Strafbarkeit und persönliche Haftung des Kassenvorstandes bei Zahlung von Vergütungen an rechtsuntreue Leistungserbringer
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1 Strafbarkeit und persönliche Haftung des Kassenvorstandes bei Zahlung von Vergütungen an rechtsuntreue Leistungserbringer SCHMIDT, VON DER OSTEN & HUBER Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbb Dr. Roland Flasbarth Dieses Dokument kann dem Anwaltsgeheimnis unterliegende oder andere vertrauliche Informationen enthalten. Jede Vervielfältigung, Weiterleitung oder sonstige Verwendung dieses Dokuments ohne ausdrückliche Genehmigung der SCHMIDT, VON DER OSTEN & HUBER Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbb ist ausdrücklich untersagt.
2 Übersicht 1 Problemstellung 2 Untreue? 3 Haftung? 4 Zusammenfassung SCHMIDT, VON DER OSTEN & HUBER Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbb Dr. Roland Flasbarth
3 1 Problemstellung Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG können Leistungserbringer für Leistungen, die sie unter Verstoß gegen rechtliche Vorgaben des SGB V erbracht haben, keine Vergütung beanspruchen (BSG, Urt. v B 1 KR 23/10 R Heilmittel, BSG, Urt. v B 1 KR 49/12 R Arzneimittel, BSG, Urt. v B 6 KR 76/04 R - Vertragsärzte); Dies gilt auch bei Verstößen gegen 128 SGB V (Flasbarth, KrV 2015, 148 ff; AG Landsberg a. L., Urt. v LS 200 JS /08, MedR 2013, ); Es entsteht kein Zahlungsanspruch. Kann die gleichwohl geleistete Zahlung zur Strafbarkeit und persönlichen Haftung des Vorstands der Krankenkasse führen? 3
4 Strafbarkeit - Untreue 2.1 Wortlaut des 266 StGB Untreue : Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 4
5 Strafbarkeit - Untreue 2.2 Objektive Tatbestandsmerkmale der Untreue Bestehen einer (qualifizierten) Vermögensbetreuungspflicht Missbrauch, Treuebruch (Tathandlung) Pflichtwidrigkeit Nachteil (Schaden) 5
6 Strafbarkeit - Vermögensbetreuungspflicht a) Fremdnützige (qualifizierte) Vermögensbetreuungspflicht Gesamtbetrachtung: Handelt es sich bei den einer Person übertragenen Aufgaben um Angelegenheiten, bei denen die Wahrnehmung von Vermögensinteressen herausgehobene Bedeutung zukommt? Entscheidend ist dabei, ob die fremdnützige Vermögensfürsorge den Hauptgegenstand der Rechtsbeziehung bildet und ob dem Verpflichteten bei deren Wahrnehmung ein gewisser Spielraum, eine gewisse Bewegungsfreiheit oder Selbständigkeit, mit anderen Worten die Möglichkeit zur verantwortlichen Entscheidung innerhalb eines gewissen Ermessensspielraums verbleibt. Negative Abgrenzung: Nur Vertragsbruch genügt nicht. Argument: 35a Abs. 1 SGB IV Leitung der Krankenkassen durch den Vorstand Deshalb bejaht: LG Kassel, 1. November 2007, Az: 5643 Js 46677/03 1 KLs, BGH, 17. Dezember 2008, Az: 2 StR 451/08. 6
7 Strafbarkeit Missbrauch/Treuebruch b) Missbrauch/Treuebruch Konzeptionell weite und unscharfe Tatbestandsfassung (BVerfG, Beschl. v BVR 2559/08) Missbrauch eingeräumter Befugnis/Bruch des Vertrauens der ordnungsgemäßen Ausübung tatsächlicher Befugnisse. Hier zwei Argumentationslinien denkbar: Bei der Fortzahlung der Vergütung oder die Nichtgeltendmachung von Rückforderungsansprüchen liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Unterlassen einer ordnungsgemäßen Eingrenzung und Umsetzung normativer Vorgaben, daher eher Treuebruchvorwurf berechtigt. Auch denkbar: Das Tun (Leistung der Vergütung) geht über das Dürfen (im Innenverhältnis) hinaus, dann Missbrauch; Das Nichtrückfordern gezahlter Vergütungen dann eher Treuebruch (auch unterbliebene Aufrechnung). 7
