betroffen ist. Die Rolle des Personalmanagements in Unternehmen entwickelt sich von rein administrativen Aufgaben hin zur strategischen Unterstützung von Entscheidungsprozessen. Digitalisierung und der Einzug neuer Technologien im Personalmanagement orientieren sich an definierten Personalprozessen und sind mit dem gesamten Grad der Digitalisierung des Unternehmens verbunden. Entscheidungen im Personalbereich werden künftig zunehmend datengestützt getroffen. Dabei geht es weniger um den Rückblick als vielmehr um die analytische Ableitung für zukünftige Szenarien (Weigert et al, 2017). Digitalisierung und die damit einhergehende Veränderung in Unternehmen wird vielfach unter dem technologischen Aspekt betrachtet. Eine wesentliche Herausforderung stellt sich bei der Frage, wie Veränderungen im Unternehmen initiiert werden und welche Rolle dabei die Führungskräfte spielen. Die Anforderungen, die sich an Führung im Zeitalter der Digitalisierung stellen, sind ein sehr junges Forschungsfeld. Bisherige Studien zu Führungsansätzen betrachten Veränderungen im Unternehmen und die Rolle der Führungskraft, die Rolle der Mitarbeiter und die der Situation. Der Einfluss von Digitalisierung auf Führung wird erst in der jüngsten Zeit betrachtet (Copeland, 2014). Die Digitale Transformation nimmt Einfluss auf Aufgaben und Prozesse und erfordert von den Führungskräften sowohl technisches Knowhow im Umgang mit digitalen Instrumenten als auch Führungskompetenzen (Bennis, 2013). 17

20 4 FAZIT Im vorliegenden Beitrag wurden ausgewählte Potenziale der Digitalisierung in betriebswirtschaftlichen Bereichen vorgestellt. Die Abhandlung zeigt, dass bedeutsame und durch digitale Technologien ausgelöste Veränderungen in diesen Bereichen bereits seit geraumer Zeit stattfinden und dass weitere Transformationsprozesse für Unternehmen aller Größenordnungen auch in Zukunft unabdingbar sein werden, um im Wettbewerb bestehen zu können. Ob Unternehmen bei diesen Transformationsprozessen erfolgreich sein und damit Organisationskennzahlen günstig beeinflusst werden, hängt maßgeblich davon ab, wie das Management eines Unternehmens in Bezug auf den Einsatz und die Implementierung von digitalen Technologien entscheidet und vorgeht. Daraus folgt, dass in Wirtschaft und Gesellschaft ein nicht-technischer Fokus auf die Themen Digitalisierung und digitale Transformation immer wichtiger wird, um von der Nutzung digitaler Technologien zu profitieren. Erfolg durch Digitalisierung ist somit primär eine Frage des richtigen Managements. Die Fakultät für Management der FH Oberösterreich (Campus Steyr) wird daher zukünftig den Themenkomplex Digitalisierung und Management von einem ohnehin hohen Aktivitätsniveau (siehe z. B. Forschungsschwerpunkt Digital Business sowie die Centers of Excellence Smart Production und Logistik ) in Lehre und Forschung sowie im Praxisdialog weiter ausbauen. REFERENZEN Allmendinger G. & Lombreglia R. (2005). Four Strategies for the Age of Smart Services. Havard Business Review, Vol. 83(10), Deuse J., Weisner K., Hengstebeck A. & Busch F. (2015). Gestaltung von Produktionssystemen im Kontext von Industrie 4.0. In Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0 (pp ), Springer, Berlin Heidelberg. Fredette J., Marom R, Steinert K. & Witters L (2012). The promise and peril of hyperconnectivity for organizations and societies. The global information technology report (2012), Gassmann O., Frankenberger K. & Csik, M. (2014). The business model navigator: 55 models that will revolutionise your business (1. Auflage)., Financial Times, Harlow. Hess T. (2013). Digitalisierung. Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik. (Zugriff am ). Hofmann E.,& Oettmeier K. (2016). 3D-Druck: Wie additive Fertigungsverfahren die Wirtschaft und deren Supply Chains revolutionieren. Zeitschrift Führung und Organisation, 85, Jodlbauer H., Straßer S.& Wolfartsberger J. (2018). Optimaler Einsatz von Mensch- Maschine-Kollaboration. ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, 113 (1-2), Kollmann T. (2016). E-Business: Grundlagen elektronischer Geschäftsprozesse in der Digitalen Wirtschaft. Springer Gabler, Wiesbaden. MIT Center for Digital Business and Capgemini Consulting (2011). Digital transformation: a roadmap for billion-dollar organizations. (Zugriff am ). 18

21 Porter M. E.& Heppelmann J. E. (2014). How Smart Connected Products Are Transforming Competition, Harvard Business Review, 2014(11). Roland Berger (2016): 2016 logistics study on digital business models, _ pdf. Schallmo D. (2016). So gelingt die digitale Transformation Ihres Geschäftsmodells. Innovationsmanagement, Springer Professional, innovationsmanagement/produktmanagement/so-gelingt-die-digitale-transformation-ihresgeschaeftsmodells/ (Zugriff am ). Stieninger M., Auinger A. & Riedl R. (2019). Digitale Transformation im stationären Einzelhandel. Wirtschaftsinformatik & Management 11(1), Überwimmer M. (2019). Sales Forecasts. In Purle E., Steimer S., Hamel M. Toolbox für den B2B Vertrieb (pp ). Schäffer-Poeschel, Stuttgart. Weigert M. & Bruhn H.D., Strenge M. (2017). Digital HR oder HR Digital die Bedeutung der Digitalisierung für HR. In HR-Exzellenz. Innovative Ansätze in Leadership und Transformation (pp ). Springer Gabler, Wiesbaden. 19

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23 Bewegungsförderung im Büro durch Active Workplace Design Thomas Wala 1, Judith Schmid 1 1 FH Technikum Wien, Höchstädtplatz 5, 1200 Wien, Österreich, wala@technikum-wien.at, schmidju@technikum-wien.at 1 EINLEITUNG Das Büro scheint ein ungefährlicher Ort zu sein. Was kann zwischen Schreibtisch und Kaffeemaschine schon viel mehr passieren, als durch die Klimaanlage einen Schnupfen zu bekommen? Die akute Verletzungsgefahr geht im Vergleich zu Arbeitsplätzen von Möbelpackern, Gerüstbauern oder Waldarbeitern gegen Null. Und dennoch. Auch im Büro lauert eine immer größer werdende Gefahr für die Gesundheit von Wissensarbeitern/innen: akuter Bewegungsmangel (Hoerner, 2011)! Wissensarbeiter/innen sitzen schon am Frühstückstisch, anschließend sitzen sie im Auto, Bus oder Zug auf der Fahrt in die Firma, wo sie dann die meiste Zeit des Tages auf dem Schreibtischstuhl vor ihrem Rechner verbringen. Zwischendurch nehmen sie auf den Stühlen des Besprechungszimmers oder jenen der Kantine Platz (Boch, 2014). Nach Zahlen der Deutschen Krankenversicherung aus dem Jahr 2016 sitzen etwa Deutsche mit Bürojobs durchschnittlich elf Stunden pro Tag (DGUV, 2018). Und neue Technologien (z.b. autonomes Fahren, Smart Homes etc.) machen es möglich, künftig immer mehr Aktivitäten bewegungslos zu verrichten ( Alexa, schalte das Licht ein. ). Die gesundheitlichen Folgen von langem Sitzen sind gut dokumentiert: Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rückenprobleme und Bandscheibenvorfall haben sich zu Volkskrankheiten entwickelt (Boch, 2014). Fachbücher mit Titeln wie Sitzen ist das neue Rauchen (Starrett, 2016), Wer länger sitzt, ist früher tot (Thömmes, 2017) oder Sitzen ist für den Arsch (Suchert, 2017) bringen die Problematik pointiert auf den Punkt. Unter den Folgen des langen Sitzens leiden aber nicht nur die betroffenen Mitarbeiter/innen selbst, sondern auch deren Arbeitgeber, weil Mitarbeiter/innen mit einem auf Bewegungsmangel zurückzuführenden reduziertem physischen und psychischen Wohlbefinden nachgewiesenermaßen weniger produktiv und kreativ arbeiten bzw. aufgrund von Erkrankungen erst gar nicht zur Arbeit kommen (Hemp, 2005). 2 GESUNDHEITSFÖRDERUNG Wenngleich Büroarbeiter/innen in erster Linie selbst in der Pflicht stehen was ihre Gesundheit angelangt (Hoerner, 2011), so tragen Unternehmen doch eine Mitverantwortung nicht nur für das psychische, sondern auch das physische Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter/innen (Boch, 2014). Vor diesem Hintergrund beinhalten betriebliche Gesundheitsförderungsprogramme größerer Unternehmen häufig auch spezielle Bewegungsangebote (z.b. Yogakurse, Lauftreff etc.), die darauf abzielen, körperlichen Beschwerden und den daraus resultierenden Kran- 21

24 kenständen möglichst vorzubeugen. Wenngleich empirische Untersuchungen belegen, dass derartige Investitionen in eine gesunde Belegschaft sofern sie professionell konzipiert und umgesetzt werden (Berry, Mirabito, & Baun, 2011) sowohl die Zufriedenheit und die Bindung als auch die Arbeitsleistung der am Programm teilnehmenden Mitarbeiter/innen signifikant positiv beeinflussen (Gannser & Godbersen, 2017), so besteht doch die Gefahr, dass damit in erster Linie jene bewegungsaffinen Mitarbeiter/innen erreicht werden, die in ihrer Freizeit ohnehin bereits Sport betreiben. Vielen Mitarbeitern/innen fehlt aber schlicht die Zeit oder der innere Antrieb, um vor oder nach der Arbeit Joggen zu gehen oder die Bewegungsangebote des Arbeitgebers sofern es denn solche überhaupt gibt in Anspruch zu nehmen. Aber genau sie sind es, um die sich ihre Arbeitgeber sorgen sollten! 3 ACTIVE WORKPLACE DESIGN Möchte man vor diesem Hintergrund seine Mitarbeiter während der Arbeitszeit stärker in Bewegung versetzen, stünde mit einer bewegungsfördernden Ausgestaltung der Bürolandschaft ( Active Workplace Design ) ein sehr wirkungsvoller Hebel zur Verfügung. Nachfolgend werden drei diesbezügliche Maßnahmen näher vorgestellt. 3.1 Bewegungszwänge Einige Unternehmen, denen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter/innen wichtig ist, setzen auf sanfte Bewegungszwänge. Sie lassen die Beschäftigten laufen: zu abgelegenen Parkplätzen, Toiletten in anderen Stockwerken und/oder zu zentralen Orten, an denen sich Kopiergeräte, Büromaterial und Getränkeautomaten befinden (Boch, 2014). Wer das komfortable Schreibtischarbeiten liebgewonnen hat, wird einwenden, dass unter dem häufigeren Aufstehen und den längeren Gehwegen die Effizienz im Büroalltag leide. Doch das ist ein Trugschluss. Denn die Unternehmen der Büroarbeiter/innen profitieren vor allem dann, wenn diesen Ideen als Grundlage für neue Produkte und Dienstleistungen einfallen. Das passiert allerdings immer seltener am Schreibtisch im Einzelbüro. Einschlägige Untersuchungen belegen, dass den Mitarbeitern/innen heute der Großteil ihrer kreativen Ideen nicht am Rechner einfällt, sondern vielmehr im Austausch mit Anderen und zwar auf den Gängen, in der Kaffeeküche oder im Kopierraum (Osswald & Engelke, 2016). Indem die Unternehmensleitung also die Mitarbeiter/innen mit einigen gut durchdachten Änderungen der Bürolandschaft zu mehr Bewegung zwingt, fördert sie nicht nur deren Gesundheit, sondern stärkt gleichzeitig auch die Innovationskraft des Unternehmens (Boch, 2014). 3.2 Mikro-Fitnessmodule Unter Begriffen wie New Work", Smart Working, Arbeit 4.0" etc. haben bereits zahlreiche Unternehmen neue Bürowelten eingeführt, die nicht nur auf eine optimierte Flächennutzung, Energieeffizienz und die damit erzielbaren Kosteneinsparungen abzielen. Moderne Bürokonzepte sollen nämlich v.a. auch die abteilungsübergreifende Kommunikation und Kollaboration erleichtern, Kreativprozesse unterstützen und damit die Innovationskraft steigern sowie schließlich auch die Attraktivität des Unternehmens am Arbeitsmarkt ( Employer Branding ) heben (Wala, 2018). 22

25 Grundlegendes Gestaltungsmerkmal moderner Bürokonzepte ist in der Regel eine offene und tageslichtdurchflutete Raumfläche, die in flexibel nutzbare Zonen unterteilt ist, vielfältige Arbeitsmöglichkeiten vorsieht und vor allem Raum für Interaktion bietet ( Open Space Office ). Mitarbeiter/innen können dann je nach Aufgabe die passende Arbeitsstation wählen: für Routinetätigkeiten den Platz in der Homebase, für hoch konzentriertes Arbeiten den Platz im störungsfreien Thinktank, für kreative Teamarbeit das Innovation Lab und für den informellen Austausch die Lounge (Klaffke, 2016). Die Umstellung auf eine moderne Bürostruktur könnte nun zusätzlich dazu genutzt werden, niederschwellige Mikro-Fitnessmodule in den Büroalltag zu integrieren. (Klaffke 2016b) Beispielsweise könnten in einem Gang in jeweils alternierender Entfernung zueinander quadratische Felder am Boden angebracht werden, welche zum Überqueren des Ganges in springender Weise animieren sollen (siehe Abb. 1). Abbildung 1. Sprungfelder Alternativ könnten an den beiden Enden des Ganges Ständer mit Kettlebells platziert werden (siehe Abb. 2). Die den Gang entlang gehenden Mitarbeiter/innen können dann zwecks Stärkung ihrer Rumpfmuskulatur jeweils zwei gleich schwere Kettlebells von dem einen zum anderen Gangende tragen. 23

26 Abbildung 2. Kettlebells Der Kreativität sind hier kaum Grenzen gesetzt: So könnte man weiters eine Innenwand des Bürogebäudes zu einer Kletterwand umfunktionieren (siehe Abb. 3), im Aufenthaltsraum einen Tischtennistisch aufstellen (siehe Abb. 4), in den Gängen Sandsäcke zum Hineinschlagen aufhängen etc. (Kleemann, 2015). 24

27 Abbildung 3. Kletterwand Abbildung 4. Tischtennis 25

28 Sämtliche Fitnessmodule sollten unter professioneller sportwissenschaftlicher Begleitung installiert werden, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Außerdem sollte die gesamte Belegschaft im Sinne eines professionellen Change-Managements in die Auswahl und Anordnung der Module involviert werden, um auf deren Präferenzen berücksichtigen zu können und so von Anfang an eine breite Akzeptanz zu gewährleisten (Gannser & Godbersen, 2017). 3.3 Active Workstations Unter dynamischen Arbeitsstationen versteht man dabei solche Arbeitsplätze, an denen Beschäftigte während einer typischen Schreibtischtätigkeit (z.b. Lesen, Telefonieren, Mailen etc.) gleichzeitig gehen oder Rad fahren können. Dabei ersetzen Laufbänder, Fahrradergometer oder Stepper den herkömmlichen Bürostuhl (siehe Abb. 5) (Eberhardt-Alten, 2016). Dynamische Arbeitsstationen können ggf. in einer eigenen Zone konzentriert werden; ab einer Nutzungsintensität von rund dreimal pro Woche wirken sich solche Stationen bereits nach-weislich positiv auf die Gesundheit der Mitarbeiter aus (DGUV, 2018). Abbildung 5. Dynamische Arbeitsstationen Einige Unternehmen konnten bereits positive Erfahrungen mit dynamischen Arbeitsstationen sammeln. So sind etwa bei der Deutsche Telekom seit 2016 mehrere Hundert Deskbikes im Einsatz, die es den Mitarbeitern/innen erlauben, während der Büroarbeit in die Pedale zu treten und so ihre Fitness zu verbessern (siehe Abb. 6). Für ihr unter wissenschaftlicher Begleitung entwickeltes Deskbike-Konzept erhielt die Deutsche Telekom beim Wettbewerb Deutscher Unternehmenspreis Gesundheit 2017 des Dachverbands der Betriebskrankenkassen den Sonderpreis für innovative betriebliche Gesundheitsförderung (Hensiek, 2018). 26

29 Abbildung 6. Deskbikes bei der Deutschen Telekom Alle normalen Bürotische in der Homebase sollten zumindest elektrisch höhenverstellbar sein und so ein den individuellen Präferenzen folgendes Wechseln zwischen Arbeiten im Sitzen und Arbeiten im Stehen ermöglichen (Hoerner, 2011). Besonders optimal sind kombinierte Arbeitsstationen, die sowohl einen Steh- als auch einen Sitzarbeitsplatz vorsehen und so häufige Positionswechsel ohne ständiges Betätigen der Höhenverstellung ermöglichen (siehe Abb. 7) (Breithecker, 2015). Abbildung 7. Active Desktop 27

30 4 MOTIVATIONSSPRITZEN Wie intensiv die Mitarbeiter/innen die neuen Fitnessmodule sowie weitere Bewegungsangebote des Arbeitgebers (z.b. Betriebswandertag, Gymnastikkurs etc.) nutzen, wird v.a. davon abhängen, inwieweit sich die Führungskräfte ihrer kulturprägenden Vorbildwirkung bewusst sind und selbst ein entsprechend aktives Verhalten an den Tag legen. Einige Mitarbeiter/innen werden zusätzlich kleine Erinnerungen bzw. sanfte Stupser ( Nudges ) benötigen, bevor ihnen die Nutzung der neuen Bewegungsangebote in der Firma in Fleisch und Blut übergeht. Beispielsweise könnten die Mitarbeiter/innen in regelmäßigen Abständen Bewegungstipps in Form von Push-Nachrichten auf ihren Bildschirmen erhalten. Auch kann man Schilder vor den Aufzügen anbringen, welche zur Benützung des Treppenhauses einladen (Stoffel, Gröben, Pronk, & Bös, 2011). Schließlich könnten die nachfolgenden Tipps die Wände von Besprechungszimmern etc. schmücken und auf diese Weise den einen oder die andere Mitarbeiter/in dabei unterstützen, der allgegenwärtigen Bequemlichkeitsfalle immer öfter zu entkommen (Breithecker, 2015). Führen Sie persönliche Gespräche und Telefonate gelegentlich auch im Stehen (z.b. an Stehpulten) oder im Gehen ( Walk and Talk ). Nützen Sie kurze Arbeitspausen für Gymnastikübungen und kurze Spaziergänge. Holen Sie benötigte Dinge selbst, anstatt sich diese von Kollegen bringen zu lassen (z.b. Post, Büromaterial, Snack etc.). Verzichten Sie auf einen Sitzplatz, wenn Sie per Bus oder Bahn in die Arbeit fahren bzw. überlegen Sie sich einen bewegteren Weg zur Arbeit (z.b. zu Fuß, mit dem Fahrrad, eine U-Bahn-/Bus-Station früher aussteigen, den Parkplatz für das Auto zehn Minuten vom Arbeitsplatz entfernt wählen etc.). etc. V.a. jüngere Mitarbeiter/innen werden sich durch spielerische Elemente ( Gamification ) zu mehr Bewegung on the job verführen lassen. Diesbezüglich wäre z.b. vorstellbar, dass man mit einer Smartphone-App Punkte für das Absolvieren von Fitnessmodulen sammeln kann (z.b. 1 Punkt für Schritte am Laufband-Schreibtisch etc.) und bei Erreichen bestimmter Zielwerte digitale Abzeichen ( Badges ) erhält, die in der Folge das Profil des/der Mitarbeiters/in im Corporate Social Network zieren. Zusätzlich kann die Unternehmensleitung auch geldwerte Anreize andenken, um Mitarbeitern/innen, die auf ihre körperliche Fitness achten, zu belohnen. Beispielsweise könnte man Mitarbeiter/innen, die ein mit dem Betriebsarzt abgestimmtes persönliches Fitnessziel erreichen, mit diversen Gutscheinen (z.b. Ernährungsberatung, Massage etc.) oder sogar einem zusätzlichen Urlaubstag beglücken (Stoffel et al., 2011). 28

31 5 FAZIT Sanfte Bewegungszwänge, dynamische Arbeitsstationen und Mikro-Fitnessmodule ermöglichen körperliche Aktivität während der Arbeitszeit. Das bietet v.a. jenen Mitarbeitern/innen einen Vorteil, denen es ansonsten nicht gelingt, ausreichend Zeit und Motivation für Sport in der Freizeit aufzubringen. Die beschriebenen bewegungsfördernden Maßnahmen setzen einen positiven Kreislauf ( Win-Win-Circle ) in Gang, von dem sowohl die einzelnen Mitarbeiter/innen als auch das gesamte Unternehmen profitieren können (siehe Abb. 8) (Gannser & Godbersen, 2017). Abbildung 8. Win-Win-Circle Die obersten Führungsetagen in Unternehmen sind somit aufgerufen, gemeinsam mit den Beschäftigten und weiteren Akteuren (z.b. Betriebsarzt/ärztin, sportwissenschaftliches Institut etc.) entsprechende Bewegungskonzepte zu entwickeln, einzuführen und die in der Nutzungsphase gemessenen Effekte auf Gesundheit, Zufriedenheit und Wirtschaftlichkeit für kontinuierliche Programmverbesserungen zu verwenden (Stoffel et al., 2011). Wenngleich sich eine verbesserte körperliche Fitness der Mitarbeiter/innen in aller Regel auch positiv auf deren Stimmungslage niederschlagen wird, erfordert eine ganzheitliche betriebliche Gesundheitsförderung neben diversen sonstigen Maßnahmen wie z.b. einem gesunden Kantinenessen, regelmäßigen Gesundheitschecks etc. auch solche Maßnahmen, die in erster Linie das psychische Wohlbefinden der Mitarbeiter/innen adressieren. Der wohl wichtigste Baustein in diesem Zusammenhang ist wohl ein personenorientierter 29

32 Führungsstil, bei dem die Mitarbeiter/innen an den sie betreffenden Entscheidungen partizipieren können, über weitreichende Gestaltungsspielräume in Bezug auf die Erledigung ihrer Aufgaben verfügen und für ihre erbrachten Leistungen gebührend Wertschätzung erhalten (Wala & Felleitner, 2018). Auch diesbezüglich gibt es in der Praxis zweifellos noch viel Optimierungspotenzial. REFERENZEN Berry, L. L., Mirabito, A. M., & Baun, W. B. (2011). Mein Mitarbeiter, mein Patient. Harvard Business Manager, 50-63(4). Boch, D. (2014). Bewegt Euch! Harvard Business Manager. (7), Breithecker, D. (2015). Enriched Environment - Büroräume als heimliche Bewegungsverführer. In J. Glöckl & D. Breithecker (Eds.), Active Office: Warum Büros uns krank machen und was dagegen zu tun ist (1st ed.). s.l.: Springer Gabler. DGUV. (2018). Bewegung am Schreibtisch tut Körper und Seele gut. Retrieved from Gannser, O., & Godbersen, H. (2017). Mitarbeiterbindung durch Betriebliches Gesundheitsmanagement. zfo, 86(2), Hemp, P. (2005). Krank am Arbeitsplatz. Harvard Business Manager. (1), Hensiek, J. (2018). Mehr Dynamik bei der Deutschen Telekom. Retrieved from Hoerner, K. (2011). Gesundheitsrisiko Büroarbeit. Bewegungslosigkeit schadet mehr als Stress. Retrieved from Klaffke, M. (2016). Innovative Bürowelten - mehr als Tischkicker und Wohlfühloase. changement! (1), Retrieved from Kleemann, J. (2015). ActiveOffice - Fallstudie Sparkasse Rhein-Nahe. In J. Glöckl & D. Breithecker (Eds.), Active Office: Warum Büros uns krank machen und was dagegen zu tun ist (1st ed., ). s.l.: Springer Gabler. Osswald, A., & Engelke, L. (2016). Design Works! Organisationsentwicklung. (2), Starrett, K. (2016). Sitzen ist das neue Rauchen: Das Trainingsprogramm, um lebensstilbe- 30

33 dingten Haltungsschäden vorzubeugen und unsere natürliche Mobilität zurückzugewinnen. München: Riva. Retrieved from Stoffel, S. D., Gröben, F., Pronk, N. P., & Bös, K. (2011). Bewegungsförderung im Betrieb - ein wichtiger Baustein der multifaktoriell konzipierten Betrieblichen Gesundheitsförderung. In LIGA.Fokus: Vol. 12. Gesundheit durch Bewegung fördern: Empfehlungen für Wissenschaft und Praxis (74-76). Düsseldorf: Landesinst. für Gesundheit und Arbeit des Landes Nordrhein- Westfalen. Retrieved from Suchert, V. (2017). Sitzen ist fürn Arsch: Warum die sitzende Lebensweise unsere Gesundheit gefährdet und was wir dagegen tun können (Originalausgabe). München: Wilhelm Heyne Verlag. Thömmes, F. (2017). Wer länger sitzt, ist früher tot: Das Erste-Hilfe-Programm für Vielsitzer gegen Haltungsschäden und Schmerzen. München: Riva. Retrieved from Wala, T. (2018). New Work - neue Arbeitswelten für digitale Zeiten. ASoK. (8), Wala, T., & Felleitner, K. (2018). Führung neu gedacht. Leadership Skills für digitale Zeiten. CFO Aktuell. (5),

34 32

35 Persönliche Kompetenzen von Marketing Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zukunft Die veränderte Arbeitswelt von Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zukunft und Implikationen für notwendige persönliche Kompetenzen Claudia Pukl 1, Barbara Billinger 2 1 Campus 02 Fachhochschule der Wirtschaft, Körblergasse 126, 8010 Graz, Österreich, claudia.pukl@campus02.at 2 Ferdinand Porsche FernFH, Ferdinand-Porsche-Ring 3, 2700 Wiener Neustadt, Österreich, barbara.billinger@mail.fernfh.ac.at 1 EINLEITUNG Wandel ist seit jeher eine permanente Größe in unserer Wirtschaft. Derzeit scheint die Welt besonders von Unberechenbarkeit und Ungewissheit geprägt zu sein (Ameln & Wimmer, 2016, S. 11). Das Berufsfeld Marketing ist von diesen Veränderungstendenzen massiv betroffen. Marketing-Verantwortliche fungieren als Schnittstelle zwischen Markt und Unternehmen und bekleiden somit eine Schlüsselrolle im Unternehmen (Meffert & Sepehr, 2012, S. 8ff.). Unterschiedliche Veränderungstendenzen treffen aufeinander und wandeln die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Sie schaffen aber auch neue Arbeitswelten, die Veränderungen von Organisationen, Organisations- und Arbeitskultur und letztendlich von Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfordern (Ameln & Wimmer 2016, S. 19). Erpenbeck und von Rosenstiel fassen die Relevanz von Kompetenzen für Unternehmen plakativ zusammen: Der Konkurrenzkampf der Zukunft wird zunehmend als Kompetenzkampf geführt (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2005, S. 39). Rüdiger Preißer schreibt in Zeiten von Strukturwandel insbesondere den nicht-fachlichen Kompetenzen große Bedeutung zu, denn vor allem überfachliche Kompetenzen ermöglichen den Beschäftigten, sich in der Arbeitswelt flexibel zu bewegen (Preißer, 2001, S. 16). (Fach-)Hochschulen sind gefordert, ihre Absolventinnen und Absolventen bestmöglich auf die Zukunft dieser veränderten Arbeitswelten vorzubereiten. Im Rahmen der Einführung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes im Zuge des sogenannten Bologna-Prozesses wurden hier besondere Weichen gestellt. Eine bedeutende Auswirkung dieser Reform ist die Fokussierung auf die praktische Umsetzung von Lehrinhalten und damit die Forderung, neben reiner Wissensvermittlung auch notwendige Kompetenzen zu entwickeln (Nickel, 2011, S. 9f.) bzw. deren Entwicklung bestmöglich anzuregen. Insgesamt ist anzumerken, dass Hochschulen ihre Absolventinnen und Absolventen befähigen müssen, akademisch zu denken und zu handeln. Darüber hinaus sollen sie insbesondere auf die spätere Ausübung beruflicher Tätigkeiten vorbereiten (Schaper, Schlömer und Paechter 2012, S. I). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass (Fach-)Hochschulen flexibel auf Änderungen reagieren und vor allem frühzeitig notwendige Anpassungen antizipieren und in ihren Ausbil- 33

36 dungsprogrammen durchführen müssen. Aus diesem Grund wird der folgenden Fragestellung nachgegangen: Welche Veränderungen sind für das Berufsfeld des Marketings zu erwarten und welche persönlichen Kompetenzen benötigen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger dafür in Zukunft? 2 THEORETISCHER RAHMEN 2.1 Berufsfeld Marketing im Wandel Für junge Menschen ist Marketing ein attraktives Berufsfeld. Seine hohe Anziehungskraft spiegelt sich in der Nachfrage nach Arbeitsplätzen wider (Arbeitsmarktservice, 2016, S. 76). Die Zukunftsforschung versucht permanent Veränderungstendenzen zu orten und deren Auswirkungen zu beleuchten. So werden Megatrends definiert, welche sich durch ihre langfristige Wirkung, ubiquitäre Gültigkeit, Komplexität und Robustheit auszeichnen und damit grundlegende Veränderungen des menschlichen Sozialverhaltens global beeinflussen (Horx, 2011, S. 72f.). Für die Disziplin Marketing konstatiert Richard Köhler (2017, S. 321ff.) einen Wandel in bedeutenden Rahmenbedingungen. Durch einschneidende Entwicklungen des Nachfrageverhaltens kommt der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Verhaltensmustern der Kundinnen und Kunden herausragende Bedeutung zu. Die Digitalisierung beeinflusst das Marketing in mehrfacher Hinsicht, denn einerseits verändern sich die Möglichkeiten für Kommunikationspolitik enorm und andererseits müssen auch organisatorische Implikationen beachtet werden. Das globale Zusammenwachsen von Märkten und die damit zusammenhängende Dynamik erfordern zusätzliche organisatorische Anpassungen, welche Koordinationsprobleme hervorrufen können. Insgesamt führen die Veränderungen zu zunehmendem Wettbewerbsdruck und damit letztendlich zur Notwendigkeit einer Veränderung des strategischen und operativen Marketings in Unternehmen. Die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit, die Arbeitswelt im Besonderen und somit auch das Berufsfeld Marketing werden sich entlang der langfristigen Trends in Zukunft weiterhin dynamisch entwickeln (Meffert & Sepehr, 2012, S. 8). Eichhorst und Buhlmann (2015, S. 2ff.) machen grundsätzlich vier Triebkräfte der Arbeitswelt in Form von technologischem Wandel (Digitalisierung und Vernetzung), Globalisierung, demografischem sowie institutionellem Wandel fest. Diese Kräfte wirken auf die gesamte Arbeitswelt, haben unterschiedlich großen Einfluss auf bestehende und zukünftige Berufsbilder und beeinflussen somit auch maßgeblich das Berufsfeld Marketing. Insgesamt wird das Berufsfeld Marketing äußerst divers beschrieben, und es scheint keine eindeutige Definition zu geben. Durch die zunehmende Dynamik im Wirtschaftsbereich ist dieses Berufsfeld zusätzlich laufend Veränderungen unterworfen. Eine Auswirkung daraus ist das Entstehen von ständig neuen, innovativen Berufsbezeichnungen, welche beispielsweise durch die steigende Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien und dem Ausbau des Customer Managements entstehen. Nach wie vor gibt es für Marketing-Berufe keine verbindlichen Ausbildungsvorgaben, jedoch ist eine Tendenz zu einer verstärkten Akademisierung der Marketing-Ausbildung spürbar (Peisert & Hermeier, 2010, S. 4ff.). 34

37 2.2 Kompetenzorientierung In der betriebswirtschaftlichen Literatur beschäftigen sich zahlreiche Autorinnen und Autoren mit dem Thema Kompetenzen und beschreiben unterschiedliche Kompetenzmodelle für Unternehmen und Organisationen. Betriebliche Kompetenzmodelle behandeln das Management und die Entwicklung notwendiger Kompetenzen im Unternehmen. Tätigkeitsspezifische Kompetenzmodelle erarbeiten relevante Kompetenzen für spezifische Tätigkeitsbilder (Grote et al., 2006, S. 41). Die Relevanz von Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiter-Kompetenzen stellt Richard Boyatzis dar, wenn er den Zusammenhang zwischen den Kompetenzen der Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter und ihren Aufgabenstellungen auf Basis der Kontingenztheorie beschreibt. Demnach bringen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kompetenzen ins Unternehmen ein. Unternehmen legen Aufgaben, Funktionen, Rollen sowie die notwendigen Anforderungen für ausführende Stellen fest. Maximale Leistung und letztendlich Erfolg können erreicht werden, wenn die Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Aufgabenanforderungen und den Anforderungen des Organisationsumfeldes übereinstimmen (Boyatzis, 2008, S. 6). Kompetenz als Begriff ist damit allgegenwärtig und wird nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Umfeld genutzt. Umso mehr überrascht, dass es keine einheitliche Definition des Begriffes gibt und damit Kompetenzen auch nicht einheitlich messbar sind (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003, S. IX). Die Psychologin Klaudia Haase (2011, S. 51) bezeichnet beispielsweise Kompetenzen als variantenreiches und unscharfes Konzept (fuzzy concept), da in der internationalen Diskussion verschiedenste Vorstellungen und inkonsistente Begriffsverwendungen vorherrschen. Die unterschiedlichen Ansatzpunkte der Kompetenztheorien haben mehrere Ursachen. Zum einen hat sich in den verschiedenen Sprachräumen die Betrachtung der konzeptionellen Ansätze unterschiedlich entwickelt und zum anderen wurde der Begriff in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen seit jeher anders verwendet. Grote, Kauffeld, Denison und Frieling (2006, S. 15ff.) geben beispielsweise einen Überblick über die unterschiedlichen Kompetenzbegrifflichkeiten und deren Management im englischsprachigen und deutschsprachigen Raum, welche sich recht unabhängig voneinander entwickelten. Im deutschsprachigen Raum orientiert sich der Kompetenzbegriff vor allem am Prinzip der Selbstorganisation (Grote et al., 2006, S. 29). John Erpenbeck und Lutz von Rosenstiel definieren Kompetenzen als Fähigkeiten, angesichts unendlich vieler Sprach-, Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten selbstorganisiert, eigenständig, kreativ handeln zu können (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2005, S. 39). Persönliche Kompetenzen sind damit ebenfalls begrifflich nicht eindeutig abgrenzbar. Erpenbeck und von Rosenstiel (2003, S. XVI) unterscheiden insgesamt vier Kompetenzklassen, welche wiederum in einige Teilkompetenzen untergliedert werden. Fachlich-methodischen Kompetenzen lassen sich dabei personale Kompetenzen, aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen sowie sozial-kommunikative Kompetenzen gegenüberstellen und zu persönlichen Kompetenzen zusammenfassen. Diese Zuordnung entspricht sinngemäß der Unterteilung von North, Reinhardt und Sieber-Suter (2013, p. 34), die persönliche Kompetenzen, Sozialkompetenzen und Methodenkompetenzen unterscheidet. 35

38 2.3 Persönliche Kompetenzen im Marketing Das Berufsbild von Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfordert zur Erfüllung des Aufgabenspektrums vielfältige Fähigkeiten. Das Arbeitsmarktservice fasst neben den fachlichen Kompetenzen überfachliche berufliche Kompetenzen zusammen, wobei besonders Einsatzbereitschaft im Sinne von Flexibilität, Organisationstalent und Teamfähigkeit hervorgehoben wird. Für die Zukunft werden für den Bereich Marketing weitere überfachliche berufliche Kompetenzen als bedeutend betrachtet, nämlich Lernbereitschaft, analytische Fähigkeiten und Networking Skills (Arbeitsmarktservice, 2017). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Peisert und Hermeier, die neben der fachlichen Medienkompetenz besonders zwei persönliche Kompetenzen als wichtig für die Berufsfelder Marketing und Sales erachten. Sie benennen Flexibilität, als Fähigkeit, sich auf veränderte Umstände einzustellen und Kreativität, als Fähigkeit, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln (Peisert & Hermeier, 2010, S. 18). Eine Studie von Schlee und Harich zum Thema Knowledge and Skill Requirements for Marketing Jobs in the 21st Century (2010) untersuchte in den Vereinigten Staaten von Amerika Stellenausschreibungen im Marketing. Neben den fachlichen Kompetenzen wurden insbesondere Meta-Fähigkeiten für Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhoben, wobei mündliche und schriftliche Kommunikationsfähigkeiten und Präsentationstechniken am Häufigsten genannt wurden, gefolgt von Teamfähigkeit und Zeitmanagement (Schlee & Harich, 2010, S. 346). Für den deutschsprachigen Raum untersuchten Meffert und Sepehr im Jahr 2012 die Anforderungen an Marketing-Managerinnen und Manager der Zukunft. In dieser Erhebung wurden von den Befragten vier Kompetenzen als außerordentlich wichtig für die Zukunft eingeordnet. Neben der breiten Fachkompetenz und hier insbesondere einer intensiven Ergebnis- und Kennzahlenorientierung, wurden die persönlichen Kompetenzen in Form von Führungsqualitäten, Teamorientierung und Kreativität hervorgehoben. Interessant erscheint, dass Vorstände und Geschäftsführende, das Know-how im Bereich Medien sowie die Kompetenzen Kreativität und Werteorientierung in dieser Befragung weit bedeutender einschätzten als die Marketingmitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst (Meffert & Sepehr, 2012, S. 11f.). Zusammengefasst scheinen neben den fachlichen Kompetenzen vor allem die persönlichen Kompetenzen im Berufsfeld Marketing sowohl in der Gegenwart als auch in Zukunft von besonderer Bedeutung zu sein. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber der Zukunft werden Soft Skills vermehrt nachfragen, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flexibler wechselnde Aufgabenfelder ausüben können. Hier werden beispielsweise Selbstorganisationsfähigkeit, interkulturelle Kompetenz, soziale Intelligenz und Kreativität hervorgestrichen (Vogler-Ludwig et al., 2016, S. 123). Abschließend erwähnt werden sollen auch die Erkenntnisse von Meffert und Sepehr über die Marketing-Ausbildung an deutschen Hochschulen. Hier wird der Marktforschungs- und Methodenkompetenz sowie einem spezialisierten Marketingwissen höherer Stellenwert eingeräumt als dies für die Karriere im Marketing aus Praxissicht bedeutend erscheint. Hingegen werden der Entwicklung von Sozialkompetenzen in Form von Teamorientierung, Kreativität, interkultureller Kompetenz und Werteorientierung zu wenig Bedeutung beigemessen (Meffert & Sepehr, 2012, S. 13). Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Situation in der österreichi- 36

39 schen Hochschulausbildung ähnlich darstellt. Eine stärkere Beachtung der Entwicklung der persönlichen Kompetenzen in der Hochschulausbildung könnte für die Karriere der Absolventinnen und Absolventen vorteilhaft sein. 3 METHODISCHES VORGEHEN Die eingangs aufgeworfene, zukunftsorientierte Fragestellung kann als Trendforschung gewertet werden. Um dieser gerecht zu werden, das Thema umfassend zu beleuchten und verschiedene Perspektiven einzubringen, wurde eine Methodentriangulation angewandt: Triangulation als Begriff hat in der empirischen Sozialforschung lange Tradition und beschreibt das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven oder das Anwenden verschiedener Zugänge auf den Forschungsgegenstand (Flick, 2004, S. 9). Bereits Denzin lieferte die umfassendste Definition von Triangulation indem er sie als Kombination verschiedenster Methoden bei der Bearbeitung eines Phänomens beschrieb (Denzin, 1978, S. 297). Dadurch können unterschiedliche Absichten verfolgt werden, wie beispielsweise methodische Schwächen einzelner Methoden und Techniken zu kompensieren, oder letztendlich eine breitere Erkenntnis und adäquatere Befunde zu erreichen (Lamnek & Krell, 2016, S. 263ff.). Für die vorliegende Studie wurde ein Forschungsansatz gewählt, welcher im Sinne der Triangulation mehrere Perspektiven zu berücksichtigen versucht. Zu Beginn wurde die Delphi- Methode eingesetzt, um die zukunftsgerichtete Fragestellung aus Sicht der Praxis zu beleuchten. Als Delphi-Methode wird eine schriftliche, anonymisierte und mehrstufige Befragung mehrerer Expertinnen und/oder Experten bezeichnet. Weder Input noch Output müssen messbar sein, wodurch auch qualitative Problemstellungen adressiert werden können. Die Rückkoppelung mittels einer oder mehrerer Fragerunden erweitert die Informationsbasis und führt zu einer qualifizierteren Beurteilung, als dies eine einfache Expertise ermöglicht (Bernhard, 2004, S. 62). Die Validität der Ergebnisse einer Delphi-Studie kann durch Methodentriangulation maßgeblich erhöht werden (Cuhls, 2009, S. 214). Aus diesem Grund wurden anschließend zwei qualitative Interviews mit einer Expertin und einem Experten durchgeführt, welche die Fragestellung allgemein und die Ergebnisse der Delphi-Studie im Besonderen aus akademischer theoretischer Sicht diskutierten. Unter einem qualitativen Interview wird die Kommunikation zwischen Interviewerin bzw. Interviewer und interviewter Person verstanden, welche speziell für die Erhebungssituation stattfindet. Die Befragung kann in unterschiedlicher Weise erfolgen und hat zum Ziel, primär qualitative Daten anstelle quantitativer Daten zu erheben (Aghamanoukjan, Buber & Meyer, 2009, S. 417). Für die schriftliche Delphi-Studie wurden zehn Marketing-Praktikerinnen und Praktiker gewonnen. Drei Befragungswellen verdichteten die Einschätzung von vier Frauen und sechs Männern mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung im Marketing von Organisationen, Unternehmen und aus dem Beratungskontext zu einem Gesamturteil. Die erste Befragungswelle fokussierte auf die Einschätzung der derzeitigen Ist-Situation von Marketing- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hinblick auf die zu erledigenden Tätigkeiten und not- 37

40 wendigen persönlichen Kompetenzen. Die zweite Befragungswelle verdichtete diese erste Einschätzung und fragte die herrschenden Trends und Veränderungstendenzen für das Berufsbild Marketing ab. In der letzten Befragungswelle wurden diese Themen ein weiteres Mal beleuchtet und eine Einschätzung der Zukunft bezogen auf künftige Tätigkeiten und dafür erforderliche persönliche Kompetenzen eingeholt. Darauf aufsetzend sicherten zwei qualitative Interviews mit einer wissenschaftlich qualifizierten Expertin und einem wissenschaftlich qualifizierten Experten die Ergebnisse ab. Beide Personen beantworteten dabei die der Delphi-Studie zugrunde gelegten Fragestellungen aus eigener Perspektive und unterzogen abschließend deren Ergebnisse gesamt einer kritischen Würdigung. Die Auswertung des gesamten Datenmaterials erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring. 4 ERGEBNISSE 4.1 Veränderungen für das Berufsfeld Marketing Die Befragten benannten jene Kräfte der Veränderung, die in Zukunft besonders die Tätigkeitsschwerpunkte von Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beeinflussen werden: Abbildung 1. Wordcloud Trends wirkend auf das Berufsfeld Digitalisierung als Überbegriff für alle Veränderungen im Zusammenhang mit digitalen Medien spielt eine zentrale Rolle. Dieser Megatrend könnte das Marketing grundlegend verändern und damit enorme Auswirkungen auf das Berufsfeld haben. Hervorgehoben werden vor allem die Auswirkungen der Digitalisierung auf das operative Marketing, wie beispielsweise auf die Kommunikationspolitik, welche sich durch Online- und Social-Media-Kommunikation enorm verändern wird. Aber auch Auswirkungen auf das strategische Marketing sind vorherzusehen, und können Marketingstrategien grundlegend beeinflussen. Insgesamt scheint die Digitalisierung für das Berufsfeld Marketing einerseits eine große Chance im Sinne von neuen 38

41 Möglichkeiten zu bieten. Gleichzeitig erhöht sich aber die Notwendigkeit der Anpassung und der Adaption für Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was zu einer großen Herausforderung, insbesondere für kontinuierliche Weiterbildung werden kann. Insbesondere sensible und öffentlichkeitswirksame Problemfelder wie das Thema Datensicherheit, müssen in Zukunft bewältigt werden und erfordern rechtliche und IT-Kenntnisse bzw. entsprechende Schnittstellenkommunikation über unterschiedliche berufliche Disziplinen hinweg. Der Trend Big Data steht mit der Digitalisierung in direktem Zusammenhang. Durch die Erhöhung der Komplexität aufgrund zunehmender Datenmengen (insbesondere Bild- und Videodaten), entsteht eine steigende Herausforderung für das Berufsfeld. Das Datenvolumen muss laufend erhoben, systematisiert, organisiert und (sinnvoll) ausgewertet werden, wobei verschiedenste Richtlinien und (Datenschutz-)Gesetze zu beachten sind. Ein sehr gutes Zahlen- und Datenverständnis ist hier zukünftig notwendig. Damit verbunden ist die Chance, dass Marketing in Zukunft berechenbarer und somit die Leistungen von Marketing- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stärker evaluierbar werden. Die Disziplin Marketing kann damit zukünftig verstärkt in Zahlen gemessen werden und sich damit im Unternehmen legitimieren. Gemeinsam mit dem Megatrend Digitalisierung ist auch die Globalisierung als weltweite Vernetzung von Aktivitäten zu sehen. Marketing an und für sich ist damit konfrontiert, denn Märkte wachsen zusammen und können zukünftig verstärkt global betrachtet und bearbeitet werden. Auch die unterschiedlichen Funktionen im Berufsfeld Marketing sind davon betroffen. Denn die Organisation des Marketings wird sich ebenfalls ändern und muss vor allem in weltweit agierenden Unternehmen global ausgestaltet werden. Die verstärkte internationale Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, sowie externen Dienstleistern ist nur eine mögliche Auswirkung in diesem Bereich. Darüber hinaus erhalten die zukünftigen Marketing- Karrieren in diesen Unternehmen eine internationale Dimension, die zu einer verstärkt notwendigen interkulturellen Kompetenz und Flexibilität führen könnte. Zusammengefasst werden für Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung in Zukunft somit vor allem jene Tätigkeiten wichtiger, die auf diese Veränderungskräfte reagieren: Abbildung 2. Wordcloud zukünftige Tätigkeiten im Marketing 39

42 Hier sind zunächst diverse Online-Tätigkeiten zu nennen, welche zukünftig besonders wichtig werden. Beispielsweise wurden hier die Betreuung von Webseiten und Social-Media- Kanälen, sowie die Erstellung von nutzbarem Content für alle On- und Offline-Kanäle angeführt. Durch die verstärkte Digitalisierung gibt es zunehmend neue Marketing-Möglichkeiten die proaktiv genutzt werden sollten. Damit zusammenhängend werden Datenwartung und - auswertung wichtige Aufgaben, um die generierbare Datenmenge adäquat nutzbar zu machen und daraus Wettbewerbsvorteile zu ziehen. Nicht zu unterschätzen ist zukünftig auch die selbstständige Abwicklung unterschiedlicher Detail-Projekte und die Abstimmung mit externen Dienstleistern wie beispielsweise Kommunikations-/Werbeagenturen für Marketing- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Denn aufgrund der steigenden Komplexität werden zunehmend Aktivitäten an Spezialistinnen bzw. Spezialisten ausgelagert. Die Beschaffenheit dieses Aufgabenportfolios lässt eine neue Tendenz für den Stellenwert des Marketings in Unternehmen erahnen. Es könnte insgesamt zu einer Verschiebung der Bedeutung des Marketings kommen: Weg von einem strategischen Businesspartner hin zu einem operativen Dienstleister. 4.2 Persönliche Kompetenzen für Berufseinsteigerinnen/Berufseinsteiger Die Befragten heben die Relevanz persönlicher Kompetenzen für die Zukunft besonders hervor. Denn neben einer Anpassung von notwendigen fachlichen Kompetenzen, werden vor allem die persönlichen Kompetenzen bedeutend. Vor allem für Berufseinsteigerinnen bzw. Berufseinsteiger werden die persönlichen Kompetenzen als besonders bedeutend erachtet, um die Orientierung in diesem diversen Berufsfeld erfolgreich zu bewältigen. Sie ermöglichen es den neuen Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sich rasch ins Unternehmen und dessen Organisation einzufinden, sich im Marketing-Team einzugliedern und das geforderte Aufgabenfeld zu bewältigen. Eine Teilnehmerin beschreibt dies wie folgt: Der Entwicklung von persönlichen Kompetenzen sollte viel beigemessen werden. Soziale Kompetenz ist mindestens genauso wichtig, wie fachliche, wenn nicht noch wichtiger. Als zukünftig besonders relevant werden vor allem personale Kompetenzen genannt und damit Fähigkeiten, die dazu befähigen reflexiv und selbstorganisiert zu handeln. Konkret kennzeichnen das erwartete Kompetenzprofil: Lernbereitschaft, Zuverlässigkeit, Eigenverantwortung, Einsatzbereitschaft, ganzheitliches Denken und Selbstmanagement. Sie werden als besonders bedeutend für den Berufseinstieg bezeichnet und ihre Relevanz wird auch in Zukunft weiterhin steigen. Zusätzlich werden Aktivitäts- und Handlungskompetenzen und damit Fähigkeiten zum aktiven, gesamtheitlichen und selbstorganisierten Handeln als relevant hervorgehoben. Hier werden vor allem Belastbarkeit, Eigeninitiative, ergebnisorientiertes Handeln und Tatkraft als bedeutend bezeichnet. Die sozial-kommunikativen Kompetenzen und damit die Fähigkeit kommunikativ und kooperativ selbstorganisiert zu handeln, werden in Form von Kommunikations- und Teamfähigkeit als essentiell beschrieben. 40

43 Die in Zukunft wichtigste persönliche Kompetenz stellt den Befragten zufolge die Bereitschaft zum Lernen dar. Die steigende Dynamik in Marketing und seinem Umfeld sowie die rasanten (technologischen) Entwicklungen bei Methoden und Instrumenten erfordern proaktive Lernbereitschaft. Sich im Tätigkeitsfeld zu etablieren und kontinuierlich anpassen zu können, nach Möglichkeit neue Entwicklungen sogar zu antizipieren und aktiv mitzugestalten, sind erfolgskritisch für die eigene Berufskarriere und die Unternehmensentwicklung. In diesem Zusammenhang wurde von einigen Befragten Neugierde und Offenheit als bedeutend bezeichnet. Verwunderung ruft bei einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern hervor, dass Kreativität als persönliche Kompetenz insgesamt eher als nachrangig eingeschätzt wird. Zwar wird die Relevanz in Zukunft als steigend erachtet, scheint jedoch nicht vordringlich zu sein. Die zugrundeliegende theoretische Literatur sowie die dem Marketing anhängige Konnotation der Kreativbranche lässt diese Einschätzung als beachtenswert hervortreten. Nicht zuletzt birgt eine unrealistische Zuschreibung die Gefahr falscher Erwartungshaltungen an das Tätigkeitsfeld. Zusammenfassend scheinen Marketing-Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger der Zukunft idealerweise Personen zu sein, die über hohe personale Kompetenzen verfügen. Sie können selbstreflektiert die eigenen Fähigkeiten einschätzen und darauf basierend produktives Handeln entwickeln. Damit eng verbunden ist die Entfaltung von Begabungen und intrinsischer Motivation. Zusätzlich verfügen diese Personen dem Ideal nach über die Fähigkeit, ihr Handeln auf Pläne und Ziele auszurichten und diese nach Möglichkeit erfolgreich umzusetzen. Dies ist gepaart mit einem guten Maß an sozialkommunikativen Kompetenzen, um mit anderen, optimaler Weise auch im internationalen Kontext, adäquat zu kommunizieren und kooperativ zu arbeiten. Insgesamt sind sie offen für Wissen, Erfahrungen und Veränderungen und können daraus aktiv und effektiv ihr Handeln gestalten. Zu diesem Thema wird von einigen Befragten die Notwendigkeit des Lebenslangen Lernens für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Marketing besonders hervorgehoben, wobei sowohl fachliche als auch persönliche Kompetenzen ständig weiterzuentwickeln sind. 5 AUSBLICK AUF PRAXIS UND FORSCHUNG Aufgrund der Forderung des Europäischen Qualifikationsrahmens, den Kompetenzerwerb in den Mittelpunkt von Lehrangeboten zu stellen (Europäische Kommission, 2008), ist es notwendig, das auszubildende Kompetenzprofil im gesamten Lehr- und Lernangebot des Studiums zu berücksichtigen. Kompetenzen sind nach ihrer Definition entwickelbar. Heyse und Erpenbeck weisen jedoch darauf hin, dass Kompetenzen nur in Grenzen trainiert und angeregt werden können. Dies liegt insbesondere daran, dass Kompetenzen mit Werten, Motivationen und Emotionen verbunden sind, weshalb vor allem emotions- und motivationsaktivierende Lernprozesse notwendig sind. Beispielsweise wären dies Selbst-, Kleingruppen- oder Einzeltrainings. Klassische Lehrformen wie beispielsweise Vorträge und Fallbeispiele können hingegen in der Regel zur Wissenserweiterung, nicht jedoch zur Kompetenzentwicklung führen (Heyse & Erpenbeck, 2009, S. XXII). Daher müssen sich (Fach-)Hochschulen bei der (Weiter-)Entwicklung ihrer Marketingausbildungen diesen Veränderungen stellen und ihre Studienpläne an das sich ändernde Qualifikationsprofil anpassen. Es scheint notwendig, bisher verwendete Lehrformen und didaktische 41

44 Methoden zu hinterfragen. Eine echte Kompetenzausrichtung des Lehrangebotes erfordert jedoch noch weiterreichende Aktivitäten. Schaper et al. (2012, S. IV-VI) schlagen neben der Berücksichtigung des auszubildenden Kompetenzprofils im gesamten Lehr- und Lernangebot des Studiums noch weitere Maßnahmen vor. Dazu zählen didaktische Qualifizierungsangebote für Lehrende, kompetenzorientierte Leistungsfeststellungen, studienbegleitende Förderung von Studierenden und die kompetenzorientierte Evaluierung von Lehrveranstaltungen. Insgesamt wäre es ratsam, sich detailliert damit auseinanderzusetzen, wie die Kompetenzentwicklung im Rahmen einer akademischen Ausbildung angeregt und angeleitet werden kann. Es spricht einiges dafür, dass persönliche Kompetenzen für Marketing-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zukunft durchaus wichtig sind, um die geänderten Anforderungen bewältigen zu können und sich letztendlich auch in der Arbeitswelt nachhaltig zu etablieren. Daher sollte es das Ziel sein, in der akademischen Ausbildung der Entwicklung von persönlichen Kompetenzen ausreichend Platz einzuräumen. (Fach-)Hochschulen müssen sich dieser Herausforderung stellen, auch wenn neben der rein fachlichen Ausbildung diesem Bereich meist weniger Bedeutung zugemessen wird. Es gilt in einem ersten Schritt, das Bewusstsein für die Relevanz und den Wert persönlicher Kompetenzen sowohl auf Studiengangs- als auch auf Studierendenseite zu wecken, um anschließend (didaktische) Räume zu schaffen, die diese Kompetenzentwicklung ermöglichen und auch feststellen können. Die Einbindung von Berufspraktikerinnen und -praktikern in die curriculare (Weiter-)Entwicklung sowie Umsetzung und gegebenenfalls Anpassung leistet dazu einen wertvollen Beitrag. Da es sich um die Entwicklung persönlicher Kompetenzen handelt, ist die Eigenverantwortung der Studierenden ein unerlässlicher Erfolgsfaktor. Es liegt an ihnen, ihre individuellen Potenziale zu erkennen und sie unter Anleitung bewusst und systematisch zu entwickeln, zu reflektieren und nutzbar zu machen. Auf persönliche Kompetenzen ausgerichtete Aufnahmeverfahren können diesen Prozess unterstützen und eine Standortbestimmung ermöglichen. Für die weiterführende Forschung gibt es aufgrund der großen Diversität des Marketings durchaus sinnvolle Ansatzpunkte. Die vorliegende Studie kann gute Hinweise für eine Adaption von Ausbildungsinhalten geben. Für aussagekräftigere Ergebnisse wären Untersuchungen in einzelnen Sub-Disziplinen des Marketings notwendig. Insbesondere muss festgehalten werden, dass Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger im Marketing je nach Branche und Unternehmensgröße unterschiedliche Tätigkeitsbereiche absolvieren. Hier wäre eine differenziertere Untersuchung sinnvoll. Ebenso wird die stark mit dem Marketing verbundene Disziplin des Vertriebes durch die vorherrschenden Trends beeinflusst. Eine genauere Analyse dieses Berufsbildes wäre ebenfalls interessant. 42

45 REFERENZEN Aghamanoukjan, A., Buber R. & Meyer, M. (2009). Qualitative Interviews. In R. Buber/H. Holzmüller (Hrsg.). Qualitative Marktforschung. Konzepte Methoden Analyse (pp ). Wiesbaden: Gabler Verlag. Ameln, F. von & Wimmer, R. (2016). Neue Arbeitswelt, Führung und organisationaler Wandel. Zeitschrift für angewandte Organisationspsychologie, 47, Arbeitsmarktservice (2017). Qualifikationsbarometer Marketing. Abgerufen von Arbeitsmarktservice (2016). Berufskompass Handel, Marketing, ecommerce. Online: [Abruf am ]. Bernhard, A. (2004). Prognose von Schlüsselqualifikationen in IT-Serviceunternehmen. Dissertation. Wiesbaden: GWV Fachverlag. Boyatzis, R. (2008). Competencies in the 21st century. Journal of Management Development, 27, Cuhls, K. (2009). Delphi-Befragungen in der Zukunftsforschung. In R. Popp & E. Schüll (Hrsg.). Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis (pp ). Berlin, Heidelberg: Springer Verlag. Eichhorst, W. & Buhlmann, F. (2015). Die Zukunft der Arbeit und der Wandel der Arbeitswelt. IZA Standpunkte 77. Erpenbeck, J. & Rosenstiel, L. von (2005). Kompetenz: Modische Worthülse oder innovatives Konzept? Wirtschaftspsychologie aktuell, 3/2005, Erpenbeck, J. & Rosenstiel, L. von (Hrsg.) (2003). Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis. (pp ). Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. Europäische Kommission (2008). Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Ler-nen (EQR). Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaf-ten. Flick, U. (2004). Triangulation. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Grote, S, Kauffeld, S., Denison, K. & Frieling, E. (Hrsg.) (2006). Kompetenzen und deren Management: ein Überblick. In S. Grote, S. Kauffeld & E. Frieling (Hrsg.). Kompetenzmanagement: Grundlagen und Praxisbeispiele. (pp ). Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. 43

46 Haase, K. (2011). Kompetenz Begriffe, Ansätze, Instrumente in der internationalen Diskussion. In M. Bethscheider, G. Höhns & G. Münchhausen (Hrsg.). Kompetenzorientierung in der be-ruflichen Bildung (pp ). Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH. Heyse, V. & Erpenbeck, J. (2009). Kompetenztraining. 64 Modulare Informations- und Trainings-programme für die betriebliche, pädagogische und psychologische Praxis. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. Horx, M. (2011). Das Megatrend-Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht. München: Deutsche Verlags-Anstalt. Köhler, R. (2017). Organisatorische Herausforderungen für die marktorientierte Unternehmensführung unter veränderten Rahmenbedingungen. In M. Bruhn/M. Kirchgeorg (Hrsg.). Marketing Weiterdenken. Zukunftspfade für eine marktorientierte Unternehmensführung (pp ). Wiesbaden: Springer Verlag. Lamnek, S. & Krell, C. (2016). Qualitative Sozialforschung. Weinheim: Beltz Verlag. Meffert, H. & Sepehr, P. (2012). Anforderungen an den Marketing Manager der Zukunft. Marketing Review St. Gallen, 6/12, Nickel, S. (Hrsg.) (2011). Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung Analysen und Impulse für die Praxis. CHE gemeinnütziges Centrum für Hochschulentwicklung. Arbeitspapier 148. North, K., Reinhardt, K. & Sieber-Suter, B. (2013). Kompetenzmanagement in der Praxis. Mitar-beiterkompetenzen systematisch identifizieren, nutzen und entwickeln. Wiesbaden: Springer Verlag. Peisert, R. & Hermeier, B. (2010). Job Monitor Marketing & Sales 2010/11. Berichte aus der Forschung der FOM. Preißer, R. (2001). Dimensionen der Kompetenz zur berufsbiographischen Selbstorganisation und Flexibilität. In G. Franke (Hrsg.), Komplexität und Kompetenz. Ausgewählte Fragen der Kompetenzforschung (pp. 1-20). Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Schaper, N., Schlömer, T. & Paechter, M. (2012). Editorial: Kompetenzen, Kompetenzorientie-rung und Employability in der Hochschule. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 7/4, I X. Schlee, R. & Harich, K. (2010). Knowledge and Skill Requirements for Marketing Jobs in the 21st Century. Journal of Marketing Education, 31(3), Vogler-Ludwig, K., Düll, N. & Kriechel, B. (2016). Arbeitsmarkt Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. 44

47 Bedeutung von Soft Skills für die Beschäftigungsfähigkeit von Absolventen und Absolventinnen Victoria Rammer 1, Judith Friedl 1 1 FH Oberösterreich Campus Hagenberg, Softwarepark 11, 4232 Hagenberg, Österreich, victoria.rammer@fh-hagenberg.at, judith.friedl@fh-hagenberg.at 1 EINLEITUNG Aufgrund der Globalisierung der Märkte sowie der stetig steigenden internationalen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Unternehmen ergeben sich neue Herausforderungen für Industrie, Wissenschaft und die tertiäre Bildung im Hinblick auf die Beschäftigungsfähigkeit von Absolventen und Absolventinnen. Um den Anforderungen der Wirtschaft gerecht zu werden müssen zukünftige Hochschulabsolvent/innen mit Fähigkeiten ausgestattet werden, welche über das traditionelle akademische Fachwissen hinausgehen. Schlüsselfaktoren wie Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelle Kompetenzen, Kommunikationsfähigkeiten sowie kritisches und selbstreflektiertes Denken spielen hinsichtlich der Beschäftigungsfähigkeit von Absolvent/innen eine fortwährend bedeutende Rolle. Die Notwendigkeit zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit wird durch die ständig zunehmenden Globalisierungstrends sowie die demografische und digitale Kluft zusätzlich verstärkt. Darüber hinaus wird eine Veränderung der Geschäftsmodelle aufgrund der dynamischen globalen Wissenswirtschaft in den kommenden Jahren erhebliche Auswirkung auf die Beschäftigungslandschaft haben (World Economic Forum, 2016). In diesem Zusammenhang befasst sich der Beitrag mit den Anforderungen des lokalen Arbeitsmarktes an die tertiäre Bildung. Die Analyse gibt Einblicke in die wahrgenommenen Anforderungen hinsichtlich der Beschäftigungsfähigkeit von Hochschulabsolvent/innen und spiegelt dahingehend die Bedürfnisse der lokalen Industrie wider. 2 THEORETISCHER RAHMEN Im Hinblick auf die globale Wissenswirtschaft, die hoch qualifizierte und innovative Absolventen und Absolventinnen erfordert, ist eine breite Ausrichtung der Curricula sowie die Entwicklung von Kompetenzen und die Möglichkeit des lebenslangen Lernens für Hochschulen von oberster Priorität geworden (Sin & Amaral, 2016). Das traditionelle (oft eng disziplinäre) Kompetenzspektrum muss sich dahingehend auf ein breiteres Feld von Fähigkeiten verlagern, bei denen Selbstmanagement, Teamwork sowie Analyse- und Kommunikationsfähigkeiten als zusätzliche Vorteile betrachtet werden (Jackson, 2014; Precision Consulting, 2007). Ein tiefes Verständnis von Beschäftigungsfähigkeiten wie interkulturelle Kompetenzen, sprachliche Vielfalt, soziale Fähigkeiten und kommunikative Effektivität (Gaisch & Rammer, 2017), die auch in der aktuellen Forschung identifiziert wurden, kann eine effiziente Zusam- 45

48 menarbeit zwischen lokaler Industrie und Wissenschaft auf der ganzen Welt ermöglichen. Bei der Untersuchung der aktuellen Anforderungen der lokalen Märkte, die für den Arbeitsplatz als entscheidend erachtet werden, wurde festgestellt, dass die Absolvent/innen mit fundierten Qualifikationen ausgestattet sein müssen, die über die engen fachlichen Grenzen hinausgehen (Chydenius & Gaisch, 2016). Als Folge dessen greift die Bildungslandschaft immer mehr auf neue Strategien und Lernmethoden zurück, die die Ideen des "deeper learning" und der "21st Century Skills" umfassen (Pellegrino, 2017, S.223). Binkley et al. (2012) definieren die 21st Century Skills als Denk- und Arbeitsweisen sowie als Werkzeuge zum Arbeiten und Leben in der Welt. Ferner betonen Germaine et al. (2016), dass die 21st century skills als "prerequisites for success in the global workplace of the future" gelten (S.19). Veränderungen wie flachere Hierarchie- und Führungsstrukturen, dezentraler Wissenstransfer und Informationsaustausch sowie interdisziplinäre Teams und organisationsübergreifende und globalisierte Vernetzung sind Ergebnisse der sich schnell verändernden Wissensgesellschaft (van Laar et al., 2017). In diesem Zusammenhang ist es für Hochschulen essentiell die Beschäftigungsfähigkeit der Absolvent/innen zu verbessern und potentielle sowie bestehende Qualifikationslücken zu schließen (Jackson, 2016). Das Konzept der 21st Century Skills liefert dahingehend eine zentrale Beschreibung der Fähigkeiten, Kompetenzen und Kenntnisse (Germain et al., 2016). Das Wissen im Hinblick auf kommunikative Effektivität, sprachliche sowie kulturelle Vielfalt sind hierbei zu einem großen Vorteil am Arbeitsmarkt geworden (Yang, 2015; Räsänen, 2008, Gaisch, 2014). 3 METHODISCHES VORGEHEN Um einen tieferen Einblick in den Bedarf der Wirtschaft und die geforderten Qualifikationen der Hochschulabsolvent/innen zu erhalten, wurde eine qualitative Studie mit 14 Teilnehmer/innen in Form von semi-strukturierten Experteninterviews durchgeführt. Der teilstrukturierte Fragebogen ermöglichte eine hohe Flexibilität während der Interviews, sodass wichtige Informationen über die dynamischen Anforderungen des Arbeitsmarktes gewonnen werden konnten. Die Auswahl der Teilnehmer/innen erfolgte durch gezielte Stichproben (Cohen et al, 2013, S.156), da es wichtig war, interessierte Personen auszuwählen, die über umfangreiche Kenntnisse des untersuchten Phänomens verfügen. 4 ERGEBNISSE Die Ergebnisse zeigen, dass neben dem gelernten Fachwissen eine Vielzahl von Anforderungen erfüllt und die Kompetenzen der Absolvent/innen über das traditionelle akademische Fachwissen hinausgehen müssen. Als besonders wichtig wurden kommunikative Kompetenzen und Fremdsprachenkenntnisse eingestuft, gefolgt von kulturellem Wissen und sozialer Kompetenz. Weitere Relevanz wurde dem praktischen Wissen, dem Wissensmanagement und dem aufgabenorientierten Denken beigemessen. Darüber hinaus wurden drei Hauptthemen identifiziert, nämlich Fremdsprachenlernen, Arbeitssprache und kulturelles Bewusstsein. Fremdsprachenkenntnisse werden in der Wirtschaft als strategischer Vorteil angesehen, der als interkultureller Türöffner für neue Geschäftsbeziehungen dienen kann. Zudem wird das 46

49 Verständnis für unterschiedliche kulturelle Hintergründe und das kulturelle Bewusstsein, insbesondere in international tätigen Unternehmen, dahingehend als Gewinn angesehen. Die Ergebnisse verdeutlichen zudem die Wichtigkeit zukünftige Absolvent/innen für die dynamischen und miteinander verbundenen Anforderungen der globalen Wissenswirtschaft ausbilden, in der Kommunikator/innen und strategische Denker/innen unerlässlich sind, um vielfältige und widersprüchliche Interpretationen von Informationen effektiv zu analysieren, zu klären und zu vermitteln. Tabelle 1 zeigt die identifizierten Kompetenzen in Bezug auf die Beschäftigungsfähigkeit im Vergleich mit den aufgezeigten Fähigkeiten der 21st Century Skills des World Economic Forums (2016). Angesichts der wahrgenommenen Lücken zwischen erworbenen und geforderten Kompetenzen soll diese Darstellung als Bezugsrahmen dienen. Dabei geht sie auf künftige Anforderungen der lokalen und globalen Arbeitsmärkte ein, was dazu beitragen soll die Entwicklung innovativer und an den Bedarf angepasster Curricula voranzutreiben. Wahrgenommene Kompetenzen zur Beschäftigungsfähigkeit 21st Century Skills st Century Skills Kommunikationskompetenz 1. Komplexes Problemlösen 1. Komplexes Problemlösen 2. Fremdsprachenkenntnisse 2. Koordinationsfähigkeiten 2. Kritisches Denken 3. Kulturelles Wissen 3. Personalmanagement 3. Kreativität 4. Soziale Kompetenzen 4. Kritisches Denken 4. Projektmanagement 5. Praktisches Wissen 5. Verhandlungsfähigkeiten 5. Koordinationsfähigkeiten 6. Wissensmanagement 6. Qualitätskontrolle 6. Emotionale Intelligenz 7. Aufgabenorientiertes Denken 7. Serviceorientierung 7. Beurteilung und Entscheidungsfindung 8. Kollaborative und kooperative Problemlösung 8. Beurteilung und Entscheidungsfindung 8. Serviceorientierung 9. Kritische (Selbst-) Reflexion 9. Aktives Zuhören 9. Verhandlungsfähigkeiten 10. Diversitätsmanagement 10. Kreativität 10. Kognitive Flexibilität Tabelle 1. Vergleich der wahrgenommenen Beschäftigungsfähigkeiten mit den identifizierten Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts (World Economic Forum, 2016) Der Forschungsbericht des World Economic Forums (2016) umfasst mehr als 13 Millionen Arbeitnehmer in 13 Volkswirtschaften und neun Industriesektoren. Darunter Finanzdienstleister und Investoren, Informations- und Kommunikationstechnologien, Energiesektoren, Infrastruktur, Mobilität, Gesundheitswesen, Medienunterhaltung sowie professionelle Dienstleistungen. 47

50 Die erste Spalte der Tabelle 1 bezieht sich hierbei auf die identifizierten bzw. wahrgenommenen Kompetenzen zu Beschäftigungsfähigkeit und skizziert die Ergebnisse der durchgeführten qualitativen Studie. Die zweite und dritte Spalte zeigen die Erkenntnisse aus dem Bericht des World Economic Forums (Bellanca, 2010; Silva, 2009; Griffin and Care, 2014; Soffel, 2016). Werden die durch die Studie identifizierten Kompetenzen mit den Spalten zwei und drei verglichen, so lässt sich erkennen, dass die Ergebnisse der Studie mit jenen Fähigkeiten der 21st Century Skills korrelieren, wobei sie jedoch in Bezug auf ihre Prioritätsordnung stark variieren. Eine offensichtliche Abweichung ist im Bereich Kultur und Vielfalt zu erkennen. Während die Expertinnen und Experten feststellten, dass kulturelles Wissen und Bewusstsein sowie Diversitätsmanagement eine wichtige Rolle für effektive internationale Beziehungen und Arbeitsgruppen spielen, sind diese Kompetenzen nicht im Rahmen der erforderlichen Kompetenzen der 21st Century Skills des Weltwirtschaftsforums vertreten. Wie bereits zuvor erwähnt, werden Fremdsprachenkenntnisse als strategischer Vorteil angesehen, der als interkultureller Toröffner für neue Geschäftsbeziehungen dienen kann. In diesem Zusammenhang ist es überraschend, dass, obwohl der Bericht des Weltwirtschaftsforums viele Mitarbeiter in verschiedenen Branchen und Ländern umfasst, das Verständnis für unterschiedliche kulturelle Hintergründe und das kulturelle Bewusstsein, insbesondere in international tätigen Unternehmen, nicht als Gewinn angesehen werden. 5 KONKLUSION Die Expertinneninterviews haben Einblicke in die aktuellen Anforderungen der lokalen Industrie ermöglicht und aufgezeigt, dass kommunikative Fähigkeiten und kulturelle Kompetenzen ein großer Vorteil für die Wirtschaft sind. In diesem Sinne wird deutlich, dass Hochschulen und regionale Unternehmen eine erfolgreiche Zusammenarbeit benötigen, um eine verbesserte Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen und Absolventinnen sowie innovative Anpassungen der Lehrpläne zu ermöglichen. Solche Veränderungen können zunehmend einen reflektierenden Raum zulassen, in dem potenzielle Absolventen und Absolventinnen komplexe Problemlösungen in Angriff nehmen können, ihre kritischen Denkfähigkeiten nutzen und ihre kognitive Flexibilität und ihr kreatives Denken unter Beweis stellen. Auch die Anreicherung von Fächern und Disziplinen durch den Einsatz einer Fremdsprache kann Vorteile hinsichtlich des effektiven Sprachgebrauchs und des erhöhten interkulturellen Bewusstseins bringen. Ferner können Fremdsprachenkenntnisse sowie respektvolle und wertschätzende Kommunikationsmuster die Zusammenarbeit zwischen internationalisierten Unternehmen in der jeweiligen Grenzregion verbessern. 48

51 REFERENZEN Bellanca, J., (2010). 21st century skills: Rethinking how students learn. Solution Tree Press. Binkley, M., Erstad, O., Herman, J., Raizen, S., Ripley, M., Miller-Ricci, M., & Rumble, M. (2012). Defining twenty-first century skills. In P. Griffin, B. McGaw, & E. Care (Eds.), Assessment and teaching of 21st century skills (pp ). New York, NY: Springer. Chydenius, T., & Gaisch, M. (2016), Work-life Interaction Skills: An Exploration of Definitional and Functional Perspectives within the Austrian and Finnish ICT Industry. Business Perspectives and Research, 4(2), Clarke, V., & Braun, V. (2013). Cohen, L., Manion, L., & Morrison, K. (2013). Research methods in education. Routledge. Gaisch, M. & Rammer, V. (2017). A cross-cultural study between Austria and the Czech Republic on required competencies beyond technical expertise. Proceedings of Cross-cultural Business Conference Steyr. Gaisch, M. (2014). Affordances for Teaching in an International Classroom: A Constructivist Grounded Theory. PhD Thesis. University of Vienna. Germaine, R., Richards, J., Koeller, M., & Schubert-Irastorza, C. (2016). Purposeful Use of 21st Century Skills in Higher Education. Journal of Research in Innovative Teaching, 9(1). Griffin, P., & Care, E. (Eds.). (2014). Assessment and teaching of 21st century skills: Methods and approach. Springer. Jackson, D. (2014). Testing a model of undergraduate competence in employability skills and its implications for stakeholders. Journal of Education and Work, 27(2), Jackson, D. (2016). Re-conceptualising graduate employability: the importance of preprofessional identity. Higher Education Research & Development, 35(5), Pellegrino, J. W. (2017). Teaching, learning and assessing 21st century skills. Pedagogical Knowledge and the Changing Nature of the Teaching Profession. Precision Consultancy Business, Industry and Higher Education Collaboration Council. (2007). Graduate employability skills. Precision Consultancy, Melbourne, Victoria. Räsänen, A Tuning ESP/EAP for Mobility, Employability and Expertise: A Pedagogical Process of Change in Focus,Insights and Practice. In Integrating Language and Content, edited by I. Fortanet-Gomez and C. A. Räsänen, Amsterdam: Benjamins Publishing. Silva, E. (2009). Measuring skills for 21st-century learning. Phi Delta Kappan, 90(9),

52 Sin, C., & Amaral, A. (2016). Academics and employers perceptions about responsibilities for employability and their initiatives towards its development. Higher Education, Soffel, J. (2016). What are the 21st- century skills every student needs. In World Economic Forum weforum. org/agenda/2016/03/21st-century-skills-future-jobsstudents. Accessed (Vol. 7, pp ). van Laar, E., van Deursen, A., van Dijk, J., & de Haan, J. (2017). The relation between 21stcentury skills and digital skills: A systematic literature review. Computers in human behavior, 72, Yang, W. (2015). Tuning university undergraduates for high mobility and employability under the content and language integrated learning approach. International Journal of Bilingual Education and Bilingualism, World Economic Forum. (2016).The future of jobs: Employment, skills and workforce strategy for the fourth industrial revolution. World Economic Forum, Geneva, Switzerland. 50

53 Wie sich Alumni-Vereine im deutschsprachigen Raum in den kommenden zehn Jahren wandeln müssen, um ihr Fortbestehen sicherzustellen Mario Rubenzer 1 1 FH Oberösterreich Alumni Club, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich, alumni@fh-ooe.at 1 EINLEITUNG Interessensgemeinschaften wie politische Parteien, Bünde und Vereine erleben aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen, welche in nicht unwesentlichem Maße auf die Digitalisierung und Globalisierung zurückzuführen sind, eine Mitgliedererosion. Die zunehmende Job- Mobilität, die flächendeckende Verbreitung von Informationstechnologien sowie die in den letzten Jahren stark gestiegene Nutzung mobiler Endgeräte führen dazu, dass sich die Pflege von Beziehungen verstärkt von der persönlichen in die virtuelle Sphäre verlagert. Dies hat tendenziell ungünstige Auswirkungen auf die klassische Vereinsarbeit, deren vordergründiger Zweck darin besteht, persönliche Treffen von Mitgliedern zur gemeinsamen Ausübung von bestimmten Aktivitäten zu organisieren. Eine weitere Herausforderung stellen die neuen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt dar. Die aktuellen Entwicklungen erschweren es berufstätigen Personen, regelmäßig an Vereinstreffen teilzunehmen, welche häufig an einem festen Ort und zu einer fixen Zeit stattfinden. Auch Alumni-Vereine sind davon betroffen. Es handelt sich hierbei um Sammelbecken für Hochschul-AbsolventInnen mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen, Interessen, Lebens- und Arbeitssituationen, welche auch nach ihrem Abschluss mit ihrer jeweiligen Alma Mater verbunden bleiben möchten. Ein Angebot zu entwickeln, das zumindest die breite Masse einer solch heterogenen Zielgruppe anspricht, ist jedoch schwierig. Hinzu kommt, dass AkademikerInnen mittlerweile zwischen einer Vielzahl von maßgeschneiderten Freizeitangeboten wählen können. Diese Arbeit beantwortet eine Frage, welche sich angesichts dieser Entwicklungen stellt: Wie müssen sich Alumni-Vereine im deutschsprachigen Raum in der kommenden Dekade wandeln, um ihren Fortbestand sicherzustellen? 2 BEDEUTUNGSVERLUST VON VEREINEN IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM In diesem Kapitel wird die bisherige und die künftige Bedeutung von Vereinen thematisiert. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der erkennbaren quantitativen Entwicklung sowie den lokalen Verschiebungen gewidmet. Der Fokus liegt klar auf dem deutschsprachigen Raum. 2.1 Bestandsaufnahme und Ausblick Einem Artikel von Die Presse zufolge gab es in Österreich im Jahr 2016 mehr als eingetragene Vereine (Rief, 2016). Zu diesem Zeitpunkt konnte man einem Artikel der Oberösterreichischen Nachrichten zufolge jedoch bereits ein sinkendes Interesse an Vereinsmit- 51

