Wenn es unbedingt ein Junge sein soll Geschlechts- und Eigenschaftswahl
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- Silvia Neumann
- vor 8 Jahren
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1 Wenn es unbedingt ein Junge sein soll Geschlechts- und Eigenschaftswahl Ob wir in Zukunft die gesamte Bevölkerung genetisch registriert haben werden und jede Schwangere gesetzlich verpflichtet sein wird, ihr Kind im Bauch auf mögliche Schäden durchchecken zu lassen, ist die eine Frage. Die andere ist die, was»freiwillig«noch so alles möglich sein wird. Denn Eltern werden über Wahrscheinlichkeiten entscheiden können: Sollen sie Kinder in die Welt setzen, die an Krankheiten leiden, welche eventuell nach 30 Jahren ausbrechen könnten, oder nicht? Krankheiten, die vielleicht die Lebensqualität einschränken könnten aber mit denen man auch gut leben kann? Unsichtbare Krankheiten noch ohne jegliches Symptom? Der Angebotskatalog der Genetiker kann in absehbarer Zeit aber auch die Eigenschaften des zukünftigen Kindes umfassen: Haar- oder Augenfarbe, Größe, Dispositionen des Körperbaus (»Sportlich sollte es schon sein«), Intelligenz, Persönlichkeitsmerkmale wie Aufgeschlossenheit, Tatkraft, rasche Auffassungsgabe, die Liste ist beliebig verlängerbar, können demnächst im Voraus bestimmt werden. Mit PID wird es möglich sein, nicht nur»negative«eigenschaften wie Erbkrankheiten zu selektieren, auch Fettleibigkeit, frühzeitiger Haarausfall oder andere zeitgeistabhängige»unpässlichkeiten«könnten Ziel der Rasterfahndung vor der Lebenslizenz werden. Mit anderen Worten, die viel diskutierten»designerbabys«könnten schneller Realität werden, als wir das vielleicht für möglich halten. Der Markt wird es auch hier verstehen, über die Nachfrage das Angebot bereitzuhalten. Oder besser gesagt zunächst die technischen Möglichkeiten präsentieren, die dann die Nachfrage generieren. Dem ersten französische IVF-Forscher, Jaques Testard, wurden die»visionen«seiner Kollegen recht schnell unheimlich, und er befürchtete schon 1988 in seinem Buch»Das transparente Ei«, dass die IVF außer Kontrolle geraten könne. Paare würden womöglich in Zukunft nach dem»fertigkind«verlangen Junge oder Mädchen und vor allem vollkommen»normal«. Testard hielt es für 98
2 einen»wahn«zu glauben, man könne einen Embryo durchschauen, denn selbst wenn die biologischen Funktionen weitgehend geklärt seien, hieße dies noch lange nicht, gleichzeitig die Prozesse zu verstehen, in denen Zellen zu einem Menschen werden und eine Seele erlangen. Elternwünsche nach einem bestimmten Geschlecht werden in den USA bereits in die Tat umgesetzt. Die Ethikkommission der Amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin hat Anfang 2001 dafür grünes Licht gegeben. Natürlich zunächst nur in begründeten Einzelfällen. Als legitimer Grund wird bereits erachtet, dass sich Eltern nur die Geburt eines Kindes mit einem ganz bestimmten Geschlecht wünschen und mit einem Kind des»falschen«geschlechts»unglücklich«wären oder aber auf ein Kind lieber ganz verzichten würden bzw. eine Abtreibung vornehmen lassen würden. In Indien und in den arabischen Ländern wurden weibliche Embryonen nach Pränataldiagnostik massenhaft abgetrieben. Das hat dazugeführt, dass in Indien bei Pränataldiagnostik das Geschlecht des Kindes offiziell nicht mehr mitgeteilt werden darf. Doch besonders die wohlhabende Bevölkerungsschicht findet nach wie vor Wege, männlichen Nachwuchs zu garantieren. Wer es sich leisten kann, lässt sein Kind in London per In-vitro-Fertilisation herstellen. Da überrascht es wenig, dass dermaßen entstandene Kinder überwiegend männlichen Geschlechts sind. Der Trend, Kinder vor der Geburt auf das»richtige«geschlecht zu überprüfen, übt jedoch auch auf Bewohner westlicher Industrienationen eine große Versuchung aus. Längst bieten Reproduktionszentren in den Staaten die Wahl des Geschlechts ganz ungeniert an. Das Ganze läuft dann unter der Rubrik eines ausgeglichenen»familiendesigns«(balanced familiy design). Das Genetics IVF Institute in Fairfax, USA, bietet seinen Kundinnen einen Service, der sich großer Beliebtheit erfreut: Ihr neuer patentierter Spermiensortierer»MicroSort«trennt die schwereren X- von den leichteren Y-chromosom-tragenden Spermien. Mit dieser Technik kann das Geschlecht des Kindes 99