8 Strafbarkeit - Pflichtwidrigkeit c) Pflichtwidrigkeit Pflichtwidrigkeit knüpft an außerstrafrechtliche Pflichten an; Nur gravierende Pflichtverletzung führt zur Strafbarkeit; Voraussehbarkeit der Strafdrohung und Kohärenz der Rechtsordnung stehen in engem Zusammenhang. Die Ziele dementsprechender Auslegung müssen von Verfassungs wegen darin bestehen, die Anwendung des Untreuetatbestands auf Fälle klarer und deutlicher (evidenter) Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken, Wertungswidersprüche zur Ausgestaltung spezifischer Sanktionsregelungen zu vermeiden und den Charakter des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts zu bewahren. (BVerfG, Beschl. v BVR 2559/08) => Fallgruppenspezifische Obersatzbildung! (Kreditvergabe/Risikogeschäfte, Schwarze Kassen, Haushaltsuntreue) 8
9 Strafbarkeit - Pflichtwidrigkeit c) Pflichtwidrigkeit aa) Allgemeine Pflichten Zentrale Pflichten des Vorstands aufgrund seiner Vorstandsposition: Die Einhaltung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach 4 Abs. 4 SGB V gehörte zu den vermögensrelevanten Pflichten des Beschwerdeführers im Verhältnis zu der von ihm vertretenen Krankenkasse. (BVerfG, Urt. v BvR 2559/08) Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG); Sparsamkeitsgebot ( 69 Abs. 2 SGB IV). bb) Konkretere gesetzliche Vorgaben 12 Abs. 3 SGB V Leistungen ohne Rechtsgrundlage; 84 Abs. 4a SGB V Umsetzung von Richtgrößenvereinbarungen für Arzneimittel; 106 SGB V Haftung für ordnungsgemäße Wirtschaftlichkeitsprüfungen; 175a SGB V Haftung bei erschwerter Aufnahme aus insolventer/geschlossener Kasse. 9
10 Strafbarkeit - Pflichtwidrigkeit bb) Konkretere gesetzliche Vorgaben - 12 Abs. 3 SGB V Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltendem Recht erbracht und hat ein Vorstandsmitglied hiervon gewußt oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichtsbehörde nach Anhörung des Vorstandsmitglieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regreßverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat. Wortlaut: Systematik: Zweck: Leistungen ohne Rechtsgrundlage Vergleichbare Regelung zu 84 Abs. 4a, 106 Abs. 4b SGB V: Strenge Kontrolle der Ausgabenseite und Haftung des Vorstands. objektiv: Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung, subjektiv historisch: Keine Werbeangebote mit unzulässigen Leistungen. Ergebnis: Anwendbarkeit des 12 Abs. 3 SGB V auch auf Fälle, in denen kein Vergütungsanspruch des Leistungserbringers besteht. 10
11 Strafbarkeit - Pflichtwidrigkeit cc) Kasuistik Kassenvorstand: Zahlung an nicht zugelassenen Leistungserbringer (LSG BaWü, Urt. v L 1 A 2763/06 - DocMorris); Verbotene Kreditaufnahme (offen gelassen bei OLG Düsseldorf, Urt. v I- 24 U 54/08 Argument: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit); Zu niedriger Beitragssatz (BSG, Urt. v B 1 KR 9/08 R); außertarifliche Prämien (BVerfG, Beschl. v BvR 2559/08); Weihnachtsfeier (zuletzt BSG, Bschl. v B 1 A 2/14 B). KV-Vorstand: Vergleich bei Plausibilitätsregress (OLG Karlsruhe, Beschl. v Ws 199/04). 11
12 Strafbarkeit - Pflichtwidrigkeit dd) Handlungsermessen des Vorstands (Vertretbarkeit) 1. kein klarer (unstreitiger) Sachverhalt. 2. Keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Unzulässige Zuwendungen [ ] sind [ ] Einkünfte aus Beteiligungen an Unternehmen von Leistungserbringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungs- oder Zuweisungsverhalten selbst maßgeblich beeinflussen. ( 128 Abs. 2 SGB V) 1. Tatsächliche Unklarheit Entscheidungsermessen ist erst denkbar, wenn der Sachverhalt ordentlich ermittelt ist: alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen unter Einbeziehung aller Entscheidungsalternativen mit ihren Auswirkungen (vgl. etwa BGH NJW-RR 2009, 332 Vorstand einer Genossenschaftsbank) Verfügbare Daten zusammenführen, soweit datenschutzrechtlich zulässig ( 81a Abs. 3a, 197a Abs. 3a SGB V), Handelsregister, Arztsuche, Einwohnermeldeamt, ggf. Auskunfteien, ggf. Strafanzeige inkl. Akteneinsicht (OLG Hamm, MedR 2010, ), Befragung von Versicherungsnehmer(n) - schriftlich/telefonisch und des/der Leistungserbringer(n). 12
