100 Jahre Eberhardskirche

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1 100 Jahre Eberhardskirche

2 Impressum: 2011 TVT Theologischer Verlag Tübingen Hrsg.: Evangelische Eberhardsgemeinde Tübingen Umschlag Vorderseite: Zeichnung Florian Afflerbach, Cottbus, Dezember 2010 Umschlag Rückseite: Stadtplan vom Tübinger Süden 1923 Innenansicht Eberhardskirche 1911 (nach einem Aquarell von Kunstmaler Nicolaus, Stuttgart) Satz: Fotosatz Hack, Dußlingen Druck: Müller & Bass, Tübingen ISBN

3 Kirche im»jenseits«kirche im Diesseits 100 Jahre Eberhardskirche Tübingen Herausgegeben von der Evangelischen Eberhardsgemeinde Tübingen T V T 2011

4 Vorwort Harry Waßmann Kirche im»jenseits«kirche im Diesseits...7 Von den Anfängen im Jenseits Johanna Petersmann Frühe Kirche im Wennfelder Garten: Die Nikolauskapelle..11 Industrieviertel und Baugebiet im Tübinger Süden...12 Die Eberhardskriche entsteht ( ) Johanna Petersmann Schritte zu einer neuen Gemeinde und zum Betsaal...15 Bauplatz im Volksgarten - ein Geschenk der Stadt...15 Projekt einer Stadtteilschule...17 Erweiterte Kirchenbaupläne bei reduzierten Kosten...19 Einführung der Kirchensteuer...20 Geänderte Seelsorgebezirke und Namensgebung für die neue Kirche...21 Die Einweihung der Eberhardskirche...23 Martin Diem Martin Elsaessers Betsaal im Industrieviertel Reformarchitektur nach der Jahrhundertwende...25 Irmhild Buttler-Klose Martin Elsaesser - Leben und Werk...37 Hans-Ulrich Dapp Das Kreuzigungsbild von Käte Schaller-Härlin...44 Christa Hagmeyer Glocken für Vaterlandskrieg und Gemeinde ( )...48 Christa Hagmeyer Gisela Dreher-Richels Abstrakte Glaskunst erzählt...56 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Johanna Petersmann Pfarrverweser in der neuen Gemeinde...65 Stadt- und Garnisonspfarrer Otto Ernst Meyer ( )...67 Kindergarten Paulinenstraße...68 Ein Blick auf die Tübinger Garnisonskirchen...70 Evangelisches Gemeindeblatt Tübingen ( )..74 Meyer als Geistlicher im Krieg...74 Erneut Pfarrverweser ( )...75 Zwischen den Weltkriegen ( ) Johanna Petersmann Johannes Georg Schneider ( )...80 Schneiders Arbeitsfeld...81 In der Zeit der Weimarer Republik...82 Zweite Pfarrstelle in der Gemeinde Gastprediger ( )...87 Kirchenheizung...88 Überkonfessionelle Totenfeiern...89 Weltwirtschaftskrise und Machtergreifung...91 Gleichschaltungsschritte...93 Entwicklung von Gegenkräften im Kirchenkampf...95 Bekennende Kirche contra Deutsche Christen...96 Landesbischof Wurm im Visier...97 Zwischen Anpassung und Selbstbehauptung...99 Das Militär zieht wieder in die Stiftskirche Harald Müller-Baur Zwischenfall in der Eberhardskirche eine Versammlung der Bekennenden Kirche Johanna Petersmann Stadtpfarrer Schneiders letzte und schwere Dienstjahre Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Harry Waßmann Walther Geißer ( ) Wilhelm Wurster Für mich war die Eberhardskirche eine Heimat in der braunen Zeit Johanna Petersmann Eberhardskirchengemeinde selbstständig seit Walter Schaal ( )...130

5 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Johanna Petersmann Wohnungsbau für Flüchtlinge und Franzosen Eduard Knödler ( ) Aufwertung der Kirche und Gemeindesaal Neubau von Gemeindehaus und Turm Zweite Pfarrstelle mit Eberhard Krause-Sparmann ( ) Ein Kirchenraum im Wennfelder Garten entsteht Impulse von Krause-Sparmann für die Gemeinde Erneuerung der Kirche Diether Hermann ( ) Die letzten vier Jahrzehnte ( ) Johanna Petersmann Von der Franzosenzeit zum Französischen Viertel Stadt und Kirchen engagieren sich im Süden Ausblick: Und es gibt weiter viel zu tun Annemarie Jürgens Vom Wennfelder Gartenhaus zur Kirch am Eck Ökumene Christoph Wiborg Eberhard aus der Sicht von St. Michael ein Gespräch mit Sr. Carlagnese und Pastoralreferent Martin Günter..164 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Peter Mittler Wir sind eine Gemeinde in der Südstadt ( ) Jens Plinke Einen Weg in die Zukunft finden, zwischen Altvertrautem und Modernem ( ) Susanne Back-Bauer Aus Frauensicht ( ) Beate Schröder Frauentreff und Frauenkirch Heinz Hauger Eine offene, einladende Gemeinde ( ) Heinrich Braunschweiger Vom Wagnis der Predigt ( ) Kirchenmusik Klaus-Ulrich Thiedemann Organisten ChorleiterInnen Jahre Chorgesang Die Orgeln Mesnerdienste Johanna Petersmann Erlebte Geschichte in Portraits Christa Hagmeyer Renate und Ilse Keller Jugend in schwerer Zeit Johanna und Theodora Metzler ehe die Erinnerung versinkt Dora Sperth eine Frau im Amt Annemarie Jürgens über die zweite Hälfte der Franzosenzeit Christa Maria Schmidt-Jaag 16 Jahre Gemeindearbeit in der Eberhardskirche Hans-Ulrich Dapp Martin Lohss Seelsorger im Ehrenamt (Interview) Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal Harry Waßmann Hauptamtliche Mitarbeiter-innen ( ) Pfarrer, Jugend- und GemeindehelferInnen, Diakone/Diakoninnen MesnerInnen, Sekretärinnen 1. Vorsitzende des Kirchengemeinderates Quellen, Abkürzungen und Literatur Tafel der Gratulanten...264