54 gliedschaften erkennen. Waren ihren Recherchen zufolge im Jahr 2012 noch 58 Prozent der ÖsterreicherInnen in zumindest einem Verein aktiv, so waren es vier Jahre später nur noch 51 Prozent (Zahl der Vereinsmitglieder in Österreich, 2016). Zudem geht aus dem Artikel hervor, dass die meisten Vereinsmitglieder ( ) nur passiv bzw. zahlend (Absatz 2) seien. Eine Vorstellung davon, wohin sich das Vereinswesen in den nächsten Jahren entwickeln könnte, gibt eine im Auftrag des Stifterverbands durchgeführte Studie von Gilroy et al. (2018). Daraus geht hervor, dass die Zahl deutscher Vereine in Regionen mit weniger als EinwohnerInnen rückläufig ist, während sie in Großstädten zunimmt. Dafür gebe es vor allem drei Gründe: Einer davon sei der demografische Wandel: So würden es eine schrumpfende Bevölkerung, Abwanderung von ländlichen Regionen in Städte und die Alterung ländlicher Bevölkerungen (S. 7) immer schwerer machen, Vereine am Leben zu erhalten. Auch die monetäre Komponente sei nicht zu unterschätzen: Während im urbanen Raum jede/r dritte Beschäftigte in einem Verein für seine/ihre Tätigkeit bezahlt wird, erhält Gilroy et al. (2018) zufolge in kleineren Städten nur jeder Vierte, am Land sogar nur jede/r siebte MitarbeiterIn eine Vergütung. Erschwerend komme hinzu, dass die Anzahl engagierter Personen in jedem fünften Verein am Land rückläufig sei. Dies führe zu einem Reputationsverlust klassischer ehrenamtlicher Funktionen (S. 10) wie dem Vereinsvorsitz, was sich negativ auf die Akquise neuer Mitglieder auswirke. Ebenso habe sich der Zugang zu ehrenamtlicher Mitarbeit um 180 Grad geändert: Hätten sich Kinder früher eher dort engagiert, wo ihre Eltern aktiv waren, so sei es heute genau umgekehrt. Davon würden vor allem Fördervereine im schulischen Umfeld profitieren. In der Studie findet man jedoch auch ein Indiz dafür, dass Vereine in Deutschland allgemein an Bedeutung verlieren. Dies lässt sich vor allem an der sinkenden Zahl an Neugründungen und der steigenden Zahl der Auflösungen festmachen. Wurden einer Statistik des Bundesamts für Justiz zufolge 1995 noch fast fünfmal mehr Vereine gegründet (22.042) als aufgelöst (4.448), so lagen die Neugründungen im Jahr 2016 mit nur noch etwa 50% über den Auflösungen (9.003). 3 GESELLSCHAFTLICHE TRENDS: EIN ÜBERBLICK In diesem Abschnitt werden allgemeine Trends und Phänomene vorgestellt und kurz diskutiert, welchen die Wissenschaft einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft zuschreibt. Deren Kenntnis ist erforderlich, um die unter Punkt 4 vorgestellten Empfehlungen besser nachvollziehen zu können. 3.1 Digitalisierung und Konnektivität Sowohl unsere Kommunikation, unsere Mediennutzung als auch unsere Konsumaktivitäten verlagern sich zunehmend in den digitalen Bereich. Viele Dienste und Angebote, welche man vor der Einführung des Internets nur physisch und lokal in Anspruch nehmen konnte, sind mittlerweile zeit- und ortsunabhängig verfügbar. Zu dieser Einschätzung kommt auch das deutsche Zukunftsinstitut (o. D.), welches schreibt: Digitale Kommunikationstechnologien verändern unser Leben grundlegend, reprogrammieren soziokulturelle Codes und lassen neue Lebensstile und Verhaltensmuster entstehen (Absatz 1). Wer einen Beleg für die zunehmende Bedeutung der Vernetzung in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sucht, wird diesen in der Mitgliederzahl von sozialen Netzwerken finden. Überall auf der Welt haben sich seit den frühen 2000er-Jahren soziale Netzwerke entwickelt, welche mit unterschiedlichen schwerpunktmäßigen Ausrichtungen stetig Mitglieder lukrieren und 52

55 diese auch über einen längeren Zeitraum halten können. Allein Facebook hat über zwei Milliarden aktive NutzerInnen. Laut dem deutschen Zukunftsinstitut (o. D.) sei Konnektivität gar der wirkungsmächtigste Megatrend unserer Zeit (Absatz 1), da das Prinzip der Vernetzung den gesellschaftlichen Wandel dominiere. 3.2 Gemeinschaftsorientierung trotz Individualisierung Eine weitere Veränderung, welche sich in den letzten Jahren abzeichnet, ist die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft. Bruhn (2014) beschreibt dieses Phänomen als Streben nach Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit (S. 12), durch welches sich individualisierte Bedürfnisse und Wünsche (S. 12) ergeben würden. Die Pflege von Brauchtum und Traditionen, das Übernehmen klassischer Rollen in der Dorfgemeinschaft und das Engagement in Schützen-, Sport-, Musik- und anderen Vereinen wird zunehmend durch spezifischere Interessensverfolgungen und individuellere Formen der Freizeitgestaltung ersetzt. Begünstigt bzw. beschleunigt wird diese Entwicklung durch die Urbanisierung, Globalisierung, die höhere Mobilität und die Möglichkeiten der Digitalisierung. Die Menschen würden, so Bruhn (2014), zwar zunehmend den Wunsch nach Einzigartigkeit und Abhebung von der breiten Masse (S. 12) hegen. Durch den Verlust traditioneller Zwänge und Verhaltenskontrollen in den 1980er- und 1990er-Jahren (S. 14) bilde sich Bruhn zufolge aber auch eine neue Form der Gemeinschaftsorientierung heraus. 3.3 Veränderungen in der Arbeitswelt In Österreich beobachtet man seit geraumer Zeit eine Veränderung der Arbeitsverhältnisse. Waren laut Statistik Austria (2019) um die Jahrtausendwende herum etwa 4% der erwerbstätigen Männer in Teilzeit beschäftigt, so hat sich diese Quote bis 2018 auf über 11% erhöht. Bei den Frauen stieg die Quote im selben Zeitraum sogar von 32,3% auf 47,5%. In absoluten Zahlen gemessen sind heute beinahe doppelt so viele Menschen auf Teilzeit-Basis beschäftigt als noch im Jahr Parallel dazu steigen die Anforderungen an MitarbeiterInnen, welche ein klassisches Vollzeit- Dienstverhältnis haben. Ursächlich dafür sind einerseits die Einführung des 12-Stunden-Tags und der 60-Stunden-Woche in Österreich, andererseits die vermehrt abgeschlossenen All-In- Verträge, mit welchen die arbeitnehmerseitige Verpflichtung zur Leistung von Überstunden in einem bestimmten Rahmen einhergeht. Waren im Jahr 2013 noch knapp 18% aller in Österreich abgeschlossenen Dienstverträge All-In-Verträge (Belastung für Arbeitnehmer, 2016), so hat sich diese Quote bis 2019 auf 40% erhöht (Proissl, 2019). Hinzu kommt eine hohe Job-Mobilität, welche nicht nur auf globaler, sondern auch auf nationaler Ebene beobachtet werden kann. Einer Studie der Statistik Austria (2016) zufolge, welche im Jahr 2010 ca. eine Million Beschäftigungsaufnahmen in verschiedenen Branchen auf deren durchschnittliche Dauer hin untersuchte, ist die Fluktuation am heimischen Arbeitsmarkt sehr hoch. Nicht einmal ein Viertel der zu Studienbeginn eingegangenen Arbeitsverhältnisse war nach Ablauf von 24 Monaten noch aufrecht. Dies lässt auf eine sinkende Loyalität gegenüber Arbeitgebern schließen. Die Sicherheit des Vertrauten verliert für ArbeitnehmerInnen an Bedeutung, wovon Unternehmen mit attraktiveren Angeboten profitieren. 53

56 4 ALLGEMEINE HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR ALUMNI-VEREINE An dieser Stelle werden die Erkenntnisse aus den vorherigen Kapiteln mit den Ergebnissen interner Befragungs- und Datenbankauswertungen des Alumni Clubs FH OÖ verglichen. Daraus werden Empfehlungen für Alumni-Vereine im deutschsprachigen Raum abgeleitet, mit welchen man dem unter Punkt 2 beschriebenen Negativ-Trend entgegenwirken kann. Wie zuvor erläutert wurde, nimmt die Bedeutung von Vereinen bzw. das allgemeine Interesse an einer Mitgliedschaft ab. Ein ähnlicher Trend ist im 2009 gegründeten Alumni Club FH OÖ erkennbar: Traten diesem in den ersten vier Jahren seines Bestehens im Schnitt noch 16,5% der FH OÖ-AbsolventInnen bei (1.722 Beitritte bei AbsolventInnen), so hat sich diese Quote zwischen 2014 und 2018 mit 8,9% fast halbiert (811 Beitritte bei Alumni). Geht man davon aus, dass die Alumni-Vereine anderer Hochschulen einen ähnlich geringen Zustrom verzeichnen, so steht außer Frage, dass es Handlungsbedarf gibt. In einer Zeit der zunehmenden Konnektivität (siehe 3.1) und Individualisierung (siehe 3.2), in welcher sich Menschen über diverse Online-Plattformen miteinander vernetzen und zu Interessensgemeinschaften zusammenschließen können, läuft der klassische Verein Gefahr, überflüssig zu werden. AbsolventInnen der FH OÖ beispielsweise nutzen, wie zuvor erklärt, immer seltener die zentrale Anlaufstelle Alumni Club, um nach ihrem Abschluss miteinander in Kontakt zu bleiben. Da es mittlerweile Usus ist, in mehreren sozialen Netzwerken und Chat-Gruppen vertreten zu sein, können bei Bedarf jederzeit dezentral und spontan Treffen und Stammtische vereinbart werden. Auch ist es aufgrund der stärkeren Online-Präsenz von Personen und Organisationen leichter, ehemalige Vortragende und StudienkollegInnen, die man aus den Augen verloren hat, wiederzufinden. Alumni-Vereine müssen sich dessen bewusst werden und sollten sich künftig stärker als Interessensgemeinschaften positionieren. Viele Alumni-Vereine haben für ihre Mitglieder zudem ein überwiegend analoges Angebot: Der Alumni Club FH OÖ beispielsweise wandte in der Vergangenheit viel Zeit und Energie dafür auf, Veranstaltungen zu organisieren. Allein 2018 wurden acht Workshops, acht Betriebsbesichtigungen, neun Abendvorträge und zehn Ausflüge organisiert. Damit gab es für die knapp Mitglieder insgesamt 35 Gelegenheiten zur persönlichen Begegnung. Eine überblicksmäßige Auswertung der Teilnehmerzahlen offenbarte dabei, dass sich ein unter Punkt 2.1 angeführter Trend auch im Alumni Club FH OÖ deutlich erkennen lässt: Es gibt einen kleinen harten Kern engagierter Mitglieder, der wiederholt bei Events dabei ist. Die breite Masse zahlt nur den Mitgliedsbeitrag, ohne je eine Leistung in Anspruch zu nehmen. Eine interne Befragung im Jahr 2017, an der 853 AbsolventInnen der FH OÖ teilnahmen, offenbarte, dass diese Absenz vor allem zwei Gründe hat: Zeitmangel und eine zu große räumliche Entfernung. Gleichlautend sind die Begründungen, welche in Kündigungsschreiben nach mehreren Jahren der Mitgliedschaft angeführt werden. Wie unter Punkt 3.3 beschrieben, kann man sich nicht mehr allein auf Loyalität verlassen. Damit es ein Alumni-Verein schafft, seine Mitglieder zu halten bzw. neue zu gewinnen, muss er attraktiv bleiben. Dazu ist es unabdingbar, dass das bestehende Angebot verbessert und ausgebaut wird insbesondere im digitalen Bereich. Denn eines ist klar: Wir leben in einer Zeit, in der zielgruppenspezifische Informationen jederzeit kostenlos verfügbar sind und immer mehr WettbewerberInnen mit immer professionelleren Web-Services um die immer begrenzteren Ressourcen von immer weniger InteressentInnen konkurrieren. Ohne erkennbaren USP und mit einem rein analogen Angebot haben klassische Alumni-Vereine wohl bald keine Existenzberechtigung mehr. 54

57 REFERENZEN Bruhn, M. (2014). Integrierte Unternehmens- und Markenkommunikation. Strategische Planung und operative Umsetzung (6. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. Abgerufen am von &biblettype=html5&shoplinknumbers=none Gilroy, P., Krimmer, H., Priemer, J., Kononykhina, O., Pereira Robledo, M., & Stratenwerth- Neunzig, F. (2018). Vereinssterben in ländlichen Regionen Digitalisierung als Chance. Berlin: ZiviZ im Stifterverband. o. A. (3. März 2016). Belastung für Arbeitnehmer steigt. ORF. Abgerufen am von o. A. (14. Juni 2018). Zahl der Vereinsmitglieder in Österreich nimmt ab. Oberösterreichische Nachrichten. Abgerufen am von chronik/zahlder-vereinsmitglieder-in-oesterreich-nimmt-ab;art58, Proissl, A. (14. Februar 2019). All-in-Verträge: Wann Arbeitgebern hohe Strafen drohen. Trend. Abgerufen am von Rief, N. (19. März 2016). Das Land der Präsidenten. Die Presse. Abgerufen am von Praesidenten Statistik Austria. (2016). Österreichischer Arbeitsmarkt von höher Dynamik geprägt. Abgerufen am von Statistik Austria. (2019). Erwerbstätigenquoten nach Alter und Geschlecht seit Abgerufen am von Zukunftsinstitut. (o. D.). Megatrends. Abgerufen am von dossier/megatrends/ 55

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59 Neue Professionen: zwischen Notwendigkeit und Identitätsfindung am Beispiel Diversitätsexpert*innen Kirsten Ratheiser 1 1 Fachhochschule Kärnten, Primoschgasse 8-10, 9020 Klagenfurt, Österreich, k.ratheiser@fh-kaernten.at 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ Spätestens seit in Kraft treten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetztes (BGStG) 2016, dass u.a. die bauliche Barrierefreiheit in Österreich regelt, entbrannte eine breite öffentliche Debatte darüber, was der Gesellschaft und hier primär den Wirtschaftstreibenden an Adaptionen zumutbar sei. Die Angst vor schwer bewältigbaren finanziellen Belastungen führte schnell zu Fragen nach der Notwendigkeit von Adaptionen per se und was der Staat denn noch alles fordere. Wenn überhaupt, wurde die Diskussion über die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen nur am Rande geführt und endete häufig in bewertenden und abwertenden Äußerungen bezüglich der Betroffenen. In den Diskussionen traten primär drei Fragestellungen zu Tage: Was ist zu tun? Wie ist es zu tun? Warum ist es - überhaupt - zu tun bzw. notwendig? Wobei die breite Bevölkerung tendenziell nicht an der Frage nach dem Was? scheiterte, sondern an Ideen und Erfahrungswerten bezüglich des Wie? und Warum überhaupt?. An dieser Stelle fehlten Schnittstellen-Expert*innen innerhalb der Organisationen/Institutionen oder zukaufbare Expertise als gesellschaftlich sichtbares Angebot, welche einerseits konkrete Möglichkeiten der Umsetzung erarbeiten und die entsprechenden Vermittlungs- und Vernetzungstätigkeiten übernehmen und andererseits die dahinterstehenden Informationen und Erfahrungswerte bezüglich der Bedarfe von Menschen mit Behinderung niedrigschwellig übermitteln. Es stellt sich also die Frage, wie diese Schnittstellen-Expert*innen gezielt ausgebildet und der Arbeitswelt zur Verfügung gestellt werden können. Was im Rahmen dieses Papers exemplarisch am Beispiel der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung diskutiert wird, ist sinngemäß übertragbar auf sämtliche Diversitätsbereiche, verallgemeinernd lässt sich jedoch festhalten, dass die aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen unter anderem darin bestehen, die vorhandene und zunehmende Heterogenität anzuerkennen und im Rahmen eines humanistischen Menschenbildes eine inklusive Gesellschaft anzustreben. Betreffend die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen beschreibt das BGStG diesen inklusiven Zugang über den 1 mit der Zielsetzung 57

60 die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. In weiterer Folge wird dort der Begriff der Barrierefreiheit präzisiert, der bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche beschreibt, die dann als barrierefrei gelten, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. ( 6 Abs.5 BGStG). Aus oben angeführten Erläuterungen kann abgeleitet werden, dass für alle Umsetzungsschritte Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit als zentraler Leitgedanken gelten müssen. Lösungsansätze und Angebote müssen demzufolge gut auffindbar und verbindlich sein. Sie müssen so transparent nachvollziehbar sein, dass sie als fair wahrgenommen werden. An dieser Stelle wird im vorliegenden Paper dem im öffentlichen Rahmen diskutierten Fragenkatalog bezüglich der Barrierefreiheit ( Was, wie und warum es zu tun ist? ) noch die Frage Wer tut es? - also die Zuständigkeitsthematik - hinzugefügt. 2 THEORETISCHER RAHMEN Die theoretischen Bezüge umfassen Ansätze aus den Fachbereichen der Diversity Studies, der Disability Studies, sowie dem organisationsspezifischen Diversitätszugang des HEAD Wheels nach Gaisch & Aichinger (2017). Des Weiteren werden Theorien im Rahmen von Professionalisierungsprozessen (Hesse, 1972; Luhmann, 2002) wie Professionelles Handeln, Reflexion, Perspektivenwechsel (Schröder, 2002; Körner & Ludwig-Körner, 1997; Luft & Ingham, 1955) und der Themenbereich Beruf und Identität (Abels, Honig & Weymann, 2008; Horster, Hoyningen-Süess & Liesen, 2005; Lieberman, 1964) diskutiert. 3 METHODISCHES VORGEHEN Desktop Research. 4 ERGEBNISSE Bestehende Organisationen/Institutionen sind zumeist in zahlreiche Organisationseinheiten mit definierten Aufgabenbereichen gegliedert. Beispielsweise bestehen Fachhochschulen aus unterschiedlichen Bereichen wie Lehre, Forschung, Verwaltung, Personalwesen, Bibliothek, Facility Management, Marketing etc.. Widerkehrend anfallende Aufgaben und Tätigkeitsbereiche, sind den jeweiligen Organisationsbereichen gut zuordenbar und die Prozesse sind erprobt. Ausgehend von der Prämisse, dass jede Behinderung so individuell wie die betroffene Person selbst ist, müssen demzufolge jeweils individuelle Lösungen gesucht werden. Auf individuelle Lösungen trifft jedoch die oben angeführte klare Zuordenbarkeit zu bestehenden Organisationseinheiten und erprobten Prozessen in der Regel nicht zu. Daher ist es von Nöten für die Prozessabwicklung - von der Entwicklung der individuellen Einzelfalllösung bis hin zur Einführung und Etablierung von neuen, nachvollziehbaren und gut umsetzbaren organisationsinternen Prozessen, die die individuellen Bedarfe gezielt in den Mittelpunkt stellen - Schnittstellen-Expert*innen einzusetzen. Orientiert man sich - wiederum exemplarisch - bei der Analyse der Bedarfe von Menschen mit Behinderungen am HEAD Wheel (Higher Education Awareness for Diversity) nach 58

61 Gaisch & Aichinger (2017), das sehr detailliert die Komplexität der Diversitätsdimensionen im hochschulischen Kontext darlegt, so wird schnell ersichtlich, dass für alle Menschen und im Besondern für Menschen mit Behinderung eine intersektionale Perspektive - also die Perspektive von sich überkreuzenden Ungleichverhältnissen (Smykalla & Vinz, 2016) - eingenommen werden muss. Der demographische Diversitätsaspekt Behinderung, geht immer einher mit der Dimension Alter und Geschlecht und führt häufig zu nicht traditionellen Ausbildungsverläufen und Bildungssozialisationen. Dies hat wiederum Einfluss auf kognitive Diversitätsdimensionen wie Wahrnehmungsperspektiven, Denkweisen, Lernzugänge und Informationsverarbeitung, die in der Folge Einfluss auf funktionale Diversitätsdimensionen wie Kommunikationsstrukturen nehmen usf. Um diese Vielschichtigkeit der Dimensionen und Faktoren zu berücksichtigen bedarf es Personen die spezifisch damit beauftragt sind, in fortgesetztem Wechsel die zahlreichen unterschiedlichen Perspektiven einzunehmen und entsprechend Erkenntnisgeleitet zu agieren. Für die professionell Handelnden gilt nach der These von Körner & Ludwig-Körner (1997), dass niemand in der Lage ist gleichzeitig zu handeln und sein Handeln zu betrachten. Die Einnahme des exzentrischen Standpunktes (Schröder, 2002; Körner & Ludwig-Körner, 1997) erlaubt hierbei sowohl die multiperspektivische Reflexion aus der Perspektive der Fachlichkeit als auch die Möglichkeit Sichtweisen und Blickwinkel von anderen Personen einzuholen, unabhängig davon ob diese an der Situation beteiligt waren oder eine Position von außen einnehmen (Schröder, 2002). Diese Sichtweise inkludiert das Bestreben nach der Einnahme der Betroffenenperspektive, die im Kontext der Disability Studies als zentral gilt. Die etablierten Organisationseinheiten mit ihren vorgegebenen Berufsbildern verfügen weder über Zeitressourcen noch die Kompetenz um dieses hohe Ausmaß an perspektivischer Flexibilität zu gewährleisten und laufen daher ständig Gefahr wesentliche Aspekte zu übersehen. Die von Joseph Luft und Harry Ingham bereits 1955 propagierte Thesen zum Blinden Fleck sind von Personen analog auf Organisationen/Institutionen übertragbar und zur Vermeidung von Unterlassungsfehlern nutzbar. Organisationen/Institutionen präsentieren in der öffentlichen Arena formelle und informelle Inhalte, die sowohl in der Organisation/Institution als auch außerhalb bekannt sind und interne Informationen (oder private wie im JoHari- Fenster betitelt) die in der Organisation/Institution zwar bekannt sind, jedoch nicht nach außen gelangen sollen. Es ist jedoch für keine Organisation/Institution wünschenswert, wenn Inhalte nach außen hin bekannt werden, derer man sich intern nicht bewusst ist. Solche blinden Flecken sind umso schwerwiegender, wenn es hoch sensible Themenbereiche betrifft, die konkreten rechtlichen Rahmenbedingungen, wie dem BGStG, unterliegen und gesellschaftlich relevant sind. Die Wissensbestände und Kompetenzen von dafür ausgebildeten Schnittstellen- Expert*innen bzw. Diversitätsexpert*innen müssen jedenfalls sehr breit angelegt sein. Es bedarf interdisziplinärem Basis-, Praxis- und Anwendungswissens und entsprechender Kompetenzen mit dem Fokus auf Diversity Studies und Disability Studies, deren Besonderheit die Konzentration auf die Betroffenenperspektive darstellt. Fundiertes Grundwissen bezüglich den Disability Studies und Diversity Studies allgemein aber auch zu den spezifischen Bereichen Gender Studies, Queer Studies, Inter- und Transkulturalität, Soziale Herkunft und zu Altersdimensionen (inkl. pränataler Themenbereiche bis hin zum Sterbeprozess) vor allem jedoch bezüglich der intersektionalen Bezüge zwischen den Dimensionen, stellt die Basis für den weiteren Wissens- und Kompetenzerwerb dar. Davon ausgehend müssen breit gefächerte, interdisziplinäre Wissensbestände die Kompetenz erschließen, die am Arbeitsmarkt auftretenden bereichs- und organisationsspezifi- 59

62 schen Gegebenheiten interpretieren und entsprechend theoriegeleitet handeln zu können. Hierzu zählen rechtliche, politische und sozialpolitische Grundlagen (inkl. politischer Interessenvertretungen Selbstbetroffener), weiters sind wirtschaftliche Kenntnisse (z.b.: Wirtschaftswissenschaften, Disability & Diversity Management, Social Entrepreneurship) und spezifischen Kenntnisse und kritische Auseinandersetzung bezüglich Behinderungen und Chronischer Erkrankungen nötig. Diese sollte unter anderem auf ethischen (z.b. Technikfolgenabschätzung, Care-Ethik) und sozialphilosophischen Überlegungen basieren aber auch auf Wissensbeständen aus der Psychologie, Soziologie und der Pädagogik. Die benötigten theoriegeleiteten, methodisch relevanten Kompetenzen konzentrieren sich auf Kommunikation (eigene Fähigkeiten aber auch z.b. Unterstützte Kommunikation), Beratungsund Interventionskompetenzen, spezifische Umsetzungsmethoden und Handlungskonzepte (z.b. Case Management, Community Care, Teilhabe durch Universal Design) aber auch auf die Erweiterung sprachlicher Kompetenzen (z.b. Gebärdensprache). Für die Überleitung div. praktischer Erfahrungswerte in Weiterentwicklung und Fortschritt sind wissenschaftstheoretisches Wissen und das Beherrschen entsprechender wissenschaftlicher Techniken unabdingbar. Eine interessensgeleitete Vertiefung in spezifische Themenbereiche der Diversitäts-Expertise sollte auch schon während der Ausbildung möglich sein bzw. gefördert werden. Da aktuelle Entwicklungen (sowohl im gesellschaftlichen Bereich als auch im persönlichen Werdegang) in weiterer Folge am Arbeitsmarkt selbst organisierte, bedarfsgesteuerte Wissenserweiterung mit sich bringen und dies demzufolge zu den erforderlichen Kompetenzen der Expert*innen zählen. Ausgehend von der These, dass jede Organisation/Institution punktuell oder laufend die Expertise dieser Diverstitätsexpert*innen benötigt, stellt der Wissens- und Kompetenzerwerb selbst - trotz der extrem komplexen Thematik - aktuell, in Österreich als unproblematisch dar, zumal ein entsprechendes Bachelorstudium (Disability & Diversity Studies) dafür angeboten wird. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, dass es den Beruf also solchen bis dato nicht gibt. Erwerbstätige Erwachsene verbringen 3 bis 5 Jahrzehnte ihres Lebens im Berufsleben, ihre Sozialisation entsteht durch den Beruf und ihr eigener Platz in der Gesellschaft wird darüber definiert. Er liefert wirtschaftliche Mittel zur Existenzsicherung die wiederum zu Interpretationen bezüglich des eigenen Wertes führen (Abels, Honig & Weymann 2008). Somit beeinflusst der Beruf die Persönlichkeitsentwicklung und ist identitätsstiftend. Was geschieht jedoch, wenn die erlernten Wissensbestände und erworbenen Kompetenzen zwar einen hohen gesellschaftlichen Wert haben und offensichtlich ein gesellschaftlicher Bedarf vorhanden ist, das Wissens- und Kompetenzpaket jedoch zugleich noch nicht etabliert und daher von der breiten Öffentlichkeit als Beruf (noch) nicht anerkannt ist? Wenn Fragen wie Was ist das?, Was bist du dann?, Was machst du damit? nicht klar beantwortet werden können, kann dies auf persönlichen Ebene zu einer Verunsicherung bezüglich der eignen Identitätsentwicklung bis hin zu Zweifeln an der Ausbildungswahl führen. Nach Horster (2005) stellen Berufe wichtige Elemente der Sozialstruktur der modernen Gesellschaft dar und sollten wenn möglich im Kontext besagter Sozialstruktur erklärbar sein. Auch wenn die beschriebenen Diversitäts-Expert*innen diese Kriterien erfüllen, macht es diese Expertise noch nicht zu einem gesellschaftlich wahrgenommenen Beruf. 60

63 Lieberman (1964) führt am Beispiel des Berufes Lehrende aus, dass die Ziele, Selbstgestaltung des Berufes, Zusammengehörigkeitsbewusstsein und Profilierung des Berufsbildes in der Öffentlichkeit angestrebt werden sollen. Für die Diversitäts-Expert*innen gilt aktuell, dass es zuallererst gilt die Disziplin als Beruf zu definieren. Zu diesem Zweck, muss das von Lieberman (1964) propagierten Zusammengehörigkeitsbewusstsein so weit entwickelt werden, dass eine Einigung bezüglich der Berufsbezeichnung herbeigeführt werden kann. Im Rahmen dieser Arbeit, wurde in Ermangelung eines offiziellen Wordings die Bezeichnung Diversitäts-Expert*innen gewählt. Erst mit Hilfe einer in der Disziplin anerkannten Berufsbezeichnung kann die Profilierung des Berufsbildes in der Öffentlichkeit gezielt umgesetzt werden. Andererseits hat der Professionalisierungsprozess insofern begonnen, als dass die von Luhmann (2002) definierte Kriterien, die Professionen als solche ausweisen, entweder bereits vorhanden sind oder sich im Entstehungsprozess befinden. So bieten die Diversitäts- Expert*innen mit ihrem breitgefächert, interdisziplinären Blick auf Chancengleichheit für alle, einen relevanten Dienst an der Öffentlichkeit an. Für die Anwendungsbereiche gilt, dass es um gesellschaftliche Werte geht, für die es keinen problemlos anwendbaren Rezepturen gibt. Es ist eine große Zahl komplexer Routinen vorhanden, die in unklar definierten Situationen eingesetzt werden können. Die Routinen können jedoch keinesfalls alle Anwendungsbereiche abdecken, da sich die Aufgabenstellungen in ständigem Wandel befinden und somit ist jede Anwendung von Wissen mit dem Risiko des Scheiterns belastet. Die Disziplin ist demzufolge auch eine anhand von Erfahrung Lernende Disziplin. (Luhmann, 2002) Die ersten Erfolge (Luhmann, 2002), die verbucht werden können, sind aktuell noch Erfolge von Einzelpersonen die sich am Arbeitsmarkt oder in ihren Praktika bewähren, sodass das Maß an Prestige (Luhmann, 2002), dass zugesprochen wird, sich jeweils auf Einzelleistungen bezieht. Die Zusammenführung der Erfolge und Wissensbestände aus der Praxis und die Weiterbearbeitung der so erworbenen Wissensbestände im Sinne von wissenschaftlicher Verwertung und Theoriebildung (Luhmann, 2002) erfolgt aktuell noch nicht bzw. nur in Ansätzen (z.b. Networking der Ausbildungsstätte). Die Entwicklung einer neuen Disziplin zu einem klaren Berufsbild und in späterer Folge zu einer Profession muss sich in den Curricula widerspiegeln. Die Entwicklung einer professionellen Identität kann jeweils nur über die Reflexion und Weiterentwicklung der jeweiligen persönlichen Identitäten der in Ausbildung befindlichen führen. Als Tools werden u.a. Kompetenzwerkstätten, Theorie-Praxis-Transfers in Form von verpflichtenden Praktika in unterschiedlichen Handlungsfeldern mit angebundenen Reflexionsangeboten und wissenschaftliche Erarbeitung von Erkenntnisgewinnen benötigt. Die angloamerikanische Theoriebildung (in Abgrenzung zur o.a. deutschen Theorielinie) geht in der Differenzierung zwischen professions und non-professions noch einen Schritt weiter. Die Diversitäts-Expert*innen konnten die dort definierten Merkmale bisher noch nicht o- der nur in Ansätzen erreichen. Wobei im Sinne der, von Hesse (1972) erläuterten Merkmale, u.a. zielführend wäre das benötigte spezielle Fachwissen klar zu umreisen, welches sich durch seine, im Kontext der Diversitätsexpertise, zentrale Qualität - sich gezielt aus zahlreichen Bezugsdisziplinen zu speisen - aktuell noch als schwer greifbar darstellt. Die Organisation in einem Berufsverband, damit einhergehende verbindliche Verhaltensregeln ( Berufskodex ) und in weiterer Folge die Einflussnahme auf Berufszulassungen wären mittelfristig empfehlenswerte Ziele. 61

64 Es ist davon auszugehen, dass im Kontext von zunehmender Heterogenität, Globalisierung und Individualisierung in der Arbeits-, Bildungs- und Lebenswelt, die Notwendigkeit von Mittler*innen zwischen Organisationseinheiten, Fachbereichen, Gesellschaftsgruppen und Individuen immer mehr zunehmen wird. Diese Schnittstellenexpert*innen brauchen strukturiert erarbeitetes, breites interdisziplinäres Basis-, Praxis- und Anwendungswissen und - kompetenzen zu den Themenbereichen Diversität, den Disability Studies und Intersektionalität, dass zugleich die Voraussetzungen beinhaltet, sich bereichs- und organisationsspezifisches Wissen situativ anzueignen. Die Verantwortung diese Berufsgruppen gezielt anzusteuern und den Professionalisierungsprozess zu begleiten obliegt sowohl den Ausbildungseinrichtungen, als auch den Absolvent*innen der entsprechenden Studiengänge und erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Neugierde und Reflexivität, Weitblick und Flexibilität, Kreativität und Fachwissen, Networking und Kommunikationsfähigkeit aber auch ein wenig Mut, neue Wege zu beschreiten. REFERENZEN Abels, H., Honig, M.-S. & Weymann, A. (2008): Lebensphasen. Eine Einführung. Wiesbaden BGStG: Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Bundes- Behindertengleichstellungsgesetz), BGBl. I Nr. 82/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 155/2017. Gaisch, M. & Aichinger. R. (2017): HEAD Wheel Higher Educational Awareness for Diversity. Zugriff am unter Hesse, H. A. (1972): Berufe im Wandel. Ein Beitrag zur Soziologie des Berufs, der Berufspolitik und des Berufsrechts. 2. Überarbeitete Auflage. Stuttgart Horster, D. Hoyningen-Süess, U. & Liesen, Ch. (2005): Einleitung. In: Horster, D. (Hrsg.), Sonderpädagogische Professionalität: Beiträge zur Entwicklung der Sonderpädagogik als Disziplin und Profession. Wiesbaden. Körner, Jürgen & Ludwig-Körner, Christiane (1997): Psychoanalytische Sozialpädagogik. Eine Einführung in vier Fallgeschichten. Freiburg Lieberman, M. (1964): Education as a Profession. 6. Auflage. Englewood Cliffs. NJ) Luft, J., Ingham, H. (1955): The Johari window, a graphic model of interpersonal awareness. In: Proceedings of the western training laboratory in group development, Los Angeles: UCLA Luhmann, N. (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Hrsg.: Dieter Lenzen. Frankfurt am Main Schröder, A. (2002): Jugendarbeit: Reflektieren lernen. In: Hessische Jugend 4/2000 Smykalla, S. & Vinz, D. (2016): Einleitung. In: Smykalla, S. & Vinz, D. (Hrsg.). Intersektionalität zwischen Gender und Diversity. Theorien, Methoden und Politiken der Chancengleichheit. Westfälisches Dampfboot. Münster 62

65 Student centred learning in Chemie-Vorlesungen Michaela Kröppl 1 1 FH Oberösterreich Campus Wels, Stelzhamerstraße 23, 4600 Wels, Österreich, michaela.kroeppl@fh-wels.at 1 ZUSAMMENFASSUNG Viele technische und naturwissenschaftliche Vorlesungen bedürfen intensiver Konzentration in der Vorlesung und aktives Mitlernen des oftmals sehr neuen und häufig umfangreichen Stoffs. Dies ist jedoch nicht immer leicht. Besonders das Folgen des Stoffs während der Vorlesung lässt nach, je länger ein Vorlesungstag dauert. So ist es nicht verwunderlich, wenn Studierende nach mehreren Stunden Unterricht nur mehr mäßig mitarbeiten, wenig Fragen stellen oder nur manches des Gelehrten verinnerlichen. Student centred learning hilft hierbei, Studierende zu aktivieren, und sie in den Unterricht hineinzuziehen. Selbsttests bewirken aktives Verinnerlichen von Fachwissen und geben direkt Feedback über den eigenen Wissensstand. Bei Zwischentests wird Studierenden portionsweise Wissen abgefragt, was sie unterstützt, mitzulernen und nicht den Faden zu verlieren. Kurze Wiederholungsspiele helfen, Gelerntes spielerisch anzuwenden, und so gleich zu verankern. Auch Spiele mit kompetitivem Charakter erhöhen die Aufmerksamkeit und das Erlernen z.b. von Fachvokabular. All dies trägt dazu bei, anschließend Gelehrtem besser und einfacher folgen zu können. In dieser Publikation werden sowohl Selbsttests, sowie Tests, die zur Note der Endklausur beitragen als auch beispielhaft Spiele zum Lernen und Verarbeiten von Fachwissen beschrieben. 2 STUDENT CENTRED LEARNING (SCL) Zu student centred learning gehören sowohl das formative learning, welches das aktive Lehren und Lernen während der Lehrveranstaltung beschreibt, als auch das game centred learning, welches das Kennenlernen, Wiederholen und Verankern von Fachwissen auf spielerische Art unterstützt. In beiden Fällen kommt es zu einer guten Interaktion zwischen Studierenden und Lehrperson, was sich wiederum positiv auf die Wissensübertragung während der Lehrveranstaltung auswirkt. 63

66 Abbildung 1. Teacher centred learning via student centred learning (Nettles, 2009) Abbildung 1 zeigt gut den Unterschied zwischen klassischem - hauptsächlich frontalem Unterricht, wo die Lehrperson den Studierenden den Lehrstoff vorträgt, und SCL mit der den Prozess begleitenden Lehrperson und den auch untereinander gut kommunizierenden Studierenden, welche Wissen aus verschiedensten Quellen zusammentragen und sich darüber austauschen. Es ist gut zu erkennen, dass SCL zu einer erhöhten Motivation, Vernetzung und aktiven Verankerung von Lehrstoff führt. Das Bundesministerium für Wissenschaft, Bildung und Forschung beschreibt SCL so: Student Centred Learning bezeichnet einen auf die Bedürfnisse der Studierenden zugeschnittenen Lehr-, und Lernbetrieb. Dieser wird durch hochschuldidaktische Methoden, technische Hilfsmittel, verschiedene Studienarten und Ansätze aktiv gefördert. Dazu gehören z.b. Modularisierung der Curricula, selbstbestimmtes Lernen, Blended Learning und E-Learning. (BMBWF, o.j). Um neues Wissen abzuspeichern, ist es sinnvoll, verschiedenste Methoden anzuwenden. Abbildung 2. Learning pyramide and retention times (The Peak Performance Center, o.j) 64

67 Die in Abbildung 2 dargestellte Lernpyramide (entwickelt von den National Training Laboratories in Maine) zeigt, wieviel Prozent des Gelehrtem durch verschiedenste Methoden in etwa behalten wird. Zu den passiven Lehrmethoden zählt zu allererst der (klassische) Unterricht in Vortragsform, bei dem allerdings am wenigsten direkt abgespeichert wird die retention rate (Speicherrate) liegt nur bei etwa 5%. Wird der Unterricht durch Lesen (an Tafel, Beamer, Overhead oder Skriptum) ergänzt, kann bereits 10% des Lehrstoffs im Gedächtnis bleiben. Enthält der Unterricht auch audiovisuelle Komponenten (z.b. Filme oder Animationen) bzw. Versuche (z.b. chemische Experimente im Lehrsaal) können bereits 20-30% des Gezeigten beim Zuhörer in Erinnerung bleiben. Durch Erweiterung des Unterrichts mit partizipativen Lehrmethoden kann der Prozentsatz der Wissensspeicherung deutlich erhöht werden. So zeigt sich, dass bei Ergänzung des Vortrags durch eine Diskussion der Speicherprozentsatz auf ca. 50% erhöht werden kann, da sich hier die Zuhörer aktiv einbringen, Fragen formulieren und Meinungen austauschen. Eigenes Denken zum jeweiligen Thema wird aktiviert. Die besten Verankerungen von Wissen zeigen sich beim praktischen Anwenden des Erlernten (ca. 75%) (z.b. ein Experiment erarbeiten) und beim Erklären und Unterrichten anderer (ca. 90%). Beispiele für SCL in der Lehre sind Interaktionen von Studierenden untereinander (z.b. in kurzen Diskussionen, gemeinsamer Bearbeitung von Fragen, Durchbesprechung von Lehrstoff mit gegenseitiger Befragung, Lösen von Quizzes, ) sowie zwischen Studierenden und der Lehrperson (aktive Stoffwiederholung, Fragenstellen und Beantwortung, Einbringen fachlicher Ideen, ). Im Folgenden wird speziell auf das formative learning (Wissensüberprüfung während der Lehrveranstaltung) sowie auf das game centred learning (Verankern von Lehrstoff auf spielerische Art und Weise) eingegangen. 2.1 Formative Learning Formative learning ist ein im Lehren und Lernen integrierter Prozess, den die Lehrperson aktiv unterstützt. Im Gegensatz zum summative learning wird beim formative learning bereits während der Lehrveranstaltung der Wissensstand der Studierenden überprüft und nicht erst am Ende Unklarheiten und Schwierigkeiten zum Thema können rasch behoben werden. Studierende erhalten direktes Feedback über ihren Wissensstand und können durch das aktive Bearbeiten und gleichzeitige Verankern aktuellen und portionsweise vermittelten Lehrstoffs einfach wieder neuen Themen folgen. 65

68 Abbildung 3. Components of Formative Learning (Kamm Solutions, o.j) Abbildung 3 zeigt die Schritte des formative learning Prozesses beschrieben von Kamm Solutions, einem Beratungsunternehmen im Unterrichts- und Ausbildungsbereich. Ausgehend von verschiedensten Erfolgsstrategien, werden die relevanten Lernkriterien ausgewählt und darauf im Unterricht detailliert eingegangen. Die nächsten Schritte sind die Überprüfung des Lernfortschritts und das Sichtbarmachen des studentischen Lernens sowie das gegenseitige Feedback zur Wissensvermittlung. Studierende überprüfen ihren derzeitigen Wissensstand, Lehrende erhalten Feedback, welcher Unterrichtsstoff wie gut angekommen ist bei den Studierenden, und wo noch Unklarheiten bestehen. Lehr- und Lernziele strukturieren den Unterricht. Auch andere facheinschlägig Lehrende können den Prozess einsehen und den Fortschritt der Studierenden erkennen. 2.2 Game centred Learning Game centred learning spricht die Studierenden auf spielerische Art und Weise an scheinbar trocken wirkender Lernstoff wird so interessanter und leichter annehmbar. Durch kurzweilige Interaktionen wiederholen und verankern Studierende soeben Gelerntes scheinbar ohne großen Aufwand. Darüberhinaus lockern kurze Spiele den Unterricht auf und wirken so konzentrationsfördernd. Kompetitive Spiele können ein besonderer Ansporn sein, besser abzuschneiden und dafür intensiver zu lernen. 66

69 Abbildung 4. 7 reasons to try out game-based learning (Spencer, 2018) Abbildung 4 fasst positive Auswirkungen auf das Lernen durch game-based learning zusammen. Sie reichen von Verankerung neuen Stoffs über kritisches Denken und Hinterfragen, Verknüpfen von Wissen bis hin zu Begeisterung und erhöhtem Engagement beim Lernen. 3 ERFAHRUNGEN IM UNTERRICHT In dieser Publikation werden formative und game centred learning methods vorgestellt, welche teilweise bereits seit mehreren Jahren und manche erst seit Herbst 2018 erfolgreich in Chemie-Vorlesungen im Einsatz sind. 3.1 Einsatz von Formative Learning Derzeit sind zwei Arten von Tests in den Chemie-Vorlesungen im Einsatz. Einerseits gibt es zu allen Kapiteln Selbsttests, welche nicht benotet werden, aber sowohl zur Verankerung von Lernstoff als auch zum Feedback über den eigenen Wissensstand dienen. Andererseits werden Nomenklaturtests zur Überprüfung der Kenntnisse zur Bezeichnung chemischer Verbindungen eingesetzt, welche in die Gesamtbenotung der Lehrveranstaltung einfließen Selbsttests Die Selbsttests wurden in den letzten Semestern erarbeitet und werden ständig erweitert und verbessert. Sie werden jeweils zumeist zum Abschluss eines jeden Kapitels von Studierenden durchgearbeitet teils direkt in der Vorlesung oder außerhalb. Antworten und Ergebnisse werden in der Lehrveranstaltung besprochen. In der Vorlesung arbeiten die Studierenden 67

70 üblicherweise zu zweit an einem Selbsttest, um die Interaktion zu fördern, und um Wissen durch gegenseitiges Erklären besser zu verankern (wie auch in Abbildung 2 gut dargestellt). Der leere Selbsttest kann aber jeweils nach der Vorlesung im e-learning-kurs zur jeweiligen Chemie-Vorlesung heruntergeladen werden, sodass jeder Studierende ein eigenes Exemplar hat. Die Testfragen sind so gestaltet, dass die Lehrveranstaltungsunterlagen (Skripten, Übersichtsfolien und Mitschrift) zur Beantwortung ausreichen. Inhaltlich ist es teils tatsächliche Stoffwiederholung (z.b. Nomenklatur chemischer Verbindungen), teils Übung (z.b. Zeichnen organischer Strukturformeln), teils sind es aber auch leicht auf dieses Thema aufbauende Aufgabenstellungen (z.b. Überlegung möglicher Reaktionen nach Kenntnis bestimmter Eigenschaften chemischer Stoffgruppen), teils an das Thema anknüpfende Rechenbeispiele (z.b. Aufstellung von Reaktionsgleichungen und Umsatzberechnungen), um so die Studierenden auch zur Vernetzung und zum Querdenken von Wissensinhalten zu motivieren. Eine ausführlichere Darstellung der verwendeten Selbsttests findet sich in der Publikation zum 7. Tag der Lehre der FH OÖ (Kröppl, 2018). Bei der Aufgabenlösung können jegliche Hilfsmittel verwendet werden Lehrveranstaltungsunterlagen, Mitstudierende, Mitschrift, Bücher oder auch Informationen aus dem Internet. Häufig können die Fragen und Aufgaben aber auch ohne zu Hilfenahme von Unterlagen beantwortet werden einfach durch Erinnerung des gerade Erlernten, wodurch es auch gleich gefestigt wird. Die Lösung der gestellten Aufgaben wird von der Lehrperson aktiv unterstützt Unklarheiten oder auftauchende Fragen werden so direkt ausgeräumt. Die Lehrperson übernimmt also unterstützende -, motivierende und coachende Funktion (siehe Abbildung 5). Studierende fühlen sich durch diesen interaktiven Prozess weniger leicht überfordert und bleiben so selbst bei schwierigeren Themen aktiv dabei. Sie werden durch die Selbsttests auch dazu aufgefordert, dem Inhalt der Lehrveranstaltung zu folgen, um sodann auch in der Lage zu sein, die Fragen möglichst gut lösen zu können. Darüber hinaus bekommen sie ein Gefühl für die mögliche Art der Fragengestaltung zur abschließenden Klausur. Abbildung 5. Die Lehrperson als Coach (Arbowis, o.j) 68

71 Nomenklaturtests Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Chemie-Grundvorlesungen sind die Nomenklaturtests für anorganische und organische Chemie. Das Wissen über das Periodensystem und die chemischen Elemente als auch über die Nomenklatur von Verbindungen und Strukturelementen bilden die Grundlage der chemischen Sprache ohne dieses Wissen können auch andere chemische Grundlagen nur mangelhaft verstanden werden. Aus diesem Grund sind diese Tests verpflichtend durchzuführen sie sind notwendig, um die Endklausuren positiv abschließen zu können. Die Tests sind angekündigt und in maximal 15 Minuten zu lösen und beinhalten jeweils 25 Punkte. Für ein positives Klausurergebnis in der Vorlesung der anorganischen Chemie sind mindestens 22 Punkte zu erreichen. Bei Nichterreichen kann der Test wiederholt werden bis die geforderte Punktezahl erreicht ist. Zwischen 20 und <22 Punkten wird das Wissen in einem kurzen Tafelgespräch (ein paar Minuten) überprüft. Ist die Beantwortung überzeugend, gilt der Test als bestanden. Der Nomenklaturtest über organische Verbindungen ist bereits Teil der Abschlussklausur. Bei Erreichen von 25 Punkten gibt es 10 Punkte für die Klausur, die insgesamt 100 Punkte hat. Zwischen 20 und <25 Punkten gibt es 7 Punkte für die Klausur, bei >12,5 Punkten bekommen die Studierenden noch 3 Punkte und <12,5 Punkten keine Punkte für den Nomenklaturtestteil. Diese Art der Punktegebung soll die Studierenden schon vor der Klausur zum aktiven Lernen motivieren, um so in den letzten Einheiten aufbauende Themen behandeln zu können. Zur Vorbereitung auf die angekündigten Nomenklaturtests gibt es diverse Unterlagen und Übungen (sowohl im Unterricht als auch auf der e-learning-plattform) und die Theorie dazu wird ausführlich in der Vorlesung gebracht und erklärt. Bei den Übungstests auf der e- learning-plattform der Fachhochschule werden auch immer nach der Beantwortung der Fragen die richtigen Antworten angezeigt. Die e-learning-übungstests dienen in der jetzigen Form ausschließlich dem Üben der Studierenden und deren Ergebnisse fließen nicht in die Endnote ein. 3.2 Einsatz von Game centred Learning Game centred learning ist eine gute Abwechslung zum klassischen Frontalunterricht. In den Chemie-Vorlesungen sind derzeit kurze Wiederholungsspiele im Einsatz, um Lehrstoff einzuprägen und zu verankern. Weiters wird seit ein paar Semestern ein kompetitives online-tool (Quizlet) eingesetzt, um chemische Begriffe sowohl anorganisches wie organisches Vokabular spielerisch zu verankern, um so mit diesen Termini besser umgehen, und dem Unterricht besser folgen zu können Kurze Wiederholungs-/Verankerungsspiele Kurze Wiederholungs- und Verankerungsspiele werden zum Einprägen von gerade Erlerntem eingesetzt und dauern in der Regel nur wenige Minuten. Auch zur Auflockerung nach einem schwierigen Stoff oder intensiveren Kapitel sind sie gut geeignet. Dazu zählen z.b. Spiele zur Erlernung der Nomenklatur, Eigenschaften von Verbindungsklassen oder des Periodensystems. Wie bei den Selbsttests arbeiten auch hier die Studierenden meist in Kleingruppen (2-4 Personen). Auch hier ist das Ziel, dass die Studierenden interagieren und die Rätsel gemeinsam lösen, um so ihr Wissen auszutauschen und auch gleich auf spielerischem Weg zu verankern. 69

72 Die Lehrperson geht währenddessen zwischen den Studierenden-Gruppen durch und hilft weiter, wo Fragen oder Unklarheiten auftauchen Quizlet Live Game Das Quizlet Live Game ist ein kostenpflichtiges (die jährliche Gebühr liegt bei ca Euro/Jahr) Online Spiel mit kompetitivem Charakter. Dieses kurzweilige und in der Vorlesung angekündigte Spiel wird derzeit zur Erlernung grundlegender chemischer Begriffe sowohl in der anorganischen als auch in der organischen Chemie eingesetzt. Die Dauer eines Spiels liegt bei etwa 5-10 Minuten. Studierende können sich klassisch mit einer auf der e-learning-plattform herunterladbaren Tabelle mit Begriffen und Erklärungen oder auf einer Internet-Plattform auf bzw. auf einer Quizlet App auf einem mobilen Gerät (z.b. Smartphone) vorbereiten. Quizlet bietet hierbei die Möglichkeiten von Flash Cards, Ja/Nein-Fragen, offenen Antworten und anderen Einstellungen, um Begriffe und Bedeutungen auf unterschiedlichste Weise präsentiert zu bekommen und dadurch zu erlernen. Bei Auswahl einer falschen Antwort wird die richtige Antwort präsentiert Studierende bekommen immer ein Feedback über ihr Wissen. Die Ergebnisse ihrer Übungen bleiben aber bei ihnen und werden nicht zur Bildung der Vorlesungsnote verwendet. Vorteilhaft ist weiters, dass Studierende alleine oder in Gruppen, zu Hause oder unterwegs und zu frei wählbaren Tageszeiten üben können. Beim Quizlet Live Game in der Vorlesung spielen Teams aus drei bis vier Studierenden gegeneinander, wobei die Teams entweder zufällig oder durch eigene Auswahl zusammengestellt werden können und einen zufälligen Gruppennamen erhalten (z.b. Giraffen, Bären, ). Die Teammitglieder einer Gruppe müssen beim Live Game aktiv kommunizieren, da Quizlet die Antworten zu dem gefragten Begriff auf alle Gruppenspieler auf deren (mobilen) Geräte aufteilt - jedoch nur ein Teammitglied die richtige Antwort in der Auswahl hat. Es gilt daher zu entscheiden, welche Antwort unter der großen Auswahl die richtige ist. Wird eine falsche Antwort getroffen, verliert das Team alle bisher erworbenen Punkte und muss von Neuem starten. Davor sieht es aber noch die richtige Antwort und kann dadurch aktiv lernen. Der Fortschritt der einzelnen Teams ist am Lehrerbildschirm und über einen Beamer sichtbar der kompetitive Charakter wird dadurch verstärkt. Das Spiel endet nach 12 richtigen Antworten. Danach können entweder zur Übung nochmal alle richtigen Antworten gesehen werden oder durch Überspringen dieses Schritts kann ein neues Spiel gestartet oder das Live Game beendet werden. Das Team, welches zweimal gewinnt, bekommt Zusatzpunkte für die Endklausur, was ein Anreiz auf die Vorbereitung und das konzentrierte Spielen sein soll. Eine ausführlichere Beschreibung des Quizlet-Tools findet sich in der Publikation Seamless Learning: Learning the Chemical Terms with Quizlet zum 7. Tag der Lehre (Docherty & Kröppl, 2018). 4 ERGEBNISSE Sowohl die Methoden des formative als auch des game centred learning sind bei den Studierenden sehr gut angekommen. Sie waren sehr aktiv dabei und auch die Rückmeldungen darüber waren sehr positiv. Die Selbsttests wurden äußerst gut angenommen und Studierende bemühten sich mit großem Einsatz, die richtigen Antworten zu finden. Auch arbeiteten sie gut in Gruppen zusammen und halfen sich mit Erklärungen und dem Finden der richtigen Antworten. Bei der Frage- 70

73 lösung wurden sie von mir als Lehrperson aktiv unterstützt und beim gemeinsamen Durchbesprechen der Antworten konnten letzte Unklarheiten ausgeräumt werden. Das Durcharbeiten der Selbsttests war auch eine gute Vorbereitung auf die Vorlesungsklausuren, was sich auch daran zeigte, dass diese besser ausfielen als vor der Einführung der Selbsttests. Nomenklaturtests wurden als wichtig erkannt, wenngleich sie nicht für alle Studierenden einfach waren und teilweise viel geübt werden musste. Zur Übung wurden auch die Übungstests auf der e-learning-plattform zur Erlernung der chemischen Nomenklatur genutzt. Da die Nomenklatur aber auch bei den Selbsttests immer wieder relevant war, wurde sie bei den Abschlussklausuren bei den meisten Studierenden bereits sehr gut beherrscht. Auflockernde kurze Spiele kamen gut an und wurden fleißig und zügig gelöst. Unter anderem wurde dabei die Nomenklatur geübt oder das Periodensystem besser verinnerlicht, da es zum Lösen des Spiels in vielen Fällen verwendet werden musste. Chemische Begriffe wurden nicht erst zur Klausur, sondern bereits als Vorbereitung auf das Quizlet Live-Online-Spiel gelernt, um so mögliche Zusatzpunkte für die Klausur zu gewinnen. Das Spiel kam kurzweilig an, die einzelnen Teams arbeiteten gut zusammen und der Wettbewerbsgeist war spürbar. Das verbesserte Lernen von Vokabeln (hier Fachvokabeln) durch Lernspiele im Vergleich konventionellem Frontalunterricht wurde auch von Maria M. Cruz- Cunha in ihrem Buch Handbook of Research on Serious Games as Educational, Business and Research Tools (Cruz-Cunha, 2012) erwähnt, wo Lernspiele im Sprachunterricht eingesetzt wurden. Insgesamt war das Feedback über die Erweiterung der Chemie-Lehrveranstaltungen mit inprocess teaching durch formative learning und game centred learning methods durchwegs sehr positiv und ich überlege stets neue Methoden. REFERENZEN Arbowis (o.j.). Gruppendynamik konkret. BMBWF (o.j.). Student Centered Learning. Cruz-Cunha, M. (2012). Handbook of Research on Serious Games as Educational, Business and Research Tools, ISBN , IGI Global Docherty, M., Kröppl, M. (2018). Seamless Learning: Learning the Chemical Terms with Quizlet. 7. Tag der Lehre der FH OÖ Kamm Solutions (o.j.). Implementing formative learning and sound assessment practices. Kröppl, M. (2018). Formative Learning in Chemie Vorlesungen. 7. Tag der Lehre der FH OÖ 71

74 Nettles Ms. (2009). Unit of Practice I: Teacher Centered Learning vs Unit of Practice II: Student Centered Learning. Spencer J. (2018). Seven Reasons to Pilot a Game-Based Learning Unit. The Peak Performance Center (o.j.). Learning Retention Rates. 72

75 White-Box Predictive Maintenance Jan Zenisek 1,2, Gabriel Kronberger 1, Josef Wolfartsberger 1, Norbert Wild 1, Michael Affenzeller 1, 2 1 FH Oberösterreich Center of Excellence for Smart Production, Franz-Fritsch-Straße 11/3, 4600 Wels, Österreich, jan.zenisek@fh-hagenberg.at, gabriel.kronberger@fh-hagenberg.at, josef.wolfartsberger@fh-steyr.at, norbert.wild@fh-wels.at, michael.affenzeller@fh-hagenberg.at 2 Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Formale Modelle und Verifikation 1 MOTIVATION Die rasant ansteigenden Datenmengen, generiert von zunehmend vernetzten und mit Sensorik ausgerüsteten Produktionsanlagen, sind ein wesentlicher Impulsgeber für die aktuellen Entwicklungen in der Industrie. Um tatsächlichen Nutzen aus diesen Aufzeichnungen zu gewinnen, können mit Hilfe maschineller Lernverfahren mathematische Modelle erstellt und damit die verfügbaren Daten effizient genutzt werden. Je nach Fragestellung, sowie Qualität und Menge der vorhandenen Daten sind die Modelle beispielsweise in der Lage Prognosen für die Produktionsqualität einer Anlage zu erstellen oder optimierte Parameter abzuleiten und damit die Produktivität und Planungsgenauigkeit industrieller Prozesse zu erhöhen. Der weitgehend automatisierten Modellentwicklung, folgt im Regelfall jedoch zunächst eine detaillierte Analyse der Modelle gemeinsam mit Experten der jeweiligen Domäne (z.b. den Konstrukteuren und Instandhaltern der betrachteten Anlage). Diese Phase birgt das Potenzial, anhand des Modells bisher möglicherweise unbekannte Zusammenhänge im betrachteten System zu identifizieren und damit sein Verhalten besser zu verstehen. Darauf aufbauend präsentieren wir in diesem Beitrag einen Algorithmus mit dem die entwickelten Modelle zur Früherkennung von kritischen Veränderungen der Systemzusammenhänge eingesetzt werden können. Damit soll diese Arbeit einen Beitrag zum derzeit intensiv bearbeiteten Industrie 4.0 Kernthema Predictive Maintenance (Lee et al., 2014, Anm.: Vorausschauende Wartung) leisten. 2 THEORETISCHER RAHMEN In Bezug auf ein reales Produktionssystem müssen die Beziehungen zwischen mehreren Variablen Eingaben (i.e. konfigurierte Prozess- und Rezeptparameter), interne Zustände (z.b. gemessene Temperatur- und Druckverläufe) und abhängige Ausgaben (z.b. gemessene Produktqualitätsindikatoren) betrachtet werden. In diesem Zusammenhang können maschinelle Lernverfahren, wie Lineare Regression, Random Forest Regression oder Symbolische Regression verwendet werden, um Regressionsmodelle zu erstellen, die anhand der Eingabe- und Zustandsvariablen eine Schätzung einer oder mehrerer Ausgangsgrößen ermöglichen. Für eine umfassendere Modellierung von Systemdaten und Zusammenhängen können diese Regressionsmodelle als Basis für die Erzeugung eines sogenannten Variable Interaction Networks (Rao et al., 2007) herangezogen werden ein gerichteter Graph, in 73

76 dem Variablen als Knoten und deren Auswirkungen auf andere Variablen als gewichtete Kanten abgebildet werden. Variable Interaction Networks (VIN) sind interpretationsfähige Modelle und dem White-Box Data Mining zuzuordnen. Aufgrund ihrer simplen, aber aussagekräftigen Modellstruktur ermöglichen diese Netzwerke das Verständnis für die Zusammenhänge innerhalb eines modellierten Systems zu fördern (Kronberger et al., 2017). Die vorliegende Arbeit nützt diese Modellcharakteristik im Rahmen eines zweiphasigen Algorithmus um etwaige Veränderungen des Systemverhaltens sogenannte Concept Drifts (Gama et al., 2014) zu identifizieren. Im Anwendungskontext einer Produktionsanlage können die Veränderungen Hinweise auf Verschleiß oder beginnende Fehlfunktion darstellen, deren Auswertung und subsequente Handlungsableitung gröbere Schäden oder Ausfälle verhindern. 3 ERKENNUNG VON VERÄNDERUNGEN IN SYSTEMZUSAMMENHÄNGEN In der ersten Phase des entwickelten Algorithmus wird ein Variable Interaction Network erzeugt um ein zunächst stabiles, korrekt funktionierendes System zu beschreiben. Für eine Auswahl gemessener Systemvariablen wird dazu ein Regressionsmodell erstellt, indem die jeweils anderen Variablen als Eingangsgrößen verwendet werden. Anschließend wird der Einfluss jeder Eingangsvariable für das jeweilige Regressionsmodell ermittelt: Der Einfluss einer Eingangsvariable auf eine bestimmte Zielvariable wird auf Basis des erhöhten Regressionsfehlers berechnet, der sich bei der erneuten Auswertung des für die Zielvariable erstellten Modells auf einem modifizierten Datensatz ergibt. Die Modifikation des Datensatzes besteht dabei aus einer Entfernung des Informationsgehalts der Variable, z.b. durch zufälliges Mischen der zur Variable gehörenden Werte, oder durch die Ersetzung aller Werte mit dem Median. Nach Berechnung aller Variableneinflüsse für jedes der Regressionsmodelle, können die Kanten zwischen den Knoten des Variablennetzwerkmodells erzeugt und die Modellbildung abgeschlossen werden. 74

77 Abbildung 1. Schematische Darstellung der Datenstrom-basierten Evaluierung von Variable In teraction Networks (i.e. Phase 2). Das Ergebnis des Algorithmus sind die berechneten Ähnlichkeitsmaßzahlen Spearman und NDCG. In der zweiten Phase des Algorithmus wird die beschriebene Berechnung der Variableneinflüsse auf Basis der zuvor erstellten Regressionsmodelle, sowie die sukzessive Bildung von Netzwerken für die Auswertung eines Datenstroms iterativ wiederholt (siehe Abbildung 1.). Hierfür werden jeweils nur die neuesten aufgezeichneten Datenpunkte innerhalb eines Sliding Windows (i.e. einer Datenpartition fixer Größe) herangezogen. Bei Aufzeichnung eines neuen Datenpunkts wird dieses gleitende Fenster verschoben und eine Neuauswertung ausgelöst. Für die avisierte Erkennung von Concept Drifts im zugrundeliegenden System wird in Folge dessen die Ähnlichkeit zwischen dem ursprünglich entwickelten Netzwerk - das einen stabilen Zustand darstellt - und den aktuellen Sliding Window-spezifischen Netzwerken überwacht. Unter der Annahme, dass sich verändertes Systemverhalten in gewissem Maße in einer Verschiebung der internen Variablenabhängigkeiten auswirkt, muss eine Veränderung der Netzwerkstrukturen erkenn- und messbar werden. Im nächsten Schritt des Algorithmus werden daher die Ähnlichkeitsmaßzahlen Spearman s Rank Correlation Coefficient (Spearman) und Normalized Discounted Cumulative Gain (NDCG) berechnet um die Netzwerke kontinuierlich zu vergleichen und das System als abweichend zu deklarieren, wenn die berechnete Ähnlichkeit unter einen Schwellenwert fällt. Ist der tatsächliche Verlauf von Systemabweichungen bekannt, kann die Leistung des Erkennungsalgorithmus zudem an- 75

78 hand der Korrelation zwischen diesem Verlauf und der Ähnlichkeitsmaßzahl berechnet werden (Anm.: h in Abbildung 1.). 4 EXPERIMENTE UND ERGEBNISSE In einer Reihe von Tests mit synthetisch erzeugten Daten konnte der skizzierte Algorithmus erfolgreich auf die Fähigkeit zur Erkennung von driftendem Systemverhalten geprüft werden. Die Testdaten basieren auf einem simulierten dynamischen System kommunizierender Gefäße, deren Verbindungskanal graduell verstopft. Die zunehmend gestörte Verbindung und die damit einhergehenden Veränderungen im Systemverhalten, stellt das vom entwickelten Algorithmus zu erkennende Instandhaltungsproblem dar. Neben der Berechnung der Netzwerk-Ähnlichkeit ist in diesem Testbeispiel auch die Bewertung der Erkennungsleistung möglich, da der exakte Verlauf der synthetisch herbeigeführten Veränderung zur Verfügung steht. Das Balkendiagramm in Abbildung 2 zeigt die erfolgreiche Erkennung der Systemveränderung unter Anwendung verschiedener Modellierungsalgorithmen und Sliding-Window- Größen. Die Erkennung der Systemveränderung mittels Netzwerke basierend auf Linearer Regression (LR) und Symbolischer Regression (SR) funktioniert bei Sliding Window-Größen zwischen 100 und 200 sehr gut (Korrelationskoeffizient bei ca. 0.75). Auch mithilfe der Random Forest (RF) Netzwerke ist mit steigender Sliding Window-Größe der Drift erkennbar, obwohl die Ergebnisse nicht an jene der besser generalisierenden Linearen und Symbolischen Regressionsmodelle anschließen. Abbildung 2. Berechnete Korrelation zwischen abnehmender Netzwerk-Ähnlichkeit und dem Concept Drift-Indikator h. Neben den zur Algorithmenentwicklung notwendigen Tests mit synthetisch erzeugten Problemdaten, werden Variable Interaction Networks und die beschriebene Concept Drift Erkennung derzeit auch im Rahmen von Studien mit verschiedenen oberösterreichischen Industriebetrieben erfolgreich eingesetzt. Vor allem die transparente, interpretationsfähige Modellierung der Systemzusammenhänge konnte dabei bereits überzeugen (Kommenda et al., 2011). Der präsentierte Algorithmus zur Drift-Erkennung ermöglicht nun einen tieferen Einblick in die Dynamik des betrachteten Systems zu erhalten. Eine potenzielle Erweiterung dieses Ansatzes könnte die genauere Untersuchung von Abhängigkeitsverschiebungen bringen: Im Sinne einer Ursachenerforschung sollen Systemveränderungen bis hin zu ihren Anfängen zurückverfolgt werden, um für den Fall einer wiederholten, ähnlich gearteten Systemveränderung, optimale Zeitpunkte für Instandhaltungsaktionen zu bestimmen. 76

79 Die Inhalte dieser Arbeit wurden auf Basis des Open Source Frameworks HeuristicLab entwickelt und in dessen Entwicklungs-Repository veröffentlicht ( Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts Smart Factory Lab erstellt, das aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Förderprogramms Investition in Wachstum und Beschäftigung 2020 (IWB) des Landes Oberösterreich finanziert wird. REFERENZEN Gama, J., Žliobaitė, I., Bifet, A., Pechenizkiy, M., & Bouchachia, A. (2014). A survey on concept drift adaptation. ACM computing surveys (CSUR), 46(4), 44. Kommenda, M., Kronberger, G., Feilmayr, C., & Affenzeller, M. (2011). Data mining using unguided symbolic regression on a blast furnace dataset. In European Conference on the Applications of Evolutionary Computation (pp ). Springer, Berlin, Heidelberg. Kronberger, G., Burlacu, B., Kommenda, M., Winkler, S., & Affenzeller, M. (2017). Measures for the Evaluation and Comparison of Graphical Model Structures. In International Conference on Computer Aided Systems Theory (pp ). Springer, Cham. Lee, J., Kao, H. A., & Yang, S. (2014). Service innovation and smart analytics for industry 4.0 and big data environment. Procedia Cirp, 16, 3-8. Rao, R., & Lakshminarayanan, S. (2007). Variable interaction network based variable selection for multivariate calibration. Analytica chimica acta, 599(1),

80 78

81 Industrielle Optimierung und Prozessautomation: Stahllogistik in Bewegung Andreas Beham 1,2, Viktoria Hauder 1,3, Sebastian Raggl 1, Johannes Karder 1,2, Stefan Wagner 1, Michael Affenzeller 1,2 1 FH Oberösterreich Campus Hagenberg, Softwarepark 11, 4232 Hagenberg, Österreich 2 Johannes Kepler Universität Linz, Institut for Formal Models and Verification 3 Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Produktions- und Logistikmanagement andreas.beham@fh-hagenberg.at, viktoria.hauder@fh-hagenberg.at, sebastian.raggl@fh-hagenberg.at, johannes.karder@fh-hagenberg.at, stefan.wagner@fh-ooe.at, michael.affenzeller@fh-hagenberg.at 1 EINLEITUNG Im Bereich der Stahlindustrie ist der Einsatz von computergestützten Assistenzsystemen trotz hohem Technisierungsgrad vielfach noch nicht weit verbreitet. Der Automatisierungsgrad in der Steuerung einzelner Anlagen ist hoch, jedoch stellt die Prozesskomplexität aufgrund des hohen Qualitätsanspruchs eine Herausforderung für einen Einsatz umfassenderer Entscheidungsunterstützung dar. Im Folgenden werden zwei Themen beschrieben, die in Richtung moderner Assistenzsysteme weisen: 1) Vom Guss bis zur Auslieferung: Flexibilität optimal nutzen 2) Automation komplexer logistischer Abläufe: Modellbasierte Steuerung Das methodische Vorgehen beider Themen entspricht dem Modell von Bertrand & Fransoo, (2002), welches für Anwendungen aus dem Forschungsbereich Operations Research vielfach zum Einsatz kommt. Dabei wird eine gegebene Problemsituation in ein wissenschaftliches Modell überführt. Im Modell sind die Einflüsse und Auswirkungen von Entscheidungen in mathematischer Form oder als Simulation beschrieben. Gute Entscheidungen lassen sich durch Lösen des Modells bestimmen. Hierbei kommen näherungsweise Verfahren wie z.b. Heuristiken, aber auch exakte Methoden zum Einsatz. Häufig ist es möglich, mit einem metaheuristischen Ansatz in kurzer Zeit eine akzeptable Lösung zu finden (Affenzeller, Winkler, Wagner, & Beham, 2009). Durch immer bessere Hardware und verbesserter Optimierungssoftware werden jedoch auch exakte Ansätze für einen Praxiseinsatz immer relevanter. Im Umfeld industrieller Optimierung im Stahlbereich sind in den letzten zwölf Jahren zahlreiche Forschungsprojekte entstanden, wie das "Josef Ressel Zentrum für heuristische Optimierung Heureka!" ( ). Das FFG COMET K-Projekt "Heuristische Optimierung in Produktion und Logistik (HOPL)" ( ) sowie das FFG Smart Mobility Projekt "Logistics Optimization in Steel Industries (LOISI)" ( ) sind zwei weitere Beispiele die folgten. Insgesamt wurden in dem thematischen Umfeld bisher zahlreiche Arbeiten veröffentlicht (Hauder, Beham, & Wagner, 2016; Hauder, Beham, Raggl, Parragh, & Affenzeller, 79

82 2019; Raggl, Beham, Tricoire, & Affenzeller, 2018; Roljic, Tricoire, & Doerner, 2016; Tricoire, Scagnetti, & Beham, 2018). 2 VOM GUSS BIS ZUR AUSLIEFERUNG Die Planung logistischer Abläufe in der Stahlherstellung zeichnet sich durch hohe Komplexität und sich häufig ändernde Rahmenbedingungen aus. Das durch Stranggießen erzeugte Halbzeug muss oftmals kontrolliert abkühlen, unmittelbar der nächsten Bearbeitung zugeführt oder auf begrenzten Flächen zwischengelagert werden, um auf den nächsten Schritt im Bearbeitungsprozess zu warten. Oftmals gibt es sogar mehrere Möglichkeiten aus denen eine Auswahl zu treffen ist. Das Ressourcen-beschränkte Projektplanungsproblem (engl. RCPSP) bietet für diese Aufgaben eine geeignete Modellgrundlage für die Unterstützung der planerischen Tätigkeiten. Es eröffnet die Möglichkeit der Darstellung eines gerichteten Auftragsnetzwerkes, wobei jede Bearbeitungs-, Transport-, oder Lagertätigkeit als ein Knoten in dem Netzwerk abgebildet ist. Für jeden Knoten ist hinterlegt, welche Ressourcen an der Tätigkeit beteiligt sind und wie lange diese benötigt werden. Die gerichteten Kanten im Netzwerk bilden dabei die Vorgänger/Nachfolger Beziehungen ab. Dabei sind vor allem zwei Erweiterungen relevant. Einerseits ist es entscheidend Flexibilität im Produktionsprozess zu nutzen und andererseits die Steuerung anhand situativ angepasster Zielvorgaben auszurichten. Flexibilität optimal nützen. Die erste Erweiterung bedarf einer Umstellung im Auftragsnetzwerk. Über die Darstellung eines UND/ODER Netzwerks werden Knoten grundsätzlich in zwei Kategorien eingeteilt: (1) UND Knoten sind jene bei denen alle Nachfolgeknoten eingeplant werden müssen, während bei (2) ODER Knoten nur genau einer der Nachfolgeknoten geplant werden darf. Damit lässt sich Flexibilität in der Auswahl des Fertigungspfades nützen. Ein weiterer Aspekt für Flexibilität ergibt sich in den Abkühlzeiten die länger oder kürzer gewählt werden können. Hierbei muss für jede Aktivität eine Minimal- und Maximaldauer definiert werden. Abbildung 1. Das UND/ODER Auftragsnetzwerk eines erweiterten RCPSP mit 9 Aktivitäten, dazugehörigen Ressourcenbedarfe und minimalen Bearbeitungszeiten. Situativ angepasste Steuerung. Eine wesentliche Herausforderung bei der Planung sind Änderungen in den Gegebenheiten, die zu einer Zieladaption führen. In den meisten Fällen steht die Minimierung der Gesamtprojektdauer im Vordergrund, jedoch können logistische Herausforderungen dazu führen, dass Lagerkapazitäten gleichmäßig verteilt werden sollen 80

83 oder vorhandene Pufferzeiten gleichmäßig auf die einzelnen Aktivitäten aufgeteilt werden sollen, um damit bei unvorhergesehenen Störungen eine höhere Reaktionszeit zur Verfügung zu haben. Methodisches Vorgehen. In Hauder et al., (2019) ist ein erweitertes Modell beschrieben mit Hilfe dessen die Flexibilität im Auftragsnetzwerk optimal eingesetzt werden kann. Dabei teilt sich nach dem Guss die Fertigung eines Auftrags in mehrere Alternativen, d.h. unterschiedliche Lager- und Abkühlstrategien können anhand des Modells und hinsichtlich einer Zielfunktion optimal ausgewählt werden. Das beschriebene Modell wurde einerseits als ganzzahliges lineares Programm (ILP) implementiert und mit IBM ILOG CPLEX 12.8 gelöst. Andererseits wurde auch eine Abbildung mit Nebenbedingungsprogrammierung (CP) erforscht und ebenfalls mit Hilfe von CPLEX implementiert. Die beiden grundsätzlich verschiedenen Implementierungen wurden verwendet um dieselben Auftragsnetzwerke zu lösen. Es zeigte sich dabei, dass mit dem CP Ansatz schneller eine optimale Lösung gefunden werden konnte als über ILP. Bei größeren Auftragsnetzwerken war sogar einzige der CP Ansatz in der Lage eine Lösung zu finden. 3 MODELLBASIERTE STEUERUNG In der Automation komplexer logistischer Abläufe sind häufig diskrete Entscheidungen unter einer Berücksichtigung vieler Einflussfaktoren zu treffen (Raggl et al., 2018). Auch hier werden Problemsituationen in wissenschaftliche Modelle überführt und mit performanten Verfahren gelöst. Im Folgenden ist die Optimierung eines Bereichs rund um den Strangguss beschrieben, in welchem mehrere Modelle gleichzeitig zum Einsatz kommen. Abbildung 2. Modellbasierte Steuerung für einen logistischen Bereich in der Stahlindustrie. In Abbildung 2 ist dargestellt wie mehrere Modelle im Zusammenspiel für die modellbasierte automatisierte Steuerung eingesetzt werden. Ein Modell für die Bildung der Lose begutachtet im Lager befindliches sowie noch zu produzierendes Material und erstellt daraus geeignete Lose die Material mit gleichem Ziel- und Terminangaben zusammenfassen. Die so optimierten Lose werden an die Reihenfolgeplanung weitergereicht welche eine Terminierung der Lose für den untersuchten logistischen Bereich vornimmt. Schließlich übernimmt die Stapelung den genauen Detailablauf und erzeugt jene Entscheidungen die vom Kran durchgeführt werden. Dabei wird das Material durch die automatisierte Steuerung auf Stapelplätze verteilt und schlussendlich auf Paletten zum Abtransport gelegt. 81

84 In rund 30 Vorort Versuchen wurde die Steuerung entwickelt und erprobt. Dabei musste vielfach erst das Prozesswissen das nur in impliziter Form vorlag verschriftlicht werden und etliche Regeln definiert werden welche die Entscheidungsfreiheiten so einschränken, dass eine Lösung in kurzer Zeit möglich ist. Aufgrund sich ständig ändernder Umgebungsbedingungen, Materialeigenschaften, Fahrzeugund Stapelplatzverfügbarkeiten ist es notwendig die modellbasierte Steuerung so oft und so schnell wie möglich rechnen zu können. Daher wurden vor allem schnellere Heuristiken entwickelt und verfeinert die in bis zu 10 Sekunden eine akzeptable Lösung pro Modell ermitteln. Gerade im Zusammenspiel mehrerer Modelle ist eine effiziente Abarbeitung noch wichtiger. In den Vorort Tests hat es sich immer wieder gezeigt, dass schnell gehandelt werden muss wenn sich Materialeigenschaften plötzlich ändern. REFERENZEN Affenzeller, M., Winkler, S. M., Wagner, S., & Beham, A. (2009). Genetic Algorithms and Genetic Programming. Consortium of Higher Education Researchers. Bertrand, J. W. M., & Fransoo, J. C. (2002). Operations management research methodologies using quantitative modeling. International Journal of Operations and Production Management, 22(2), Hauder, V.A., Beham, A., & Wagner, S. (2016). Integrated Performance Measurement for Optimization Networks in Smart Enterprises. In On the Move to Meaningful Internet Systems: OTM 2016 Workshops (Lecture Notes in Computer Science, LNCS 10034) (Vol LNCS, p. 10). Rhodes, Greece. Hauder, V. A., Beham, A., Raggl, S., Parragh, S. N., & Affenzeller, M. (2019). On constraint programming for a new flexible project scheduling problem with resource constraints. ArXiv Retrieved from Raggl, S., Beham, A., Tricoire, F., & Affenzeller, M. (2018). Solving a real world steel stacking problem. International Journal of Service and Computing Oriented Manufacturing, 3(2/3), Roljic, B., Tricoire, F., & Doerner, K. F. (2016). Solving a Rich Intra-facility Steel Slab Routing Problem. In A. Fink, A. Fügenschuh, & M. J. Geiger (Eds.), Operations Research Proceedings Operations Research Proceedings (GOR (Gesellschaft für Operations Research e.v.)) (pp ). Tricoire, F., Scagnetti, J., & Beham, A. (2018). New insights on the block relocation problem. Computers and Operations Research, 89,