3 schon vor der Befruchtung beeinflusst werden. Auch in diesem Falle wurde das Verfahren zunächst entwickelt und angewandt, um Erbkrankheiten auszuschließen. Inzwischen wirbt das Institut ganz offen mit der Möglichkeit der Geschlechterwahl. Andere Institute benutzen PID, um die Geschlechtswahl zu ermöglichen. Es gehe hauptsächlich darum, ein möglichst optimales und harmonisches»familiendesign«zu ermöglichen, heißt es in einer Werbeschrift. Die Quotenregelung innerhalb der Familie sozusagen. Wer braucht schon drei von»derselben Sorte«? Solange eine reproduktive Methode keine negativen Auswirkungen auf andere habe, sollte dem Wunsch der Eltern nach einem bestimmten Geschlecht entsprochen werden, meint die Ethikkommission der amerikanischen Reproduktionsmediziner. Auch wenn diese Praxis nicht unbedingt gutgeheißen werden könne, heißt es weiter, bedeute dies noch lange nicht, dass man sie deshalb verbieten müsse. Die Ethikkommission äußerte sich jedoch besorgt über die Möglichkeit, dass Eltern, die das Geschlecht ihres Kindes im Voraus bestimmt haben, hohe Erwartungen in das geschlechtsspezifische Verhalten ihrer Kinder stellen könnten und sehr enttäuscht wären, sollte sich das Kind womöglich als homosexuell herausstellen. Die Rolle der Ethik in der Biomedizin veranlasste Elmar Brähler und Yve Stöbel-Richter zu folgender Bemerkung:»Ethische Probleme ( ) werden Ethikern mit dem Auftrag übergeben, das Handeln moralisch zu legitimieren. Kritiker werden als ewige Bedenkenträger abgewertet und in die forschungsfeindliche Ecke gestellt. Psychosoziale Probleme bei den Betroffenen werden Psychologen und Soziologen zur psychosozialen Entsorgung überantwortet.«in Schottland zog im Jahre 2000 ein Ehepaar vor Gericht, um das Geschlecht eines Embryos vor der Implantierung auswählen zu können. Alan und Louise Masterton hatten vier Söhne, ihre kleine Tochter Nicole starb ein Jahr zuvor bei einem Brand. Nun brauche die Familie eine neue Tochter, um die»weibliche Dimension«in der Familie wiederherzustellen, wie der Vater zitiert wird. Er meinte, psychologische Gutachten würden bestätigen, dass es notwendig sei, das Gleichgewicht in seiner Familie durch ein Mädchen wiederherzustellen. Das Gericht in Schottland ent- 100
4 schied gegen den Antrag der Mastertons. Diese erfüllten sich ihren Wunsch schließlich in Italien. Ein Beispiel wie dieses zeigt, dass Eltern sich das Recht nehmen, die (Er-)Zeugung von Kindern auch aus eigennützigen Motiven durchzusetzen. Kaum ist ein Verfahren technisch machbar, wird es Anwender finden, die zudem stets ein moralisches Tarnmäntelchen finden, um ihre Wünsche zu rechtfertigen. Und ebenso sicher ist es, dass sich stets jemand finden lässt, der hilft, diese Wünsche so unangemessen sie auch sein mögen in die Tat umzusetzen. In Colorado wurde Anfang 2001 ein Retortenbaby mit der Absicht erzeugt, als Zellspender für die an der tödlichen Knochenmarkerkrankung Fanconi leidende Schwester zu dienen. Das sechsjährige Mädchen erhielt kurz nach der Geburt ihres Designer-Bruders ein Transplantat von Stammzellen aus seiner Nabelschnur. Die Zellen sollen dem Mädchen helfen, ein gesundes Immunsystem aufzubauen. Ein ähnlicher Fall wurde kurz darauf bekannt. Britische Eltern hatten sich entschlossen, in den USA einen Embryo erzeugen zu lassen, der später Knochenmark für seinen an Leukämie erkrankten Bruder spenden soll. Beide Male wurde vor Einsetzung der Embryonen in die Gebärmutter getestet, inwieweit das Immunsystem der potenziellen Spenderembryos mit dem Immunsystem des erkrankten Kindes übereinstimmt. Das heißt, die Auswahl des passenden Embryos wurde bestimmt von Interessen Dritter. Was mit den»nicht passenden«embryonen geschehen ist, ist nicht weiter bekannt. Beide Kinder wurden primär erschaffen, um das Leben ihrer Geschwister zu retten, nicht weil die Eltern sich ein weiteres Kind wünschten. Inzwischen besteht die Möglichkeit, passende Geschwister als Zellspender»nachzuzeugen«auch in Großbritannien mit Billigung der Human Fertilisation and Embryology Authority. Dort erweckte eine einzige Ausnahmeregelung innerhalb von Wochen eine wahre Antragsflut ähnlicher Fälle. Und nicht nur das. Inzwischen wurden bereits Anträge gestellt, so genannte»designer-babys«zu erzeugen. Dabei sollen nicht lediglich Krankheiten aussortiert werden, sondern vielmehr soll die 101