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7 Vorwort Harry Waßmann Kirche im»jenseits«kirche im Diesseits Das»Jenseits«ist eine Ortsangabe. In Tübingen liegt das»jenseits«südlich von Neckar und Bahnlinie. So jedenfalls hieß lange Zeit im Volksmund die heutige Südstadt. Das»Jenseits«ist in mehrfacher Hinsicht die andere Seite und das andere Tübingen. Hier wurden Militär und Industrie angesiedelt, hier entstanden die ersten Sozialwohnungen, hier siedelten Handwerker, Arbeiter, Soldaten, Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Einrichtungen der Universität sind jenseits der Bahnlinie bis heute nicht anzutreffen. In diesem»jenseits«entstand vor 100 Jahren die Evangelische Eberhardskirche und mit ihr ein eigenständiges Gemeindeleben. Von Martin Elsaesser erbaut ( ) ist sie der erste evangelische Kirchenbau nach der Reformation. Die Eberhardsgemeinde im»jenseits«ist ganz bewusst Kirche im Stadtteil, im Diesseits, intensiv, von Anfang an und das nunmehr 100 Jahre lang. Sie baut und lebt und feiert bezogen auf ihre Umgebung. Sie ist Kirche mitten drin lebt mit Anderen, für Andere und neben Anderen. Auch deshalb erzählt diese Festschrift ausführlich die Stadtteilgeschichte. Drei Jahre hat sich ein Arbeitskreis aus der Gemeinde mit dem Rückblick auf 100 Jahre Kirche und Gemeinde befasst. Dank sei allen gesagt, die zu dieser Festschrift beigetragen haben mit Bildern, Geschichten und Texten, dank den Autorinnen und Autoren und namentlich allen Mitarbeitenden im»arbeitskreis 100 Jahre Eberhardskirche«: Irmhild Buttler- Klose, Hans-Ulrich Dapp, Martin Diem, Harald Kretschmer, Christa Hagmeyer, Annemarie Jürgens, Gerd-Rüdiger Panzer, Johanna Petersmann, Christa- Maria Schmidt-Jaag, Klaus-Ulrich Thiedemann, Christoph Wiborg, Hans-Martin Widmann. Diese Festschrift ist ein Lesebuch. Darum an dieser Stelle eine kleine Lesehilfe: Dieses Buch muss nicht von vorne nach hinten gelesen werden. Die einzelnen Beiträge von den AutorInnen selber verantwortet stehen für sich und können für sich gelesen werden. So verschieden wie die Blickwinkel so verschieden sind auch die Beiträge: Lebensgeschichten stehen neben kunsthistorischen Betrachtungen, Architekturgeschichte neben Stadtteilgeschichte, Predigtpassagen neben Mitarbeiterlisten. Manches wiederholt sich. Das liegt auch an dem Konzept verschiedener Darstellungsformen. Und wichtige Ereignisse dürfen ruhig aus mehr als einer Perspektive erwähnt werden. 100 Jahre sind ein langer und doch noch überschaubarer Zeitraum. Für den Versuch, diese Geschichte zu erzählen, ist das von Vorteil gewesen. Noch reichen persönliche Erinnerungen an Personen und Ereignisse bis zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts zurück. Schön, dass Bilder, Dokumente und Gegenstände aus den Anfangszeiten aufbewahrt worden sind und für Festschrift und Ausstellung zur Verfügung stehen. 100 Jahre Eberhardskirche, was ist das schon angesichts einer bald 2000-jährigen Geschichte der Christenheit? Nur ein Jahrhundert. Doch was für eines , das ist für die Evangelische Kirche in Deutschland ein Jahrhundert mit gleich mehreren Zeitaltern. War noch bis 1918 der König das Oberhaupt der Evangelischen Kirche, so hatte sie nach der Trennung von Staat und Kirche gerade einmal 15 Jahre Zeit, so etwas wie eine Eigenständigkeit auszu- 7

8 Vorwort bilden, ehe die nationalsozialistische Diktatur diesen Weg so schwer erschüttert hat. Mehr als 60 Jahre Kirche im demokratischen Rechtsstaat Kirche in der Zivilgesellschaft das ist gewissermaßen eine vierte Epoche binnen 100 Jahren. Schon deshalb lohnt es sich, auch intensiv auf diese 100 Jahre Eberhardskirche zu schauen, in der sich dieser Zeitenwandel abbildet. Um Geschichte zu verstehen, braucht man einen zeitlichen Abstand. Für die Zeit der ersten 50 Jahre der Eberhardskirche also bis Anfang der Sechzigerjahre hat sich mittlerweile ein historisches Bewusstsein entwickelt. Für die letzten 40 Jahre sind Beschreibungen und erst recht Deutungen immer noch vage Versuche. Man spürt das ganz konkret an der unterschiedlichen Bewertung des Umbaues der Eberhardskirche 1967/68. Auch deshalb hat sich der Arbeitskreis entschlossen: Für diese Zeit sollen im Wesentlichen die Erinnerungen der ehemaligen Pfarrer und einzelner portraitierter EberhardlerInnen stehen. Als Außenperspektive kommt dankenswerter Weise die Sicht der katholischen Schwestergemeinde St. Michael hinzu. Weder die Eberhardskirche noch die Gemeinde stehen unter Denkmalschutz. Sichtbares Zeichen dafür ist die Solaranlage auf dem Kirchendach. Der Versuch mit dieser Festschrift noch einmal zurückzublicken, soll nicht konservieren, sondern in erster Linie helfen, die gegenwärtige Situation besser zu verstehen. Das betrifft die Räume der Gemeinde Kirche und Gemeindehaus aber auch die Profile und Strömungen, die der Eberhardskirche ein Gesicht gegeben haben. Vieles aus 100 Jahren Eberhardskirche wirkt im Gemeindeleben bis heute fort. Mir scheint, als verbinde sich in der Eberhardskirche über 100 Jahre eine Kirche für alle mit einem starken, engagierten Kreis Aktiver, ohne und das ist das Erfrischende und Entspannte und womöglich auch Attraktive an dieser Gemeinde ohne dass Aktive und Passive um den richtigen Weg konkurrieren. Es heißt im Leitbild des Kirchengemeinderates vom Juli 2005: Wir sind Gemeinde für aktive und passive Christen. Wir versuchen auch Menschen, für die Kirche und Glauben ein Lebensfeld unter anderen ist, das Gefühl zu vermitteln, dass sie ganz dazu gehören. Anders gesagt: Der aktive Kern freut sich an allen, die kommen und mitwirken, aber verbittert nicht über die, die nur ab und zu einmal teilnehmen oder auch nicht dazu gehören wollen. Es könnte sein, dass diese Form einer freien Volkskirche, die weder exklusiver religiöser Verein noch bloße Versorgungskirche von oben sein will, für gelebte evangelische Freiheit stehen kann. Der Architekt Ulrich Reinhardt bemerkte nach dem Umbau im Mai 1968: Außer den Wänden und der Decke ist nichts geblieben, was nicht neu bearbeitet oder neu gestaltet worden ist. Trotz der alten Raummaße ist der Innenraum ein Kind unserer Zeit geworden. 1 Es geht für jede Christengemeinde wieder und wieder um ein Leben in der Zeit und auf der Höhe der Zeit. Ein Kind der jeweiligen Zeit zu werden, kann freilich auch problematisch sein. So fragt sich, wie in Zukunft die Eberhardskirche im Tübinger»Jenseits«eine Kirche im Diesseits sein kann. Was ist dran im 21. Jahrhundert in Tübingen in der Südstadt? Was ist der Beitrag dieser evangelischen Gemeinde? Aus dem Geist Jesu sozial-diakonisch eintreten für Schwache, das gesellige Miteinander fördern, bürgerschaftliche Initiativen verstärken? Sich neu auf das Wagnis der Predigt einlassen? Im Gebet, im Gesang, im Hören auf Gottes Wort, im Trauern und Trösten etwas vom Jenseits im Diesseits durchscheinen lassen? Etwa so, wie es die Lyrikerin Gisela Dreher-Richels, die 1968 die Glasfenster der Eberhardskirche erschuf, in ihrem Grußwort 8

9 Vorwort schreibt: Diaphanie, die Durchlässigkeit, das Durchschimmern einer anderen Daseinsebene in unsere irdische hinein! So hatte ich zum Glas gefunden. So fand ich später zum durchlässigen Wort. Fällt von Gottes Wort von Gottes Gegenwart etwas in unser Leben hier und heute, das durchscheint? Wird in unserem Miteinander etwas hörbar und sichtbar vom wirklichen Menschen, von Jesus Christus? Darauf könnte es ankommen: Dass immer wieder etwas von jenem anderen Jenseits von Gott her in das Diesseits scheint, zum Trost und zur Stärkung aller in der Gemeinde und im Stadtteil. So wie es Marie Schmalenbach im letzten Vers ihres Liedes besingt (Evang. Gesangbuch Nr. 680): Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein, dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine, selge Ewigkeit! Harry Waßmann Tübingen, im Februar Eberhardskirche Tübingen, Innen-Erneuerung, , S.12f. Kanzelsteine, Sandstein Symbole für die vier Evangelien: Matthäus - Mensch, Markus - Löwe, Lukas - Stier und Johannes - Adler (nach Hesekiel 1,10) 9