85 Use Case Entwicklung für den Robotik-Einsatz in der stationären Altenversorgung Johannes Kriegel 1 1 FH Oberösterreich Campus Linz, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich, johannes.kriegel@fh-linz.at ZUSAMMENFASSUNG Die stationäre Altenpflege wird aktuell in allen entwickelten Industrienationen auf den Prüfstand gestellt. Ziel ist es, die bewohnerzentrierte und pflegebezogene Versorgung stärker zu professionalisieren und aufzuwerten. Neben der organisatorischen und interdisziplinären Ausrichtung rückt dabei der Einsatz unterstützender Robotertechnologien und Künstlicher Intelligenz verstärkt in den Vordergrund. Mittels Literaturrecherche, Experteninterviews und einer Online-Umfrage unter oberösterreichischen Heimleitungen wurden, neben aktuellen und zukünftigen An- und Herausforderungen, auch mögliche Anwendungsfälle sowie damit verbundene Geschäftsmodelle für den Einsatz unterstützender Robotertechnologien in der stationären Altenversorgung identifiziert, entwickelt und priorisiert. Es wird deutlich, dass die technologische und anwendungsbezogene Reife von unterstützenden Robotertechnologien und Künstlicher Intelligenz sowie die modulare Anpassung der hybriden Dienstleistungen an die bestehenden Strukturen und Prozesse aus Sicht der Heimleitungen im Vordergrund stehen. Zukünftig gilt es, verstärkt die prozessbezogene und technologische Unterstützung der Mensch-Maschinen-Interaktion durch unterstützende Robotertechnologien und Künstliche Intelligenz auf ein mehrwertstiftendes Niveau zu heben. 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ 1.1 Altersversorgung im Wandel Die pflegerische Versorgung von älteren Menschen in Österreich ist, neben der Laienversorgung durch Angehörige und die mobile Altenpflege, geprägt durch die stationäre Versorgung in Alten- und Pflegeheimen (APH). Die stationäre Versorgung in der Altenpflege umfasst den langfristigen Aufenthalt (Wohnsitz) in einem Alten- und Pflegeheim, in der Pflegebedürftige unter ständiger Aufsicht untergebracht, verpflegt und durch Fachpersonal betreut werden. In vollstationären Einrichtungen erfolgt in der Regel eine dauerhafte und anhaltende Unterbringung. Voraussetzung hierfür ist, dass die pflegebedürftige Person durch eine ambulante Pflege bzw. andere Versorgungsformen nicht mehr ausreichend versorgt werden kann. Das Leistungsspektrum in der stationären Versorgung von Älteren umfasst neben der Erbringung von Hotelleistungen (z.b. Wohnung und Verpflegung) auch pflegerische, therapeutische und medizinische Leistungen, wobei der Heimbetreiber nur für die Organisation und nicht für die Erbringung und Qualität der Leistung von niedergelassenen Ärzten und Therapeuten zuständig ist. Darüber hinaus stellt das Alten- und Pflegeheim soziale und gesellschaftliche Dienst- 83

86 leistungen sicher, die eine angestrebte Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen soll (Graber et al., 2010). Aktuell gibt es in Österreich ca. 850 Alten- und Pflegeheime mit etwa Plätzen, wobei die durchschnittliche Verweildauer etwa 1,5 Jahre beträgt. Träger der stationären Alten- und Pflegeeinrichtungen sind bei ca. 400 öffentliche Einrichtungen und bei ca. 450 Alten- und Pflegeheime private bzw. konfessionelle Träger. Finanziert wird die stationäre Altenversorgung durch Steuern sowie private Mittel, wobei die entsprechenden Tagespauschalen in jedem Bundesland gesetzlich individuell geregelt sind. Aktuell wird die stationäre Versorgung von Älteren in Österreich durch einen zunehmenden Pflege- und Betreuungsbedarf der Bewohner, steigende Wartezeiten auf einen Heimplatz und einen Mangel an qualifizierten Pflegekräften bestimmt. Diesen Entwicklungen werden durch eine verstärkte Qualitätssicherung sowie einen Ausbau der Kooperationen zwischen den stationären Einrichtungen und externen Partnern (z.b. Hausärzte, Krankenhäuser, Servicedienstleistern) begegnet. Ziel dabei ist es, die bisher isoliert agierenden stationären Einrichtungen im Rahmen regionaler Versorgungsnetzwerke bewohnerzentriert, pflegebezogen und interdisziplinär zu organisieren bzw. miteinander zu verknüpfen (Grossmann & Schuster, 2017). 1.2 Herausforderungen in der stationären Altenversorgung Hohes Volumen und steigender Bedarf bei gleichzeitig knappen Ressourcen (u.a. Pflegefachkräfte) führen zu der Notwendigkeit einer optimierten Dienstleistungsentwicklung und Ressourcennutzung in der stationären Altenversorgung. Branchenübergreifend wird zunehmend versucht den jeweiligen auftretenden Ressourcenengpässen und Service- sowie Qualitätsanforderungen durch einen verstärkten Einsatz von Automation und Robotik zu begegnen. Dabei werden sowohl Anwenderperspektiven und -bedarfe sowie technologische Möglichkeiten als auch Marktentwicklungen und Geschäftsmodellausprägungen untersucht, berücksichtigt und analysiert (Bemelmans et al., 2012). Es stellt sich die Frage: Welche relevanten Use Cases sollten im Rahmen eines Dienstleistungskonzepts für assistierende hybride Dienstleistungen unter Einsatz von unterstützender Robotertechnologien zur Optimierung der Versorgungssicherheit und -qualität in APH am Beispiel der internen Unterstützungs-, Service- und Logistikbereiche adressiert werden? 2 THEORETISCHER RAHMEN 2.1 Prozessorganisation in Alten- und Pflegeheimen (AHP) Die Notwendigkeit der zielgerichteten und effizienten Steuerung, Versorgung und Logistik von Produktionsfaktoren im APH ergibt sich aus den veränderten Anforderungen an die Leistungserstellung hinsichtlich Qualität, Kosten, Flexibilität und Zeit. Ziel ist es, eine neue Bewertung in Richtung zunehmender Transparenz, Kundensouveränität und Ergebnisfokussierung zu ermöglichen. Ferner unterliegen die APH einer verstärkten Bedeutung der wirtschaftlicheren Leistungserstellung und Ressourcenverbräuche. Neben der veränderten Organisationsgestaltung, weg von der dominierenden Aufbau- hin zur Ablauforganisation im APH, erfolgt die Optimierung der Leistungserstellung im APH verstärkt durch logistische Verbesserungs- und Organisationsansätze, wie Prozessglättung, Schnittstellenmanagement sowie horizontaler und vertikaler Integration verschiedener Akteure und Aktivitäten (Kriegel, 2012). 84

87 Zur Umsetzung und Evaluation einer verbesserten Leistungserbringung im APH bedarf es einer entsprechenden Visualisierung, die die ganzheitliche Darstellung des komplexen Systems der Leistungsprozesse ermöglicht. Hierzu bietet sich die Erstellung einer Prozesslandkarte an. Dabei werden die im APH vorhandenen relevanten Management-, Kern- und Unterstützungsprozesse identifiziert und abgegrenzt. Ziel ist es, aufbauend deren logische Interaktion und Wechselwirkung mit externen Kunden und Lieferanten (Schnittstellenmanagement) sowie im Weiteren deren einzelne Abfolge-, Einfluss- und Wirkungszusammenhänge zu identifizieren, zu analysieren und ggf. zu verändern (Workflow-Management) (Kriegel, 2011). Abbildung 1. Prozesslandkarte im APH 2.2 Robotik-Einsatz und Automation im Sozial- und Gesundheitswesen Zur Verbesserung der Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität in der stationären Versorgung Älterer gilt es, die arbeitsteilige und fragmentierte stationäre Altenpflege durch eine stärkere übergreifende und bewohnerzentrierte Leistungserbringung zu verbessern. Bewohnerzentrierung umfasst dabei neben der Bewohnerperspektive (d.h. Wünsche und Möglichkeiten der Bewohner) auch die Service- und Prozessperspektive (d.h. lücken- und barrierefreie Gestaltung der Versorgungsprozesse). Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die verzahnte akteurs- und professionsübergreifende Service- und Leistungsausgestaltung in der stationären Versorgung. Hierbei werden verstärkt unterstützende und digitale Technologien im Bereich der pflegerischen- und therapeutischen sowie der unterstützenden Services eingesetzt. Durch die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von Robotik im Bereich Serviceund Transportrobotik, pflegenaher Robotik, Emotions- und Rehabilitationsrobotik kann durch 85

88 die Erprobung und Verbreitung dieser Technologien einen Beitrag zur Lösung des Pflege- Fachkräftemangels sowie zur Sicherstellung der Betreuung und Pflege älterer Menschen ermöglicht werden (Daum, 2017). Ob Behandlung von Diabetespatienten mithilfe einer autonomen Insulinpumpe oder Reinigungsroboter in Krankenhausfluren, autonome Technologien beeinflussen bereits heute viele Bereiche des Sozial- und Gesundheitswesens und verändern Produktwelten und Prozessabläufe nachhaltig. Es wird prognostiziert, dass der Robotik-Einsatz zur Bewältigung von Ressourcenengpässen sowie Service- und Qualitätsanforderungen durch mehrwertstiftende robotikbasierte Unterstützungsprozesse in der stationären Altenversorgung auf ein konzeptionelles und ausdifferenziertes Geschäftsmodell angewiesen ist. Hierzu ist es erforderlich, die effiziente und effektive Ausgestaltung der Unterstützungsprozesse mittels unterstützender Robotertechnologien und Künstlicher Intelligenz nicht nur auf ein marktreifes Niveau zu heben, sondern auch die erfolgskritischen Schnittstellen zwischen mensch- und maschinendominierten Prozessen sowie die erforderliche Anwenderkompetenz und -akzeptanz sicherzustellen (Frey & Osborne, 2017). Die große Herausforderung für die Entwicklung und Etablierung hybrider Innovationen im Sozial- und Gesundheitswesen sind neben der Funktionsfähigkeit und den entstehenden Kosten, insbesondere die Nutzerakzeptanz sowie die Passgenauigkeit zu bestehenden Anforderungen, Strukturen und Prozessen (Kriegel, Schmitt- Rüth, Güntert & Mallory, 2013). Es gilt hierdurch, einen sicht- und messbaren Mehrwert für alle relevanten Stakeholder zu generieren. Erfolgsentscheidend ist dabei u.a., dass ein Dienstleister im Rahmen der entwickelten hybriden Servicelösung die Last-Mile-Logistik sowie mögliches Troubleshooting sicherstellt. Die fortschreitende Entwicklung der Automation und Robotik eröffnet auch für die stationäre Versorgung im Sozial- und Gesundheitswesen neue Optionen zur serviceorientierten, rationalisierten und verbesserten Versorgungssicherheit und -qualität. Hierdurch kann ein essentieller Beitrag zur angewandten Forschung und Innovation im Gesundheits- und Sozialwesen in Österreich geleistet werden. 3 METHODISCHES VORGEHEN 3.1 Angewandte experimentelle Dienstleistungsentwicklung Das Sozial- und Gesundheitswesen wird durch eine ausgeprägte Dienstleistungsorientierung gekennzeichnet. Dienstleistungen sind ergebnis-, prozess- und potenzialorientierte Tätigkeiten, die durch einen Dienstleister erbracht werden und die beim individuellen Nachfrager einen gewünschten Nutzen stiften. Dabei sind die Dienstleistungen durch das Uno-actu-Prinzip (Produktion und Konsumption fallen zeitlich zusammen), Nichtlagerbarkeit, Immaterialität, Heterogenität sowie externer Faktoren, d.h. die Kunden haben i.d.r. direkten Kontakt zum Dienstleister und sind in vielen Fällen Co-Produzenten und haben Einblick in die Arbeitsweise des Dienstleisters, geprägt. Auf Basis der veränderten Produkt- und Dienstleistungsanforderungen haben sich in der Vergangenheit hybride Dienstleistungen entwickelt. Dies sind kunden- und lösungsorientierte Produkt-Dienstleistungsbündel, die sowohl Hardware- und Software- als auch Serviceelemente zu einem eigenständigen neuen kundenindividuellen Lösungsgeschäft verbinden und integriert anbieten (Kriegel & Auinger, 2015). 86

89 3.2 Geschäftsmodellraster und Anwendungsfälle Insbesondere im Gesundheitswesen sind in den letzten Jahren viele neue Dienstleistungen entstanden. Im Rahmen der Entwicklung, Ausgestaltung, Erbringung und Evaluation von Dienstleistungen spielen die jeweiligen Anwendungsfälle (Use Case) eine tragende Rolle. Ein Anwendungsfall bündelt dabei alle möglichen Aktivitäten im Rahmen der Dienstleistungserbringung, wobei die verschiedenen Bestandteile bzw. Module zu unterschiedlichen Szenarien verbunden und kombiniert werden können. Hieraus ergibt sich ein gestalterisches Element um die Dienstleistungsbündel entsprechend den jeweiligen Kunden- bzw. Nutzeranforderungen zu variieren (Kriegel, 2016) Die Identifizierung und Beschreibung möglicher relevanter Use Cases für assistierende hybride Dienstleistungen unter Einsatz von unterstützenden Robotertechnologien in Alten- und Pflegeheimen erfolgte über Literaturrecherche, Fokusgruppendiskussion sowie Online-Umfrage und Experteninterviews. Im Rahmen der Online- Umfrage wurden Heimleistungen in OÖ hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten und Anforderungen von assistierenden Robotertechnologien in APH befragt ( bis ; N=106, n=46, rr=48,76%). Aufbauend wurden mögliche Use Cases abgegrenzt und beschrieben sowie ein mögliches Geschäftsmodell für assistierende hybride Dienstleistungen unter Einsatz unterstützenden Robotertechnologien in APH skizziert. 4 ERGEBNISSE 4.1 Digitalisierung und Automation in der stationären Altenversorgung Ähnlich wie in anderen Branchen (z. B. Automotive, Verlagswesen, Einzelhandel) führen die Entwicklungen in Zusammenhang mit der Digitalisierung und dem Internet der Dinge sowie den damit verbundenen Lösungen zu gravierenden Veränderungen und Umwälzungen der jeweiligen Industrie- und Dienstleistungszweige. Hinsichtlich des Einsatzes und der Auswirkungen von Digitalisierung und Automation in der stationären Altenpflege werden unterschiedliche Aspekte diskutiert. Diese reichen von der negativen Beschleunigung und Entfremdung bis hin zur positiven Arbeitserleichterung, Zeitersparnis und besseren Pflegequalität. Die Anwendungsbereiche umfassen dabei neben den patientennahen und -fremden Bereichen, Themenfelder wie die Dokumentation, Wissens- und Informationsmanagement, vitalparameter- und biomedizinisches Monitoring, Kommunikation und Vernetzung sowie Schulungs- und Entscheidungsunterstützungssysteme. Hieraus ergeben sich neben möglichen Chancen und Risiken der Ausgestaltung der stationären Altenversorgung auch veränderte Mitarbeiterqualifikationen und Prozessausgestaltungen (Hagemann, 2017). 4.2 Optionen des Robotik-Einsatzes in APH Die rasant sich vollziehende Entwicklung von unterstützenden Robotertechnologien führt zu bzw. ermöglicht die Verrichtung immer komplexerer Aufgaben. Die Entwicklung lässt die unterstützenden Robotertechnologien nicht nur mittels intelligenter Steuerungen auf Umweltveränderungen reagieren, sondern auch teilweise autonom tätig werden. Unterstützende Robotertechnologien sind gekennzeichnet durch verschiedene Sensoren und Aktoren (Bauelemente, welche elektrische Signale in mechanische Bewegungen umsetzen) sowie eine Steuereinheit. Dabei unterscheidet man zwischen Industrierobotern, die als frei programmierbare und universell einsetzbare Bewegungsautomaten agieren. Sie können Bearbeitungsaufgaben 87

90 ausführen sowie mit Werkzeugen/Tools/Greifarmen ausgestattet werden. Demgegenüber operieren Serviceroboter als maschinelle Einheit, die teil- oder vollautomatisch Dienstleistungen gegenüber Menschen bzw. Maschinen verrichtet. Sie bestehen im Wesentlichen aus einer mobilen Plattform und sind flexibel programmierbar (Cas, Rose, Schüttler 2017). Hinsichtlich des Einsatzes von unterstützenden Robotertechnologien lassen sich im Anwendungsfeld der stationären Altenversorgung unterschiedliche Use Cases identifizieren. Der Einsatz unterstützender Robotertechnologien in der stationären Altenversorgung verfolgt das Ziel, durch soziale Interaktion und unterstützende Hilfsleistungen, die menschlichen Benutzer (z.b. Mitarbeiter, Bewohner) zu unterstützen, um mit deren Hilfe einen Mehrwert bzgl. der Versorgungsdienstleistungen sowie der damit verbundenen unterstützenden Prozesse zu schaffen. Hierbei gilt es, neben den technischen, rechtlichen und ökonomischen Aspekten auch die psychologischen, sozialen und ethischen Dimensionen der Robotertechnologien in der stationären Altenpflege zu berücksichtigen. Nach Einschätzungen der Heimleitungen in oberösterreichischen APH liegen die wesentlichen Anwendungsfälle für den Einsatz von unterstützenden Robotertechnologien in der stationären Altenpflege sowohl in den funktionsbezogenen Unterstützungsprozessen (z.b. Transport von Essen, Wäsche, Pflegematerial) sowie in den bewohnerbezogenen Versorgungsprozessen (z.b. Kommunikation, Entertainment mit Bewohnern, Therapieunterstützung). Hieraus ergeben sich mögliche Use-Case- Szenarien hinsichtlich der Wäscheversorgung (Transport-Umschlag-Lagerung: TUL), der Putzmittelbelieferung (TUL), der Reststoffeverbringung (TUL), der Speiseversorgung (TUL), der Pflegematerialbereitstellung (TUL) sowie der Pflege- & Tätigkeitsassistenz, der Sicherheit und Überwachung (z.b. Nachtdienst), der Kommunikation und Unterhaltung (z.b. Entertainment der Bewohner) und dem Einsatz im Bereich der Therapie/Reha Assistenz. 4.3 Potenziale und Herausforderungen aus der APH-Perspektive Neben der Identifizierung der aktuellen und zukünftigen Bedarfe (z.b. Leistungsspektrum, Prozessausgestaltung, Unterstützungsbedarf, Mensch-Maschinen-Interaktion, Servicegrad, Wirtschaftlichkeit), der funktions- und marktreifen Entwicklung einer technologie-basierten Lösung konnten mittels Prozessanalyse, Use Case Definition, Failure Mode and Effects Analysis ein spezifisches Geschäftsmodell für assistierende hybride Dienstleistungen unter Einsatz von unterstützenden Robotertechnologien in der stationären APH-Versorgung entwickelt werden (Khosravi & Ghapanchi, 2016). Als wesentliche Anwendungsbereiche wurden insbesondere Unterstützungsprozesse, die einen hohen Standardisierungsgrad sowie eine hohe Frequenz bei gleichzeitigem repetitiven Einsatz von unterstützender Robotertechnologien aufweisen, identifiziert. Hierzu wurden auch die Prozessanforderungen mit den technologischen Möglichkeiten sowie der erforderlichen Technologieakzeptanz der involvierten Anwender (z.b. Mitarbeiter) und Prozessbeteiligten (z.b. Bewohner, Lieferanten) berücksichtigt (Kriegel, Grabner, Tuttle-Weidinger & Ehrenmüller, 2019). 88

91 Abbildung 2. Herausforderungen für den Robotik-Einsatz in APH (Kriegel et al, 2019) 5 DISKUSSION UND AUSBLICK 5.1 Bewohnerorientierung durch unterstützende Robotertechnologien Die übergreifende Zielsetzung der stationären Altenversorgung ist es, ausgehend von der Ganzheitlichkeit des Menschen, die Sicherstellung und Förderung der Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner, durch eine qualifizierte und konzeptionelle Betreuung, Begleitung und Pflege, die auf die individuellen Bedürfnisse und jeweiligen Lebenssituationen eingeht bzw. diese berücksichtigt, zu unterstützen. Hierbei gilt es, neben dem Erhalt und der Förderung der Selbstständigkeit und Individualität auch das Wohlbefinden durch persönliche Lebens- und Wohnraumgestaltung sicherzustellen. Dies umfasst u.a., die Erhaltung von Entscheidungsspielräumen, die Gestaltung der Privatsphäre sowie der Atmosphäre im APH, die Speisenversorgung und die Kontinuität der gewohnten Lebensführung (Nübling et al, 2004). Zur Sicherstellung und Realisierung dieser Zielsetzungen sind unterschiedliche Ressourcen, Leistungen und Aktivitäten erforderlich, die zunehmend nicht mehr bzw. nicht in ausreichendem Umfang durch das bestehende System erbracht werden können. Daher ist es erforderlich, realistische und integrierbare Servicedienstleistungen unter Einbeziehung unterstützender Robotertechnologien zu entwickeln und zu etablieren (Graf et al., 2012). 5.2 Erforderliches Geschäftsmodell für robotikbasierte Dienstleistungen In Verbindung mit der Entwicklung neuer innovationsfördernder und mehrwertstiftender Servicedienstleistungen unter Einbeziehung unterstützender Robotertechnologien gilt es, kun- 89

92 denfokussierte und lösungsorientierte Produkt-Dienstleistungsbündel, die sowohl Hardwareund Software- als auch Serviceelemente zu einem eigenständigen neuen kundenindividuellen Lösungsgeschäft verbinden, zu entwickeln und zu integrieren. Ferner gilt es, einen aktiven Servicedienstleister mit in die Entwicklung und das Angebot der Servicedienstleistungen einzubinden. Hierzu bietet sich die Entwicklung eines Geschäftsmodells an, welches die Kernstruktur, die internen und externen Kooperationen sowie die finanziellen Regelungen der Organisation verdeutlicht. Ferner stellt das Geschäftsmodell auch die aktuellen und zukünftigen Kernprodukte bzw. Dienstleistungen, die der Servicedienstleister anbietet bzw. anbieten will, sowie die damit verbundenen Zielsetzungen dar (Osterwalder & Pigneur, 2011). Im Rahmen einer experimentellen Forschung und aufbauenden Dienstleistungsentwicklung im Gesundheitswesen gilt es, die möglichen und identifizierten Anwendungsfälle den konkreten Ausprägungen der zwölf relevanten Bausteine (Kundensegmente, Kundenbeziehungen, Kommunikations- und Vertriebskanäle, Einnahmequellen, Wertangebote, Emotionen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselressourcen, Schlüsselpartnerschaften, Kostenstruktur, Ethik und Datenschutz) eines robotikbasierten Service Business Modells zuzuordnen (Kriegel, Schmitt-Rüth & Ortner, 2013). Abbildung 3. Geschäftsmodellraster für robotikbasierte Dienstleistungen im APH 90

93 5.3 Funktionalität und Mehrwert für die Versorgung älterer Menschen Der zukünftige Einsatz von unterstützenden Robotertechnologien in der stationären Altenversorgung sowie deren Zusammenführung in einer passgenauen übergreifenden Altenpflege, wird zum einen durch die Nutzeranforderungen sowie zum anderen durch die jeweiligen Funktionalitäten und den damit verbundenen Mehrwerten für die stationäre Altenpflege bestimmt. Mittelfristig werden robotikbasierte Dienstleistungen in der stationären Alten- und Gesundheitsversorgung eine tragende Rolle hinsichtlich unterstützender und kooperativer Leistungsprozesse haben. Nicht nur zur Bewältigung des anstehenden Fachkräftemangels, sondern vielmehr bezüglich einer qualitativen und unterstützenden Mensch-Maschine- Interaktion. Gleichzeitig ergeben sich durch die Delegation von professionsfremden, repetitiven und belastenden Tätigkeiten an unterstützende Robotertechnologien die Möglichkeit einer Aufwertung und Ausweitung der sozialen Mensch-Mensch-Interaktionen und damit auch der Pflegeberufe. Dadurch ergibt sich ein messbarer Mehrwert für die Alten- und Gesundheitsversorgung durch den Einsatz von unterstützenden Robotertechnologien. Die Entwicklung in diese Zukunft muss jedoch die Caregiving Professionals und Bewohner mit ihren entsprechenden Anforderungen, Möglichkeiten und Ängsten aktiv einbinden und die angestrebten robotikbasierten Lösungen auch in die realen Versorgungsprozesse integrieren. Hierzu bedarf es entsprechend ausgerichteter experimenteller Forschung und Entwicklung sowie eines gezielten Integrations- und Projektmanagements. Ferner werden sich die entwickelten und erprobten Lösungen auch in den ambulanten und häuslichen Bereich sowie in der stationären Krankenhausversorgung weiterentwickeln bzw. von den aktuellen Entwicklungen in jenen Bereichen beeinflusst werden. REFERENZEN Bemelmans R, Gelderblom GJ, Jonker P, de Witte L. (2012). Socially Assistive Robots in Elderly Care: A Systematic Review into Effects and Effectiveness. Journal of the American Medical Directors Association;13(2): Cas J, Rose G, Schüttler L. (2017). Robotik in Österreich. Kurzstudie Entwicklungsperpektiven und politische Herausforderungen. Wien, ITA, Daum M. (2017). Digitalisierung und Technisierung der Pflege in Deutschland. Aktuelle Trends und ihre Folgewirkungen auf Arbeitsorganisation, Beschäftigung und Qualifizierung, Hamburg, DAA-Stiftung Bildung und Beruf. Frey CB, Osborne MA. (2017). The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation? Technological Forecasting and Social Change. 114(1): Grabner I, Juraszovich B, Nemeth C, Pochobradsky E, Wabro M. (2010). Betreuungs- und Pflegeangebote in Österreich Darstellung der Pläne der Bundesländer bis Wien, ÖBIG. Graf B, Jacobs T, Luz J, Compagna D, Derpmann S, Shire K. (2012). Einsatz und Pilotierung mobiler Serviceroboter zur Unterstützung von Dienstleistungen in der stationären Altenpflege. In: Shire KA, Leimeister JM (Hrsg.). Technologiegestützte Dienstleistungsinnovation in der Gesundheitswirtschaft. Wiesbaden, Gabler, S

94 Grossmann B, Schuster P. (2017). Langzeitpflege in Österreich: Determinanten der staatlichen Kostenentwicklung. Wien, Fiskalrat. Hagemann T. (2017). Digitalisierung und technische Assistenz im Sozial- und Gesundheitswesen. In: Hagemann T (Hrsg.). Gestaltung des Sozial- und Gesundheitswesens im Zeitalter von Digitalisierung und technischer Assistenz. Baden-Baden, Nomos, S Khosravi P, Ghapanchi AH. (2016) Investigating the effectiveness of technologies applied to assist seniors: A systematic literature review. International Journal of Medical Informatics 85(1): Kriegel J (2011), Jehle F, Brandl P. Optimierungspotenziale in der Patientenlogistik. In: das Krankenhaus, 11/2011. S Kriegel J. (2012). Krankenhauslogistik - Innovative Strategien für die Ressourcenbereitstellung und Prozessoptimierung im Krankenhauswesen. Wiesbaden, Gabler. Kriegel J. (2016). E-Health Service Development Loom - Geschäftsmodellentwicklung für E- Health Dienstleistungen. In: Müller-Mielitz S, Lux, T (Hrsg.). E-Health-Ökonomie. Wiesbaden, Springer Fachmedien, S Kriegel J, Auinger K. (2015). AAL Service Development Loom From the Idea to a Marketable Business Model. In: Hörbst A, Hayn D, Schreier G, Ammenwerth E (Hrsg.). ehealth Health Informatics meets ehealth. Proceedings of ehealth2015, Vienna, Stud Health Tech Inform S Kriegel J, Grabner V, Tuttle-Weidinger L, Ehrenmüller I. (2019). Socially Assistive Robots (SAR) in In-Patient Care for the Elderly. In: Hayn D, Eggerth A, Schreier G (Hrsg.). dhealth 2019 From ehealth to dhealth. Proceedings of dhealth2019. Vienna, Stud Health Tech Inform, S Kriegel J, Schmitt-Rüth S, Güntert B, Mallory P. (2013). New Service Development in German and Austrian Health Care Bringing e-health Services into the market. International Journal of Healthcare Management. 6(2): Kriegel J, Schmitt-Rüth S, Ortner T. (2013). Entwicklung von ehealth- und AAL- Geschäftsmodellen am Beispiel der Forschungsprojekte PIN und TMC in Oberösterreich. In: Duesberg F (Hrsg). e-health 2014 Informationstechnologien und Telematik im Gesundheitswesen. Solingen, VDMJ, S Nübling R, Schrempp C. Kress G, Löschmann C, Neubart R, Kuhlmey A. (2004). Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der stationären Altenpflege. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 47(2): Osterwalder A, Pigneur Y. (2011). Business Model Generation. Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer. Frankfurt/M, Campus. 92

95 SESSION B: Bildungswelten B1 - Megatrends B2 - Transversale Skills B3 - Didaktische Modelle 93

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97 Die Entwicklung und Bedeutung von Lifelong Learning und Weiterbildung im Hochschulsektor mit einem Fokus auf die österreichischen Fachhochschulen Elke Gornik 1 1 FH Oberösterreich, Franz-Fritsch-Straße 11, 4600 Wels, Österreich, elke.gornik@fh-ooe.at 1 EINLEITUNG UND AUSGANGSSITUATION Ziel des Beitrages ist es, einen aktuellen Ein- und Überblick in das Feld Lifelong Learning und Weiterbildung an den österreichischen Hochschulen, mit Schwerpunkt auf den Fachhochschulsektor, zu geben. Dazu bedarf es einerseits Ausführungen zum allgemeinen Verständnis von Lifelong Learning im Hochschulkontext sowie andererseits eine Differenzierung der (wissenschaftlichen) Weiterbildung. Anhand von bisherigen Studien wird der Status Quo, am Beispiel der Weiterbildung, beschrieben und als Praxisbeispiel die Fachhochschule Oberösterreich (FH OÖ) herangezogen. Der Ausblick zeigt Herausforderungen und Tendenzen zur zukünftigen Entwicklung von Lifelong Learning und Weiterbildung an den österreichischen Hochschulen auf. 2 EINBETTUNG VON LIFELONG LEARNING UND HOCHSCHULISCHER WEITERBILDUNG Ausgehend von einem Verständnis von Lebenslangen Lernen (Lifelong Learning, LLL) 1 als ein europäisches und bildungspolitisches Konzept (im Sinne des Memorandums über Lebenslanges Lernen 2000) wurde 2001 von der Europäischen Kommission das Ziel festgehalten, einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens zu schaffen. Lifelong Learning umfasst in diesem Sinne all learning activity undertaken throughout life, with the aim of improving knowledge, skills and competences within a personal, civic, social and/or employment-related perspective (2001, S. 8). Parallel dazu, führten v.a. die Veränderungen der Studienarchitektur durch den Bologna Prozess dazu, dass die europäischen Hochschulen ihre Rolle im Rahmen eines gesamtheitlichen Bildungsansatzes neu definieren mussten. 2.1 Positionen von Lifelong Learning und Weiterbildung an den österreichischen Hochschulen In Österreich wurde 2011 mit der Strategie zum lebensbegleitenden Lernen LLL:2020 die sich an den veröffentlichten Dokumenten und Definitionen der EU anlehnt ein ganzheitlicher Ansatz formuliert, der von einem breiteren und umfassenden Begriff des Lebensbeglei- 1 Die Begriffe Lebenslanges Lernen, Lifelong Learning, Lebensbegleitendes Lernen sowie die Abkürzung LLL werden in diesem Beitrag synonym verwendet. 95

98 tenden Lernen ausgeht und dabei alle Lernbereiche des Lebens umfasst. Dazu wurden 10 Aktionslinien definiert, wo jeweils Ziele sowie Maßnahmen formuliert wurden. Explizit für die österreichischen Hochschulen wurden u.a. (Republik Österreich, 2011) festgehalten: Hochschulen sind wichtige Akteure im LLL und gestalten spezifische Angebote für diverse Zielgruppen und orientieren sich dabei an den Bedürfnissen der Lernenden (vgl. S. 29). Jede öffentliche Hochschule legt institutionelle Strategien zum lebensbegleitenden Lernen fest und verankern diese in der jeweiligen Entwicklungsplanung und ihrer Profilbildung (vgl. S. 31). Die österreichischen Hochschulen bauen und verbreitern ihr Bildungsangebot u.a. für Menschen in der nachberuflichen Lebensphase und entwickeln neue intergenerationelle Formen wissenschaftlichen Weiterbildung (vgl. S. 43), Zur Weiterbildung vor allem im Kontext beruflicher Aus- und Weiterbildung wird festgehalten, dass alle Bildungs- und Weiterbildungseinrichtungen mit zielgruppenspezifischen didaktischen Methoden und zeitlich flexiblen Angeboten das Prinzip des LLL unterstützen (vgl. S. 28). Folgende fünf Leitlinien, die einander ergänzen und den gesamthaften Ansatz der österreichischen LLL-Strategie unterstreichen, liegen den Maßnahmen und umsetzungsorientierten Aktionslinien (vgl. S. 9) zugrunde: Lebensphasenorientierung: Bildungsprozesse sollen altersunabhängig und altersadäquat ermöglicht werden; Lernende werden in den Mittelpunkt gestellt, indem diverse Lernorte verschränkt werden, neue Lernarchitekturen und Lehr- und Lernformen entwickelt werden; Lernen flexibilisiert werden sollen und auch die Rolle der Lernenden weiterentwickelt wird; Life Long Guidance: die Unterstützung der Lernenden und die Beratung soll verbessert und ausgebaut werden sowie eine Professionalisierung der Beraterinnen und Berater erfolgen; Kompetenzorientierung: Erworbene Qualifikationen sollen transparent und vergleichbar gestaltet werden, neue Kompetenzportfolioinstrumente entwickelt werden und die Anerkennung von informellem Wissen und Kompetenzen ausgebaut werden; Förderung der Teilnahme an Lifelong Learning: Stärkung der Bildungsmotivation und Freude am Lernen durch entsprechende Anreiz- und Fördermaßnahmen. In den darauffolgenden Jahren entwickelten europäische Hochschulen sowie einzelne Hochschulen in Österreich ihre LLL-Strategien 2. Dabei war vor allem die European Universities Charter on Lifelong Learning (2008), mit den dort festgehaltenen Empfehlungen, sowohl für die Hochschulen als auch für die nationalen Regierungen, Richtlinie und Grundlage. Die Fachhochschule OÖ hat in ihrer Strategie zum lebensbegleitenden Lernen 1 (2018) diese Grundprinzipien festgehalten und diese als Bestandteil der Hauptstrategie integriert. 2 Siehe 96

99 Von Seiten der Hochschulpolitik wurde 2014 ein Positionspapier der Universitätenkonferenz (uniko) zu Empfehlungen und Grundsätzen zum Weiterbildungsangebot an öffentlichen Universitäten formuliert. Die österreichische Fachhochschulkonferenz (FHK) hat auf Basis einer internen Erhebung (siehe 3.1) ein Positionspapier zur Fort- und Weiterbildung an den Fachhochschulen erarbeitet und dieses soll in den kommenden Monaten veröffentlicht werden. 2.2 Eingrenzung Lifelong Learning und (wissenschaftliche) Weiterbildung an Hochschulen Lifelong Learning ist wie in 2.1 ausgeführt nicht als isolierte Maßnahmen an Hochschulen zu sehen, sondern als integrierter Bestandteil von Strategien. Dabei soll LLL, als Konzept an Hochschulen u.a. beinhalten: die Förderung von sozialer und struktureller Durchlässigkeit; Auseinandersetzung von Recognition of Prior Learning, Verankerung einer institutionellen LLL-Kultur, Gestaltung von zielgruppenspezifischen Formate, Etablierung von entsprechenden Beratungsangeboten und die Etablierung einer Learning Community. Warum jedoch hat in den letzten 15 Jahren die Aufmerksamkeit der Hochschulen für das Themenfeld Lifelong Learning und Weiterbildung zugenommen? Begründet kann dies mit folgenden Entwicklungen werden (vgl. Gornik 2018, S. 75): Veränderungen in der (Weiter-)Bildungspolitik auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene (Bologna, LLL, EQR, NQR); Veränderungen in der HS-Finanzierung, eng zusammenhängend mit Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen der Weiterbildung; Sozio-demografische Entwicklungen; Forderung nach gesellschaftlicher Verantwortung der Hochschulen; Veränderungen der Bildungsbedarfe und Bildungsbedürfnisse (der Lifelong Learner); Veränderte Qualifikations- und Kompetenzanforderungen aufgrund sich abzeichnender Veränderungen (u.a. kürzeren Innovationszyklen) in der Wirtschaft, bei Partnern und Kunden; Institutionelle Eigeninteressen der Hochschulen (u.a. neue Finanzierungsquellen erschließen) und zunehmende Notwendigkeit der Profilbildung und Zunehmende Konkurrenzsituation (Hochschulische Weiterbildungsangebote werden verstärkt von den Lernerinnen und Lernern, auf einer internationalen Ebene, miteinander verglichen. Aus der institutionellen Hochschulperspektive ist LLL ein strategisches Element einer Hochschule und zeigt die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen auf. (Wissenschaftliche) Weiterbildung ist daher nie isoliert zu betrachten, sondern implizierter Teil des LLL. Im internationalen Vergleich mit anderen Hochschulsystemen (v.a. Kanada, GB, Finnland), dass Lifelong Learning Teil der gelebten Hochschulstruktur ist und damit auch eine deutlich höhere Bedeutung zukommt als beispielsweise in Deutschland oder Österreich (vgl. Hanft A./Brinkmann 2013, S. 136). 97

100 Weiterbildung an Hochschulen3 ist als Teil des LLL zu sehen, wenngleich im deutschsprachigen Raum nach wie vor zu beobachten ist, dass an vielen Hochschulen (aber auch seitens der Bildungspolitik) eine zunehmende Gleichsetzung von Lifelong Learning und Weiterbildung an den Hochschulen erfolgte. So existiert in Österreich keine von allen Beteiligten geteilte Definition von wissenschaftlicher Weiterbildung, jedoch können Parameter festgemacht werden, welche Funktionen diese zu erfüllen hat, welche Zielgruppen damit angesprochen werden sollen und welche Merkmale diese kennzeichnen (Gornik 2018b). Wissenschaftliche Weiterbildung, um eine Zu- bzw. Einordnung zu geben, wird durch folgende Kennzeichen (u.a. Pellert A./Cendon E. 2007b; Faulstich P./Oswald L. 2010; Wolter A. 2011) umrissen: die Verbindung von Forschung und Lehre durch hochschulische Anbieter die Aufbereitung der Studieninhalte auf Hochschulniveau der Einsatz von wissenschaftlichem Lehrpersonal die Zielgruppe der Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit Berufs- und Praxiserfahrung die berufs- und praxisbezogene Gestaltung der Inhalte sowie die Möglichkeit, erweiterte Zielgruppen durch alternative Zugangswege zu erreichen. 3 STATUS QUO IN ÖSTERREICH 3.1 Erhebungen zur Weiterbildung an österreichischen Hochschulen Eine gesamtheitliche empirische Betrachtung des hochschulischen Weiterbildungssektors (d.h. über alle Hochschulsektoren hinweg) findet sich derzeit in Österreich noch nicht. Ergebnisse dazu sind mit Ende 2019 durch eine vom bmwfw in Auftrag gegebene Studie zu erwarten. Relevant sind daher bisher vor allem folgende Erhebungen: Als erste Studie (Erhebungszeitraum bis ; Vollerhebung), die sich in Österreich systematisch mit wissenschaftlicher Weiterbildung an Hochschulen beschäftigte ist jene von Pellert/Cendon (2007a) als Teil der Internationalen Vergleichsstudie (Hanft/Knust) zu nennen folgte eine Voll-Erhebung (Gornik) zum aktuellen Stand der wissenschaftlichen Weiterbildung, mit einer Fokusbetrachtung auf die österreichischen Universitäten (Erhebungszeitraum bis davon Befragung bis ). Die Konzentration lag auf der Ausgestaltung des Weiterbildungsangebotes (Anzahl, Formate), der Anbieter, der Struktur der Weiterbildungseinrichtungen und ihr Aufgabenprofil. Die Fragebogenerhebung enthielt nicht Weiterbildungseinrichtungen an Privatuniversitäten, Pädagogische Hochschulen und Fachhochschulen ebenfalls war die Donau-Universität Krems im Fragebogensetting ebenfalls nicht berücksichtigt, da gesamte Einrichtung auf wissenschaftliche Weiterbildung ausgerichtet ist 3 In der deutschsprachigen Literatur hat sich für Weiterbildung an Hochschulen der Begriff der wissenschaftlichen Weiterbildung im Diskurs durchgesetzt. In Österreich wird zumeist von universitärer Weiterbildung bzw. an Fachhochschulen von akademischer Weiterbildung gesprochen. 98

101 Die österreichische Fachhochschulkonferenz hat Ende 2018 (Online-Befragung im Zeitraum bis ) mit einer internen Voll-Erhebung (in Zusammenarbeit mit der FH Burgenland, 2019) zu Weiterbildungsprogrammen im österreichischen Fachhochschul-Sektor in Auftrag gegebenen. Betrachtet wurden dabei ausschließlich die österreichischen Fachhochschulen. Die Ergebnisse wurden bisher noch nicht veröffentlicht, sondern im April 2019 seitens der FHK intern präsentiert. Für beide Sektoren zeigte sich in vergangenen Jahren, dass die Vielfalt der Formate und auch die Studierendenzahlen im Bereich der formalen Weiterbildung zugenommen haben. Ob diese Entwicklung auch weiterhin fortgesetzt werden wird, ist fraglich, da die Studierendenzahlen der Lehrgänge (primär an den österreichischen Universitäten) gleichbleibend bzw. leicht rückgängig sind. So gab es im Wintersemester (WS) 2007/ Lehrgangsstudierende mit kontinuierlichen Steigerungen bis zum WS 2015/16 und Personen und anschließend leichten Rückgängen im WS 2017/18 auf Personen sowie WS 2018/19 auf Studierende 4. Kurz zusammengefasst können folgende Erkenntnisse gezogen werden (übernommen aus Gornik 2015 und adaptiert; FH Burgenland 2019) 5 : Kategorie Marktverteillung Ergebnisse als Facts Universitäten: Im WS 2017/18 verteilten sich die Weiterbildungsstudierenden wie folgt: 38 % (10.392) Universitäten gesamt; 33 % (8.966) Donau-Universität Krems; 16 % (4.369) Fachhochschulen gesamt; 10 % (2.584) Pädagogische Hochschulen gesamt und 3 % (755) Privatuniversitäten. Universitäten sind die Top-Player im tertiären Bereich und stellen 71 % aller Weiterbildungsstudierenden österreichweit. Der universitäre Weiterbildungsmarkt teilt sich in Donau-Uni Krems (45 %) und die Universitäten Salzburg, Wien, Klagenfurt sowie der Wirtschaftsuniversität Wien (32 %) sowie den übrigen 15 Universitäten (23 %) auf. Zwei Universitäten hatten im WS 2017/18 keine formalen Weiterbildungsstudierenden. Bis zu 1/3 aller formal (938) eingerichteten Lehrgänge an den Universitäten sind nicht aktiv. Fachhochschulen: Im Fachhochschulsektor sind die drei Anbieter mit den meisten Weiterbildungsstudierenden: FH Burgenland (1.153 Studierende), FHW (763 Studierende), FHG (454) und FH St. Pölten (457). Die restlichen 14 FH haben zusammen Weiterbil- 4 Basis: unidata 2f001a+universit%u00e4ten%2f140+universit%u00e4tslehrg%u00e4nge+an+universit%u00e4ten+- +zeitreihe+wintersemester.xml&toolbar=true. 5 Die Datenbasis (Studierendenzahlen) variiert in den unterschiedlichen Systemen und lässt daher Spielräume (Eindeutigkeit) zu; die aktualisierten. Zahlen wurden aus statcube, unidata entnommen. 99

102 Formate Themenspektrum Organisation der WB- Einrichtungen dungsstudierende. Von 21 Fachhochschulen in Österreich bieten 19 Weiterbildungsprogramme an bzw. sind im Feld der Weiterbildung aktiv. Universitäten: Kerngeschäft sind Universitätslehrgänge (ULG) und auch Einzelseminare ohne ECTS-Punkte. Alle klassischen Universitäten bieten ULG mit Master, ULG mit akadem. Expertin/Experte und kostenfreie Weiterbildungs- Reihen an. Alle technischen Universitäten bieten zu 100 % 6 Formate (ULG-Master, ULG akadem. Expertin/Experte, Einzelseminar ohne ECTS, Sommerhochschulen sowie kostenfreie Weiterbildungs-Reihen) an. Interessant ist, dass beispielsweise Sommerhochschulen nicht zum Kern der Weiterbildungseinrichtungen gehören, da diese nur an 18 % administrativ verankert sind. Spezifische Firmenprogramme (Corporate Programs) finden an der Hälfte der befragten Universitäten als Betätigungsfeld statt. Fachhochschulen: Im WS 2018/19 (Basis 288 Lehrgänge) wurde folgende Verteilung für die Lehrgänge an Fachhochschulen angegeben: 41 % mit Masterabschluss, 29 % mit akadem. Expertin/Experte; 27 % mit Zertifikat und 3 % Expertin. An den österreichischen Universitäten wird das gesamte Themenspektrum abgedeckt. Für die Fachhochschulen (Basis 287 Lehrgänge, WS 2018/19) zeigt sich folgendes Bild: Wirtschaftswissenschaften 29 %; Gesundheitswiss. 18 %; Technik/Ingenieurwissenschaften 13 %; Sozialwissenschaften 10 %; Militär- und Sicherheitswissenschaften 1 % und Gestaltung & Kunst 1 %. Universitäten: 87 % sind als Rechtsform eine Teileinrichtung der Uni (mit einem direkten Reporting zum Rektorat). Erkennbar sind auch Mischformen, wo Weiterbildungsaktivitäten auf unterschiedliche Einrichtungen aufgeteilt werden. Mehrheitlich Personalstruktur von 1 bis 3 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Management und 2 bis 6 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im administrativen Bereich. Finanzierung: unterschiedliche Konstrukte von 100 % bis 75 %ige Selbstfinanzierung oder diverse Unterstützungsleistungen (u.a. Räume, Personalressourcen, Marketing) Kerngeschäft sind zu fast 100 % ULG mit Master, ULG mit akademischer Abschlussbezeichnung und kostenfreie Reihen; technische Universitäten: zusätzlich zu 100 % Einzelseminare ohne ECTS u. Sommerhochschulen Zu den Haupt-Aufgaben gehören zentrale Serviceleistungen und Beratung (100 %) und zu 93 % Marketing- und PR, Perso- 100

103 nalführung und die finanzielle Verantwortung für die Abwicklung der Weiterbildungsprogramme. Fachhochschulen: Mehr als die Hälfte aller Fachhochschulen hat (noch) keine eigene Unit für Weiterbildung. Deutlich wird jedoch, dass Weiterbildung als Thema im Profil (Homepage, Leitbild) sichtbar dargestellt werden. Weitere Details wurden noch nicht empirisch erhoben. Tabelle 1. Facts aus Weiterbildungsstudien für Österreich; eigene Darstellung Zusammengefasst zeigen sich folgende Entwicklungen: Trotz verstärkter Konkurrenzsituation an Weiterbildungsanbietern im Hochschulbereich erfolgte ein quantitativer Ausbau des formalen Portfolios an den österreichischen Universitäten und der Donau-Uni Krems; Das Wachstum (nominal und prozentual) variiert jedoch stark zwischen den einzelnen Universitäten. In den vergangenen 15 Jahren haben sich die Studierendenzahlen in den formalen Weiterbildungsprogrammen insgesamt mehr als verdoppelt. Ergänzend dazu haben sich die Weiterbildungseinrichtungen an den Universitäten zunehmend professionalisiert und daher auch eine zunehmende Aufgabenvielfalt bekommen. Beobachtet werden kann für den Fachhochschulsektor, dass in den letzten drei Jahren vermehrte Initiativen erkennbar sind (u.a. deutliche Veränderung des Programm- Angebots, der Vielfalt, der Kooperationspartner, Zunahme der Studierendenzahlen und Entstehen von neu geschaffenen Weiterbildungseinrichtungen). Weiterbildungsprogramme, die nicht formal (Lehrgang) organisiert sind, sind empirisch bisher sowohl an den Fachhochschulen wie auch den Universitäten nicht erfasst. Die Bandbreite von Programmen, die dem Lifelong Learning zugeordnet werden können, scheint wesentlich vielfältiger zu sein. 3.2 Aktueller Stand in Österreich an den Fachhochschulen Die österreichischen Fachhochschulen sind im Vergleich zu den Universitäten ein relativ junger Sektor. Erst 1993, auf Basis des Fachhochschul-Studiengesetzes (FHStG) wurde die Grundlage gelegt und ab 1994 nahmen die ersten Fachhochschul-Studiengänge ihren Betrieb auf (Kasparovsky/Wadsack 2007). Aktuell gibt es in Österreich 21 Erhalter (Anbieter von Fachhochschul-Studiengängen). Gesetzlich war von Beginn an die Möglichkeit gegeben, auch Lehrgänge zur Weiterbildung (in den Feldern der regulären, akkreditierten Studien), analog zu den Universitätslehrgängen an den Universitäten, anzubieten. Die Durchführungsbestimmungen für Lehrgänge an Fachhochschulen sind im FHStG unter 9 zusammengefasst. In Hinblick auf den Stand der Umsetzung von Lifelong Learning-Strategien wird im Fachhochschulentwicklungs- und Finanzierungsplan 2018/ /23 6 ausgeführt (2019, S. 16), dass alle österreichischen Fachhochschulen, auf Basis der nationalen Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich (und der Aktionslinie 5) bis zum Ende der Periode eine institutionelle Strategie zum lebensbegleitenden Lernen entwickeln sollen. Bereits im

104 Jänner 2018 verfügten 17 von 21 FH-Einrichtungen über teils umfangreiche LLL-Strategien (u.a. mit einem Fokus auf Weiterbildungslehrgänge für spezielle Zielgruppen). Im aktuellen Fachhochschulentwicklungs- und Finanzierungsplan 2018/ /23 wird unter (S. 29) ausgeführt, dass bereits im letzten Entwicklungsplan für die Fachhochschulen die Erstellung einer institutionellen Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Zusammenhang mit der jeweiligen Entwicklungsplanung und Profilbildung der Fachhochschuleinrichtungen festgehalten wurde. In der laufenden Periode soll daher die Umsetzung dieser Strategien erfolgen, u.a. durch die Weiterentwicklung der Lehrgänge zur Weiterbildung, erfolgen. Auch Themen, wie Durchlässigkeit (wie Anrechnungen von non-formal und informell erworbener Kompetenzen) und die Verbesserung des nicht-traditionellen) Zugangs sollen verbessert werden. Das Thema der Verankerung von Weiterbildung an den österreichischen Fachhochschulen wird aktuell auch strategisch in der FHK behandelt (siehe 3.1) mit dem Ziel, die österreichischen Fachhochschulen auch in diesem Bereich besser sichtbar zu machen. Die europaweit zunehmende Bedeutung des Bereichs des lebenslangen Lernens für die Hochschulen wird auch dadurch untermauert, dass sich der deutsche Wissenschaftsrat diesem Thema speziell gewidmet hat und im Januar 2019 umfangreiche Empfehlungen zur hochschulischen Weiterbildung als Teil des lebenslangen Lernens (DWR 2019) herausgegeben hat. Viele der darin angeführten Problembereiche (z.b. die Finanzierung dieser Angebote) und daraus resultierende Vorschläge können 1:1 auf den österreichischen FH-Sektor übernommen werden. 3.3 Praxisbeispiel FH OÖ Die Fachhochschule Oberösterreich (FH OÖ) hat sich seit ihrer Gründung 1994, zu einer der größten Fachhochschulen Österreichs, mit Studierenden 7, entwickelt. Die ersten Lehrgangsaktivitäten an der FH OÖ reichen bis in das Jahr 2009 zurück und im Jänner 2012 wurde diese Lehrgänge unter einem gemeinsamen Dach mit der Bezeichnung Akademie für Weiterbildung (AfW) 8 zusammengefasst. Die Organisation der AfW und ihre Eingliederung in die FH OÖ wurde in einer eigenen Geschäftsordnung (GO der AfW, Version 5 v ) 9 festgelegt. Dabei wurden als wesentliche Aufgaben die Einrichtung und Durchführung von Lehrgängen zur Weiterbildung gem. 9 FHStG sowie kostenpflichtigen Angeboten zur berufsbezogenen Weiter-und Höherqualifizierung auf Hochschulniveau (im Sinne des Lifelong Learning) festgehalten. Ziele der GO sind (S. 1): die strategiekonforme Realisierung von Weiterbildungsangeboten, der effektive und sparsame Ressourceneinsatz der eingehobenen Teilnahmegebühren, 7 Quelle: unidata studierende %2f002a+fachhochschulen %2f020+ordentliche+studierende+an+fhs+nach+erhalter.xml&toolbar=true. 8 Eine Darstellung des aktuellen Portfolios der AfW findet sich unter 9 Internes Dokument der FH OÖ. 102

105 eine FH-OÖ-weite Standardisierung der Prozesse (im Sinne von Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung) und einheitliche Vorgehensweisen in der Kalkulation, Budgetierung und Gebarung sichergestellt werden. Ebenfalls geregelt wurden Gestaltungsgrundsätze (Einrichtungsprozess, Organisation, Administration, Finanzierung, ECTS, etc.) für Lehrgänge, Zertifikatsangebote, Module, Fachseminare und Studienbefähigungsprogramme. Es wurde eine wissenschaftliche Leitung, aus den Leitungen der Weiterbildungsprogramme bestellt und ein Beirat implementiert. Dieser wurde unter Beteilung aller vier Fakultäten der FH OÖ (Fakultät für Informatik, Kommunikation und Medien; Fakultät für Medizintechnik & Angewandte Sozialwissenschaften, Fakultät für Management und Fakultät für Technik & Angewandte Naturwissenschaften) und den wissenschaftlichen Leitungen der einzelnen Lehrgänge besetzt. Das Lehrpersonal an den einzelnen Weiterbildungsprogrammen (Lehrgängen) setzt sich aus den hauptberuflich Lehrenden der Studiengänge der FH OÖ, als auch von nebenberuflich Lehrenden, zusammen. Aktuell bietet die FH OÖ mit ihrer AfW folgende drei Bereichen an: zwölf Lehrgängen zur Weiterbildung gemäß 9 FHStG) mit Masterlehrgängen und Lehrgängen zur akademischen Expertin/Experten) und Zertifikatsangeboten, dem Studienbefähigungslehrgang (SBL) und dem International Foundation Programme (IFP), dieses ist im Wesentlichen der SBL in Englisch abgehalten, der sich an internationale Teilnehmende richtet, sowie seit zwei Jahren aus aktuell fünf Modulen (das sind Elemente aus berufsbegleitenden Studiengängen, derzeit nur aus Mechatronik/Wirtschaft und Software Engineering), die unter der Bezeichnung Modulare Weiterbildung angeboten werden und mittlerweile auch Eingang in die Angebote der Dualen Akademie der Wirtschaftskammer OÖ10 gefunden haben. Der Vorstudienlehrgang Deutsch (VSD) wurde mit Herbst 2018 eingestellt. Die Entwicklung der Studierendenzahlen (Abb. 1) zeigt die Verteilung auf die einzelnen Studiengänge der letzten 6 Jahre an der FH OÖ

106 Abbildung 1. Entwicklung der Studierendenzahlen in Lehrgängen an der FH OÖ; intern erstellt ( , Heinz Dobler) Um auf die aktuellen Erfordernisse verstärkt mit flexiblen, zielgruppenspezifischen und auf die Bildungsbiografien und Lebensphasen orientierten Bildungsangeboten zu begegnen, ist aktuell ein Diskussions- und Strategieprozess an der FH OÖ gestartet worden. Ziel soll dabei sein, den Bereichen Lifelong Learning und Weiterbildung strategisch und organisatorisch noch mehr Aufmerksamkeit zu geben. Dazu ist ab Herbst 2019 geplant, eine neue organisatorische Einheit, das Center of Lifelong Learning (CoL 3 ), an der FH OÖ zu implementieren. 4 ERKENNTNISSE UND AUSBLICK Für den österreichischen Hochschulsektor können, abgeleitet von den Erkenntnissen der oben erwähnten Studien, aktuellen bildungspolitischen Diskussionen und gesellschaftlicher/sozialer Entwicklungen, mehrere Erkenntnisse gezogen werden. Bezogen auf die Veränderungen in den letzten 15 Jahren lassen sich für Österreich festhalten, dass an die österreichischen Universitäten und Fachhochschulen auch von Seiten der Bildungspolitik aufgefordert wurden, Lifelong Learning Strategien ergänzend zu den bestehenden Leitbildern und Entwicklungsplänen zu entwickeln. Diese Prozesse sind großteils abgeschlossen, wenngleich die Umsetzung dieser vor allem mit dem Schwerpunkt auf (wissenschaftliche) Weiterbildungsangebote erfolgt ist. In diesem Bereich haben sich vor allem 104

107 zwei Entwicklungen in den vergangenen Jahren abgezeichnet: ein Fokus wurde auf die Etablierung und Einrichtung von Organisationseinheiten für Weiterbildung gelegt sowie auf den Aufbau von internen Prozess-Abläufen (u.a. Aufbau von Strukturen, Etablierung von organisatorischen und finanziellen Strukturen und eine Konzentration auf die Studierendenorganisation). Damit verbunden war auch ein Schwerpunkt auf die Bereiche Qualitätsmanagement und -sicherung. In Hinblick auf die Formate, zeigte sich zunehmend die Ausgestaltung von Kurzprogrammen, die ergänzend zum Format Lehrgang angeboten werden. Erkennbar ist weiters eine verstärkte Zunahme und Nachfrage von Programmen, die sich an Personen ohne akademischen Erstabschluss, richten. Im Vergleich zu 2005 (Erhebung Pellert/Cendon) ist der Prozess der zunehmenden Sichtbarmachung von Weiterbildungsaktivitäten an Hochschulen (vor allem an den Universitäten) gelungen und ist auch auf die zunehmende Professionalisierung der Weiterbildungs- Einrichtungen zurückzuführen. Die österreichischen Fachhochschulen befinden sich aktuell in Professionalisierungsprozessen und entwickeln verstärkt Lehrgänge aber auch Kurzprogramme und Seminare. Gleichzeitig haben die österreichischen Hochschulen Weiterbildung als zunehmendes Profilelement entdeckt (Gornik 2018), aber auch die Generierung von zusätzlichen Drittmitteln durch Weiterbildungsprogramme. Aus den erwähnten Befragungen lassen sich vor allem folgende Einstellungen für den Bereich Weiterbildung an Hochschulen ableiten: Der Bereich der (wissenschaftlichen/hochschulischen) Weiterbildung wird immer wichtiger werden und ebenso die Angebotsvielfalt. Interessant ist, dass der strategischen Bedeutung der Weiterbildung für Fachhochschulen besondere Bedeutung zugesprochen wird. Die befragten Expertinnen und Experten an den Universitäten gingen davon aus, dass es vor allem eine Zunahme von Weiterbildungsformaten mit ECTS (unter dem Format Lehrgang) geben wird und auch verstärkt Einzelseminare ohne ECTS für die Zielgruppe der AbsolventInnen postgradualer Weiterbildungsprogramme geben wird. Die Vertreterinnen und Vertreter der Fachhochschulen sehen jedoch den Ausbau von Lehrgängen unter 60 ECTS als wenig prioritär an. Explizit für die österreichischen Fachhochschulen ist in den kommenden drei Jahren davon auszugehen, dass sich diese verstärkt im Feld der wissenschaftlichen Weiterbildungsangebote positionieren werden und das Portfolio um Lifelong Learning Aktivitäten ergänzen. Dies wird auch durch das 2019 von der FHK formulierte Positionspapier zur Fort- und Weiterbildung verstärkt werden. Aufgrund ihrer Ausrichtung zu den berufsbezogenen Studiengängen, haben die österreichischen Fachhochschulen bereits jahrelange Erfahrung mit Zielgruppen, die beispielsweise bereits im Beruf stehen bzw. berufsbegleitend studieren möchten. Diese Erfahrungswerte sollten bei der zukünftigen Entwicklung von Angeboten im Bereich Weiterbildung entsprechend Berücksichtigung finden. Empfehlenswert wäre, wenn die österreichischen Fachhochschulen im Weiterbildungsbereich (und/oder bei Angeboten im Bereich Lifelong Learning) verstärkt zusammenarbeiten, und so ihre unterschiedlichen Kompetenzfelder bündeln. 105

108 REFERENZEN BMBWF (2019). Fachhochschulentwicklungs- und Finanzierungsplan 2018/ /23. Jänner 2019, Wien. Abgerufen unter Bundesgesetz über Fachhochschul-Studiengänge (Fachhochschul-Studiengesetz FHStG). Fassung vom Abgerufen unter = Commission of the European Communities (2001). Making a European Area of Lifelong Learning a Reality. Communication from the Commission. November 2011, Brussels. Abgerufen unter Deutscher Wissenschaftsrat (DWR) Empfehlungen zu hochschulischer Weiterbildung als Teil des lebenslangen Lernens, Berlin, Abgerufen unter European Universities Association (EUA) (2008). European Universities Charter on Lifleong Learning. Abgerufen unter %20universities %20charter %20on %20lifel ong %20learning % pdf. Fachhochschule OÖ (2018). Strategie zum Lebensbegleitenden Lernen der Fachhochschule Oberösterreich. Abgerufen unter Fachhochschule Burgenland (2019). Ergebnispräsentation Akademische Weiterbildung. Online-Umfrage im Österreichischen Fachhochschul-Sektor im Auftrag der FHK. 1. April Internes Dokument. Faulstich P., Oswald L. (2010). Wissenschaftliche Weiterbildung. Arbeitspapier 200. Abgerufen unter Gornik, E (2015). Entwicklung wissenschaftlicher Weiterbildungseinrichtungen an österreichischen Universitäten Eine Erhebung zu deren Veränderungen im Kontext der Professionalisierung von Managementstrukturen und Angebotsvielfalt. Oldenburg: Universität Oldenburg. Gornik, E. (2018). Wissenschaftliche Weiterbildung ein unterschätztes Element zur Profilbildung österreichischer Universitäten?! Zeitschrift für Hochschulentwicklung (ZFHE), 13 (3), Abgerufen unter 106

109 Gornik, E. (2019). Herausforderungen wissenschaftlicher Weiterbildung in Österreich mit Blick auf Professionalisierung und Professionalität. Der pädagogische Blick, 26. Jg. H. 4, Hanft, A., Brinkmann, K. (Hrsg.) (2013). Lifelong Learning als gelebte Hochschulkultur. In Kerres, M., Hanft, Al, Wilkesmann, U., Wolff-Benedik, K. (Hrsg.). Studium Positionen und Perspektiven zum lebenslangen Lernen an Hochschulen. Münster: Waxmann, Kasparovsky H., Wadsack, I. (2007). Österreichisches Hochschulsystem. 3. Auflage. Stand: 1. Juli Abgerufen unter Österreichische Universitätenkonferenz (uniko) (2014). Grundsätze und Empfehlungen zum Weiterbildungsangebot an öffentlichen Universitäten. Positionspapier Abgerufen unter Österreichische Fachhochschulkonferenz (FHK) (2017). Was braucht es, um den Wissenschafts- und Forschungsstandort Österreich künftig voranzubringen. 6-Punkteplan der Österreichischen Fachhochschulen. Positionspapier. Oktober Abgerufen unter: KPositionspapier_Koal tionsgespr2017.pdf&t= &hash=a2a141f4ec81ee7863ec5 a0cb9c03b6ec718c3f3. Pellert, A., Cendon, E. (2007a). Länderstudie Österreich. In A. Hanft & M. Knust (Hrsg), Weiterbildung und lebenslanges Lernen in Hochschulen. Eine internationale Vergleichsstudie zu Strukturen, Organisationen und Angebotsformen. Münster: Waxmann, Pellert A., Cendon E. (2007b). Life Long Learning meets Bologna. Wissenschaftliche Weiterbildung im Kontext des lebensbegleitenden Lernens in Österreich. In: Gützkov, F., Quaißer, G. (Hrsg.) Denkanstöße zum Lebenslangen Lernen. Jahrbuch Hochschule gestalten Bielefeld: UVW, Republik Österreich (Hrsg.) (2011). LLL:2020 Strategien zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich. Juli Abgerufen unter: Wissenschaftsrat (2019). Empfehlungen zu hochschulischer Weiterbildung als Teil des lebenslangen Lernens. Vierter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. Abgerufen unter Wolter A. (2011). Die Entwicklung wissenschaftlicher Weiterbildung in Deutschland: Von der postgradualen Weiterbildung zum lebenslangen Lernen. In: Beiträge zur Hochschulforschung, 33. Jahrgang, 4/2011;

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111 Digitalisierung und andere Megatrends Orientierung für Hochschulen auf dem Wandel in die Zukünfte Susanna Boldrino 1 1 FH Campus Wien, Favoritenstrasse 226, 1100 Wien, Österreich, susannal.boldrino@fh-campuswien.ac.at 1 EINLEITUNG Digitalisierung ist eigentlich ein alter Hut. Die Gesundheitsindustrie ist gerade dabei, die Leitfunktion im 21. Jahrhundert zu übernehmen. Die Prognose des US-Bureau of Labor Statistics sagt voraus, dass die Gesundheitswirtschaft im Jahr 2024 der größte Arbeitsgeber der USA sein wird. Basisinnovationen werden in Biotechnologie und psychosozialer Gesundheit erwartet. Wenn die Digitalisierung eigentlich bereits passé ist, warum ist das Thema dann an Hochschulen omnipräsent und wird mit Zukünften und Wandel verbunden? Der Plural (Zukünfte) verweist hier auf die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wahrscheinlichen, wünschbaren Zukunftsentwicklungen ( Zukünften ) und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung [IZT], 2016). Digitalisierung ist auf jeden Fall deshalb hochaktuell, weil sie heute eine andere Qualität hat und in alle Lebensbereiche eindringt, es geht um mehr als die analoge Welt in eine digitale Welt zu transformieren. Digitalisierung wird nunmehr breitenwirksam genutzt. Alle Generationen nutzen digitale Devices und ganze Arbeitswelten werden digital. In der Definition von Prof. Dr. Thorsten Petry kommt zum Ausdruck wie Digitalisierung als Querschnittsthema wirkt: "Die Digitalisierung ist ein durch technologische Entwicklungen getriebener bzw. ermöglichter Transformationsprozess von Unternehmen bzw. ganzen Branchen, der weitreichende strategische, organisatorische sowie soziokulturelle Veränderungen mit sich bringt" (Petry, 2016, S. 22). Hochschulen sind in einer Zeit wachsender sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen besonders gefordert an der Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben aktiv zu arbeiten: So ist neben der Aus- und Weiterbildung ( First Mission ) und der Forschung ( Second Mission ) auch der Auftrag der Third Mission zu erfüllen, der neben der Information der Öffentlichkeit auch die Umsetzung und Einbindung der Forschungsergebnisse in der Praxis sowie die Unterstützung der gesellschaftlichen Einbindung zum Ziel hat. Digitalisierung erfordert an Hochschulen also einen breiten Transformationsprozess. Jens Nymand Christensen, Acting Director General of the European Commission s Directorate General for Education, Youth, Sport and Culture hat am 27. Februar 2018 die HEInnovate Konferenz in Brüssel mit den Worten eingeleitet: The Higher Education Institutions in Europe are not good enough. Was meinte er mit dieser provokativen Einleitung? Jens Nymand Christensen bezog sich auf die laufenden Veränderungen unserer Welt und den damit verbundenen Herausforderungen, sowohl fachlich als auch menschlich diesem Wandel gewachsen zu sein. Hochschulen spielen dabei eine zentrale Rolle. Europa hat Bildung verstärkt in diverse Agenden aufgenommen, da Bildung als Schlüssel für die Bewältigung der 109

112 kommenden Herausforderungen gesehen wird. Hochschulen und Wissenschaft unterstützen dabei gezielt die wissensbasierten gesellschaftlichen Suchprozesse zur Gestaltung nachhaltiger, zukunftsfähiger Gesellschaften. Vorgeschlagen werden weitreichende Veränderungen und ein neues Zusammenspiel von Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Der Transfer von Wissen mit Hochschulen als Drehscheibe in die Gesellschaft hat bereits eine lange Tradition und wurde bereits bei der Gründung der ältesten Universität in Bologna im Jahr 1088 als gesellschaftliche Rolle von Hochschulen gesehen (Scharmer, 2015, S. 103). Dass Hochschulen jedoch Zukünfte aufzeigen und mitgestalten ist eine neue und herausfordernde Aufgabe in diesem Zusammenhang. Digitalisierung gilt dabei oft als das zentrale Element. Doch treten durch den alleinigen Fokus auf Digitalisierung andere wichtige Faktoren in den Hintergrund, die als Treiber für den Weg der Hochschulen in noch nicht fassbare Zukünfte beachtet werden müssen? 2 THEORETISCHER RAHMEN Zunehmend komplexe Umwelt Obwohl es disruptive Veränderungen seit jeher gegeben hat ein Beispiel dafür ist etwa die Industrialisierung tut sich in diesem Jahrhundert eine neue Dimension auf. Zukünfte lassen sich nicht antizipieren, nicht einmal erahnen. Diese Welt entsteht aus der Gleichzeitigkeit von drei globalen Revolutionen, die die Koordinaten der sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Welt neu definieren: die ökonomisch-ökologische Revolution: das Entstehen einer neuen Ökonomie die sozial-relationale Revolution: das Entstehen der Netzwerkgesellschaft die kulturell-spirituelle Revolution: das Entstehen eines neuen Bewusstseins (Conway et al., 2009). Wir haben es daher mit einer zunehmend komplexen Welt zu tun, die mit dem Acronym VUCA (von Bergen, 2016) beschrieben wird: Volatility, uncertainty, complexity und ambiguity. Der Historiker und Autor Yuval Noah Harari nennt es die neue menschliche Agenda. Doch am Morgen des dritten Jahrtausends wacht die Menschheit auf und macht eine erstaunliche Entdeckung. Die meisten Menschen denken selten daran, doch in den letzten Jahrzehnten ist es uns gelungen, Hunger, Krankheit und Krieg im Zaum zu halten. Natürlich sind diese Probleme nicht vollständig gelöst, aber was einmal unbegreifliche und unkontrollierbare Kräfte der Natur waren, sind jetzt Herausforderungen, die sich bewältigen lassen (Harari, 2017, S. 10). Mit der sich so verändernden Welt gehen neue Arbeitswelten einher. Karl Benedikt Frey und Michael A. Osborne (2013) analysierten in einer Studie The Future of Employment verschiedene Berufe und die Wahrscheinlichkeit, mit der sie in den nächsten zwanzig Jahren von Computeralgorithmen übernommen werden. Auf der anderen Seite werden neue Berufe entstehen, wie z.b. Designer für virtuelle Welten. Harari spricht allerdings auch davon, dass im 21. Jahrhundert eine neue Nichtarbeiter*innenklasse entstehen könnte, die nicht nur beschäftigungslos, sondern gar nicht mehr beschäftigbar ist (Harari, 2017, S. 440). Wir leben also in einer Welt, die sich gerade in ihren Grundfesten umgestaltet. Megatrends helfen, in dieser Phase eine Orientierung zu behalten, da sie als die Welt übergreifende Transformationsprozesse unterschiedliche Entwicklungen diagnostizieren. Voraussetzung ist, dass diese 110

113 methodisch erarbeitet sind und in einem Kommunikationsprozess spezifisch für ein System validiert werden. Welche Position nehmen nun Hochschulen in dieser neuen Welt ein? Neu ist bereits, dass Bildung erstmals im Zentrum der Agenda der Europäischen Union steht, obwohl die EU für diesen Politikbereich nur eine unterstützende Zuständigkeit hat, was bedeutet, dass die EU im Bereich Bildung weder Rechtsvorschriften erlassen, noch in die legislativen Maßnahmen der Mitgliedsländer eingreifen kann. Doch wird gerade von Bildung ein hoher Impact in Europas Gesellschaft und Ökonomie von Seiten der Hochschulen erwartet. Die third mission (vgl. Universität Wien, 2016) wird neben Lehre und Forschung als Eckpfeiler gesehen. Hochschulen sollen ihre Innovationskraft steigern und als Entrepreneurial Universities 1 proaktiv die anstehenden Herausforderungen der Zukunft aufgreifen und Antworten geben. Bei dieser Transformation soll die Digitalisierung eine Kernrolle auf diversen Ebenen einer Hochschule spielen. Digitaler Wandel und Neue Skills Die digitale Transformation bringt unbenommen eine neue Dimension in diese Transferrolle der Hochschulen. Der digitale Wandel betrifft alle Ebenen der Hochschule, ausgehend von Lehr- und Lernformen bis hin zur Organisation. Im Paris Communiqué von 2018 im Zuge der Bologna-Reform geht es u.a. explizit um Innovationen in Teaching and Learning 2, um neue Kompetenzen für die Zukunft zu entwickeln. Neue Lehr- und Lernformen wie z.b. Experimentelles Lernen, Transformatives Lernen, Service-Lernen, Problem based learning etc. gewinnen an Bedeutung, weil die Kluft zwischen den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Menschen im Studium erlernen, und den Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie im Arbeitsleben benötigen, immer deutlicher wird. Für Fachhochschulen ist zusätzlich zur wissenschaftlichen Fundierung die Verbindung mit Berufsfeldern, die hochschuldidaktische Lehre und der Austausch mit externen Stakeholdern seit der Gründung des FH-Sektors essentiell. Wesentliche Ziele, siehe 3 (1) FHStG3, sind die Gewährleistung einer praxisbezogenen Ausbildung auf Hochschulniveau, die Vermittlung der Fähigkeit, die Aufgaben des jeweiligen Berufsfeldes dem Stand der Wissenschaft und den aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Praxis zu lösen, und die Förderung der Durchlässigkeit des Bildungssystems sowie der beruflichen Flexibilität der Absolvent*innen. Doch so einfach ist es nicht, die zukünftigen Berufsfelder und damit verbundene Aufgaben und Kompetenzen festzumachen, insbesondere wenn disruptive Veränderungen die Welt in den Grundfesten umgestalten. Das World Economic Forum [WEF] (2019) hat sich mit der Frage nach den erforderlichen Skills für das 21. Jahrhundert beschäftigt 4 und es zeigt sich ein deutlicher Wandel in den Anforderungen der Berufswelt. Die heutigen Absolvent*innen müssen verstärkt in der Lage sein, zusammenzuarbeiten, zu kommunizieren und Probleme zu lösen. In Kombination mit traditionellen Fähigkeiten werden interdisziplinäre, soziale und emotionale Kompetenzen die Absolvent*innen befähigen, in der Zeiten der Transformation erfolgreich zu sein. Ein Beispiel um 21 st Century Skills bei Studierenden aufzubauen, sind Studio Labs. Ursprünglich kommt diese Lab-Entwicklung aus Finnland, wo aufgrund des Schließens von Nokia ad hoc neue Gedanken für das Überleben der Region gefragt waren. Die Oulu University of Ap- 1 Vgl. 2 Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (Hrsg.). (2018). Paris Communiqué. 3 Republik Österreich. (2019). Fachhochschul-Studiengesetz. FHStG. 4 World Economic Forum (Hrsg.). (2019, 8. März). What are the 21st-century skills every student needs? 111

114 plied Sciences hat mit angewandten Methoden aus dem Studio Learning Model 5 wichtige Impulse gesetzt. Die Innovationskraft in der Hochschule in Verbindung mit und zum Nutzen der Region wurde gestärkt. Der schwerwiegenden Arbeitslosigkeit in Oulu konnte rasch mit neuen Projekten und Ideen begegnet werden. Bis heute sind weltweit drei Arten von Labs entstanden, die erfolgreich sind und ausgebaut werden. Andere Universitäten haben in Kooperation mit Oulu ihr eigenes Modell entwickelt. Derzeit sind im europäischen Netzwerk acht Hochschulen mit Labs vertreten, eine internationale Community beginnt sich zu bilden. Im Juni 2019 fand die jährliche Labblender Konferenz diesmal in Oulu selbst statt, um Good Practices auszutauschen. Digitalisierung als wirksamer Treiber der Hochschulentwicklung Hochschulen selbst unterliegen wie die neuen Arbeitswelten ebenso der digitalen Transformation auf unterschiedlichen Ebenen. Beginnend von der Strategie bis hin zu spezifischen digitalen Lehr- und Lernangeboten wirken Aspekte der Digitalisierung auf diese institutionell ein. Die Digitalisierung verändert die Lehr-, Lern- und Qualifikationsprozesse und die zugehörigen Dienstleistungen im Hochschulbereich. Verschiedene Self-Assessment Tools z.b. von Seiten der Europäischen Kommission oder der OeCD (SELFIE Education and Training oder HEInnovate) ermöglichen ganzheitliche Standortbestimmungen als Ausgangspunkt für eine gezielte Transformation von Hochschulorganisation, Lehre, Forschung und Entwicklung sowie Weiterbildung. Digitalisierung ist für Hochschulen also auch eine Chance. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmend steigenden heterogenen Bedürfnisse der Lernenden, der Forderung nach flexiblen Lernpfaden, die als Thema seit Jahren auf der Agenda der Europäischen Union sind, sowie Aspekten der Sozialen Dimension in der Hochschulbildung, die verstärkt im Fokus des BMBWFsowie der Europäischen Kommission stehen, kann Digitalisierung Teil der Problemlösung sein. So wurde beispielsweise bei der Bologna-Ministerkonferenz im Mai 2018 in Paris das Positionspapier "Bologna digital 6, erarbeitet, welches Vorschläge enthält, wie die Digitalisierung genutzt werden kann, um Hochschulen für eine vielfältigere Bevölkerungsgruppe zu öffnen, um nicht-formales und informelles Lernen anzuerkennen und insgesamt Lehre und Lernen, Internationalisierung und Qualitätssicherung zu verbessern. Die Hauptbotschaft von Bologna digital lässt sich auch gut auf die Fragestellung dieses Artikels übertragen. Stärkung der Innovationskraft an Hochschulen durch Neue Skills Die Europäische Kommission und die OECD fordern explizit eine Stärkung der Innovationskraft und der Entrepreneurshipkultur an Hochschulen, um die kommenden disruptiven Veränderungen in der Weltwirtschaft aktiv zu gestalten. Wie auch immer die Entwicklung vorangehen wird, die Zusammenarbeit mit Unternehmen und somit die Rolle von Hochschulen als Wissensdrehscheibe sind Keimzellen neuer Lösungen. Bildung wird als treibende Kraft gesehen, Menschen zu befähigen, neue Lösungen für anstehende Probleme zu formulieren und ist eng mit Innovation verknüpft. Innovation wird dabei breit definiert. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter geht es bei Innovationskraft um die wirtschaftliche Entwicklung, die vom/von der Unternehmer*in getrieben wird, als Durchsetzung neuer 5 EAPRIL (Hrsg.). (2016). Oamk LABs practices for bridging work life 21th century skills and higher education. 6 Kiron Open Higher Education (Hg.) (2018): Bologna Digital. Position Paper. 112

