Grundkurs Strafrecht II BT 1 Vorlesung 1: Tötungsdelikte (1) Übersicht
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- Arwed Brodbeck
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1 Grundkurs Strafrecht II BT 1 Vorlesung 1: Tötungsdelikte (1) Übersicht - Anwendungsbereich der Tötungsdelikte - Totschlag und Mord ( 211 StGB) - Täterschaft und Teilnahme bei den Tötungsdelikten 1
2 Systematik der Tötungsdelikte Tötungsdelikte Vorsätzlich Fahrlässig Tötung auf Verlangen Totschlag Mord
3 Tötungsdelikte Übersicht + Abgrenzung Befruchtung Embryonenschutzgesetz Abschluss der Einnistung 218 ff. Beginn der Eröffnungswehen 211 ff. Gehirntod Transplantationsgesetz; 168, 189 StGB 3
4 Totschlag gem. 212 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tod eines anderen Menschen aa) Beginn des Menschseins bb) Ende des Menschseins b) Töten/ Kausalität / Objektive Zurechnung 2. Subjektiver Tatbestand: Problem Tötungsvorsatz ( Hemmschwelle ) II. Rechtswidrigkeit Problem: Einwilligung III. Schuld IV. Minder schwerer Fall des Totschlags ( 213) 4
5 Beginn und Ende des Menschseins Beginn des Menschseins Abgrenzung zwischen 218 und 211 ff. Beginn des menschlichen Lebens mit Beginn der Eröffnungswehen Problem: Pränatale Handlungen, die den Tod erst nach Geburtsbeginn bewirken Ende des Menschseins irreversibles Erlöschen der Gehirntätigkeit ( Hirntod ) 5
6 Fall 1 Weil die Presswehen der M nicht ausreichen, dass Kind auf die Welt zu bringen, greift die Hebamme H mit der Geburtszange zu. Dabei schädigt sie das Kind so schwer, dass es noch im Mutterleib stirbt. Fall 2 A verprügelt die schwangere F und nimmt dabei in Kauf, dass die Leibesfrucht abstirbt. Aufgrund der Verletzungen setzt die Geburt ein. Das Kind lebt kurze Zeit und verstirbt wegen der pränatalen Verletzungen. 223 an F; 218 I, II am ungeborenen Kind; nicht 212 am Kind 6
7 Fall 3 Motorradfahrer M wird nach einem Unfall auf der Autobahn ins Krankenhaus eingeliefert. Herz und Kreislauf können stabilisiert werden, dennoch erlöschen nach einer Weile alle Gehirnströme. Der Arzt A entnimmt dem Körper das noch intakte Herz zur Organtransplantation. Keine Strafbarkeit des A nach den 211 ff. 7
8 Totschlag gem. 212 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tod eines anderen Menschen aa) Beginn des Menschseins bb) Ende des Menschseins b) Töten/ Kausalität / Objektive Zurechnung 2. Subjektiver Tatbestand II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Minder schwerer Fall des Totschlags ( 213) 8
9 Subjektiver Tatbestand des 212 Problem: Abgrenzung Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit Eventualvorsatz (h.m.): Wissens- und Willenskomponente. BGH: Besonderheit beim Willenselement bei 211 ff.: Wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen stellt die offen zutage tretende Gefährlichkeit bestimmter Handlungen zwar ein gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter dar (Hemmschwellentheorie). 9
10 Fall 4 A, der pünktlich zum Dienst erscheinen will, überholt mit seinem Porsche auf einer schmalen Landstraße während des Berufsverkehrs bei dichtem Nebel einen langsam vor ihm fahrenden Lastzug. Während des Überholvorgangs verletzt er den ihm entgegenkommenden und ordnungsgemäß fahrenden Motoradfahrer B tödlich. Strafbarkeit des A wegen Totschlags ( 212)? Nach h.m. mangels Billigung des Tötungserfolgs Tötungsvorsatz und damit 212 des A (-) 10
11 Mord gem. 211 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tod eines anderen Menschen b) Objektive Mordmerkmale (2. Gruppe) aa) Heimtücke bb) Grausam cc) Mit gemeingefährlichen Mitteln 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz b) Subjektive Mordmerkmale aa) 1. Gruppe (1) Mordlust (2) Habgier (3) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs (4) Sonstige niedrige Beweggründe bb) 3. Gruppe (1) Eine andere Straftat zu ermöglichen (2) Eine andere Straftat zu verdecken II. Rechtswidrigkeit III. Schuld 11