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11 Von den Anfängen im Jenseits Johanna Petersmann Der erste neuzeitliche Bau einer Kirche in der sich über die Kernstadt hinaus erweiternden Stadt war die Eberhardskirche. Nicht von ungefähr entschlossen sich die Verantwortlichen für den Standort im Süden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war Tübingen über die abgerissenen Mauern und Tore hinausgewachsen: In der Wilhelmsvorstadt im Universitätsviertel, in der Neckarvorstadt im mittleren Wöhrd und in der sogenannten Herrenberger Vorstadt im Westen. Im Süden hatten vor allem die Steinlach, aber auch der Neckar seit Jahrhunderten das Gelände immer wieder großflächig überschwemmt. Das änderte sich anfangs der 1860er Jahre, als die Steinlach korrigiert und zwischen die Dämme gezwungen wurde. Damit hatte sich für die Stadtväter nun auch im Süden, im Jenseits ein weites, offenes Gelände zur Bebauung aufgetan; das Jenseits hieß im Volksmund schon früh das Gebiet südlich des Neckars und jenseits der Eisenbahn, die seit l862 parallel zum Fluss und zur Reutlinger Straße durch die Markung fährt. Es ist erhellend, die besondere und vielfältige Stadtbaugeschichte der Südstadt gerade auch in diesem kirchenbezogenen Kontext zu skizzieren. Frühe Kirche im Wennfelder Garten Die Nikolauskapelle Am Rande des hochwassergefährdeten Gebiets, wo heute südlich der Kirch am Eck im heutigen Französischen Viertel das Gelände zum Wennfelder Garten hin ansteigt, liegt ein uraltes Siedlungsgebiet; dort befand sich wohl schon im 7. Jahrhundert der kleine Weiler Wennfeld. Er lag im Verlauf des alten Wegs am Fuß des Galgenbergs, der die alamannischen Siedlungen Derendingen und Kusterdingen verband. Von diesem Gehöft Wennfeld aus wurde im Mittelalter die weite Flur von rund 175 ha Äckern, Wiesen und Wald zwischen den Markungen von Tübingen, Derendingen, Wankheim und Lustnau bewirtschaftet. Im Wemmenvelt, das den Pfalzgrafen von Tübingen gehörte, stand eine Nikolauskapelle. Zu Sankt Nikolaus, dem Schutzpatron der Armen und Reisenden, wandte man sich auch bei Hochwasser; so macht es Sinn, dass dieses Patrozinium für die kleine Kirche vergeben worden ist, die nur wenig über dem oft überschwemmten Neckartal lag. Als die Tübinger Pfalzgrafen im 14. Jahrhundert nach und nach zum Verkauf ihres reichen Besitzes gezwungen waren, kam der Weiler Wennfeld an das Kloster Sankt Blasien und 1485 zunächst als Erblehen an das Tübinger Spital. Das Spital (später Bürgerheim) war eine bedeutende Einrichtung herrschaftlicher Fürsorge, das sich um Alte, Waisen, Kranke und Arme zu kümmern hatte und dies lange aus der Bewirtschaftung großer Felder und Wiesen oder durch Aufnahme wohlhabender Pfründner mitfinanzierte. Nach dem dreißigjährigen Krieg im Jahr 1660 gelang es dem Spitalpfleger, der damals dem städtischen Magistrat angehörte und der für die Verwaltung der Wennfelder Güter verantwortlich war, die Ländereien zu kaufen und dadurch endgültig dem Spitalvermögen zuzuführen; auch die Rottenburger Jesuiten hatten damals ein Auge darauf geworfen. Damit bewirtschaftete die Tübinger Hospitalpflege die Felder und Wälder von der Stadt aus; der Bau der ersten steinernen Neckarbrücke im Jahr1489 mag dies erleichtert haben. Das Ende der Selbständigkeit des Weilers Wennfeld und der Verfall der Hofbauten waren damit besiegelt. 11

12 Von den Anfängen im Jenseits Der früheste Sakralbau auf dem Boden der heutigen Südstadt war also die alte Wennfelder Nikolauskapelle. Sie zerfiel bereits nach der Reformation in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts und wurde vollends abgebrochen. 1 Erst vierhundert Jahre später sollte die evangelische Kirche im inzwischen entstandenen Wohngebiet Wennfelder Garten im Jahr 1964 das kleine Wennfelder Gartenhaus errichten als kirchliche Anlaufstelle für die dortigen Neubürger. An der Wende zu unserem neuen Jahrtausend wurde dieses wiederum von der ökumenisch agierenden Kirch am Eck abgelöst. Im späten 18. und im 19. Jahrhundert waren in diesem Acker- und Wiesengelände neben den Landwirten und Verwaltern des Spitals zunehmend auch naturbegeisterte Spaziergänger unterwegs. Auch Hölderlin, Mörike, Uhland und deren Freunde schätzten die weiten Fluren Richtung Galgenberg und Burgholz. Vorne rechts die Thiepvalkaserne mit ersten Wohnhäusern an der Steinlach und dem Gaswerk an der Reutlingerstraße. Links neben der baumbesetzten Hechingerstraße das Wasserwerk. Ölbild von Karl Wüst Industrieviertel und Baugebiet im Tübinger Süden Über die Spitalpflege hatte die Stadt als mittelbare Eigentümerin nunmehr einen erleichterten Zugriff auf dieses ausdehnungsfähigste Baugebiet im Tübinger Süden. Dies prägte und beförderte die dortige städtebauliche Entwicklung. Dienstleistungen für die Kernstadt, die dort ihren Standort fanden, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des neuen Stadtteils: Unweit des 1862 eröffneten Bahnhofs wurde im gleichen Jahr an der Reutlinger Straße das städtische Gaswerk eingeweiht, von dem aus das Licht in die Tübinger Kernstadt gelangte. Seit 1879 pumpte das Wasserwerk südlich des heutigen Volksparks an der Ebertstraße das dort gefasste Grundwasser unter dem Neckar hindurch auf den Österberg, von wo es in die Tübinger Hausleitungen floss. Eng mit der Südstadtentwicklung verbunden und bis heute bestimmend sollte die Tübinger Garnison werden wurde die erste Kaserne, die spätere Thiepvalkaserne, fertig gestellt. Die Stadt hatte dem württembergischen Kriegsministerium den südlich der Bahn gelegenen 3 ha großen Platz kostenlos überlassen. In der Achse von Bahnhof, Uhlanddenkmal und Burse gelegen, kündet sie vom begeisterten Aufbruch Tübingens in die Geschichte der Tübinger Garnison. Im Wankheimer Täle legte man auf städtischem Grund eine Schießbahn an; auch ein Exerzierplatz im Salzgarten brachte 1908/1909 militärische Tabu- Zonen und Lärm in die Landschaft. Im Vorfeld der beiden Weltkriege wurden weitere große Areale militärisch vereinnahmt, so für die spätere Lorettokaserne, in den Dreißigerjahren dann für die Motorsportschule und die weit ausgreifenden Bauten der Burgholzkaserne 1938 und der Hindenburgkaserne Erste Stadthäuser am Steinlachdamm in der Fürststraße waren schon in den 1870er Jahren bezogen 12