115 Kombinationen. Um diese neuen Kombinationen denken zu können, bedarf es der vorhin erwähnten 21st century skills 7. Das World Economic Forum hat sich, wie ebenso bereits angesprochen, umfassend mit den für das 21. Jahrhundert benötigen Skills beschäftigt und festgestellt, dass die digitalen Veränderungen unsere Welt so transformieren, dass wir ein neues skillset brauchen, um damit Schritt zu halten. Betitelt ist ein Artikel dazu mit The 10 skills you need to thrive in the Fourth Industrial Revolution, mit den folgenden skills: Abbildung st century skills (Siehe: WEF, 2016). Zusammen mit den in einem Studium erworbenen fachlichen Kompetenzen ergibt sich ein optimales Skillset für das Zusammenarbeiten. 2.1 ZUKÜNFTE WISSENSCHAFTLICH BEFORSCHEN Das Thema Zukünfte ist ein Hype, wie auch das Thema Veränderung bzw. Transformation. Man könnte meinen, dass eine genuine die Fachwissenschaften und Disziplinen übergreifende Zukunftsforschung in europäischen Hochschulen angekommen ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Es haben sich einzelne Institute und ein Studiengang zu Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin etabliert. Meist erfolgen Prognosen auf Basis von Medienanalysen. Eine systematische Vorgangsweise, die mit der Definition zukunftsrelevanter Fragestellungen beginnt und wissenschaftlich fundiert bearbeitet wird, wird kaum angewandt. Die Situation in den USA, Japan etc. ist übrigens anders, dort ist die Zukunftsforschung im tertiären Bildungssektor verankert. Forschung zu Zukunft, Megatrends und Trends bedient sich nachvollziehbarer Methoden. Für die Begriffe Zukunftsforschung, Megatrend, Trend und Futures Literacy nachfolgend Definiti- 7 World Economic Forum (WEF) 113

116 onen und Methoden des IZT Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertungen des Austrian Institute of Technology [AIT] in Wien und der UNESCO: Zukunftsforschung: wie bereits einführend erwähnt, ist damit die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wahrscheinlichen, wünschbaren Zukunftsentwicklungen ( Zukünften ) und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart gemeint (Kreibich, zitiert nach IZT, 2016). In der Zukunftsforschung werden Techniken und Verfahren aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (aus Mathematik, Statistik, den Wirtschaftswissenschaften und aus den Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie und Psychologie) genutzt; als genuine Methoden der Zukunftsforschung gelten "Trendexpolationen, Analogietechniken, Cross-Impact-Analysen, Delphi-Umfragen, Szenario-Methoden, Simulationsverfahren, Wild-Cards-Techniken und formalisierte Zukunftswerkstätten und Zukunftskonferenzen" (Kreibich, 2000, S. 10). Insbesondere die Szenario-Technik gilt derzeit als "State-of-the-art" im Umgang mit zukünftigen Entwicklungen. Megatrend: Megatrends stehen für langfristig wirkende, übergreifende Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft. Als treibende Faktoren prägen sie maßgeblich die Umfeldbedingungen von Märkten, Kunden und Unternehmen (Burmeister, 2007). A megatrend is a long-term, transformational process with global reach, broad scope, and a fundamental and dramatic impact (Vielmetter & Sell, 2014). Vier Faktoren: Dauerhaftigkeit, Allgegenwart, Universalität, Robustheit (German Convention Bureau, 2013). Trend: is a general tendency or direction of a development or change over time. There is no guarantee that a trend observed in the past will continue in the future (AIT, 2016). Trends im Allgemeinen bezeichnen Faktoren, die sich aus Wandel und Innovation ergeben (IZT, 2016) Corporate Forsight: versteht sich als zukunftsorientierter Kommunikations- und Planungsprozess im Innenverhältnis von Unternehmen (Popp, 2012, S. 9). Futures Literacy: is a capability to use imagination to introduce the non-existent future into the present (Miller, 2018, S.16) Fachhochschulen sind gesetzlich gefordert, die Kernaufgaben Lehre und Forschung konstant weiterzuentwickeln und dabei externe Stakeholder einzubeziehen. Um insbesondere die Verbindung mit Vertreter*innen der zukünftigen Berufsfelder zu stärken und valide zukunftsweisende Trends qualitätsvoll zu erarbeiten, ist eine Wissensdrehscheibe mit dem Wiener Raum mit Fördermitteln der MA 23 Stadt Wien entstanden die Wiener Wissenswelt 8. Somit ist ein wissenschaftlicher Zugang zu Zukünften an der FH Campus Wien angekommen und wird nachfolgend genauer beschrieben. Mit Methoden der Qualitäts- und Organisationsentwicklung sowie qualitativer Forschung werden zukünftige Entwicklungen antizipiert und für den Bildungsbereich untersucht. Die Verfizierung der Megatrends erfolgt unter anderem 8 MA23 gefördertes Projekt der FH Campus Wien: Wiener Wissenswelt. 114

117 durch Expert*innen-Runden und problemzentrierte Fokusgruppen und wird unterstützt durch ein semantisches Tool, das im Laufe des Aufbaus der Wiener Wissenswelt entwickelt wurde. Erkenntnisse und Impulse fließen in strategische Entwicklungen der Ausrichtung der Fachhochschule sowie in Entwicklungsprozesse des Aus- und Weiterbildungsportfolios ein. Von Bedeutung für die Identifikation von zukünftigen Entwicklungen und Gestaltungsoptionen sind gezielt organisierte Kommunikationsräume, damit sich tradierte Kommunikationsmuster auflösen, neue Muster entstehen und sich festigen können. Zentral dabei ist auch, dass ein kollektiver Sinn entsteht, mehrere Perspektiven in jedem sozialen Raum betrachtet werden und dass die Kommunikation in diesen Gruppen durch entsprechende Designs und Interventionen begleitet wird. Gestaltungsgegenstand ist somit vor allem die soziale Interaktion, die Vertrauen in die Zukunft aufbaut. Für externe Stakeholder gilt das vorhin Ausgeführte in einem erweiterten Kontext: das Lernen erfolgt durch eine veränderte Interaktion und Durchlässigkeit mit den Akteur*innen einer Hochschule. Durch die Sensibilisierung zu den Möglichkeiten der Gestaltung der Zukünfte, entstehen neue Kommunikationsmuster und Anlässe, die für eine verstärkte Öffnung der Hochschule genutzt werden können (Krizanits, 2015, S. 105ff.). 2.2 Erkennung und Verifizierung von (Mega)trends 1. Identifikation der Megatrends: Die Erstauswahl relevanter Megatrends, die eine Reduktion der Komplexität ermöglichst, erfolgte nach Identifikation von Kriterien für Hochschulen auf Basis der Forschungsarbeiten des AIT Austrian Institute of Technology in Wien und des IZT Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertungen in Berlin. Um Themen und langfristige Entwicklungen zu identifizieren wurden von diesen Forschungsinstituten in einem ersten Schritt ausgewählte Datenbanken im Rahmen eines horizon scannings quantitativ ausgewertet sowie weitere Quellen wie z.b. die OECD und andere Forschungsinstitutionen herangezogen. Dabei werden verschiedene Methoden zur Suche aus Biblio-/Scientometrics (Web of Knowledge, SSRN und Google Scholar) und Infor-/Webmetrics (Statistik Austria/Open Government Data, journalistische RSS-Feeds, Google Books bzw. Trends) eingesetzt (Amanatidou et al., 2012). Folgende Kriterien wurden für eine Hochschule als relevant betrachtet: Vielfalt bewahren und ausweiten, Glocalization, Gesellschaftliche Verantwortung sowie Vernetzung. Die Auswahl der Megatrends sowie der Kriterien für Hochschulen erfolgte innerhalb von zwei Zukunftskonferenzen mit dem AIT und IZT. Zwei Fragestellungen lagen der Diskussion zugrunde: Welche Kriterien sind für die Hochschule bei der Auswahl von Megatrends entscheidend? (Brainstorming und Sammeln auf Flip Chart) Bewertung der Themen nach Aktualität und Bedeutung für die Hochschule anhand der vorher ausgearbeiteten Kriterien anhand einer Matrix. 2. Wissenschaftliche Recherche: Jene Megatrends, die im Rahmen der Ersterkennung identifiziert wurden, wurden nunmehr vom Team der Akademischen Hochschulentwicklung der FH Campus Wien mittels Literaturrecherche thematisch anhand einer einheitlichen Vorgangsweise angereichert und durch die Beschreibung von Teiltrends ergänzt. Die interne Recherche umfasste: große Projekte als Verstärker, Forschungsausschreibungen, Literaturanalyse, Social-Media-Analyse, regionale und 115

118 zeitliche Entwicklung der Trends. Anhand der vom IZT und AIT empfohlenen Clusterung ( u.a. STEEPV) 9 wurden die Megatrends in Form von Dossiers nach einer einheitlichen Gliederung ausgearbeitet. Hierzu wurden neben wissenschaftlichen Fachtexten auch eine Reihe anderer Quellen ausgewertet. Im Zuge der Ausarbeitung wurden auch Gegentrends als Gegenpole für die Analyse aufgegriffen sowie der Zeithorizont inklusive bisheriger historischer Entwicklungen miteinbezogen. Weiters wurden die Recherchemethoden dargelegt und ein Bezug zum Hochschulsektor hergestellt. 3. Semantische Content Analyse: Unterstützt wurde die wissenschaftliche Recherche durch die Analyse von Dokumentsammlungen auf Basis eines eigens entwickelten Open-Source-Werkzeuges. Dieses kann Sammlungen von Dokumenten auswerten, manuelle Metadaten auslesen und automatische Inhaltsklassifizierungen vornehmen (Hu et al., 2008). In einem zweiten Schritt können die Auswertungen dann in interaktiven Tabellen und als Visualisierungen dargestellt werden. Via explorativer Datenanalyse können so weiterführende Hinweise auf Trends gewonnen werden. Technisch basiert die Auswertung auf der Lucene Bibliothek zur Indexerstellung sowie einem R-Server. Die Konzepte, die der Dokumentklassifizierung zugrunde liegen, werden über dbpedia als Auswertung aus Wikipedia-Artikel und deren Verlinkungen als maschinenlesbare Zahlenfolgen ( Vector ) berechnet (Huang et al., 2009). 4. Räume für Kommunikation: Die ausgearbeiteten Dossiers wurden durch Diskussionen und Fokusgruppen mit unterschiedlichen Zielgruppen als relevant für die FH Campus Wien verifiziert. 10 Diese Kommunikation fand auf drei verschiedenen Ebenen statt: a) mit der Hochschulleitung werden die Megatrends mind. jährlich validiert und sind Basis für die insitutitonalisierte Umfeldanalyse der FH Campus als Grundlage des strategischen Managements. Dabei wird jährlich die Auswahl der Megatrends und Trends an neue Erkenntnisse und Rechercheergebnisse angepasst. b) im Rahmen der Weiterentwicklung der Studienprogramme fließen die Megatrends als Impulse für Zukunftsworkshops mit Studierenden, Lehrenden, Studiengangsleitungen und externen Stakeholdern ein. Die Ergebnisse aus diesen Diskussionen sind die Grundlage für die Weitergestaltung der Curricula. c) Die Kommunikation mit der Region Wien erfolgt mittels einer Website ( Wiener Wissenswelt ), wo Megatrends und Trends dargestellt sind und kontinuierlich weiter durch Abstracts zu qualitativ hochwertigen Studien, zukunftsweisenden wissenschaftlichen Artikeln, wissenschaftlichen Arbeiten u.a. ergänzt werden. Entsprechende Dokumente werden vor der Veröffentlichung anhand eines Kriterienkatalogs auf Qualität überprüft. Dadurch ist eine qualitätsgesicherte methodische Auswahl sichergestellt. d) Dazu werden in Konferenzen und Veranstaltungen die Megatrends in der Gesamtheit oder auch einzeln aufgegriffen und weiter durch Vorträge vertieft beleuchtet. e) Eine weitere Ausbaustufe ist noch im Aufbau, diese beinhaltet verstärkt Interviews bzw. Fragebogen bei entsprechenden Fachexpert*innen zu einzelnen Trends. 9 STEEPV Clusterung Social, Technological, Economic, Ecological, Values 10 Der Diskussionsprozess ist ein wichtiges Element des Forecastings: Siehe dazu: European Commission. (2019). EU Science Hub: Foresight and Horizon scanning. Retrieved from 116

119 3 ORIENTIERUNG FÜR HOCHSCHULEN Hochschulen stehen also vor großen Herausforderungen. Nicht nur, die Digitalisierung in all ihren Facetten in Lehre, Forschung & Entwicklung und Organisation zu bringen. Hochschulen müssen agiler und beweglicher werden, benötigen mehr Kollaboration und müssen soziale Gehirne bauen, eine Wir-Kultur entwickeln und Selbstorganisation riskieren, um die 21 st century skills zu vermitteln (Brühl, 2018, S. 147ff.) und der raschen Geschwindigkeit der Veränderung Schritt zu halten. Schließlich gilt es, Menschen zu befähigen in Zukunft wissenschaftlich tätig zu sein, einen Beitrag für die Lösung schwieriger Probleme zu leisten und ihren zukünftigen Beruf ausüben zu können. Für Hochschulen haben sich neben der Digitalisierung 4.0 folgende spezifische Megatrends als maßgeblich leitend herausgestellt. Diese Selektion ist wie erwähnt mit dem Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung und dem AIT Austrian Institute of Technology im Rahmen des vorher genannten MA 23 geförderten Projektes WienerWissensWelt erfolgt. Individualisierung ist ein dominierender Megatrend des noch jungen 21. Jahrhunderts. Im Kern beschreibt er das Streben der Menschen nach Autonomie und Selbstbestimmung, das in dem Maße zunimmt, wie alte Institutionen und Normen an Bindungskraft verlieren. Es kommt zu einem Wertewandel, der weg von Normhaushalt und Normbiographie und hin zu einer erhöhten Werte- und Normenvielfalt führt. Unter Individualisierung kann die Entwicklung eines individuellen Menschen verstanden werden, der im Laufe seiner eigenen Biographie sein ganz persönliches Bild seines Umfeldes und seiner selbst und die daraus folgenden Prioritäten, Werte und Verhaltensweisen definiert. Individualisierung bedeutet dabei nicht, dass sich Menschen in Nischen zurückziehen oder vereinsamen. Individualisierung bezeichnet die Freiheit der Wahl. Selbstbestimmt zu entscheiden, wie und wo man lebt, welchen Beruf man ergreift oder welche Form der Sexualität praktiziert wird. Individualisierung ist der Prozess, den Freiheitsraum und die Möglichkeiten für den Einzelnen oder die Einzelne auszuweiten. Normgebende Institutionen wie die Politik oder die Kirche verlieren an Autorität und legen die Antwort auf die Frage, welche Lebensweise die richtige ist, in die Verantwortung des oder der Einzelnen. Oder wie es der Medienphilosoph Norbert Bolz ausdrückt: Sinn wird zunehmend zur Privatsache. Aus Sicht der Sozialwissenschaften lenkt der Begriff Individualisierung die Aufmerksamkeit auf eine ambivalente Grundstimmung in der Gesellschaft. Wenn an Stelle von Stabilität und Kontinuität Wandel, Fluktuation und Flexibilität dominieren, geht die Notwendigkeit der Selbstverantwortung mit einem zunehmenden Unsicherheitsgefühl einher. Das resultiert daraus, dass eine steigende Anzahl an Optionen die Entscheidungsfähigkeit des Individuums im Sinne einer Überforderung negativ beeinflussen kann. Der Mensch kann nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten rational erfassen, bewerten und in das eigene Entscheidungsset einbeziehen. Flexibilisierung ist ein Prozess auf Gesellschaftsebene. Institutionen, Organisationen und auch Personen begegnen damit den sich rasch verändernden Umweltbedingungen und stellen sich auf die komplexer werdenden Bedingungen ein. Der Megatrend Flexibilisierung wirkt in beinahe allen Lebensbereichen und sehr stark in Organisationen. Insbesondere betrifft Flexibilisierung die Aneignung von Wissen und damit auch die Bildung. Dies stellt Hochschulen als Organisationen in zweifacher Hinsicht vor neue Herausforderungen. Einerseits bieten sie Bildung in Form von Studienprogrammen an, an- 117

120 dererseits sind sie auch Arbeitgeber. Hochschulen sind somit gefordert bestmöglich sowohl auf die Trends des Neuen Lernens als auch der neuen flexiblen Arbeitswelt zu reagieren. Flexibilisierung spielt im Bildungs- insbesondere auch Hochschulbereich eine große Rolle. Neues Lernen beinhaltet die Einbindung neuer didaktischer Methoden, das teilweise frei verfügbare Wissen online (wie MOOCs, Youtube-Videos), den Trend zum lebenslangen Lernen und eine studierendenzentrierte Sichtweise. Der Flexibilisierung von beispielsweise ganzen Studienprogrammen sind insbesondere im Fachhochschulbereich durch (gesetzliche) Rahmenbedingungen jedoch auch Grenzen gesetzt. Auf der Ebene der agierenden Personen bedeutet Flexibilisierung insbesondere eine individuellere Ausgestaltung von Lebensbiographien. Die soziale Dimension dieses Megatrends ist sehr stark ausgeprägt, da Flexibilisierung in alle Lebensbereiche wirkt. Die gesamte Lebensplanung, mit den wichtigen Themen der Bildung, Arbeit und Familie kann flexibler gestaltet werden. Dieser übergreifende Trend der Flexibilisierung findet integrale Abbildung in einer Vielzahl von diversen Lebensläufen. Es finden zeitliche Verschiebungen z.b. bei Aus- und Weiterbildung oder auch der Familienplanung statt. In jedem Bereich bieten Organisationen, Institutionen neue Entwicklungen der Umwelt mit flexibleren Strukturen ein mehr an Wahlmöglichkeiten, aus denen sich der/die Einzelne individuell gestaltbare Lebensentwürfe zusammenstellen kann. Flexibilisierung ist als Trend in den Themenfeldern Neues Lernen, New Work, Konnektivität und Mobilität verankert und bildet die hohe Komplexität der sich rasch verändernden Umwelt, in der wir leben, ab. Demographie, auch als Bevölkerungswissenschaft bezeichnet, befasst sich statistisch mit der Entwicklung von Bevölkerungen und deren Strukturen und versucht, Vorhersagen über künftige Veränderungen in diesen zu treffen. Ein demographischer Wandel hat weitreichende und langfristige Auswirkungen auf eine Gesellschaft und durchdringt zahlreiche Lebensbereiche, nicht zuletzt den Bildungssektor. Geburtenverhalten, Migration und Alterung sind in diesem Kontext drei relevante Größen. Veränderungen in der demographischen Zusammensetzung beeinflussen die Studierendenzielgruppen von Hochschulen und sollten daher rechtzeitig antizipiert werden, um aktuelle Bildungsangebote schaffen zu können und konkurrenzfähig zu bleiben. Im Rahmen der Bildungs- und Hochschulpolitik sind neben quantitativen Merkmalen der Demographie (Alter, Geschlecht, etc.) verstärkt auch qualitative Merkmale der Bevölkerung relevant, wie beispielweise Daten bezüglich des höchsten abgeschlossenen Bildungsgrades. Aus solchen Statistiken wiederum ergeben sich Korrelationen zu anderen Größen, was ein typisches Merkmal demographischer Entwicklungsprozesse ist: Einzelne Größen verändern sich häufig als Teil einer umfassenderen Entwicklung, die eine Vielzahl an anderen Daten beeinflusst. Aktuelle statistisch erfassbare Verschiebungen im Bildungsverhalten lassen Prognosen auf das Bildungsverhalten der Zukunft zu und geben dadurch wiederum Aufschluss auf künftig notwendige Angebote im Hochschulsektor. Demographische Veränderungen haben moderate aber kontinuierliche Auswirkungen auf Hochschulebene. Werden demographische Entwicklungen rechtzeitig antizipiert und strategisch mitbedacht selbst, wenn sie im Hochschulsektor teils erst Jahre oder Jahrzehnte später wirklich zu tragen kommen wird ein Marktvorteil geschaffen, da sich verändernde Studierendenbedürfnisse zeitgerecht erfüllt werden können. 118

121 Der Megatrend Demographie wurde auch deshalb gewählt, weil er nahezu alle anderen Megatrends berührt bzw. beeinflusst: Entwicklungen in Bereichen wie Digitalisierung, Flexibilisierung, Individualisierung und Globalen Wandel korrelieren beispielsweise mit demographischen Veränderungen. Der Megatrend Lebensqualitäten stellt die Frage, wie wir in einer sich immer schneller verändernden Welt leben werden. Insbesondere die zunehmende Automatisierung und Technisierung, Fortschritte in der Medizin, Klimamigration und eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich sind wesentliche Triebkräfte im Rahmen dieses Megatrends. In der Präambel zur Verfassung der WHO (Weltgesundheitsorganisation) von 1946 wird beispielsweise Gesundheit als Zustand körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens definiert und diese Definition verweist auf ihre Mehrdimensionalität (Wulf & Wendt, 2006) hin. Es geht also einerseits um Fragen nach gesellschaftlichem Einfluss auf Gesundheit und Krankheit, aber auch darum wie eine Gesellschaft mit Krankheit umgeht. Und vielmehr wird Gesundheit zur Ressource, als ein Mittel, um gegebene Ziele zu erreichen. Für den Hochschulsektor bedeutet dies, dass er Angebote schaffen bzw. erweitern muss, um den zunehmenden gesundheitlichen und psychischen Beeinträchtigungen von Studierenden angemessen begegnen zu können (z.b. durch psychosoziale Beratungsstellen etc.), um eine (flexible) Studierbarkeit gewährleisten zu können. In den Curricula werden Themenfelder wie Gesundheitskompetenz, nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals), CSR (Corporate Social Responsibility), Diversity und Ethik als Teil der akademischen Bildung und globalen Verantwortung immer wichtiger werden. Der Begriffskomplex Globaler Wandel umfasst im weitesten Sinne die Veränderungen, die durch geopolitische, ökologische, wirtschaftliche, wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklungen angestoßen werden und deren weitere Auswirkungen auf das politische und somit auch hochschulische System. Diese Veränderungen werden durch ein langfristig kaum vorherzusehendes Zusammenspiel multipler Variablen ausgelöst. Im Moment ist auch hier eine wesentliche Triebkraft der Veränderung der Megatrend Digitalisierung, Technisierung, Virtualisierung, dessen Auswirkungen sowohl im Rahmen der öffentlichen Verwaltung ( Governanance as a flexible system for maintaining accountability, roles and decision-making), der Steuerung und Kontrolle (z.b. Big Data ) der Gesellschaft, der Nationalökonomien, der demokratischen Teilhabe (z.b. Liquid Democracy und direkte Demokratie) und in den privaten Lebensbereichen der Bürger*innen (z.b. Quantified Self ) bemerkbar sind. Im Rahmen neuer Herangehensweisen an staatliche Aufgaben spielen neben staatlichen Akteuren verstärkt auch Wirtschaftsunternehmen eine Rolle, die teilweise sogar in Konkurrenz zu Nationalstaaten (halb-)staatlich agieren und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen (Public-Private Governance), darunter auch im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Darüber hinaus beeinflussen ökologische Veränderungen, Schwächen im globalen Wirtschaftssystem sowie gesellschaftspolitische Werte-, Generationen- und Verteilungsfragen diesen Megatrend. 119

122 Responsible Education sucht Antworten auf diese Fragen wie eine Gesellschaft Menschen verantwortungsvoll für die zukünftigen Herausforderungen ausbildet und wie Bildung Innovation und Verantwortung befördert. So wird neben formeller Bildung der informelle Erwerb von Wissen immer wichtiger. Digitales Lernen und diverse Mischformen zwischen regional ortsgebundenen und globalen Lehr- und Lernräumen sind transformative Kräfte. (Aus-)bildung und Arbeitsleben werden immer enger verzahnt. 4 HOCHSCHULEN GESTALTEN ZUKÜNFTE Ungenommen ist, dass Hochschulen aufgefordert sind, das Querschnittsthema Digitalisierung zu beforschen, in Studienprogramme zu integrieren, dementsprechende Kompetenzen bei Studierenden und Mitarbeiter*innen aufzubauen und das Know-how dazu mit der Gesellschaft zu teilen. Ausgangspunkt war die Frage, ob der alleinige Fokus auf Digitalisierung Treiber für den Weg der Hochschulen in noch nicht fassbare Zukünfte ist. Digitalisierung alleine ist jedoch bei Weitem nicht genug, um die Komplexität der Zukunft zu erfassen um tragfähige und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Die Identifizierung der Megatrends an der FH Campus Wien macht deutlich, wie kollektive weltweite Transformationen auf den gesamten Hochschulsektor und auf die einzelnen Hochschulen bis hin zu Einzelpersonen einwirken. Ein strategischer Umgang mit Digitalisierung 4.0 in Kombination mit anderen Megatrends ist Basis für die Festlegung einer Hochschulstrategie und eines geeigneten Hochschul-Modells sowie einer damit einhergehenden zukunftsgerichteten Transformation der Bildungsangebote. Die Digitalisierung kann Facilitator für Entrepreneurship, Innovation und Inklusion in Hochschulen sein. Demographische Entwicklungen, globaler Wandel, Flexibilisierung, Individualisierung und Lebensqualitäten spielen aber eine ebenso wichtige Rolle. Gemeinsam und auf die Hochschule bezogen ergibt sich aus dieser umfassenden Betrachtung von zukünftigen, ubiquitären Entwicklungslinien, dass Responsible Education selbst zu einem spezifischen und zentralen Megatrend wird. Wie eingangs erwähnt wird im 21. Jahrhundert die Leitfunktion die Gesundheitswirtschaft einnehmen. Erwiesenermaßen trägt Bildung in hohem Maße zur Gesundheit der Menschen bei. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Personen aus höheren Bildungsgruppen bessere Chancen haben, ein langes und gesundes Leben zu führen (Elena, 2018). In diesem Sinne werden Hochschulen eine maßgebliche Rolle in der Gestaltung der Zukünfte unserer Gesellschaft einnehmen und für den einzelnen Menschen Netzwerke bieten und Identität schaffen. Hochschulen leisten so einen Beitrag zur Gesundheit der einzelnen Menschen und der Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten. Weiters ermöglichen Hochschulen Absolvent*innen den Erwerb von 21 st century skills, mit denen sie die (unbestimmte) zukünftige Arbeitswelt bewältigen können. Hochschulen sind gefordert Resilienz im sozialpsychologischen Sinn zu entwickeln und auch dazu Kompetenzen bei Studierenden aufzubauen. Resilienz wird als menschliche Fähigkeit beschrieben, sich existentiell schwierigen Situationen zu stellen oder sich anpassen zu können und gleichzeitig daraus einen Lernwert zu ziehen. Ein resilientes System kann Irritationen ausgleichen oder ertragen und gleichzeitig die eigene Integrität aufrechterhalten. Dabei spielen die fünf Wirkfaktoren Ruhe, Sicherheit, Selbstwirksamkeit, Verbundenheit und Hoffnung nach Sotzko (2013) eine besondere Rolle. 120

123 Wenn Hochschulen diese Wirkfaktoren als Auftrag annehmen, dann wird dies einen hohen Impact für die Gesellschaft leisten. Hochschulen könnten laut Dittler & Kreidl (2018) in der Zukunft mögliche drei Rollen einnehmen: Zertifizierung von Wissen, Organisation von Wissen und Aufbau von Wissensgemeinschaften. Die Autoren sehen besonders folgende aktuelle Herausforderungen für Hochschulen: Entkoppelung von Lehre / Vermittlung / Prüfung / Zertifizierung Steigende Studierendenzahlen mit begrenzten Ressourcen Veränderte Rolle der Lehrenden Steigende Bedeutung des Virtuellen beim Lernen und Lehren Exzellente Lehre bedeutet nunmehr, das Lernen zu lehren Riel Miller (2019) 11, Pionier für Futures Literacy bei der Unesco, ist der Meinung The future does not exist in the present but anticipation does. The form the future takes in the present is anticipation. Trend- und Zukunftsforschung ist daher die Basis, damit Hochschulen reflektiert, gestalterisch und aktiv ihre eigene Positionierung und gesellschaftlichen Aufgaben einnehmen, Menschen auf ungewisse Zukünfte vorbereiten und Lösungen für Herausforderungen schaffen. Responsible Education führt letztendlich Innovation und Gesundheit zusammen. REFERENZEN Austrian Instutite of Technology [AIT] (2019). abgerufen , 16:32 Brühl, K. (2018). Organisationen der Zukunft: Warum wir mehr Wir-Kultur brauchen, In: Geramanis, O. & Hutmacher, S. (Hrsg) (2018). Identität in der modernen Arbeitswelt. Neue Konzepte für Zugehörigkeit, Zusammenarbeit und Führung. Wiesbaden GmbH: Springer Fachmedien. Burmeister, K. (2007). Aktuelle Trends, Methoden der Trendforschung und die Rolle von Nachhaltigkeitstrends. Verfügbar unter haltigkeit.pdf, abgerufen , 11:51 Conway, J. M., Amel, E. L. & Gerwien, D. P. (2009). Teaching and Learning in the Social Context: A Meta-Analysis of Service Learning's Effects on Academic, Personal, Social, and Citizenship Outcomes. Teaching of Psychology, 36 (4), abgerufen Dittler, U. & Kreidl, C. (Hrsg.) (2017). Hochschule der Zukunft: Beiträge zur zukunftsorientierten Gestaltung von Hochschulen. Wiesbaden: Springer VS. 11 Präsentation von Riel Miller am 3. April 2019 in Wien, Veranstaltung des AIT, Futures Literacy for next Generation R&I Policy 121

124 EAPRIL (2016). Oamk LABs practices for bridging work life 21th century skills and higher education. abgerufen European Commission (2019). EU Science Hub: Foresight and Horizon scanning. Retrieved from Frey, C.B. & Osborne, M.A. (2013). The future of employment: how susceptible are jobs to computerisation? Verfügbar unter Future_of_Employment.pdf, abgerufen , 21:41 German Convention Bureau [GCB] (2013). Tagung und Kongress der Zukunft. Eine Zukunftsstudie. Harari, Y.N. (2017). Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. München: C.H.Beck. HEInnovate (2019). abgerufen , 21:45 Hu, J., Fang, L., Cao, Y., Zeng, H.-J., Li, H., Yang, Q., & Chen, Z. (2008). Enhancing text clustering by leveraging Wikipedia semantics. In: T.-S. Chua, M.-K. Leong, S. H. Myaeng, D. W. Oard, & F. Sebastiani (Eds.), Proceedings of the 31st annual international ACM SIGIR conference on Research and development in information retrieval - SIGIR '08 (p. 179). New York, New York, USA: ACM Press. Huang, A., Milne, D., Frank, E., & Witten, I. H. (2009). Clustering Documents Using a Wikipedia-Based Concept Representation. In: PAKDD 09, Proceedings of the 13th Pacific-Asia Conference on Advances in Knowledge Discovery and Data Mining (pp ). Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag. Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin [IZT] (2016). Innovationsworkshop: Basiswissen zur Trendforschung Input aus der modernen Zukunftsforschung. Präsentation an der FH Campus Wien am ; Kiron Open Higher Education (2018). Bologna Digital. Position Paper. Online verfügbar unter abgerufen Kreibich, R. (2000). Herausforderungen und Aufgaben für die Zukunftsforschung in Europa. In Steinmüller, K., Kreibich, R. & Zöpel, C. (Hrsg.), Zukunftsforschung in Europa (S. 9-35). Baden-Baden: Nomos. Krizanits, J. (2015). Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag. Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (2018). Paris Communiqué. Verfügbar unter abgerufen

125 Miller, R. (2018): Sensing and making-sense of Futures LiteracyTowards a Futures Literacy Framework (FLF). In UNESCO (Ed.) Transforming the future. Anticipating in the 21st century. (pp ). Routledge, New York Miller, R. (2019): Präsentation bei Veranstaltung des AIT: Futures Literacy for next Generation R&I Policy, 03. April 2019, Wien. Petry, Thorsten (2016): Digital Leadership: Erfolgreiches Führen in Zeiten der Digital Economy. Freiburg: Haufe. Popp, R. (2012): Zukunft und Wissenschaft: Wege und Irrwege der Zukunftsforschung, Wiesbaden: Springer VS. Siehe auch: Gibson, E., Daim, T., Garces, E., & Dabic, M. (2018): Technology Foresight: A Bibliometric Analysis to Identify Leading and Emerging Methods. Foresight and STI Governance, 12(1), Republik Österreich. (2019). Fachhochschul-Studiengesetz. FHStG.,vergübar unter , abgerufen am Scharmer, O. (2015). Theorie U. Von der Zukunft herführen. Vierte Auflage. Heidelberg: Carl- Auer-Systeme Verlag. Sotzko, V. (2013). Resilienz Coaching oder von der Kunst, die zweite Geige zu spielen. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag. Universität Wien (2016). Third mission of the University of Vienna. Verfügbar unter abgerufen , 21:43 Vielmetter, G. & Sell, Y. (2014). Leadership The six megatrends you need to understand to lead your company into the future (pp ). New York: Hay Group. Von Bergen, K. (2016). Projekte managen in der VUCA-Welt. Verfügbar unter abgerufen , 21:39 Wiener Wissenswelt. Verfügbar unter abgerufen , 21:45 World Economic Forum [WEF] (2016). What are the 21st-century skills every student needs? Verfügbar unter abgerufen am Wulf, C. & Wendt, C. (2006). Perspektiven der Gesundheitssoziologie. In: Soziologie der Gesundheit. Wiesbaden: Springer VS. 123

126 124

127 Das Modell der entrepreneurial university - Innovation und Leistung am Beispiel der FH Oberösterreich Regina Aichinger 1, Elke Park 1 1 FH Oberösterreich, Franz-Fritsch-Straße 11, 4600 Wels, Österreich, regina.aichinger@fh-ooe.at, elke.welp-park@fh-ooe.at 1 EINLEITUNG Bei dem vorgestellten Projekt handelt es sich um eine als Begleitforschung konzipierte Fallstudie, die einerseits das theoriebasierte Modell der entrepreneurial university beleuchtet und darüber hinaus den Projektverlauf des Audits Higher Education Innovate (HEInnovate) am Beispiel der FH Oberösterreich im Frühjahr-Sommer 2018 analysiert. Im Rahmen dieses Audits wurde ein Online Self-Assessment unter MitarbeiterInnen, Studierenden sowie externen Stakeholdern durchgeführt. Ziel dieses Audits war festzustellen, inwieweit die entrepreneurial agenda, die mit Unternehmertum oder Unterstützung für GründerInnen nur unzureichend übersetzt wäre, an der Einrichtung verankert ist, wo die Stärken und wo allenfalls die Schwächen der Einrichtung liegen. 2 HINTERGRUND UND THEORETISCHER RAHMEN Im Bereich der Hochschulsteuerung wurden um die 1990er Jahre zahlreiche Transformations-prozesse angestoßen, um Innovationen voranzutreiben (vgl. Altrichter 2015; Smidt 2012). Die ursprünglich als Steuerungsobjekte adressierten Hochschulen wurden als Akteure in die Formulierung von Zielen einbezogen sowie zur Selbstorganisation angeleitet: Durch Übertragung bestimmter [ ] Verfügungsrechte zum Treffen von Entscheidungen [ ] (Braun 2001, S. 248) der institutionellen Autonomie sollte Weiterentwicklung gefördert werden. Institutionelle Autonomie wurde als Gestaltungsautonomie vorgesehen, welche den Hochschulen im Innenverhältnis den Freiraum zur Etablierung einer unternehmerisch motivierten Kultur samt korrespondierender Leistungsorientierung eröffnen sollte (vgl. Gibb et al. 2013; Pasternack 2008; Zechlin 2012). Dies erfolgte zum einen im Modus ökonomischer Organisationsausrichtung samt entsprechender Ressourcenallokation (vgl. Clark 2001; Schröder 2004) und zum anderen in Form einer eigenverantwortlichen Strukturierungsverantwortung in aufbau-, ablauf-organisatorischer sowie personeller Hinsicht (vgl. Becker et al. 2012; Nickel 2007; Pellert 1999; 2006). Diese Verantwortungsübertragung wurde um den Preis der Accountability, einem im Außenverhältnis darzustellenden Leistungsversprechen in Belangen der Forschungs- und Lehrproduktivität sowie der damit einhergehenden Transparenz und Qualitätssicherung gewährt (vgl. Campbell/Carayannis 2013; Krücken et al. 2012). Hochschulen haben sohin ihre Aufgaben mit erhöhter Dienstleistungsbereitschaft in Bildung und Forschung sowie durch aktive Unterstützung von Wirtschaft und Gesellschaft zu erfüllen. Mit dem Anspruch Europas, eine Wissensgesellschaft zu entwickeln, wurde weiterhin der Anspruch formuliert, Hochschulen zu handlungsfähigen Akteuren (vgl. Meier 2009) bzw. zu 125

128 Institutionen zu entwickeln (vgl. Schimank 2008), die mittels starker Managementorientierung zu einer vollständigen Organisation (vgl. Kehm 2012; Pellert 1999) mit globalem, nationalem und lokalem Wirkungsbereich (vgl. Marginson/Rhoades 2002; Portnoi 2011) umzugestalten sind. Die im europäischen und internationalen Umfeld festzustellenden Entwicklungen im Bereich der Hochschul-Governance fanden auch in der österreichischen Bildungslandschaft ihren Widerhall. Auf Basis einer durch die OECD durchgeführten Prüfung der Ausbildungsund Studienmöglichkeiten in Österreich sowie der Vorlage einer im internationalen Vergleich angestellten Trendanalyse im Jahre 1991 (vgl. OECD 1991; Pausits 2016) entschied sich die österreichische Bundesregierung zur Einrichtung eines [ ] nicht-universitären Postsekundarbe-reichs [ ] (Brünner/Königsberger 2013, S. 84). Mit der Verabschiedung des Bundesgesetzes über Fachhochschul-Studiengänge, in der Stammfassung BGBl. 390/1993 wurde das [ ] innovative Konzept der Fachhochschule [ ] (Höllinger 2013, S. 45) ins Leben gerufen. In dieser Konstellation gilt es für Österreichs Fachhochschulen, unter anderem auch interne sowie externe Governance-Strukturen und Mechanismen auszubalancieren, zumal sie über sehr unterschiedliche Eigentümer- und Umweltstrukturen sowie Aufbau- und Ablauforganisationen verfügen. Daraus resultieren differente institutionelle Profile mit verschiedenen Prononcierungen von interner wie auch externer Steuerungs- und Regelungskoordination sowie unterschiedlicher strategischer Zielausrichtungen. Allerdings eint die Fachhochschuleinrichtungen, dass sie als ein [ ] enterprise-like tool involved in global economic competition [ ] (Olsen 2007, S. 43) gegründet und etabliert wurden, und hierarchische und kompetenzgeprägte Managementstrukturen eingerichtet haben. In vergleichbarer Argumentation konnotiert Nickel (2011, S. 138) in ihrer Analyse der Entwicklung von deutschen und österreichischen Hochschultypen vor allem (österreichische) Fachhochschul-Einrichtungen mit Unternehmen, die durch Top-Manager gesteuert, auf einem (inter-)nationalen Bildungsmarkt agieren. Im Deutschen wird der Begriff der Entrepreneurship vielfach mit Unternehmertum bezeichnet. Allerdings bezeichnen auch der renommierte Hochschulforscher Allan Gibb und seine Kollegen (2013) Entrepreneurial skills als organisationale Kompetenzen, die mit elf Parametern festgemacht werden können: (1) eine Führungskultur, welche sich durch hohe visionäre Kraft, Innovationsgeist und dem Umgang mit komplexer Interdependenz auszeichnet, (2) Etablierung eines Führungsmodells, welche individuelle Freiheiten und Möglichkeiten des Ausprobierens neuer Ideen ermöglicht, (3) Unterstützung jedweder Formen der internen und externen Vernetzung, (4) vertrauensvolle Aufgabendelegation als Motivationsfaktor für selbstorganisierte und kollaborative Arbeitsumgebungen, (5) Etablierung von Anreizsystemen zum individuellen und kollektiven/organisationalen Lernen, (6) Flexibilität und dynamische Strategieentwicklung, die reinem Anpassungsverhalten entgegenwirken und als Mitgestaltungsmechanismen in der Hochschule verankert werden, (7) Kooperation mit externen Stakeholdern im Hinblick auf die Entwicklung und weitere Ausrichtung von Studien- und Bildungsformaten sowie kooperativer Forschung und Entwicklung, (8) Initiierung holistischer Projektmanagementstrukturen, (9) Ablösung der Null-Fehler-Kultur zu Gunsten einer innovativen Lernumgebung, (10) Entwicklung gemeinsamer und geteilter Werte und handlungsleitender Grundsätze für die Personal- und Organisationsentwicklung, und letztlich (11) Stärkung des unternehmerischen Potenzials von Hochschulen durch Förderung von Start-Ups, Spin-Offs oder auch Innovation-Hubs. Vor diesem Hintergrund wurde ausgehend von einem ExpertInnen-Gremium des University-Business-Forum als gemeinsame Initiative der OECD sowie der Europäischen Kom- 126

129 mission (EK) ein eigenes Audit-Format entwickelt, mit dem Ziel, die europäische Hochschullandschaft im Allgemeinen sowie einzelne Hochschulsektoren im Besonderen hinsichtlich deren Leistungsvermögen im Bereich der entrepreneurial culture and performance zu beleuchten (vgl. HEInnovate Homepage). HEInnovate stellt dazu in acht Dimensionen (leadership & governance, organisational capacity: funding, people & incentives, entrepreneurial teaching & learning, preparing & supporting entrepreneurs, digital transformation & capability, knowledge exchange & collaboration, the internationalised institution, measuring impact) ein Bezugssystem zu den verschiedenen Aspekten der Interaktion der Hochschulsysteme und -institutionen im Sinne der in der Literatur beschriebenen mode 2 bzw. Helix-Modelle [2] dar. Entrepreneurship wird dabei als ein Kompetenzbündel verstanden, das auf Organisationslernen, Adaptivität und Agilität, Innovationskraft, einem managementbasierten Leitungszugang von Hochschulen, dialogbasierter und kooperationsorientierter Interaktion mit Stakeholdern und einer wertschätzenden Kultur fußt. HEInnovate ist nicht als Benchmarking oder Ranking-Instrument konzipiert, es ist seitens OECD und EK vielmehr als Peer- und Expert-Group-Learning-System für Austausch und Dialog vorgesehen. 3 METHODISCHES VORGEHEN HEInnovate stellt zusätzlich zu umfassendem Arbeitsmaterial ein Self Assessment-Tool zur Verfügung. Dieser auf den sieben oben skizzierten Dimensionen basierende Online- Fragebogen ermöglicht es, über eine sog. Gruppenfunktion unterschiedliche Stakeholder - von den Studierenden, über Lehrpersonal, Hochschulleitung, Administration sowie des Weiteren auch Alumni und andere externe Stakeholder - über ihre Einschätzung zum Status der entrepreneurial agenda an der Hochschule zu befragen. Erhoben wird, inwieweit Selbstund Fremdbild mit der jeweiligen Standortbestimmung korrelieren. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieses Self Assessment-Prozesses an der Fachhochschule Oberösterreich vorgestellt und analysiert. Die Erhebung wurde im Frühjahr/Sommer 2018 durchgeführt. An der Befragung nahmen 184 Personen aus allen Bereichen der Institution (Leitung, Lehre, Forschung, Administration, Studierende) sowie externe Stakeholder und ExpertInnen teil, wobei eine genauere Zuordnung über die selbstgewählte Rollenzuordnung hinaus aus Anonymitäts- und Datenschutzgründen nicht möglich war. Die Darstellung beschränkt sich auf eine deskriptive Datenanalyse. Exemplarisch werden Ergebnisse, die aus dem Online-Tool in Form von Spinnen- und Balkendiagrammen generiert werden können, präsentiert. 4 ERGEBNISSE Die Ergebnisse der Online-Befragung bzw. der Nutzung des HEInnovate Online Tools zeigen zunächst eines deutlich: die Gründungsmission von Fachhochschulen als Zentren des Wissenstransfers in die Gesellschaft und als Treiber der regionalen Entwicklung ist angekommen. Der Bereich, in dem die FH Oberösterreich am besten abschneidet bzw. die höchsten Zustimmungswerte erzielt, ist Wissensaustausch und Zusammenarbeit mit externen Stakeholdern. Mit 4,4 von insgesamt 5 Punkten erzielt die FH OÖ hier ein Topergebnis und zwar gleichmäßig stark ausgeprägt unter allen befragten Gruppen (s. Abb. 2). Die Einbettung in die Region sowie der starke Austausch und die enge Kooperation mit Wirtschaft und Industrie, als Gründungsauftrag der Fachhochschule, zählt auch aus Sicht der Organisationsmitglieder sowie der Studierenden zu den dezidierten Stärken der Einrichtung, teils mit Zu- 127

130 stimmungswerten von über 90%. Einen Überblick über die Ergebnisse für die einzelnen Dimensionen gibt Abb. 1. Abbildung 1. FH OÖ - HEInnovate Ergebnisse nach Dimensionen 1 1 Die einzelnen Dimensionen sind 1. Leadership and Governance, 2. Organisational capacity: funding, people & incentives, 3. Entrepreneurial teaching & learning, 4. Preparing & supporting entrepreneurs, 5. Knowledge exchange & collaboration, 6. the internationalised institution und 7. Measuring impact. Im Juni 2018 wurde eine achte Dimension Digital transformation & capability /Digitalisierung hinzugefügt, die allerdings im Rahmen dieses Assessments keine Berücksichtigung mehr finden konnte. 128

131 Abbildung 2. Detailergebnisse nach Gruppen für die Dimension Wissensaustausch und Zusammenarbeit Die enge Zusammenarbeit und Einbeziehung externer Stakeholder wird auch im Fragencluster zur unternehmerischen Lehre (entrepreneurial teaching and learning) nochmals unterstrichen, insbesondere in Bezug auf die Entwicklung der Studiengänge und Lehrpläne: 84% der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die Studienpläne gemeinsam mit externen Interessenvertretern gestaltet und umgesetzt werden ( develops curriculum with external stakeholders ) Generell schneidet die FHOÖ auch in den übrigen HEInnovate-Dimensionen insbesondere bei Fragen zu Wissenstransfer und Third Mission sehr gut ab: Die regionale Verankerung und die Aufgaben, die die FH in der regionalen Entwicklung übernimmt, werden etwa auch in einem Item des Fragenclusters Governance deutlich unterstrichen: 75% der Befragten stimmen zu, dass die Hochschule eine treibende Kraft für Entrepreneurship und Innovation in der regionalen, sozialen und lokalen Entwicklung ist. Überprüft werden konnte über die Gruppenfunktion darüber hinaus auch die Frage, ob die Wahrnehmung der externen Interessensvertreter, die an der Umfrage teilgenommen haben, sich mit jener der MitarbeiterInnen der Organisation deckt. Dies ist nicht durchgängig der Fall: Gerade die externen Stakeholder sehen die Lehr- und Lernangebote, die auf die Entwicklung unternehmerischen Denkens bzw. von Unternehmensgeist abzielen, vergleichsweise weniger positiv (in der Dimension Unternehmerische Lehre / Entrepreneurial Teaching and Learn- 129

132 ing). Auch der Bereich Governance, d.h. Hochschulsteuerung und Management, wird von externen Interessenvertretern durchwegs kritischer beurteilt. In der Dimension Internationalisierung erzielt die FHOÖ wiederum hohe Werte, der Mittelwert liegt bei 4 (von 5 Punkten), und auch hier ist eine relativ gleichmäßige Ausprägung unter allen Gruppen gegeben. Dies korreliert mit den Internationalisierungsbestrebungen der Hochschulleitung und entspricht der Schwerpunktsetzung der FH Oberösterreich auf internationalen Austausch. Auch in diesem Fall scheinen sich also strategische Vorgaben mit der Wahrnehmung der beteiligten Organisationsmitglieder zu decken. Entweder wurde die Strategie gut kommuniziert, oder sie ist tatsächlich in der Wahrnehmung und Lebenspraxis der Mitarbeiter und beteiligten Interessensgruppen angekommen. Interessant ist jedoch auch und vor allem, wo allfällige Schwächen bestehen und somit von Seiten der Befragten Verbesserungsbedarf bzw. Entwicklungspotential gesehen wird. Die Dimension, in der die FH OÖ im Vergleich am schwächsten abschneidet, ist die Vorbereitung und Unterstützung von Gründern ( Preparing and supporting Entrepreneurs ) mit 3,6 von 5 Punkten (s. auch Abb. 3). Diese Fragengruppe zielt auf Angebote für gründungswillige Studierende oder MitarbeiterInnen bei der Umsetzung und Realisierung von Ideen ab, es geht um Trainings- oder Mentoringprogramme bzw. um die Förderung von Gründungsintentionen von MitarbeiterInnen und um konkrete Unterstützungsleistungen - auch finanzieller Art. Insbesondere Fragen der Finanzierung werden kritisch gesehen. Das Item, das in der gesamten Umfrage am wenigsten Zustimmung erfahren hat, war: Die Hochschuleinrichtung unterstützt und erleichtert den Zugang zu Finanzierungsquellen für die eigenen Unternehmer [The HEI facilitates access to financing for its entrepreneurs]. Nur 23% der Befragten stimmen dieser Einschätzung zu (2,7 von 5 Punkten). Auch die Möglichkeiten des Zugangs zu Business- Inkubatoren wird eher kritisch gesehen (3,5 von 5 Punkten). Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass externe Stakeholder diesbezüglich wiederum eine vergleichsweise kritische Position einnehmen. 130

133 Abbildung 3. Detailergebnisse nach Gruppen für die Dimension Preparing and Supporting Entrepreneurs Dass die MitarbeitInnen (zu) wenig unterstützt werden bzw. unzureichende Anreize geschaffen werden, sich unternehmerisch zu verhalten, kommt auch in der Dimension Organisationsvermögen bzw. organisationale Kapazität zum Ausdruck: Weniger als die Hälfte der Befragten stimmt der Aussage zu, dass MitarbeiterInnen für die aktive Unterstützung der unternehmerischen Agenda belohnt bzw. Anreize zu unternehmerischem Verhalten ausreichend vorhanden sind (Incentives and rewards are given to staff who actively support the entrepreneurial agenda : 48% Zustimmung, 3,2 von 5 Punkten). Auch Initiativen der Personalentwicklung in Bezug auf die Förderung von unternehmerischem Denken und Handeln werden vergleichsweise eher wenig wahrgenommen (55%, 3,5 Punkte). Tatsächlich hat die Einrichtung auf diese Resultate bereits reagiert, das Tool somit als qualitätssicherndes Element genutzt. Als eines der Ergebnisse dieser Erhebung wurden von Seiten der Geschäftsleitung Maßnahmen gesetzt, dazu zählt etwa die Einrichtung einer Forschungsprofessur im Transferzentrum in Steyr. Das HEInnovate Tool konnte hier dazu beitragen, allfällige Schwachstellen aufzuzeigen und ermöglichte einen Dialog innerhalb der Organisation: es konnte mitgeteilt werden, wo aus Sicht der MitarbeiterInnen Schwächen, aber auch dezidierte Stärken bestehen und wo weiterer Unterstützungsbedarf gesehen wird. Letztlich eine der schwierigsten und derzeit wohl noch an allen Hochschulen die am wenigsten entwickelte HEInnovate-Dimension ist die der Impact-Messung bzw. Qualitätssicherung und Evaluierung unternehmerischer Maßnahmen und Ziele. In diesem Bereich zeigen sich durchaus größere Unterschiede in der Einschätzung zwischen den Gruppen (größerer Spread). Erwartungsgemäß fällt vor allem die Einschätzung der Beauftragten für Technolo- 131

134 gietransfer, der Hochschulleitung sowie anderer VerwaltungsmitarbeiterInnen am positivsten aus, wohl auch deshalb, weil diese Gruppen direkt mit Folgenabschätzung und Evaluierung befasst sind. Externe Stakeholder und das akademische Personal zeigen sich im Vergleich tendenziell skeptischer. 5 CONCLUSIO Zusammenfassend lässt sich zunächst festhalten, dass HEInnovate prädestiniert dazu ist, die Leistungsstärke österreichischer Fachhochschulen als entrepreneurial universities abzubilden und international zu kommunizieren - die Gründungsmission von FHs als Zentren des Wissenstransfers in die Gesellschaft und als Treiber der regionalen Entwicklung ist dabei zentral und wird äußerst positiv bewertet. Darüber hinaus konnte die FH OÖ den Prozess jedoch auch als qualitätssicherndes Element nutzen. Das Audit stellt dabei auf individuelles Lernen, Team- und Organisationslernen ab, es handelt sich nicht um reguläre Qualitätssicherung. Die HEInnovate-Erhebung konnte dazu beitragen, Entrepreneurship in seinem Facettenreichtum zu thematisieren und auf allen Ebenen der Hochschule Impact-Messung bzw. Qualitätssicherung und Evaluierung in einem neuen Licht zu betrachten. Das Online Tool unterstützt Hochschulen, die Bedarfe der Stakeholder systematisch zu identifizieren, zu bearbeiten und hochschulische Performance darzulegen. Letztlich bietet es eine Möglichkeit zur Profilschärfung und unterstützt Legitimierung durch Stakeholder. Die Ergebnisse haben in die strategischen Überlegungen der Hochschulleitung Eingang gefunden und können als hilfreicher Beitrag zur Organisationsentwicklung betrachtet werden. REFERENZEN Altrichter, H. (2015): Governance - Steuerung und Handlungskoordination bei der Transformation von Bildungssystemen in: Abs, Hermann Josef, et al. (Hrsg.): Governance im Bildungssystem, Wiesbaden, Springer VS Fachmedien, S Becker, F. et al. (2012): Zur Professionalität von Hochschulleitungen im Hochschulmanagement: Organisationstheoretische Erklärungsversuche zu einer Interviewserie in: Wilkesmann, Uwe/Schmid, Christian (Hrsg.): Hochschule als Organisation, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S Braun, D.(2001): Regulierungsmodelle und Machtstrukturen an Universitäten in: Stölting, Erhard/Schimank, Uwe (Hrsg.): Die Krise der Universitäten. Leviathan Sonderheft 20, Wiesbaden, Westdeutscher Verlag, S Brünner, C. & Königsberger, G.(2013): Zur Position der Fachhochschulen im Hochschulsystem in: Berka, Walter, et al. (Hrsg.): 20 Jahre Fachhochschul-Recht, Wien/Graz, NWV - Neuer Wissenschaftlicher Verlag, S Campbell, D. F.J.& Carayannis, E. (2013): Epistemic Governance in Higher Education. Quality Enhancement of Univiersities for Development, New York/Heidelberg/Dordrecht/London, Springer Verlag. 132

135 Clark, B. (2001): The Entrepreneurial University: New Foundations for Collegiality, Autonomy, and Achievement, Journal of the Programme on Institutional Management in Higher Education. Higher Education Management, Jg. 13, Nr. 2, S Gibb, A., et al. (2013): Leading the Entrepreneurial University: Meeting the Entrepreneurial Development Needs of Higher Education Institutions in: Altmann, Andreas/Ebersberger (Hrsg.): Universities in Change. Managing Higher Education Institutions in the Age of Globalization, New York, Springer Science+Business Media, S HEInnovate Homepage: heinnovate.eu/en. Höllinger, S. (2013): Vernunft allein genügt nicht. Die Durchsetzung des innovativen Konzepts der Fachhochschule in: Berka, Walter, et al. (Hrsg.): 20 Jahre Fachhochschul-Recht, Wien, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, S Kehm, B. (2012): Hochschulen als besondere und unvollständige Organisationen? Neue Theorien zur "Organisation Hochschule" in: Wilkesmann, Uwe/Schmid, Christian (Hrsg.): Hochschule als Organisation, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S Krücken, G., et al. (2012): Wissen schafft Management? Konturen der Managerialisierung im Hochschulbereich in: Heinze, Thomas/Krücken, Georg (Hrsg.): Institutionelle Erneuerungsfähigkeit der Forschung, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien, S Leydesdorff, L. (2012): The Triple Helix, Quadruple Helix,, and an N-Tuple of Helices: Explanatory Models for Analyzing the Knowledge-Based Economy?, Journal of Knowledge Economy, Jg. 3, Nr. 1, S [3] Etzkowitz, Henry (2004): The Evolution of the Entrepreneurial University, International Journal of Globalisation and Technology, Jg. 1, Nr. S Marginson, S. & Rhoades, G. (2002): Beyond national States, Markets, and Systems of Higher Education: A glonacal Agency Theory, Higher Education, Jg. 43, Nr. 1, S Meier, F. (2009): Die Universität als Akteur. Zum institutionellen Wandel der Hochschulorganisation, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften Nickel, S. (2011): Governance als institutionelle Aufgabe von Universitäten und Fachhochschulen in: Brüsemeister, Thomas/Heinrich, Martin (Hrsg.): Autonomie und Verantwortung. Governance in Schule und Hochschule, Münster, Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, S OECD (1991): Alternatives to Universities in Higher Education, Paris. 133

136 Olsen, J. P. (2007): The Institutional Dynamics of the European University in: Maassen, Peter/Olsen, Johan P. (Hrsg.): University Dynamics and European Integration, Dordrecht, Springer, S Pasternack, P. (2008): Teilweise neblig, überwiegend bewölkt: Ein Wetterbericht zur deutschen Hochschulsteuerung in: Kehm, Barbara (Hrsg.): Hochschule im Wandel. Die Universität als Forschungsgegenstand, Frankfurt am Main, Campus Verlag, S Pausits, A. (2016): Reforms of the Fachhochschulen in Austria. A Case Study Report on Structural Reforms in Higher Education, Pellert, A. (1999): Die Universität als Organisation. Die Kunst, Experten zu managen, Wien, Böhlau Verlag. Pellert, A. (2006): Die Leitung von Universitäten oder die Herausforderung Hochschulmanagement in: Welte, Heike, et al. (Hrsg.): Management von Universitäten, München/Mering, Rainer Hampp Verlag, S Portnoi, L. (2011): Global Competition in Higher Education: Strategies in a Glonacal Context, World Studies in Education, Jg. 12, Nr. 2, S Schimank, U. (2008): Ökonomisierung der Hochschulen - eine Makro-Meso-Mikro- Perspektive. in: Rehberg, Karl-Siegberg (Hrsg.): Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006, Frankfurt am Main, Campus Verlag, S Schröder, T. (2004): Der Einsatz leistungsorientierter Ressourcensteuerungsverfahren im deutschen Hochschulsystem. Eine empirische Untersuchung ihrer Ausgestaltung und Wirkungsweise, Beiträge zur Hochschulforschung, Jg. 26, Nr. 2, S Smidt, H. (2012): Education as Transformation - Transforming European Higher Education in: Curaj, Adrian, et al. (Hrsg.): European Higher Education at the Crossroads. Between the Bologna Process and National Reforms, Dordrecht, Springer Science + Business Media, S Zechlin, L. (2012): Zwischen Interessensorganisation und Arbeitsorganisation? Wissenschafts-freiheit, Hierarchie und Partizipation in der "unternehmerischen Hochschule" in: Wilkesmann, Uwe/Schmid, Christian (Hrsg.): Hochschule als Organisation, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S

137 Informatikausbildung: QUO VADIS? Impulse von (potentiellen) Informatikstudentinnen zur Erhöhung des Frauenanteils in der Informatik Martina Gaisch 1, Berthold Kerschbaumer 1 1 FH Oberösterreich Campus Hagenberg, Softwarepark 11, 4232 Hagenberg, Österreich, martina.gaisch@fh-hagenberg.at, berthold.kerschbaumer@fh-hagenberg.at 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ Dieser Beitrag geht der Frage nach, welche Erfolgsfaktoren am besten wirken, um mehr Frauen für eine hochschulische Informatikausbildung zu begeistern. Daraus werden Handlungsempfehlungen abgeleitet, die vor dem Hintergrund des demografischen Wandels generell eine hohe Relevanz für Bildungseinrichtungen einnehmen. Im Speziellen sind sie an jene Personen gerichtet, die Informatik-Studiengänge an Hochschulen konzipieren und die Interesse haben, ihren hochschulischen Blick auf nicht-traditionelle Studierendengruppen zu lenken. Die Befragung dient primär dazu, die Perspektive junger Frauen, die ein Informatikstudium beginnen wollen oder bereits eine Informatiklaufbahn eingeschlagen haben, zu erforschen und jene Erfolgsfaktoren zu eruieren, die aus der Sicht der MINT-Interessierten am erfolgversprechendsten scheinen. 2 THEORETISCHER RAHMEN Basierend auf den Erkenntnissen einer MINT-Studie unter Schülerinnen (Gaisch & Rammer, 2018), mit dem Ziel, Hinderungsgründe und Erfolgsfaktoren für Frauen bei der Aufnahme einer Informatiklaufbahn zu eruieren, liegt der Fokus dieser Erhebung darauf, die identifizierten Attraktivierungsmaßnahmen zu priorisieren. Die relevanten Faktoren wurden mittels weiterer empirischen Befunde und Literaturrecherchen verfeinert und in den Fragekatalog mit aufgenommen. 3 METHODISCHES VORGEHEN Am Informationstag der FH OÖ wurde im März 2019 an der Fakultät für Informatik, Kommunikation und Medien in Hagenberg eine standardisierte Befragung unter 200 (potentiellen) Informatik-Studentinnen vorgenommen. Dies wurde mit Hilfe eines Fragebogens mit mehrheitlich geschlossenen Fragen vorgenommen. Insgesamt gab es 27 Fragen mit möglichen Attraktivierungsmaßnahmen, die mit einer fünfstufigen Antwortvorgabe der Likert-Skala zu priorisieren waren. Des Weiteren wurden demografische Daten (Alter, Schultypen, Studienwahl) erhoben und ermittelt, in wie weit der Ruf der Fakultät Hagenberg als IT Hochburg für junge Frauen entscheidend ist und wenn ja, ob dies anspornt, inspiriert oder gar abschreckt. Gleich zu Beginn der Befragung wurden die Probandinnen zu ihren ersten Assoziationen hinsichtlich Erfolgsfaktoren und Frauen in die Informatik befragt. Die offenen Fragen wurden inhaltsanalytisch ausgewertet und in Beziehung mit den quantitativen Ergebnissen gesetzt. 135

138 Um ein repräsentatives Ergebnis bei der Befragung zu erhalten, wurden (potentielle) Studentinnen am Campus Hagenberg nach dem Zufallsprinzip aus der Grundgesamtheit gezogen. 4 ERGEBNISSE Die mit Abstand erfolgversprechendste Maßnahme, um mehr Frauen für die Informatik zu begeistern, liegt in der Möglichkeit Schnupperkurse in dieser Fachrichtung zu absolvieren. Dies wurde von knapp 90% der Befragten als jener Faktor angesehen, der die meisten unentschlossenen Frauen dazu bewegen könnte, ein IT-Studium aufzunehmen. Viele junge Frauen wüssten einfach nicht, ob ihnen das Programmieren zusagt und wünschten sich daher eine Eingangsphase, Sommerkurse oder einfach Studieren Probieren Module, die ihnen die Entscheidungsfindung erleichtern. Auf Platz zwei mit 86% Zustimmung landete die Maßnahme, das Berufs-und Studienfeld Informatik in seiner großen inhaltlichen Breite in die gesellschaftliche Mitte zu bringen, das heißt, die soziale und volkswirtschaftliche Relevanz des Themas Informatik in allen Lebensbereichen bewusst zu machen. Der dritte Erfolgsfaktor (83%) liegt darin, aufzuzeigen, dass Informations-und Kommunikationstechnik (IKT) sehr viel mit Innovation, Kommunikation und Kreativität zu tun hat. Auch über 80% Zustimmung erhielten Themen rund um den Aufbau des Informatik-Studiums. Zum einen wünschen sich die jungen Frauen Orientierungsmodule zu Studienbeginn zur Erleichterung des Einstiegs und um Selbstzweifel abzubauen (81%), zum anderen werden eine gute Betreuung, Supportstrukturen und anwendungsorientierte Lehrinhalte als zentrale Elemente angesehen, wenn es darum geht, den Frauenanteil im Informatikstudium zu erhöhen. Aber auch die Ausbildung in der Sekundarstufe spielt eine wesentliche Rolle. 85% der Frauen sehen Informatikschwerpunkte in der Schule als potentielle Treiber für eine weitere Ausbildung in diesem Bereich. Dies gilt auch für die Aufgeschlossenheit hinsichtlich von externen Informatikangeboten (z.b. Exkursionen nach Hagenberg) oder die Bereitschaft von Lehrer/innen Technik-Studierende als Role Models in die Klassen zu holen. Hohe Relevanz (77%) wurde auch der Weiterbildung von Lehrer/innen hinsichtlich Digitalisierung, Begabtenförderung und Sensibilisierung von Genderkompetenz zugeschrieben. 76% der Befragten sehen in der Sichtbarmachung von Frauen in der Informatik den Schlüssel zum Erfolg. Dies gilt für Role Models und positive Identifikationsfiguren in Gesellschaft, Politik und (Hochschul-)Bildung. Demnach wünschen sich 74% der Befragten, dass Lehrende eine diversity-sensible Didaktik anwenden und Frauen in Wort, Schrift und Bildsprache explizit sichtbar und hörbar zu machen. Besonders weibliche Lehrende würden das enge und männlich dominierte Informatiker-Bild aufbrechen und auch die gesellschaftliche Relevanz von IKT leichter vermitteln lassen. Von 85% der Probandinnen werden reine Frauenstudiengänge der Informatik vehement abgelehnt, so wie sie in Deutschland bereits an fünf Fachhochschulen angeboten werden. 5 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Basierend auf den Ergebnissen der Umfrage werden Handlungsempfehlungen zur Erhöhung des Frauenanteils in der Informatik abgeleitet. Die Reihung erfolgt im Einklang mit der identifizierten Priorisierung der Maßnahmen. Die ersten vier Handlungsempfehlungen erhielten über 80% an Zustimmung mit den Attributen extrem wichtig und sehr wichtig. Handlungsempfehlungen fünf bis zehn erhielten zwischen % Zustimmung. 136

139 Handlungsempfehlung 1: Anbieten von Schnuppermodulen/Sommerkursen für interessierte Frauen vor Beginn des Studiums Um Frauen die Möglichkeit zu bieten, ihr Interesse für die Informatik auszuloten und auch um möglichen Selbstzweifeln entgegenzuwirken, wäre es ratsam, Schnupperkurse/tage anzubieten. Dabei sollen MINT-affine Frauen primär in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Als weiteres Verkaufsargument wird erwünscht, auf die guten Arbeitsmarktperspektiven und Verdienstmöglichkeiten einzugehen. Handlungsempfehlung 2: Gesellschaftliche Relevanz des Studienfelds Informatik aufzeigen und auch curricular abbilden Um die gesellschaftliche Relevanz von Informatik aufzuzeigen und IKT auch als Querschnittsmaterie zu begreifen, bedarf es auch einer curricularen Sichtbarkeit der vielfältigen Berufsfelder. Digitalisierung als gesellschaftspolitisches Schnittstellenthema, das sich durch alle Branchen und Ebenen zieht, soll auch als Lehrsequenz in den Curricula verankert werden. Handlungsempfehlung 3: Orientierungsmodule zu Studienbeginn zur Erleichterung des Einstiegs Um den Einstieg zu erleichtern und mögliche Selbstzweifel abzubauen, empfiehlt es sich Orientierungsmodule zu Studienbeginn anzubieten. Diese sollten von weiteren Supportstrukturen flankiert sein. Handlungsempfehlung 4: Vermehrte und zielgerichtete Zusammenarbeit mit der Sekundarstufe Je mehr Lehrer/innen mit digitalen Kompetenzen ausgestattet werden und Weiterbildungsseminare in IKT und auch Begabtenförderung und Gendersensibilisierungsmaßnahmen erhalten, desto besser funktionieren Schnittstellen hin zur Informatikausbildung. Handlungsempfehlung 5: Schnelles und ermutigendes Leistungsfeedback Frauen wünschen sich von Beginn weg ermutigendes Leistungsfeedback, um potentiellen Selbstzweifeln entgegenzuwirken. Kürzere Lehr-/Lernsequenzen mit anschließenden Feedbackschleifen würden Erfolge besser und schneller sichtbar machen und somit mögliches Dropout aufgrund von Versagensängsten reduzieren. Handlungsempfehlung 6: Aufzeigen, dass Informatik viel mit Innovation, Kreativität und Kommunikation zu tun hat Informatik wird als ein höchst innovativer, kreativer und kommunikativer Tätigkeitsbereich empfunden. Dies sollte sowohl über das Studienmarketing vermittelt als auch über die Studieninhalte abgebildet werden. Zusätzlich werden mehr Soft Skills Angebote gewünscht, um jenseits der fachlichen Qualifikation auch auf persönlicher Ebene auf die komplexen Herausforderungen der Arbeitswelt vorbereitet zu sein. Handlungsempfehlung 7: Sichtbarmachen von Frauen in der Informatik Es bedarf weibliche Role Models und positive Identifikationsfiguren in Gesellschaft, Politik und (Hochschul-)Bildung sowie Lehrende, die eine diversity-sensible Didaktik anwenden und Frauen in Wort, Schrift und Bildsprache explizit sichtbar und hörbar zu machen. Besonders 137

140 weibliche Lehrende würden das enge und männlich dominierte Informatiker-Bild aufbrechen und auch die gesellschaftliche Relevanz von IKT leichter vermitteln lassen. Handlungsempfehlung 8: keine reinen Informatikstudiengänge für Frauen, aber Obwohl die Probandinnen monoedukative Studiengänge massiv ablehnen (85%), kam sehr wohl der Wunsch, dass es nur für Frauen zugeschnittene Führungen beim Tag der offenen Türe geben sollte. Dies würde es erleichtern, brisante Fragen zu stellen, die eventuell als Gesichtsverlust vor den männlichen Teilnehmern empfunden werden könnte. Handlungsempfehlung 9: das internationale Flair von Informatik sichtbar machen Klarer aufzeigen, dass Informatik und Englisch eng miteinander verbunden sind; dies bedingt eine Reihe von Kompetenzen, die über die Fachkultur hinausgehen und für Frauen große Relevanz haben Arbeiten in interkulturellen Teams und mit interdisziplinäre Arbeitsgruppen in internationalen Projekten. Handlungsempfehlung 10: niedrigschwellige Vernetzungsmöglichkeiten für Frauen in der Informatik anbieten Es empfiehlt sich, Möglichkeiten anzubieten, Informatik-Studentinnen und weibliche Alumni schnell und unbürokratisch in Kontakt zu bringen. Das kann über zielgerichtete Fachveranstaltungen oder auch über informelle Treffen passieren. Handlungsempfehlung 11: Fächerkombinationen und Spezialisierungen anbieten Möglichkeiten für interdisziplinäre Querbezüge schaffen; Freifächer anbieten, die über die Fachkultur hinausgehen. Gruppenarbeit und Projekte anbieten, um interdisziplinäre Zusammenarbeit und kritische Reflexionsfähigkeit zu fördern. 138

141 Clark, B. (2001): The Entrepreneurial University: New Foundations for Collegiality, Autonomy, and Achievement, Journal of the Programme on Institutional Management in Higher Education. Higher Education Management, Jg. 13, Nr. 2, S Gibb, A., et al. (2013): Leading the Entrepreneurial University: Meeting the Entrepreneurial Development Needs of Higher Education Institutions in: Altmann, Andreas/Ebersberger (Hrsg.): Universities in Change. Managing Higher Education Institutions in the Age of Globalization, New York, Springer Science+Business Media, S HEInnovate Homepage: heinnovate.eu/en. Höllinger, S. (2013): Vernunft allein genügt nicht. Die Durchsetzung des innovativen Konzepts der Fachhochschule in: Berka, Walter, et al. (Hrsg.): 20 Jahre Fachhochschul-Recht, Wien, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, S Kehm, B. (2012): Hochschulen als besondere und unvollständige Organisationen? Neue Theorien zur "Organisation Hochschule" in: Wilkesmann, Uwe/Schmid, Christian (Hrsg.): Hochschule als Organisation, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S Krücken, G., et al. (2012): Wissen schafft Management? Konturen der Managerialisierung im Hochschulbereich in: Heinze, Thomas/Krücken, Georg (Hrsg.): Institutionelle Erneuerungsfähigkeit der Forschung, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien, S Leydesdorff, L. (2012): The Triple Helix, Quadruple Helix,, and an N-Tuple of Helices: Explanatory Models for Analyzing the Knowledge-Based Economy?, Journal of Knowledge Economy, Jg. 3, Nr. 1, S [3] Etzkowitz, Henry (2004): The Evolution of the Entrepreneurial University, International Journal of Globalisation and Technology, Jg. 1, Nr. S Marginson, S. & Rhoades, G. (2002): Beyond national States, Markets, and Systems of Higher Education: A glonacal Agency Theory, Higher Education, Jg. 43, Nr. 1, S Meier, F. (2009): Die Universität als Akteur. Zum institutionellen Wandel der Hochschulorganisation, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften Nickel, S. (2011): Governance als institutionelle Aufgabe von Universitäten und Fachhochschulen in: Brüsemeister, Thomas/Heinrich, Martin (Hrsg.): Autonomie und Verantwortung. Governance in Schule und Hochschule, Münster, Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, S OECD (1991): Alternatives to Universities in Higher Education, Paris. 139

142 Olsen, J. P. (2007): The Institutional Dynamics of the European University in: Maassen, Peter/Olsen, Johan P. (Hrsg.): University Dynamics and European Integration, Dordrecht, Springer, S Pasternack, P. (2008): Teilweise neblig, überwiegend bewölkt: Ein Wetterbericht zur deutschen Hochschulsteuerung in: Kehm, Barbara (Hrsg.): Hochschule im Wandel. Die Universität als Forschungsgegenstand, Frankfurt am Main, Campus Verlag, S Pausits, A. (2016): Reforms of the Fachhochschulen in Austria. A Case Study Report on Structural Reforms in Higher Education, Pellert, A. (1999): Die Universität als Organisation. Die Kunst, Experten zu managen, Wien, Böhlau Verlag. Pellert, A. (2006): Die Leitung von Universitäten oder die Herausforderung Hochschulmanagement in: Welte, Heike, et al. (Hrsg.): Management von Universitäten, München/Mering, Rainer Hampp Verlag, S Portnoi, L. (2011): Global Competition in Higher Education: Strategies in a Glonacal Context, World Studies in Education, Jg. 12, Nr. 2, S Schimank, U. (2008): Ökonomisierung der Hochschulen - eine Makro-Meso-Mikro- Perspektive. in: Rehberg, Karl-Siegberg (Hrsg.): Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006, Frankfurt am Main, Campus Verlag, S Schröder, T. (2004): Der Einsatz leistungsorientierter Ressourcensteuerungsverfahren im deutschen Hochschulsystem. Eine empirische Untersuchung ihrer Ausgestaltung und Wirkungsweise, Beiträge zur Hochschulforschung, Jg. 26, Nr. 2, S Smidt, H. (2012): Education as Transformation - Transforming European Higher Education in: Curaj, Adrian, et al. (Hrsg.): European Higher Education at the Crossroads. Between the Bologna Process and National Reforms, Dordrecht, Springer Science + Business Media, S Zechlin, L. (2012): Zwischen Interessensorganisation und Arbeitsorganisation? Wissenschafts-freiheit, Hierarchie und Partizipation in der "unternehmerischen Hochschule" in: Wilkesmann, Uwe/Schmid, Christian (Hrsg.): Hochschule als Organisation, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S

143 Diversitätsmanagement und Inklusion im Studienprogramm Lästige Aufgabe oder sinnvolle Praxis? Awareness-Raising und Qualifizierung von Studiengangsleitungen Silke Preymann 1, Elke Park 1 1 FH Oberösterreich, Franz-Fritsch-Straße 11/3, 4600 Wels, Österreich, silke.preymann@fh-ooe.at, elke.welp-park@fh-ooe.at 1 EINLEITUNG Die Erhöhung der sozialen Durchlässigkeit und die Erschließung von nicht-traditionellen Studierendengruppen war und ist strategische Zielsetzung österreichischer FHs (FHStG). Trotz eines durchwegs klaren Bekenntnisses der FH-Leitungen zu Diversitätsmanagement und Inklusion gilt es als herausfordernd, für dieses Thema zu sensibilisieren und inklusive Praktiken in den Studiengängen zu implementieren. Insbesondere sind Studienprogramms- Leitungen (PLs) gefordert, inklusiv und diversitätssensibel zu agieren, um den Studienerfolg einer zunehmend heterogener werdenden Studierendenschaft nachhaltig sicherzustellen (Vilkinas und Cartan, 2015). PLs sind somit eine bedeutende Zielgruppe in Bezug auf die Implementierung diversitätssensibler und inklusiver Praktiken. Obwohl Hochschulen in hohem Maße auf die Erfahrung, Expertise und letztlich der Performance ihrer PLs angewiesen sind, erfahren PLs vergleichsweise geringe institutionelle Unterstützung bei der Ausübung ihrer Tätigkeit und den damit verbundenen Herausforderungen (Joubert und Martins, 2013; Floyd, 2016). Dieser Beitrag greift diese Lücke auf und beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie Qualifizierungsmaßnahmen für PLs im Bereich Diversitätsmanagement und Inklusion (IDM) aufzusetzen sind 2 THEORETISCHER RAHMEN Österreichische FH-Studierende gelten als divers: Die österreichische Studierenden- Sozialerhebung (Zaussinger et al. 2016) zeigt, dass österreichische FH Studierende in stärkerem Ausmaß einer Vollzeit-Berufstätigkeit nachgehen als Studierende an österreichischen Universitäten (21%, 11%). FH-Studierende beginnen häufig später zu studieren (durchschnittliches Alter Erstzulassung: 22,7 Jahre anstatt 21,6 Jahren an Universitäten) und kommen aus bildungsferneren Elternhäusern. Die zunehmende internationale Ausrichtung lässt zudem die kulturelle und sprachliche Diversität an FHs steigen. Studiengangsleitungen haben an vielen Hochschulen eine zentrale Rolle inne. [T]here is no way in which the university s expectations will be realised if HODs [head of departments] as middle managers are unable or unwilling to put them into action (Jones, 2011, p. 281). So liegt es auch in der Verantwortung der Studiengangsleitungen, ihre Programme (mit einer immer heterogener werdenden Studierendenschaft) zu füllen und den erfolgreichen Studien- 141