12 Einschränkung der lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord I. Tatbestand Restriktive Auslegung der Mordmerkmale, insbesondere bei der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht II. Rechtswidrigkeit III. Schuld Sorgfältige Prüfung der Schuldfähigkeit IV. Strafzumessung Rechtsfolgenlösung: analoge Anwendung des 49 I Nr. 1 in außergewöhnlichen Fällen geminderter Schuld V. Strafvollstreckung Strafrestaussetzung gem. 57a StGB 12
13 Heimtücke Bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung Arglos Arglos ist das Opfer, wenn es im Zeitpunkt des Versuchsbeginns der Tötung nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder mit einem schweren Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit rechnet Problem: Fähigkeit zum Argwohn & Zeitpunkt der Arglosigkeit Wehrlos Wehrlos ist das Opfer, wenn es infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seiner Verteidigung stark eingeschränkt ist Problem: Ausnutzung Restriktion der Heimtücke Feindliche Willensrichtung / Verwerflicher Vertrauensbruch / negative Typenkorrektur 13
14 Fall 5 Herr M hasst seine Frau F wegen ihrer Untreue und will sich an ihr rächen. a) Er erschießt sie, als sie friedlich an seiner Seite schläft. b) Er hockt sich auf die Schlafende, weckt sie auf, kündigt ihr den tödlichen Schuss an und feuert die Waffe ab; c) Er weckt sie, neben ihr sitzend, auf und kündigt ihr an, sie jetzt langsam zu erdrosseln. Von ihrem Flehen ungerührt legt er die Hände um ihren Hals und drückt immer fester zu. Nach minutenlangem Todeskampf stirbt F. 14
15 Grausam Grausam tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt (objektiv-subjektives Merkmal) Mit gemeingefährlichen Mitteln Gemeingefährlich sind Tötungsmittel, deren Wirkung auf Leib oder Leben mehrer oder vieler Menschen der Täter nicht beherrscht, weil der die Ausdehnung der Gefahr nicht kontrolliert 15
16 Mord gem. 211 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tod eines anderen Menschen b) Objektive Mordmerkmale (2. Gruppe) aa) Heimtücke bb) Grausam cc) Mit gemeingefährlichen Mitteln 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz b) Subjektive Mordmerkmale aa) 1. Gruppe (1) Mordlust (2) Habgier (3) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs (4) Sonstige niedrige Beweggründe bb) 3. Gruppe (1) Eine andere Straftat zu ermöglichen (2) Eine andere Straftat zu verdecken II. Rechtswidrigkeit III. Schuld 16
17 Mordlust Mordlust liegt vor, wenn die Tathandlung auf einem Antrieb zum Töten, der auf den Tötungsvorgang als solchen gerichtet ist, beruht Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs tötet, wer das Töten als ein Mittel zur geschlechtlichen Befriedigung benutzt. Habgier Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt. 17
18 Fall 6 A sucht im kannibalen-forum.de nach einem Mann, der sich freiwillig von ihm schlachten und verzehren lässt. Er kommt in Kontakt mit B, der krankhaft masochistisch veranlagt von der Fantasie besessen ist, sich seinen Penis amputieren zu lassen. Dabei ist B sich der potentiell tödlichen Folgen bewusst, welche ihm jedoch gleichgültig sind, da seine natürliche Einsichts- und Willensfähigkeit eingeschränkt ist. A und B verabreden sich im Haus des verreisten F, wo A eine Videokamera installiert hat, um die Tat filmen und sich anschließend bei Betrachtung des Videos sexuell befriedigen zu können. Nach Penisamputation und Schlachtung des B betrachtet A zwei Wochen später das Video und befriedigt sich sexuell. Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs (vgl. BGH NJW 2005, 1876)? 18