13 Von den Anfängen im Jenseits Postkarte von Tübingens Süden Die damalige Reutlinger Vorstadt mit dem Wasserwerk an der späteren Ebertstraße und den ersten Sozialwohnungen an der Paulinenstraße. worden, und die Firma Schweickhardt hatte sich weit draußen an der Reutlingerstraße mit ihrer Guano- und später mit ihrer Essig- und Likörfabrik eingerichtet. Der Ansiedlung von Industrie standen viele Tübinger lange Zeit ablehnend gegenüber. Man war überwiegend der Ansicht, das Landschaftsbild und der Charakter der Universitätsstadt werde dadurch empfindlich gestört. Derendingen und Lustnau, die erst 1934 zwangseingemeindet wurden, hatten eine wirtschaftsorientiertere Entwicklung genommen als Tübingen selbst. Erst in den Neunzigerjahren des 19. Jh. gewannen die Befürworter eines ersten Industrieviertels im Tübinger Süden die Oberhand. Sie argumentierten, zum einen befinde sich ein großer Teil des Areals in städtischer Hand, zum andern liege das Viertel verkehrsmäßig günstig zur Bahn, und die Universität werde durch Ansiedelung von Fabrikbetrieben in jener Gegend am wenigsten belästigt, da das Gebiet nicht auf der sog. Windseite der Stadt liege. 2 Ein Stadtbauplan war im Entstehen. Aus dem Jahr 1893 ist eine Planskizze erhalten, wonach einem Gitternetz gleich direkte Gleisanschlüsse über den Sternplatz direkt zur Bahn führen und so ein Gewerbegebiet ermöglichen sollten. Nun berichteten die Gemeinderatsprotokolle von einer rasch vorwärts drängenden Entwicklung des Quartiers. 3 Inzwischen hatten sich u.a. die Firmen Lumpp (Papier- und Lackwaren1893), Metz und Zanker (Postkarten und Metallwaren 1897), Rupp und Schäfer (Korsettwaren und Stühle bzw. Holzdreherei 1899/1900) für den Preis von 2-2,50 Mark pro qm im neuen Industrieviertel angesiedelt. Im städtischen Bauplan war zu lesen, dass durchaus auch lästige Anlagen im Sinne der Gewerbeordnung zugelassen waren. Der offenkundigen Geringschätzung des Stadtteils im Jenseits sollte wohl entgegenwirken, dass die dortigen Straßen damals mit Vornamen von Angehörigen des Hauses Württemberg beehrt wurden. Immerhin wohnten die meisten Garnisonsangehörigen vom Oberst Noell über den Regimentsmusikdirigenten Schneckenburger bis zu den Leutnants und Sergeanten hier im neuen Garnisonsviertel. 4 Sie präsentierten sich auf ihren Visitenkarten als Dienstangehörige des beliebten Königs Wilhelms II. sicher gerne mit den wohlklingenden Namen des württembergischen Fürstenhauses. 13

14 Von den Anfängen im Jenseits Die Unternehmer im neuen Industrieviertel bauten sich - oft aus Backstein entsprechend der Epoche - ansehnliche Wohnvillen zur Straße hin und meist etwas versteckt dahinter die Fabrikationsräume. Größere Gärten mit Pavillons oder sogar grottenähnliche Anlagen wie um die Villa Metz gehörten auch dazu. Sie war eingerichtet worden, da in diesem Stadtteil besonders viel Eisenbahnbedienstete und Familien mit größerer Kinderzahl wohnen, für welche die Einrichtung eines Kindergartens eine große Wohltat bedeutet; dort wurde auch die erste Sonntagsschule gehalten konnte der zweite Kindergartenneubau Tübingens in der Paulinenstraße eingeweiht werden - nach dem 1907 in der Rappstraße (Weststadt) eröffneten. Auch kleine Läden, Handwerksbetriebe und die Gastwirtschaft Herzog Ulrich öffneten ihre Türen. Kurze Wege und die räumliche Nähe von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen waren damals selbstverständlich; ein Jahrhundert später wurde das Konzept der Nutzungsmischung im Französischen Viertel wieder neu erfunden und propagiert. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich für etwa 2000 neue Südstädter ein lebendiger urbaner Vorstadtkern mit guter Infrastruktur herausgebildet; das alte Derendingen war zahlenmäßig bereits überholt, die Derendinger Industriependler nicht mitgerechnet. Pressenotiz zur festlichen Eröffnung des Gasthofes an der Ecke Christoph- und Ulrichstraße vom ; anfangs war offenbar noch Herzog Christof geplant. Postkarte vom Gasthof zum Herzog Ulrich um 1903/04. Die nötigen Stallungen waren im Souterrain. Poststempel von In den Jahren von 1899 bis 1902 ist eine für damalige Verhältnisse außerordentlich emsige Bautätigkeit zu verzeichnen: Im Bereich zwischen Eugen-, Ulrich und Paulinenstraße entstanden in dieser Zeit 38 hohe Stadthäuser. Der von Landgerichtsdirektor Karl von Hügel neugegründete Wohnungsbauverein für Arbeiter und Kleinhandwerker baute die ersten sozialen Wohnungen Tübingens in der Paulinen- und in der ums Eck liegenden damaligen Hügel-, späteren Ebertstraße. Seit 1909 besuchten 30 bis 40 Kinder die Kleinkinderschule im Ruppschen Saal an der Christophstraße 30, die von Fräulein Röhm geleitet wurde. 14

15 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Die Eberhardskirche entsteht ( ) Johanna Petersmann Schritte zu einer neuen Gemeinde und zum Betsaal Zu den alten Pfarreien an Stiftskirche und Jakobuskirche (früher Hospital- und lange Spitalkirche genannt) war 1896 eine weitere Pfarrstelle für die Seelsorge des sich stark erweiternden Klinikums der Universität geschaffen worden. Am 28. Juli 1907 hatte nun Generalsuperintendent von Hermann aus Stuttgart bei seinem ersten Besuch in der Diözese die Errichtung einer weiteren Stadtpfarrstelle empfohlen in Anbetracht der Tatsache, daß im hiesigen Industrieviertel eigentlich eine neue Parochie entstanden sei und daß...auch die beträchtliche Vergrößerung der Kliniken ins Auge gefasst werden müsse. 6 In seiner Sitzung vom 5. März 1908 nahm der Tübinger Kirchengemeinderat Stellung zu dieser Anregung. Dem Gremium gehörten damals die vier Stadtgeistlichen, drei Frühprediger (die Professoren Johann Theodor Haering, Adolf Schlatter, Paul Wurster) Stadtschultheiß Haußer, der Kirchenpfleger und 12 gewählte Kirchenmitglieder an; die 21 Mitglieder des Gremiums tagten - schon wegen der Semesterferien - selten vollzählig und der Pfarrbericht von 1910 bestätigt, dass auch sehr wichtige Angelegenheiten..bei schwacher Besetzung entschieden wurden. 7 Der Kirchengemeinderat beschloss eine Eingabe zur Errichtung einer fünften Stadtpfarrstelle. Die Einwohnerzahl der Stadt habe sich in den letzten 50 Jahren verdoppelt und zähle 1905 über Seelen, davon Evangelische. Das in der Nähe der Gasfabrik entstandene Industrieviertel solle in Bälde auch ein eigenes Schulhaus erhalten; auch seien in diesem neuen Stadtteil Anfänge zu einer kirchlichen Versorgung bereits vorhanden. Der neue Stadtpfarrer habe in der Hauptsache die kirchliche Versorgung des Industrieviertels zu übernehmen, für die die Beschaffung eines gottesdienstlichen Lokals und später die Erbauung eines Betsaals (einer Kirche) ins Auge gefaßt wird. 8 Eine Neuordnung der Seelsorgefunktionen biete sich in der Folge an. Schon in der Kirchengemeinderatssitzung vom lag eine positive Reaktion des Stuttgarter Konsistoriums vor. Zunächst solle ein unständiger Geistlicher bestellt, ein geeigneter Platz im Industrieviertel gefunden und die nötigen Mittel für die Schaffung eines gottesdienstlichen Raumes im Etat der Kirchenpflege eingestellt werden: Am billigsten und einfachsten erscheint eine Art Wanderkirche, die je nach Bedürfnis unter geringen Kosten auch an einen anderen Platz versetzt werden könnte. Da sich nun aber an den Bau einer Wanderkirche doch in erster Linie Fragen technischer Art anknüpfen, so wird nach einstimmigem Beschluß der Vorsitzende (Dekan Karl August Elsäßer) gebeten, seinen Sohn, Herrn Architekt Elsaesser, zu einem technischen Gutachten in der Sache anzufordern. Das Gutachten des Architekten Martin Elsaesser lag Ende Juni vor und sprach eine klare Sprache: Das Wanderkirchensystem sei völlig abwegig und keineswegs empfehlenswert. Elsaesser riet eindeutig für die hiesigen Verhältnisse zum Bau eines einfachen, massiv erstellten Betsaals. Auch eine geeignete Pfarrwohnung gehöre dazu und ein Gemeindehaus für ein lebendiges kirchliches Leben sei ins Auge zu fassen. 9 Pläne für ein neues Gemeindehaus wurden vom Kirchengemeinderat als nachrangig angesehen und zurückgestellt; die Idee sollte erst ein gutes halbes Jahrhundert später wieder aufgenommen und realisiert werden! Bauplatz im Volksgarten - ein Geschenk der Stadt Im September 1908 fand dann unter Führung von Stadtschultheiß Haußer zusammen mit Architekt 15