144 verlauf der Studierenden sicherzustellen. Diversitäts-Management wird somit zu einer immer kritischeren Verantwortlichkeit von Studiengangsleitungen. Obwohl Einigkeit über die Bedeutung des mittleren Managements für die Hochschulen besteht, sind die jeweiligen Rollenspezifikationen sehr unterschiedlich und nur in geringem Maße vergleichbar (Murphy und Curtis, 2013; Whitchurch, 2015). In den meisten Fällen fühlt sich diese (in der Regal aus der Akademia kommende) Personengruppe in hohem Maße der Akademia zugehörig, obgleich sie in der Regel auch operativ-administrative Agenden abwickelt [ blended professionals (Whitchurch, 2015), managerial professionals (Rhoades, 1998)]. Inwieweit eine formale Führungsverantwortung übertragen wird, unterscheidet sich wiederum stark von Hochschule zu Hochschule (Preymann et al., 2019). Aufgrund der geringen Vergleichbarkeit der Rolle von Studiengangsleitungen einerseits und ihrer Sozialisation als wissenschaftliche Expert_innen in einer professionellen Bürokratie (Mintzberg, 1979) andererseits, erweist es sich als herausfordernd, effektive Qualifizierungsangebote für diese Zielgruppe zu schnüren. Besonders traditionelle Schulungsmethoden (wie Seminare) zeigen sich häufig als ungeeignet zur Unterstützung der professionellen und persönlichen Weiterentwicklung des mittleren Managements an Hochschulen (Thorpe und Garside 2017; Floyd, 2016; Murphy und Curtis, 2013; Vilkinas und Cartan, 2015). Zusätzlich zur Vermittlung von facheinschlägigem Know-How braucht es Methoden zur Stärkung der Selbst- Reflexionskompetenz sowie Erfahrungsaustausch mit Kollegen und Kolleginnen. Trainings und Workshops für PLs sollten theoretischen Input mit der Möglichkeit zur Reflexion unter Gleichgestellten anbieten und gleichzeitig die Entwicklung kontextsensibler Praktiken im eigenen Umfeld unterstützen. Reflexive Praxis soll Erfahrungsaustausch zu aktuellen Herausforderungen ermöglichen, macht Lösungswege greifbar und unterstützt so die persönliche und fachliche Weiterentwicklung der PLs (Thorpe und Garside, 2017). Vor diesem Hintergrund war es Ziel eines Erasmus+-geförderten Projektes, Qualifizierungsmaßnahmen für Diversitätsmanagement und Inklusion zu entwickeln. 3 METHODISCHES VORGEHEN Um mehr über die Einstellung von Studiengangsleitungen zu Diversitätsmanagement, über damit verbundene Herausforderungen und Unterstützungspotenziale im Hinblick auf zu entwickelnde Qualifizierungsmaßnahmen herauszufinden, wurde eine quantitative Erhebung an vier europäischen Hochschulen (Österreich, Deutschland, England, Finnland) durchgeführt. Knapp 400 Studiengangsleitungen wurden zur Online-Befragung eingeladen. Parallel dazu wurden Fokusgruppeninterviews an allen vier Hochschulen durchgeführt an denen zwischen vier und neun Studiengangleitungen teilnahmen. Die Ergebnisse beider Erhebungen bildeten die Basis für die Entwicklung der Qualifizierungsmaßnahmen. Darauf aufbauend wurde in einem interdisziplinären Team (bestehend aus Pädagog_innen, Bildungs- und Hochschulforscher_innen, sowie Didaktiker_innen) ein maßgeschneidertes Blended-Learning-Training explizit für Studiengangsleitungen entwickelt. Das Konzept wurde in vier weiteren Fokusgruppendiskussionen von PLs an den vier Hochschulen diskutiert. Änderungsvorschläge wurden in das Trainingsdesign übernommen. 4 ERGEBNISSE Die Bedeutung von Diversitätsmanagement und Inklusion wird an allen befragten Hochschulen durchwegs als hoch eingestuft. Nur 9% der Befragten bezeichnen dieses Thema als Zeitund Ressourcenverschwendung; immerhin 66% können einen klaren Mehrwert für den eige- 142

145 nen Studiengang erkennen. Gleichzeitig wird auf notwendigen Unterstützungsbedarf durch die Hochschule hingewiesen; derzeit fühlt sich nur ein Viertel der Befragten optimal von Seiten der eigenen Hochschule unterstützt. Der Bedarf an zusätzlichen Unterstützungsmaßnahmen ist nach Auswertung der Studie ebenfalls als bedeutsam einzuschätzen. 66% der befragten Studiengangsleitungen würden sich gerne im Bereich Diversitätsmanagement weiterbilden und knapp 40% meinen, dass die Implementierung einschlägiger Maßnahmen schwierig sei. Aus den qualitativen Befragungen ging hervor, dass sich Studiengangsleitungen konkrete Hilfestellungen bzw. Lösungsansätze erwarten. Diese Ergebnisse lassen erkennen, dass Studiengangsleitungen Unterstützungsmaßnahmen im Bereich Diversitätsmanagement und in der damit verbundenen Führungs- und Coaching- Funktion befürworten. Als Ziel des Qualifizierungsangebots stellt sich die Vereinfachung der täglichen Diversitätsarbeit am Studiengang und den damit verbundenen Herausforderungen (z.b. barrierefreie Lehr-/Lernmaterialen bzw. Prüfungsverfahren) dar, um den Studienerfolg einer immer heterogeneren Studierendenschaft nachhaltig abzusichern. Ein Diversitäts-Workshop wird als geeigneter Rahmen erachtet, um für die komplexe Themenstellung zu sensibilisieren (Joubert und Martins, 2013). Das Training umfasst gruppenbildende Elemente (z.b. Diversity Shuttle), die Heterogenität der Gruppe thematisieren, inhaltliche Inputs, Diskussionsformate, die den Austausch mit Kolleg_innen fördern sowie die Ausarbeitung konkreter Action Plans, die die konkrete Umsetzung von diversitätsbezogenen Maßnahmen im Studiengang betreffen. Eine anschließende E-Learning Komponente ermöglicht, das Besprochene weiter zu vertiefen und Lösungsmöglichkeiten für Herausforderungen rund um den gewünschten Verlauf des Ausbildungspfades heterogener Studierendengruppen aufzuzeigen. Die entwickelte Qualifizierungsmaßnahme orientiert sich am Student-Life- Cycle und thematisiert Fragestellungen zu Hochschulzugang (z.b. Outreach, Anerkennung/ Anrechnung, Brückenkurse), die Entwicklung inklusiver, barrierefreier Curricula, inklusive Lehr/Lern- und Prüfungsformate sowie die Coaching- und Mentoring-Funktion von Führungskräften, Mitarbeiter_innen-Motivation und das Management von IDM Change Prozessen. Nach der erstmaligen Durchführung des Workshops haben sich folgende Learnings ergeben: (1) Erfahrungsaustausch über Disziplinen aber auch über Hochschulen und Ländergrenzen hinweg wird durchwegs als bereichernd aber auch als sehr herausfordernd empfunden, weil sich Diskurse und kulturelle Unterschiede sowie Einstellungen und Problemlagen auch sehr unterschiedlich darstellen. (2) Dementsprechend wird dem Austausch mit Kollegen und Kolleginnen aus dem eigenen Haus aber aus anderen Fachbereichen hohe Bedeutung beigemessen. (3) Als wertvoll wurde das gemeinsame Reflektieren angewandter Praktiken wahrgenommen. (4) Neben wichtigen interaktiven Komponenten muss eine theoretische Basis zu Verfügung gestellt werden und neueste Erkenntnisse zur Diskussion gestellt werden. DISCLAIMER The European Commission support for the production of this publication does not constitute an endorsement of the contents which reflects the views only of the authors, and the Commission cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein. 143

146 REFERENZEN Fachhochschul-Studiengesetz FHStG i.d.g.f. Floyd, A. (2016): Supporting Academic Middle Managers in Higher Education. Do We Care? In High Educ Policy 29 (2), pp DOI: /hep Jones, G. (2011). Academic leadership and departmental headship in turbulent times. Tertiary Education and Management, 17(4), Joubert, J.P.R. & Martins, N. (2013): Staff responsiveness to transformation initiatives and diversity at a South African university. In Africa Education Review 10 (1), pp DOI: / Murphy, M. & Curtis, W. (2013): The micro-politics of micro-leadership. Exploring the role of programme leader in English universities. In Journal of Higher Education Policy and Management 35 (1), pp DOI: / X Preymann, S.; Chydenius, T.; Gaisch, M.; Linde, F. & O Hara, M. (2019): Functional diversity of programme leaders in four European countries. In Überwimmer, M. et al. (2019): Cross- Cultural-Business-Conference Proceedings. University of Applied Sciences Upper Austria. Rhoades, G. (1998): Managed Professionals: Unionized Faculty and Restructuring Academic Labor. Albany, AZ: State University Press Thorpe, A. & Garside, D. (2017): (Co)meta-reflection as a method for the professional development of academic middle leaders in higher education. In Management in Education 31 (3), pp DOI: / Vilkinas, T.; Cartan, G. (2015): Navigating the turbulent waters of academia. The leadership role of programme managers. In Tertiary Education and Management 21 (4), pp DOI: / Whitchurch, C. (2015): The Rise of Third Space Professionals: Paradoxes and Dilemmas. In Teichler, U.; Cummings, C. (Hrsg): Recruiting and Managing the Academic Profession. Dordrecht: Springer. Zaussinger, S, et al Studierenden- Sozialerhebung 2015, Bericht zur sozialen Lage der Studierenden, Band 2: Studierende; ( ) 144

147 Interkulturelle Lernkompetenz als Aspekt des Lebenslangen Lernens im Hochschulbereich Petra Wagner 1, Dagmar Strohmeier 1, Petra Gradinger 1 1 FH Oberösterreich Campus Linz, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich, petra.wagner@fh-linz.at, dagmar.strohmeier@fh-linz.at, petra.gradinger@fh-linz.at 1 EINLEITUNG Permanente soziale, technologische und strukturelle Veränderungsprozesse in unserer Gesellschaft verlangen von jedem Einzelnen anhaltende Flexibilität sowie eine adaptive Kompetenzerweiterung sowohl im Alltag als auch im Berufsleben (Spiel, Lüftenegger, Wagner, Schober & Finsterwald, 2011). Dieser damit verbundene kontinuierliche Lernprozess wird auf Ebene der europäischen Bildungspolitik als Prozess des Lebenslangen Lernens (LLL) verstanden. Die Kommission der europäischen Gemeinschaften (2001) definiert LLL als "Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt" (S. 9). Im Zuge der Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu einer "Wissens- und Informationsgesellschaft" wurde LLL zu einem zentralen Thema der europäischen Bildungspolitik. In diesem Kontext kommen Gräsel und Röbken (2010) zu dem Schluss, "dass sowohl Schulen als auch Hochschulen die Aufgabe zukommt, die Motivation und die Fähigkeiten zu lebenslangem Lernen zu unterstützen" (S. 146). Wie kann nun im Speziellen im Hochschulbereich das Interesse, die Bereitschaft und Kompetenz der Studierenden zum LLL beeinflusst und gefördert werden? Als Voraussetzung für die Beantwortung dieser Frage bedarf es zunächst einer Klärung, welche Kompetenzen konkret unter LLL subsumiert werden. Mit Blick auf die bildungswissenschaftliche Literatur werden dazu zahlreiche Schlüsselkompetenzen genannt, von Kompetenzen zur Nutzung von Informationstechnologien über unternehmerische Kompetenzen bis hin zu Lern- und Sozialkompetenzen (siehe dazu zusammenfassend Schober, Finsterwald, Wagner & Spiel, 2009). Von der Europäischen Kommission (2000) werden u.a. folgende Kompetenzen als Voraussetzung für LLL genannt: Sprachkompetenz, soziale Kompetenz, Kulturbewusstsein, kulturelle Ausdrucksfähigkeit und Lernkompetenz. Dieses Kompetenz-Portfolio der Europäischen Union stellt die Ausgangslage dieses Beitrags dar. Basierend darauf wird ein theoretisch fundiertes und empirisch geprüftes Lernmodell zum Erwerb von interkulturellen Kompetenzen im Hochschulbereich vorgestellt. Mit Blick auf die Lernkompetenz werden in der bildungswissenschaftlichen Literatur weitgehend unabhängig von Alter und Bildungskontext die Bildungsmotivation und damit einhergehend die Kompetenz zum selbstregulierten Lernen als wesentlich für LLL erachtet (vgl. Schober et al., 2009; Spiel et al., 2011). Ausgehend davon bilden die Modelle zum selbstregulierten Lernen (z.b. Pintrich, 2003; Zimmerman, 2000a) in Verbindung mit den Modellen zu interkulturelle Kompetenzen (z.b. Bolten, 2006; Erll & Gymnich, 2010) den theoretischen 145

148 Rahmen für das neu entwickelte Lernmodell zum Erwerb von interkulturellen Kompetenzen (PICO-Modell Process Model of Intercultural Competence). 2 LERNMODELL ZUM ERWERB VON INTERKULTURELLEN KOMPETENZEN Das Lernmodell zum Erwerb von interkulturellen Kompetenzen (PICO-Modell Process Model of Intercultural Competence) ist das Ergebnis einer innovativen Kombination aus selbstregulierten Lerntheorien und Theorien zu interkulturellen Kompetenzen. Das Modell basiert auf der Annahme, dass der Erwerb von interkulturellen Kompetenzen einen zyklischen Lernprozess darstellt. Basierend auf dem Modell des selbstregulierten Lernens von Zimmerman (2000a) umfasst der Erwerb von interkulturellen Kompetenzen im PICO-Modell drei Phasen, die Forethought-Phase, die Performance-Phase und die Self-reflection-Phase. In der Forethought-Phase müssen die Lernenden zunächst ihre Ziele festlegen. Ausgehend von den Komponentenmodellen zu interkulturellen Kompetenzen (vgl. Ting-Toomey & Kurogi, 1998) möchten Lernende möglicherweise ihre Kenntnisse, Einstellungen oder Kommunikationsfähigkeiten in einer interkulturellen Situation verbessern. Beispielsweise möchten sie ihr Wissen über ein bestimmtes Land, ihre kulturelle Perspektive oder ihre Kommunikationsfähigkeit verbessern. Wir gehen daher davon aus, dass die in den Komponentenmodellen definierten Kompetenzbereiche aus Sicht der Lernenden potenzielle Lernziele in bestimmten interkulturellen Situationen widerspiegeln. Je konsequenter Lernende bestimmte Ziele in bestimmten interkulturellen Situationen anstreben, desto besser entwickeln sich im Laufe der Zeit ihre interkulturellen Kompetenzen. Darüber hinaus werden Lernende in interkulturellen Situationen einen Lernprozess einleiten, wenn sie glauben, dass sie die Anforderungen meistern und die Dinge zu ihrem Vorteil beeinflussen können, und wenn sie ihren Fortschritt als Beweis für ihren Erfolg verstehen. Das bedeutet, dass die Lernenden idealer Weise über flexible implizite Lerntheorien, eine hohe interkulturelle Selbstwirksamkeit und ein Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten verfügen (vgl. Zimmerman, 2000b). Darüber hinaus sollten sie an interkulturellen Themen interessiert sein, und ihre Lernzielorientierung sollte sich auf ihre persönliche Entwicklung konzentrieren, d.h. ein hohes Interesse geht einher mit einer eindeutigen Zielorientierung in Richtung Kompetenzerweiterung (vgl. Ames, 1990). Während der Performance-Phase stellen sich die Lernenden ihre konkreten Lernschritte vor und instruieren sich selbst bezüglich der Vorgehensweise in der Lernphase. Sie sind sich ihrer (negativen) Gefühle bewusst und können mit ihnen umgehen. Sie zeigen Ausdauer, insbesondere dann, wenn sich die Situation als herausfordernd herausstellt. Die Lernenden beobachten sich selbst, zeichnen ihr Verhalten auf und probieren verschiedene Lernstrategien aus, mit dem Ziel, die effektivste Strategie zu identifizieren. Das PICO-Modell geht davon aus, dass sich die interkulturellen Kompetenzen im Laufe der Zeit in Abhängigkeit von der Häufigkeit und Qualität des Einsatzes der Lernstrategien in interkulturellen Situationen verbessern. Während der Self-reflection-Phase bewerten kompetente Lernende ihre Leistung. Nach dem Handeln in einer interkulturellen Situation ist es hilfreich, wenn die Lernenden ihre erbrachte Leistung mit ihren ursprünglichen Lernzielen vergleichen. Sie werden sowohl bei Erfolgen als auch bei Misserfolgen Konsequenzen für die nächste Lernhandlung ableiten. Im Fall von Misserfolg analysieren sie die Situation, um Aspekte zu identifizieren, die in zukünftigen interkulturellen Situationen verbessert werden können. Ideal wäre ein geringes Gefühl der Hilflosigkeit verbunden mit zahlreichen Ideen für adaptive Reaktionen. Anhand dessen wird 146

149 die Relevanz der Self-reflection-Phase für zukünftiges interkulturelles Lernen verdeutlicht, und gleichzeitig wird evident, dass das PICO-Modell einen zyklischen Lernprozess beschreibt, bei dem jede Reflexionsphase letztendlich zur nächsten Forethought-Phase führt (vgl. Strohmeier, Gradinger, & Wagner, 2017). 3 EMPIRISCHE STUDIE Die hier beschriebene empirische Studie zielt darauf ab, die theoretische Struktur des PICO- Modells zu prüfen. Dabei lag der Fokus im Speziellen auf der ersten Phase im Prozess des selbstregulierten Lernens, der Forethought-Phase. Diese Schwerpunktsetzung leitet sich daraus ab, dass diese Phase notwendig ist, um überhaupt interkulturelle Interaktion zu initiieren und zu planen, und damit die Basis für alle weiteren Lernhandlungen darstellt. Heckhausen (1991) verglich die Forethought-Phase mit "Ceasars Schritt über den Rubikon", d.h. in dieser Phase treffen die Lernenden die Entscheidung, mit der Aktionsphase des Lernens zu beginnen oder nicht. Zur empirischen Prüfung des PICO-Modells wurde ein neues Erhebungsinstrument entwickelt. Alle verwendeten Skalen und Items wurden von Wagner, Gradinger und Strohmeier (2018) veröffentlicht. 4 METHODISCHES VORGEHEN Insgesamt wurden 236 Studierende der FH Oberösterreich befragt, davon 169 Studierende aus dem Bachelorstudium "Soziale Arbeit" und 67 Studierende aus dem Masterstudium "Soziale Arbeit". Insgesamt nahmen 188 Frauen und 48 Männer zwischen 18 und 47 Jahren (MW=26,41; SA=6,19) an der Studie teil. Die Daten wurden mit Hilfe des Statistikprogramms MPlus 7 analysiert. Zunächst erfolgte eine Prüfung der Konstruktvalidität der einzelnen Faktoren des Modells, darauf aufbauend wurde eine Prüfung der Faktorenstruktur des Gesamtmodells vorgenommen, in beiden Analysephasen kamen konfirmatorischen Faktorenanalysen zum Einsatz. Die Prüfung der Qualität der Modelle erfolgte anhand von drei Kriterien: Chi 2 -Test, Comparative Fit Index (CFI; Bentler, 1990) und der "Root Mean Squared Error of Approximation"-Index (RMSEA; Steiger, 1990). 5 ERGEBNISSE Anhand der konfirmatorischen Faktorenanalysen zeigte sich eine zufriedenstellende Konstruktvalidität aller Faktoren des PICO-Modells (CFI's > 0.90). In Übereinstimmung mit dem theoretisch postulierten Modell konnte die Modellstruktur der Forethought Phase als wichtiger Teil des PICO-Modells nachgewiesen werden. Das Modell besteht aus zwei latenten Faktoren und vier manifesten Faktoren und zeigt ausgezeichnete Fit-Indices: Chi 2 (31) = 67.79, p <.01, CFI =.952, RMSEA =.072. Die empirisch nachgewiesene Struktur der Forethought- Phase des PICO-Modells ist Abbildung 1 zu entnehmen. 147

150 Wissen Einstellung Kommunikation Interkulturelle Lernziele.95 Wissen Einstellung Kommunikation Interkulturelle Lernplanung Interkulturelle Selbstwirksamkeit Interkulturelle Erfolgserwartungen Forethought- Phase Interkulturelles intrinsisches Interesse.74 Interkulturelle Lernzielorientierung Abbildung 1. Struktur der Forethought-Phase des PICO-Modells 6 DISKUSSION Um den Lernprozess von Studierenden in interkulturellen Situationen besser zu verstehen, entwickelten wir ein Lernmodell zum Erwerb von interkulturellen Kompetenzen (PICO- Modell). Wenngleich bereits allgemeine Modelle in diesem Bereich existieren (vgl. Spitzberg & Chanon, 2009), konnte noch kein Modell identifiziert werden, das die interkulturelle Kompetenzentwicklung aus der Perspektive des selbstregulierten Lernens konzeptualisierte. Auf Basis des selbstregulierten Lernmodells von Zimmerman (2000a) betrachten wir den interkulturellen Lernprozess als zyklischen Prozess. In der hier beschriebenen Studie wurde mit Blick auf das Phasenmodell der Selbstregulation von Zimmerman (2000a) im Speziellen die erste Phase des selbstregulierten Lernprozesses analysiert (Forethought-Phase). Wir stellten die Hypothese auf, dass ein interkultureller Lernprozess eingeleitet wird, wenn sich die Lernenden interkulturelle Lernziele setzen, ihr interkulturelles Lernen in drei verschiedenen Bereichen planen (Wissensbereich, Einstellungsbereich, Kommunikationsbereich) und wenn sie glauben, dass sie ihre interkulturellen Fähigkeiten verbessern können (positive Erfolgserwartungen). Als weitere Voraussetzung für interkulturelles Handeln definierten wir eine hohe interkulturelle Selbstwirksamkeit, ein hohes interkulturelles Interesse und eine hohe Lernzielorientierung. Um diese Hypothesen zu testen, wurden konfirmatorische Faktorenanalysen durchgeführt, die die theoretische Struktur der Forethought-Phase empirisch bestätigten. 148

151 REFERENZEN Ames, C. (1990). Motivation. What teachers need to know. Teacher College Records, 91, Bentler, P. (1990). Comparative fit indexes in structural models. Psychological Bulletin, 107, Bolten, (2006). Interkultureller Trainingsbedarf aus der Perspektive der Problemerfahrungen entsandter Führungskräfte. In K. Götz (Hrsg.), Interkulturelles Lernen, interkulturelles Training (S ). München: Hampp. Erll, A. & Gymnich, M. (2010). Interkulturelle Kompetenzen Erfolgreich kommunizieren zwischen den Kulturen. Stuttgart: Klett Lerntraining. Europäische Kommission (2000). Memorandum über Lebenslanges Lernen. Brüssel: Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Gräsel, C. & Röbken, H. (2010). Bildungspsychologie des Tertiärbereichs. In C. Spiel, B. Schober, P. Wagner & R. Reimann (Hrsg.), Bildungspsychologie (S ). Göttingen: Hogrefe. Heckhausen, H. (1991). Motivation and action. Berlin: Springer. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001). Mitteilung der Kommission. Einen Europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen. Verfügbar unter: [Zugriff: am ]. Pintrich, P. R. (2003). A motivational science perspective on the role of student motivation in learning and teaching contexts. Journal of Educational Psychology, 95, Schober, B., Finsterwald, M., Wagner, P. & Spiel, C. (2009). Lebenslanges Lernen als Herausforderung der Wissensgesellschaft: Die Schule als Ort der Förderung von Bildungsmotivation und Selbstreguliertem Lernen. In W. Specht (Hrsg.), Nationaler Bildungsbericht Österreich 2009, Band 2: Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen (S ). Graz: Leykam. Spiel, C., Lüftenegger, M., Wagner, P., Schober, B., & Finsterwald, M. (2011). Förderung von Lebenslangem Lernen eine Aufgabe der Schule. In O. Zlatkin-Troitschanskaia (Hrsg.), Stationen Empirischer Bildungsforschung: Traditionslinien und Perspektiven (S ). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 149

152 Spitzberg, B. H., & Changnon, G. (2009). Conceptualizing intercultural competence. In D. Deardorf (Ed.), The sage handbook of intercultural competence (pp.1-52). Thousand Oaks, CA: Sage. Steiger, J. (1990). Structural model evaluation and modification: An interval estimation approach. Multivariate Behavioral Research, 25, Strohmeier, D., Gradinger, P., & Wagner, P. (2017). Intercultural competence development among university students from a self-regulated learning perspective. Journal of Psychology, 225, Ting-Toomey, S., & Kurogi, A. (1998). Facework competence in intercultural conflict: An updated face-negotiation theory. International Journal of Intercultural Relations, 11, Wagner, P., Gradinger, P. & Strohmeier, D. (2018). Process Model of Intercultural Competence: A Self-Regulated Learning Perspective. In A. Isman & A. Eskicumali (Eds.), Proceedings Book Volume 2 International Conference on New Horizons in Education 2018 (S ). Verfügbar unter: [Zugriff: am ]. Zimmerman, B. J. (2000a). Attaining self-regulation. A social cognitive perspective. In M. Boekaerts, P. R. Pintrich, & M. Zeidner (Eds.), Handbook of self-regulation (pp ). London, UK: Academic Press. Zimmerman, B. J. (2000b). Self-efficacy: An essential motive to learn. Contemporary Educational Psychology, 25,

153 Didaktik all inclusive mit Professionals in der Lehre Andrea Telsnig-Ebner 1 1 FH-Studiengang Militärische Führung, Burgplatz 1, 2700 Wiener Neustadt, Österreich, andrea.telsnig-ebner@bmlv.gv.at 1 EINLEITUNG Im gesamten österreichischen tertiären Bildungssektor hat in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel zur Studierendenzentriertheit sowie der Wechsel from teaching to learning begonnen sowie eine Bereicherung der Gestaltung der Lehr-Lernprozesse um gender- und diversitätssensible Aspekte im didaktischen Alltag stattgefunden. Die Herausforderung für das haupt- und nebenberufliche Lehrpersonal der Zukunft besteht darin das individuelle Potenzial ihrer immer diverser werdenden Studierenden durch ein geeignetes pädagogisch- didaktisches Konzept zu fördern. Hochschuldidaktische Konzepte beziehen sich jedoch nicht nur auf die im Unterricht eingesetzten Methoden, sondern beinhalten auch z.b. Fragen nach der Qualität der Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, der Qualifizierung, der Lernumgebung, Förderung oder Prüfungsformate ebenso wie auf infrastrukturelle Rahmenbedingungen und curriculare Vorgaben. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern beispielsweise die impliziten Rollenbilder von Lehrenden, die eingesetzten Unterrichtsmethoden oder auch die curricularen Rahmenbedingungen, um nur einige Aspekte zu nennen, mit dem technologischen und demografischen Wandel dynamisch weiterentwickelt werden können, um eine Professionalisierung der Lehrenden im Bereich der Inklusion erzielen zu können. Inklusion im didaktischen Handeln ist eine Strategie im Umgang mit Diversität und auf der Mikroebene der Gestaltung der Lehr-Lernprozesse durch die Lehrenden eine Antwort zur Erreichung von Gleichstellung, Antidiskriminierung und Chancengleichheit. Inklusion in der Lehre ermöglicht die Implementierung von innovativen Lehr- und Lernformen, beinhaltet einen hohen Anteil an (Selbst-) Reflexion und individueller Förderung. 2 THEORETISCHER RAHMEN Ein theoretisches Modell, welches konstruktivistisch begründet ist und einen inklusiven pädagogischen Ansatz verfolgt, ist das Konzept einer inklusiven Didaktik nach Kersten Reich (2014). Aus dem schulischen Bereich kommend und für diesen anhand von zehn Bausteinen entwickelt, bleibt das Konzept jedoch anschlussfähig für die Lehre an tertiären Bildungseinrichtungen, weil es um eine Gender- und Diversitätsperspektive angereichert und kreativ weiterentwickelt werden kann, um die diversen Akteure und Akteurinnen in Bildungseinrichtungen aktiv in den Lehr-Lernprozess einzubeziehen. Inklusion wird als eine dekonstruierende Praxis verstanden, die Ambivalenzen und Widersprüche in Frage stellt, Differenzen und Individualität bejaht und im Wesentlichen darauf abzielt, das Denken von innen her für das zu öffnen, was dieses seit jeher ausgeschlossen hat, um dem anderen gerecht werden zu können (Zirfas, 2001, S. 50). Eine professionelle Haltung im Bereich der Inklusion kann nur dann entstehen, wenn sie die Formen des Denkens, des Fühlens und Handelns berühren und dauerhaft verändern (Arnold, 2017, S. 101). Im hochschuldidaktischen Bereich kann da- 151

154 bei eine ausgeprägte Reflexionskompetenz seitens der Lehrenden der Schlüssel zum Erfolg sein. Diese Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns ist ein zentrales Element sowohl in der Erwerbs- und Bildungsphase als auch in Tätigkeitsfeldern von Akademikerinnen und Akademikern (Arnold, 2017, S. 97). Um Lehrenden eine Unterstützung bei der nachhaltigen Verankerung dieses Inklusionsgedankens in ihrer Unterrichtsgestaltung anzubieten, wurde durch die Autorin ein Pädagogisch-didaktischer Leitfaden (kurz: PDL) für inklusive Lehre entwickelt, welcher bei der 25-Jahr Konferenz der FH OÖ vorgestellt und mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Hinblick auf ihr eigenes Handeln als haupt- und nebenberuflich Lehrende diskutiert wird. (Telsnig-Ebner, A ) 3 METHODISCHES VORGEHEN Um die Forschungsfrage Inwiefern eignet sich das Konzept einer inklusiven Didaktik nach Kersten Reich 2014 für eine Implementierung am FH-BaStg Militärische Führung? beantworten zu können, wurde im Zeitraum Juni bis November 2017 mit vier Studierenden des vierten Semesters des FH-BaStg Militärische Führung eine Fokusgruppendiskussion und mit fünf haupt- und nebenberuflichen Lehrenden des FH-BaStg Militärische Führung leitfadengestützte Interviews im Einzelsetting durchgeführt. Die Durchführung der Interviews erfolgte anhand eines Leitfadens, welcher sich an fünf ausgewählten Elementen einer inklusiven Didaktik nach Kersten Reich (2014) orientierte. Zur Information zu Beginn der Fokusgruppendiskussion und der Interviews wurde ein Handout erstellt, welches den Studierenden und Lehrenden ausgehändigt und mündlich erklärt wurde. Für die Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse aufgrund der durchgeführten Fokusgruppendiskussion und der Interviews wurde eine deduktive Vorgangsweise gewählt. Eine solche Vorgehensweise ist immer dann ratsam, wenn bereits ein gewisses Maß an Vorkenntnissen vorliegt oder wenn konkrete Aussagen zu vorgegebenen Themenbereichen interessieren und bereits anhand eines strukturierten Leitfadens ein Analyseraster vorliegt. 4 ERGEBNISSE Anhand der durchgeführten Fokusgruppendiskussion und Interviews kann nachvollzogen werden, dass die Anschlussfähigkeit des Modells einer inklusiven Didaktik nach Kersten Reich 2014 für den (fach-) hochschulischen Bereich für Lehrende gegeben und für Studierende des FH-BaStg Militärische Führung erwünscht ist. Die Gestaltung der Lehr- Lernprozesse durch die Lehrenden erfolgt bereits zum Teil mehr oder weniger umfassend anhand einzelner Bausteine einer inklusiven Didaktik. Die Studierenden sehen sich als aktiv Beteiligte ihrer Lernfortschritte und erwarten sich ein erwachsenengerechtes Lernumfeld und Lehrende mit hoher Fachexpertise genauso wie mit einer hohen pädagogisch-didaktischen Kompetenz. Die durch die Autorin ausformulierten Reflexionsfragen (zusammengefasst im Pädagogisch-didaktischen Leitfaden (kurz: PDL) für inklusive Lehre), welche sich an fünf ausgewählten Bausteinen für eine inklusive Lehre orientieren, können Lehrende bei der weiteren Implementierung inklusiver Lehr-Lernformen bei der Planung, Durchführung und Nachbereitung ihrer Lehrtätigkeit unterstützen. Die nachfolgenden fünf Anforderungen für professionelle Hochschullehrende des 21. Jahrhunderts wurden aufgrund der Analyse durchgeführten Fokusgruppendiskussion und Interviews formuliert, welche durch Reflexion des eigenen Handels erreicht werden können und sich an den durch die Autorin entwickelten und dargestellten Reflexionsfragen für eine inklusive Didaktik orientieren: 152

155 Reflexionsfeld 1 Beziehungen und Teams: Hochschullehrende des 21. Jahrhunderts sollten sich vor allem ihrer neuen Vorbild-Rolle als Lernbegleitung der Studierenden und ErmöglicherIn von Lernprozessen bewusst werden sowie eigene implizite Vorstellungen über die idealen AbsolventInnen ihrer Bildungseinrichtung hintanstellen. Dieses Reflexionsfeld bezieht sich auf eine bestimmte Grundhaltung von inklusiv Lehrenden, welche die Bereitschaft haben mit Vielfalt und Individualität konstruktiv umzugehen, partizipative Handlungen zu setzen und kulturoffen sind, indem sie einen respektvollen und toleranten Umgang bei Meinungsvielfalt pflegen. Außerdem sollen sie hohe Erwartungen haben, faire Bedingungen schaffen und die Lernenden im Zentrum der Bemühungen sehen. (Reich. 2014, S. 89f) Reflexionsfeld 2 Qualifizierung: Hochschullehrende des 21. Jahrhunderts sollten sich damit auseinandersetzen, dass Lernen ein aktiver, interaktiver und emotionaler Prozess ist und daher eine Inputorientierung durch reine Wissensvermittlung obsolet geworden ist. Die entwickelten Reflexionsfragen zielen darauf ab, die Kompetenzentwicklung der Lernenden das Verstehen statt einer reinen Wissensreproduktion in den Vordergrund zu stellen. Verstehen ist dabei im Gegensatz zur rein reproduzierenden Nachahmung und Wiedergabe definiert als die Fähigkeit, flexibel mit dem erworbenen Wissen im Denken und Handeln umzugehen (Reich, 2014, S. 147). Daher ist es Hauptaufgabe einer Bildungseinrichtung, dass die Lernenden die richtigen Fragen stellen und Probleme selbst lösen können sowie eigene Handlungen selbst ausprobieren können. Lernen braucht die Anerkennung, den Dialog und die Auseinandersetzung mit anderen und beinhaltet fächerübergreifende, interdisziplinäre und kritische Ansätze. Wichtig sei es für Lernende einen Perspektivenwechsel einnehmen zu können und Reich folgert daraus, dass Lernen ein aktiver Aneignungsprozess ist. Reflexionsfeld 3 Lernumgebung: Hochschullehrende des 21. Jahrhunderts müssen sich im Klaren darüber werden, dass sie im Wesentlichen die Lernumgebung und das Lernklima für die Studierenden gestalten können und sie ihre Methoden zur Gestaltung der Lehr-Lernprozesse durch systematische Schulung erweitern können. Eine inklusive Bildungseinrichtung müsse die Kultur als größere Lernumgebung und ihre unterschiedliche Bedeutung in einer heterogenen Gruppe umfassend reflektieren, wozu auch aktive Mediennutzung und die Ermöglichung kreativen Lernens dazugehöre. (Reich. 2014, S. 195) Die Konstruktivistische Didaktik versuche ein gutes Mischungsverhältnis zwischen Vermittlung (30%) und Aneignung (70%) zu erreichen. Bei der Handlungsorientierung sei jedoch zu beachten, dass die Aufgaben emotional zugänglich, an Vorwissen anschlussfähig sowie durchführbar und sinnvoll sind. Des Weiteren sollten die Ergebnisse übertragbar und wiederholbar sein. Deshalb lassen sich Instruktionen und Konstruktionen in einer inklusiven Didaktik sinnvoll verbinden. (Reich. 2014, S. 207) Reflexionsfeld 4 Förderung: Hochschullehrende des 21. Jahrhunderts sollten erkennen, dass sie die individuellen Entwicklungsschritte der Studierenden bestmöglich unterstützen und daher Fördermaßnahmen nicht nur für leistungsschwächere, sondern auch für besonders interessierte und motivierte Studierende anbieten müssen. Alle Menschen können sich auf dem Weg zu persönlicher Exzellenz stets weiterentwickeln und neue Kenntnisse erwerben. Sie können Wissen vermehren, Verhalten 153

156 verändern, Perspektiven erweitern, neue Lernwege erproben, vielfältige Ergebnisse produzieren und die Welt gestalten. (Reich, S. 255) Markus Hengstschläger bezeichnet Personen, die etwas Wertvolles, im Sinne einer herausragenden Leistung, erreicht haben als highachiever. Er stellt aber fest, dass viel zu oft jemand deshalb nicht zum highachiever wird, weil er oder sie nie die Chance erhalten hat die eigenen Talente in die Tat umzusetzen. (Hengstschläger, 2012, S. 99) Aber welche Talente und Begabungen für die Herausforderungen in der Zukunft erforderlich sein werden, was letztendlich gut oder schlecht ist, entscheidet die Zukunft, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar vor unserer Tür steht, eine Frage in der Hand haltend, von der wir uns nicht haben vorstellen können, dass sie jemals auf uns hätte zukommen können (Hengstschläger. 2012, S ). Reflexionsfeld 5 Beurteilung: Hochschullehrende des 21. Jahrhunderts müssen sich gewahr werden, dass sie durch die Wahl der Leistungsüberprüfung den Lernprozess der Studierenden lenken und damit ergebnisorientierte Problemlösungen anstreben sowie Handlungskompetenz sichtbar machen können. Das Testen und Beurteilen von Lernenden sollte nicht den Zweck haben diese bloß nach Noten einzuteilen, sondern es sollten ihre Lernprozesse und damit ihre persönliche Entwicklung sichtbar gemacht werden. Dazu brauchen aktiv Lernende ihre Freiheiten im Lernen, ihre Eigenzeiten, die nicht im Durchschnitt aufgehen und auch die Möglichkeit Fehler machen zu dürfen, ohne gleich dafür sanktioniert zu werden. Auch sollte eine Kontrolle der Lernfortschritte der Lernenden durchgehend und nicht immer nur nach längeren Lerneinheiten erfolgen. Ebenso ist das unmittelbare Feedback und ein Peer-topeer Feedback essentiell, denn auch die Mitlernenden sollen individuelle Entwicklungen beobachten und mitteilen können. (Reich. 2014, S ) Begleitet werden kann dieses Streben nach persönlicher hochschuldidaktischer Professionalisierung im Bereich der Inklusion durch eine Vielzahl von Maßnahmen, wie z.b. Intervision, Supervision und Coaching. Auch ein shadowing und das teamteaching kann das peergrouplearning der Lehrenden unterstützen. Der informelle Erfahrungsaustausch unter Lehrendenund die Möglichkeit anhand von case studies und best practise anderer zu profitieren, können weitere Hilfestellungen sein (Telsnig-Ebner, 2019). Es konnte durch das durchgeführte Forschungsprojekt aber auch gezeigt werden, dass sich Einschränkungen für inklusive Lehr-Lernformate durch curriculare, institutionelle und strukturelle Aspekte ergeben können. Eine Professionalisierung im Bereich der Inklusion bedeutet also auch einen Veränderungsprozess auf der strukturellen und institutionellen Ebene von tertiären Bildungseinrichtungen einleiten zu müssen, um den normativ gebotenen und gesellschaftlich erforderlichen Umgang mit Diversität im Hochschulsektor gerecht werden zu können. 154

157 REFERENZEN Arnold, R. (2017). 7. Brief. In R. Arnold & J. Erpenbeck, Wissen ist keine Kompetenz. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung. Band 77. (3. Aufl.). (S ). Baltmannsweiler: Schneider. Hengstschläger, M. (2012). Die Durchschnittsfalle. Gene Talente Chancen. Salzburg: Ecowin. Reich, K. (2014). Inklusive Didaktik. Bausteine für eine inklusive Schule. Beltz. Weinheim und Basel. Telsnig-Ebner, A. (2018). Inklusive Didaktik an einer exklusiven Bildungseinrichtung? Eine pädagogisch-didaktische Unterstützung für Lehrende am FH-BaStg Militärische Führung. Akademikerverlag. Telsnig-Ebner, A. (2019). Inklusive Didaktik an einer exklusiven Bildungseinrichtung? Ausgewählte Reflexionsfragen als Beitrag zur Unterstützung der Professionalisierung im Bereich der Inklusion im tertiären Bildungsbereich und identifizierte Widerstandspotenziale. In: Journal für Psychologie, 2/2019. (derzeit im Review-Verfahren) Zirfas, J. (2001). Identitäten und Dekonstruktionen. Pädagogische Überlegungen im Anschluss an Jaques Derrida. In A. Tervooren, J. Hartmann, B. Fritsche & A. Schmidt (Hrsg.), Dekonstruktive Pädagogik. Erziehungswissenschaftliche Debatten unter poststrukturalistischen Perspektiven (S ). Opladen: Leske + Budrich. 155

158 156

159 Seamless Learning: Learning the Chemical Terms with Quizlet Mathew Docherty 1, Michaela Kröppl 1 1 FH Oberösterreich Campus Wels, Stelzhamerstraße 23, 4600 Wels, Österreich, mathew.docherty@fh-wels.at, michaela.kroeppl@fh-wels.at ABSTRACT We live in a world where two-thirds of today s school children will work in jobs that don t yet exist (Fisch & McLeod, 2010) and where more students will be educated over the next thirty years than since the beginning of recorded history (Koulopoulos & Keldsen, 2016). Times are changing and so, therefore, education must rise to meet these challenges. Learners no longer see learning limited to institutes but are used to being able to access the information they require anywhere and anytime, seamlessly. This paper looks into didactical methods and approaches which can be utilized in order to meet these requirements and to engage the first generation of digital natives. It looks at the role of the teacher in an online world, where information is ubiquitous, and teachers must adapt. 1 THEORETICAL BACKGROUND 1.1 Seamless Learning Seamless learning is a term that is currently gaining appreciation in the pedagogical scene, it is an approach that aims to reduce the barriers between the virtual and physical worlds, between the digital and analogue mediums. It enables lifelong learning techniques and blurs the seams between the learning institute and real-world. It engages students by allowing them to study on their own terms; anytime, anywhere (Docherty, 2018). This flexibility has shown a 50% increase in workplace productivity (Koulopoulos & Keldsen, 2016), why should this be any different to learning productivity, after all, active engagement, no matter the situation, produces increased output. The flexibility that the new generations are accustomed to, for example mobile accessibility, must be embraced in education, allowing them to work as they prefer. Research shows that 50% of the connected generation prefer working non-traditional hours and over 60% use mobile devices to manage their lives (Aruba, 2014), with the younger generations spending up to thirteen hours a day on some form of Internet-connected device (Koulopoulos & Keldsen, 2016, p. 52). We, as educators, need to harness this potential to engage our learners on their terms, to bring the possibility to learn to them, not waiting for them to come to us (Docherty, 2018). 1.2 Student Centred Learning Student centred learning (SCL), see Figure. 1, allows the student more scope and responsibility by implementing methods such as task-based learning (TBL), whereby the learners are required to use skills in order to perform tasks and solve problems. Such higher level cognitive activities, according to Bloom et al. (Bloom, Englehard, Furst, Hill, & Krathwohl, 1956), increase learner motivation, engagement and understanding, and therefore ultimately student 157

160 success. According to Lieberman (2012) our brains are wired to explore and master the social world. A human s high brain to body ratio, or encephalization, and the fact that we coexist in large harmonious groups, indicates that the human brain has evolved to be mentally aware of other s behaviours, motives, goals, thoughts, feelings and dispositions, and, unique to humans, to compare them to one s own (Docherty, 2018). In such a setting the teacher s role is transformed from the classical frontal delivery to a pre-lecture preparation and guide role (King, 1993). Figure 1. Teacher-centred versus student centred, collaborative, learning. 2 APPLICATION This paper will explain an easy-to-use and freely available digital tool (Quizlet) to allow students to learn at home and come prepared for the lesson. Additionally, it will explain an extended version with costs which allows teachers to create a live competition game in class. 2.1 Motivation for Quizlet Quizlet can be used on the internet-link or via an app for mobile devices. The access is easy and a variety of quizzes are already online. Additionally, teachers can easily create their own learning sets. For learners, Quizlet offers the possibilities to learn terms (here we will describe technical terms) or similar challenges (for example in combination with pictures) either with flashcards or also to create individualised tests including, for instance, the following question types: multiple choice, true / false or open ended. Students can, therefore, learn terms wherever they are, with only a tablet or, even easier, a smart phone with the Quizlet app. Dormant times, like waiting for public transport, can be transformed into active learning time. These learning possibilities are free for users. As an add-on to the cost-free usage, an upgrade can be obtained for around 30 /year which offers the possibility for live games with competition character. In this way, in the lesson the students can compete between groups, aiming to be the first group by answering all of the questions correct and therefore gaining extra points for the final lecture exam. Especially this part is a nice alternative to the classical teaching time and mobilizes also the students who are normally not so active during the lecture. 158

161 2.2 Preparation Teachers can likewise choose an existing Quizlet learning set or can easily generate their own. In order to create a set the drag-and-drop method from lists created for example in Microsoft word or Microsoft excel can be used. Even pictures can be encourporated (for example for the learning of countries and their capitals as well as for example to visualize chemical formulas and train the naming of them). Students can learn a certain learning set and prepare themselves for class via the classical way with an excel sheet or by using the Quizlet App on their mobile devices. The classical chemical term table can be opened and downloaded on the e-learning platform of the University of Applied Sciences. In this table the chemical terms are listed alphabetically and the etymological meaning with the language source (often Greek or Latin) is given in the adjacent column. Then a reference is given in the next column to possible contrary terms or thematical correlated terms. The subsequent column gives a brief information, meaning or definition of the chemical term and the last column contains an example. Here is an excerpt of the whole chemical terms list for general and inorganic chemistry. Figure 2. Excerpt of the chemical terms list for general and inorganic chemistry. The other possibility for learning and repeating chemical terms that are often heard and discussed in lecture, is to open the Quizlet tool in or in the Quizlet App on the mobile device and then choose the Quizlet learning set (with the search function) with the chemical terms. The Quizlet tool is a practical and captivating way to motivate the students to prepare themselves for the live game and to learn technical terms outside of the classroom, which will be seamlessly integrated into the lecture and allows learners to be better prepared when coming to class. The following figure shows the user interface with an example of a chemical term in the flash card modus. In this example, "Wassererzeuger" ("water generator") is written on the rear of 159

162 the flash card, which was therefore chosen for the chemical element "hydrogen" as it is one of the two components of water. Figure 3.Flash card front side with a chemical term. 2.3 Live Game At a prearranged date, the teacher evaluates the student s learning progress of the technical terms. This is done in class with the Quizlet live game competition. Therefore, the teacher opens the internet page and choses the appointed learning set and clicks the button "live". Then the internet tool offers two possibilities of how to play the game: either giving an explanation and presenting chemical terms as possible answers or the other way around, giving a variety of descriptions for one chemical term. Figure 4. Two possibilities to present the questions. 160

163 Then, Quizlet creates a code for the actual Live game and students can start to sign in with the given number in on their mobile devices. The code (number and QR) is generated new with every time choosing the live game. Figure 5. Quizlet generates a number-code and QR-code. Every registered student is then shown beneath the number code. As soon as all students have registered, Quizlet automatically forms random groups of students, with two to four participants, or teams can be formed personally. Every team gets with random names like cats, dinosaurs, cows,. Now, students sit together with their mobile devices and prepare for the live game. Figure 6. Students during the game. By starting the game, the Quizlet app presents the students, on each mobile device, with different sets of answers (in total twelve), but only one answer is correct. Therefore, no one has access to all possible answers. This makes collaboration crucial to success. 161

164 Figure 7. Mobile devices with different answers on each device. Subsequently, the students have to interact with each other, discuss the possible answers and choose the right one. They have to decide well, because if the answer is wrong, the group s points will fall back to zero and they have to start all-over again. Before the next question is presented, the correct answer to the previous incorrect one is given. In this manner the students learn which answer the correct one is. The progress of the game and the points of the different groups can be seen on the projector, which motivates the groups to solve the questions faster than the other groups. Figure 8. Example of the status bar with the points for each group. After the first game, the students stay in their groups and a second round starts. The game finishes as soon as the same student group wins twice. All participants of the winning group are awarded five additional points to the final exam with 100 points. 3 RESULTS The above-mentioned method was implemented in lectures in basic chemistry with inorganic and organic terms, with around one hundred students in total, and the following observations were made: The students accepted the new approach as a welcome change to standard frontal teaching methods and showed increased motivation during the lecture. The lecture content is now learned in a playful manner, through gamification, which increases competitiveness and concentration during the learning process. During the game, the students worked with a high level of concentration, trying to decide correctly and quickly, which answer would be the right one for the required chemical term. 162

165 Teams participated collaboratively to obtain the extra five points given in addition to the 100 points of the exam. The active student-centred approach increased interaction, reduced inhibitions and enhanced participation. During the competition every group member was essential, no one could be left out. Students were subsequently able to follow the materials better as the technical terms had been anchored in memory. From the teacher s point of view, this method is easy to implement and can be used spontaneously at any time during lectures, it can help motivate students and instantly change the atmosphere of a lecture. So, to conclude, Quizlet is a practical and captivating way to motivate the students to prepare themselves for the live game and to learn technical terms outside of the classroom. As the tool is seamlessly integrated into the lecture, it allows learners to be better prepared when coming to class. Furthermore, students learn how to learn by using memory recall techniques (based on flashcards). They learn initially alone and then in groups in order to consolidate the knowledge. The teacher s role is transformed from the classical frontal delivery to a pre-lecture preparation and guide role to support, motivate and reward during the live game. REFERENCES Aruba. (2014). Are you ready for #GenMobile: How a new group is changing the way we work, live and communicate. Retrieved from Bloom, B. S., Englehard, M. D., Furst, E. J., Hill, W. H., & Krathwohl, D. R. (1956). Taxonomy of Educational Objectives: The Classification of Educational Goals: Handbook I Cognitive Domain. New York, 16, Docherty, M. (2018). Teaching the next generation: Engaging and empowering the learners of tomorrow. INTED, (March), Docherty, M. (2018). Collaborative Learning: The Group is Greater than the Sum of its Parts. Fisch, K., & McLeod, S. (2010). Shift happens. Retrieved January, 1. King, A. (1993). Sage Guide on on the the Side to. College Teaching, 41(1), Koulopoulos, T., & Keldsen, D. (2016). Gen Z Effect: The Six Forces Shaping the Future of Business. Routledge; 1 edition (December 1, 2016). Lieberman, M. D. (2012). Education and the social brain. Trends in Neuroscience and Education, 1(1),

166 164

167 Das Inverted Classroom Modell und der Umgang mit heterogenen Bedürfnissen Gisela Schutti-Pfeil 1, Gerold Wagner 2, Wolfgang Ortner 2 1 FH Oberösterreich, TOP Lehre Zentrum für Hochschuldidaktik und E-Learning, Franz-Fritsch-Straße 11, 4600 Wels, Österreich, gisela.schutti@fh-ooe.at 2 FH Oberösterreich, Logistikum, Campus Steyr, Wehrgrabengasse 1-3, 4400 Steyr, Österreich, gerold.wagner@fh-ooe.at, wolfgang.ortner@fh-ooe.at 1 EINLEITUNG Seit vielen Jahren findet an Hochschulen Blended Learning eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten, deren Konzeption von einer Kombination aus virtuellen und Präsenzphasen geprägt ist (vgl. Reinmann 2005, S.4). Wenn Teile der Instruktion in den außerhochschulischen Lernraum zum Selbststudium ausgelagert werden, mit der Intention, die dadurch frei gewordene Präsenzzeit für anspruchsvollere Tätigkeiten zu verwenden (beispielsweise Diskussion oder gemeinsames Lösen von Aufgaben (vgl. Weidlich & Spannagel 2014, S. 237)), ist dies das Kernelement des Inverted Classroom Models (ICM) bzw. Flipped Classroom Models: Unter Flipped Classroom versteht man also ein Unterrichtskonzept, das das klassische Lernszenario gleichsam auf den Kopf stellt. Studierende eignen sich Inhalte zu einem bestimmten Thema zu Hause, beispielsweise mittels digitaler Medien, an. Die gewonnene Präsenzzeit wird dazu verwendet, die Inhalte zu vertiefen und zu diskutieren, bzw. um Unklarheiten zu beseitigen und Fragen zu stellen. (vgl. Steinkogler. 2014) Einerseits kann dieses Modell die Qualität der Lehre erhöhen, andererseits kann ICM zu einer studierendenzentrierten Methode werden, da die Studierenden für ihren Selbststudienanteil einen Lernraum zum Kompetenzerwerb individuell verwenden, also abhängig von individuellen Vorkenntnissen, Geschwindigkeiten und persönlichen Fähigkeiten. In der aktuellen Fachliteratur ist unbestritten, dass sich ein moderner, kompetenzorientierter Unterricht durch eine Individualisierung der Lernwege auszeichnet und sich heterogenen Lerngruppen adaptiv zuwendet (Helmke 2012, S ). Die Hochschulen treffen heute zunehmend auf Studierende, welche von der Normvorstellung abweichen, unmittelbar nach dem Schulabschluss ihr Studium zu beginnen, und dies auch als Vollzeitstudium zu absolvieren. Heterogenität drückt sich dabei nicht nur - wie oben bereits angeführt - durch unterschiedliche Vorkenntnisse, sondern beispielsweise auch durch stark unterschiedliches Alter, Ethnizität, Familienstand, berufliche Vorerfahrungen, verschiedene religiöse Orientierungen, soziale Herkunft usw. aus. Damit erwarten auch Studierende zunehmend offenere, lebensnahe und lebensbegleitende Lehr- und Lernsettings und viel Flexibilität in der Lehre und in ihren Lernprozessen (vgl. u.a. Egger 2015; Zaussinger et al 2015). Auch Lehrende als Schlüsselpersonen für gelungene Lernprozesse (siehe Hatti 2009) sind in sich eine äußerst heterogene Gruppe. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrem beruflichen 165

168 Hintergrund und damit auch bezüglich bestimmter Traditionen im Fach, sondern auch in ihren persönlichen Lehrkonzepten und Lehrstrategien. Zu Beginn der Laufbahn als Lehrperson an einer Hochschule ist meist die fachliche Expertise hoch ausgebildet, die didaktische Expertise ist hingegen schwach ausgeprägt (Egger 2015). Zur Berücksichtigung heterogener Lehr- und Lernwelten wird an der Fachhochschule OÖ unter anderem das didaktische Konzept des ICM eingesetzt. Im vorliegenden Beitrag wird die Implementierung des ICM an der FH OÖ gesamt, sowie beispielhaft bezüglich zweier Lehrveranstaltungen (LV) über mehrere Jahre hinweg beschrieben. Dabei blieben einige grundlegende Rahmenbedingungen dieser LV über die Jahre hinweg gleich, andere Elemente wurden verändert. Die Ergebnisse der LV im Sinne der Zielerreichung unterschieden sich deutlich, wenngleich dieser Sachverhalt mit üblichen Messgrößen nur bedingt belastbar abgebildet ist. Daher erscheint angemessen, andere Rückmeldungen zum Lernerfolg (z.b. aus der Evaluierung oder aus nachfolgenden Lehrveranstaltungen) ergänzend zu berücksichtigen und daraus Lernerfahrungen für Studierende und Lehrende abzuleiten. 2 HETEROGENITÄT IN DER LEHRE UND ICM AN DER FH OÖ An der FH OÖ wird intensiv an der Weiterentwicklung und dem Ausbau des ICM gearbeitet. Im Rahmen von TOP Lehre - dem Zentrum für Hochschuldidaktik der FH OÖ - wird die Hochschuldidaktik als gesamtheitliches Konzept verstanden, welches Teil der Hochschulentwicklung ist und das Selbstverständnis der lehrbezogenen Hochschule festigt. Hochschuldidaktik an der FH OÖ geht über das Anbieten von Weiterbildungsveranstaltungen für Lehrende weit hinaus. Der Umgang mit heterogenen Bedürfnissen von Lehrenden, aber auch von Studierenden, ist ein zentraler Punkt der täglichen Arbeit. Heterogen sind nicht nur Studierende, wie bereits oben beschrieben, sondern auch Lehrende und Inhalte von Lehrveranstaltungen. Die Heterogenität an der FH OÖ bildet sich einerseits bereits darin ab, dass es vier Fakultäten zu unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen (Fakultät für Informatik, Kommunikation und Medien in Hagenberg, Fakultät für Technik und angewandte Naturwissenschaften in Wels, Fakultät für Management in Steyr und Fakultät für Medizintechnik und angewandte Sozialwissenschaften in Linz) gibt. Damit sind an diesen Fakultäten überwiegend Lehrende mit unterschiedlichem Ausbildungshintergrund tätig. Natürlich sind auch sehr unterschiedliche didaktische Anforderungen an Lehrende gegeben, abhängig davon, inwieweit in Vorlesungs-Settings, Projektgruppen oder zum Beispiel auch Labor-Settings unterrichtet wird. Eine interne Erhebung bezüglich der Anwendungsbereiche zu E-Learning in der Lehre ergab, dass ein überwiegender Teil aller Beispiele zu E-Learning an der FH OÖ an den beiden Fakultäten zu verzeichnen waren, welche bereits jahrelang durch E-Learning-Beauftragte vor Ort unterstützt wurden. Ansprechpartner für die Umsetzung von neuen Lehr- und Lernszenarien zu haben, scheint hier zentrales Element für die Umsetzung von E-Learning Methoden zu sein. Um dieses Ungleichgewicht aufzuheben, wurden Mitte 2017 auch an den anderen beiden Fakultäten E-Learning-Beauftragte engagiert, welche den Lehrenden in didaktischer, wie auch technischer Hinsicht, beim Einsatz von neuen Medien in der Lehre zur Verfügung stehen. Darüber hinaus wurde auch ab März 2017 vom Zentrum für Hochschuldidaktik und E- Learning eine Workshop-Reihe zur Umsetzung von ICM in der Lehre angeboten, welche sehr guten Anklang bei den Lehrenden fand. Diese Workshop-Reihe wurde deshalb ab März

169 nochmals wiederholt. Erfahrungen aus diesen beiden Gruppen werden im Anschluss an die Beschreibung des konkreten Beispiels zusammengefasst. 3 ICM IN EINER KONKRETEN LV - RAHMENBEDINGUNGEN Untersucht wurde hier der Einsatz unterschiedlicher didaktischer Szenarien in einer Lehrveranstaltung des Master-Studiengangs Supply Chain Management, der seit 2007 an der Fakultät für Management der FH Oberösterreich in Steyr angeboten wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Lehrveranstaltungen, die gerade im Fachhochschulbereich einer laufenden Anpassung an das Berufsfeld verpflichtet unterworfen sind, erwies sich das Thema der Lehrveranstaltung die Konversion von Geschäftsmodellen und in der Folge von Unternehmen im Kontext der Digitalisierung der Wirtschaft als vergleichsweise konstant (wenngleich mit zunehmender Bedeutung für Unternehmen und somit für die Berufsfeldorientierung der Studierenden). Für die Untersuchung betrachtet wurden Lehrveranstaltungen ab dem Wintersemester 2012/13, bis einschließlich Wintersemester 2016/17. Die Studierenden des gegenständlichen Masterstudiums zeichnen sich dadurch aus, dass sie (durchaus im Sinne des Bologna-Gedankens) eine heterogene Mischung von Vorstudien repräsentieren: Nur ca. die Hälfte der 60 Studienplätze eines Jahrgangs werden von Bachelorstudierenden aus dem eigenen Haus belegt - die andere Hälfte besteht aus einer abwechslungsreichen Mischung von Studierenden unterschiedlicher Herkunft. Die Zugangsvoraussetzungen lauten 30 ECTS-LP in betriebswirtschaftlichen Fächern, sodass dies ein vergleichsweise breites Spektrum von Vorstudien zulässt. 3.1 Setups dieser Lehrveranstaltungen Unter den angeführten Rahmenbedingungen wurden im Laufe des Beobachtungszeitraums mehrere unterschiedliche Setups der Lehrveranstaltungen eingesetzt. Diese reichten vom klassischen Vortrag des Lehrenden (Setup 1) über das in Seminaren oft anzutreffende Szenario, dass Studierende die Inhalte vorbereiten und vortragen (Setup 2) bis hin zu zwei Setups mit Inverted Classrooms (Setups 3 und 4), die sich durch eine evlolutionäre Weiterentwicklung unterscheiden. In allen diesen Szenarien galt als Aufgabenstellung, anhand von Unternehmensbeispielen die Konversion von konventionellen in Richtung digitaler Geschäftsmodelle auszuarbeiten. Unterschiede lagen neben der Aufbereitung der Inhalte (Lehrendenvortrag Studierendenvortrag selbstständiges Erarbeiten im Inverted Classroom) auch in den Einzelaufgaben, die in manchen Szenarien die Anwendung des Gelernten auf eine persönliche Beispielfirma, in anderen das Durcharbeiten von Selbsttests auf der Lehrmittelplattform (=Learning Management System, LMS) beinhaltete. Die beiden ICM-basierten Setups unterscheiden sich dadurch, dass im neueren Setup einerseits Audio-Dateien ( Podcasts ) die Vermittlung der Inhalte ergänzten, andererseits, zur Sicherung der Vorbereitung auf die nächste Präsenzeinheit, diese mit einem kurzen (Offline-)Multiple-Choice-Test zum zuletzt zu erwerbenden Inhalt begannen. Die nachfolgende Tabelle 1 Übersicht über die Setups beschreibt in zusammengefasster Form die unterschiedlichen Setups. 167

170 Setup 1 klassisch Setup 2 Studierendenvortrag Setup 3 ICM Setup 4 ICM II Inhaltsvermittlung Aufgabenstellung Beurteilungs- Grundlagen 5 Präsenztermine mit kapitelweisem Vortrag durch den Vortragenden Ergänzend: Fallbeispiele Gruppenarbeit: Konzeption Startup oder Konversion eines Unternehmens Gruppenarbeit und Einzelklausur/-prüfung 6 Präsenztermine mit kapitelweisem Vortrag durch Studierenden-Gruppen Ergänzend: Fallbeispiele Gruppenarbeit: Konzeption Startup oder Konversion eines Unternehmens Einzelarbeit: Seminararbeit Präsentationen sowie Gruppenarbeit und Seminararbeit 4 Präsenztermine Vorlaufphase mit Durcharbeiten des Lehrbuchs, Vorstellung einer Beispielfirma auf LMS kapitelweises Durcharbeiten des Lehrbuchs mit Fragestellungen Gruppenarbeit: Konversion eines Unternehmens Einzelarbeit: Durcharbeiten, Einzelfirma Laufende Einzelarbeiten Finale Einzelarbeit Gruppenarbeit 4 Präsenztermine Vorlaufphase mit Durcharbeiten des Lehrbuchs, Vorstellung einer Beispielfirma auf LMS kapitelweises Durcharbeiten des Lehrbuchs und ergänzenden Audiodateien Gruppenarbeit: Konversion eines Unternehmens Einzelarbeit: Durcharbeiten, Selbsttests (ILIAS) Einzelbeurteilung: Mitschrift und Multiple-Choice-Tests Gruppenarbeit Tabelle 1. Überblick über die Setups 3.2 Erfahrungen aus diesen Setups Um den Erfolg der unterschiedlichen Setups zu bewerten, wurde versucht, die Ergebnisse auf mehrere Weisen zu plausibilisieren. Die Erfahrungen aus Sicht der Lehrenden können zunächst verbal beschrieben werden: Setup 1: Dieses war nicht zufriedenstellend, da sich Studierende hier wenig auf den Inhalt einließen. Weiters fiel es Studierenden schwer, das Erlernte mit dem eigenen Erfahrungshintergrund zu verbinden. Setup 2: Hier war der Lernerfolg sehr stark von der Aufbereitung der Inhalte durch die Studierenden abhängig und geprägt durch mangelnde Qualität der Ausarbeitungen durch die Studierenden. Setup 3: Setup 3 war geprägt durch den Einsatz von ICM. Es gelang deutlich besser, die Inhalte zu erlernen und an den eigenen Erfahrungshintergrund anzuschließen. Studierende beklagten den aus ihrer Sicht hohen Arbeitsaufwand. Aufzeichnungen der Studierenden ergaben zirka 60 Arbeitsstunden für die Lehrveranstaltung, was aus der subjektiven Sicht der Studierenden viel sein mag, jedoch sogar unterhalb der durch die Dotierung mit ECTS-LP indizierten Arbeitslast liegt (3 ECTS-LP für die Lehrveranstaltung ergeben bei einer Bewertung von 25 Arbeitsstunden je ECTS-LP 75 Arbeitsstunden, vgl. Europäische Kommission 2015). Setup 4 war eine Weiterentwicklung von Setup 3. Hier wurde eine umfangreiche Einzelarbeit gestrichen, es gab zusätzlich Audio-Dateien und Multiple-Choice-Tests zu Beginn der Präsenzzeiten. Abgeleitet aus den Erfahrungen des LV-Leiters, den Noten und auch den Rückmeldungen der Studierenden sowie anderer Lehrveranstaltungsleiter erzielte dieses Setup die besten Lernergebnisse. 168

171 3.3 Notendurchschnitte Ergänzend zu den bisher beschriebenen Rückmeldungen stellt sich die Frage, ob die nach subjektivem Empfinden besseren Ergebnisse auch im Notendurchschnitt erkennbar sind. Je nach Jahrgang wurden zwischen 49 und 58 Studierende beurteilt. Es sei angemerkt, dass hier wenn überhaupt nur vorsichtige Rückschlüsse auf den Erfolg der unterschiedlichen Setups zu ziehen sind. Unter anderem kann dieser Notendurchschnitt auch dadurch beeinflusst sein, dass in den unterschiedlichen Jahrgängen unterschiedliche Leistungsbestandteile beurteilt wurden (vgl. Tabelle 1). Abbildung 1. Notendurchschnitte 3.4 Evaluierungsergebnisse Für alle Jahrgänge wurden alle Lehrveranstaltungen einer studentischen Evaluierung unterzogen. Diese umfasst einerseits die Erhebung von numerischen Beurteilungen, andererseits auch verbale Rückmeldungen. Die gemittelten Werte sind dabei in nachstehender Abbildung dargestellt. Der kum. Erfolg bezieht sich auf eine Aggregation von Werten zur Bewertung der Lehrveranstaltung, der kum. Leiter hingegen fasst unterschiedliche Kriterien zur Bewertung des Lehrenden zusammen. Auch die hier vorliegenden Zahlen erlauben keine eindeutige Beurteilung des Erfolgs der unterschiedlichen Setups. Auffällig ist jedoch die vergleichsweise schlechte Beurteilung des Setup 2. Abbildung 2. Evaluierungsergebnisse 169

172 3.5 Sonstige Rückmeldungen Aus dem direkten Gespräch mit den Studierenden und den schriftlichen Evaluierungsrückmeldungen ergibt sich, dass das Setup 2 (Studierendenvortrag) als wenig sinnstiftend beurteilt wird. Die IC-Setups hingegen sind für die Studierenden zumeist ungewohnt. Während einzelne Rückmeldungen die Ablehnung dieses Setups ausdrücken, weil stattdessen der übliche Vortrag der Lehrenden gewünscht wird, schätzen andere die Vorzüge der Bearbeitung der zuvor bereits angeeigneten Inhalte in der Präsenzphase, weil diese nun auf fundierterer Basis möglich ist, als bei früheren Setups. Der Arbeitsaufwand wird bei allen Setups mit Ausnahme des Setup 1 (klassisch, Vortrag der Lehrenden) als zu hoch kritisiert, was angesichts der studentischen Zeitaufzeichnungen von ca. 60 Stunden eher darauf hindeutet, dass das Vortragenden-Setup zu wenig Aufwand bedeutet. Die Vorteile des Inverted Classroom werden besonders im Setup 4 hervorgehoben, da durch die zusätzliche Audio-Unterstützung der Vorteil der flexibleren Zeiteinteilung besonders zum Tragen kommt. Die Rückmeldungen von Lehrenden und Studierenden im Kontext der nachfolgenden Veranstaltungen, die auf den Kompetenzen im Kontext der digitalen Geschäftsmodelle aufbauen, deuten ebenfalls auf einen vergleichsweise hohen Erfolg des ICM hin. Es gelingt den Studierenden offensichtlich besser, hier auf das erworbene Wissen aufzubauen. Die Qualität der studentischen Ausarbeitungen ist in den IC-Setups besser als in den anderen. Dies zeigt sich in einer tiefergehenden Ausarbeitung und fundierteren Anwendung des Gelernten. Der hier aufscheinende Vorteil ist vermutlich einerseits in der fundierteren Fachkenntnis, andererseits in der geänderten Zeiteinteilung zu sehen: Da im IC-Setup wesentliche Teile der Ausarbeitungen in der Präsenz entstehen, ist auch gewährleistet, dass tatsächlich angemessener Zeitaufwand von den Studierenden investiert wird. 4 ICM IN DER LEHRVERANSTALTUNG WERTSTROM- UND GESCHÄFTSPROZESSMANAGEMENT Die Lehrveranstaltung Wertstrom- und Geschäftsprozessmanagement ist wie die zuvor beschriebene Lehrveranstaltung Teil des Masterstudiengangs Supply Chain Management und hat damit die gleichen Herausforderungen durch unterschiedliches Vorwissen der Studierenden. Diese Lehrveranstaltung mit 2 SWS findet im 1. Semester statt und wird sowohl im vollzeit- als auch im berufsbegleitenden Studiengang gehalten. Motiviert durch erste positiven Erfahrungen von KollegInnen und unterstützt durch die an der FH OÖ eingerichtete Arbeitsgruppe "Inverted Classroom" wurde im Sommer 2017 die Lehrveranstaltung auf das neue, IC-basierte Konzept umgestellt. Ziel der Umstellung auf Inverted Classroom war es, wesentlich mehr Zeit für die praktische Anwendung der gelernten Methoden in Form von Übungen und Case Studies zu erhalten um die aktive Teilnahme der Studierenden zu erhöhen und damit den nachhaltigen Lernerfolg der Studierenden zu verbessern. Alle Termine waren bereits bisher zu jeweils 5 Einheiten geblockt, wodurch sich eine Dauer je Termin von 4 Stunden ergibt. Drei der sechs Termine und deren Inhalte und somit 50% der LVA wurden auf Inverted Classroom umgestellt. 170

173 Für jeden dieser drei Termine war es das Ziel, den Studierenden zum Selbststudium der Methoden in der Vorbereitungsphase verschiedene Formen und Medien anzubieten. Damit sollte das Lernen möglichst abwechslungsreich gestaltet werden und verschiedene Lerntypen und Präferenzen der Studierenden angesprochen werden. Der größte Teil der Präsenzzeit konnte nun einer Case Study gewidmet werden, wodurch diese komplexer gestaltet und den gesamten Ablauf einer Wertstrom-Optimierung abdecken konnte. Durch die praktische Anwendung der Methoden in Form der Case Studies stieg auch die aktive Beteiligung der Studierenden stark an und der Kompetenzerwerb erscheint nachhaltiger. Klassische LVA Inverted-Classroom-LVA VORBEREITUNGS-PHASE Selbststudium mittels - PPT-Folien vertont - MP3-Files - Videos - Diskussions-Forum - Selbtstest (MC-Test) PRÄSENZ-PHASE Theorie-Input "Wertstromerhebung und -modellierung" Beispiel: IST-Wertstrom Theorie-Input "Ansätze zur Wertstrom- Verbesserung" Beispiel: SOLL-Wertstrom PRÄSENZ-PHASE Wissensüberprüfung Sammeln offener Fragen Case Study "Wertstrom optimieren" - Vom IST-Wertstrom zum SOLL-Wertstrom Reflexion, Erkenntnisse, Zusammenhänge Abbildung 3. Ursprüngliche und neue Verteilung von Vortrags- und Übungszeiten im Vergleich 4.1 Beurteilung des Erfolgs der Umstellung Nach zweimaliger Durchführung der neuen Lehrveranstaltung sollte überprüft werden, ob sich der hohe Aufwand der Umstellung gelohnt hat. Um den Erfolg der Umstellung auf Inverted Classroom bewerten zu können wurden zwei Ansätze gewählt: Ergebnisse der LVA-Evaluierungen Diese sollen zeigen, ob die neue Lehrmethode von den Studierenden akzeptiert wird und ob diese die Vorteile der Methode bestätigen. Ergebnisse der abschließenden Klausuren Diese sollen zeigen, ob der Lernerfolg durch Inverted Classroom verbessert wurde. 171

174 4.2 Ergebnisse der LVA-Evaluierungen Die Kommentare der Studierenden zeigen ein recht positives Ergebnis. Auch die Vorteile durch den Einsatz von Inverted Classroom werden von den Studierenden erkannt. Die Evaluierungsergebnisse sind deutlich besser als in früheren LV-Setups. Nachfolgend einige Auszüge aus den abgegebenen Kommentaren von Studierenden: Der Workload war optimal und Herr Ortner nahm sich Zeit auf Fragen der selbst zu erarbeitenden Foliensätze in den LV einzugehen. Die Übungen, welche in den LV in Gruppen erarbeitet wurden, waren sehr gut auf die Foliensätze abgestimmt und gerade bei Kapiteln wie BC-Rechnung war es sehr hilfreich in der LV genügend Zeit für das Anwenden zu haben. Gute Aufteilung zwischen Frontalvortrag, Übungen und Inverted Classroom. Jedoch gerade jetzt in der Prüfungszeit ist IC doch deutlich aufwändiger / mit hohem Workload verbunden. Aber grundsätzlich ist IC schon effektiver als nur normaler Frontalvortrag. Vor allem durch die vertonten Folien fällt es deutlich leichter (im Vorhinein alleine) den neuen Stoff zu lernen. Die Idee des Inverted Classrooms war eine echt gute Erfahrung und kann gerne wieder eingesetzt werden. Allerdings würde ich darauf achten, ob zeitgleich Ausarbeitungen, MC-Tests und auch Prüfungen anstehen, denn das wurde teilweise durchaus stressig. Sehr freundlicher Professor, der sichtlich Spaß an seiner Arbeit hat und dies in der Lehrveranstaltung auch vermittelt. Fragen werden jederzeit verständlich beantwortet. 4.3 Ergebnisse der abschließenden Klausuren Um eine Auswirkung auf den Lernerfolg der Studierenden festzustellen wurden die Ergebnisse der abschließenden Klausuren betrachtet. Der zeitliche Vergleich der Klausuren der umgestellten Lehrveranstaltung Wertstrom- und Geschäftsprozess-Management im 2. Semester des Master-Studiengang SCM (berufsbegleitend) der letzten drei Jahre zeigt seit der Umstellung auf Inverted Classroom eine spürbare Verbesserung der Noten. Abbildung 4. Klausurergebnisse bei WS u. GPM im zeitlichen Verlauf 172

175 Weiters wurden die Klausurergebnisse folgender zwei Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2018/19 verglichen: A) Die LVA Prozessmanagement 2 : Im 4. Sem. des Bachelor-Studiengangs ILM - Internationales Logistikmanagement. Wird klassisch, ohne Inverted Classroom abgewickelt. B) Die LVA Wertstrom- und Geschäftsprozess-Management Im 2.Sem. des Masterstudiengangs SCM - Supply Chain Management Hier werden wesentliche Teile mittels Inverted Classroom gelehrt siehe oben. Durch eine entsprechende Terminplanung konnten die Klausuren beider LVAs (A und B) und beider Formen (Vollzeit und berufsbegleitend) zeitgleich abgehalten werden. Durch die gemeinsame Abhaltung und die Auswahl der Fragen aus den gemeinsamen Kapiteln konnten die exakt gleichen Klausurfragen gestellt werden, wodurch dieser Vergleich erst sinnvoll möglich wurde. Dabei zeigte sich folgendes Bild der Notenverteilung: ILM (Bach.), 4.Sem., vollzeit ohne Inverted Classroom SCM (Master), 2.Sem., vollzeit mit Inverted Classroom Abbildung 5. Klausurergebnisse ohne und mit Inverted Classroom bei vollzeit ILM (Bach.), 4.Sem., berufsbegleitend ohne Inverted Classroom SCM (Master), 2.Sem., berufsbegleitend mit Inverted Classroom Abbildung 6. Klausurergebnisse ohne und mit Inverted Classroom bei berufsbegleitend 173

176 Abbildungen 5 und 6 zeigen klar, dass sowohl bei den Vollzeit-Studierenden als auch bei den berufsbegleitend Studierenden bei den LVAs bei denen Inverted Classroom eingesetzt wurde die abschließenden Klausuren ein wesentlich besseres Ergebnis lieferten. 5 ERFAHRUNGEN UND RÜCKMELDUNGEN ZU ICM AUS DER FH OÖ ALLGEMEIN Diese Ergebnisse aus den beschriebenen Lehrveranstaltungen sollen hier noch verglichen werden mit weiteren Ergebnissen aus zwei Gruppen Lehrender, welche sich von März 2017 bis Jänner 2018 und März 2018 bis Jänner 2019 mit der Umsetzung von ICM in der eigenen Lehre beschäftigten. Folgende Aspekte konnten für die Vorbereitung von Lehrveranstaltungen zu ICM abgeleitet werden: Man muss sich einfach mit der Technik auseinandersetzen. Diese Aussage von Lehrenden zeigt, dass die technische Umsetzung zu Beginn ein zentraler Stolperstein auf dem Weg zu ICM sein kann. Insbesondere wurden in diesem Zusammenhang auch immer wieder die zeitlichen Möglichkeiten angeführt, welche Lehrende für die Vorbereitung von Lehrveranstaltungen zur Verfügung haben. ICM kann in der Vorbereitung sehr viel Arbeit bedeuten. Es hilft, sich Schritt für Schritt manches vorzunehmen und zu Beginn nur einzelne Teile einer Lehrveranstaltung zu verändern ( umzudrehen ). ICM eignet sich nicht für alle LVs dort, wo Inhalte auch stark variieren bezüglich der Bedürfnisse der Studierenden, ist ICM nicht hilfreich (Beispiel sehr flexibel gestalteter Brückenkurs). Die gewählte Methode zur Umsetzung von ICM (ob Video, Audio oder anders ) muss mir selbst als Lehrperson Spaß machen, es muss zu mir als Lehrende/r passen. Ein für die LV-Leitung gut bekanntes Thema mit bereits sehr guten Foliensätzen und gutem Skript erleichtert die Umsetzung Bezüglich der Durchführung von Lehrveranstaltungen wurden folgende Erfahrungen berichtet: Gute Einführung von ICM einerseits für Lehrende durch TOP Lehre (Zentrum für Hochschuldidaktik und E-Learning) aber auch für Studierende in der LV als Leitung der LV ist sehr wichtig und hilfreich. Dies beeinflusst den weiteren Verlauf der LV sehr stark. Eine Roadmap zum Ablauf der Lehrveranstaltung scheint unerlässlich. Leichter Druck gegenüber Studierenden ist hilfreich (dies ist wiederum durch regelmäßige Präsenzzeiten leichter umzusetzen) Audio- bzw. Videomaterial ist für Studierende oft ansprechender, wenn es nicht perfekt ist und der/die Lehrveranstaltungsleitung damit als Person wahrgenommen werden kann. Studierende berichten positiv über die zusätzliche Flexibilität im Lernprozess durch ICM. Die relativ freie Zeiteinteilung zur Vorbereitung von Inhalten wird hier sehr positiv aufgenommen, sowie auch die individuelle Gestaltung der Vorbereitung, je nach Vorwissen der Studierenden. Die Lehrveranstaltungen wurden durch ICM durchwegs interaktiver. Die Lehrenden beschreiben durchwegs mehr Spaß an der Lehre durch ICM, da der Austausch mit Studierenden in den Präsenzzeiten intensiviert wird. Dies mag sich 174