19 Sonstige niedrige Beweggründe Niedrig sind Beweggründe, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb verachtenswert sind Gesamtabwägung aller maßgeblichen Faktoren: Missverhältnis zwischen Anlass und Erfolg Problem: Wertvorstellungen anderer Kulturkreise, z.b. Ehrenmord Problem: Töten ohne Grund 19
20 Fall 7 T tötet Frau O, a) um zu sehen, wie es ist, wenn ein Mensch stirbt; b) um ihr Geld an sich zu nehmen; c) weil ihm Frau A dafür eine Belohnung von versprochen hat; d) um an ihr ein Exempel zu statuieren, weil O sich nicht auf Ts Schutzgelderpressung eingelassen hat; e) weil ihm das während Os Vergewaltigung zusätzliche Lust verschafft; f) um sich an der Leiche sexuell zu vergehen; g) weil ihm Frau A, die Feindin der O, versprochen hat, als Belohnung mit ihm zu schlafen; h) damit Ts Freundin F statt der O als tot gelte. 20
21 Mord gem. 211 I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tod eines anderen Menschen b) Objektive Mordmerkmale (2. Gruppe) aa) Heimtücke bb) Grausam cc) Mit gemeingefährlichen Mitteln 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz b) Subjektive Mordmerkmale aa) 1. Gruppe (1) Mordlust (2) Habgier (3) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs (4) Sonstige niedrige Beweggründe bb) 3. Gruppe (1) Eine andere Straftat zu ermöglichen (2) Eine andere Straftat zu verdecken II. Rechtswidrigkeit III. Schuld 21
22 Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht Eine andere Straftat Straftat i.s.d. 11 I Nr. 5 (kein OWi ggf. niedriger Beweggrund) Ermöglichungsabsicht / Verdeckungsabsicht Problem: bedingter Tötungsvorsatz Problem: Verdeckungsabsicht beim Mord durch Unterlassen Problem: Verdeckungsabsicht zur Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen 22
23 Fall 62 S verkehrt geschlechtlich mit Frau F und lügt später seinem Vater V vor, er habe sie vergewaltigt. V tötet F, um die vermeintliche Vergewaltigung zu verdecken. Fall 8 A überfuhr nach Alkoholgenuss mit seinem Wagen einen auf der Straße liegenden Betrunkenen und verletzte ihn so schwer, dass dessen Leben auch bei sofortiger ärztlicher Behandlung nicht mehr hätte gerettet werden können. A hielt an, betrachtete den Verletzten und hielt eine Rettung durch Herbeirufen von Hilfe für möglich. Dennoch half er nicht und fuhr davon, um unerkannt zu bleiben. Der Verletzte starb kurz darauf, womit A gerechnet hatte. Verdeckungsmord (vgl. BGHSt 7, 287; 41, 358; BGH NStZ 2004, 89)? 23
24 Die besonderen persönlichen Merkmale i.s.d. 28 bei den Tötungsdelikten I. Rechtsprechung: 211, 212, 216 sind eigenständige Delikte Mordmerkmale bzw. Motivation durch Opferverlangen wirken strafbegründend i.s.d. 28 I. II. Schrifttum: 212 und 211 bzw. 216 stehen im Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation bzw. Privilegierung Mordmerkmale wirken strafschärfend i.s.d. 28 II Tötungsverlangen wirkt strafmildernd i.s.d. 28 II 24
25 Akzessorietät (nach Samson) 25
26 Fall 9 Der Neffe N tötet seinen reichen Erbonkel O aus Habgier. Sein Freund F hat dafür eine Pistole besorgt in dem Wissen, dass N habgierig ist. F selbst verwirklicht keine Mordmerkmale. N: 211 Habgier; F: 211, 27 ( 28 I: Rspr.), 212, 27 ( 28 II: h.l.) Fall 10 Der Neffe N tötet seinen reichen Erbonkel O aus Habgier. Sein Freund F hat dafür eine Pistole besorgt in dem Wissen, dass N habgierig ist. F selbst handelt aus Mordlust. N: 211 Habgier; F: 211, 27 nach Rspr., wobei entgegen 28 I Strafmilderung ausscheiden soll; 211, 27 wegen Mordlust ( 28 II: h.l.) 26
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