16 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Volksgartenplanung von Verschiedene Schulstandorte und Straßenführungen wurden erwogen. 16

17 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Elsaesser eine Ortsbesichtigung statt; man einigte sich auf die Parzelle 5693/1 an der Kreuzung Eugen- und Paulinenstraße als den geeignetsten Platz für das gottesdienstliche Lokal. Auch der Bauplatz für ein Pfarrhaus lasse sich sicher in der Nähe finden, heißt es im Kirchengemeinderatsprotokoll vom Zum Schutz des 1879 am südlichen Volkspark erbauten Wasserwerks hatte das Stadtbauamt im August 1899 ein Bauverbot erlassen; die in diesem Viertel neu erbauten Häuser waren mittlerweile der Tübinger Wassergewinnungsanlage immer näher gerückt. Dort hatte Universitätsgärtner Schelle schon1904 einen umfangreichen Pflanzplan vorgelegt für eine kleine aber feine öffentliche Anlage, den Volksgarten : 36 Bäume am Kinderspielplatz, 27 Solitärs mit Buchen, Silberpappeln, Linden, Eichen, Birken, rotblättrigem Ahorn, fruchtlosen Apfelbäumen, 31 Nadelbäume und etwa 600 Kleingehölze sollten eingepflanzt werden und eine Pufferzone zwischen Bebauung und Brunnenanlage bilden. 10 Haußer erreichte im Tübinger Gemeinderat die schenkweise Überlassung des etwa 6 ar großen Areals für die Kirche, zumal man mit dieser unentgeltlichen Abgabe Ehre einlegen könnte. 11 Falls der Platz später eine andere Zweckbestimmung erhalte, solle er wieder ins städtische Eigentum zurückfallen. Die Baulinie für die Bauplatzfläche wurde neu festgesetzt und das Bauverbot auf der zum Volksgarten gehörigen Parzelle aufgehoben. Auch die Kosten dafür, dass die durch den Bauplatz verlaufende Trinkwasserleitung vom Wasserpumpwerk zum Hochbehälter auf dem Österberg verlegt werden musste, übernahm die Stadt. Außerdem plante die Stadt seit Jahren ein großes Schulhaus auf der dem Betsaal benachbarten westlichen Parzelle der neuen Vorstadt waren Überlegungen und Skizzen für eine Stadtteilschule. Sie sollte an der ursprünglichen Hauptverkehrsachse des Industrieviertels liegen. Diese Achse führte laut Stadtbauplan vom Güterbahnhof kommend über den Sternplatz zum Eugensplatz und erreichte, den Volkspark schräg flankierend, die Steinlach auf der Höhe der heutigen Ebertstraße Richtung Westen. Im Blick auf die wachsende Bevölkerung im Süden lag im September 1909 ein erneuter Planentwurf für eine dreistöckige Schule für über1000 Schüler auf dem Tisch, der den Betsaal bei weitem überragt hätte. Vor allem die geplante Verkehrsführung zwischen Kirche und Schule erschien nachteilig. Architekt Elsaesser gab beim Stadtplaner Eberhardt (sic!) zu bedenken, dass das zunehmende werktägliche Verkehrsaufkommen vor allem auch die Schule stark beeinträchtigen könnte. Eberhardt wehrte sich etwas abschätzig gegen diese neue Städte- Verschiedene Straßenführungen rund um den neuen Betsaal auf einem Plan des Stadtvermessungsamts vom Bei genauem Hinsehen war auf der Kreuzung auch ein Spielplatz angedacht. Projekt einer Stadtteilschule Einige Jahre älter als die Planungen für eine Kirche in 17

18 Die Eberhardskirche entsteht ( ) baukunst, die der modernen Heimatschutzbewegung nach Inhalt und Form nicht unähnlich zu sein scheint. 12 In diesen baufreudigen Jahren war mit Stauwehrbau, Neckarregulierung und Plänen für eine Industrieansiedlung am mittleren Wöhrd, Trassierung der Ammertalbahn und Durchschneidung der Villensiedlung an der Neckarhalde ein heftiger Streit um die Alleen entbrannt. 13 Das Jahr 1911 ging dann als das bisher regste Tübinger Baujahr in die Stadtgeschichte ein. Angesichts der widerstreitenden Interessen und der vielen städtischen Baustellen wurde es still um den Plan einer Schule im Stadtteil. Nur der geplante Betsaal und eine neue Kaserne (die spätere Lorettokaserne) konnten in diesen Jahren noch fertiggestellt werden. Die Schulplanung kam erst zwanzig Jahre später - kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs - in der Gemeinderatssitzung vom nochmals zur Sprache. Neben dem Beschluss für eine neue Turnhalle zur körperlichen Ertüchtigung der Volksschüler (heute Hermann-Hepper-Turnhalle) sollten Rücklagen für die Schaffung eines Sammelschulgebäudes für das Südgebiet gebildet werden. Noch vor Beginn des Krieges lag am ein Plan für eine achtklassige Volksschule neben der Eberhardskirche vor. Schulplanung vom August Einen Eindruck von den Dimensionen des mächtigen Schulgebäudes neben dem Betsaal vermittelt diese räumliche Skizze. Entwurfskizze für ein Gemeindehaus neben der Kirche von 1950 Fünf Jahre nach Kriegsende legte Bauingenieur J. Helbling dann eine Bauskizze für ein Haus der Gemeinde mit Saal, Gemeinderäumen und Wohnungen an derselben Stelle vor, die aber nicht realisiert wurde. 14 Immerhin vermittelt uns die Zeichnung eine schmucke Ansicht der Kirche vor den späteren Umund Neubauten. Der Plan für eine neue Schule wurde ein Jahr später mit der Mörikeschule nunmehr auf der früheren Derendinger Markung 15 im Süden wieder aufgenommen. Damit waren die Weichen für das bis heute größte und vielfältigste Schulzentrum in der Geschichte der Stadt gestellt folgte die Hügelschule für die inzwischen stark erweiterte östliche 18

19 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Südstadt. Neben der Eberhardskirche konnten nun das heutige Gemeindehaus und der zugehörige Kindergarten errichtet werden; sie sind aus dem Gemeindeleben der Kirche heute nicht mehr wegzudenken. Erweiterte Kirchenbaupläne bei reduzierten Kosten Schulprojekt (1907) und Betsaal (8-1909) von Stadtbaumeister Eberhardt. Im März 1909 lagen dem Konsistorium bereits die fertigen Baupläne des Architekten für den Betsaal vor. Vorgesehen war ein unverputzter Backsteinbau, der mit Ziegeln und Kupferblech eingedeckt werden sollte. Im August nahm der ferienhalber nur 11köpfige Tübinger Kirchengemeinderat 16 die Pläne einmütig an und im September wurden Bauarbeiten für Kirche und Pfarrhaus in der Tübinger Chronik ausgeschrieben. Die Bauofferten der Gebrüder Dannenmann, der Zimmerei Jakob Munz, der Firmen von Konrad Scheel (Schmied), von Eugen Riss (Eisenlieferung), von Otto Peetz (Dachdecker) und Schneider & Henne (Flaschner) wurden beschlossen. Ein Baubeginn noch im Herbst konnte für möglich gehalten werden. 17 Doch bis zur Realisierung waren noch etliche Stolpersteine aus dem Weg zu räumen: Auf Anregung des Dekans genehmigte das Konsistorium bei dem voraussichtlichen Wachstum der Neckarvorstadt eine Verlängerung des Raumes für 770 statt bisher 650 Sitzplätze. Außerdem sollte der Kirchenraum abteilbar sein, um einen Konfirmandensaal zu ermöglichen. 18 Für den Bau des zweistöckigen Pfarrhauses musste die Kirchengemeinde einen Bauplatz schräg gegenüber käuflich erwerben; die rund 6 ar kosteten damals 2500 Reichsmark. Der Architekt brachte nochmals den wünschenswerten Kirchturm ins Gespräch, dessen Kosten er auf etwa Mark veranschlagte. Nach einer lebhaften Aussprache lehnte der Kirchengemeinderat mit 9 : 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen den Turmbau aus finanziellen Gründen ab. 19 Man beschränkte sich auf einen kleinen Dachreiter. Als Baukosten für das Pfarrhaus wurden Mark vorgesehen. Für den Betsaal war Elsaesser ursprünglich von einem Kostenvoranschlag von ausgegangen, die sich nun durch die vom Konsistorium gewünschte Verlängerung im März 1910 auf Mark erhöhten. Der darob aufgeschreckte Kirchengemeinderat setzte eine Baukommission ein, die einige Ersparnisse errechnete: Reduzierung der Stuckarbeit im Chor, der gemalten Chorfenster, der Kunstmalerarbeiten, der Außenanlagen um und des Architektenhonorars um Mark. Es blieb danach ein Gesamtkostenaufwand für Kirche und Pfarrhaus von Mark. Hierfür hatte die Kirchenge- 19