177 auch in höherer Qualität der erbrachten Leistung zeigen, wie in dem konkreten LV Beispiel oben beschrieben. Für Studierende scheint es hilfreich zu sein, auch Zeitangaben für die Vorbereitung anzugeben ( Ihr werdet dafür etwa 45 Minuten benötigen ) Fragen für die Vorbereitung für Studierende sind sehr hilfreich (so wie beispielsweise auch im oben genannten Beispiel die zur Verfügung gestellten Multiple-Choice-Test in Setup 4). Allgemein formulierte Erkenntnisse lassen sich noch folgendermaßen zusammenfassen: Die Haltung des Lehrenden beeinflusst die Ergebnisse der Studierenden (wenn die LV-Leitung nicht erwartet, dass die Studierenden auch vorbereitet in die LV kommen, so werden viele tatsächlich nicht vorbereitet kommen, da dadurch auch die Kommunikation von Seiten der LV-Leitung beeinflusst wird.) Regelmäßige Präsenzzeiten - wie in einem Vollzeit-Studiengang üblich - helfen, Dinge abzufangen, wenn in der Vorbereitung etwas für die Studierenden schwierig wird. Viele einzelne Blockveranstaltungen zu fünf oder mehr Einheiten erschweren dies. Als LV-Leitung darf man nicht glauben, dass aufgrund des Einsatzes von ICM Studierende motivierter sind. Es kann durch die Verwendung von ICM gut gelingen, manche Themen aus der Präsenzzeit auszulagern. ICM stört Studierende beim Konsumieren von Inhalten. Dies deckt sich auch mit Erfahrungen zu oben genanntem Beispiel, siehe Rückmeldungen eine klare Kommunikation darüber, warum man als LV-Leitung dieses didaktische Konzept gewählt hat und wie die Lehrveranstaltung ablaufen wird, ist unerlässlich für den weiteren Erfolg. Als schwierig wird weiters erlebt, dass sich Studierende im active classroom in der Präsenzphase teilweise nicht als ExpertInnen wahrnehmen und die LV-Leitung gerne weiterhin in der wissensvermittelnden Rolle sehen. Dies deutet darauf hin, dass ICM tatsächlich als kulturverändernde Maßnahme im Lernprozess bezeichnet werden kann. Gleichzeitig zeigte sich, dass durch kompakte Unterstützungsmaßnahmen zu verschiedenen Themen, wie Videogestaltung oder Erstellung von Podcasts, oder auch zur Gestaltung der Präsenzphasen und Umgang mit Widerstand seitens der Studierenden - bei der Einführung von ICM - ein wichtiger Schritt zu einer neuen Form der Lehre durch ICM beigetragen wurde. 6 FAZIT UND AUSBLICK Wie am Beispiel der im Detail beschriebenen Lehrveranstaltungen ersichtlich, konnten aus - Sicht der Lehrenden und der Studierenden - die auf dem ICM aufbauenden Setups der Lehrveranstaltungen, im Vergleich zu den ebenfalls verwendeten anderen Setups, Vorteile erzielen. Während die Lehrenden die Tiefe und (aus Sicht der nachfolgenden Lehrveranstaltung erkennbaren) Nachhaltigkeit des Kompetenzerwerbs positiv hervorheben, schätzen Studierende neben der Tiefe, vor allem auch die größere zeitliche Flexibilität. Auch wenn eine eindeutige Messung des Erfolgs der Setups, die auf dem ICM aufbauen, bisher im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erfolgt ist, gibt es Indizien, die auf die Vorteile des ICM im hier gezeigten Kontext hinweisen. Daraus eine allgemeine Vorteilhaftigkeit des ICM gegenüber anderen Konzepten abzuleiten, wäre freilich nicht angemessen. Um valide Ergebnisse vorzule- 175

178 gen, wird es sinnvoll sein, zukünftig methodisch geeignete Beobachtungen und Messungen vorzunehmen. REFERENZEN Egger, R. (2015). Die heterogenen Lernwelten der Universität und ihre Konsequenzen für die Lehre. In Forschungsgeleitete Lehre in einem Massenstudium (pp19-36), Springer Verlag. Europäische Kommission (2015) ECTS Leitfaden, online: abgerufen am Hattie, J. A. C. (2009). Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London & New York: Routledge. Helmke, A. (2012). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität, 4. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer. Rathmann, A.; Anacker, J. (2015). Hochschuldidaktische Weiterbildung im Kontext einer heterogenen Studierendenschaft. Bedarfsanalyse der Lehrenden an der Otto-von-Guericke- Universität Marburg, Magdeburger Beiträge zur Hochschulentwicklung, August Reinmann, G. (2005). Blended Learning in der Lehrerbildung: Grundlagen für die Konzeption innovativer Lernumgebungen. Lengerich, Pabst Science. Steinkogler, W.. Flipped Classroom. Education Group, online: abgerufen am Weidlich, J.; Spannagel, Ch. (2014). Die Vorbereitungsphase im Flipped Classroom. Vorlesungsvideos versus Aufgaben. In Rummler, Klaus (Hrsg.): Lernräume gestalten Bildungskontexte vielfältig denken. Waxmann PH Zürich, online: abgerufen am Zaussinger, S./Ungar, M./Thaler, B./Dibiasi, A./Grabher, A./Terzieva, B./Litofcenko, J./Binder, D./Brenner, J./Stejepanovic, S./Mathä, P./Kulhanek, A. (2016) Studierenden-Sozialerhebung 2015: Bericht zur sozialen Lage der Studierenden. Band 2: Studierende, (Hrsg.), IHS - Institut für höhere Studien, Wien. 176

179 Using State-of-the-Art Methodological Approaches to Enhance Interdisciplinary Synergies in STEM Subjects Mathew Docherty 1, Kurt Gaubinger 1 1 FH Oberösterreich Campus Wels, Stelzhamerstraße 23, 4600 Wels, Österreich, mathew.docherty@fh-wels.at, kurt.gaubinger@fh-wels.at 1 RESEARCH QUESTION AND RELEVANCE In this paper, the issue of interdisciplinary synergies, between foreign language lessons and content subjects, in technical Higher Education Institutes (HEIs), is addressed. Firstly, the theory behind the implemented approaches and methodologies, English for Specific Purposes (ESP), Blended Learning (BL) and Problem-Based Learning (PBL), is explained. Subsequently, through the Topic Oriented Mixed Methods System (TOMMS) (Docherty & Gaubinger, 2018), it lays out the conceptual framework of the integrated approach before finally applying it to two lectures, in the School of Engineering of the University of Applied Sciences Upper Austria, with curriculum examples, whilst addressing some critical issues that need to be taken into consideration when planning and executing interdisciplinary teaching; how to fully involve the learner and ensure that they are able to follow the materials. Finally, some possible limitations and complications are discussed. Keywords: Blended Learning, English for Specific Purposes, Project-Based Learning, Interdisciplinary Synergies 2 THEORETICAL FRAME This paper investigates the role of ESP, coupled with state-of-the-art methodologies such as PBL and BL, which enable a more active role for the students in the learning process by outsourcing theory and transforming the contact time into an active learning space. In turn, this allows for more personalised Student-Centred Learning (SCL) and higher-level cognitive work (Bloom et al., 1956). during activities and transforms the role of the teacher from a frontal sage role to a more supportive guide role (King, 1993). It explains how learners can be supported during their selfstudy phases allowing them to comprehend concepts, through online materials, whilst best preparing them for the contact lessons where this knowledge will be implemented. English for Specific Purposes (ESP) ESP is well described as language teaching designed to serve specific disciples rather than a general language use, it focuses on specific lexis, grammar, discourses and genres and builds upon an established knowledge of English. It often applies methodologies and activities that mirror the content lesson, such as student-centred debates or presentations, and is inherently learner-centred, encouraging learner investment and participation. There are se- 177

180 veral goals of ESP, from improving content comprehension to enabling students for workrelated situations, this varies from traditional and general English language teaching. Blended Learning (BL) Blended learning aims for a blend between face-to-face learning done in the classroom by teachers and online learning experience done outside the classroom as a complement and has proven to improve learner s speed and accuracy as well as performance when compared to non-blended environments. Blended learning, in the TOMMS model, consists of self-study and contact lesson, whereby the theory is first introduced as distance elearning allowing the students the opportunity to peruse it at their own pace and convenience. This enables self-paced learning as the literature and videos can be consumed at the pace required by the individual student, allowing for different learning speeds and background subject knowledge. The students, therefore, come to the contact lesson with the same base level understanding allowing the content teacher to elaborate and utilize student-centred teaching methods more effectively. Project-Based Learning (PBL) Project-based learning is a student-centred approach whereby problem-solving, and criticalthinking are employed in order to engage students in real-world situations. It relies heavily on active-learning techniques in interactive scenarios, such as collaborative tasks, group discussions, case studies, where the teacher takes the role of a guide supporting the students, either individually or in groups, towards their predetermined outcome whilst regulating the process on a micro level. In combination with BL, PBL allows for the classroom to be used as a space where a deeper level of understanding can be achieved, meaning that the previously learned theory can now be applied, through active learning techniques, enabling higher-level cognitive work in the learning process through SCL. This approach has long been used in language learning environments, therefore enhancing interdisciplinary synergy in methodology as well as content matter and, additionally, increasing learner motivation, engagement and therefore ultimately success. SCL is performed in groups in order to promote maximum student collaboration and engagement, therefore enhancing understanding of the content and leading to better knowledge retention. 3 METHODICAL APPROACH The seamless combination of the previously detailed theoretically-grounded approaches tailored to suit specific learner language requirements, coined by the authors the Topic Oriented Mixed-Method System (TOMMS) (Docherty & Gaubinger, 2018), systematically guides learners through the theory whilst enabling them to implement the tools and supports their linguistic needs. TOMMS allows for initial exposure to new concepts through language lessons and taught by the LTE, whose job it is to support the learners in regard to the new language structures. Subsequently, a selfstudy block enables learners to peruse the materials through the learning management system whereby they are able to download texts, watch videos and participate in quizzes in a self-paced manner. Finally, they come to the content lesson, now fully aware of the concept and all with the same base understanding. This allows the Content Expert to immediately start to implement and apply the theory through group pro- 178

181 ject-based work into meaningful activities (Bonwell & Eison, 1991), promoting problemsolving, critical-thinking and higher-level cognitive work (see Figure 1). Figure 1. Conceptual Framework Figure 2. Application 4 APPLICATION The conceptual framework shown above has been applied in a course on mechatronic product design at the School of Engineering at the University of Applied Sciences Upper Austria. 179

182 This was done in order to increase the synergies between the English language lessons, the self-study blocks and ultimately the content lessons (see Fig. 2). Within the English learning lessons this approach employs a student-centered communicative teaching approach, often found in language-learning, and exposes learners to new concepts in the target language through interaction with each other and through authentic texts. The aim of the following self-study session is to expose the students to the theory of the concept in detail, via online learning materials, which can be viewed at their own personal pace. It requires students to read preselected literature, watch interactive videos and successfully complete quizzes. At the beginning of the following contact lesson, the topics of the previous English language lesson are usually reviewed with an interactive task. Together with the acquisition of knowledge by the corresponding self-study unit, this activity forms the basis for a goaloriented discussion and consolidates the theoretical concepts through application following the activity-based approach. The second half of each contact lesson is usually fully dedicated to the project-based approach. REFERENCES Anderson, W. L., Krathwohll D. R. & Bloom B. S. (2001)., A taxonomy for learning, teaching, and assessing: A revision of Bloom s taxonomy of educational objectives., Allyn & Bacon, p. 12. Belcher D. D. (2006). English for Specific Purposes: Teaching to Perceived Needs and Imagined Futures in Worlds of Work, Study, and Everyday Life, TESOL Q., vol. 40, no. 1, p Bell T., Cockburn A., McKenzie B. & Vargo J. (2001). Digital lectures: if you make them, will students use them? Constraints on effective delivery of flexible learning systems, J. Comput. Learn., vol. 3, no. 2. Bloom B. S., Englehard M. D., Furst E. J., Hill W. H. & Krathwohl D. R. (1956) Taxonomy of Educational Objectives: The Classification of Educational Goals: Handbook I Cognitive Domain, New York, vol. 16, p Bonwell C. C. & Eison J. A. (1991). Active Learning: Creating Excitement in the Classroom ASHE-ERIC Higher Education Reports. ERIC. Chickering A. W. & Gamson Z. F. (1987). Seven principles for good practice in undergraduate education, AAHE Bull., vol. Mar, pp Doiz A., Lasagabaster D. Docherty M. & Gaubinger K., (2018). Topic Oriented Mixed-Method System (TOMMS): A Holistic System to Integrate English Language Classes into English-Medium Instruction Courses in European Higher Education, Adv. Intell. Syst. Comput., vol. 715, pp

183 Dudley-Evans T., St John M. J. & Saint John M. J. (1998). Developments in English for specific purposes: A multidisciplinary approach. Cambridge university press. Fortanet-Gómez I. & Räisänen C. A. (2008). ESP in European higher education: Integrating language and content, vol. 4. John Benjamins Publishing. King A. (1993). Sage Guide on on the the Side to, Coll. Teach., vol. 41, no. 1, pp Laur D. (2013). Authentic Learning Experiences A Real-World Approach to Project Based Learning. Lim D. H., Morris M. L., & Kupritz V. W. (2007) Online vs. blended learning: Differences in instructional outcomes and learner satisfaction., J. Asynchronous Learn. Networks, vol. 11, no. 2, pp Means B., Toyama Y., Murphy R., Bakia M., & Jones K. (2010), Evaluation of evidencebased practices in online learning: A meta-analysis and review of online learning studies, U.S. Dep. Educ., p. 94. Nunan, D. (2004). Task-Based Language Teaching, Task-Based Lang. Teach., pp Paltridge B. & Starfield S. (2012). The handbook of English for specific purposes, vol John Wiley & Sons. Prabhu N. S. (1987). Second language pedagogy, vol. 24. Oxford University Press Oxford. Rotellar C. & Cain J. (2016). Research, Perspectives, and Recommendations on Implementing the Flipped Classroom., Am. J. Pharm. Educ., vol. 80, no. 2, pp. 1 9, Shepard J. (2005). An e-recipe for success, EL Gaz. 312, December 5. Thompson I. (2002). Thompson job impact study: The next generation of corporate learning.[octubre 07, 2003] JobImpact.pdf. 181

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185 SESSION L: Lebenswelten L1 - Gesundheit Soziales L2 - Technische Lösungen L3 - Wissensgesellschaft 183

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187 Patient Journey in der integrierten geriatrischen Komplexbehandlung Johannes Kriegel 1 1 FH Oberösterreich Campus Linz, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich, johannes.kriegel@fh-linz.at ZUSAMMENFASSUNG Im Kontext des arbeitsteiligen, fragmentierten und komplexen Gesundheitswesens nimmt die Versorgung von älteren Patienten eine besondere und herausfordernde Stellung ein, da diese auf spezielle medizinisch-pflegerische sowie soziale Unterstützungen angewiesen sind. Es stellt sich die Frage: Wie kann die Patient Experience und Versorgungsqualität geriatrischer Patienten im Krankenhaus- und Gesundheitswesen durch die Darstellung und Analyse der individuellen Patientenpfade mittels Persona und Patient Journey zielgerichtet identifiziert und optimiert werden? Die Patient Experience und Versorgungsqualität geriatrischer Patienten wird maßgeblich durch die unterschiedlichen Strukturen und arbeitsteiligen Prozesse der übergreifenden Gesundheitsdienstleistungen bestimmt. Die Erfassung der unterschiedlichen Bereiche erfolgt mittels direkter (subjektive) Erfahrungen, Beobachtungen und Interpretationen der Prozessbeteiligten. Aufbauend erfolgt die Entwicklung eines Versorgungskonzeptes zur integrierten Versorgung der adressierten Patienten. Durch die spezifische Betrachtung und Analyse der geriatrischen Versorgung, mittels Patient Experience, Persona und Patient Journey, lässt sich die individuelle Lebensqualität sowie die übergreifende Systemgestaltung identifizieren, optimieren und kontinuierlich verbessern. 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ 1.1 Gesundheitsversorgung im Wandel Das arbeitsteilige, fragmentierte und komplexe Gesundheitswesen ist charakterisiert durch eine Fülle unterschiedlicher Akteure, Zielsetzungen und Aktivitäten, wobei insbesondere die menschlichen Einflussnahmen und Leistungen durch teilweise emotionales und irrationales sowie intuitives und ad hoc Verhalten bestimmt und geprägt werden. Diese Eigenschaften und Ausgestaltungen beziehen sich sowohl auf die Handlungen der involvierten Health Professionals als auch auf die adressierten und beteiligten Patienten. Hieraus ergibt sich eine erforderliche Flexibilität sowie eine kennzeichnende Unsicherheit bezüglich der durchgeführten Prozesse und erzielten Ergebnisse, wobei es auch zu nicht angestrebten bzw. negativen Ereignissen kommt. Derartige kritische Ereignisse und auftretende Fehler führen mitunter zu einer suboptimalen Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität im Rahmen der jeweiligen Gesundheitsversorgung. Neben den menschlichen Einflüssen auf die spezialisierten und professionalisierten Gesundheitsdienstleistungen lassen sich auch noch eine Vielzahl weiterer Veränderungs- und Einflussfaktoren identifizieren (z.b. demographischer Wandel, chronische und multimorbide Erkrankungen, technologischer Fortschritt, Innovationen in Therapie 185

188 und Diagnostik, personalisierte Gesundheitsversorgung, Fachkräftemangel) (Bernardis, 2010). 1.2 Herausforderungen im Gesundheitswesen Aufgrund der historischen Entwicklung sowie der ausgeprägten strukturorientierten Ausgestaltung des Gesundheitswesens in entwickelten Industrienationen, ergibt sich unzureichende Flexibilität und geringe Veränderungsbereitschaft, im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingungen, Zielsetzungen und Anforderungen. In diesem Kontext nimmt die Versorgung von älteren Patienten eine besondere und herausfordernde Stellung ein, da diese auf spezielle medizinisch-pflegerische sowie soziale Unterstützungen angewiesen sind. Die geriatrische Versorgung (auch Altersheilkunde, Altersmedizin, Geriatrie) beschäftigt sich mit der übergreifenden und interdisziplinären Versorgung älterer und multimorbider Menschen sowie deren sozialem Umfeld. Die geriatrische Versorgung umfasst dabei, als interdisziplinäre Spezialdisziplin, die körperliche, geistige, funktionale und soziale Versorgung von akuten und chronischen Krankheiten, die Rehabilitation sowie die Prävention bei geriatrischen Patienten. Als geriatrische Patienten werden Patienten klassifiziert, die den Altersklassen (z.b. < 70 Jahre, 70 bis 80 Jahre, > 80 Jahre), dem Vorhandensein Geriatrie typischer Multimorbidität (z.b. Diabetes mellitus, terminaler dialysepflichtiger Niereninsuffizienz, Wundkomplikationen) sowie den funktionellen Einschränkungen der physischen und kognitiven Leistungsfähigkeit (z.b. vaskuläre Demenz, chronische Polyarthritis) zugeordnet werden können (Esslinger, 2009). Hinsichtlich der Versorgung geriatrischer Patienten ergeben sich eine Vielzahl unterschiedlicher spezifischer Anforderungen und zu adaptierender Versorgungsstrukturen und -prozesse, die eine bestmögliche geriatrische Versorgung unterstützen bzw. ermöglichen. Ziel ist es, das körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden der betroffenen Patienten sowie die damit verbundene bzw. erforderliche Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität bestmöglich anzustreben und sicherzustellen. In diesem Zusammenhang gilt es, neben der Gleichheit (z.b. bzgl. Alter, Geschlecht, Ort, Bildungsstand) sowie dem Zugang und der Grundsicherung (z.b. Wohnortnähe, Leistungsspektrum) auch eine ausreichende Patientenorientierung und eine erforderliche Bedarfsgerechtigkeit zu ermöglichen. Diesbezüglich gilt es, eine flächendeckende, zeit- und wohnortnahe ganzheitliche Versorgung bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit (Effizienz und Effektivität), Wirksamkeit (Evidenzbasiert) und Finanzierbarkeit, anzustreben, um dadurch betroffene Patienten, deren soziales Umfeld sowie involvierte Laien und Professionals zu befähigen, mit derartigen Anforderungen qualifiziert umzugehen (Füsgen, 2011). Wesentliche Kriterien zur zielgerichteten Ausgestaltung der fallbezogenen und logistischen Prozesse in der geriatrischen Patientenversorgung sind die Patientenorientierung und die Patientenperspektive. Zu deren intensiveren Berücksichtigung gilt es, die Patient Experiences, die Pesonas und die Patient Journeys zu untersuchen und zu analysieren. Es stellt die Frage: Wie kann die Patient Experience und Versorgungsqualität geriatrischer Patienten im Krankenhaus- und Gesundheitswesen durch die Darstellung und Analyse der individuellen Patientenpfade mittels Persona und Patient Journey zielgerichtet identifiziert und optimiert werden? 186

189 2 THEORETISCHER RAHMEN 2.1 Der geriatrische Patient Die wesentlichen alterstypischen Risikofaktoren für potenzielle bzw. betroffene Patienten sind, neben chronischen und multimorbiden Krankheitsbildern, u.a. Immobilität, Sturzrisiko, Inkontinenz und kognitive Beeinträchtigung. Hieraus ergeben sich erweiterte Herausforderungen u.a. hinsichtlich sozialer Ausgrenzung, intensiviertem Versorgungsbedarf, zeit- und kostenintensiver Gesundheitsdienstleistungen oder erweiterter psychosozialer Unterstützungsleistungen. Die resultierende Anforderungskomplexität erfordert eine geriatrische Komplexbehandlung, die sich speziell an ältere Patienten richtet, die an chronischen oder Mehrfacherkrankungen leiden, welche nicht ausreichend bzw. nur unzureichend durch das normale gewachsene Gesundheitsversorgungssystem versorgt werden können. Unter einer Komplexbehandlung versteht man in diesem Zusammenhang eine aus verschiedenen, sich ergänzenden Bereichen zusammengesetzte und sektorenübergreifende Versorgung spezifischer Krankheitsbilder. Aufbauend auf einer organbezogenen Diagnostik und Therapie erfordert die Betreuung der geriatrischen und multimorbiden Patienten eine erweiterte ganzheitliche medizinisch-pflegerisch-soziale Beurteilung. Im Rahmen einer derartigen geriatrischen Komplexbehandlung werden speziell die besonderen Eigenschaften, Bedarfe und Fähigkeit der Patienten (z.b. Selbsthilfefähigkeit, Mobilität und Sturzrisiko, Schluckstörung, Ernährung, Hirnleistungsfähigkeit, soziale Versorgung, Emotionalität) adressiert und berücksichtigt (Lechleitner, 2007). 2.2 Versorgungsqualität und Patientenzufriedenheit Die Patient Experience (i.s.v. Patientenerfahrungen, Patientenerlebnis, Patientenperspektive) und Versorgungsqualität geriatrischer Patienten wird maßgeblich durch die unterschiedlichen Strukturen und arbeitsteiligen Prozesse der übergreifenden Gesundheitsdienstleistungen bestimmt. Die Entwicklung von repräsentativen Personas und entsprechender Patient Journeys ermöglichen es, aufgrund ihrer umfangreichen und konkreten Beschreibung der unterschiedlichen Perspektiven, Erwartungen und Anforderungen, diese im Rahmen einer aufbauenden Konzeptentwicklung zu berücksichtigen. Die integrierte Komplexbehandlung geriatrischer Patienten erfordert ein Versorgungsnetzwerk, das ein umfassendes, patientenzentriertes, lückenloses, niederschwelliges und wohnortnahes Leistungsspektrum umfasst. Ferner ergibt sich die Notwendigkeit einer vernetzten Koordination, Kooperation und Kommunikation zwischen den unterschiedlichen beteiligten Akteuren und Leistungsanbietern. Zukünftig gilt es, die Verzahnung von Prävention, Gesundheitsförderung, Diagnostik, Therapie, Rehabilitation und Pflege sowie psychosozialer Unterstützung durch eine abgestufte, integrierte und kontinuierliche sowie niederschwellige und wohnortnahe Versorgung zu ermöglichen (Wolf, Niederhauser, Mashburn & LaVela, 2014) 187

190 3 METHODISCHES VORGEHEN 3.1 Design Thinking Design Thinking gilt als Problemlösungsansatz, der insbesondere im Kontext komplexer Herausforderungen und Systemanalysen angewendet wird. Ziel ist es, insbesondere Lösungen zu entwickeln, welche aus Anwenderperspektive (Nutzersicht) erfolgsversprechend und authentisch sind. Ferner wird die Kundenperspektive im Rahmen des Design Thinking in Bezug auf die operative Ausgestaltung und subjektive Interpretation möglicher Dienstleistungsausprägungen in den Vordergrund gestellt. Im Zuge der Durchführung eines Design Thinking Ansatzes kommen eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden und Instrumente zum Einsatz, die im Wesentlichen auf die Benutzerorientierung und Prozessbetrachtung, die Visualisierung und Simulation sowie auf ein iteratives und kreatives Vorgehen ausgerichtet sind (Lockwood, 2009). Hinsichtlich des methodischen Vorgehens variieren die verschiedenen konzeptionellen Vorgehensweisen des Design Thinking zwischen vier bis acht unterschiedlichen Schritten (Geissdoerfer, Bocken & Hultink, 2016), wobei diese vornehmlich dem Aufbau des Problemlösungszyklus bzw. dem vierstufigen Regelkreis des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses Plan, Do, Check, Act nach Deming (PDCA-Zyklus) (Deming, 1982) folgen. Wertvolle Instrumente zur Identifizierung, Einbindung und Analyse der Anwender- und Nutzerperspektive im Rahmen des Design Thinking sind vornehmlich Personas, Journey Mapping sowie Touchpoint- und Zufriedenheitsanalyse. Hinsichtlich der Identifizierung möglicher Risiken und Fehler sowie der weiterführenden Entwicklung verbesserter Dienstleistungs- und Versorgungsprozesse im Rahmen der geriatrischen Gesundheitsversorgung bieten sich daher die Betrachtung und Analyse der Patient Experience (PX) mittels Personas (PE), Patient Journeys (PJ) sowie Patient Journey Mapping (PJM) an (Ben-Tovim, Dougherty, O Connel, & McGrath, 2008; LeRouge, Ma, Sneha & Tolle, 2013). 3.2 Personas und Patient Journey Die Identifizierung und Analyse der operativen und patientenbezogenen geriatrischen Versorgung kann durch die kreative und agile Skizzierung beispielhafter Patientensegmente (Personas), möglicher Patientenkarrieren (Patient Journey) und den damit verbundenen Patientenerfahrungen (Patient Experience) erfolgen. Die Erfassung der unterschiedlichen Bereiche erfolgt mittels direkter (subjektive) Erfahrungen, Beobachtungen und Interpretationen der Prozessbeteiligten. Aufbauend erfolgt die Entwicklung eines Versorgungskonzeptes zur integrierten Versorgung der adressierten Patienten. Personas repräsentieren dabei beispielhaft eine Gruppe von Nutzern, die mit konkret ausgeprägten Eigenschaften und praxisbezogenem Nutzungsverhalten, die stellvertretend als prototypische Benutzerprofile, die unterschiedlichen Eigenschaften, wie Erfahrung, Ziele, Verhaltensweisen, Erwartungen etc., beschreiben. Die Patient Journey (i.s.v. Patientenreise, Patientenkarriere) verdeutlicht, ausgehend vom Auftreten erster Symptome, über die unterschiedlichen Health Professional Kontakte, die verschiedenen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, Rehabilitationsaktivitäten und Überweisungen bis zur Kontrolle, Nachsorge und Folgebehandlungen, den patientenbezogenen Fallverlauf, wobei auch Lebensrealitäten, die außerhalb des professionellen Sozialund Gesundheitswesens erfolgen (z.b. Urlaub, Arbeitsleben, Tätigkeiten des täglichen Lebens), einbezogen und berücksichtigt werden. Die Aufzeichnung und Analyse der Patient 188

191 Journey liefert dabei wertvolle Hinweise für eine patientenzentrierte und wirtschaftliche Versorgungs- und Gesundheitssystemgestaltung. Mittels Literaturrecherche, Experteninterviews und Fokusgruppendiskussionen wurden sechs Personas bzw. Fallvignetten beispielhafter geriatrischer Patienten entwickelt, zwei Patient Journeys erstellt, resultierende Patient Experiences analysiert und ein Konzept für die regionale interdisziplinäre geriatrische Komplexbehandlung entwickelt (Fürholzer, et al., 2018). 4 ERGEBNISSE 4.1 Problemidentifikation und -beschreibung Die geriatrische Gesundheitsversorgung ist aktuell gekennzeichnet durch systembedingte Kapazitätsgrenzen (z.b. Betten Akutgeriatrie / Remobilisation), regionale Versorgungslücken (z.b. geriatrische Abteilungen) und steigendem Versorgungsbedarf (z.b. höhere Prävalenz). Dies führt zur Notwendigkeit planerischer und strategischer Handlungserfordernisse (z.b. Aufbau bzw. Erweiterung zukünftiger Bettenkapazitäten, ambulanter Versorgungsnetze) im Bereich des Systemaufbaus und der Prozessgestaltung, welche zielgerichtete und konzeptionelle Entscheidungen und Maßnahmen erfordern. Die Konzeption einer zukünftigen Ausgestaltung einer regionalen interdisziplinären geriatrischen Komplexbehandlung bedarf im Vorfeld eine aussagekräftige Datenbasis sowie einen realitätsbezogenen Maßnahmenkatalog zur Entwicklung und Etablierung eines regionalen, interdisziplinären und sektorübergreifenden geriatrischen Versorgungskonzeptes. In einem ersten Schritt gilt es, die Ist-Situation sowie die damit verbundenen Herausforderungen zu identifizieren und zu beschreiben. Die wesentlichen Herausforderungen lassen sich dabei hinsichtlich Umwelt/Gesellschaft (z.b. segmentierte Leistungserbringung, Honorierungssystem), stationäre und fachärztliche Versorgung (z.b. Zugang und Entfernung zu fachärztlichen Leistungen), Patienten und Umfeld (z.b. Health Literacy, Multimorbidität), Organisation und Ergebnisse (z.b. Teamkonflikte, autonome Leistungserbringer), Information und Kommunikation (z.b. Informationsasymmetrien, nichtkompatible IKT-Systeme) sowie Health Professionals (z.b. Work-Life-Balance, Fachkräftemangel) strukturieren. 4.2 Personas in der Geriatrieversorgung Aufbauend zur Problemidentifizierung und -definition gilt es im Weiteren, die besonderen Charakteristika der unterschiedlichen Patientensegmente zu identifizieren, zu beschreiben und zu analysieren, um aufbauend resultierende bzw. erforderliche Zielsetzungen, Strukturen, Prozesse, Potenziale und Ergebnisse darzustellen. Hinsichtlich der geriatrischen Komplexbehandlung lassen sich verschiedene Patientensegmente identifizieren und abgrenzen. Beispielhalt lassen sich folgende Personas in der geriatrischen Versorgung (z.b. der Youngster, Alfred ist 74 Jahre, zu Hause schon zweimal über seinen Teppich gestürzt. Er wird professionell über Sturzprophylaxe beraten und unterschiedlichen Gehhilfen sowie deren Anwendung informiert; die Demente, Josefine ist 87 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann Adolf in einem Einfamilienhaus, benötigt verstärkt intensive Unterstützung, Verdacht auf Oberschenkelhalsbruch akut im Krankenhaus) formulieren. 189

192 4.3 Patient Journey als Analyse- und Interpretationsinstrument Mit Hilfe einer Darstellung der Patient Journey lassen sich nicht nur die unterschiedlichen Akteure, Aktivitäten und Sichtweisen auf und während des Versorgungsprozesses visualisieren und zusammenfassen, sondern auch aufbauend die erhobene Ist-Situation hinsichtlich zukünftiger Verbesserungspotenziale und Maßnahmen analysieren und interpretieren. Die Patient Journey verdeutlicht dabei die Reihenfolge unterschiedlicher Aktivitäten und Ereignisse im Rahmen der geriatrischen Gesundheitsversorgung, die ein Patient über einen definierten Zeitraum durchläuft und erlebt. Dabei erlebt der Patient unterschiedliche Sub-Systeme (z.b. Ordination, Krankenhaus, Pflegeheim, Hospiz). Mittels einer ausführlichen Patient Journey werden die verschiedenen Stufen der sozialen, physischen und/oder psychischen Versorgung identifiziert, beschrieben und analysiert. Grundsätzlich durchlaufen die Patienten dabei sieben Stufen (bisherige Biographie, Symptomentwicklung, Anamnese, Diagnose, Therapie, Reha, Nachsorge). In Verbindung mit definierten Personas ergeben sich wichtigste und konkrete Kontaktpunkte (Touchpoints) und Momente der Wahrheit (Moments of Truth). Durch die Analyse der einzelnen Kontaktpunkte lassen sich Pain Points" (Herausforderungen) und Gain Points (Lösungsansätze) identifizieren sowie eine gute Übersicht über die Dienstleistungsqualität der Patientenversorgung schaffen (Agor, 2018; Trebble, Hansi, Hydes, Smith & Baker, 2010). Abbildung 1 verdeutlicht die exemplarische Übersicht über die personabezogene Patient Journey (Wilhelmine). Die Interaktion der Patienten mit dem informellen und formellen Gesundheitssystem sind vielfältig und vielschichtig. Die Berührungspunkte ergeben sich sowohl beiläufig und zufällig als auch planvoll und zielgerichtet, wobei eine stringente und konzeptionelle Abfolge eher theoretisch erfolgt. Vielmehr sind die aktuellen Patient Journeys durch eine Vielzahl an Prozessbrüchen, Versorgungslücken, Informationsasymmetrien sowie Abstimmungs- und Schnittstellenfehlern gekennzeichnet. Zur Begegnung derartiger Ineffizienzen und Ineffektivitäten gilt es, durch ein übergreifendes Fallmanagement die erforderlichen dispositiven Abstimmungen und Steuerungen zu realisieren. Ein Patient-Touchpoint-Management (PTM), als Teil eines patientenbezogenen Fall- bzw. Case Managements, umfasst daher, die zielgerichtete Koordination, Kooperation und Kommunikation aller patientenbezogener Interaktionspunkte und Maßnahmen, um eine akzeptierte, verlässliche und vertrauenswürdige Patientenversorgung zu ermöglichen (Kyongsill, Kyung-Won & Ki-Young, 2013). Abbildung 2 veranschaulicht die exemplarische Übersicht über die personabezogenen Touchpoints im Rahmen einer geriatrischen Patient Journey. 190

193 Abbildung 1. Aufbau einer tabellarisch visualisierten Patient Journey 191

194 Abbildung 2. Touchpoints entlang der Patient Journey geriatrischer Patienten 4.4 Stellhebel und Maßnahmen für die geriatrische Komplexbehandlung Im Hinblick auf eine verbesserte Versorgung geriatrischer Patienten gilt es, das vielschichtige System der geriatrischen Versorgung flächendeckend, wohnortnah und netzwerkbasiert auszugestalten. In einem ersten Schritt sollten diesbezüglich repräsentative Personas, d.h. individualisierte Nutzermodelle, die die Patienten einer Zielgruppe (z.b. Demenzpatienten) in ihren Merkmalen (z.b. Ziele, Erwartungen, Werdegang, Krankheitsbild, Verhaltensweisen) charakterisieren entwickelt und ausformuliert werden. In einem weiteren Schritt gilt es, die wesentlichen Kriterien der patientenbezogenen (Gesundheits)Dienstleistungsprozesse mittels direkter (subjektiver) Beobachtungen und Einschätzungen der Prozessbeteiligten (z.b. Geriater, Pflegekräfte, Angehörige) zu erfassen. Dabei liegt der Fokus auf jenen Ereignissen, die eine kritische Bedeutung für die Prozess- und Ergebnisqualität haben. Eine repräsentative Patient Journey wird dabei durch den übergreifenden Versorgungsprozess bestimmt. Die Patient Journey umfasst dabei insbesondere die Pain Points / Herausforderungen (z.b. Kommunikationsdefizite) sowie die Gain Points / Lösungsansätze (z.b. geriatrische Konsile). Als mögliche Lösungsansätze wurden u.a. Vorsorgeuntersuchungen/präventive Hausbesuche, geriatrisches Screening, Assessment, Konsil/Visite sowie Pharmazie, interdisziplinäre geriatrisches Behandlungsteams und -konzepte, multidisziplinäre Diagnose- und Therapieverfahren (z.b. Rheumatologie), geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung, ambulante geriatrische Rehabilitation, aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie, geriatrische Institutsambulanzen und Schwerpunktpraxen, geriatrische Fort- und Weiterbildung und ein qualifiziertes sektorübergreifendes und multiprofessionelles Fallmanagement identifiziert. Ferner gilt es, einen Leistungskatalog spezialisierter geriatrischer Leistungen, geriatrische und alterstraumatologische Versorgungszentren sowie geriatrisches Versorgungsnetzwerke und regionale Geriatrie-Versorgungskonzept zu entwickeln und zu etablieren (Laag, Ullrich, Wlazik & Hölscher, 2016). 192

195 5 DISKUSSION UND AUSBLICK 5.1 Patientenperspektive und Lebensqualität Die Patientenperspektive umfasst den subjektiven und emotionalen Standpunkt des Patienten, der maßgeblich beeinflusst wird vom Grad der Betroffenheit und der unterschiedlichen Abhängigkeiten des Patienten. Ferner impliziert die Patientenperspektive einen Ist-Soll- Vergleich sowie die individuelle Bewertung des Grades der Nichterfüllung eines individuellen Idealzustandes. Insofern bestimmt die Patientenperspektive die Patientenerwartungen und - zufriedenheit hinsichtlich der jeweiligen (Behandlungs)Situation. Aktuell wird die Patientenperspektive verstärkt als Qualitätsindikator bezüglich der Bewertung der patientenbezogenen Gesundheitsversorgung berücksichtigt. Dabei gilt es, sowohl die medizinisch-pflegerische als auch verstärkt die serviceorientierte Versorgung auf die Perspektive von Patienten abzustimmen. Die Lebensqualität stellt somit, im Kontext des Gesundheitszustandes, der Erkrankungen und der Gesundheitsversorgung, einen relevanten Outcome-Parameter dar. Ferner beschreibt sie die subjektive Wahrnehmung eines Patienten über seine eingenommene Lebensposition hinsichtlich u.a. Kultur, Werte, Zielsetzung, Bildung, Berufschancen, sozialer Status, Erwartungen und Lebensstandard. Im Kontext der Gesundheitssituation lässt sich die Lebensqualität als subjektives Wohlbefinden eines Patienten, welche durch physische, psychische und soziale Dimensionen determiniert wird, beschreiben (Schöffski, 2012) 5.2 Patientenorientierung und Servicequalität IS THE NEW BLACK Die Patientenorientierung umfasst, neben der Fokussierung der ärztlichen und pflegerischen Aktivitäten auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten, auch die Einbeziehung des Patienten als Co-Produzenten und Co-Designer der individuellen Versorgungsprozesse. Hierbei treten insbesondere die subjektiv und emotional beeinflussten Handlungsmöglichkeiten und Präferenzen der jeweiligen Patienten in den Vordergrund. Dabei fokussiert sich die gemeinsame Ausrichtung aller notwendigen Maßnahmen auf die Anforderungen und Möglichkeiten des Patienten. Innerhalb dieses Prozesses müssen auch Grenzen der Patientenautonomie (z.b. aufgrund von Leiden, Schmerzen, Koma, kognitiver Einschränkungen, sozialem und wirtschaftlichem Kontext) in der Therapie- und Pflegeplanung berücksichtigt werden. Als weitere Einflussdimension auf die Ausgestaltung des Gesundheitsversorgungssystems wird zunehmend die Servicequalität in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Wirkungsweisen gesehen. Die Dienstleistungs- bzw. Servicequalität im Gesundheitswesen adressiert in erster Linie die Patienten, wobei diese auch durch die Leistungsqualität zwischen den unterschiedlichen internen und externen bzw. vor- und nachgelagerten Akteuren maßgeblich beeinflusst wird. Die Servicequalität umfasst dabei alle Faktoren, die die Leistungserbringung und deren Bewertung durch die jeweiligen Kunden beeinflussen. Da die Kunden und Patienten mit ihrer Einstellung und ihrem Verhalten die Servicequalität im hohen Maße mitbeeinflussen, ist es erforderlich subjektive Qualitätsstandards zu entwickeln und anzuwenden, die die Qualitätswahrnehmung der Patienten berücksichtigen. Die Betrachtung und Analyse der Patient Experience, mittels Persona, Patient Journey sowie Patient Journey Mapping kann hier einen essentiellen Beitrag leisten (Breuning et al., 2017; Fischer, 2015). 193

196 REFERENZEN Agor K. (2018) Patientenkarriere von der Akutversorgung bis zur Nachsorge wo knirscht es? GGP; 02(05): Ben-Tovim DI, Dougherty ML, O'Connell TJ, McGrath KM. (2008). Patient journeys: the process of clinical redesign. Med J Aust;188(suppl 6): Bernardis DM (2010). Geriatrie. Wien, HVB. Breuning M, Lucius-Hoene G, Burbaum C, Himmel W, Bengel J. (2017). Subjektive Krankheitserfahrungen und Patientenorientierung. Bundesgesundheitsbl 2017;60(4): Deming WE. (1982) Out of the Crisis. Cambridge, MIT. Esslinger AS.(2009). Neues Denken in der Gesundheitsversorgung Hochbetagter. Wiesbaden, Gabler. Fischer A (Hrsg.) (2015). Servicequalität und Patientenzufriedenheit im Krankenhaus: Konzepte, Methoden, Implementierung. Berlin, MWV. Führholzer A, Gerstmayr L, Hemetsberger L, Koblmüller B, Neuhold N, Roller A, Schürz M, Steiner J. (2018). Versorgungskonzept zur integrierten Komplexbehandlung geriatrischer Patienten. Linz, FH OÖ Projektbericht. Füsgen I. (2011) Integrierte geriatrische Versorgung. Bundesgesundheitsbl 2011;54: Geissdoerfer M, Bocken NMP, Hultink EJ. (2016). Design thinking to enhance the sustainable business modelling process A workshop based on a value mapping process. Journal of Cleaner Production;135(11): Kyongsill L, Kyung-Won C, Ki-Young N. (2013). Orchestrating Designable Touchpoints for Service Businesses. Design management review; 24(3): Laag S, Ullrich W, Wlazik N, Hölscher A. (2016).Welche Qualität braucht die geriatrische Versorgung? In: Repschläger U, Schulte C, Osterkamp N. BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell. Köln, BARMER GEK, Lechleitner M. (2007). Der geriatrische Patient. Österreichische Ärztezeitung;12(6): LeRouge C, Ma J, Sneha S, Tolle K. (2013) User profiles and personas in the design and development of consumer health technologies. International Journal of Medical Informatics;82(11):e251-e

197 Lockwood T. (2009). Design Thinking: Integrating Innovation, Customer Experience, and Brand Value. New York, Allworth Press. Schöffski O. (2012). Lebensqualität als Ergebnisparameter in gesundheitsökonomischen Studien. In: Schöffski O, Graf von der Schulenburg JM. (Hrsg.) Gesundheitsökonomische Evaluationen. Springer, Berlin, Heidelberg, S Trebble TM, Hansi N, Hydes T, Smith MA, Baker M. (2010). Process mapping the patient journey: an introduction. BMJ.341:c4078. doi: /bmj.c4078. Wolf JA, Niederhauser V, Marshburn D, LaVela SL.(2014). Defining Patient Experience. Patient Experience Journal 1(1):

198 196

199 Partizipative Zukunftsstudie zum Einfluss von Digitalisierung auf das Wertschöpfungsnetzwerk Lebensmittel Christiane Rau 1, Andrea Aschauer 1, Jürgen Hagler 1, Katrin Mathmann 1 1 FH Oberösterreich Campus Wels, Stelzhamerstraße 23, 4600 Wels, Österreich, christiane.rau@fh-wels.at, andrea.aschauer@fh-wels.at, juergen.hagler@fh-wels.at, katrin.mathmann@fh-wels.at 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ Die Lebensmittelindustrie ist ökonomisch und sozial für die österreichische Gesellschaft von großer Bedeutung. So wurde im Jahre 2016 mit der Herstellung von Lebensmitteln und Getränken ein Umsatz von 5,96 Mrd. Euro erwirtschaftet (WKOÖ, 2017). Private Haushalte gaben ,98 Mrd. Euro für Lebensmittel aus (Statistik Austria, n.d.). Auf dem österreichischen Markt tummeln sich regionale Anbieter ebenso wie Global Player. Gemeinsam ist ihnen, dass sie vor der Herausforderung Industrie 4.0 stehen. Es ist zu erwarten, dass die Digitalisierung in den nächsten Jahren den Wandel weg von der klassischen Wertschöpfungskette hin zu einem komplexen Wertschöpfungsnetzwerk fördern wird. Diese Veränderungen in dem sensiblen Bereich der Ernährung und Lebensmittelproduktion wird die Gesellschaft mit ihren Produktvorstellungen signifikant beeinflussen. Während die Global Player beginnen das Internet der Dinge für sich zu nutzen, befinden sich viele mittelständische Unternehmen in einer Schockstarre. Den Managern ist bekannt, dass es Umwälzungen in den klassischen Strukturen geben wird. Mangels Kenntnis der technischen Hintergründe sehen sie sich allerdings nicht in der Lage, sich aktiv des Themas anzunehmen. Dies birgt die Gefahr von Disruptionen durch neue Marktteilnehmer. Deshalb ist es notwendig, ein klareres Bild über mögliche zukünftige Entwicklungen zu gewinnen. Dabei besteht die Schwierigkeit darin, mehrere Wissensdomänen wie z.b. Agrarwirtschaft, Lebensmitteltechnologie, Logistik und Handel gleichzeitig zu betrachten und Potentiale für den übergreifenden Einsatz der modernen Informations- und Kommunikationstechnik abzuleiten. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, nutzen wir den Open-Foresight-Ansatz (dt. Partizipative Vorausschau), der sich jüngst aus dem Forschungsbereich Open Innovation entwickelt hat. Open Innovation kann nach Chesbrough (2006, p. 1) als die Verwendung zweckmäßiger Zu- und Abflüsse von Wissen, um interne Innovationen zu beschleunigen und die Märkte für die externe Nutzung von Innovationen zu erweitern" verstanden werden. Übertragen auf den Bereich der Vorausschau bedeutet dies, durch die Integration einer Vielzahl von Perspektiven die Qualität des Prozesses und seines Ergebnisses zu verbessern. Im Falle unseres Forschungsprojektes gestalten wir den partizipativen Prozess unter Einbindung einer Vielzahl von Stakeholdern unter Berücksichtigung derer spezifischen Wissensstände und Interaktionsmöglichkeiten. 197

200 Die sich daraus ergebenden Forschungsfragen lauten: 1) Wie kann ein partizipativer Prozess gestaltet sein, in dem sich Akteure der klassischen Wertschöpfungskette (z.b. Produzenten) und der unterstützenden Industrie (z.b. IT- oder Logistikunternehmen) genauso wie Stakeholder aus den Bereichen Politik, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit (z.b. Ministerien, FoodBlogger) und Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen einbringen können? 2) Welche Erkenntnisse (Lessons Learned) kann man aus der Durchführung eines solchen Prozesses für Projekte in anderen Kontexten ableiten? 2 THEORETISCHER RAHMEN Wir nutzen frühere Erkenntnisse aus den Bereichen der strategischen Vorausschau (Fink & Siebe, 2016) sowie erste Erkenntnisse aus dem Bereich des Open Foresight (z.b. Gattringer et al., 2017). Zur Konzeption unseres Prozesses berücksichtigen wir außerdem Erkenntnisse aus dem Bereich der Open-Innovation-Methoden. 3 METHODISCHES VORGEHEN Die Aktionsforschung (engl. Action Research) erlaubt einen realitätsnahen und praxisrelevanten Ansatz. Dabei ist die Forschung von einem konkreten Praxisproblem initiiert, dessen Lösungsmöglichkeiten in einem kooperativen Dialog mit den betroffenen Stakeholdern erarbeitet wird. Die Aktionsforschung hat sich in den Sozialwissenschaften als gängiger Ansatz im Bereich Vorausschau und Prognose erfolgreich etabliert (Alsan, 2008; Gattringer et al., 2017; Higdem, 2014). In unserer Studie ist das Praxisproblem die Veränderung des Lebensmittelwertschöpfungsnetzwerks durch Digitalisierung. Gemeinsam mit den Vertretern der Branche aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen und Branchen entwickeln wir mögliche Zukunftsszenarien. 4 ERGEBNISSE Im Rahmen des Projektes wurde ein vierstufiger Prozess entwickelt, der Akteure der klassischen Wertschöpfungskette, der unterstützenden Industrie, Stakeholder aus den Bereichen Politik, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit (gesammelt im Folgenden als Experten und Expertinnen bezeichnet) und Bürgerinnen und Bürger einbindet. Ein breiter gesellschaftlicher Dialog wird damit möglich. Industrievertreter erhalten ein Stimmungsbild zu verschiedenen Aspekten des erwartenden Wandels des Wertschöpfungsnetzwerks der Lebensmittelbranche, welches sie wiederum in der Entwicklung ihrer spezifischen Unternehmensstrategie unterstützt. Die sich ergebenden Stufen sind: 1) Identifikation, Diskussion und Bewertung möglicher Einflussfaktoren: Die erste Datenerhebung erfolgte in sechs Fokus-Gruppenworkshops mit 49 Experten. Die Diskussionen zu den aus der Literatur abgeleiteten Einflussfaktoren auf die Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie wurden per Tonaufzeichnung mitgeschnitten. Anschließend bewerteten die Teilnehmer die Einflussfaktoren individuell auf quantitativen Skalen. 2) Identifikation von Clustern von Einflussfaktoren: Die 40 wichtigsten Faktoren wurden anschließend im Zuge einer Online-Umfrage hinsichtlich ihres gegenseitigen Einflusses bewertet. Teilnehmer dieser Umfrage waren zum einen Industrievertreter, zum anderen Schüler und Studenten. Aus der Auswertung dieser Beziehungen per Netzwerkanalyse entstanden Cluster, die die Grundlage für den zweiten Workshop bildeten. 198

201 3) Erstellung von Szenarien: Die Teilnehmer des zweiten Workshops diskutierten zunächst clusterweise die zu erwartende Ausprägung der zugehörigen Einflussfaktoren. Auf Basis dieser Auswahl sowie einer Persona entwickelten sie jeweils unter Anleitung und Beobachtung der Forschungsgruppe ein Zukunftsszenario. Diese Szenarien wurden mit Ton- und Videoaufzeichnungen dokumentiert und im Anschluss an den Workshop verschriftlicht. 4) Implementierung einer spielbasierten Feedback-Möglichkeit im öffentlichen Raum: Die entwickelten Zukunftsszenarien dienten im Weiteren als Grundlage für eine spielbasierte Installation im öffentlichen Raum. Diese ermöglicht es uns, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf das zukunftsrelevante Thema der Digitalisierung im Bereich der Lebensmittelversorgung zu lenken sowie zugleich Feedback zu den Zukunftsszenarien einzuholen und in die Projektergebnisse zu integrieren. Aus dem Prozess lassen sich verschiedene Erkenntnisse ableiten, die in der Konzeption zukünftiger breit angelegter Open-Foresight-Prozesse berücksichtigt werden sollten. Dies betrifft z.b. die Auswahl der Bewertungsmethoden. Es hat sich gezeigt, dass die systematische Bewertung der Zusammenhänge zwischen den Einflussfaktoren innerhalb einer Online- Umfrage mit standardisierten Fragebatterien für die Beantwortenden sehr herausfordernd und ermüdend ist. Dies führte zu einer entsprechend hohen Anzahl von abgebrochenen Fragebögen. Hier ist zu überlegen einen anderen Bewertungsmodus zu wählen, der die Einbindung einer noch größeren Anzahl von Teilnehmern effizient ermöglicht. Positive Erfahrungen wurden mit der Adaption von den zur Analyse von Gruppendynamiken üblichen sozialen Netzwerkanalysen auf den Bereich der Vorausschau gemacht. Diese Netzwerkanalyse konnte eingesetzt werden, um die hohe Komplexität der Beziehungen zwischen Einflussfaktoren handhabbar zu machen, indem inhaltlich zusammenhängende, sinnvolle Cluster erzeugt werden konnten. REFERENZEN Alsan, A. (2008). Corporate foresight in emerging markets: action research at a multinational company in Turkey. Futures 40, Chesbrough, H. (2006). Open business models: how to thrive in the new innovation landscape. Harvard Business School Press. Fink, A. & Siebe, A. (2016). Szenario Management. Von strategischem Vorausdenken zu zukunftsrobusten Entscheidungen. Campus Verlag. Gattringer, R., Wiener, M., & Strehl, F. (2017). The challenge of partner selection in collaborative foresight projects. Technological Forecasting and Social Change 120, Higdem, U. (2014). The co-creation of regional futures: facilitating action research in regional foresight. Futures 57,

202 200

203 Die Neue Effizienz als Paradigmenwechsel und Forschungsansatz in der Sozialwirtschaft im Brennpunkt Wissenschaft trifft Praxis Paul Brandl 1, Irmtraud Ehrenmüller 1 1 FH Oberösterreich Campus Linz, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich, paul.brandl@fh-linz.at, irmtraud.ehrenmueller@fh-linz.at 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ Die Neue Effizienz in der Sozialwirtschaft stellt einen Paradigmenwechsel und Forschungsansatz für die Weiterentwicklung von Dienstleistern im Gesundheits- und Sozialbereich dar. Diese Neuorientierung ist notwendig um die kommenden Herausforderungen in den Bereichen Arbeitswelten, Bildungs- und Lebenswelten sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus anwendungsorientierter Sicht zu bewältigen. Anhand von drei aktuellen Forschungsprogrammen des FH OÖ Campus Linz mit der Perspektive Wissenschaft trifft Praxis wird dies von den Autoren beispielhaft dargestellt. 2 THEORETISCHER RAHMEN Das Kriterium der Neuen Effizienz ist das Ermöglichen des gesellschaftlich benötigten Bedarfs an Dienstleistungen in der Sozialwirtschaft ( Output ), wenn in herkömmlichen Strukturen nicht mehr ausreichend Personal und auch Finanzen verfügbar sind ( Input ). Dass ein spürbarer Fachkräftemangel, der insbesondere auch die Pflege und Betreuung von älteren Menschen betrifft, auf die Gesellschaft zukommt, wird nicht mehr in Frage gestellt, unterschiedliche Meinungen werden bestenfalls hinsichtlich der Dramatik des drohenden Pflegenotstands diskutiert. Effizienz wird im organisatorischen Kontext anhand der Input-Output-Relation von Produktionsfaktoren in Hinblick auf eine gewünschte Zielerreichung beschrieben 1 : Zwischen Input und Output besteht eine funktionale Beziehung Ein bestimmter Input erzeugt einen bestimmten Output. Ein bestimmter Output benötigt einen bestimmten Input Die gewünschte Zielerreichung ist, neben der grundsätzlichen Eignung des Inputs, den betriebsnotwendigen Output erreichen zu können ( Effektivität ), einen Beitrag zur langfristigen Sicherung des unternehmerischen Auftrags zu leisten; Effizienz wird dabei als Oberziel der Organisation genannt (Träger, 2018, S. 16). Diese wiederum wird regelmäßig in einer Optimierung der Kosten-Nutzen-Relation gesehen, die sich in geringen Kosten bei der Leistungserstellung ausdrückt (Träger, 2018, S. 13). 1 Siehe 201

204 Die Neue Effizienz definiert die Input-Output-Relationen in Organisationen neu und ist: ein Paradigmenwechsel: Organisationen werden neu gedacht. ein Ansatz für prozessbasierte Organisationsentwicklung eine Voraussetzung für die Akzeptanz von SAR (Social Assistive Robot) und Digitalisierung in der Sozialwirtschaft ein Ansatz für die angewandte Forschung von Organisationsentwicklung und Prozessmanagement im Gesundheits- und Sozialbereich. eine Grundlage für Prozesskostenoptimierung, sobald die Ermöglichung des Outputs wieder sichergestellt ist. ein Richtungswechsel für Führungskräfteentwicklung. 3 METHODISCHES VORGEHEN Dieser Ansatz wird anhand von drei aktuellen Forschungsprojekten dargestellt: 3.1. Entwicklung und Einführung eines prozessbasierten Qualitätsmanagementsystems in der Langzeitpflege (pqms extended) 2014 wurde eine Forschungskooperation zwischen dem FH OÖ Campus Linz, den Kreuzschwestern und dem Magistrat Wels vereinbart, dessen Ziel die Entwicklung und Einführung eines prozessbasierten QMS war. Unter der fachlichen Begleitung der vier Kreuzschwestern- Pflegeheime in Oberösterreich wurde eine Prozesslandkarte entwickelt, die eine allgemein einsetzbare Grundlage für standardisierbare Prozesse in Pflegeheimen darstellt. Gemeinsam mit Berufspraktikanten, Bachelor- und Masterstudenten wurde das QM-Modell mit und für die Praxis entwickelt, eingeführt und bis zum Einführungsaudit wissenschaftlich begleitet Planung und Durchführung eines Living Labs zur Evaluierung der Einsatzmöglichkeiten von Social Assistive Robots in der Pflege unter dem Aspekt der Neuen Effizienz Die Planung und Durchführung eines Living Labs in Oberösterreich, das die Anforderungen und den Nutzen eines Social Assistive Robots ( CareSAR ) in der Langzeitpflege zum Inhalt hat, baut auf der Prozesslandkarte des pqms auf und soll Antworten im Sinne der Neuen Effizienz liefern: Welche Arbeitsschritte können durch den SAR im Pflege- und Betreuungsbereich sinnvoll übernommen werden, um damit den Pflegemangel zu reduzieren? Welche Veränderungen in der Organisation und im Prozessmanagement in Betrieben der Sozialwirtschaft werden durch den Einsatz von SAR ausgelöst? Welche neuen Anforderungen werden an die Führungskräfte dieser Einrichtungen gestellt? 3.3. Fit für zu Hause : Sektorübergreifendes Pilotprojekt zwischen Gesundheit und Sozialem zur Optimierung der geriatrischen Patientenversorgung bei gleichzeitigem volkswirtschaftlichem Nutzen. Die demografischen Entwicklungen in der Gesellschaft sind hinlänglich bekannt, der dringende Bedarf an alternativen Betreuungs- und Versorgungsansätzen für die nahe Zukunft ebenfalls. Mit dem Konzept Fit für zu Hause stellen die Caritas Betreuung und Pflege in Oberösterreich, das Krankenhaus Sierning Schwerpunktklinikum für ältere Menschen und die FH Oberösterreich Department für Sozialmanagement, ein machbares Konzept vor, das 202

205 einen Best Point of Medical and Social Services nachvollziehbar und vorteilhaft für die Systempartner im Gesundheits- und Sozialbereich darstellt. 4 ERGEBNISSE 4.1. pqms in der Praxis Mit dem pqms lassen sich Prozesse in Pflegeheimen standardisieren und trotzdem situativ auf die spezifischen Anforderungen eines Hauses anpassen. Die Prozessbeschreibungen stellen in der Neuen Effizienz die Transformation zwischen möglichem Input und nötigem Output sicher. Das pqms bezieht den Reifegrad eines Hauses mit ein, ohne deshalb das QMS zwischen einzelnen Häusern verändern zu müssen. Das pqms ist ein Feedback-System für die Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung Mit der Prozesslandkarte ist eine Basis für vollständige IT-Abbildung der Prozesse geschaffen worden. Die Prozessbeschreibungen können hausübergreifend für die Entwicklung einer wirksamen SAR-Unterstützung herangezogen werden (s. Projekt 2) Die Relevanz für die Neue Effizienz erfährt das pqms extended dadurch, dass die Gestaltung der Prozesse mit der Entwicklung von Reifegraden verbunden ist und damit neue strukturelle Lösungen sowie die Integration von innovativen Input-Faktoren wie insbesondere neue Technologien nicht nur möglich sind, sondern den Charakter des gesamten Qualitätsmanagements einer Organisation darstellen CareSAR für die Praxis Eine Studie des FH OÖ Campus Linz (Kriegel et al., 2019) belegt die Ausgangssituation, vor der eine mögliche Umsetzung eines LivingLabs steht: Trotz Vorbehalten und Unsicherheit ist eine ausreichende Akzeptanz bei Führungskräften für die Erprobung von SAR gegeben. Der Aspekt des social assistive roboting erfährt eine höhere Akzeptanz als ein Pflegeroboter. Die Frage der Ethik im Robotereinsatz ist ein wesentlicher Aspekt für die Einführung von SAR-unterstützten Prozessen. Der Beitrag von SAR-Unterstützung in Pflege- und Betreuungsprozessen lässt sich anhand von Beispielen quantifizieren und muss im Rahmen eines Living Labs evaluiert werden. 203

206 4.3. Fit für zu Hause Im Projekt Fit für zu Hause wird ein weiterer Aspekt der Neuen Effizienz relevant: hier wurde im Rahmen einer Masterarbeit der FH Oberösterreich belegt, dass durch innovative, sektorübergreifende neue Versorgungsprozesse in den überwiegend öffentlich bzw. beitragsfinanzierten Sektoren Gesundheit, Soziales und Sozialversicherung bis zu 34% der IST- Kosten reduziert und dabei die Versorgungs- und Lebensqualität für geriatrische Patienten verbessert werden kann (vgl. Grabner, 2019). Sektorübergreifende Prozesse sind nicht nur möglich, sondern essentiell nötig, um die Versorgung im Bereich der Geriatrie langfristig zu sichern. Die Bereitschaft der Systempartner im operativen Bereich für die Entwicklung innovativer Konzepte und deren testweiser Umsetzung ist gegeben. Spezielle Herausforderungen liegen in der geringen Innovationsbereitschaft der Sektoren Gesundheit und Soziales begründet. Rechtliche Rahmenbedingungen lassen vordergründig wenig Veränderung zu; der Spielraum muss maximal ausgenutzt werden. REFERENZEN Brandl P. & Ehrenmüller I. (2019): pqms extended Neues Qualitätsmanagementsystem für die Langzeitpflege Ehrenmüller I., Hasenauer R. & Belviso C. (2019): Social Assistive Robots for Elderly Care: The New Efficiency in the Context of Triple Bottom Line and Digitization, PICMET 2019 (conditionally accepted paper) Grabner V. (2017): Prozessorientierte Kalkulation der Essensversorgung in Alten- und Pflegeheimen, Bachelorarbeit, Linz 2017, nicht veröffentlicht Grabner, V. (2019). Fit für zu Hause Konzeption einer Übergangsversorgung für geriatrische PatientInnen nach den Krankenhausaufenthalt. Linz, unveröffentlichte Masterarbeit (in Begutachtung) Hasenauer R. & Ehrenmüller I. (2019): Pflege und Digitalisierung, Tischvorlage zum Workshop des Wiener Wirtschaftskreises, Pavillon Burg des Parlaments, 20. März 2019, Kriegel J., Ehrenmüller I., Grabner V. & Tuttle-Weidinger L., (2019). Sozial assistive Roboter (SAR) in der stationären Altenversorgung. Wien, dhealth 2019, poster-präsentation Träger, T. (2018). Organisation. München, Vahlen kompakt 204

207 Wahrnehmung von digitalem Stress im Arbeitsalltag Thomas Fischer 1, René Riedl 1, 2 1 FH Oberösterreich Campus Steyr, Wehrgrabengasse 1-3, 4400 Steyr, Österreich, thomas.fischer@fh-steyr.at, rene.riedl@fh-steyr.at 2 Johannes Kepler Universität Linz, Altenbergerstraße 69, 4040 Linz, Österreich 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ Digitaler Stress (oft auch als Technostress bezeichnet) ist ein Phänomen, welches durch die direkte Interaktion mit digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie durch die ständige Allgegenwärtigkeit von IKT in der Gesellschaft zustande kommt (Riedl, 2013). Digitaler Stress kann dabei zu einer Reihe negativer Folgeerscheinungen führen; Beispiele sind emotionale Erschöpfung (Ayyagari, Grover, & Purvis, 2011), physiologische Belastung in Form von erhöhtem Blutdruck oder gesteigerte Ausschüttung von Stresshormonen (Riedl, 2013), verringerte Produktivität (Tarafdar, Tu, & Ragu-Nathan, 2010) und verringerte Arbeitsplatzzufriedenheit (Ragu-Nathan, Tarafdar, Ragu-Nathan, & Tu, 2008). Auch im deutschsprachigen Raum ist dieses Phänomen weit verbreitet, wie etwa in einer aktuellen Studie von Gimpel et al. (2018) mit einer repräsentativen Stichprobe für deutsche Arbeitnehmer (N = 2,640) festgestellt wurde. Bislang mangelt es in der Forschung zum digitalen Stress jedoch an Längsschnittstudien (Fischer & Riedl, 2015). Dies ist problematisch, da die Forschung zum digitalen Stress vor allem auf Fragebogen-Instrumenten mit Querschnittsdesign aufbaut (Fischer & Riedl, 2017), welche nur eine Momentaufnahme zulassen und somit ist nicht geklärt, wie zeitlich stabil die Erhebung von digitalem Stress mit diesen Instrumenten ist. Das dominante Instrument in diesem Bereich, der "Technostress Creators"-Fragebogen (Ragu-Nathan et al., 2008), wurde daher im Zuge einer Fallstudie mehrfach angewendet, um unter anderem Rückschlüsse darüber ziehen zu können, ob dessen Komponenten eine ähnliche zeitliche Stabilität aufweisen. 2 THEORETISCHER RAHMEN Theorien aus der organisationalen Stressforschung sind auch in der Forschung zum digitalen Stress weit verbreitet (Fischer & Riedl, 2015). Ein wesentlicher Bestandteil der Theorien in diesem Bereich ist die zentrale Bedeutung individueller Wahrnehmungen der Umgebung und die Bewertung von Situationen als mögliche Bedrohungen für das eigene Wohlbefinden (z. B. "Appraisal" in der Transaktionalen Stresstheorie von Lazarus & Folkman, 1984). Die zentrale Aussage dieser Theorie lautet, dass sich die individuelle Wahrnehmung identischer Situationen zwischen Personen unterscheiden kann (z. B., Cummings & Cooper, 1998, p. 106: " one individual's hell may be another individual's heaven ). Zudem kann angenommen werden, dass diese Wahrnehmung nicht stabil, sondern situationsspezifisch ist, da sich Umstände verändern können, etwa durch individuelle oder organisationale Einwirkungen (z. B. langsame Antwortzeiten eines Computers, die insbesondere dann als störend wahrgenommen werden, wenn Zeitdruck bei der Nutzung des Computers besteht; (Boucsein, 2009). 205

208 In der Forschung zum digitalen Stress hat sich für die Erhebung von Stresswahrnehmungen das Fragebogen-Instrument der "Technostress Creators" (Ragu-Nathan et al., 2008) in den letzten Jahren vermehrt durchgesetzt (Sarabadani, Carter, & Compeau, 2018). Dieses Instrument besteht aus fünf Faktoren (Overload, Complexity, Invasion, Uncertainty, Insecurity), die im Konstrukt "Technostress" vereint sind. Diese Faktoren sind als Manifestationen von Technostress konzipiert (Faktor 2. Ordnung mit fünf reflektiven Faktoren 1. Ordnung sowie reflektiven Indikatoren), wobei deren zeitlicher Rahmen augenscheinlich unterschiedlich ausgeprägt ist. Gemeinsam mit einem weiteren Faktor, der in bisheriger Forschung vorgestellt wurde (Unreliability, Fischer, Pehböck, & Riedl, 2019; Fischer & Riedl, 2015; Riedl, Kindermann, Auinger, & Javor, 2012), wurde diese zeitliche Stabilität untersucht. 3 METHODISCHES VORGEHEN Im Rahmen einer Fallstudie zum digitalen Stress am Arbeitsplatz in einem Medienunternehmen in Salzburg wurden zu drei Zeitpunkten Fragebogen-Daten im Zeitraum Dezember 2017 bis Juni 2018 erhoben. Um eine Vergleichbarkeit der Erhebungszeiträume zu gewährleisten (d. h. keine wesentlichen Abweichungen beispielsweise in den Tätigkeiten der teilnehmenden Personen aufgrund saisonaler Veränderungen), wurden zudem Interviews durchgeführt. Zu Beginn der Studie erklärten sich 16 Personen dazu bereit, an der Fallstudie teilzunehmen, wobei schlussendlich fünf Personen an allen drei Befragungen teilnahmen. Diese fünf Personen bilden daher die Basis für diese explorative Untersuchung. Die sechs zu untersuchenden Faktoren von digitalem Stress sind dabei Techno-overload ("too much" Beispiel für ein Fragebogen-Item: "Durch IKT sehe ich mich gezwungen, schneller zu arbeiten."), Technoinvasion ("always connected" Beispiel für ein Fragebogen-Item: "Ich bin selbst während des Urlaubs auf Grund von IKT mit meiner Arbeit verbunden."), Techno-complexity ("difficult" Beispiel für ein Fragebogen-Item: "Ich finde IKT oftmals zu komplex, um diese zu verstehen und zu nutzen."), Techno-insecurity ("uncomfortable" - Beispiel für ein Fragebogen-Item: "Durch neue IKT sehe ich ständig meinen Arbeitsplatz in Gefahr."), techno-uncertainty ("too often and unfamiliar" - Beispiel für ein Fragebogen-Item: "In unserer Organisation gibt es ständig Veränderungen bei IT-Software.") und Techno-unreliability ("too unstable" - Beispiel für ein Fragebogen-Item: " Ich finde, dass ich zu viel Zeit mit der Behebung von technischen Störungen verbringe.") (Fischer et al., 2019; Fischer & Riedl, 2015; Ragu-Nathan et al., 2008). 4 ERGEBNISSE Die Ergebnisse der Erhebungen sind in Tabelle 1 dargestellt, wobei sich der Mittelwert auf alle fünf Personen und alle drei Erhebungszeitpunkte bezieht. In der Spalte "within" ist die durchschnittliche Standardabweichung je Person über die Erhebungszeitpunkte hinweg zusammengefasst und zum Vergleich in der Spalte "between" die durchschnittliche Standardabweichung je Erhebungszeitpunkt über die Personen hinweg. Zudem wird der relative Anteil der Standardabweichung anhand des Mittelwerts noch zusätzlich dargestellt, um die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Es zeigt sich, dass zwischen den Personen ("between") Unterschiede bestehen, wie dies in der bisherigen Forschung regelmäßig untersucht wurde (z. B. möglicher Einfluss individueller Computer-Self Efficacy, welcher die hohe Standardabweichung im Fall von Complexity erklä- 206

209 ren könnte, Shu, Tu, & Wang, 2011). Im Fall der zeitlichen Stabilität ("within") zeigen sich ebenso wesentliche Unterschiede zwischen den Faktoren, wobei diese jedoch geringer ausfallen als zwischen den Personen ("between"). Diese ersten Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass weitere Untersuchungen der zeitlichen Stabilität der Faktoren nötig sind. Faktor T1 T2 T3 Ø St. abw. (within) St. abw. (between) Overload 2,97 2,24 2,89 2,74 0,35 (13%) 0,82 (30%) Invasion 3,58 3,43 3,00 2,96 0,41 (14%) 0,99 (33%) Complexity 2,88 2,44 2,87 2,85 0,64 (22%) 1,22 (43%) Insecurity 2,00 1,66 1,75 1,57 0,35 (22%) 0,39 (25%) Uncertainty 3,91 3,43 4,71 4,25 0,59 (14%) 0,63 (15%) Unreliability 2,71 1,60 2,13 1,94 0,52 (27%) 0,70 (36%) Tabelle 1. Mittelwerte und Standardabweichungen der Faktoren auf Basis N = 5 In einigen Fällen ist die Stabilität bzw. der Mangel an Stabilität intuitiv nachvollziehbar. So weist die Wahrnehmung von unzuverlässiger Technologie (z. B. lange Ladezeiten oder Softwareabstürze) eine geringe zeitliche Stabilität auf, da entsprechende Situationen in unregelmäßigen Abständen auftreten können. Unsicherheit (Insecurity) in Bezug auf die Arbeitssituation hingegen weist eine hohe zeitliche Stabilität, ebenso wie Unsicherheit (Uncertainty) in Bezug auf technologische Veränderungen, da beide Formen der Wahrnehmung weitgehend unabhängig von spezifischen Situationen sind und ein generelles Unwohlsein ausdrücken. Überraschender sind die Ergebnisse für die anderen drei Stressoren. Im Fall von Overload und Invasion wurde ursprünglich eine geringere zeitliche Stabilität angenommen, da diese Stressoren auch durch vereinzelte Ereignisse beeinflusst werden können (z. B. "Invasion" im Urlaub oder "Overload" durch eine Flut von s). Eine mögliche Erklärung für die hohe zeitliche Stabilität dieser Faktoren ist das gewählte organisationale Umfeld der Fallstudie. Durch Regelungen im Unternehmen (z. B. starke Trennung zwischen Arbeit und Beruf sowie hohe Flexibilität bei Belastungsspitzen im Arbeitsumfeld) können diese Stressoren auf einem stabilen Niveau gehalten werden. Für den letzten Stressor, Complexity, wurde eine höhere zeitliche Stabilität angenommen, da es sich hierbei wieder um eine allgemeine Wahrnehmung in Bezug auf Technologie und die eigenen Fähigkeiten handelt. Eine potenzielle Erklärung könnte hierbei wiederum das organisationale Umfeld sein. Es handelt sich um ein kleines Unternehmen, in dem technologische Veränderungen unregelmäßig vorkommen und meist aufgeschoben werden, bis sich der Aufwand einer Umstellung lohnt. Dementsprechend ist der Sprung an zusätzlichem Know-How seitens der Mitarbeiter höher als dies bei laufenden Anpassungen der Fall wäre. Dies könnte erklären, weshalb die Komplexität der Technologie im Unternehmensumfeld je nach Zeitpunkt der Befragung unterschiedlich wahrgenommen wird. Derartige Unterschiede aufgrund organisationaler Gegebenheiten deuten darauf hin, dass weitere Forschung zu diesem Themenkomplex in unterschiedlichen Unternehmenskontexten nötig ist. Diese explorative Untersuchung zeigt, dass der Zeitpunkt bei Erhebungen mit Technostress-Bezug entscheidend ist. Da sich die zeitliche Stabilität der beschriebenen Faktoren jedoch offenbar unterscheidet und nicht vollständig geklärt ist, mit welchen Umfeldfaktoren dies in Zusammenhang steht, sollten Längsschnittuntersuchungen präferiert werden. Mehrere Erhebungen durchzuführen führt dazu, dass der spezifische Zeitpunkt einer Erhebung einen weniger signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse hat, als dies bei einer Querschnittsuntersuchung der Fall wäre. 207

210 REFERENZEN Ayyagari, R., Grover, V., & Purvis, R. (2011). Technostress: Technological Antecedents and Implications. MIS Quarterly, 35(4), Boucsein, W. (2009). Forty Years of Research on System Response Times What Did We Learn from It? In C. M. Schlick (Ed.), Industrial Engineering and Ergonomics (pp ). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. 8_42 Cummings, T. G., & Cooper, C. L. (1998). A Cybernetic Theory of Organizational Stress. In C. L. Cooper (Ed.), Theories of organizational stress (pp ). Oxford, New York: Oxford University Press. Fischer, T., Pehböck, A., & Riedl, R. (2019). Is the Technostress Creators Inventory Still an Up-To-Date Measurement Instrument? Results of a Large-Scale Interview Study. In T. Ludwig & V. Pipek (Eds.), 14. Internationale Tagung Wirtschaftsinformatik (pp ). Fischer, T., & Riedl, R. (2015). Theorizing Technostress in Organizations: A Cybernetic Approach. In O. Thomas & F. Teuteberg (Eds.), Proceedings of the 12th International Conference on Wirtschaftsinformatik (pp ). Fischer, T., & Riedl, R. (2017). Technostress Research: A Nurturing Ground for Measurement Pluralism? Communications of the Association for Information Systems, 40(1), Gimpel, H., Lanzl, J., Manner-Romberg, T., & Nüske, N. (2018). Digitaler Stress in Deutschland: Eine Befragung von Erwerbstätigen zu Belastung und Beanspruchung durch Arbeit mit digitalen Technologien (Working Paper, Forschungsförderung No. 101). Düsseldorf, Germany. Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, Appraisal, and Coping. New York: Springer Pub. Co. Ragu-Nathan, T. S., Tarafdar, M., Ragu-Nathan, B. S., & Tu, Q. (2008). The Consequences of Technostress for End Users in Organizations: Conceptual Development and Empirical Validation. Information Systems Research, 19(4), Riedl, R. (2013). On the Biology of Technostress: Literature Review and Research Agenda. DATA BASE for Advances in Information Systems, 44(1), Riedl, R., Kindermann, H., Auinger, A., & Javor, A. (2012). Technostress from a Neurobiological Perspective - System Breakdown Increases the Stress Hormone Cortisol in Computer Users. Business & Information Systems Engineering, 4(2),

211 Sarabadani, J., Carter, M., & Compeau, D. R. (2018). 10 Years of Research on Technostress Creators and Inhibitors: Synthesis and Critique. In AIS (Ed.), Proceedings of AMCIS Shu, Q., Tu, Q., & Wang, K. (2011). The Impact of Computer Self-Efficacy and Technology Dependence on Computer-Related Technostress: A Social Cognitive Theory Perspective. International Journal of Human-Computer Interaction, 27(10), Tarafdar, M., Tu, Q., & Ragu-Nathan, T. S. (2010). Impact of Technostress on End-User Satisfaction and Performance. Journal of Management Information Systems, 27(3),