13 Strafbarkeit - Pflichtwidrigkeit dd) Handlungsermessen des Vorstands 1. Keine klare höchstrichterliche Rechtsprechung, 2. kein klarer (unstreitiger) Sachverhalt. 2. Rechtliche Unklarheit: Hausjuristen, Datenbanken, Aufsätze, Urteile, externer Rat, Rechtsaufsicht. 3. Entscheidung: Ist unter Berücksichtigung beider denkbarer Gestaltungen abzuwägen: a) Bezahlung Kein Rechtsstreit, Gefahr der Vermögensverschlechterung, kann durch Abwarten Klarheit gewonnen werden, in welcher Zeit, droht Verjährung, wie hoch sind die Erfolgsaussichten? b) Keine Bezahlung Existenzvernichtung, Prozessrisiken, rechtliche Auseinandersetzung, Schadensersatz? Cave: Die Normkette deutet deutlich daraufhin, dass auch bei eher geringen Aussichten eine Rechtsverfolgung versucht werden muss. 13
14 Strafbarkeit - Nachteil d) Nachteil/Schaden Schaden: Normativer Schadensbegriff? Nein: BVerfG, Beschl. v BvR 1235/11 Wirtschaftliche Betrachtung und eigene Feststellungen sind erforderlich. Danach kann Schaden erst dann eintreten, wenn tatsächlich keine Durchsetzung von Rückforderungsansprüchen (mehr) möglich ist (Vergleich, Zahlungsunfähigkeit, Verjährung, 814 BGB). Immer Denkbar: Zinsschaden, sofern dieser über dem Zinsanspruch gegen den Leistungserbringer liegt, Rechtsverfolgungskosten/Internal Investigations. 14
15 3 Haftung - Anspruchsgrundlage 2.1 Anspruchsgrundlage 280 Abs. 1 BGB i. V. m. 611 BGB und Dienstvertrag Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. 15
16 3 Haftung Anspruchsgrundlage 2.2 Tatbestandsmerkmale Bestehen eines Schuldverhältnis Pflichtverletzung Verschulden Schaden (Integrietätsinteresse) 16
17 3 Haftung - Tatbestandsmerkmale Schuldverhältnis Besteht durch den Dienstvertrag ( 611 BGB) Inhalt richtet sich nach Gesetz (siehe oben) und Vertrag Pflichtverletzung Setzt 12 Abs. 3 SGB V ausdrücklich durch die gesetzeswidrige Leistung voraus; Ermessensentscheidung im eingeschränkten Umfang Verschulden Keine Haftungsprivilegierung gem. 42 SGB IV auf Vorsatz/grobe Fahrlässigkeit Setzt 280 Abs. 1 S. 2 BGB zunächst voraus. Sichere Entlastung wohl nur bei Befragung der Aufsicht möglich. Schaden Schaden noch nicht durch Zahlung, da Rückforderungsanspruch besteht; Erst durch die fehlende Möglichkeit zur Durchsetzung des Anspruchs gegen den Schuldner voll entstanden; Ggf. zusätzliche Schäden (Sachaufklärung/externe Bewertung, Zinsschaden). SCHMIDT, VON DER OSTEN & HUBER Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbb Dr. Roland Flasbarth
18 4 Zusammenfassung 1. Die Vergütung von Leistungserbringern für Leistungen, die unter Bruch des Rechts erbracht wurden, kann strafbar sein und zur persönlichen Haftung führen. 2. Voraussetzung ist ein offensichtlicher, den Vergütungsanspruch hindernder Rechtsbruch durch den Leistungserbringer. 3. Zur Vermeidung der Strafbarkeit/Haftung ist der Sachverhalt unter Nutzung der eigenen, ggf. auch externer Mittel nach Möglichkeit vollumfänglich aufzuklären. 4. Erst dann kann der Vorstand auf der Grundlage einer Bewertung der Entscheidungsalternativen Bezahlung/Nichtzahlung die Angelegenheit vertretbar und damit tatbestandsausschließend pflichtgemäß entscheiden, ggf. unter Hinzuziehung der Aufsicht. 5. Verwirklichung eines Schadens ist dann spätestens anzunehmen, wenn die Forderung nicht mehr durchsetzbar ist. SCHMIDT, VON DER OSTEN & HUBER Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbb Dr. Roland Flasbarth
19 5 Ihr Ansprechpartner Vielen Dank für die Aufmerksamkeit Dr. Roland Flasbarth Rechtsanwalt Telefon: Telefax: flasbarth@soh.de SCHMIDT, VON DER OSTEN & HUBER Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbb Dr. Roland Flasbarth
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