20 Die Eberhardskirche entsteht ( ) meinde eine Schuld von Mark zu übernehmen, die bis zum Jahr 1944 getilgt sein sollten. 20 Tatsächlich wurde der Kostenvoranschlag um etwa Mark überschritten - aus heutiger Sicht eine erstaunlich geringe Summe. 21 Einführung der Kirchensteuer Schon seit September 1908 hatte man im Kirchengemeinderat über die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten für einen Kirchenneubau diskutiert. Neben Spendenaufrufen und einer Schuldaufnahme mit Tilgungsplan war die Diskussion angestoßen worden, eine Ortskirchensteuer zu erheben; seit 1887 hatten die württembergischen Gemeinden die Möglichkeit, auf ortskirchlicher Basis eine Steuer mit unterschiedlichen Hebesätzen einzuführen. Die abzusehenden Kosten des neuen Kirchenbaus machten die kirchliche Steuer nun unausweichlich. Außerdem wurde erst im Herbst 1910 bekannt, dass die Stiftskirche einer umfangreichen, nicht aufschiebbaren Restaurierung bedürfe. Bei den Kirchengemeinderatswahlen Ende Juni 1910 standen laut Dekansbericht die Kandidaten besonders in finanziellen Angelegenheiten unter scharfer öffentlicher Kontrolle und Kritik. Damals wurde von demokratischer Seite eine Agitation in Szene gesetzt, die den unnötigen Bau einer neuen Kirche und die Belastung der Kirchengenossen mit einer Kirchensteuer als Anklage gegen den planlos verwilligenden Kirchengemeinderat benützte. Beim Wahlergebnis aber behielten dann die von pietistischer Seite unterstützten Wählerstimmen die Oberhand, sodaß jetzt ein Kirchengemeinderat beisammen ist, mit dem schließlich alle Wohlgesinnten zufrieden sein können. 22 So entschied sich der Kirchengemeinderat am 20. Oktober 1910 für eine jährliche Umlage, deren Maßstab der Verteilung...die staatliche Steuer aus Einkommen und Kapital bilden soll und zwar sollen 4% dieser Steuern auf die Kirchengemeindegenossen umgelegt werden. Die staatliche Steuer aus Grund, Gebäude und Gewerbe solle hierbei zunächst nicht beizuziehen sein und alle, die ein Gesamtjahreseinkommen von unter M haben...und weniger als 13 M Staatssteuer bezahlen, sollen befreit bleiben. Dass auch die Offiziere der Garnison besteuert werden sollten, ist in einem Nachtrag im Protokoll vermerkt. 23 Als Ertrag wurden M angenommen. Auch in den städtischen Gremien stand die Einführung einer Kirchensteuer auf der Tagesordnung, dies bezüglich der Gesamtbelastung der Bürger. Die Stadt hatte in diesen Jahren 1909/11 das weitreichende Jahrhundertbauwerk der Neckarkorrektion, die Errichtung von Stauwehr und Kraftwerk, den Bau des Flutkanals an der Platanenallee zu schultern. Dies ermöglichte erst die umfangreichsten Bauvorhaben in der Geschichte Tübingens zwischen Wöhrd und Blauer Brücke. Die Unnot eines weiteren Kirchenbaus, vor allem des Pfarrhausbaus und das wenig Erfreuliche der zu erwartenden Kirchensteuer wurden in der erregten Rathausdebatte vor allem vom Reichstagsabgeordneten und Gemeinderat Liesching und dem Bürgerausschussobmann Scheef (dem späteren Oberbürgermeister) nochmals beschworen; dennoch billigte das Gremium letztendlich mehrheitlich das Bauvorhaben und die Einführung der Kirchensteuer. Die Stadt übernahm sogar noch die Verlängerung der Eugenstraße bis zu dem gegenwärtig in Ausführung begriffenen Pfarrhausneubau auf städtische Kosten und die Ausfüllung des freien Platzes vor dem Neubau der Eberhardtskirche (sic!). 24 Die Umsetzung dieser Baumaßnahme im Straßenbereich dauerte allerdings mehr als ein Jahrzehnt. Der Plan des Städtischen Tiefbauamts lag zwar im Juni 1914 vor, aber der Weltkrieg verzögerte die Durchführung. Im Juni 1920 wurde Stadtpfarrer Schneider wieder vorstellig und schilderte den üblen Zustand und die Wassermassen 20

21 Die Eberhardskirche entsteht ( ) bei Regen an der Eugenstraße: Ich gehe jedesmal mit nassen Füßen nach Hause..., meine 4 Schulkinder desgleichen. 25 Erst als es nach der Reform der Rentenmark 1924 etwas aufwärts ging, konnte die Eugenstraße ausgebaut werden. Geänderte Seelsorgebezirke und Namensgebung für die neue Kirche In der Kirchengemeinderatssitzung vom 14. Oktober 1909 standen zwei wichtige Punkte auf der Tagesordnung: Zum einen war über den durch den Kirchenneubau erforderlichen Neuzuschnitt der Seelsorgebezirke zu entscheiden. Das Ergebnis wurde am darauffolgenden Sonntag von den Kanzeln verlesen und erschien am Montag als große Beilage in der Tübinger Chronik. Folgende Einteilung war vorgesehen: 1. Bezirk: Dekan, zuständig für die südliche Kernstadt zwischen Collegiumsgasse und Neckar, im Westen bis zur Biesingerstraße. 2. Bezirk: dritter Stadtpfarrer, zuständig für das Gebiet rund um die Spital bzw. Jakobuskirche bis nach Schwärzloch. 3. Bezirk: zweiter Stadtpfarrer, zuständig zwischen Oesterberg und Schmidtorstraße nördlich des Dekansbereichs. 4. Bezirk: sollte bis zur Fertigstellung der neuen Kirche zur Stiftskirche zählen und den gesamten Stadtteil südlich des Neckars insbesondere das neue Industrieviertel umfassen. Adressbuch 1912 Zum andern wurde der Name für den neuen Kirchenbau gewählt. In der Sitzung anwesend waren 16 von 21 Kirchengemeinderäten. Neun Stimmen, also die Mehrheit, entfielen auf den Vorschlag Eberhardskirche, vier Kirchengemeinderäte stimmten für Steinlachkirche und zwei für Vorstadtkirche, ein Mitglied enthielt sich der Stimme. 26 Leider sind den Akten keine Diskussionsverläufe zu entnehmen. Die Entscheidung lässt sich jedoch nachvollziehen. Da der Betsaal der nahen Kaserne wegen auch als Garnisonskirche dienen sollte, lag es nahe - wie für die umgebenden Straßen - einen Vertreter des württembergischen Herzogs- oder Königshauses als Namenspatron zu wählen. Hier hätte sich nun eine»eugenskirche«angeboten, da die flankierende Eugenstraße bereits seit 1897 den Namen des württembergischen Herzogs Karl-Eugen trug und die sich hier bildende Straßenkreuzung in den Akten vereinzelt auch als Eugensplatz bezeichnet worden war. Doch als Namensgeber für eine neue Kirche kam offensichtlich nur Graf Eberhard in Frage. Er prägte die Tübinger Stadtgeschichte wie kein anderer und konnte in seiner starken Glaubenshaltung als Vorbild gelten. Eberhard hatte 1477 unter seinem Wahlspruch Attempto die Universität gegründet, 1482 den Uracher und Stuttgarter Landesteil wiedervereinigt, das Steuerwesen reformiert und Tübingen in den Rang einer zweiten Haupt- und Residenzstadt erhoben; die Einwohnerzahl erhöhte sich merklich auf über und die Stadt erlebte in dieser Zeit einen starken wirtschaftlich-baulichen und wissenschaftlichen Aufschwung. Die Stadtpfarrkirche wurde seit 1470 neu erbaut und durch die Übertragung des Augustiner- Chorherrenstifts von Sindelfingen zur Stiftskirche. Eberhards Pilgerfahrt ins Heilige Land, sein Gebetsbuch, sein Uracher Gebetsstuhl und die Gründung des Stiftes St. Peter auf dem Einsiedel, das er sich als Grablege zudachte, förderten seinen Nachruhm. 21