212 210

213 Akzeptanzstudie zum fahrerlosen Fahren von Regionalbahnen Franziska Cecon 1, Renate Kränzl-Nagl 1, Tina Ortner 1 1 FH Oberösterreich Campus Linz, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich, franziska.cecon@fh-linz.at, renate.kraenzl-nagl@fh-linz.at, tina.ortner@fh-linz.at 1 EINLEITUNG Autonom- bzw. selbststeuernde Fahrzeuge werden zukünftig sehr wahrscheinlich einen fixen Bestandteil der täglichen Mobilität einnehmen. Während das autonome Fahren bei PKWs breit medial diskutiert wird, finden autonom fahrende Züge in der Öffentlichkeit kaum Beachtung, obwohl der automatisierte Verkehr in einigen Bereichen, wie z.b. in U-Bahn-Systemen, bereits umgesetzt ist. Da in Österreich mehr als die Hälfte der Einwohner in den Regionen außerhalb großer Städte lebt, sollte neben dem städtischen auch dem regionalen Verkehr ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Regionalbahnstrecken dienen in den ländlichen Gegenden der lokalen Erschließung und sind für die Regionen ein wichtiges Mobilitätsangebot. Um den Transport von Personen mit Schienenfahrzeugen auf Nebenstrecken attraktiver und energieeffizienter zu gestalten, fokussierte das FFG-Forschungsprojekt autobahn2020 auf die Entwicklung autonom fahrender Regionalbahnen. Neben den technologischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ist auch die Akzeptanz durch die Fahrgäste autonom fahrender Regionalbahnen für den gewünschten Erfolg unerlässlich und war zentrales Interesse dieser Studie. Für das Verständnis wichtig ist die besondere Ausgangslage beim schienengeführten Regionalverkehr, die sich anders als bei Straßenbahnen, im städtischen Umfeld oder sog. People Movern, wie sie z.b. bei Flughäfen im Einsatz sind, darstellt. Zum einen werden höhere Geschwindigkeiten erreicht, wodurch das Fahren auf Sicht nicht mehr immer möglich ist. Zum anderen gibt es neben den zahlreichen Haltestellen auch weitere Schnittstellen zu anderen Verkehrsteilnehmern bzw. Zugangsmöglichkeiten wie z.b. Bahnübergänge oder auch der freie Zugang auf offenen Strecken. Diese Rahmenbedingungen sind hinsichtlich der Akzeptanz durch die Fahrgäste mitzudenken. 2 ZIELSETZUNG UND FORSCHUNGSFRAGEN Da kaum Daten oder Studienergebnisse zur Akzeptanz von autonom fahrenden Schienenfahrzeugen durch BahnfahrerInnen verfügbar sind, war die Zielsetzung der Studie, die Erhebung der Sichtweise von ExpertInnen und vor allem Fahrgästen von Regionalbahnen zum fahrerlosen Fahren. Differenziert wurde zudem nach Nutzerverhalten, Bedürfnissen der Reisenden, ebenso wie Assoziationen, Gefühle, gewünschte Voraussetzungen sowie Vor- und Nachteile selbstfahrender Regionalzüge. Insbesondere war auch von Interesse, was diese Personen darüber denken und welche Maßnahmen die Akzeptanz unterstützen bzw. erhöhen können. Letztlich sollten durch autonom fahrende Regionalbahnen, die z.b. bessere Taktfrequenzen anbieten, v.a. auch an Wo- 211

214 chenenden oder Tagesrandzeiten, die Fahrgastzahlen erhöht werden können und der Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel ermöglicht werden. Daher bearbeitete die Studie konkret folgende Forschungsfragen: Welche Entwicklungen zeigen sich im Kontext des autonomen Fahrens im Allgemeinen und welche in Bezug auf selbstfahrende Regionalzüge im Besonderen? Welche Gruppen von Fahrgästen, die Regionalbahnen nutzen, können identifiziert werden und lässt sich deren Nutzerverhalten beschreiben? Wie hoch ist die Akzeptanz von selbstfahrenden Zügen bei diesen Fahrgästen? Zeigen sich diesbezüglich Unterschiede nach Merkmalen der Bahnen und der Fahrgäste (soziodemografische Merkmale, Häufigkeit der Nutzung, Kompetenzen)? Welche Maßnahmen zur Erhöhung der Akzeptanz von selbstfahrenden Zügen lassen sich aus den empirischen Ergebnissen ableiten? In diesem Abstract werden vor allem die letzten beiden Forschungsfragen aufgegriffen. 3 METHODISCHES VORGEHEN Das Untersuchungsdesign des Projektes zeichnet sich durch eine Kombination qualitativer und quantitativer Befragungen aus, denen eine umfassende Recherche und Analyse von themenrelevanter Literatur, insbesondere empirischen Studien, voranging. Durch die Methodenkombination (Triangulation) konnten die Vorteile des jeweiligen methodischen Zugangs genutzt und gleichzeitig deren Nachteile kompensiert werden. Der sukzessive Einsatz der Erhebungsinstrumente, bei dem qualitative Interviews mit ExpertInnen explorativ vor einer Fahrgastbefragung in Regionalbahnen durchgeführt wurden, unterstützte diesen Effekt. So konnte im Zuge der qualitativen Befragung von Experten (10 aus den Bereichen Wissenschaft, Verkehrsunternehmen, Verkehrspsychologie) ein reichhaltiger Einblick in Themen rund um die Akzeptanz von selbstfahrenden Zügen gewonnen werden, der für die Entwicklung des Fragebogens (24 Fragen, davon 3 offene, plus demografische und nutzerspezifische Merkmale (6 Fragen)) der Fahrgastbefragung (in 4 Regionalbahnen in Oberösterreich und der Steiermark mit über 1500 Befragten (n = 1513)) sehr wertvoll war. Nach Dateneingabe und -bereinigung (SPSS) wurden deskriptive Auswertungen und Kreuztabellen erstellt. Die gewonnenen Erkenntnisse aus den Interviews stellten eine wertvolle Hilfe bei der Interpretation der Ergebnisse aus der Fahrgastbefragung dar. Das Forschungsdesign zeichnete sich des Weiteren durch Multiperspektivität aus, indem Sichtweisen verschiedener Akteure, respektive ExpertInnen aus verschiedenen Bereichen sowie Fahrgästen, die Regionalbahnen nutzen, erfasst wurden. Erkenntnisse aus beiden empirischen Erhebungen wurden schließlich reflektiert und diskutiert, um daraus in weiterer Folge Handlungsempfehlungen abzuleiten. 212

215 4 ERGEBNISSE DER ERHEBUNGEN 4.1 Ausgewählte Ergebnisse aus den Literaturrecherchen Interessante Erkenntnisse ergaben sich aus Studien zur Akzeptanz zu autonom fahrenden Fahrzeugen im Straßenverkehr, die für die Operationalisierung der quantitativen Erhebung wertvoll waren. Exemplarisch seien hier einige angeführt: Eine empirische Untersuchung von Gladbach & Richter von Detecon International zeigt eine vergleichsweise positive Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber der potentiellen Nutzung autonom fahrender Fahrzeuge. Immerhin kann sich etwa die Hälfte der Befragten vorstellen, ein autonomes Fahrzeug zu nutzen. Etwa ein Drittel lehnt die Nutzung hingegen ab (Gladbach & Richter, 2016, p. 9). Eine Studie der Ernst & Young GmbH zeigt auf, dass Autofahrer vermehrt dann bereit sind, in ein autonomes Fahrzeug zu steigen, wenn eigenes Eingreifen möglich ist. Insgesamt können sich 42 % vorstellen bzw. vielleicht vorstellen, in einem autonomen Auto ohne menschlichen Eingriff unterwegs zu sein. Im Gegensatz dazu, wären sogar zwei Drittel dazu bereit, wenn das Eingreifen in der Not möglich wäre (Ernst & Young GmbH, 2013, p. 3). Eine weltweite Studie von Deloitte zum Thema selbstfahrender Autos hat den Aspekt der Sicherheit genauer betrachtet, wobei sich zeigt, dass knapp drei Viertel der befragten Deutschen der Meinung sind, dass vollautomatisierte Fahrzeuge nicht sicher sind (Deloitte Development LLC, 2017, p. 6). Aus diesen Studien lässt sich eine positive Grundhaltung zum Thema autonomes Fahren ableiten, relevant sind jedoch die Rahmenbedingungen (z.b. Eingreifen in Notsituationen) und die Sicherheit, was sich auch in der Fahrgastbefragung widergespiegelte. Ihre Ergebnisse werden anschließend kurz vorgestellt. 4.2 Ausgewählte Ergebnisse aus der Fahrgastbefragung Als Hauptmotiv für die Nutzung der Bahn wurde die passende Verbindung angegeben, was sich in den meistgenannten Vorteilen selbstfahrender Regionalbahnen widerspiegelt, nämlich in einer höheren Taktfrequenz, in günstigeren Tickets und in pünktlicheren Zügen, was die zugrundeliegende Hypothese bestätigt. 213

216 Abbildung 1. Vorteile selbstfahrender Züge (n=1199). Die Fahrgastbefragung verdeutlichte auch, dass die Sicherheit einen zentralen Stellenwert einnimmt. Für knapp 70 % wird die Sicherheit beim Bahnfahren generell als sehr wichtig erachtet und sogar etwas mehr fühlen sich während des aktuellen Betriebes auch tatsächlich sehr sicher. Hinsichtlich des Zukunftsszenarios der autonom fahrenden Regionalbahnen würde sich jedoch insgesamt etwas mehr als die Hälfte der Befragten vergleichsweise unsicherer fühlen. Knapp die Hälfte prognostiziert zudem ein höheres Unfallrisiko bei selbstfahrenden Zügen im Vergleich zum derzeitigen Bahnbetrieb. Dennoch können sich zwei Drittel aller befragten Fahrgäste vorstellen, einen selbstfahrenden Zug ohne Lokführer zu nutzen. Signifikant häufiger ist die Akzeptanz bei Männern, jüngeren Fahrgästen, Vielfahrern und Fahrgästen der Linzer Lokalbahn. Unter bestimmten Voraussetzungen, wie einer ausgereiften Technik, einer externen Überwachung sowie einer Sprechverbindung in Notfällen wäre es sogar für rund 87 % vorstellbar. Es ist zudem entscheidend, dass autonom fahrende Regionalbahnen von Beginn an ohne Probleme und Zwischenfälle verkehren, um das Vertrauen der Fahrgäste zu gewinnen. Die Nachteile von selbstfahrenden Zügen sehen die befragten Fahrgäste in einer zunehmenden Verschmutzung, mehr Vandalismus und einer fehlenden Unterstützungsmöglichkeit bei Bedarf, wie die nachfolgende Abbildung zeigt. 214

217 Abbildung 2. Nachteile selbstfahrender Züge (n=1305). Als Ablehnungsgrund wurde außerdem häufig der fehlende menschliche Faktor genannt, was wiederum Unsicherheit auslöst. Insgesamt gab die Hälfte der Befragten in der Erhebung an, aktuell einen Zugbegleiter zu benötigen, und ihn auch zukünftig für die Nutzung einer selbstfahrenden Bahn vorauszusetzen. Ebenso beschreiben die ExpertInnen in den Interviews die Notwendigkeit von Personal in autonom fahrenden Zügen, zumindest für die Umstellungsphase. 5 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Insgesamt wurden 13 Handlungsempfehlungen ausgearbeitet. Sie reichen von einer koordinierten Verkehrs- und Siedlungspolitik, über eine bessere Abstimmung von Ver- und Anbindungen bis hin zu verschiedenen Begleitmaßnahmen, die den Reiseprozess insgesamt vereinfachen, wo derzeit teilweise die TriebfahrzeugführerInnen eine bedeutende Rolle spielen. Wichtig ist auch, die bestehenden Ängste der Fahrgäste ernst zu nehmen. Die bereits relativ hohe Akzeptanz für selbstfahrende Regionalbahnen kann durch zielgruppengerechte Angebote und Kommunikation, die die unterschiedlichen Einstellungen, Bedürfnisse und Anforderungen der Nutzergruppen berücksichtigen, weiter positiv beeinflusst werden. Eine Befragung potenzieller Fahrgäste sollte angeregt werden, um auch deren Bedürfnisse adäquat zu berücksichtigen. 215

218 REFERENZEN Deloitte Development LLC (2017). What s ahead for fully autonomous driving. Consumer o- pinions on advances vehicle technology, New York. Ernst & Young GmbH (2013). Autonomes Fahren die Zukunft des Pkw-Marktes? Ergebnisse einer Befragung von Verbrauchern in Deutschland, Stuttgart. Gladbach, S. & Richter, L. (2016). Autonomes Fahren: Wenn das Lenkrad zur Sonderausstattung wird. Eine empirische Untersuchung der Akzeptanz autonom fahrender Fahrzeuge. Köln. 216

219 Machine Learning in Medizin- und Bioinformatik Wie künstliche Intelligenz hilft, biologische und medizinische Prozesse zu verstehen Stephan Winkler 1,2,4, Susanne Schaller 1, Viktoria Dorfer 1, Gabriel Kronberger 2,3, Michael Affenzeller 2,4 1 FH Oberösterreich, Campus Hagenberg, Forschungsgruppe Bioinformatik 2 FH Oberösterreich, Campus Hagenberg, Heuristic and Evolutionary Algorithms 3 FH Oberösterreich, Campus Hagenberg, Josef-Ressel-Zentrum für Symbolische Regression 4 Johannes Kepler Universität Linz, Fachbereich Informatik stephan.winkler@fh-hagenberg.at, susanne.schaller@fh-hagenberg.at, viktoria.dorfer@fh-hagenberg.at, gabriel.kronberger@fh-hagenberg.at, michael.affenzeller@fh-hagenberg.at 1 EINLEITUNG Bei vielen Fragen in der Biologie und auch in der Medizin ist es essentiell notwendig Zusammenhänge zu identifizieren, um das Verhalten unterschiedlicher Systeme und Prozesse besser verstehen, prädiktieren und optimieren zu können. Beispielsweise beschäftigen sich ForscherInnen damit, Prädiktionsmodelle für Tumormarker und Krebsdiagnosen zu identifizieren, Abstoßungsvorgänge nach Transplantationen frühzeitig zu erkennen, richtige Proteinidentifikationen von falschen zu unterscheiden, komplikative Fälle bei medizinischen Behandlungen möglichst bald als solche zu erkennen, und Unterschiede im Verhalten von Zellen anhand von Mikroskopie-Aufnahmen zu entdecken, um Krankheiten nachzuweisen. Maschinelles Lernen kann bei all diesen Problemstellungen verwendet werden, um ausgehend von Trainingsdaten mathematische Modelle zu identifizieren, welche im tatsächlichen Einsatz Aussagen über neue, bisher ungesehene Fälle treffen können. 2 MASCHINELLES LERNEN Die Grundlage für die Lösung der oben genannten Problemstellungen liegt in Datenbasen, in welchen zahlreiche Beispiel-Situationen gespeichert sein müssen, um generelle Zusammenhänge erkennen zu können. Methoden des maschinellen Lernens können diese verwenden, um Zusammenhangs- und Prognosemodelle zu lernen. Unter maschinellem Lernen (ML) versteht man im Allgemeinen den Bereich der Informatik, der sich der Entwicklung von Methoden zum Lernen von Wissen und Modellen aus gegebenen Daten widmet. Beim überwachten maschinellen Lernen erhält der Modellierungsalgorithmus Beispiel-Datensätze, die aus Input-Variablen (erklärenden Variablen, engl. features) sowie Ziel- bzw. Ausgabewerten (erklärten Variablen, target values) bestehen. Das Ziel be- 217

220 steht dann darin, ein Modell (oder eine Menge von Modellen) zu finden, dass die Eingabewerte den angegebenen Zielvariablen zuordnen kann. Unter Regressionsanalyse versteht man - im Kontext von Informatik und Statistik - das Set von Techniken und Prozessen zur Lösung von beaufsichtigten Lernproblemen. Das Ziel besteht darin, Modelle zu finden, die die Beziehung zwischen abhängigen (Ziel-) Variablen und unabhängigen (Eingabe-) Variablen beschreiben: Für jede Zielvariable y besteht das Ziel darin, eine Funktion f(x) zu finden, sodass y=f(x)+ε, wobei x ein Vektor unabhängiger Variablen ist und ε der Fehler-Term. 2.1 Black-Box- vs. White-Box-Modellierung Wir verwenden in unseren Forschungsprojekten sowohl Black-Box als auch White-Box- Modellierungsverfahren. Black-Box-Techniken sind Methoden, die Modelle erzeugen, deren interne Funktionsweise entweder verborgen oder zu kompliziert ist, um sie zu analysieren und zu verstehen. White-Box-Modellierung hingegen erzeugt Modelle, deren Struktur nicht verborgen ist, sondern detailliert analysiert werden kann. Wir verwenden die folgenden Black-Box-Verfahren: Künstliche neuronale Netze Random Forests Support-Vektor-Maschinen Bei all diesen Methoden wird jeweils eine grundlegende Modellstruktur angenommen, und während der Trainingsphase werden die Parameter optimiert. Darüber hinaus gibt die Struktur des Modells keine Informationen über die Struktur des analysierten Systems. Die Modelle werden daher als Black-Box-Modelle verwendet. Als White-Box-Verfahren hingegen verwenden wir (neben der linearen Regression) symbolische Regression. Diese implementiert induktive Modellierung, d.h. wir nehmen keine bestimmte Form oder allgemeine Struktur der Funktion an; wir versuchen, die Funktion f rein datenbasiert zu identifizieren. Unter Verwendung einer Reihe von Grundfunktionen wenden wir genetische Programmierung (GP) an, ein evolutionäres Verfahren, das symbolische Regressionsmodelle als Kombinationen von Grundfunktionen bildet. Da die Komplexität dieser Modelle begrenzt ist, ist der Prozess gezwungen, nur relevante Variablen in die Modelle aufzunehmen. Zusätzlich kann multikriterielle Optimierung verwendet werden, um den Suchprozess in Richtung kompakterer und kürzerer Modelle zu führen. Diese Informationen zeigen variable Interaktionen, die als Interaktionsmodelle dargestellt werden können. Der Einfluss kann dabei unterschiedlich ermittelt werden, entweder durch die Auswahl der relevanten Variablen im Zuge von evolutionären Prozessen oder durch signifikante Verschlechterung der Performance der Modelle nach Entfernen der Variablen aus der Datenmenge. 2.2 Maschinelles Lernen in HeuristicLab Die Umsetzungsplattform für die Modellierung sowie die Analyse der Modelle bildet dabei das HeuristicLab (HL, ForscherInnen der Forschungsgruppe HEAL am Campus Hagenberg der FH OÖ haben zahlreiche ML-Verfahren in HL implementiert, dieses wird in zahlreichen Forschungsprojekten eingesetzt. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für den Einsatz von gentischer Programmierung in HL. Ein erweiterter Ansatz im Zusammen- 218

221 hang mit ML ist die Identifikation von Zusammenhangsnetzwerken, wie in Abbildung 2 dargestellt. Dies bedeutet, dass nicht nur eine Zielvariable definiert wird, sondern zahlreiche Variablen modelliert werden durch alle anderen, und die Modelle analysiert werden in Bezug darauf, welche Variablen wie wichtig sind für die Berechnung von anderen Variablen, d.h. welchen Einfluss sie auf andere haben. Abbildung 1. links: Lösen eines Klassifikationsproblems mit genetischer Programmierung in HL; rechts: Variablen-Interaktions-Netzwerk, identifiziert für medizinische Daten des Zentrallabors des KUK Linz 3 ERGEBNISSE In zahlreichen Forschungsprojekten verwenden wir ML-Verfahren, um konkrete Fragestellungen aus Biologie und Medizin zu lösen: Im Rahmen des K2-Zentrums FFOQSI identifizieren wir in Zusammenarbeit mit Bergkräuter Prognosemodelle für die Qualität von landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf Basis von Verarbeitungsparametern. Im Rahmen des Zentrums für technische Innovation in der Medizin (TIMed Center der FH OÖ) haben wir mit ForscherInnen der FH OÖ am Campus Steyr Zusammenhangsmodelle identifiziert, die für Krankheits- und Behandlungsdaten von PatientInnen das Auftreten von Komplikationen vorhersagen. Zusammen mit Forschern am Institut für Molekulare Pathologie in Wien haben wir Klassifikationsmodelle identifiziert, welche in der Lage sind, richtige Proteinidentifikationen von falschen zu unterscheiden sowie Modifikationen von Peptiden zu erkennen (Dorfer et al., 2015). In Kooperation mit dem Zentrallabor des Kepler Universitätsklinikums in Linz haben wir virtuelle Tumormarker, d.h. Modelle für die Vorhersage von Tumormarkern, sowie Prognosemodelle für das Auftreten von Krebserkrankungen identifiziert (Winkler et al., 2014). In Zusammenarbeit mit ForscherInnen der FH OÖ am Campus Linz (Medizintechnik) wurden Klassifikationsmodelle entwickelt, welche in der Lage sind, auf der Basis von Mikroskopie-Aufnahmen den Rhesus-D-Antigen-Zustand von PatientInnen zu erkennen (Borgmann et al., 2016). Zusammen mit Forschern der Medizinischen Universität Wien (Department für Nephrologie) entwickeln wir Prognose-Modelle für die Abstoßung von transplantierten Nieren. In Zusammenarbeit mit ForscherInnen der FH OÖ am Campus Wels haben wir Zusammenhangsnetzwerke identifiziert, welche beschreiben, wie die chemischen Zusammensetzungen von unterschiedlichen Apfelsorten zusammenhängen und wie diese von Umwelteinflüssen abhängen (Lanzerstorfer et al., 2014). 219

222 Gemeinsam mit Forschern der Universität Complutense Madrid haben wir mit genetischer Programmierung Modelle entwickelt, die für Diabetes-PatientInnen in Abhängigkeit von Nahrungsaufnahme und Insulin-Injektionen den Glukose-Level im Blut prognostizieren (Hidalgo et al., 2017). REFERENZEN Borgmann, D., Mayr, S., Polin, H., Schaller, S., Dorfer, V., Gabriel, C., Winkler, S., Jacak, J. (2016). Single Molecule Fluorescence Microscopy and Machine Learning for Rhesus D Antigen Classification. Scientific Reports, 6 (article no ). Dorfer, V., Maltsev, S., Dreiseitl, S., Mechtler, K., Winkler, S. (2015). A Symbolic Regression Based Scoring System Improving Peptide Identifications for MS Amanda. Proceedings of the Genetic and Evolutionary Computation Conference GECCO 2015 (pp ), ACM, Hidalgo, J.I., Colmenar, J.M., Kronberger, G., Winkler, S., Garnica, O., Lanchares, J. (2017). Data Based Prediction of Blood Glucose Concentrations Using Evolutionary Methods. Journal of Medical Systems, 41(9), Springer. Lanzerstorfer, P., Wruss, J., Huemer, S., Steininger, A., Müller, U., Himmelsbach, M., Borgmann, D., Winkler, S., Höglinger, O., Weghuber, J.(2014). Bioanalytical Characterization of Apple Juice from 88 Grafted and Nongrafted Apple Varieties Grown in Upper Austria. Journal of Agricultural and Food Chemistry, 62(5): , ACS Publications. Winkler, S., Affenzeller, M., Kronberger, G., Kommenda, M., Wagner, S., Jacak, W., Stekel, H. (2014). On the Identification of Virtual Tumor Markers and Tumor Diagnosis Predictors Using Evolutionary Algorithms. Advanced Methods and Applications in Computational Intelligence, Topics in Intelligent Engineering and Informatics, 6 (pp ), Springer. 220

223 Beweiskraft von Bilddaten im Anbetracht der Manipulierbarkeit durch Verfahren der künstlichen Intelligenz Peter Burgstaller 1, Eckehard Hermann 1, Harald Lampesberger 1 1 FH Oberösterreich Campus Hagenberg, Softwarepark 11, 4232 Hagenberg, Österreich, peter.burgstaller@fh-hagenberg.at, eckehard.hermann@fh-hagenberg.at, harald.lampesberger@fh-hagenberg.at 1 EINLEITUNG Bei der Erstellung, Bearbeitung und der Weitergabe von virtuellen Gütern, wie digitalen Musik- und Filmmaterial und digitalen Bildern, stand aus Sicht der Informationssicherheit und des IT-Rechts in der Vergangenheit im Wesentlichen der Schutz von Urheberrechten im Vordergrund. Ein grundsätzliches Problem bei Bild- und Filmmaterial war immer schon die Interpretation des Kontexts, in dem die Aufnahmen entstanden sind. Insbesondere Fotografien und Videoaufzeichnungen haben im analogen Zeitalter die Rolle der zuverlässigen Beweismittel eingenommen, da echt wirkende Manipulationen wegen der technischen Schwierigkeit durch Laien kaum zu bewerkstelligen waren. Mit dem digitalen Zeitalter sind Werkzeuge für die Bearbeitung von Bildinhalten, zb Adobe Photoshop 1 oder GIMP 2, in der breiten Masse angekommen. Echt wirkende Ergebnisse werden heute durch Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI) zur Bild- und Filmgestaltung auch für Laien möglich, zb mittels Adobe Sensei 3. Ein weiteres Beispiel ist die FakeApp 4, mit der täuschend echte Veränderungen von Gesichtern in Filmmaterial möglich sind. Die mittels FakeApp generierten Deepfakes werden technisch überhaupt erst durch neuronale Netzwerke, einem Standard-KI-Verfahren, möglich und sorgen regelmäßig für mediale Aufmerksamkeit (Scherschel, 2018). Durch die stetige Verbreitung von KI-Verfahren und Weiterentwicklung von Anwendungen gewinnt zunehmend eine die Fragestellung an Bedeutung: Wie groß ist die Beweiskraft von digitalen Bildern und Filmaufnahmen überhaupt noch? Die Research Group Sichere Informationssysteme der FH Oberösterreich befasst sich mit dieser Fragestellung sowohl auf technischer als auch rechtlicher Ebene. Dieser Artikel fasst die aktuellen Erkenntnisse zur technischen Machbarkeit der Echtzeitmanipulation von Videostreams, einer Gegenmaßnahme mittels Trusted Platform Module (TPM) und der rechtlichen Betrachtung zusammen

224 2 MANIPULATION VON BILDERN UND FILMEN 2.1 Echtzeitmanipulation von Überwachungsvideos Um zu demonstrieren, dass mittels KI-Verfahren die Manipulation eines Videostreams in Quasi-Echtzeit möglich ist, wurde die Anwendung HEHLKAPPE im Rahmen einer Machbarkeitsstudie prototypisch implementiert (Aigner & Zeller, 2019). Das HEHLKAPPE-System verarbeitet einen Videostream, der durch einen gezielten Angriff auf eine Überwachungskamera in das System durchgeleitet wird. Aus dem Videostream werden folglich alle erkennbaren Personen entfernt. Technisch werden die Frames im Video dabei voneinander unabhängig behandelt, und die Manipulation erfolgt durch drei Komponenten. Eine Komponente lernt durch eine gleitende Durchschnittsberechnung den statischen Hintergrund im Video. Die anderen beiden Komponenten sind wiederum für die Erkennung und Segmentierung von Personen zuständig. Für die Personenerkennung wird das neuronale Netz YOLOv3 (Redmon & Farhadi, 2018), welches mit dem COCO-Datensatz (Lin et al., 2014) trainiert wurde, eingesetzt. Folglich wird eine erkannte Person mittels des CouNT-Algorithmus (Zevi, 2016) vom Hintergrund segmentiert und der Inhalt der Kontur durch den gleitenden Durchschnitt ausgetauscht. Abbildung 1 und Abbildung 2 zeigen jeweils ein Frame vor und nach der Manipulation durch das HEHLKAPPE-System. Zu beachten sind hier die Artefakte, die durch den eigenen Schatten und durch Differenzen zwischen stetig änderndem Weißabgleich der Kamera und des erlernten Hintergrunds entstehen. Abbildung 1. Originale Filmaufzeichnung. Abbildung 2. Manipulierte Videoszene. 2.2 TPM-basierter Ansatz zum Nachweis der Authentizität von Bildern Eine technische Gegenmaßnahme zum Schutz vor Manipulationen muss die Authentizität und Integrität der Bilddaten sicherstellen, sodass eine lückenlose Beweiskette vorliegt. Am Beispiel der digitalen Fotografie wurde für diesen Fall das TPM Image Signature System (TISS) prototypisch im Rahmen eines Studierendenprojekts entwickelt (Hermann et al., 2019). Mithilfe eines TPM-Chips in einem Aufnahmesystem erzeugt TISS von den Bilddaten und Metadaten eine digitale Signatur während des Bildaufnahmeprozesses noch bevor die Daten persistent im Speicher abgelegt werden. Ein TPM-Chip dient als sicherer Schlüsselspeicher und ist idealerweise so verbaut, dass er bei Manipulationsversuchen zerstört wird. Durch TISS werden sowohl die Aufnahme als auch der Aufnahmekontext, zb Positionsdaten und Uhrzeit, nachweisbar mit dem Aufnahmegerät verbunden und eine lückenlose Beweiskette wird dadurch sichergestellt. 222

225 3 KÜNSTLICHE INTELLIGENZ UND IHRE AUSWIRKUNGEN AUF UNSER RECHTSSYSTEM 3.1 KI im Privat- und Prozessrecht Medien-/Technikneutralität des Rechts bedeutet, dass ein gegebener Sachverhalt nach Reduktion der (neuen) Technologie in das bestehende Rechtssystem eingebettet und auf Basis der bestehenden Normen beurteilt wird. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass das Recht losgelöst vom Medium/von der Technologie, über das ein Sachverhalt verwirklicht wird, anzuwenden ist. Es soll also keinen Unterschied machen, ob ein Vertrag Online oder Offline bzw. schriftlich oder mündlich geschlossen oder handschriftlich oder mittels kryptografischer Verfahren signiert wird; relevant ist alleine der Inhalt des Vertrags bzw. der diesem zugrunde liegende Konsens der beteiligten Personen/Parteien (Burgstaller et al, 2019; Burgstaller/Minichmayr, 2011). Alleine auf dieser Basis erfolgt die rechtliche Einordung, bspw. in die Vertragskategorien des ABGB aus dem Jahr 1811(!). Es spielt auch keine Rolle, wie die einzelnen Handlungen oder Entwicklungen benannt werden: Ob eine Vereinbarung EULA, NDA oder Individual-Software-Nutzungsvertrag bezeichnet wird, ist grundsätzlich belanglos, entscheidend ist vielmehr der Inhalt der Vereinbarung, um dann die daraus abzuleitenden rechtlichen Konsequenzen bspw. aus einem Kaufoder Bestandsvertrag nach den 859ff ABGB zu ziehen. Genau dieser Grundsatz ist auch beim Einsatz von KI heranzuziehen in dieser Hinsicht können KI-Sachverhalte recht gut in das bestehende Rechtssystem eingebettet werden (Burgstaller & Minichmayr, 2011). Der nächste Schritt, um Sachverhalte mit KI-Bezug privatrechtlich einzuordnen ist, die KI als Sache einer Rechtsperson zuzuordnen: Für eine KI(-Anwendung) gilt daher sowie für alle anderen Sachen (Tiere) auch, dass sich aus einer KI bzw. einer KI-Anwendung ergebende Rechte und Pflichten stets auf jene Rechtsperson zurückzuführen sind, in dessen Rechtssphäre die KI tätig bzw. die KI eingesetzt wurde. So wie auch das Verhalten eines Tieres dem Halter des Tieres zugeordnet wird, gilt das auch für KI. Auch in dieser Hinsicht sind die vorhandenen Rechtsinstrumentarien durchaus geeignet, um mit KI-Sachverhalten entsprechend umgehen zu können (Spindler, 2015). Prozessual müssen KI-generierte Beweise wie konventionelle Beweismittel auch vom Grundsatz der Echtheit (also Authentizität) und Richtigkeit getragen sein. Während die Richtigkeit ganz allgemein der richterlichen Beweiswürdigung unterliegt und das Vorbringen der Prozessparteien stützen soll, ist die Echtheit eines Beweismittels grundsätzlich von demjenigen zu beweisen, der sich auf das Beweismittel beruft. Kann derjenige, der sich auf ein Beweismittel beruft (bspw. auf eine Videoaufnahme) dessen Authentizität nicht belegen bzw die nicht Authentizität ausschließen, wird die Beweisführung aufgrund dieses Beweismittels schwierig/unmöglich. 3.2 Einsatzbereich von KI und dessen normative Festlegung Bei der Betrachtung und Festlegung des Einsatzbereichs von KI sind grundlegende rechtspolitische und -philosophische Fragen einzubeziehen. Es ist dabei vor allem die Grenze zwischen Menschen und Maschinen zu thematisieren bzw. definieren, dh, was macht einen Menschen aus und was ist das einzigartige Charakteristikum des Menschen. Nur wenn diese Fragen geklärt sind, kann festgelegt werden, in welchen Bereichen sich der Einsatz von KI eignet und wo KI möglichst nicht eingesetzt werden soll (Burgstaller et al, 2019). Dabei geht 223

226 es nicht nur um die Grundwerte unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, sondern vor allem auch um die Frage, wer diese Grundwerte überhaupt festlegt (Müller/Bostrom, 2014). Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Wille der Menschen, ausgedrückt in Form eines liberalen/rechtsstaatlichen demokratischen Prozesses, und die Vernunftbegabtheit der Menschen sind die zentralen Eckpunkte, die es beim Einsatz von KI zu beachten gilt (Burgstaller et al, 2019). KI hat den Menschen zu dienen, und zwar dort, wo KI Aufgaben besser als Menschen erfüllen kann; wesentlich und entscheidend dabei ist, dass durch öffentlicherechtliche Normen sichergestellt ist, dass das Festlegen was besser ist, den Menschen vorbehalten sein muss (Hawking, 2018). Diese normative Festlegung des Einsatzbereichs von KI ist nicht/kaum vorhanden aber dringend erforderlich, um die zweifellos bestehende und zunehmende Dynamik von KI in die richtige Richtung zu lenken (Entschließung des Europäischen Parlaments, 2019). REFERENZEN Aigner, A. & Zeller, R. (2019). HEHLKAPPE: Utilizing Deep Learning to Manipulate Surveillance Camera Footage in Real-Time, 8th International Workshop on Cyber Crime, IWCC 2019, University of Kent, Canterbury, United Kingdom. (akzeptiert) Burgstaller, P., Hermann, E. & Lampesberger, H. (2019). Künstliche Intelligenz eine technische und rechtliche Einordnung. Wien, Österreich: Manz Verlag. (akzeptiert) Burgstaller, P. & Minichmayr, G. (2011). E-Commerce Recht Kommentar, 2. Auflage Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. Februar 2019 zur umfassenden europäischen Industriepolitik in Bezug auf künstliche Intelligenz und Robotik (2018/2088(INI)). Hawking, S., Kurze (2018) Antworten auf große Fragen, S. 213ff Hermann, E., Lampesberger, H., Heimberger, L. & Altenhuber, M. (2019). Authentizität und Integrität des Aufnahmekontextes von Bildern, Datenschutz und Datensicherheit DuD, 43(5), Lin, T., Maire, M., Belongie, S., Hays, J., Perona, P., Ramanan, D., Dollár, P. & Zitnick, C. L. (2014). Microsoft COCO: Common Objects in Context, European Conference on Computer Vision, ECCV 2014, LNCS 8693, , Springer, Cham. Müller, V. & Bostrom, N. (2014). Future progress in artificial intelligence: A Survey of Expert Opinion, in Vincent C. Müller (ed.), Fundamental Issues of Artificial Intelligence (Synthese Library; Berlin: Springer. Redmon, J. & Farhadi, A. (2018). YOLOv3: An Incremental Improvement, arxiv: Scherschel, F. A. (2018). Deepfakes: Neuronale Netzwerke erschaffen Fake-Porn und Hitler- Parodien, heise online, URL 224

227 Neuronale-Netzwerke-erschaffen-Fake-Porn-und-Hitler-Parodien html. (Abgerufen am ) Spindler, G. (2015). Roboter, Automation, künstliche Intelligenz, selbst-steuernde Kfz Braucht das Recht neue Haftungskategorien? CR, S.766ff. Zevi, S. (2016). Fastest background subtraction is BackgroundSubtractorCNT. URL (Abgerufen am ) 225

228 226

229 Chancengleichheit für die digitale Zukunft? Zur Entwicklung von Medienkompetenz bei sozial benachteiligten Jugendlichen Katharina Maierl 1, Christina Ortner 1, Dagmar Strohmeier 2, Tanja Jadin 1, Petra Gradinger 2 1 FH Oberösterreich Campus Hagenberg, Softwarepark 11, 4232 Hagenberg, Österreich, katharina.maierl@fh-hagenberg.at, christina.ortner@fh-hagenberg.at, tanja.jadin@fh-hagenberg.at, 2 FH Oberösterreich Campus Linz, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich dagmar.strohmeier@fh-linz.at, petra.gradinger@fh-linz.at 1 EINLEITUNG KEIN KIND OHNE DIGITALE KOMPETENZEN Kein Kind ohne digitale Kompetenzen, lautet das Ziel der Agenda digitale Bildung OÖ. Angesichts der wachsenden Bedeutung digitaler Medien hat sich das Land OÖ in dieser Agenda vorgenommen, Kinder und Jugendliche bestmöglich auf die digitale Zukunft vorzubereiten. Tatsächlich ist die Ausgangslage in oberösterreichischen Schulen aber sehr unterschiedlich. Zudem spielt der familiäre Kontext beeinflusst von der jeweiligen sozialen Lage eine zentrale Rolle für die Entwicklung von Medienkompetenz. Internationale Forschung deutet darauf hin, dass Internetkompetenzen bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status geringer ausgeprägt sind. Erweisen sich diese ersten Befunde als tragfähig, so besteht die Gefahr, dass jene, die ohnehin schon unter erschwerten Bedingungen aufwachsen, noch weiter an den Rand geraten. Will man jedem Kind unabhängig von der sozialen Herkunft einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien ermöglichen, braucht es spezifische Förderkonzepte. Fundiertes Wissen darüber, wie diese jungen Menschen Medienkompetenz entwickeln, ist dabei von zentraler Bedeutung. Ein Forschungsprojekt der Fachhochschule Oberösterreich (FH OÖ), bei dem Forscherinnen der Studiengänge Kommunikation, Wissen, Medien in Hagenberg und Soziale Arbeit in Linz zusammenarbeiten, geht dieser Frage daher genauer auf den Grund. Das Projekt mit dem Titel Chancengleichheit für die digitale Zukunft untersucht mit Hilfe empirischer Studien, wie sozial Benachteiligte vor dem Hintergrund ihrer lebensweltlichen Bedingungen digitale Medienkompetenz entwickeln. Gemeinsam mit externen Partner*innen insbesondere der Education Group, den Jugendnetzwerken der AK Oberösterreich und dem Regional Educational Competence Center (RECC) für Informatik und Digitale Medien werden anschließend Handlungsempfehlungen für Maßnahmen zur Unterstützung sozial benachteiligter Heranwachsender entwickelt. 2 FORSCHUNGSPROJEKT EMPIRISCHE STUDIE ZU MEDIENKOMPETENZ Um Erkenntnisse über die Entwicklung von Medienkompetenz bei sozial Benachteiligten zu generieren, wird der bisheriger Forschungsstand systematisch aufgearbeitet und anschließend eine Mixed Method Studie durchgeführt, die quantitative und qualitative Zugänge kombiniert. Medienkompetenz umfasst dabei im Sinne von Baacke (1996) nicht nur die Fähigkeit, 227

230 digitale Medienangebote zu handhaben, sondern auch Kenntnisse über ihre Funktionsweise (Medienkunde), einen kritischen Umgang (Medienkritik) sowie die Fähigkeit, sie mitzugestalten (Mediengestaltung) und reflektiert für die eigene Bedürfnisbefriedigung einzusetzen (Mediennutzung). Unter sozial Benachteiligten werden Jugendliche aus Familien verstanden, deren soziale Lage durch niedrige Bildung, begrenzte finanzielle Ressourcen, prekäre Wohnverhältnisse und geringe gesellschaftliche Anerkennung gekennzeichnet ist (Hradil, 2008). Wie Paus-Hasebrink (2017, S. 43) mit Rückgriff auf Bourdieu (1979) und Weiß (2000) ausführt, bestimmen diese Faktoren das Spielfeld der Möglichkeiten für ein Individuum [ ] Handlungskompetenz im Alltag zu erwerben. Sozial benachteiligte Jugendliche erlernen den Umgang mit digitalen Medien daher unter erschwerten Bedingungen. Bisher existieren kaum Studien, die sich explizit mit Medienkompetenz sozial benachteiligter Jugendlicher beschäftigen. Zum Teil enthalten Untersuchungen, die sich mit ähnlichen Fragestellungen auseinandersetzen, aber punktuelle Ergebnisse, aus denen Rückschlüsse gezogen werden können. Um diese Einzelbefunde zu identifizieren und zu einem größeren Bild zusammenzufügen, wurde in einem ersten Schritt eine integrative Literaturanalyse nach Cooper (1988) durchgeführt. Dabei wurde eine Keyword-Recherche in wissenschaftlichen Bibliotheken, Datenbanken und Suchmaschinen mit der Schneeballmethode kombiniert, wobei nach deutschen und englischen Begriffskombinationen rund um die Themenbereiche Medienkompetenz, soziale Benachteiligung und Jugendliche gesucht wurde. Kriterien für die Auswahl der Studien waren 1) Relevanz für die Forschungsfrage, 2) konkrete empirische Erkenntnisse, 3) Einhaltung wissenschaftlicher Mindeststandards, insbesondere Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse durch ausreichende Informationen über Forschungsdesign und - methoden und 4) öffentliche Zugänglichkeit in Form wissenschaftlicher Publikationen oder Ergebnisberichten. Die Befunde der ausgewählten Studien wurden entlang eines Kategoriensystems mit den drei Hauptkategorien digitale Kompetenzen, Zugang und Nutzung sowie Unterstützung durch das soziale Umfeld ausgewertet. Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse dieser Analyse vorgestellt, bevor zum Abschluss ein Ausblick auf die quantitative und qualitative Befragung gegeben wird, die im Rahmen dieses Projekt derzeit in Oberösterreich durchgeführt wird. 3 ERSTE ERGEBNISSE BILDUNG SPIELT EINE WICHTIGE ROLLE Ergebnisse der Literaturanalyse zeigen, dass digitale Medienkompetenzen bei sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen anders ausgeprägt sind, als bei nicht Benachteiligten. Zumindest trauen sie sich selbst in Bezug auf digitale Medien weniger zu. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVIS, 2018) schätzen Jugendliche mit niedriger formaler Bildung ihre Internetkompetenzen als geringer ein als jene mit höherer Bildung. Ähnliches gilt für konkrete Fertigkeiten, die für einen kritischen und sicheren Umgang mit dem Internet wichtig sind (Sonck et al., 2011; Livingstone et al., 2011). Im Bereich der Informationsbeschaffung erweisen sich niedrig gebildete junge Menschen als weniger versiert, insbesondere wenn es darum geht, die Glaubwürdigkeit von Online Quellen einzuschätzen (Behrens et al., 2014; mpfs, 2018; Ikrath, 2016; Institut für Jugendkulturforschung, 2017). Zudem sind sie weniger gut in der Lage, mit Risiken digitaler Medien umzugehen. So zeigt eine Studie von Schmidt et al. (2009), dass formal schlechter gebildete Heranwachsende seltener darüber nachdenken, wie sie sich vor unangenehmen Erfahrungen in sozialen Netzwerken schützen können. Wenn sie damit konfrontiert werden, reagieren sie stärker verunsichert (Livingstone et al., 2011). Laut Paus-Hasebrink et al. (2014) zeigt sich darin eine geringer ausgeprägte Belastbarkeit in Bezug auf Online Risiken. In Hinblick auf die 228

231 Selbstdarstellung im Internet lässt sich feststellen, dass es sozial benachteiligten Jugendlichen schwerer fällt, sich auf eine Art und Weise zu präsentieren, die auf andere authentisch wirkt (Ikrath, 2016). Da Medienkompetenz mit einer ausgeprägten und vielfältigen Nutzung einhergeht (Livingstone et al., 2011; Sonck et al., 2011), ist auch der Umgang sozial benachteiligter Heranwachsender mit digitalen Medien von Bedeutung. Dabei zeigt sich, dass digitale Medien zwar einen hohen Stellenwert im Alltag dieser Jugendlichen einnehmen (Paus-Hasebrink et al., 2014; Paus-Hasebrink, 2017), ihre Mediennutzung aber weniger vielfältig ausfällt. Sie nutzen weniger verschiedene digitale Geräte (Sonck et al., 2011) und legen den Fokus stärker auf Unterhaltungsangebote, was insbesondere an der intensiveren Nutzung von Computerspielen deutlich wird (mpfs, 2018). Wie eine Metastudie europäischer Untersuchungen (Hasebrink et al., 2009) zeigt, gibt es den Niederlanden, Spanien, Großbritannien und Schweden auch Befunde, dass Heranwachsende mit niedrigerem sozioökonomischen Status digitale Medien seltener zu Lernzwecken einsetzen. Zudem können Kinder aus sozial benachteiligten Familien weniger stark auf die Unterstützung ihrer Eltern zurückgreifen. Diese leiten die Internetnutzung ihrer Kinder weniger stark an, greifen seltener regulierend ein, informieren sich weniger intensiv über dieses Thema, sprechen seltener mit ihren Kindern darüber und unterstützen sie weniger stark beim Lernen mittels digitalen Medien (Hasebrink et al., 2009; Livingstone et al., 2011; Ikrath, 2016; Zhang & Livingstone, 2019; Education Group, 2017, 2018). Heranwachsende mit niedrigerem sozioökonomischen Status fühlen sich ihren Eltern im Umgang mit dem Internet häufiger überlegen (Sonck et al., 2011), und die Eltern selbst schätzen ihre Fähigkeit, den Kindern zu helfen, als geringer ein (Livingstone et al., 2011). Unterschiede zwischen sozial Benachteiligten und Nicht-Benachteiligten werden vor allem in Bezug auf den Faktor Bildung berichtet. Dies liegt zum einen daran, dass in manchen Studien für Bildung deutlichere Unterschiede festgestellt werden können als für andere Indikatoren sozialer Benachteiligung wie etwa Einkommen oder Zugehörigkeit zu einer Minderheit (Livingstone et al., 2011). Zum anderen beschränken sich viele Studien ausschließlich auf Bildung, was mitunter daran liegt, dass sie sich nicht explizit mit sozialer Benachteiligung beschäftigen, sondern nur am Rande Befunde zu dieser Frage liefern. 4 AUSBLICK QUANTITATIVE UND QUALITATIVE BEFRAGUNG IN OÖ Die Aufarbeitung des Forschungsstands liefert erste Hinweise auf die Bedeutung sozialer Benachteiligung für digitale Medienkompetenz bei Heranwachsenden. Viele der Befunde sind allerdings punktuelle Einzelergebnisse, können nicht durch weitere Studien gestützt werden und befassen sich lediglich mit wenigen, meist durch Selbsteinschätzung erhobenen Teilkompetenzen. Zudem setzt sich das Bild aus Untersuchungen unterschiedlicher Reichweite zusammen, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, mit unterschiedlichen Methoden arbeiten und zum Teil schon einige Jahre zurückliegen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind daher nur schwer vergleichbar, und es bleibt offen, inwieweit sie sich auf das hier und jetzt übertragen lassen. Wie bereits ausgeführt liegt der Fokus fast ausschließlich auf Bildungsbenachteiligung, was der Vielschichtigkeit sozialer Benachteiligung nicht gerecht wird. Zu guter Letzt bleibt die Frage, wie sich die soziale Lage in der Entwicklung von digitaler Medienkompetenz einschreibt und weshalb es zu den festgestellten Unterschieden kommt, unbeantwortet. 229

232 Um fundierte Erkenntnisse zu diesen Fragen zu erhalten, werden im Rahmen des Forschungsprojekts Chancengleichheit für die digitale Zukunft derzeit empirische Erhebungen durchgeführt. Im Sinne des Mixed Method Ansatz wird dabei eine quantitative Befragung in Schulen mit einer qualitativen Erhebung in sozial benachteiligten Familien kombiniert. Diese Vorgehensweise verbindet die Stärken beider methodischer Zugänge und berücksichtigt sowohl formelle Lernerfahrungen im schulischen als auch informelle Lernstrategien im familiären Kontext. An der quantitativen Studie nehmen Schüler*innen aus einer für Oberösterreich repräsentativen Auswahl an Neuen Mittelschulen teil. Ziel dieser Teilstudie, die am Studiengang soziale Arbeit in Linz durchgeführt wird, ist es, die Bedeutung unterschiedlicher Dimensionen sozialer Lage für die Medienkompetenz von oberösterreichischen Schüler*innen zu identifizieren. Das Forschungsteam am Studiengang Kommunikation, Wissen, Medien in Hagenberg ergründet anschließend im Rahmen von Interviews mit Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien und ihren Eltern genauer, welche Stärken und Schwächen diese Jugendlichen im Umgang mit digitalen Medien aufweisen, mit welchen Herausforderungen sie beim Medienkompetenzerwerb konfrontiert sind und welche Rolle dem sozialen Umfeld dabei zukommt. Die daraus gewonnenen Ergebnisse dienen nicht nur der Wissenschaft, sondern auch als Wissensbasis zur Unterstützung von benachteiligten Jugendlichen und werden abschließend im Zuge einer Veranstaltung mit Stakeholdern aus der Praxis diskutiert. LITERATUR Agenda digitale Bildung OÖ (2017). Zugriff am unter _Agenda_OOE.pdf Baacke, D. (1996). Medienkompetenz Begrifflichkeit und sozialer Wandel. In A. Von Rein (Hrsg.), Medienkompetenz als Schlüsselbegriff, Bonn: Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE). Behrens, P., Calmbach, M., Schleer, C., Klingler, W., & Rathgeb, T. (2014). Mediennutzung und Medienkompetenz in jungen Lebenswelten. Media Perspektiven, 4(2014), Bourdieu, P. (1979). Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Cooper, H. M. (1988). Organizing knowledge syntheses: A taxonomy of literature reviews. Knowledge in society, 1(1), 104. DIVSI (2018). Euphorie war gestern. Die Generation Internet zwischen Glück und Abhängigkeit. Eine Grundlagenstudie des SINUS-Instituts Heidelberg im Auftrag des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI). Zugriff am unter 230

233 Education Group (2017). 5. OÖ Jugend-Medien-Studie Medienverhalten der Jugendlichen aus dem Blickwinkel der Eltern. Zugriff am unter df Education Group (2018). 6. OÖ Kinder-Medien-Studie Medienverhalten bei Kindern Zielgruppe Eltern. Zugriff am unter df Hasebrink, U., Livingstone, S., Haddon, L., & Olafsson, K. (2009). Comparing children s online opportunities and risks across Europe: Cross-national comparisons for EU Kids Online. Zugriff am unter Cross_national_comparisons-2nd-edition.pdf Hradil, S. (2008). Soziale Ungleichheit, soziale Schichtung und Mobilität. In H. Korte, & B. Schäfers (Hrsg.), Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen: Leske+Budrich. Ikrath P. (2016). Digitale Kompetenzen für eine digitalisierte Lebenswelt Eine Jugendstudie der AK Wien, durchgeführt vom Institut für Jugendkulturforschung (Kurzbericht). Zugriff am unter Institut für Jugendkulturforschung. (2017) Gerüchte im Netz. Zugriff am unter Livingstone, S., Görzig, A., & Ólafsson, K. (2011). Disadvantaged children and online risk. Zugriff am unter O).pdf mpfs (2018). JIM-Studie Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Zugriff am unter Paus-Hasebrink, I. (2017). Zur Entwicklung der praxeologioschen Perspektive auf die Rolle von Medien in der Sozialisation. In I. Paus-Hasebrink (Hrsg.), Langzeitstudie zur Rolle von Medien in der Sozialisation von sozial benachteiligter Heranwachsender. Lebensphase Jugend, Baden-Baden: Nomos. 231

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235 Der HEAD CD Frame: Ein ganzheitlicher Zugang zu einem inklusiven Curriculum-Design auf Basis des HEAD Wheels Martina Gaisch 1, Frank Linde 2 1 FH Oberösterreich, Franz-Frisch-Straße 11, 4600 Wels, Österreich, martina.gaisch@fh-ooe.at 2 TH Köln, Claudiusstr. 1, Köln, Deutschland, frank.linde@th-koeln.de 1 EINLEITUNG In der globalen Wissensgesellschaft scheint die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation immer stärker vom Bildungsgrad und der Innovationsfähigkeit seiner Bürger/innen abzuhängen. Der steigende Bedarf an Wissensvorsprung im internationalen Standortwettbewerb führt zu einer Expansion des Hochschulzugangs und die breite Teilhabe an post-sekundärer (Aus-)Bildung stellt zunehmend eine nationale Notwendigkeit dar. Diese Herausforderungen führen auch zu neuen hochschulischen Systemen der Anerkennung, Zertifizierung und Evaluierung und schaffen neue Realitäten für die Hochschule, wo entgrenztes Studieren, individuelle Bildungspfade und nachfrageorientierte und flexible Qualifizierungsangebote für eine immer heterogenere Studierendenschaft vermehrt ins Visier genommen werden. Der Trend zur Erhöhung des Anteils Hochqualifizierter, die Akademisierung von Berufsfeldern und das Auflösen traditioneller Berufsmuster führen zu veränderten Beschäftigungsstrukturen, die steigenden Einfluss auf die tertiäre Bildungslandschaft nehmen. Differenzierte Studienformate, die vermehrt nichttraditionelle Studierende adressieren, die Einführung von modularisierten Studiengängen und neue Kompetenzportfolios im Einklang mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes führen zu immer neuen und dynamischen hochschulischen Herausforderungen. Hinzu kommen gesetzliche Vorlagen (UN-Behindertenrechtskonvention, Gleichbehandlungsgesetze), die steigende Bedeutung von Entrepreneurial Universities mit ihrer Funktionslogik des New Public Managements und vermehrten Druck für Accountability und Vorgaben unterschiedlicher Bologna-Reformen (Yerevan Communiqué, Paris Communiqué). All diese Stellschrauben haben dazu geführt, den Stellenwert von Diversity Management an Hochschulen zu erhöhen. Die Hinführung von unterrepräsentierten Studierendengruppen zu höherer Bildung und deren effektiven Begleitung durch das Studium wird auch von zahlreichen nationalen Strategien zur sozialen Dimension eingefordert und der Ruf nach inklusiveren Hochschulsystemen wird immer lauter. Obwohl Diversität in jüngster Zeit auch eine spürbare Rolle in der Lehre einnimmt, zeigt sich, dass auf der Ebene der Studiengänge das Thema bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Studien belegen, dass die Drop-Out-Raten von nichttraditionellen Studierenden wesentlich höher sind als jene von Regelstudierenden (Holmegaard et al. 2014). Es ist daher davon auszugehen, dass ein geschärfter Blick auf das Student Lifecycle-Management nützlich ist, um adäquate Support-Strukturen zu konzipieren und Inclusion und Diversity Management (IDM) nicht nur auf der Makroebene der Hoch- 233

236 schulleitung und der Mikroebene der Lehrveranstaltung, sondern auch auf der Mesoebene der Curricula zu realisieren (Auferkorte-Michaelis/Linde, 2018). Genau hier lassen sich Studiengangsleitungen als enablers for change processes (Ehrenstorfer et al. 2015, Vilkinas /Cartan, 2015) identifizieren; sind sie es doch, die an der Entwicklung und dem Management von Studiengängen zentral beteiligt und für gelingende Studierbarkeit verantwortlich sind. Meist sind die Verantwortlichen eines Studiengangs selbst in der Lehre verankert und haben zudem maßgeblichen Einfluss auf andere Lehrende und das Verwaltungspersonal in ihren Studiengängen (Preymann et al. 2019). Vor dem Hintergrund einer gewissen Diversitätsblindheit (Gaisch, 2014, Holmegaard et al. 2014) scheint es daher umso brisanter, Studiengangsleiter/innen Werkzeuge an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, Handlungsfelder für IDM als Mehrwert zu erkennen und dadurch die Studienarchitektur inklusiver zu gestalten, um Studierende in der Breite besser zum Erfolg zu führen. Das im Folgenden vorgestellte Instrument mit dem Akronym HEAD CD Frame steht für Higher Education Awareness for Diversity Curriculum Design und stützt sich auf zwei Komponenten: Dem HEAD Wheel als konzeptionelle Basis für eine Vielfalt an möglichen Perspektiven auf Diversität in Hochschulen und dem es umgebenden Rahmen (Frame), der die curricularen Handlungsfelder für die Gestaltung inklusiver Studiengänge in einem dynamischkomplexen hochschulischen Gefüge aufzeigt. Als eine Antwort auf die bis dato fehlende wissenschaftliche Fundierung (Amundsen/Wilson, 2012, S. 91) soll dieser Rahmen als heuristisches Instrument zur Gestaltung eines nachhaltigen und inklusiven Student Lifecycle- Management dienen. 2 DAS HEAD WHEEL Das HEAD Wheel (Gaisch/Aichinger, 2016) (kurz für Higher Education Awareness for Diversity) der FH OÖ wurde auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse als Referenzrahmen für ein ganzheitliches Diversity Management konzipiert. Es adressiert fünf unterschiedliche Facetten von hochschulischer Vielfalt, nämlich demografische, kognitive, fachliche, funktionale und institutionelle Diversität und nimmt im Unterschied zu anderen Diversity-Modellen nicht eine subjektorientierte Perspektive ein, sondern ermöglicht einen intersektionalen Brückenschlag im Einklang mit unterschiedlichen Kontextbedingungen. Durch die visualisierte Komplexitätsreduktion des HEAD Wheels soll ein holistischer Blick auf die dynamische Vielschichtigkeit hochschulrelevanter Diversitätsaspekte ermöglicht werden. Dieser systemische Zugang nimmt nicht nur Bedacht auf alle Diversity-Paradigmen (siehe Gaisch et al. 2019), sondern hat durch seine gesamtheitliche Betrachtung das Potential einen wesentlichen Beitrag zur Organisationsentwicklung von Hochschulen zu leisten. 234

237 Abbildung 1. HEAD Wheel (Gaisch & Aichinger 2016 Im Folgenden werden die fünf Segmente des HEAD Wheels kurz beschrieben. 1) Demografische Diversität nimmt personen-immanente und scheinbar unveränderbare soziale Ordnungsgefüge wie Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierungen, physische und psychische Beeinträchtigungen, ethnische Herkunft sowie Religion und Weltanschauung ins Visier. Aus hochschulischer Betrachtung und vor allem vor dem Hintergrund einer zunehmenden Bildungsexpansion spielt über diese klassischen Dimensionen hinaus auch soziale Herkunft eine immer wichtigere Rolle und wurde deshalb in das demografische Segment mitaufgenommen. Durch die Zunahme an gesellschaftspolitischer Komplexität sieht sich auch der globale Hochschulraum vor noch nie dagewesenen Herausforderungen; gilt es doch, die Hochschulen für nichttraditionelle Studierende zu öffnen und die Studienarchitektur für unterrepräsentierte Gruppen diversity-sensibler, fairer und inklusiver zu gestalten. Ziel muss sein, ungleiche Startbedingungen auszugleichen und integrative und unterstützende Maßnahmen entlang des gesamten Student Lifecycle- Managements anzubieten. Dabei kommen der Entkopplung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft, der Verringerung der sozialen Selektivität und einer zunehmenden Durchlässigkeit zentrale Bedeutung zu. 235

238 Im Rahmen der demografischen Vielfalt zeigt der äußere gelbe Ring jene kontextuellen Bedingungen auf, die die neuen Gegebenheiten einer breiten Bildungsteilhabe mit sich bringen. Mehr Studierende im Alterssegment 25+, mit familiären Verpflichtungen und unterschiedlichen Lebensformen benötigen nicht nur mehr Beratungsangebote, sondern auch flexiblere Lehr- und Lernsettings und unkonventionellere Formate der Studienarchitektur. Studierende mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen lenken den Blick der Hochschulen vermehrt auf Themen wie Barrierefreiheit, den Ausbau psychosozialer Beratung, studienbegleitender Unterstützung und den Abbau bürokratischer Hürden. Unterschiedliche Bildungssozialisationen, verschiedene kulturelle Werte und die Internationalisierung der Hochschulsysteme stellen das tertiäre Bildungssystem vor immer neue Herausforderungen. Diese scheinen durch sozialpsychologische Konzepte (Stereotype Threat, Implicit Bias), die die Leistungsfähigkeit und Motivationslagen von Studierenden und Hochschulmitarbeitenden in stigmatisierten Bereichen herabsetzt, noch weiter verstärkt. 2) Vor dem Hintergrund zunehmender globaler, internationaler und interdisziplinärer Verflechtungen stellt kognitive Diversität auf unterschiedliche Werte- und Wissensstrukturen ab und blickt auf eine Vielzahl an Wahrnehmungsperspektiven, Vorhersagemodellen, Lernzugängen, Denkweisen, Problemlösestrategien und Modellen der Informationsverarbeitung. Hier nehmen auch Leistungsbereitschaft, Motivationslagen und Eigeninitiative von Studierenden diverser Provenienzen eine zentrale Rolle ein. Hochschulen, denen es gelingt, diese kognitiven und wertebasierten Unterschiedlichkeiten als Ressource zu nutzen, scheint Innovation, Kreativität und lern- und problemlösungsorientiertes Handeln leichter von der Hand zu gehen (Linde/Auferkorte-Michaelis, 2018). 3) Fachliche Diversität als drittes Segment des HEAD Wheels zeigt auf, wie der steigende Bedarf an Interdisziplinarität und Transdisziplinarität hochschulische Handlungsprozesse sowie unterschiedliche Lehr- und Lernsettings prägen. Interdisziplinarität beschreibt die Kooperation von verschiedenen Disziplinen, bei der die Grenzen zwar überschritten, aber nicht aufgehoben werden. Meist steht eine gemeinsame, parallele Bearbeitung einer komplexen Fragestellung im Mittelpunkt, wobei das Wissen und die Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen genutzt werden sollen, um Lösungen für fundamentale Herausforderungen zu erhalten. In der globalen Wissensgesellschaft mit ihren komplexen Problemlagen braucht es zur Bewältigung der Grand Challenges (Klimawandel, demografische Entwicklungen, Endlichkeit fossiler Rohstoffe, Sicherstellung der Welternährung und Eindämmung von Volkskrankheiten) oder der Erreichung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (siehe 17 SDGs) (UN General Assembly, 2015) zunehmend kreative und innovative Lösungsansätze. Diese scheinen durch interdisziplinäre Querbezüge weit eher realisierbar als durch eindimensionale fachliche Tiefe. Die Förderung von interdisziplinärer Zusammenarbeit aber auch Curriculum-Gestaltung mit mehr interdisziplinären Elementen werden in den Mittelpunkt gerückt. Transdisziplinarität hingegen blickt auf die Bearbeitung realer gesellschaftlicher Herausforderungen durch die Einbindung von Wissens- und Praxisformen diverser Stakeholder aus unterschiedlichen Lebenswelten. Dabei gilt es, mittels fachübergreifender Kooperationen, gesellschaftliche Problemlagen (real-world problems) in wissenschaftliche Fragestellungen zu übersetzen. Im Vordergrund steht hier die Kooperation zwischen Wissen- 236

239 schaft und Praxis, also die systematische Integration von Personen aus der Zivilgesellschaft (Grießhammer/Brohmann, 2015). Die zunehmende Betonung auf Anwendungsorientierung und Beschäftigungsfähigkeit künftiger Absolvent/innen leistet somit auch transdiziplinären Zugängen Vorschub, was dazu führt, dass das Zusammenspiel von wissenschaftlich-analytischen und gesellschaftlich-politischen Problemlösungsprozessen auch zunehmend in Forschung und Lehre Platz greift. 4) In der post-industriellen Wissensgesellschaft bedarf es zunehmend der Fähigkeit, Themen und Aufgabenstellungen aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und zu analysieren. Für Hochschulen bedeutet eine multiprofessionelle Orientierung ihrer Mitarbeitenden und Studierenden ein wesentlicher Mehrwert, den es zu nutzen und weitervoranzutreiben gilt. Cross-Funktionalitäten, also die Diversität im funktionalen Hintergrund, entstehen dann, wenn die tertiäre Institution Menschen dazu befähigt, mit unterschiedlichen Abteilungs- und Professionskulturen zu interagieren, spezifische Perspektiven unterschiedlicher professioneller Akteur/innen zusammenzuführen und bereichsübergreifend innovative Lösungsansätze zu generieren. Das HEAD Wheel blickt daher aus zwei unterschiedlichen Perspektiven auf funktionale Diversität. Zum einen aus studentischer Sicht, wo es im Sinne der Graduate Employability darum geht, Kernfähigkeiten für die heutige und auch zukünftige Arbeitswelt zu erlernen; diese umfassen die Zusammenarbeit in cross-funktionalen, aber oft auch temporären, virtuellen und internationalen Teamkonstellationen. Dieses Kompetenzportfolio ist in vielen Studiengängen bereits curricular verankert und wird in Lehr-/Lernsettings erprobt, weiterentwickelt und erworben. Zum anderen, legt funktionale Diversität einen systemisch-internen Fokus auf organisationales Lernen mit Blick auf dialogischer Handlungskompetenz und Erfahrungstransfer durch Expert/innen aus unterschiedlichen Hochschulabteilungen. Hochschulleitungen, die Cross-Fertilisation im Sinne eines gegenseitigen Erfahrungsaustausches und Expertisen-Abgleichs über die engen Grenzen der Abteilungskultur unterstützen, regen kollektive Lernprozesse an, die meist zu einem Perspektivenwechsel und zu einer besseren Übersetzungsleistung zwischen den Professionskulturen führen. Dazu braucht es aber auch Wissen über hochschulische Prozesse und Strukturen innerhalb der Organisation, eine wertschätzende Kommunikationskultur sowie die persönliche Bereitschaft von Akteur/innen sich über die Abteilungsgrenzen hinaus zu vernetzen. 5) Nicht erst seit der Einführung von Bologna vor 20 Jahren steht institutionelle Diversität hochschulischer Einrichtungen im Fokus des Europäischen Hochschulraums. Doch jenseits von Hochschulkooperationen wird interorganisationale Vielfalt immer auch dann großgeschrieben, wenn verschiedene Organisationen, Institutionen, Berufsfelder etc. zusammenarbeiten und auf unterschiedlichen Ebenen miteinander kooperieren. Das fünfte Segment des HEAD Wheels adressiert daher institutionelle Vielfalt mit Blick auf unterschiedliche Funktionssysteme der Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Politik. Die Zusammenarbeit über unterschiedliche Funktionssysteme hinweg kann konfliktreich sein, aber auch deutliche Mehrwerte erzeugen. Sensibilität und Wissen über diese verschiedenen Logiken und die Art und Weise, wie sie die Motive und Handlungen des Gegenübers beeinflussen, kann Kooperationen erleichtern. Eine profunde Vermittlung zwischen Interessen des Wirtschaftssystems, des Bildungs- und des Wissenschaftssystems sowie des politischen Systems werden vor allem vor dem Hintergrund der steigenden 237

240 Bedeutung von Entrepreneurial Universities immer wesentlicher. In diesem Sinne werden Hochschulen quasi als Unternehmen gesehen, die eigene Einnahmen generieren und einer Marktlogik folgen. Obwohl dieses Verständnis aufgrund einer breiten öffentlichen Finanzierung auf den deutschsprachigen Raum nicht unmittelbar übertragbar ist, sind die Grundpfeiler zum unternehmerischen Handeln im Sinne der Effektivität und Effizienz bereits gut in der europäischen Mitte der Hochschullandschaft verankert (Leszczensky, 2004). Auch institutionelle Diversität kann sowohl für Studierende als auch Mitarbeitende entscheidende Vorteile bringen. Studierende, die durch z.b. Mobilitätsprogramme andere institutionelle oder organisationale Logiken kennenlernen, erhalten Einblicke in unterschiedliche Lehr-/Lernstrukturen, Handlungserwartungen und Vermittlungsprozesse und erweitern dadurch ihre sozialisierten Bildungsbiografien. Die Möglichkeit eines temporären Wechsels von Lehrenden, Forschenden oder Verwaltungspersonal in andere Systeme, sei es in Unternehmen oder andere Hochschulen, hat das Potential das Wissen um und die Sensibilität für verschiedene Funktionssysteme weiter auszubauen. Nur durch Öffnung nach außen und der Interaktion mit anderen kann die Legitimierung als offene und moderne Hochschule erfolgen und Reputation weiter ausgebaut werden. Gemeinsames Lernen auf organisationaler/institutioneller Ebene fördert das Erkennen und Bearbeiten von Problemstellungen und sichert den Bestand der Hochschule nachhaltig ab. 3 DER HEAD CD FRAME Vor dem Hintergrund einer zunehmend heterogenen Studierendenschaft wird im Folgenden ein Handlungsrahmen für ein inklusives Student Lifecycle-Management skizziert, der Studierende, Lehrende und Verwaltungspersonal adressiert, jedoch primär für Studiengangsleitungen konzipiert wurde. Dieser HEAD Curriculum Design (CD) Frame macht deutlich, welche Handlungsfelder im Rahmen einer Curriculum-Entwicklung von besonderer Bedeutung sind, um allen Studierenden ein erfolgreiches Studium zu ermöglichen. Er basiert auf den Arbeiten von May/Thomas (2010) bzw. Hanesworth (2017), die für die ehemalige Higher Education Academy in Großbritannien, einen Referenzrahmen entwickelten, mit dem Ziel den Implementierungsstand von Equality and Diversity in the Curriculum zu überprüfen. Diese Vorarbeiten werden hier in mehreren Punkten weiter ausgebaut. Zum einen gibt es die ergänzende Leitidee einer sogenannten Student Journey. Studierende sehen sich nicht voraussetzungslos einem Studiengang gegenüber, sondern müssen sich vorab einem Bewerbungs- und Auswahlprozess unterwerfen, der ihnen überhaupt erst Zugang zum System Hochschule gewährt. Einmal angekommen, durchlaufen sie einen Prozess der Akkulturation an die akademischen Arbeitsweisen der jeweiligen Institutionen, der ihnen, je nach Bildungshintergrund, unterschiedlich leichtfällt. Wenn Studierende einen Studiengang erfolgreich durchlaufen haben, winkt der Abschluss als Studienerfolg. Das Bindeglied stellt das studentische Engagement dar. Alle curricularen Regelungen, Vorgaben und Vereinbarungen sollten darauf ausgerichtet sein, studentisches Engagement zu fördern und darüber Studienerfolg zu ermöglichen (vgl. z.b. NSSE, 2019). 238

241 Abbildung 2. HEAD CD Frame Quelle: eigene Darstellung Um immer im Blick zu behalten, dass Studierende unterschiedlichste Voraussetzungen für Ihren Bildungsprozess mitbringen (z.b. Alter, fachliche Vorbildung) und gleichzeitig auf unterschiedlichste Kontextbedingungen (z.b. Fachkultur, Lehrkörper) treffen, ist das HEAD-Wheel als analytischer Ausgangspunkt in den Frame eingebettet. Für jedes der im Weiteren darzustellenden Handlungsfelder des Inclusion and Diversity Managements (IDM) lassen sich damit die verschiedenen Formen von Diversität an Hochschulen benennbar machen. Der hier vorgestellte Frame für IDM im Curriculum-Design besteht aus sechs Handlungsfeldern, die im Folgenden kurz skizziert werden. 1) Institutionelles Management bezieht sich auf die Rahmenbedingungen, die Institute, Fakultäten und Hochschule für die Entwicklung von Curricula vorgeben. Oft gibt es Hinweise in Visionen, Leitbildern, Mission Statements oder Strategien der Hochschule auf den gewünschten Umgang mit Diversität. Ganz konkrete Vorgaben findet man in expliziten Diversity Strategien, die benennen, auf welche Aspekte von Diversität die Hochschule besonders fokussieren will, wie z.b. Interdisziplinarität, First in Family - Studierende oder Internationalisierung. Neben bestehenden Regelungen kann man auch nach vorhandenen Strukturen suchen, die Unterstützung für Studierende anbieten. Zu denken ist bspw. an Stabs- oder Koordinierungsstellen sowie Referate für Diversity, Familienbüros oder auch einzelne Beauftragte für unterschiedliche Studierendengruppen, z.b. für Studierende mit Beeinträchtigung, Dyslexie, Schreib- und Lernschwierigkeiten. All 239

242 solche Angebote können unterstützend bei der Entwicklung und Durchführung von Studiengängen genutzt werden. Rahmenbedingungen sind dann inklusiv, wenn die Institution sichtbar Ressourcen investiert, um allen Studierenden die Teilhabe am akademischen Leben zu ermöglichen. 2) Eine curriculare Entwicklung und hochschuldidaktische Gestaltung, die Studierbarkeit für möglichst alle Studierenden gewährleistet, ist Gegenstand des zweiten Handlungsfelds. Aus der Diversitätsperspektive bedeutet das anzuerkennen, dass jede/r Studierende besondere Bedürfnisse hat. Dies geht weit über bestimmte Formen der Beeinträchtigung hinaus, und umfasst auch familiäre Betreuung, finanzielle Notwendigkeiten, individuelle Interessen, Lerngewohnheiten usw. Sind individuelle Lern- und Studienpfade für diejenigen möglich, die z.b. einer Berufstätigkeit nachgehen oder Familienangehörige betreuen müssen, ist dies ein wichtiger Beitrag zur Flexibilisierung des Studiums. Um Studierenden mit ihren individuellen Bildungsinteressen, Erfahrungen und Wünschen entgegenzukommen, sind vielfältige Modulinhalte hilfreich, die auf unterschiedliche Perspektiven und theoretische Standpunkte eingehen und sich auf verschiedene Kulturen und Hintergründe beziehen. Themen wie Gleichheit, Vielfalt und kulturelle Relativität können im Zusammenhang mit realen Szenarien in das Curriculum eingebettet werden. Auch Learning Outcomes können eine wichtige Rolle bei der In- oder Exklusion einnehmen. Sie können Einzelne oder Gruppen benachteiligen, wenn sie z.b. zu wissenschaftlich formuliert sind oder angestrebte Kompetenzstandards und Erwartungen beinhalten, die sich auf wissenschaftliche Methoden oder übliche Verfahrensweisen beziehen, die nicht explizit angegeben sind. Alle diejenigen, die mit dem dazu gehörenden wissenschaftlichen Diskurs und dem akademischen Habitus nicht vertraut sind, würden dadurch zurückgesetzt. 3) Inklusives Lehr- und Lernformate in Studiengängen befassen sich im Wesentlichen mit hochschuldidaktischen Fragen: Welche konkreten Themen werden in welchen Interaktionsformen gelehrt und geprüft? Für Lehrende spielt es dabei eine ganz zentrale Rolle, ihre Studierenden möglichst gut kennenzulernen, zu erfahren, mit welchen Voraussetzungen sie in die Lehrveranstaltung kommen und welche individuellen Erfahrungen, Interessen und Zielsetzungen sie mitbringen. Idealerweise berücksichtigen die eingesetzten Methoden, Materialien und Beispiele die Vielfalt der Studierenden. Gelingen kann dies, wenn die Lehre studierendenzentriert und aktivierend ist und Prinzipien des Universal Design for Learning (UDL) angewandt werden (z.b. Burdinski/Linde/Kohls, 2019). Grundprinzip des UDL ist es, mehr Abwechslungsreichtum für alle zu schaffen, um der Diversität der Studierenden gerecht zu werden. Ziel ist es, Sozialformen, Medien, Methoden, Aufgaben, Textarten, Lernorte und -kanäle immer wieder variierend einzusetzen und so Lernende in ihren Lehr-und Lernpfaden besser zu unterstützen. 4) Leistungsbeurteilung und Feedback spielen eine ganz besonders wichtige Rolle im studentischen Lernprozess. Wie Hattie (2012) schlüssig belegen konnte, ist Feedback der zentrale Schlüssel sowohl für erfolgreiches Lernen als auch für die Verbesserung des Lehrangebots. Feedback lässt sich auf dreierlei Weise in Lernprozesse einbauen: Als diagnostisches Feed-in zu Beginn, als formatives Feed-forward während der Lehre und als summatives Feed-back zum Ende. Feedbackzyklen stellen somit gute Gelegenheiten dar, Lehrende und Lernende in Dialog zu bringen und Studierenden damit die Möglichkeit 240

243 zu eröffnen Prüfungskompetenz (Assessment Literacy, vgl. Price et al. 2012) zu erwerben. Feedback, wie auch abschließende Prüfungen gelten dann als inklusiv, wenn Studierende die Gelegenheit erhalten, ihre Kompetenzen auf die für sie bestmögliche Weise zu präsentieren. Dies kann gelingen, wenn die Prüfungsanforderungen transparent sind, nur Lernbares Gegenstand der Prüfung ist, nichts geprüft wird, was nicht auch gelehrt wurde und Studierenden darüber hinaus idealerweise Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Prüfungs-Modalitäten angeboten werden. 5) Barrierefreie und unterstützende Lernumgebungen sind Gegenstand des fünften Handlungsfelds von IDM im Curriculum. In physischen wie digitalen Lernräumen sollten Materialien, Ressourcen und Technologien möglichst vielfältig, gut zugänglich und leicht nutzbar angeboten werden. Barrierefreiheit lässt sich physisch leicht vorstellen, wenn z.b. entsprechende Fahrstühle oder Audiosysteme für Studierende nicht nur mit Beeinträchtigung fehlen. Sie spielt aber auch digital eine zentrale Rolle, wenn man an die Lesbarkeit und Navigationsmöglichkeiten von Webseiten, Untertitel von Videos oder Untertitel für Bilder denkt. Relevant ist zudem auch die Lage der Seminarräume. Wie gut kann man zwischen ihnen wechseln, so dass die Transferzeiten die Pausen nicht übersteigen? Gibt es zeitliche Arrangements, so dass auch Studierende mit anderweitigen Verpflichtungen, am Lehrgeschehen teilnehmen können? Lehrveranstaltungszeiten morgens, abends oder am Wochenende können Abhilfe schaffen, genauso wie digitale Alternativ- und Zusatzangebote, die ein Lernen außerhalb der Präsenz ermöglichen. 6) Engagement der Beschäftigten in Beratung und Betreuung wie auch im Rahmen von extra-curricularen Aktivitäten stellt einen weiteren Einflussfaktor für die akademische Entwicklung von Studierenden dar. Es ist unumstritten, dass vermehrter Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden zu einem positiven Studienklima beiträgt (Kuh et al. 2006, S. 41). In diesem Sinne tragen Lehrende also nicht nur Verantwortung für das eigentliche Classroom Management, sondern auch für die gesamte Arbeitsbeziehung mit den Studierenden. Ein solches Engagement der Lehrenden aber auch des Verwaltungspersonals sollte im Sinne eines Student Lifecycle Managements institutionell gefördert und über Change-Management Prozesse weiter ausgebaut werden. Dies kann durch entsprechende Prozesse der Personalauswahl, -einführung, -beurteilung und - entwicklung geschehen, um das Hochschulpersonal immer wieder dazu anzuhalten, die Qualität seiner Arbeit kritisch zu hinterfragen und dazu beizutragen, Studiengänge und die gesamte Studienarchitektur diversitätsgerechter und inklusiver zu gestalten. Hierzu gehören auch Maßnahmen im Sinne der Bewusstseinsbildung, des Team Buildings und der Professionalisierung der Personalentwickung, um das nötige Kommittent und die Motivation des Verwaltungs-und akademischen Personals zu steigern. Zusammenfassend zeigt sich, dass im Wechselspiel der Berücksichtigung verschiedener Diversitätsdimensionen des HEAD-Wheels mit den sechs Handlungsfeldern des Curriculum- Designs des HEAD CD Frames ein großes Potenzial für alle Beteiligten Lehrende, Leitung, Verwaltung oder auch Studiengangsleitungen liegt, Studiengänge für alle Studierenden studierbarer zu machen und unterstützende Beiträge für deren Studienerfolg zu leisten. 241