5 PID-Technik eingesetzt werden, um Kinder mit bestimmten gewünschten Eigenschaften zu erzeugen. Natürlich regte sich Kritik:»Diese Entscheidung bedeutet einen weiteren Dammbruch bei der Anwendung der Gentechnik in Europa«, ließ zum Beispiel der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik im Europäischen Parlament, Dr. Peter Liese, verlauten. Aber wen verwundert das denn eigentlich? Haben Kritiker nicht seit Jahren vor einer Ausweitung in den nichtmedizinischen Bereich gewarnt? Der Kaplan des Selly Oak Hospitals, Barry Clark fordert in einem Leserbrief an die TIMES strikte gesetzliche Vorgaben, da es für Betroffene schwer sein kann, nicht alles zu fordern, was möglich wäre. Er schreibt:»meine Tochter ist in Folge einer Hirnhautentzündung taub. Ich möchte natürlich gerne, dass sie wieder hören könnte, und dieser Wunsch könnte leicht meine moralische und ethische Perspektive verschieben. Eine der Funktionen von Ethik und von Organisationen wie HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority, TdJ) ist es eben, zu versuchen, Kopf und Herz in Balance zu bringen, um betroffene Individuen zu schützen und letztendlich der Gesellschaft zu dienen. Trotz meiner Ausbildung als Ethiker fürchte ich, dass ich in dem Moment, in dem eine Therapie für meine Tochter gefunden würde, versucht wäre, es erst zu probieren, und Fragen auf später verschieben würde. Sicherheitsmechanismen müssen daher geschaffen werden, die uns vor unseren eigenen Wünschen schützen, wie gut gemeint sie auch sein mögen.«wolfgang Frühwald, Präsident der Humboldt-Stiftung, betrachtet diese Entwicklung seit geraumer Zeit mit großer Besorgnis und gibt zu bedenken,»dass der Mensch seinen Zweck in sich selbst hat, dass er nicht zu einem anderen Zweck instrumentalisiert werden darf.«bundespräsident Johannes Rau bezog in seiner Rede in der Staatskanzlei Berlin im Mai 2001 auch Stellung zu der Situation unfreiwillig kinderloser Paare.»Wenn es die Möglichkeit gibt, Kinder künstlich zu erzeugen oder die genetischen Anlagen eines Embryos zu testen, entsteht dann nicht leicht eine Haltung, dass jede und jeder, der eigene Kinder bekommen will, auch ein Recht dazu habe, und zwar sogar das 102
6 Recht auf gesunde Kinder? ( ) Noch so verständliche Wünsche und Sehnsüchte sind keine Rechte. Es gibt kein Recht auf Kinder. Aber es gibt sehr wohl ein Recht der Kinder auf liebende Eltern und vor allem das Recht darauf, um ihrer selbst willen zur Welt zu kommen und geliebt zu werden.«die Instrumentalisierung der Schaffung menschlichen Lebens kennt kaum noch Grenzen. Um kinderlosen Paaren, denen auch eine IVF- oder ICSI-Behandlung nicht geholfen hat, doch noch ein Kind zu beschaffen, kündigte der heftig umstrittene italienische Reproduktionsmediziner Severino Antinori an, Klonierungstechniken am Menschen anzuwenden. Antinori, der durch den Einsatz regulärer IVF bereits mehrere Sechzigjährige zu Müttern machte (wobei auch eine Großmutter das Kind ihrer Tochter austrug), verteidigt seinen Entschluss damit, dass er Eltern lediglich ihr»recht«auf ein eigenes Kind erfüllen möchte. Selbstverständlich erfolgte auf diese Ankündigung ein Aufschrei der Empörung durch die wissenschaftliche Gemeinde. Allerorten distanzierten sich»seriöse«reproduktionsmediziner flugs von diesem Vorhaben. Und doch scheint es lediglich eine Frage der Zeit, wann auch dieses»letzte«tabu bricht. 103
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