hr2wissen Der vererbte Leiden Traumata zwischen den Generationen
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- Ruth Esser
- vor 8 Jahren
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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Volker Bernius hr2wissen Der vererbte Leiden Traumata zwischen den Generationen 04 Was habt Ihr damals nur getan? Transgenerationale Weitergabe an die Nachkommen der Nazi-Täter Regie: Volker Bernius Sprecherin Zitator Andrea und Justin Westhoff Sendung: xy.xy.2014, hr2-kultur O-Töne: - Angela Moré, Professorin für Sozialpsychologie in Hannover: - Erda Siebert, heute Psychotherapeutin in Düsseldorf hr2wi Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 1
2 Beate Niemann, heute im Rentenalter, hat lange geglaubt, ihr Vater habe ein Vierteljahrhundert unschuldig im DDR-Gefängnis gesessen. Sie hatte ihn als Kind liebevoll erlebt. Heute kennt die Tochter die Wahrheit. Der Vater, Bruno Sattler, war als hoher Nazi für tausendfache Morde verantwortlich. Inzwischen hat Beate Niemann ein Buch darüber geschrieben und klärt junge Menschen über die damaligen Verbrechen auf. Dabei erzählt sie, wie sehr sie die Verlogenheit der Familie und der Gesellschaft umgetrieben hat, wie sehr auch die Tatsache, dass seitens der Eltern nie ein Wort des Schuldbewusstseins oder gar der Reue fiel. Gerade durch Schweigen und Lügen belasten Täter ihre Kinder. Angela Moré, Professorin für Sozialpsychologie in Hannover: O-Ton 1: Moré (0'14") Belogen werden, ist etwas, was sich gefühlsmäßig in irgendeiner Weise andeutet. Ein Kind spürt, da wird etwas Unaufrichtiges gesagt. Da wird etwas verheimlicht, da wird etwas umgedreht, da ist etwas im Blick, in der Stimme, was nicht stimmig ist. O-Ton 2a: Siebert (0'29") Ich habe lange Zeit gedacht, wir sind eine arme Flüchtlingsfamilie und sind sozusagen Opfer und habe erst sehr spät erfahren, dass mein Vater ein hoher Nazitäter war. Erda Siebert, heute Psychotherapeutin in Düsseldorf, hat erst spät von der elterlichen Geschichte erfahren: O-Ton 2b: Siebert (0'29") Die Tabuisierung innerhalb der Gesellschaft die ersten Jahre war so massiv Als in mir deutlicher war, was mein Vater gemacht hat, habe ich mich letztlich mutterseelenallein gefühlt. Ich habe gedacht, alle rundum haben nichts damit zu tun, das hat es sehr schwer gemacht, dazu zu stehen und mit anderen darüber zu sprechen. "Zerrissenheit" ist der Begriff, der auf die Nachkommen von Nazi-Tätern am besten zutrifft. 2
3 O-Ton 3: Siebert (0'27") Es ist ja eine Erfahrung, die sehr viele Täterkinder gemacht haben, dass ich in den ersten Jahren meinen Vater sehr geliebt habe. Er hat mich auf den Schultern getragen, wir haben Spiele gemacht, er war sehr ideenreich, das heißt, eigentlich habe ich mit einer Spaltung gelebt eines Vaters, den ich persönlich positiv erlebt habe und zunehmend erfahren, was er gemacht hat im "Dritten Reich". Und das ist eine Zerreißprobe, die man kaum aushält im Leben. Diese Belastung drückt sich bei den Nachfahren sehr unterschiedlich aus. Als wohl erster hat Peter Sichrovsy, Sohn Wiener Juden, 1987 mit Kindern aus Nazifamilien gesprochen und daraus ein Buch gemacht. Zwei Reaktionen zeigen sich darin besonders häufig: Entweder Verteidigung der Eltern die konnten damals doch gar nicht anders wobei sich die Täter nach dem Krieg selbst oft als Opfer oder gar Widerstandskämpfer umdefiniert hatten. Kurzakzent? Oder aber es zeigt sich eine strikte Abgrenzung und Hass auf die Eltern. Seither haben sich mehrere Nazi-Kinder mit eigenen Publikationen zu Wort gemeldet: Unter anderem Dörte von Westernhagen Vater: SS Mann, Monika Göth Tochter eines KZ-Kommandanten Wolf-Rüdiger Heß, Gudrun Himmler, Klaus von Schirach dessen Vater verantwortlich war für die Deportation Wiener Juden oder Niklas Frank, der über seinen Vater, den "Judenschlächter von Krakau" sagte: "Dieser Mann hat wirklich den Tod verdient." Insgesamt zeigt sich ein gesamtes Spektrum von Verständnis bis Anklage. Und stets: innere Widersprüche. Erda Siebert: 3