244 DISCLAIMER The European Commission support for the production of this publication does not constitute an endorsement of the contents which reflects the views only of the authors, and the Commission cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein. REFERENZEN Auferkorte-Michalis, Nicole & Linde, Frank (2018). Diversität Lehren und Lernen. Ein Hochschulbuch. Budrich, Leverkusen. Open Access: Amundsen, Cheryl & Wilson, Mary (2012). Are we asking the right questions: A conceptual review of the educational development literature in higher education? Review of Educational Research, v.82, n.1, p Burdinski, Dirk; Linde, Frank & Kohls, Christian (2019). Universal Design for Learning und Constructive Alignment: Beispiele aus der TH Köln, DNH 01/2019, S Ehrenstorfer, Barbara., Sterrer, Stefanie., Preymann, Silke., Aichinger, Regina & Gaisch, Martina (2015). Multi-tasking talents? Roles and competencies of middle-level manageracademics at two Austrian Higher Education Institutions. In Diversity and excellence in higher education (pp ). SensePublishers, Rotterdam. Gaisch, Martina; Preymann, Silke & Aichinger, Regina (2019). Diversity management at the tertiary level: an attempt to extend existing paradigms, Journal of Applied Research in Higher Education. Gaisch, Martina & Aichinger, Regina (2016). Das Diversity Wheel der FH OÖ: Wie die Umsetzung einer ganzheitlichen Diversitätskultur an der Fachhochschule gelingen kann 10. Forschungsforum der Österreichischen Fachhochschulen, Wien. download unter: Gaisch, Martina. (2014). Affordances for teaching in an International Classroom. A Constructivist Grounded Theory. Unpublished doctoral dissertation, University of Vienna. Retrieved from univie. ac. at/36432/1/ _ Pdf Grießhammer, Rainer & Brohmann, Bettina (2015). Wie Transformationen und gesellschaftliche Innovationen gelingen können. Kurzfassung des Endberichts UFOPLAN-Projekt Transformationsstrategien und Models of Change für nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel. 242

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247 Nachhaltige Strategien zur Produktion von Biowertstoffen Juliane Richter 1, Daniel Remias 1, Alexander Zwirzitz 1 1 FH Oberösterreich Campus Wels, Franz-Fritsch-Straße 11, 4600 Wels, Österreich, juliane.richter@fh-wels.at, daniel.remias@fh-wels.at, alexander.zwirzitz@fh-wels.at 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ Die Prognose einer Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 scheint immer optimistischer zu werden manche Schätzungen gehen mittlerweile von 10,5 bis 10,8 Milliarden Menschen aus. Das sind gut 3 Milliarden Menschen mehr als derzeit, das bedeutet ein Wachstum von 3 Milliarden in 3 Jahrzehnten, bei einem linearen Wachstum 1 Milliarde in 10 Jahren, 100 Millionen pro Jahr, über eine viertel Million Menschen pro Tag. Ein unvorstellbares Wachstum, vor allem unter der Berücksichtigung des aktuellen Ressourcennotstandes. Wenn man zusätzlich noch in Betracht zieht, dass das Wachstum hauptsächlich in Dritte- Welt- und Schwellenländern stattfindet, wird jedem sofort klar, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Zusätzlich zur Knappheit der zur Verfügung stehenden Ressourcen kommt aber noch ein ganz anderes und derzeit von Umweltexperten als viel dringender eingeschätztes Problem: die mit der steigenden Kohlendioxid (CO2) Konzentration verbundene Erwärmung der Erdatmosphäre. Der derzeitige CO2 Ausstoß auf der Erde ist viel zu hoch die Pariser Klimaziele scheinen unerreichbar und das alles mit Kalkulationen mit der derzeitigen Weltbevölkerung. Hier noch 3 weitere Milliarden Menschen mit zu kompensieren erfordert ein ganz klares Umdenken unserer sämtlichen gesellschaftlichen Prozesse vom individuellen Alltag bis hin zur Großindustriellen Produktionskette. Beispiele dieser gesellschaftlichen Prozesse sind auf individueller Ebene z.b. der Verbrauch von Plastikverpackungen für Dinge des Alltagslebens; als ein Beispiel der Großindustriellen Problematik kann der Produktionsprozess von Möbeln als Massenware in internationalen Megakonzernen hergenommen werden. Durch diese industriellen Prozesse sowie der Gewinnung und dem Verbrauch fossiler Brennstoffe wird CO2 in die Umwelt abgegeben und damit das Klima nachhaltig beeinflusst. Weiterhin resultieren viele Produktionsprozesse in nicht vollständig verwerteten Abfällen, sodass viele der wertvollen Ressourcen ungenutzt bleiben und verschwendet werden. Daher sind Prozesse, die eine möglichst geschlossene Kreislaufwirtschaft mit der effizienten Verwendung von Rest- und Abfallstoffen und der Nutzung aller vorhandenen Ressourcen eine vielversprechende Lösung. Diese neuen Prozesse müssen umweltschonender vonstattengehen und immer in Relation zum Klimaschutz gestellt werden. 245

248 2 THEORETISCHER RAHMEN Der Großteil der gewonnenen Energie in den weltweit 20 größten Industrienationen kommt aus fossilen Brennstoffen. Bei der zur Energiegewinnung notwendigen Verbrennung dieser Rohstoffe fällt als endgültiges Oxidationsprodukt CO2 an. Dieses CO2 wiederum führt indirekt über eine Schädigung unserer Erdatmosphäre zur Klimaerwärmung. Um diesen Prozess zu stoppen oder zumindest merklich zu verlangsamen, muss das CO2 sinnvoll genutzt werden. Prinzipiell kann das CO2 von Pflanzen durch die Photosynthese in wertvolle Stoffe, wie Obst und Gemüse umgewandelt werden, jedoch ist die dafür benötigte Zeit zum Wachstum der Gefäßpflanzen sehr lang. Algen und Cyanobakterien, als Mikroorganismen, sind ebenfalls in der Lage Photosynthese zu betreiben und damit das CO2 organisch zu binden. Zudem sind sie einfacher strukturiert als Pflanzen wodurch die Kultivierung einfacher ist. Ihr Wachstumsvermögen ist weitaus höher als das der herkömmlichen Pflanzen, sodass in kürzerer Zeit mehr verwertbare Substanz erzeugt wird. Diese Biomasse kann, gezielt gesteuert und je nach Bedarf, industriell relevante Wertstoffe enthalten, oder biogene Stoffe als Zwischenschritte akkumulieren, die industriell weiter verarbeitet werden könnten. Einer unserer Forschungsschwerpunkte sind Algen, welche nur in Schneefeldern und auf Gletscheroberflächen vorkommen. Diese Organismen (Abbildung 1) entwickelten Schutzmechanismen um in diesen extremen Lebensräumen überleben zu können (z.b. hohe UV-Strahlung, niedere Temperaturen). Dadurch enthalten diese Zellen in hohem Maße für uns Menschen wichtige Stoffe wie Pigmente oder ungesättigte Fettsäuren, welche in der Lebensmittelindustrie als Zusatzstoffe verwendet werden. Die biotechnologische Züchtung solcher Algen, die in der freien Natur sehr begrenzt auftreten, ermöglicht die Entdeckung von bisher unbekannten Hochleistungsproduzenten, die später industriell verwendet werden könnten. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt mit Cyanobakterien (Abbildung 2) nutzt ebenfalls deren Fähigkeit zur Photosynthese. Die Strategie resultiert in der Produktion von kohlenstoffhaltigen Wertprodukten. Die erzeugbaren Verbindungen sind sehr variabel von Größe und Struktur, sodass sowohl kleine Moleküle wie Bioethanol als auch Polymere wie Bioplastik produziert werden können. Diese Vielfalt wird durch eine genetische Optimierung ermöglicht, bei der vorhandene Stoffwechselwege ausgeschalten oder erweitert werden, um das Zielprodukt herzustellen. Dabei kann sowohl die Produktion von natürlich vorkommenden Substanzen z.b. des Speicherstoffs Glykogen verstärkt bzw. eingestellt als auch die Herstellung neuer nicht- Abbildung 1. Schneealgen der Gattung Sanguina aus den österreichischen Alpen. Rotfärbung durch Carotinoide. Abbildung 2. Cyanobakterien der Gattung Synechocystis sp. PCC6803 werden zur Produktion von Bioethanol und Stärke verwendet. Abbildung 3. Hefepilze des Stammes Candida guilliermondii ATCC 6260 werden zur Produktion von Xylitol verwendet. 246

249 natürlicher Substanzen, z.b. Bioethanol, welcher als Treibstoffbestandteil verwendet werden kann, ermöglicht werden. Diese Art der Produktion von industriell relevanten Stoffen ist nicht neu und wird bereits seit ca. 20 Jahren zur Herstellung von Insulin durch Bakterien angewendet. Die Entwicklung von solchen Expressionssystemen ist bislang zeitintensiv und war noch von Rückschlägen geprägt. Die Verwendung von Cyanobakterien als Expressionssystemen steht derzeit am Anfang und das Potenzial ist noch lange nicht erschöpft ist In einem dritten Forschungsansatz werden Hefen, das sind in Reaktoren einfach handhabbare Pilzzellen (Abbildung 3) zur Herstellung von industriellen Wertstoffen, wie Biotreibstoffen und Biochemikalien (z.b. Xylitol ein Zuckerersatzstoff, welcher in der Lebensmittelindustrie eingesetzt wird) verwendet. Nicht erst seit der Bierherstellung sind Hefen ein industriell vielgenutztes Werkzeug, welches auch im Labor zur grundlegenden Erforschung von verschiedenen Stoffwechselwegen genutzt wurde. Durch diese jahrzehntelangen Anwendungen sind verschiedene Methoden zur Handhabung und Manipulation bekannt und die Einsatzgebiete sehr vielfältig. Die Besonderheit dieses Forschungsansatzes ist, dass als Futter für diese Hefen speziell aufbereitetes Stroh verwendet wird, welches sonst durch die Ernte von Getreide als ballaststoffreiches und nährstoffarmes Material zurückbliebe. Durch diesen Ansatz wird eine bessere Nutzung der vorhandenen Ressourcen ermöglicht. Auch hier sind weitere Produktklassen möglich und das Potenzial ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. 3 METHODISCHES VORGEHEN Die Produktion von industriell relevanten, biogenen Wertstoffen wird im Labormaßstab auf zwei verschiedenen Wegen verfolgt. Zum einen werden in Gebirgsregionen natürliche Vorkommen von Schneealgen gesammelt, welche im Labor charakterisiert und nach Aufreinigung gezüchtet werden. Dabei benötigt jede Art unterschiedliche Bedingungen (z.b. Licht, Temperatur, Nährstoffe). Die Kultivierung im Labor erfolgt in verschiedenen Reaktorvolumina (20 ml 1 L). Nach Ernte und Aufschluss der Zellen werden mittels unterschiedlicher analytischer Methoden die verschiedenen Inhaltsstoffe wie Proteine, Fettsäuren, Pigmente oder Vitamine bestimmt und quantifiziert. Durch eine Variation der Kultivierungsparameter, bspw. durch Anwendung von Starklicht- Stress oder Salzzugabe, kann die Produktion bestimmter Substanzen verstärkt werden und somit die Eignung der Alge für eine spätere industrielle Anwendung ausgetestet werden. Im zweiten Ansatz zur Herstellung von Wertstoffen werden Mikroorganismen, wie Hefen, Algen und Cyanobakterien genetisch verändert sowie deren Wachstums- und Produktionsbedingungen optimiert, um höhere Ausbeuten von natürlichen (Organismus-eigenen) oder nicht-natürlichen (aus einem fremden Organismus stammend) Inhaltsstoffen aus Abfallstoffen zu produzieren. Je nach verwendetem Mikroorganismus kommen verschiedene Substrate als Nahrungsbasis zum Einsatz. Durch physikalisch-chemischen Aufschluss der holzartigen Strohfasern, können etwa die Inhaltsstoffe des Strohs für weitere enzymatische Bearbeitungen zugänglich gemacht werden. Dadurch werden Stoffe freigesetzt, welche den Hefen als Nahrung dienen und so in die gewünschten Wertstoffe umgewandelt werden können. Algen und Cyanobakterien können wiederum industriell entstandenes CO2 in andere kohlenstoffhaltige Produkte umwandeln. Die hier verwendeten Hefen, Algen und Cyanobakterien wurden zuvor derart optimiert, dass die zur Produktion des Zielproduktes verantwortlichen Gene im Erbgut vervielfacht und teilweise Stoffwechselwege, welche zum Abbau des Zielproduktes führen können, ausgeschalten wurden. Diese veränderten Mikroorganismen werden im Labor kultiviert und die Produktionsraten der Zielsubstanzen analytisch untersucht. 247

250 4 ERGEBNISSE Die bisherigen Resultate fußen auf Experimenten im Labormaßstab, die als Vorarbeit für die Konzeption späterer Pilotanlagen in der industriellen Produktion dienen. Auf der Suche nach Hochleistungsproduzenten konnten bereits über 10 für die Wissenschaft bislang unbekannte Algenstämme in den Alpen, dem arktischen Spitzbergen und der Hohen Tatra gefunden werden. Es handelt sich hauptsächlich um Vertreter von Grün- und Goldgelben Algen (Procházková et al. 2018, Remias et al. 2018, Remias et al. 2019). Viele Arten zeigen unter Stressbedingungen erhöhte Produktivität von ernährungstechnisch relevanten Stoffen wie Pigmenten oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren (poly unsaturated fatty a- cids PUFAs). Die Kultivierung von Vischeria sp. unter Stressbedingungen (Mangelmedium ohne Stickstoff), führte zu einer deutlich höheren Ausbeuten an essenziellen Fettsäuren, der Gehalt an Carotinoiden im Vergleich zur Kultivierung unter Standardbedingungen war ebenfalls stark erhöht, was zu einer orangen Verfärbung führte (Abbildung 4). Das gesamte Potenzial derartiger Algen konnte seit ihrer Entdeckung noch nicht vollständig erfasst werden, sodass weitere Optimierungen zur Steigerung der Produktivität geplant sind. Dabei wird das Algenwachstum im Glassäulen-Reaktor ph-gesteuert durch zugeführte CO2-Gaben unterstützt. Zusätzlich warten noch weitere Algen im Labor darauf, ihr Potenzial zeigen zu können. Und natürlich sind weitere Exkursionen geplant, um die bisher noch unentdeckten Schätze in Schnee und Eis zu finden. Für die gentechnische Optimierung von Mikroorganismen muss zunächst Transfer-DNA erstellt werden, die die benötigten Gene für die Zielprodukte enthalten. Für die Produktion von Ethanol mit Cyanobakterien müssen zwei Gene in das Erbgut der Bakterien eingebracht werden, welche die Ethanolbildung erst ermöglichen. Im nächsten Schritt werden Transformanten bestimmt und ausgewählt, welche diese Gene integriert haben. Zurzeit erfolgt im Labor diese Selektion der Transformanten. Für die Produktion von Stärke werden zunächst verschiedene natürliche Gene für eine erhöhte Bildung des natürlichen Speicherstoffes Glykogen und ein weiteres Gen, welches dieses Glykogen in Stärke umwandelt, eingebracht. Auch hier konnten bereits diverse Transformanten gewonnen werden, welche diese Genkombinationen integriert haben. Diese Transformanten beider Ansätze werden im Weiteren hinsichtlich der Proteinsynthese und Bildung des Ethanols und der Stärke untersucht. Zur beschleunigten Produktion der Zielstoffe wird kontinuierlich CO2 zugesetzt, welches letztendlich in die gewünschten Produkte eingebaut wird. Abbildung 4: Kultivierung der Alge Vischeria sp. unter Standardbedingungen (links) und Stressbedingungen (rechts), welche hier zu einer erhöhten Produktion des roten Pigments Cantaxanthin führt. Abbildung 5: Gesteigerte Xylitolproduktion durch genetisch optimierte Hefepilze. 248

251 Die Nutzung von Stroh als Substrat für Hefepilze kann nur durch die vorherige Aufbereitung des Strohs erfolgen. Verschiedene Parameter zur Gewinnung der wertvollen Reststoffe aus dem Stroh wurden ausgetestet, um den Prozess zu optimieren. Weiterhin werden verschiedene Hefearten eingesetzt, um die Reststoffe aus dem Stroh zu verwerten und verschiedene Produkte herstellen zu können. Mit gentechnisch optimierten Hefen der Gattung Candida guilliermondii wird dann aus diesen Reststoffen z.b. Xylitol hergestellt. Dafür wurde in der Hefe nachweislich ein Gen ausgeschalten, um den Abbau des hergestellten Xylitols zu verhindern und ein Gen zur verstärkten Produktion eingebracht. Mit den so optimierten Hefen konnte eine 400 % höhere Xylitolproduktion im Vergleich zu einer unveränderten Hefe erzielt werden (Abbildung 5). Weitere Optimierungen zur Steigerung der Produktivität werden derzeit durchgeführt. Hier wurden die Anwendungsgebiete von Algen, Cyanobakterien und Hefepilzen gezeigt, die einen Beitrag zu einer bewussteren Reststoffnutzung und zum Klimaschutz leisten können. Die verwendeten Reststoffe Stroh und CO2 können in industriell nutzbare Wertprodukte umgewandelt werden, deren Produktbereiche sehr vielseitig sind. Das Potenzial der Mikroorganismen als Produktionssystem ist noch lange nicht ausgeschöpft, denn einige sind vielleicht noch gar nicht entdeckt. REFERENZEN Procházková, L., Remias, D., Holzinger, A., Řezanka, T., & Nedbalová, L. (2018). Ecophysiological and morphological comparison of two populations of Chlainomonas sp.(chlorophyta) causing red snow on ice-covered lakes in the High Tatras and Austrian Alps. European journal of phycology, 53(2), Remias, D., Procházková, L., Holzinger, A., & Nedbalová, L. (2018). Ecology, cytology and phylogeny of the snow alga Scotiella cryophila K-1 (Chlamydomonadales, Chlorophyta) from the Austrian Alps. Phycologia Remias, D., Procházková, L., Procházková, L. & Andersen, R. (2019). Two new Kremastochrysis species, K. austriaca sp. nov. and K. americana sp. nov. (Chrysophyceae). Journal of Phycology, under review 249

252 250

253 SESSION CS: Coming Soon CS - Early Scholar 251

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255 Management von lernfähigen Vorhersage-Modellen für Industrie-Anwendungen Florian Bachinger 1, Gabriel Kronberger 1 1 FH Oberösterreich, Josef-Ressel-Zentrum für Symbolische Regression, Softwarepark 11, 4323 Hagenberg, Österreich, florian.bachinger@fh-hagenberg.at, gabriel.kronberger@fh-hagenberg.at 1 MOTIVATION Der Einsatz von Algorithmen für maschinelles Lernen (ML) ist in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Szenarien für maschinelles Lernen sind in vielen Anwendungen industrieller Produktion und Logistik aufzufinden. Mit der weiterhin wachsenden Verbreitung von KI- Lösungen, wird auch die Anzahl von Vorhersage-Modellen weiter steigen. In Produktionsbetrieben werden Vorhersage-Modelle unter anderem direkt auf der Anlage betrieben und für Steuerung und Regelung verwendet. Für diesen Einsatz müssen Modelle an die jeweilige Umgebung und das Einsatzgebiet angepasst werden. Durch Veränderungen der Anlage (z.b. Verschleiß oder Re-Kalibrierungen von Sensoren) oder der eingehenden Zwischenprodukte (z.b. unterschiedliche Rohmaterialien) kann es zu sogenanntem Konzept-Drift kommen. Dies erfordert Anpassungen der Modelle an den neuen Zustand. Aus dieser Anforderung heraus entsteht eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle und unterschiedliche Versionen desselben Modells. Modell-Management-Systeme sollen diesen Prozess unterstützen. Dafür werden alle Konfigurationen der ML-Algorithmen für die Modellerstellung gespeichert. Ein Modell- Management-System hat zum Ziel, den Lebenszyklus eines Modells vollständig abzudecken. Das umfasst die Versionierung von Daten sowie die Versionierung und Speicherung aller Modelle. Zusätzlich soll ein solches System das Verhalten der Modelle im produktiven Einsatz auf der Anlage überwachen und so den Konzept-Drift erkennen und darauf reagieren. Aus diesem Hintergrund ergeben sich folgende Forschungsfragen: Wie können wir Vergleichbarkeit von einzelnen Modellen und Modell-Versionen ermöglichen um daraus besseres Wissen über die modellierten Systeme zu erhalten? Wie können wir die Nachvollziehbarkeit und Transparenz im Prozess des maschinellen Lernens verbessern? Wie kann eine häufige oder kontinuierliche Anpassung von Modellen ermöglicht werden ohne dabei die Betriebssicherheit von Anlagen zu beeinflussen? 2 THEORETISCHER RAHMEN Die Erstellung von Modellen mit Algorithmen des maschinellen Lernens ist ein iterativer, zyklischer Prozess der im CRISP-DM Modell (Chapman et al., 2000) sehr passend visualisiert wird (siehe Abbildung 1). DatenwissenschaftlerInnen gewinnen Erkenntnisse aus der Aufgabenstellung und den Daten und wählen, darauf basierend, passende ML-Algorithmen für die 253

256 Modellierungsaufgabe aus. Unterschiedliche Varianten in der Vorverarbeitung oder Aufbereitung der Daten haben auch großen Einfluss auf die Qualität der Ergebnisse. Im Modellierungsschritt wird versucht, mithilfe von ML-Algorithmen passende Modelle zu finden, die im nächsten Schritt, auf Basis der gegebenen Daten, evaluiert und validiert werden. Erfüllt ein Modell die erwünschten Eigenschaften (z.b. Genauigkeit der Vorhersage) kann es ausgerollt und zum Beispiel auf einer Anlage in Betrieb genommen werden. Der typische Ablauf einer Anwendung des maschinellen Lernens endet oft mit diesem Schritt. Werden im Modellierungsprozess falsche Annahmen getroffen, oder sind Fehler in der Daten-Aufzeichnung, der Vorverarbeitung oder im Modellierungsschritt aufgetreten, dann sind die bereits ausgelieferten Modelle betroffen. Im klassischen Ablauf kann meist nur schwer nachvollzogen werden, welches ausgelieferte Modell aus welcher Iteration des Zyklus stammt und ob es somit von diesem Problem betroffen ist. Abbildung 1. CRISP-DM Ablauf eines typischen Maschinenlern-Prozesses (Chapman et al., 2016) Durch die rapide Weiterentwicklung der ML-Verfahren und -Algorithmen wird dieser Prozess häufiger und schneller durchlaufen. Verbesserte Modelle sind somit schneller verfügbar. Die Auslieferung der ML-Modelle und deren vorhergehende Validierung für den produktiven Einsatz wird durch diese Vielfalt an Technologien ergänzend erschwert und sollte daher durch ein Modell-Management-System unterstützt werden. Dadurch kann ein ausfallfreier und effizienter Betrieb gewährleistet werden. Aktuelle Projekte wie z.b. das Projekt ModelDB (Vartak et al., 2016) unterstützen den Modellierungsworkflow, indem die Aufrufe zum Framework des ML-Algorithmus instrumentiert werden. Dabei wird jeder Methoden-Aufruf aufgezeichnet und in der sogenannten ModelDB gespeichert bevor er an das Framework weitergeleitet wird. Dadurch ist der Modellierungsvorgang reproduzierbar. ModelDB speichert jedoch weder die verwendeten Daten, noch das eigentliche ML-Modell selbst. Externe Änderungen an diesen Dateien bzw. Artefakte des ML- Prozesses können daher diese Reproduzierbarkeit gefährden. Projekte wie MauveDB (Deshpande et al., 2006) oder Longview (Akdere et al., 2011) stellen Vorhersage-Modelle als Datenbankfunktionen zur Verfügung. Diese sind dabei entweder direkt in der Datenbankspezifischen Programmiersprache implementiert oder werden extern angebunden. Somit sind diese Modelle stark mit den Daten selbst verbunden. Jedoch werden die Modelle nicht versioniert gespeichert und die Nachvollziehbarkeit der Modellierungsschritte (ML-Algorithmus und seine Konfiguration) geht verloren. Andere Projekte wie Clipper (Crankshaw et al., 2017) lösen die sichere Auslieferung der Modelle. Ausführbarkeit und Kompatibilität mit dem Zielsystem wird ermöglicht indem die Modelle in Docker-Containern eingebettet werden. Somit 254

257 ist sichergestellt, dass jedes Modell die notwendige Umgebung verfügbar hat und es zu keinen Konflikten in z.b. Versionen der Frameworks kommen kann. 3 DESIGN UND ARCHITEKTUR Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines Konzeptes für eine technische Infrastruktur sowie organisatorische Prozesse für Modell-Management, welche alle Anforderungen für den Einsatz im industriellen Umfeld erfüllen. Diese Infrastruktur soll als Vorlage für ähnliche Systeme dienen und wird in dem quelloffenen Softwaresystem HeuristicLab 1 für Vorhersage-Modelle entwickelt. Das konzipierte Modell-Management-System (siehe Abbildung 2) ist durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet: Zentralisierte, versionierte Speicherung der Daten und aller ML-Artefakte Speicherung semantischer Verbindungen zwischen den ML-Artefakten Automatische Evaluierung von Vorhersage-Modellen an Produktionsdaten Automatisiertes Ausrollen von validierten Modellen auf das Zielsystem Daten, auf deren Basis Vorhersage-Modelle trainiert werden, sind durch sogenannten Snapshots versioniert im Modell-Management-System gespeichert. Datenvorverarbeitungs- Applikationen und ML-Frameworks können diese Snapshots durch eine Schnittstelle auslesen und neue manipulierte Snapshots persistieren. Dadurch ist sichergestellt, dass Änderungen an den Daten vom System erkannt werden. Mehrere Snapshots können miteinander semantisch verbunden werden um Beziehungen zwischen Daten, z.b. aktuellerer Snapshot des gleichen Systems, abzubilden. Abbildung 2. Visualisierung des Datenflusses zwischen HeuristicLab, dem Modell-Management- System und externen Produktionsanlagen. Um Transparenz und Wiederholbarkeit des ganzheitlichen ML-Prozesses zu ermöglichen, müssen die unterstützen ML-Frameworks alle notwendigen Zwischenergebnisse und Konfigurationen der Algorithmen automatisch an das Modell-Management-System übermitteln

258 Somit kann nachvollzogen werden, welches Modell, durch welchen Algorithmus und auf Basis welcher Daten-Version erstellt wurde. Diese Datenbasis aus validierten Modellen und erfolgreicher Algorithmen-Konfigurationen kann in weiterer Folge auch als Basis für Meta- Optimierung oder als Konfigurations-Vorschlag für neue verwandte Modellierungsaufgaben dienen. In praktischen Anwendungen ist es oft notwendig, dass Vorhersage-Modelle an eine spezielle Anlage angepasst werden. Dabei werden Vorhersage-Modelle oder Modell-Strukturen durch ML-Algorithmen trainiert um diese neue Umgebung bzw. Daten korrekt vorherzusagen. ML-Algorithmen können dabei entweder bestehende Modelle nach erkanntem Konzept-Drift an die neue Situation anpassen oder den ML-Prozess beschleunigen indem bereits bestehende validierte Modell als Startpunkt verwendet werden um sie an ein verwandtes System anzupassen. Damit diese Anpassung von Modellen durch das Model-Management-System automatisch durchgeführt werden kann, sind die bereits erwähnten semantischen Verbindungen zwischen Artefakten notwendig. So werden z.b. Basis-Modell mit der anpassten Version und allgemein gültige Daten mit System spezifischen Daten verbunden. Um die Sicherheit der Anlage zu gewährleisten, müssen die angepassten Modelle validiert werden. Diese Validierung kann durch das Model-Management-System entweder auf Basis alter, verbundener Datensätze erfolgen oder durch Simulation des Zielsystems. Sobald ein verbessertes und validiertes Modell verfügbar ist soll dieses automatisch ausgeliefert werden. Die Ausführbarkeit der ausgelieferten Modelle in den heterogenen Zielsystemen kann dabei z.b. durch den Einsatz von Docker Containern sichergestellt werden. Kontinuierliche Daten-Rückmeldungen der Anlage in das Modell-Management System überwachen dabei das Verhalten der ausgelieferten Modelle. So können Probleme auf der Anlage oder Konzept-Drift der Modelle erkannt und Daten für zukünftige Modell-Anpassungen oder Validierungen gesammelt werden. Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung durch die Christian Doppler Forschungsgesellschaft, das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort und die Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung. REFERENZEN Akdere, M., Cetintemel, U., Riondato, M., Upfal, E., & Zdonik, S. B. (2011, January). The Case for Predictive Database Systems: Opportunities and Challenges. In CIDR (pp ). Chapman, P., Clinton, J., Kerber, R., Khabaza, T., Reinartz, T., Shearer, C.R., & Wirth, R.B. (2000). CRISP-DM 1.0: Step-by-step data mining guide. Crankshaw, D., Wang, X., Zhou, G., Franklin, M. J., Gonzalez, J. E., & Stoica, I. (2017). Clipper: A low-latency online prediction serving system. In 14th USENIX Symposium on Networked Systems Design and Implementation (NSDI 17) (pp ). 256

259 Deshpande, A., & Madden, S. (2006, June). MauveDB: supporting model-based user views in database systems. In Proceedings of the 2006 ACM SIGMOD international conference on Management of data (pp ). ACM. Vartak, M., Subramanyam, H., Lee, W. E., Viswanathan, S., Husnoo, S., Madden, S., & Zaharia, M. (2016, June). ModelDB: a system for machine learning model management. In Proceedings of the Workshop on Human-In-the-Loop Data Analytics (p. 14). ACM. 257

260 258

261 Die Auswirkungen der Customer Experience mit interaktiven Technologien im stationären Einzelhandel Gabriele Obermeier 1 1 FH Oberösterreich Campus Steyr, Wehrgrabengasse 1-3, 4400 Steyr, Österreich, gabriele.obermeier@fh-steyr.at 1 FORSCHUNGSFRAGE UND RELEVANZ Durch die Digitalisierung befindet sich der Einzelhandel, ähnlich wie die Medienbranche, sowie das Bank- und Versicherungswesen, im starken Umbruch (Harting, 2015). Die Welten zwischen online und offline verschmelzen zunehmend. Traditionelle stationäre Einzelhändler werden laut Jongen (2018) in Zukunft als Orte der Inspiration, Erlebnisse, Showcases und Service-Center wahrgenommen (S. 17). In Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigte Stephen Spielberg s Minority Report wie die Zukunft des Einzelhandels aussehen könnte. Knapp 20 Jahre nachdem der Film in den Kinos erschien, bewahrheitet sich, dass die Customer Experience stark von computergesteuerten Technologien beeinflusst wird (Pantano, Dennis, 2019). In einer Welt, in der Kunden jederzeit und überall jedes Produkt vergleichen, bewerten und kaufen können, findet die Differenzierung im stationären Einzelhandel durch Servicequalität und eine kundenfreundliche Shoppingumgebung statt, welche zunehmend durch interaktive Technologien gestützt wird (Kallweit, Spreer, Toporowski, 2014). Besonders Fast Fashion Anbieter wie Zara setzen stark auf technologische Innovationen, während Händler in anderen Branchen (bspw. Süßigkeiten, Souvenirs und Accessoires) noch weit von der Digitalisierung entfernt sind (Pantano, Vannucci, 2019). Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist einen Überblick über wissenschaftliche Studien zu schaffen, die Technologien zur Interaktion mit Endkunden im stationären Einzelhandel und deren Auswirkungen (wie Zufriedenheit oder die Absicht das Geschäft wieder zu besuchen) untersuchen. Demnach lauten die zentralen Forschungsfragen dieser Arbeit: 1. Welche Auswirkungen hat die Customer Experience mit interaktiven Technologien auf Konsumenten? 2. Welche persönlichen Eigenschaften der Konsumenten beeinflussen die Auswirkungen der Customer Experience mit interaktiven Technologien? 3. Welche Forschungsansätze für weitere Studien können festgestellt werden? 2 THEORETISCHER RAHMEN Einzelhändler installieren zunehmend interaktive Technologien in ihren Geschäften um ihren Kunden eine besondere Customer Experience zu ermöglichen. Nach Verhoef et al. (2009) wird Customer Experience als multidimensionales Konstrukt verstanden, das ganzheitlich angelegt ist und die kognitiven, affektiven, emotionalen, sozialen und psychischen Reaktionen des Kunden auf Stimuli im Geschäft einschließt (p. 32). Einzelhändler können einige dieser Stimuli beeinflussen (z.b. Technologien, Service-Schnittstellen, Atmosphäre, Sortiment, Preis), während andere außerhalb ihrer Kontrolle liegen (z.b. Einfluss durch Dritte, 259

262 Grund des Einkaufs) (Verhoef et al., 2009, p. 32). Die Wahrnehmung der Stimuli beeinflusst Faktoren wie die Zufriedenheit oder Loyalität der Kunden (Grewal, 2009). Ein maßgeblicher Vorteil von interaktiven Technologien im Einzelhandel ist, dass sie Kunden miteinbeziehen und dadurch eine außergewöhnliche Experience schaffen (Grewal, 20009). Darüber hinaus können sie die Online- und Offlinewelt im Multi- und Omnichannel-Umfeld verbinden, z.b. wenn Kunden das Bild ihres neuen Outfits über einen intelligenten Spiegel auf ihren Social Media Kanälen teilen (Blázquez, 2014). Die Möglichkeiten interaktive Technologien im Einzelhandel einzusetzen sind vielfältig. Pantano und Vannucci (2019) kategorisieren diese wie folgt: Displays zur Darstellung von Informationen oder Produkten, wie Digital Signage Shopping Experience Technologien, wie ein Virtual/Smart Mirror, Virtual/Smart Fitting Room, Augmented Reality, 3D-Printing, (mobile Apps) und Tablets Technologien zur Informationssuche, wie QR-Codes die mit dem Mobiltelefon gescannt werden können Technologien für die Bezahlung, wie Self-Checkouts, Self-Scanning (Djelassi et al., 2018) oder Scan-and-Go-Technologien (Grewal et al. 2017) Sonstige Technologien, darunter Click and Collect Systeme, Warenautomaten und Selfservice-Kiosks Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass neue digitale Technologien Schlüsselkomponenten für den Erfolg stationärer Einzelhandelsgeschäfte sind und zu höheren Besucherraten und Umsätzen führen. Darüber hinaus behaupten die Autoren, dass sich interaktive Technologien auf ein verbessertes Kundenerlebnis auswirken und Wettbewerbsvorteile generieren (Poncin, Mimoun, 2014; Roy et al., 2017). Es wurde bisher noch keine Literaturanalyse erstellt, die ein einheitliches Bild über die Auswirkungen der Customer Experience mit interaktiven Technologien in stationären Geschäften schafft und sich dabei speziell auf Studien fokussiert, die ein Feld- oder Laborexperiment durchgeführt haben. 3 METHODISCHES VORGEHEN Die vorliegende Arbeit folgt dem Leitfaden für systematische Literaturanalysen im Forschungsfeld der Informationssysteme nach vom Brocke et al. (2009). Das Ziel dieser Arbeit ist die Zusammenführung von empirischen Studien, die interaktive Technologien im stationären Einzelhandel und deren Auswirkungen untersuchen. Die Literaturrecherche beschränkte sich auf einen Zeitraum von 8,5 Jahren, da dies von Willems et al. (2017) aufgrund der schnellen Weiterentwicklung von Technologien im stationären Einzelhandel empfohlen wird. Eine Schlüsselwortsuche in den digitalen Bibliotheken von ScienceDirect, Web of Science und Springer führte zu insgesamt 15 relevanten Publikationen. 4 ERGEBNISSE UND WEITERE FORSCHUNGSMÖGLICHKEITEN In den folgenden beiden Abschnitten werden (1) die Auswirkungen der Curstomer Experience mit interaktiven Technologien dargestellt, (2) der Einfluss persönlicher Eigenschaften der Konsumenten aufgelistet und (3) mögliche Forschungsansätze für zukünftige Untersuchungen erfasst. 260

263 4.1 Auswirkungen von Technologien im stationären Einzelhandel Die Ergebnisse der systematischen Literaturanalyse von Feld- oder Laborexperimenten im stationären Einzelhandel zeigen einen positiven Einfluss von der Interaktion zwischen Kunden und Technologien vorwiegend auf die nachfolgenden Faktoren: Zufriedenheit (Djelassi et al., 2018; Penttinen et al., 2014; Poncin, Mimoun, 2014; Wang, 2012) Absicht das Geschäft wieder zu besuchen (Fernandes, Lecointre-Erickson et al., 2018; Poncin et al., 2017; Lee, Yang, 2013; Poncin, Mimoun, 2014; Wang, 2012) Absicht Technologie wieder zu verwenden (Kallweit et al., 2014; Wang et al., 2013) Kaufabsicht (Mukherjee et al., 2018; Siah, Fam, 2018) 4.2 Einfluss persönlicher Eigenschaften der Konsumenten Durch Hinzuziehen von persönlichen Eigenschaften der Konsumenten, können weitere Erkenntnisse im Hinblick auf den Einsatz von interaktiven Technologien im stationären Einzelhandel gewonnen werden. Die herangezogenen Studien bezogen neben demografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Bildungsstatus, etc.) beispielsweise auch folgende persönlichen Eigenschaften der Konsumenten mit ein: Häufigkeit von Technologienutzung Allgemeine Technologieaffinität Bedürfnis nach (menschlicher) Interaktion Ängstlichkeit vor neuen Technologien Allgemeines Einkaufsverhalten (Häufigkeit und Höhe Ausgaben) Die Wichtigkeit unterschiedliche Verhaltensweisen der Kunden miteinzubeziehen zeigen beispielsweise Priporas et al. (2017) in ihrer Studie über die Erwartungen der Generation Z (Personen die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden). Neue Technologien (z.b. Apps) und schnelle, automatisierte Prozesse in den Geschäften müssen Teil ihrer Customer Experience sein. 4.3 Forschungsansätze für weitere Studien Variablen die in weiterführenden Studien verstärkt untersucht werden sollten, sind die Wirkung moderner Technologien im physischen Geschäft auf den wahrgenommenen Komfort, den die Technologie ermöglichen sollen (Benoit et al., 2017), das Wohlgefühl in der Umgebung des Geschäfts (Troebs, 2018) und das Einkaufsbewusstsein der Kunden (Casidy, 2012). Darüber hinaus werden interaktive Technologien stets weiterentwickelt, die in Feldoder Laborexperimenten untersucht werden könnten. Beispiele hierfür sind Augmented Reality Anwendungen oder auch Service Roboter (De Keyser et al. 2019). 4.4 Zusammenfassung Bisher gab es keine Literaturanalyse die die Ergebnisse von Labor- und Feldexperimenten zusammenfasst, wie sich die Customer Experience mit interaktiven Technologien im stationären Einzelhandel auf Kunden auswirkt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass interaktive 261

264 Technologien einen positiven Einfluss bewirken, vor allem hinsichtlich der Kundenzufriedenheit und der Absicht das Geschäft wieder zu besuchen. REFERENZEN Benoit, Sabine, Sonja Klose, & Andreas Ettinger (2017). "Linking service convenience to satisfaction: dimensions and key moderators." Journal of Services Marketing Blázquez, M. (2014). Fashion Shopping in Multichannel Retail: The Role of Technology in Enhancing the Customer Experience. International Journal of Electronic Commerce. doi: /JEC Bustamante, J.C. & Rubio, N. (2017). Measuring customer experience in physical retail environments. Journal of Service Management. doi: /JOSM Casidy, R. (2012b), Discovering consumer personality clusters in prestige sensitivity and fashion consciousness context, Journal of International Consumer Marketing, Vol. 24 No. 4, pp De Keyser, A., et al. (2019). "Frontline Service Technology infusion: conceptual archetypes and future research directions." Journal of Service Management Djelassi, S., Diallo, M.F. & Zielke, S. (2018). How self-service technology experience evaluation affects waiting time and customer satisfaction? A moderated media-tion model. Decision Support Systems. doi: /j.dss Fernandes, T. & Pedroso, R. (2017). The effect of self-checkout quality on customer satisfaction and repatronage in a retail context. Serv Bus. doi: /s Grewal, D., Levy, M. & Kumar, V. (2009). Customer Experience Management in Retailing: An Organizing Framework. Journal of Retailing. doi: /j.jre-tai Harting, A. (2015). "Überlebensstrategie." Digital Leadership.(Insights). Online verfügbar unter com/de/de/pages/technology/articles/survival-through-digitalleadership.tml, zuletzt aktualisiert am 14 (2015). Jongen, W. (2018). The End of Online Shopping: The Future of New Retail in an Always Connected World. World Scientific Books (2018) Kallweit, K., Spreer, P. & Toporowski, W. (2014). Why do customers use self-service information technologies in retail? The mediating effect of perceived service qual-ity. Journal of Retailing and Consumer Services. doi: /j.jretcon-ser

265 Lecointre-Erickson, D., Daucé, B. & Legohérel, P. (2018) The influence of interactive window displays on expected shopping experience. Intl J of Retail & Distrib Mgt. doi: /IJRDM Lee, H.-J.& Yang, K.(2013). Interpersonal service quality, self-service technology (SST) service quality, and retail patronage. Journal of Retailing and Consumer Services. doi: /j.jretconser Lemon, K.N. & Verhoef, P.C. (2016). Understanding Customer Experience Throughout the Customer Journey. Journal of Marketing. doi: /jm Meuter, M.L., Ostrom, A.L., Roundtree, R.I. & Bitner. M.J. (2000) Self-Service Tech-nologies: Understanding Customer Satisfaction with Technology-Based Service Encounters. Journal of Marketing. doi: /jmkg Mukherjee, A., Smith, R.J.& Turri, A.M. (2018). The smartness paradox: the moderating effect of brand quality reputation on consumers reactions to RFID-based smart fitting rooms. Journal of Business Research (2018). doi: /j.jbusres Orel, F.D. & Kara, A. (2014). Supermarket self-checkout service quality, customer satisfaction, and loyalty: Empirical evidence from an emerging market. Journal of Retailing and Consumer Services. doi: /j.jretconser Pantano, E. & Dennis, C. (2019). Smart Retailing 2019, Technologies and Strategies. Palgrave Pivot. doi: / Pantano, E. (2016). Engaging consumer through the storefront: Evidences from inte-grating interactive technologies. Journal of Retailing and Consumer Services. doi: /j.jretconser Pantano, E., & Vannucci, V. (2019). Who is innovating? An exploratory research of digital technologies diffusion in retail industry. Journal of Retailing and Consumer Services, 49, Penttinen, E., Rinta-Kahila, T., Ronkko, M. & Saarinen, T. (2014) Triggering Intention to Use to Actual Use -- Empirical Evidence from Self-Service Checkout (SCO) Systems. In: th Hawaii International Conference on System Sciences th Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS), Wai-koloa, HI, , pp IEEE ( ). doi: /HICSS Poncin, I. & Ben Mimoun, M.S. (2014). The impact of e-atmospherics on physical stores. Journal of Retailing and Consumer Services. doi: /j.jretconser

266 Poncin, I., Garnier, M., Ben Mimoun, M.S. & Leclercq, T. (2017). Smart technologies and shopping experience: Are gamification interfaces effective? The case of the Smartstore. Technological Forecasting and Social Change. doi: /j.techfore Priporas, C. V., Stylos, N., & Fotiadis, A. K. (2017). Generation Z consumers' expectations of interactions in smart retailing: A future agenda. Computers in Human Behavior, 77, Siah, J.W. & Fam, S. F. (2018). Self-checkout service quality and purchasing intention in Malaysia. Journal of Fundamental and Applied Sciences 10.6S, Troebs, C. C., Wagner, T., & Heidemann, F. (2018). Transformative retail services: Elevating loyalty through customer well-being. Journal of Retailing and Consumer Services, 45, Verhoef, P.C., Lemon, K.N., Parasuraman, A., Roggeveen, A., Tsiros, M. & Schlesinger, L.A. (2009). Customer Experience Creation: Determinants, Dynamics and Management Strategies. Journal of Retailing. doi: /j.jre-tai vom Brocke, J., Simons, A., Niehaves, B., Riemer, K., Plattfaut, R. & Cleven, A. (2009) Reconstructing the giant: On the importance of rigour in documenting the literature search process. ECIS (European Conference on Information Systems) 9, vom Brocke, J., Simons, A., Niehaves, B., Riemer, K., Plattfaut, R. & Cleven, A. (2009) Reconstructing the giant: On the importance of rigour in documenting the litera-ture search process. ECIS (European Conference on Information Systems) 9, Wang, C., Harris, J. & Patterson, P. (2013). The Roles of Habit, Self-Efficacy, and Satisfaction in Driving Continued Use of Self-Service Technologies: A Longitudinal Study. Journal of Service Research. doi: / Wang, M.C. H. (2012). Determinants and consequences of consumer satisfaction with selfservice technology in a retail setting. Managing Service Quality. doi: / White, A., Breazeale, M. & Collier, J.E. (2012). The Effects of Perceived Fairness on Customer Responses to Retailer SST Push Policies. Journal of Retailing. doi: /j.jretai Willems, K., Smolders, A., Brengman, M., Luyten, K. & Schöning, J. (2017). The path-topurchase is paved with digital opportunities: An inventory of shopper-oriented retail technologies. Technological Forecasting and Social Change. doi: /j.techfore

267 Robuste Algorithmen zur Situationsanalyse von flexiblen und mobilen Roboterassistenten Raimund Edlinger 1, Roman Froschauer 1, Andreas Nüchter 3 1 FH Oberösterreich Campus Wels, Stelzhamerstraße 23, 4600 Wels, Österreich, raimund.edlinger@fh-wels.at, roman.froschauer@fh-wels.at 3 Julius-Maximilians-University Würzburg Lehrstuhl für Informatik VII Robotik und Telematik, Am Hubland D Würzburg, Deutschland, andreas.nuechter@uni-wuerzburg.de 1 EINLEITUNG Die Automatisierung von Transport- und Arbeitsaufgaben in verschiedenen Anwendungsbereichen stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar. Hohe Anforderungen an Effizienz und Flexibilität sowie das Ziel, Umweltbelastungen und Gefahren für den Menschen zu reduzieren, stehen vor komplexen spezifischen Prozessen und oft schwierigen Umweltbedingungen. Technologische Fortschritte im autonomen Fahren, die nützlich sein könnten, finden derzeit vor allem im Automobilsektor statt. In anderen Bereichen sind Komponenten der Kraftfahrzeugtechnik jedoch nur bedingt einsetzbar. In vielen Anwendungsfällen sind neue Ansätze und Innovationen aufgrund spezifischer Anforderungen, insbesondere für Aufgaben, bei denen ein hohes Maß an Verständnis für die Situation und das Umfeld erforderlich ist, notwendig. Dies gilt insbesondere für die robuste Klassifizierung von Arbeitsbereichen und Objekten, sowie die zuverlässige Unterscheidung zwischen Hindernissen und Arbeitsmaterialien. Unterschiedliche Umgebungsbedingungen und die Komplexität der präzisen Innen- und Außenlokalisierung unter allen Wetterbedingungen erschweren diese Aufgaben zusätzlich. Eine hochrelevante und anspruchsvolle Anwendung von Robotersystemen ist der Einsatz bei Katastrophenschutzaufgaben oder der Einsatz in Untertageinfrastrukturen, die durch einen hohen Grad an Degradation und unstrukturierte Umgebungen gekennzeichnet sind. Die Katastrophenvorsorge umfasst eine Vielzahl von Szenarien, darunter die Erforschung eines Katastrophenortes oder die Manipulation von Objekten in der Umwelt sowie Unterwasser-, Boden- und Luftanwendungen. Extreme Umweltbedingungen wie Regen, Gegenlicht, Schnee und Nebel, sowie situative Ereignisse, wie feuerbedingter Rauch und Nebel, Staub, beeinträchtigen die Qualität und Benutzerfreundlichkeit der traditionellen, lichtbasierten Sensorik erheblich. Roboter für den Notfall- und Katastrophenschutz können das Risiko für Einsatzkräfte reduzieren und gleichzeitig den Missionsprozess effizienter gestalten. Aufgrund ihres Einsatzes in rauen Umgebungen erfordern diese Anwendungen eine neue Umgebungswahrnehmung und kognitive Roboterfähigkeiten. Die Einschränkungen herkömmlicher Sensoren für Aufgaben, die Informationen nur teilweise oder falsch beeinflussen, sowie die mechanische, elektronische und thermische Robustheit begrenzen das Anwendungspotenzial aktueller Roboterplattformen und Sensorsysteme. Urbane Such- und Rettungsrobotertechnologien, wie jener Forschungsroboter in Abbildung 1, haben das Potenzial, Rettungsteams und Einsatzkräfte zu unterstützen, insbesondere bei Naturkatastrophen oder drohenden Unfällen. Diese Technologien können genutzt werden, 265

268 um die Fähigkeiten der menschlichen First Responder zu verbessern und den Ferneinsatz solcher Rettungsroboter zunehmend für gefährliche Aufgaben außerhalb des Brand- bzw. Einsatzortes zu ermöglichen. Abbildung 1. Forschungsroboter der FH OÖ Forschungs & Entwicklungs GmbH - Campus Wels In den letzten Jahren wurden auch Anstrengungen unternommen, um Rettungskräfte bei ihren schwierigen und gefährlichen Aufgaben zu unterstützen. Um die Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben, wurden Roboter-Wettbewerbe gestartet, die genau auf solche Szenarien abzielen. Diese Bemühungen wurden durch den Vorfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi nach dem Tsunami im Jahr 2011 verstärkt (Strickland, 2011). Die Roboter mussten unebenes Gelände überwinden und gleichzeitig dem Operator ein Situationsbewusstsein vermitteln. Mobile Plattformen und Manipulatoren wurden per Fernteleoperation gesteuert. Die von den Robotern gemeldeten Erfahrungen aus diesen Operationen zeigten, dass der Schulungsaufwand den Start des Betriebs verlangsamt, während hohe Arbeitsbelastung und geringes Situationsbewusstsein den laufenden Betrieb mit der aktuellen Robotertechnologie behindern und verlangsamen. Darüber hinaus wurde ein erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf für fortschrittliche intelligente Robotertechnologien und flexible Interaktionsebenen mit entfernten menschlichen Bedienern deutlich, was unter anderem zur Initiierung der RoboCup Rescue League (Jacoff et al., 2012), WRS World Robot Summit 1 und die DARPA Robotics Challenge (Pratt et al., 2013) geführt hat. 2 HYBRIDES MOBILES ROBOTERSYSTEM MIT PLUG-AND-PLAY-MODULEN Die Einsatzszenarien für derartige Robotersysteme und die Anwendungsgebiete für mobile UGVs (Unmanned Ground Vehicles) unterscheiden sich wesentlich in der Verwendung der notwendigen Sensorik und Werkzeuge (Roboterarm, Greifsysteme, usw.). Das hybride und mobile Robotersystem stellt ein neuartiges modulares und anpassungsfähiges Nutzlastkonzept für einen Plug-and-Play-Ansatz von Sensormodulen, Betätigungsplattformen (Manipulator und Aufgabenbeschreibungen für Robotik und Automatisierungsanwendungen) vor. Die Integration, Programmierung und Bedienung heterogener Robotersysteme

269 (z.b. mobile Manipulatoren oder Roboter in einem Maschinenverbund) sind sehr komplexe Aufgaben für Anlagenbetreiber. Heterogene Systemkomponenten müssen (über proprietäre Schnittstellen) von übergeordneten Steuerungssystemen orchestriert werden. Das modulare Roboterbaukastensystem ist die nächste Generation in Robotik, Produktion und Logistik (Bauernhansl et al., 2014; Kagermann et al., 2013), cyper-physikalischen Systemen (Kowalewski et al., 2014) und unbemannten Systemen. Dieses innovative und flexible Konzept basiert auf Hauptmodulen, die eine Reihe von verschiedenen anwendungsspezifischen Basisvarianten ermöglichen. Diese Basisvarianten können andere Fachmodule nach individuellen Benutzeranforderungen unterstützen. Das modulare System bietet mehr Flexibilität, Mobilität, Nutzlastkapazität und Dauer bei reduzierter Arbeitsbelastung des Bedieners, reduziertem Schulungsaufwand und die Module können auf unterschiedlichen Geräteträgern verwendet werden. Abbildung 2. MARK Modulares Adaptives Roboter-Konzept Die Entwicklung mobiler und flexibler Automatisierungslösungen erschließt neue Märkte und stellt dank fortgeschrittener Standardisierung auch eine Herausforderung für die Umsetzung einer hochflexiblen Produktion dar (Bubeck et al., 2014). Der Technologietransfer von Forschungseinrichtungen hat dazu geführt, dass ein wesentlicher Beitrag zur Roboterforschung und Weiterentwicklung mit der Entwicklung des Open Source Roboter-Betriebssystems (ROS) (Quigley et al., 2009) geliefert wird. Es gibt mehrere andere Robotik- 267

270 Softwareplattformen wie CLARAty (Nesnas, 2007), Miro (Utz et al., 2002) oder Player (Collet et al., 2005). Viele Softwarekomponenten wie autonome Navigation, Wegplanung, 2D/3D- Bildverarbeitung können für die Anwendungsentwicklung eingesetzt werden. Neben industriellen Netzwerken (HTTP-RPC-Technologie, OPC UA, etc.) wurden bereits Web- Technologien zur Statusinformation implementiert. Die flexible Eigenschaft von MARK (Mobiles Adaptives Roboter-Konzept), siehe Abbildung 2, ermöglicht es jedem Benutzer selbstkonfigurierende Module mit einer Plug and Play (PnP) Schnittstelle zu entwickeln. Diese Eigenschaft gibt dem Roboterbenutzer die Möglichkeit, Komponenten einzubinden, die automatisch erkannt werden und das Robotersystem erkennt, welches Modul sich an welchem Modulplatz befindet. Das Plug-and-Play Robotermodulkonzept ermöglicht die automatische Erkennung und Rekonfiguration der angeschlossenen standardisierten Komponenten (Hard- und Software) und das Gesamtsystem kann an die geforderte Anwendung optimal angepasst werden. 3 WAHRNEHMUNGSFÄHIGKEIT UND ROBOTERMODELLIERUNG IN KOMPLEXEN UMGEBUNGEN 3D-Punktwolken können aus Bildern mit photogrammetrischen Methoden und dichten Anpassungsalgorithmen oder mit Light Detection And Ranging (LiDAR) erzeugt werden. Beide Ansätze liefern Messungen mit einem hohen Detaillierungsgrad. Punktwolken werden in vielen Bereichen der Technik und Anwendungsbereiche eingesetzt: Bauwesen, Qualitätsbewertung und -sicherung, Umweltüberwachung, Land- und Forstwirtschaft, um nur einige zu nennen. Objekte, die durch Punktwolken beschrieben werden, können so klein wie wenige Millimeter oder so groß wie ganze Städte sein, einschließlich Gebäude, Straßen, Bäume und Autos. Neben den Koordinateninformationen können auch Farben enthalten sein, die auf jeden einzelnen 3D-Punkt abgebildet sind, was eine sehr realistische Darstellung ermöglicht. Punktwolken sind oft die Grundlage für hochpräzise 3D-Modelle, die dann für Messungen und Berechnungen direkt in oder am Objekt verwendet werden, z.b. Abstände, Durchmesser oder Krümmungen. Sie sind daher eine hervorragende Informationsquelle für die 3D-Featureund Objekterkennung, sowie für weitere Anwendungen wie z.b. die Deformationsanalyse von Oberflächen. Für die Online-3D-Kartierung werden verschiedene Algorithmen wie das RTABMAP-Projekt, LOAM (Zhang & Singh, 2018) oder Google carthographer (Hess et al., 2016) evaluiert. "RTABMap (Real Time Appearance Based Mapping) ist ein RGBD Graph Based SLAM- Ansatz, der auf einem inkrementellen Loop Closure Detektor" basiert. Der 3D- Echtzeitalgorithmus kann mit verschiedenen Sensoren verwendet werden, z.b. Kinect 1 und 2, Stereokamera, LIDAR oder an einem Roboter, der mit einem Laser-Entfernungsmesser für 3DoF-Mapping ausgestattet ist (Labbé & Michaud, 2019). Der Google Carthographer ist ein LIDAR-Mapping-Ansatz, der Echtzeit-Mapping und Loop Closure bei einer Auflösung von 5 cm ermöglicht. In Bezug auf LIDAR basierte und visuelle SLAM-Algorithmen gibt es viele Open-Source- Ansätze, aber nicht viele lassen sich leicht auf einem Roboter für eine Überprüfung der 3D- Rekonstruktion einsetzen und funktionieren robust in jedem Einsatzgebiet. Alle diese bisherigen visuellen SLAM-Ansätze gehen davon aus, dass die Kamera nie behindert wird oder dass Bilder immer genügend visuelle Merkmale haben, um sie zu verfolgen. Auch bei LIDAR Systemen kann es gerade bei nicht oder wenig strukturierten Umgebungen 268

271 zu Schwierigkeiten bei der 3D-Kartenerstellung kommen. Solche Annahmen können praktisch nicht auf einem autonomen Roboter umgesetzt werden, bei dem die Kamera vollständig von vorbeikommenden Personen blockiert werden kann, oder wenn der Roboter während der Navigation einer Oberfläche ohne visuelle Merkmale (z.b. weiße Wand) gegenüber steht. Einige SLAM-Algorithmen verwenden z.b. auch eine Kombination mit einer IMU (Inertial Measurment Unit), wobei diese den visuellen inertialen Odometrieansatz mit externen Odometrie-Eingang zusätzlich nutzen können. Die meisten 3D-SLAM Algorithmen können auch ein 3D-Belegungsraster (OctoMap) und eine dichte Punktwolke erzeugen, siehe Abbildung 3. (Hornung et al., 2013) Abbildung 3. 3D Belegungsraster (Octomap) von der FH OÖ Testarena Neben dem SLAM-Algorithmus müssen für einen autonomen Roboter weitere Sensordaten und Kerntechnologien konzipiert werden. Diese ermöglichen in Zukunft ein verbessertes Situationsbewusstsein, kognitive Assistenzfunktionen und die Entwicklung neuartiger Wahrnehmungsfähigkeiten durch den Einsatz moderner Methoden des maschinellen Lernens und die Integration von thermischen Infrarotsystemen, CBRNE Detektoren mit Real-Time- Sensorauswertung, Lokalisierung und Kartierung der Verteilungsfunktion in einer 3D Karte, um daraus entsprechende kognitive Ansätze in Hinblick auf potentielle Gefahrstellen und schlechte Sichtverhältnisse zu entwickeln. Neben einer robusten Lokalisierung und 3D-Kartierung ist für die vollständige Autonomie auch die Fahrzeug- und Robotermodellierung von großer Bedeutung. Ein kinematisches und dynamisches Robotermodell liefert ein vorhersagbares Verhalten gegen Unsicherheit in den Bodenparametern (z.b. Bodenspurkontakt). Der Schlupf verursacht mehrere Probleme für ketten- und radbetriebene UGVs, siehe Abbildung 4. Vor allem für die Lokalisierung, Geländeanalyse, Pfadverfolgungsalgorithmen und dynamische Modellierung mit robuster Steuerung eines differentiell gesteuerten mobilen Roboters wird eine Online- Schlupfparameterschätzung für das bestehende Kettenfahrzeug untersucht, um einen verbesserten Odometrie vom Roboter an den Lokalisierungsalgorithmus zu liefern (Yamauchi et 269

272 al., 2016). Aufgrund der flexiblen Auslegung an Sensorik und Konfiguration des Robotersystems müssen die verwendeten Algorithmen auch demensprechend flexibel gestaltet werden, so dass anhand der gesendeten Sensordaten eine robuste Lokalisierung und Kartierung möglich ist. Durch die Verwendung unterschiedlicher Sensorsysteme wird auch eine automatische Sensorkalibrierung entwickelt, die notwendig ist, um speziell LIDAR-Daten mit RGB- Daten oder Infrarotdaten zu fusionieren. Abbildung 4: Rettungsroboter ausgestattet mit einem Manipulator-Modul und einem Embedded System-Modul 4 GELÄNDEMODELLIERUNG UND MEHRSCHICHTIGES KARTENMODELL Die Modellierung von 3D-Karten und 3D-Wegplanung in Umgebungen mit ebenem Boden wurde oft publiziert (Hornung et al., 2012), die mehrere Ansätze mit 2D-Costmaps aus LIDAR-Sensoren generieren und den optimalen Roboterweg planen (Stoyanov et al., 2010). Eine Übersicht über die Befahrbarkeitsanalyse für Gelände und Hindernisse mit Robotern findet man in (Chhaniyara et al, 2012 und Papadakis, 2013). Ein Konzept zur adaptiven Überquerung unbekannten komplexen Geländes mit Hindernissen wurde von Zimmermann et al. (2014, 2015) publiziert. Bei Bewegungen im unwegsamen Gelände basieren viele Ansätze auf einer rasterbasierten, 2,5D-Höhenkartendarstellung des Geländes. Der Ansatz zur Aktualisierung der Höhenkarte basierend auf der Bewegung des Roboters wird von Fankhauser et al. (2018) und Kleiner et al. (2007) vorgestellt. Erste Ergebnisse mit einem volumetrisch abtastenden 3D LIDAR Sensor (Velodyne VLP-16) wurden mit dem Rettungsroboter in einer Tiefgarage durchgeführt, siehe Abbildung 5. Die erzeugte 3D Punktewolke stellt die befahrbare Fläche für den Roboter (weiss) und die nicht befahrbare Fläche der parkenden Fahrzeuge (rot) dar. Das mehrschichtige Kartenmodell bezieht sich auf die Implementierung grundlegender mehrschichtiger Operationen und Methoden und verbessert nicht nur das Situationsbewusstsein des Einsatzleiters im Einsatzszenario, sondern fusioniert alle gewonnenen Daten der Objektklassifikation und Szenenanalyse in ein Multilayered Mapping. 270

273 Abbildung 5. 3D Point-Cloud der FH OÖ Tiefgarage für die Befahrbarkeitsanalyse Bei automatisierten Operationen ist es auch wichtig, eine gewisse Genauigkeit in der Wahrnehmung und Zuordnung zu erreichen, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Die Komplexität der Arbeitsprozesse in einer rauen und dynamischen Umgebung und die Manipulation durch das System selbst machen Aufgaben wie Sensorfusion und Kartierung besonders anspruchsvoll. Selbst die neuesten Fortschritte in der laserbasierten und visuellen Lokalisierung kämpfen mit solchen Situationen, da zuverlässige Ergebnisse in der Regel nur in statischen und ausgeprägten Umgebungen erzielt werden können. Dieser Mangel ist die größte Herausforderung für LIDAR und visuelle Lokalisierungs- und Kartierungsalgorithmen in realen Szenarien und wird durch das Projekt untersucht. Der koordinierte Betrieb eines automatisierten Systems erfordert auch ein bestimmtes Maß an Situationsbewusstsein, insbesondere in Situationen, in denen potenzielle Hindernisse identifiziert werden und andere relevante Objekte erforderlich sind. Die zuverlässige und präzise Identifizierung und Lokalisierung von bestimmten Objekten und Teilen, die an einem bestimmten Arbeitsprozess beteiligt sein könnten, ist immer noch ein sehr wichtiger Aspekt und ein vielversprechendes Forschungsfeld. 5 INNOVATIONEN Eine multisensorische visuelle Wahrnehmung auf Grundlage maschineller Lernverfahren und die Fusionierung mit LIDAR und Radar-Sensordaten kann die Etablierung des Situationsbewusstseins für Ersthelfer entscheidend verbessern und beschleunigen. Im geplanten Projekt werden folgende innovative Aspekte erforscht: 5.1 Maschinelles Lernverfahren auf Basis kombinierter Infrarot- und RGB- Bilddaten zur Unterstützung bei der Brandbekämpfung Verbesserte Visualisierung und Interpretierbarkeit von IR-Bilddaten durch Bildübersetzung in den sichtbaren Bereich zur Einsatzunterstützung: durch diese Maßnahme kann die Aufmerksamkeit der Einsatzkräfte schnell auf bestimmte Aspekte gelenkt werden: Durch das automatische Erkennen relevanter Infrastruktur- und Szenenelemente (Brandort, Fluchtwege, Zugänge, Art des Brandes, potenzielle Risiken bzgl. Brandausbreitung, beteiligte Personen). 271

274 Die größte Herausforderung liegt in der Entwicklung robuster Methoden, die das praktisch unendliche Spektrum an möglichen Standpunkten und Umwelteinflüssen bewältigen können. Ein sehr vielversprechender Ansatz für dieses Problem liegt im maschinellen Lernen, bei dem mit gelernten Methoden Systeme geschaffen werden, die zu solchen Aufgaben fähig sind. Die Objektklassifizierung und -erkennung im Rahmen der Szenenanalyse dient der Erfassung relevanter Szenenelemente. Diese können sich auf die Lokalisierung von Brandquellen, die Klassifizierung von Wärmequellen (Feuer, Rauch, Reflexionen) und die visuelle Erkennung aller relevanten Objektklassen (Personen, Fahrzeuge, Hydranten, Notausgänge) spezialisiert haben. Die so erfassten Szenenelemente werden dann anhand einer Umgebungsdarstellung mit der bestehenden Infrastruktur (z.b. Garagenmodell) in Zusammenhang gebracht. Die visuelle Posenbestimmung von Objekten und Objektteilen in Kombination mit geometrischen Modellen ermöglicht robuste Ansätze zur Durchführung einer Posenbestimmung mit 6 Freiheitsgraden. Diese technologische Leistungsfähigkeit ermöglicht ein automatisches Manövrieren des Roboterfahrzeugs zu funktionalen Szenenelementen, z.b. beim Andocken von Feuerlöschern. 5.2 Fusion der Sensordaten in einem mehrschichtigen Kartenmodell Die Vision der intelligenten Brandbekämpfung umfasst die Erfassung, Fusion und Integration von Informationen aus einer Vielzahl von Datenbanken und Sensornetzwerken. Es beinhaltet auch computergestützte Werkzeuge zur Analyse dieser Informationen, um Vorhersagen über die Feuerausbreitung, Insassenevakuierung und Brandbekämpfung zu treffen. Die Verwirklichung dieser Vision würde es den Feuerwehren ermöglichen, bessere Koordinierung mit anderen kommunalen Diensten und Feuerwehrleuten und die Durchführung von schwierigen Feuerwehreinsätzen zu verbessern. Ein Modell, das die gewonnenen Daten der Objektklassifikation und Szenenanalyse in ein Multilayered Mapping fusioniert und sich auf die Implementierung grundlegender mehrschichtiger Operationen und Methoden bezieht, die in Vektor-Feature-Datensätzen verwendet werden. 5.3 Autonomer, sicherer Betrieb und Situationsbewusstsein Insbesondere können Roboter eingesetzt werden, um die Funktionalität und Fähigkeiten von menschlichen Helfern zu verbessern oder sie während der Mission von potenziellen Bedrohungen fernzuhalten. Erstere ermöglicht es beispielsweise, das Situationsbewusstsein im Katastrophenfall zu erhöhen, indem sie schnell Daten aus der Umwelt sammelt, siehe Abbildung 6, oder unzugängliche (z.b. eingestürzte Gebäude) Regionen und Gebiete finden. Letzteres ermöglicht es beispielsweise, gefährliche Gegenstände (z.b. Gefahrstoffe, brennende Fahrzeuge) aus der Ferne sicher zu lokalisieren und zu manipulieren oder Objekte wie Feuerlöschgeräte (Hydranten) mit den Markierungen der Feuerwehren zu markieren und die Position auf der Weltkarte mit der visuellen Posenbestimmung aus Innovation 5.1 zu bestimmen. Das allgemeine Katastrophenmodell von Innovation 5.2 wird auch zur Auswahl geeigneter Standorte für weitere Inspektionen verwendet. Geeignete Stellen sind solche, an denen sinnvolle Sensormessungen erwartet werden und die die Selbsterhaltung des Roboters gewährleisten. Die ausgewählten Standorte werden entweder direkt im autonomen Modus genutzt oder vom Missionsexperten im teilautonomen Modus durchgeführt. Als zentrale Datenstruktur wird dieses Modell natürlich verschiedene Ebenen unterstützen. Auf diese Weise 272

275 kann sich das System während der Kommunikation mit den Missionsexperten während des Betriebs automatisch an begrenzte Bandbreiten der Datenkommunikation anpassen. Abbildung 6: Echtzeit-Visualisierung von visuellen und LIDAR-Sensoren während der Erkundung eines verrauchten Gebäudes 6 ZUSAMMENFASSUNG Die Vision der intelligenten Brandbekämpfung kann realisiert werden, indem die an Unmengen an gesammelten Sensordaten gefiltert und fusioniert werden, um ein deutlich verbessertes Situationsbewusstsein, prädiktive Modelle und Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Das Ziel der Dissertation ist es, einen heuristischen Ansatz für Wahrnehmung, Situationsbewusstsein und Szenenverständnis im Kontext von adaptivem Geländelernen, dem modularen adaptierbaren Roboterkonzept und der Roboterkinematik/Dynamik durch ein hochgradig vorhersagbares Verhalten mit der Umgebung für robuste Roboterbeweglichkeit und Robotermanipulation zu finden. Die Konzepte für robuste Algorithmen zur Situationsanalyse von flexiblen und mobilen Roboterassistenten und die Autonomiefunktionen werden vorrangig am Forschungsrettungsroboter aus Abbildung 1 evaluiert. Die Synergien zu anderen Forschungsund Firmenprojekten sind gegeben und können auf die jeweilige Anwendung adaptiert werden. REFERENZEN Bauernhansl, T., Ten Hompel, M., & Vogel-Heuser, B. (Eds.). (2014). Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik: Anwendung-Technologien-Migration (pp ). Wiesbaden: Springer Vieweg. Bubeck, A., Gruhler, M., Reiser, U., & Weißhardt, F. (2014). Vom fahrerlosen Transportsystem zur intelligenten mobilen Automatisierungsplattform. In Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik (pp ). Springer Vieweg, Wiesbaden. 273

276 Chhaniyara, S., Brunskill, C., Yeomans, B., Matthews, M. C., Saaj, C., Ransom, S., & Richter, L. (2012). Terrain trafficability analysis and soil mechanical property identification for planetary rovers: A survey. Journal of Terramechanics, 49(2), Collett, T. H., MacDonald, B. A., & Gerkey, B. P. (2005, December). Player 2.0: Toward a practical robot programming framework. In Proceedings of the Australasian conference on robotics and automation (ACRA 2005) (p. 145). Citeseer Citeseer. Fankhauser, P., Bloesch, M., & Hutter, M. (2018). Probabilistic terrain mapping for mobile robots with uncertain localization. IEEE Robotics and Automation Letters, 3(4), Hess, W., Kohler, D., Rapp, H., & Andor, D. (2016, May). Real-time loop closure in 2D LIDAR SLAM. In 2016 IEEE International Conference on Robotics and Automation (ICRA) (pp ). IEEE. Hornung, A., Phillips, M., Jones, E. G., Bennewitz, M., Likhachev, M., & Chitta, S. (2012, May). Navigation in three-dimensional cluttered environments for mobile manipulation. In 2012 IEEE International Conference on Robotics and Automation (pp ). IEEE. Hornung, A., Wurm, K. M., Bennewitz, M., Stachniss, C., & Burgard, W. (2013). OctoMap: An efficient probabilistic 3D mapping framework based on octrees. Autonomous robots, 34(3), Jacoff, A., Sheh, R., Virts, A. M., Kimura, T., Pellenz, J., Schwertfeger, S., & Suthakorn, J. (2012, March). Using competitions to advance the development of standard test methods for response robots. In Proceedings of the Workshop on Performance Metrics for Intelligent Systems (pp ). ACM. Kagermann, H., Wahlster, W., & Helbig, J. (2013). Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort sichern Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0. Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie, 4, 1. Kleiner, A., & Dornhege, C. (2007). Real time localization and elevation mapping within urban search and rescue scenarios. Journal of Field Robotics, 24(8 9), Kowalewski, S., Rumpe, B., & Stollenwerk, A. (2014). Cyber-Physical Systems--eine Herausforderung an die Automatisierungstechnik?. arxiv preprint arxiv: Labbé, M., & Michaud, F. (2019). RTAB Map as an open source lidar and visual simultaneous localization and mapping library for large scale and long term online operation. Journal of Field Robotics, 36(2), Nesnas, I. A. (2007). The claraty project: Coping with hardware and software heterogeneity. In Software Engineering for Experimental Robotics (pp ). Springer, Berlin, Heidelberg. 274

277 Papadakis, P. (2013). Terrain traversability analysis methods for unmanned ground vehicles: A survey. Engineering Applications of Artificial Intelligence, 26(4), Pratt, G., & Manzo, J. (2013). The darpa robotics challenge [competitions]. IEEE Robotics & Automation Magazine, 20(2), Quigley, M., Conley, K., Gerkey, B., Faust, J., Foote, T., Leibs, J.,... & Ng, A. Y. (2009, May). ROS: an open-source Robot Operating System. In ICRA workshop on open source software (Vol. 3, No. 3.2, p. 5). Stoyanov, T., Magnusson, M., Andreasson, H., & Lilienthal, A. J. (2010, October). Path planning in 3D environments using the normal distributions transform. In 2010 IEEE/RSJ International Conference on Intelligent Robots and Systems (pp ). IEEE. Strickland, E. (2011). 24 hours at Fukushima. ieee SpEctrum, 48(11), Utz, H., Sablatnog, S., Enderle, S., & Kraetzschmar, G. (2002). Miro-middleware for mobile robot applications. IEEE Transactions on Robotics and Automation, 18(4), Yamauchi, G., Suzuki, D., & Nagatani, K. (2016, October). Online slip parameter estimation for tracked vehicle odometry on loose slope. In 2016 IEEE International Symposium on Safety, Security, and Rescue Robotics (SSRR) (pp ). IEEE. Zhang, J., & Singh, S. (2018). Laser visual inertial odometry and mapping with high robustness and low drift. Journal of Field Robotics, 35(8), Zimmermann, K., Zuzanek, P., Reinstein, M., & Hlavac, V. (2014, May). Adaptive traversability of unknown complex terrain with obstacles for mobile robots. In 2014 IEEE international conference on robotics and automation (ICRA) (pp ). IEEE. Zimmermann, K., Zuzánek, P., Reinstein, M., Petříček, T., & Hlaváč, V. (2015, May). Adaptive traversability of partially occluded obstacles. In 2015 IEEE International Conference on Robotics and Automation (ICRA) (pp ). IEEE. 275

278 276

279 Vascular Microlab Fabian Hauser 1 1 FH Oberösterreich Campus Linz, Garnisonstraße 21, 4020 Linz, Österreich, fabian.hauser@fh-linz.at ABSTRACT Jährlich erkranken Millionen von Menschen an atherosklerotischen Herzkrankheiten, welche unter anderem auf die Thrombus-Formation in Blutgefäßen zurückzuführen sind. Diese können sich ablösen, kleinere Blutgefäße (z.b.: Herzkranzgefäße) verstopfen und infolge zu einem Herzinfarkt führen. Des Weiteren sind Untersuchen der Interaktion von Thrombozyten (Blutplättchen) und Endothelzellen (Zellen der innersten Wandschicht von Blutgefäßen) sowohl für die Medizin als auch für die Medizintechnik von Interesse, um biokompatible Implantate zu entwickeln. Bei der Untersuchung von physiologischen und pathologischen Fragestellungen werden in der Forschung häufig Modelle von Systemen verwendet, um bei Interventionen (Stents, Herzklappen, künstliche Blutgefäße) eine mögliche Vorhersage treffen zu können. Für die Untersuchung der Reaktion von menschlichen Zellen auf z.b. Medikamente, Nanopartikel oder Krankheitserreger wird häufig die Technologie der Mikrofluidik angewendet um physiologische System unter Fluss modellieren zu können. Speziell in diesem Projekt - Vascular Microlab - wird untersucht, welche molekularen Interaktionen von Proteinen bei der Thrombozytenaggregation beteilig sind und wie verschiedene Scherkräfte und Flüsse auf die Zellen einwirken. Zu diesem Zweck wird die Mikrofluidik verwendet, um ein Blutgefäß nachzubilden und mittels hoch- und super-auflösender Mikroskopie werden die Interaktionen mit Thrombozyten untersucht. In der ersten Projektstufe wird ein Blutgefäß mit einem Kanal nachgebildet, mit menschlichen Endothelzellen besiedelt und mit Nährmedien versorgt. In der nächsten Projektstufe erfolgt eine Beschädigung der Endothelzellen, um vermehrt Thrombozyten zu aktivieren. Eine Beschädigung der Endothelzellen kann einerseits mittels lokaler Bestrahlung eines Lasers oder durch erhöhte Scherkräfte (keilförmiger Kanal) hervorgerufen werden. In Bereichen zu hoher oder zu niedriger Scherkräfte sind die Zell-Zell-Kontakte nicht vollständig ausgebildet Thrombozyten werden somit lokal vermehrt aktiviert. 277

280 WIR DANKEN UNSEREN SPONSOREN

281 WIR DANKEN UNSEREN SPONSOREN

282 AUTOR_INNENVERZEICHNIS Affenzeller Michael... 73, 79, 217 Aichinger Regina Aschauer Andrea Auinger Andreas...13 Bachinger Florian Beham Andreas...79 Billinger Barbara...33 Boldrino Susanna Brandl Paul Burgstaller Peter Cecon Franziska Docherty Mathew , 177 Dorfer Viktoria Ebner Christine...13 Edlinger Raimund Ehrenmülller Irmtraud Fischer Thomas Friedl Judith...45 Froschauer Roman Gaisch Martina , 233 Gaubinger Kurt Gornik Elke...95 Gradinger Petra , 227 Hagler Jürgen Hauder Viktoria...79 Hauser Fabian Hermann Eckehard Jadin Tanja Jodlbauer Herbert...13 Karder Johannes...79 Kerschbaumer Berthold Kränzl-Nagl Renate Kriegel Johannes...83, 185 Kronberger Gabriel... 73, 217, 253 Kröppl Michaela...63, 157 Lampesberger Harald Linde Frank Losbichler Heimo...13 Maierl Katharina Mathmann Katrin Nüchter Andreas Obermeier Gabriele Ortner Christina Ortner Tina Ortner Wolfgang Park Elke , 141 Petz Gerald...13 Preymann Silke Pukl Claudia...33 Raggl Sebastian...79 Rammer Victoria...45 Ratheiser Kirsten...57 Rau Christiane Remias Daniel Richter Juliane Riedl René...13 Rubenzer Mario...51 Schaller Susanne Schmid Judith...21 Schutti-Pfeil Gisela Stieninger Mark...13 Strohmaier Dagmar , 227 Telsnig-Ebner Andrea Überwimmer Margarethe...13 Wagner Gerold...13, 165 Wagner Petra Wagner Stefan...79 Wala Thomas...21 Wild Norbert...73 Winkler Stephan Wolfartsberger Josef...73 Zenisek Jan...73 Zwirzitz Alexander

283 PROCEEDINGS ISBN

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