22 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Einweihung des Graf-Eberhard-Standbilds am : Oberbürgermeister Haußer begrüßt König Wilhelm II. und Königin Charlotte. Königreichs (Bürgerkönig Wilhelm II.) Das absolutistische Regiment Herzog Karl Eugens kam dabei in die Negativzeilen der Tübinger Chronik: Die Gründung der Hohen Karlsschule auf der Solitude hatte einst dazu geführt, dass Tübingen 1791 keine 200 Studenten mehr hatte und dem Untergang nahe war. Über die Enthüllungsfeier des Eberhard-Denkmals berichtete die Tübinger Chronik ausführlich. 27 Frühprediger Prof. Paul Wurster verurteilte in seinem 1919 veröffentlichten Buch Karl Eugen als eitle genußsüchtige Natur 28 und Otto Meyer, damals Stadtpfarrer an der Stiftskirche und später der erste ständige Pfarrer in der Eberhardsgemeinde, promovierte in diesen Jahren über die Brüder vom gemeinsamen Leben in Württemberg von und sprach dabei die Verdienste Eberhards um die Gründung des Stifts auf dem Einsiedel und seine dortige Grablege an. Sowohl Meyer wie Wurster und Oberbürgermeister Haußer nahmen an der Abstimmung im Kirchengemeinderat über die Namensvergabe teil. Im Jahr 1901 war auch die unter Eberhard erbaute 500 Jahre alte, steinerne Neckarbrücke erneuert und verbreitert dem Verkehr übergeben worden (1 500 Zugtiere täglich!). Sie sollte nun Eberhardsbrücke heißen und die Verdienste von Württembergs geliebtem Herrn und Tübingens segensreichstem Freund und Förderer künden. Ganz Tübingen war auf den Beinen, als im Mai 1903 das württembergische Königspaar nach Tübingen kam, um das große bronzene Standbild Eberhards auf dem Mittelpfeiler der Brücke feierlich zu enthüllen. Der württembergische Staat hatte dieses Denkmal als Wahrzeichen der alten Segensgeschichte des württembergischen Königshauses für unsere Stadt gestiftet, so Oberbürgermeister Haußer in seiner Ansprache. Als Festredner unter dem Erzbild des Grafen Eberhard schlug Professor Busch einen geschichtlichen Bogen bis zum anwesenden erlauchten Träger der Krone des 22

23 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Die Einweihung der Eberhardskirche Zwei Tage vor der Einweihung am 26. Februar 1911 und am Tag danach widmete die Tübinger Chronik etliche Spalten der neuen Eberhardskirche, die als erste Kirche Tübingens dem evangelischen Gottesdienst erbaut wurde. 29 Der schlichte Bau sei bewusst so niedrig und gedrückt gehalten, um zum einen gewiss nicht zur großartigen Stiftskirche in Konkurrenz zu treten und zum andern, um sich gut dem an der westlichen Seite des Eugensplatzes geplanten drei Stockwerke hohen Schulgebäude und den bis zu vierstöckigen Stadthäusern an der Ulrich- und Paulinenstraße einzuordnen. Ein Turm sei nicht nur aus Ersparnisgründen, sondern auch im Hinblick auf diese hohe Nachbarschaft gewiss zu Recht nicht eingeplant worden. Der Redakteur lobte damals den ansprechenden Ziegelbau mit Vorhalle, Dach, die feingegliederten Portale und die behagliche Wölbung des Daches zum krönenden Kreuz der Kuppel und kam bei der Beschreibung des saalartigen Inneren der Predigtkirche direkt ins Schwärmen: Das naturfarbene Tannenholzwerk der Decke, das rote Backsteingemäuer und der helle Verputz der Seitenwände ergeben einen überaus freundlichen Farbenakkord. Die großen hängenden Leuchter bildeten als Meisterwerke der Kunstschlosserei eine besondere Zierde des Raumes. Der Bericht schloss mit dem Wunsche, dass die Glieder der Neckarvorstadt ihre neue Kirche liebgewinnen mögen. Am Einweihungssonntag strömten trotz nassen und stürmischen Wetters viele Hunderte zur neuen Kirche, die bis auf den letzten Stehplatz gefüllt war. Von Habermaas, der damalige Präsident des Stuttgarter Konsistoriums, Mitglieder des Tübinger Gemeinderats mit Oberbürgermeister Haußer an der Spitze, die Tübinger Kirchengemeinderäte, der Regimentskommandeur, der katholische Dekan und andere zogen vom neuen, fast fertigen Pfarrhaus in geschlossenem Zuge zur Kirche, wo nach gemeinsamem Gesang die Schlüsselübergabe und dann der Einzug in den Saal erfolgte. Der Kirchenchor der Stiftskirche wirkte mit und Dekan Römer hielt die zu Herzen gehende Weiherede. Die Predigt hielt Stadtpfarrverweser Albrecht Schmidt über Epheser 2, 19-22: So seid Ihr denn nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen. Da draußen stets betrogen saust die geschäftige Welt, hier drinnen umfängt uns der Friede Gottes, so wurde der Prediger zitiert. Die Kirche sei ein Sammelpunkt der Gemeinde, wo sie sich bewußt wird ihrer Einheit und ihrer großen Aufgaben. Die Predigt bezog auch das bis heute zentrale Kreuzigungsbild von Käte Schaller-Härlin mit ein. Zwei Taufen und die Glück- und Segenswünsche des Reutlinger Prälaten von Herrmann im Auftrag des evangelischen Oberkirchenrats folgten. Der Prälat lobte das Bemühen der wissenschaftsorientierten Universitätsstadt, nicht zuzuwarten, bis durch die räumliche Entfernung von den beiden alten Kirchen die Entfremdung vom kirchlichen Leben im neuen Stadtteil überhaupt zur Gewohnheit wird. Winterliche Postkarte Eberhardskirche mit Springbrunnen und Umzäunung. 23