4 O-Ton 4: Siebert (0'29") Ich habe meine Eltern äußerlich verurteilt, ich war politisch sehr aktiv, und trotzdem gab es eine unterschwellige Loyalität. Und es gibt auch das Phänomen bei mir zum Beispiel meiner Mutter gegenüber, die natürlich an seiner Seite war und auch Erziehungsmethoden nach dem Krieg noch hatte, die furchtbar waren. Aber ich habe versucht sie zu schützen und ihr emotional das zu geben, was sie auf einmal verloren hatte an allem. O-Ton 5: Moré (0'10") Häufig ist es ja sogar, dass gerade wenn Eltern ihre Kinder bedrohen, diese Kinder das Gefühl haben, "ich habe was falsch gemacht, ich bin schuldig, ich muss besser sein, damit meine Eltern mich lieben." So beschreibt es die Sozialpsychologin Angela Moré. Kinder von Nazis werden Erben der elterlichen Vergangenheit, und viele leiden darunter. Aber transgenerationale Weitergabe von Traumata? Darf, kann man bei Tätern überhaupt von einem Trauma sprechen? Am Beispiel von Vietnam-Soldaten sind mittlerweile Forscher zu dem Schluss gekommen, dass auch Menschen innerlich beschäfigt sein könnten, die aktiv an Massakern beteiligt waren. Der israelische Shoah-Forscher und Psychotherapeut Dan Bar-On schreibt in seinem Buch mit dem Titel: "Die Last des Schweigens Gespräche mit Kindern von Nazi-Tätern": Wir haben erfahren, wie manche, ja die meisten Aspekte unseres Lebens von Nazi-Ideologie beeinflusst und beschädigt worden ist. Die Psychotherapeutin Erda Siebert schildert aus eigener Erfahrung und aus der als Therapeutin, wie die "Gefühlserbschaft" wirkt: O-Ton 6: Siebert (0'26") Die größte Angst ist, den bösen Samen" in sich zu haben. Das heißt: Das gut sein müssen, die Welt retten müssen, das sind meine übernommenen Phänomene, die ich auch an Patienten erlebe, die solche Väter hatten, dass sie da doch sehr im inneren Kampf mit sich sind, nicht einfach so sein zu dürfen, wie sie sind, sondern sie müssen immer kämpfen um das Perfekte, um das Idealbild, um irgendwas wieder gutzumachen, nicht. 4
5 < O-Ton 7: Moré (0'19") Häufig versuchen dann die nachkommenden Generationen durch eigenes Wiedergutmachen, Versöhnungstätigkeit, Erinnerungsarbeit, davon etwas zu kompensieren und auszugleichen, und interessanterweise tun sie es oft, ohne dass sie selbst wissen, was es mit der Generation der Eltern oder Großeltern zu tun hat. > Viele Opfer-Kinder und -Enkel sagen bis heute: "Wie es den Kindern der Verbrecher geht, interessiert mich überhaupt nicht". Das ist einerseits absolut verständlich. Aber Erda Siebert sieht das anders. In dem von ihr mit geleiteten "Arbeitskreis für Intergenerationelle Folgen des Holocaust" treffen sich Opfer- und Täterkinder gemeinsam. O-Ton 7: Siebert (0'49") Das betrifft alle, sich im Laufe der Zeit loszulösen von dem, was die Eltern einem unbewusst übertragen haben. Und das ist sehr schwierig. Das kann nur wachsen, in dem Sinne, wie die nächste Generation für sich selbst entdeckt: "Das ist nicht meins". Und das Zweite ist, dass das eigene Leben wirklich beides haben darf, also platt gesagt: Opfer- und Täter-Seiten. Ich darf trotzdem mal jemanden anschreien, auch wenn ich einen Tätervater hatte, ich sag mal so. Das klingt so einfach, aber das ist etwas, was den Menschen wirklich innerlich lebendig werden muss, um die eigene Identität wirklich zu finden. < Und wir sind gerade dabei, ein Konzept zu entwickeln, das man weitergeben kann, wie man Dialoge führen kann und auch schwierige Phasen durchstehen kann, bis man es verstehen und dann verändern kann. > Teilnehmer von Gruppensitzungen mit Kindern von Nazi-Tätern, die Dan Bar-On geleitet hat, sagten Anfang der 1990 Jahre: "Folgt man dem Verstand, macht es wenig Sinn, sich für etwas schuldig zu fühlen, dessen man nicht schuldig ist. Aber die meisten von uns haben diese Gefühle. " O-Ton 8: Siebert (0'15") Für mich ist Schamgefühl eigentlich etwas, was ich erst in der Auseinandersetzung mit jüdischen Kollegen vielleicht erst richtig gelernt habe, dass man im Dialog miteinander auf einmal etwas spürt, was der Vater hätte spüren müssen. 5
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