Windenergieanlagen gesundheitliche Risiken und Gefahren aktueller Sachstand

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1 Windenergieanlagen gesundheitliche Risiken und Gefahren aktueller Sachstand 22. Robert Koch Tagung Dr. Christof Rübsamen Stadt Wilhelmshaven Gesundheitsamt

2 Vorbemerkung Windenergieerlass Nds. Zukunft: Windenergieerlass - Entwurf Fassung vom vom Kabinett am verabschiedet und zur Verbandsbeteiligung versandt Ausbauziel 20 Gigawatt Windkraftleistung bis zum 2050 (nur Festland) Flächenbedarf: mindestens 1,4 % der Landesfläche für rund 4000 bis 5000 Anlagen der heute verfügbaren leistungsstärksten Anlagentypen Ausbau der Windenergienutzung soll umwelt-, sozialverträglich und wirtschaftlich gestaltet werden, das Konfliktpotential ist zu minimieren.

3 Vorbemerkung gefühlte Situation Aktuell: einhergehend mit dem Umrüsten (=Repowering) bestehender Windkraftanlagen und Windparks auf leistungsfähigere und höhere Anlagen gründen sich über das ganze Land verteilt Interessensgemeinschaften und Bürgerinitiativen, die ihre Gesundheit durch den Ausbau der Windenergie bedroht sehen. der öffentliche Gesundheitsdienst muss Bürgerbefürchtungen ernst nehmen und sich gegebenenfalls konstruktiv und sachkundig in die Diskussion einbringen können.

4 Auswirkungen von Windkraftanlagen Landschaftsbild Einfluss auf Radaranlagen Immobilienpreise Vogelschlag Schattenwurf Diskoeffekt Eiswurf Lichtemission (Hindernis-Kennzeichnung) Schall Infraschall

5 Auswirkung: Schattenwurf Definition: Schlagschatten der sich im Sonnenschein drehenden Rotorflügel Regelung: nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz darf der Schattenwurf durch Windkraftanlagen auf (bestehende) Wohnhäuser jeweils nicht mehr als 30 Stunden pro Jahr und 30 Minuten pro Tag betragen. Eingriffsmöglichkeit an Anlage: Schattenwurfabschaltmodul

6 Auswirkungen: Discoeffekt & Eiswurf Definition Discoeffekt: Lichtreflexionen durch Rotorblätter Lösung: spielt durch matte Lackierung oder Beschichtung der Rotorblätter keine Rolle mehr Definition Eiswurf: Eisabfall beim Anlagenstart Lösung: Eiserkennung (stoppt Anlage) Rotorblattheizung Abstand wegen Eiswurf: 1,5 x (Rotordurchmesser + Nabenhöhe)

7 Auswirkung: Lichtemission (Hindernisbeleuchtung) Definition: periodische Lichtimpulse (meist auf Gondel) bei Anlagen ab 100 m Höhe vorgeschrieben dient der Sicherheit des Luftverkehrs tags: rote Streifen an den Rotorblättern bzw. weiß blitzendes Feuer nachts: rot blitzendes Feuer Emissionsminderung durch Synchronisierung aller Lichtimpulse eines Windparks Abschirmung nach unten Bedarfsbefeuerung

8 Auswirkung: Schall Ursache: Windgeräusch der sich im Wind drehenden Rotorblätter Rahmenparameter: Maximum bei 95 % der Nennlast bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 12 m/s (6 Bft.) wird das Geräusch durch Umgebungsgeräusch überlagert. moderne Anlage erzeugt in 500 m Abstand einen Schalldruck von 42 db(a) Regelung: TA-Lärm Beispiel: Außenbereich maximal zulässige Schalldruckpegel für Dorf- und Mischgebiete (nachts 45 db(a)) Minderungsmaßnahmen: Drehzahlregelung, Dämmung, aerodynamische Optimierung, Körperschallentkopplung, Verzicht auf Getriebe

9 Schall Frequenzbewertungen A-Bewertung: entspricht den Kurven gleicher Lautstärkepegel bei ca phon B-Bewertung: entspricht den Kurven gleicher Lautstärkepegel bei ca phon C-Bewertung: entspricht den Kurven gleicher Lautstärkepegel bei ca phon D-Bewertung: entspricht den Kurven gleicher Lautstärkepegel bei sehr hohen Schalldrücken Grafik:

10 Auswirkung: Infraschall Definition: Schall unterhalb der Hörschwelle - < 20 Hz Rahmenbedingungen/-behauptungen (?): Infraschall ist bereits in geringer Entfernung von den Anlagen nicht mehr wahrnehmbar. durch die von der TA Lärm ohnehin geforderten Abstände von Windkraftanlagen zur Bebauung gehen keine Gefahren für Anwohner aus. Wind erzeugt am eigenen Haus sehr viel intensiveren Infraschall, als eine Windkraftanlage oder ein Windpark im gesetzlichen Abstand. wissenschaftlicher Konsens ist, dass der von Windkraftanlagen ausgehende Infraschall keinen gesundheitsschädlichen Einfluss hat.

