KAPITEL I HUNDEBISSE GROSSE GEFAHR ODER KULTURELL BEDINGTE PHOBIE?
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- Artur Hofmeister
- vor 8 Jahren
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Transkript
1 KAPITEL I HUNDEBISSE GROSSE GEFAHR ODER KULTURELL BEDINGTE PHOBIE? In meiner Lieblingsszene des Films Mondsüchtig kommt der untreue Ehemann eines Abends spät nach Hause und Rose begrüßt ihn mit den Worten: Weißt du was, Cosmo? Ganz gleich, was du tust: Du wirst sterben wie jeder andere auch. Sie hatte eifrig jeden Mann, den sie getroffen hatte, befragt, warum Männer ständig hinter Frauen her sind, in der Hoffnung, Gewissheit zu erlangen und ihre Theorie zu bestätigen, dass der Grund dafür die Angst der Männer vor dem Tod ist. Cosmo geht die Stiegen hinauf und antwortet, ohne stehen zu bleiben: Danke, Rose. Ich gehe schlafen. Könnten wir dieser Tatsache doch alle so nüchtern ins Auge sehen, denn natürlich hat Rose recht. Jeder von uns wird sterben. Doch es wird kein Hund sein, der Sie umbringen wird. Ich meine das wörtlich. Sogar wenn dieses Buch an die Spitze der Bestsellerlisten schießt, besteht keine reelle Chance, dass diese Worte jemals von jemandem gelesen werden, der tatsächlich von einem Hund getötet werden wird. Tödliche Hundeangriffe sind unglaublich selten Die Chance, dass Sie von einem Hund getötet werden, liegt bei etwa 1 : 18 Mio. Das heißt, es ist doppelt so wahrscheinlich, dass Sie mit nur einem Lottoschein den Superjackpot knacken, als von einem Hund getötet zu werden. Das bedeutet, es ist fünfmal wahrscheinlicher, dass Sie von einem Blitz getroffen werden und nicht bloß getroffen, sondern tatsächlich getötet. Es ist interessant, dass wir, wenn ein Mensch von einem Blitz getroffen wird, dies oft als einen Akt Gottes sehen, gerade weil dieses Vorkommnis so außergewöhnlich ist. Tödliche Hundeangriffe sind noch außergewöhnlicher fünfmal außergewöhnlicher. 13
2 100 Abbildung 1 Sehr seltene Gründe für Unfälle mit Todesfolge Durchschnittliche Anzahl der Todesfälle pro Jahr Blitzschlag Gabelstapler Hunde Hundebisse gehören zu den seltensten Unfällen mit Todesfolge. Auf jedes Hundebissopfer kommen fünf Menschen, die von einem Blitz getötet werden. Und auf jeden tödlichen Hundebiss kommen vier Menschen, die bei einem Unfall mit einem Gabelstapler getötet werden, obwohl nur sehr wenige Menschen überhaupt mit solchen Maschinen zu tun haben. Die aufgeführten Zahlen stellen einen jährlichen Durchschnittswert dar, der sich aus jenen Einzelfällen der letzten 10 bis Jahre ergibt, die vom amerikanischen Center of Disease Control and Prevention erhoben wurden. 14
3 In der Beziehung zwischen Hund und Mensch gibt es viele Variablen. Und einige dieser Variablen müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt alle in die komplett falsche Richtung laufen, um letztlich eine tödliche Beißattacke auszulösen, in etwa so, wie bei einem perfekten Sturm. Solche Ereignisse sind im wahrsten Sinne des Wortes außergewöhnlich: Sie bewegen sich sehr weit außerhalb des Gewöhnlichen. Das ist der Grund, warum sie so selten vorkommen und warum es nicht sehr sinnvoll ist, nach einem allgemeinen Trend zu suchen. Ein Punkt, der immer und immer wieder aufgegriffen wird und deshalb wohl auch hier zur Sprache kommen sollte, ist der, dass mehr Kinder und ältere Menschen an Hundebissverletzungen sterben als Teenager oder junge Erwachsene. Es stimmt, dass körperlich leistungsfähige Erwachsene im Grunde genommen nie (ca. zwei in zehn Jahren) von einem einzelnen Hund getötet werden. An den wenigen Vorfällen, die Menschen zwischen 11 und 64 Jahren betreffen, sind meist mehrere Hunde beteiligt. Ja, es stimmt: Hunde töten öfter Kinder als Erwachsene. Trotzdem sind tödliche Beißvorfälle bei Kindern viel seltener als andere seltene Todesursachen, zum Beispiel durch große, mit Flüssigkeit gefüllte Eimer, Luftballone oder Schaukeln. Die Abbildung 2 zeigt die verschiedenen Gefahren in Relation zueinander. Eine andere, weit häufigere Todesursache bei Kindern, nämlich die Misshandlung durch eine Aufsichtsperson, wird als Vergleich herangezogen. Die Statistik ist jedoch irreführend, denn wenn man die Anzahl der durch Misshandlung getöteten Kinder exakt darstellen wollte, würde der Raum auf dieser Seite für den Messbalken nicht ausreichen. Tatsächlich würde man 11 Seiten benötigen, um seine wahre Länge darzustellen. Eine Tatsache, die niemand zu Sprache bringt, wenn wieder einmal in ernstem Tonfall Maßnahmen gefordert werden, ist, dass Babys, Kinder und ältere Menschen generell unfallgefährdeter sind als Teenager oder junge Erwachsene: Sie sind schwächer und zerbrechlicher, sie reagieren oft langsamer und weniger effektiv und sie sind kleiner.
4 Abbildung 2 Seltene Ursachen für tödliche Verletzungen bei Kindern ß Um die tatsächliche Anzahl jener Kinder, die jedes Jahr von einem Familienmitglied oder von Freunden getötet Durchschnittliche Anzahl der Todesfälle pro Jahr werden, korrekt darzustellen, müsste dieser Balken über 2,50 m lang sein Menschliche Aufsichtspersonen Eimer Spielplätze Luftballone Hunde Kinderspielzeuge wie Luftballone oder Murmeln, Spielplatzgeräte und mit Flüssigkeit gefüllte Eimer verursachen pro Jahr mehr Todesfälle bei Kindern unter 10 Jahren als Hundebisse. Misshandlungen mit Todesfolge durch eine Aufsichtsperson (meist ein Familienmitglied) wurden als Vergleich herangezogen, um zu zeigen, wie viel größer die Gefahr ist, dass ein Kind aufgrund solcher Vorkommnisse ums Leben kommt. Die aufgeführten Zahlen stellen einen jährlichen Durchschnittswert dar, der sich aus jenen Einzelfällen der letzten 10 bis Jahre ergibt, die vom amerikanischen Center of Disease Control and Prevention erhoben wurden. 16
5 Kinder fallen zum Beispiel öfter als Erwachsene tödlichen Fahrradunfällen zum Opfer und Kinder unter 14 Jahren haben die höchste unfallbedingte Sterblichkeitsrate unter allen Altersgruppen (ausgenommen sind Autounfälle). Ältere Menschen haben ebenso Schwächen, denn alte Knochen brechen zum Beispiel leichter als junge. Wenn man dann noch die mit dem Alter zunehmenden Bewegungs- und Gleichgewichtsprobleme hinzunimmt, ist es nicht mehr schwer zu verstehen, weshalb dieser Teil der Bevölkerung häufiger in Stürze verwickelt ist und diese oftmals auch schwere Verletzungen zur Folge haben. Es ist unmöglich, eine repräsentative Tabelle zu erstellen, in der diese anderen, viel schwerwiegenderen Gefahren mit den Gefahren von tödlichen Beißvorfällen verglichen werden können, denn der Balken, der in Statistik 3 die Anzahl der tödlichen Hundeattacken wiedergeben soll, kann im Vergleich mit den anderen nicht so groß dargestellt werden, dass man ihn auch erkennen könnte. Als Lehrerin, die professionelle Hundetrainer ausbildet und die für eine Institution arbeitet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Band zwischen Mensch und Tier zu festigen, habe ich mein ganzes Berufsleben der Aufgabe gewidmet, eine sichere, glückliche und harmonische Beziehung zwischen Hunden und Menschen zu fördern, wobei mein wichtigstes Anliegen immer die Sicherheit war. Doch wenn Menschen mich fragen, was man tun kann, um tödliche Beißvorfälle zu vermeiden, bin ich immer wieder versucht zu sagen: Nichts! Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass ich diese Frage als bizarr empfinde. Wir akzeptieren die Tatsache, dass, solange wir Autos nutzen, Menschen bei Autounfällen sterben werden, dass, solange wir Medikamente haben, es auch Menschen geben wird, die an den Nebenwirkungen der Medikamente sterben werden, dass, solange wir Bade- und Duschwannen haben, manche Leute darin ausrutschen und sich den Schädel brechen werden. 17
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