11 RKI 2007 wird (noch) nicht ernst genommen

12 Definitionen DIN 45680: Schall wird als tieffrequent bezeichnet, wenn seine vorherrschenden Energieanteile im Frequenzbereich unter 90 Hz liegen ISO 7196: der Frequenzbereich 1 20 Hz wird als Infraschall bezeichnet RKI 2007: tieffrequenter Schall sollte den Frequenzbereich 200 Hz umfassen

13 Besonderheiten bei der Ausbreitung Übertragung durch Luft und Schwingungen in Festkörpern große Reichweite wegen geringer Luftdämpfung geringe bzw. z.t. unbekannte Dämpfung durch Wände, Fenster Wellenlänge beträgt mehrere Meter 100 Hz Wellenlänge 3,4 m 30 Hz Wellenlänge 11 m 15 Hz Wellenlänge 23 m 5 Hz Wellenlänge 69 m dadurch: geringe Wirkung von Schallschutzwänden Resonanzen in Räumen (mit Erhöhung der Lautstärke bei bestimmten Frequenzen) Interferenz in Gebäuden und auch außerhalb (Überlagerung von Schallwellen kann zu Pegelzunahme und starken räumlichen Schwankungen führen) deshalb: treten Belästigungen durch tieffrequente Geräusche meist im Inneren von Gebäuden auf

14 Infraschall Wirkung?!? Krankheitsbilder/Syndrome Wind Turbine Syndrome, Vibro Acoustic Disease oder Visceral Vibratory Vestibular Disturbance

15 Pierpont - Wind Turbine Syndrom Dr. Nina Pierpont veröffenlichte 2009 ein knapp knapp 300- seitiges, englischsprachigen Buch mit dem Titel Wind Turbine Syndrom A Report on a Natural Experiment. Krankheitsbild mit zwölf Hauptsymptomen: Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Tinnitus (Ohrpfeifen), Ohrendruck, Schwindel, Drehschwindel, Übelkeit, Sehstörungen, Herzrasen, Reizbarkeit, Konzentrations- und Erinnerungsprobleme sowie Panikattacken gekoppelt mit dem Gefühl, dass die inneren Organe pulsieren oder zittern. Das Buch beruht auf 23 Telefoninterviews (!) die Telefonpartner meldeten sich auf einen Internet Aufruf (2006) und schildert die Beschwerden von 38 Personen.

16 Nocebo Effekt Nocebo Effekt (nocere (lat.) schaden) bei Infraschall Studie Neuseeland (Crichton et alii ): Doppelblindstudie mit 54 studentischen Probanden 1. je zehnminütige Exposition gegenüber Infraschall (5 Hz mit 40dB) und Schallsimulation 2. negative und positive Beeinflussung jeweils einer Hälfte der Probanden 3. Wiederholung der Exposition Ergebnis: negativ beeinflusste Personen schildern signifikant mehr und schwerere Beschwerden als positiv beeinflusste

17 auch UBA formuliert Forschungsbedarf Aus der Literaturrecherche kann kein einheitliches Bild zur Ermittlung und Beurteilung von tieffrequenten Schallen abgeleitet werden. Zur Bewertung des tieffrequenten Lärms (< 100 Hz) kann die DIN Messung und Bewertung tieffrequenter Geräuschimmis-sionen in der Nachbarschaft verwendet werden. Speziell zur Erfassung von Infraschallimmissionen (< 20 Hz) gibt es die internationale Norm ISO 7196 Acoustics Frequencyweighting characteristic for infrasound measurements. Die Forschungsarbeiten zeigen, dass diese Normen im Hinblick auf die Beurteilung von Infraschall Defizite aufweisen und deshalb weiter-entwickelt werden sollten. Die derzeitige Überarbeitung der DIN weist einen Weg, wie Inkonsistenzen im tieffrequenten Bereich behoben werden können. Die durchgeführte Befragung zeigte eine etwas höhere Belastung im süddeutschen Raum. Genannt werden vor allem Belästigungen durch raumlufttechnische Anlagen und Biogasanlagen.

18 auch UBA formuliert Forschungsbedarf Es wurde ein Studiendesign für eine Lärmwirkungsstudie über Infraschallimmissionen entwickelt interdisziplinäre Feldstudie wesentliche Inhalte: Wirkung von technischen Infraschallquellen: Raumlufttechnische Anlagen Baumaschinen Anlagen der Energieerzeugung Verkehrstechnische Einrichtungen Sortier- und Siebanlagen Kompressoren und Pumpen untersucht werden sollen folgende Aspekte: die Belästigung durch Infraschallquellen, körperliche Reaktionen und das damit einhergehende Gefühl des Unbehagens mit der Einwirkung von Infraschall assozierte Beeinträchtigung bzw. Störung von Tätigkeiten, Ruhe, Konzentration etc. und mit Infraschall assoziierte (berichtete) Schlafstörungen

19 UBA: Literaturrecherche: Beschwerden Die Probleme treten eher in ruhigen, suburbanen Gebieten auf. Die Geräusche liegen nah an der Hörschwelle und werden von einer Minderheit der exponierten Personen gehört. Die Geräusche sind typischerweise im Innenraum und nicht im Außenbereich zu hören. Die Geräuschcharakteristik wird als klopfend bzw. tief, rollend bezeichnet. Die meisten Beschwerden stammen von Personen im Alter von 55 bis 70 Jahren. Die Beschwerdeführer sind normalhörend. Tinnitus wurde bei den Beschwerdeführern medizinisch ausgeschlossen.

20 UBA: Literaturrecherche: Wirkungen Veränderung im Herz-/Kreislaufsystem (z. B. Änderung des Blutdrucks, Herzrate) Konzentrationsschwäche, Reaktionszeitänderungen im Leistungstest Einwirkung auf auditive Sinnesorgane und auf das Gleichgewichtsorgan mit den o. g. physischen Wirkungen einhergehende psychovegetative Störungen bzw. erlebtes Unbehagen (Schwindel, Müdigkeit, Benommenheit, Druckgefühl am Trommelfell, Vibrationsgefühl) (erlebte) Schlafstörungen, Störungen der Konzentration bei (geistigen) Tätigkeiten und Belästigung.

21 LUBW Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden- Württemberg: Tieffrequente Geräusche und Infraschall von Windkraftanlagen und anderen Quellen Zwischenbericht über Ergebnisse des Messprojekts veröffentlicht 02/2015 LUBW Zwischenbericht Messergebnisse Grafik aus oben genanntem Zwischenbericht des LUBW

22 Ausblick Windenergieerlass (Entwurf) Windkraftanlagen sind nach 35 Abs. 1 Nr. 5 Baugesetzbuch (BauGB) als Vorhaben im Außenbereich privilegiert. Über die Vorschriften der TA Lärm zu tieffrequenten Geräuschen hinaus bestehen keine Beurteilungsmaßstäbe, die bezüglich der Bewertung von Infraschall herangezogen werden können.

23 geplante Änderungen der DIN DIN 45680: Messung und Beurteilung tieffrequenter Geräuschimmissionen in der Nachbarschaft Beiblatt 1: Hinweise zur Beurteilung bei gewerblichen Anlagen Frequenzbewertungen in Vorerhebung (db(c) db(a) > 15 löst Messverfahren aus (bisher Differenz 20) Frequenzbereich neu: Hz (bisher Hz) Beurteilungsgröße: Wahrnehmungsschwelle (nicht mehr Hörschwelle ca. 10 db weniger) Einzeltöne: nicht mehr wichtig (Einzel- und Breitbandverfahren werden zusammengelegt) Anhaltswerte, die nicht überschritten werden dürfen, sind vorgesehen für Tag, Ruhezeit und Nacht, da dann eine erhebliche Belästigung durch tieffrequente Töne nicht ausgeschlossen werden kann.

24 Ausblick Auszug aus dem Protokoll der diesjährigen Dienstbesprechung des MS mit dem ÖGD: Aus fachlicher Sicht des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes wird ein größerer Abstand als 400 m befürwortet, wie es auch in anderen Bundesländern gehandhabt wird. Diskutiert wird auch das 10fache der Nabenhöhe ( m).

25 Quellen weiterführende Informationen RKI: Mitteilung der Kommission Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin : Infraschall und tieffrequenter Schall - ein Thema für den umweltbezogenen Gesundheitsschutz in Deutschland? -(2007) bzw.: UBA: Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall (2014) Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg: Tieffrequente Geräusche und Infraschall von Windkraftanlagen und anderen Quellen - Zwischenbericht über Ergebnisse des Messprojekts (2015) 04_Zwischenbericht_final.pdf?command=downloadContent&filename= _Zwischenbericht_final.pdf Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU): Untersuchung der Beeinträchtigung von Anwohnern durch Geräuschemissionen von Windenergieanlagen und Ableitung übertragbarer Interventionsstrategien zur Verminderung dieser (2014) Fiona Crichton et alii: Can Expectations Produce Symptoms From Infrasound Associated With Wind Turbines? (2013) Infrasound.pdf