24 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Architekt Elsaesser fehlte bei der Schlüsselübergabe. Er hatte keine offizielle Einladung mit dem genauen Zeitplan der Einweihungsfeier erhalten und der von ihm bestiegene Schnellzug aus Stuttgart hatte zudem eine bedeutende Verspätung. Vor dem abendlichen liturgischen Gottesdienst besuchten Hunderte die neue Kirche. Der Berichterstatter in der Tübinger Chronik warnte davor, den neuen Betsaal nicht verfrüht in der noch unfertigen baulichen Umgebung mit leichtfertiger Kritik zu überziehen; er versuchte damit, etwaigen Masseneingesandts (Leserbriefen) vorzubeugen. Im Volksmund sprach man damals noch lange vom Schafstall, von der Seelenturnhalle oder gar vom E-Werk vom lieben Gott. Der Redakteur selbst bescheinigte Martin Elsaesser ein Meisterwerk: Wie liebevoll und mit wie einfachen und doch so wirksamen Mitteln ist hier hoch Künstlerisches geschaffen...ganz originell und einzigartig fesselnd und ansprechend ist die Idee Elsaessers, den Ziegelbau unten roh zu lassen. Das wirkt erst vielleicht, wie alles Neue, befremdend, aber bei längerem Betrachten und Verweilen in der Kirche gewinnt der rohe Stein ungemein an Wärme. Elsäßer hat hier ganz entschieden einen Schritt getan, der viel nachgeahmt werden wird... Elsaesser ist ein Schüler Professor Fischers, er schreitet hier mit glücklichstem Erfolg in dessen Bahnen. Im Übrigen seien auch Theodor Fischers Bauten zunächst dem größten Widerwillen im Publikum begegnet, um dann nach einigen Jahren als Musterbeispiele angesehen zu werden. Auch Prof. Wurster nahm in seinem Rückblick 1920 den vielangefochtenen Zweckbau von Elsaesser in Schutz als überaus beneidenswerte und für die kommenden Zeiten unserer Armut richtunggebende Schöpfung, weil das Fehlen des Turmes und die ganz einfache Bauweise es ermöglicht hat, die Kosten auf die Hälfte...der Normalsumme herunterzudrücken. 30 Anmerkungen: 1 Das Spitallagerbuch von 1569 spricht von einem Garten zu Wenndtfeldt, darauf vor Jarn ein capellin oder kirchlin so zu Sanct Niclausen zu Wendfeldt genannt worden gestanden. Vgl. Johanna Petersmann: Wennfeld. Von der alamannischen Siedlung zum städtischen Quartier. Tübingen (Kleine Tübinger Schriften. 24) 2 TC v im Dokband 3 TC v vgl. Adress- und Geschäftshandbuch Tübingen S. 21f im Dokband 5 SAT A Nervenklinik 1894, Augenklinik 1909, Hautklinik LKA-A KGRprot. v LKA-A ,2 im Dokband 9 KGRprot. v SAT A und Gemeinderatsprotokoll v Gemeinderatsprotokoll v Schreiben v. Sept in SAT A Tübinger Wortführer der neuen Heimatschutzbewegung waren die Professoren Carl Fuchs und Konrad Lange, die dann beide an der Spitze des im März 1909 in Stuttgart gegründeten Bundes für Heimatschutz mitwirkten. 14 Pfarrreg. Eberhardskirche 16c 15 Die Eingemeindung Derendingens war 1934 erfolgt. 16 Neben OB Haußer, Dekan Elsäßer, dem Kirchenpfleger und den Pfarrern bzw. Frühpredigern Demmler, Haering, Wurster stimmten Postmeister Heinrich Müller, Tapezier Ernst Schöck, Dr. Abegg, Kaufmann Christian Gunßer und Bäcker Peter Klett (einziger Südstädter) zu. 17 KGRprot. v Erlass d. Konsist. v Im KGRprot. v wurde vor allem auf die nötigen künftigen Ausgaben für ein Gemeindehaus der Stiftskirche hingewiesen, das später in der Neckarhalde gegenüber dem Dekanat für viele Jahrzehnte seine Bleibe fand. 20 KGRprot. v KGRprot. v u. Genehmigung durch die Kgl. Regierung v im Dokband 22 Pfarrbericht 1910 LKA A S. 20f. 23 KGRprot. v Das Konsistorium genehmigte den Beschluss am Gemeinderatsprotokoll v ; der damalige Stadtgeometer hieß Eberhardt. 25 SAT A Das Konsistorium in Stuttgart erhob keinerlei Einwand. Vgl. Dokband 27 TC v und Dokband: TC v Das kirchliche Leben der ev. Landeskirche in Württemberg. Stuttgart TC v. 24. und im Dokband 30 TC Jubiläumsblatt: Das religiöse Leben Tübingens in den letzten 75 Jahren

25 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Martin Diem Martin Elsaessers Betsaal im Industrieviertel Reformarchitektur nach der Jahrhundertwende Die Eberhardskirche war einmal eine ganz moderne Kirche; man könnte sagen, sie war auf der Höhe ihrer Zeit. Der vortreffliche und ganz unbestechliche Schweizer Architekturhistoriker und Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart Ernst Fiechter ( ) nannte den Architekten der Eberhardskirche, Martin Elsaesser, in einer Reihe mit den Reformern der Kirchenbaukunst Heinrich Dolmetsch und Theodor Fischer und fügt an, seine Kirchen sind durchweg selbstständige Schöpfungen ohne Nachgiebigkeit gegen nicht mehr brauchbare historische Bildungen. Sie bedeuten eine Bereicherung unserer Vorstellung und erfreuen durch große Reize fein gezeichneter Einzelheiten, wie sie kaum ein Zweiter in Württemberg mit solchem Wohllaut zu erfüllen vermag. 1 Fiechter hebt Elsaesser und einige andere ab von den vielen, denen das Bedürfnis nach Schönheit und wahrer Kunst fehle und die sich lediglich aus den Musterbüchern der alten Schmuckformenn bedienten. 2 Dies bezieht sich u.a. auf die Tradition neugotischer Kirchenbauten, die verfestigt wurde durch das sog. Eisenacher Regulativ von Damals kamen in Eisenach maßgebliche Kirchenleute und Kunstgelehrte zusammen und forderten, die protestantischen Kirchen sollten dreischiffig sein, mit Turm und Chor, und sie sollten gotisch sein, weil das der christliche Baustil sei, wobei sie diesen Baustil auch noch deshalb schätzten, weil er germanisch sei. Später wurde auch noch Romanik zugelassen. Die Tradition protestantischer Kirchenbaukunst in Renaissance und Barock, in der Saalkirchen mit ihrer Betonung der Kanzel die Gestalt der Gemeinde als Gemeinde unter dem Wort sichtbar machten, war vergessen. Die historisierende Architektur der Kirchenbauten und auch der Profanbauten wurde um 1900 zunehmend als unbefriedigend empfunden, als seelenlos, pompös und unschön. Diese Empfindung war Teil eines Unbehagens an der wilhelminischen Kultur. Die Gründerzeit war eine Periode des Aufbruchs, aber auch zunehmender Verunsicherung. Auf der einen Seite blühten Wissenschaft und Technik, auf der anderen Seite wurde das Leben immer hektischer, die Städte unwirtlicher, Naturferne, Landflucht, Landschaftsverbrauch wuchsen, soziale Spannungen nahmen zu. Es gab überkommene glaubhafte Frömmigkeit - eher auf dem Land als in der Stadt, aber vielen Umschlag der Zeitschrift Moderne Bauformen vom April

26 Die Eberhardskirche entsteht ( ) bedeutete die Kirche nichts mehr. Herrschend war ein Kulturprotestantismus, der eine deutliche Beziehung zu deutscher Größe, zu Imperialismus und Größenwahn hatte. Die technische Beherrschung der Welt gelang immer besser, aber vielen Menschen ging es nicht gut. Schwere Arbeit und lange Arbeitszeiten ließen wenig Raum für Muße, geschweige denn für Kultur. Und was an Kultur, insbesondere in der bildenden Kunst und in der Architektur geschaffen wurde, war oft pompös, auf Schau aus, angeberisch. Nachdenkliche Leute, die damit nicht einverstanden waren, litten zunehmend an Kulturpessimismus. Einige kritische Geister machten sich auf den Weg und suchten das, was Fiechter mehrmals nennt: Schönheit und Wahrhaftigkeit gegen die herrschende verlogene Kunst und Kultur der Äußerlichkeiten. Diese Suche hatte viele Gesichter: Realismus statt Mythologie und Historienmalerei, aber auch Impressionismus und Jugendstil mit ihrer neuen Sicht der Natur. Deutlichen Ausdruck fand die Suche nach Neuem in der Tatsache, dass sich an vielen Orten fortschrittliche Künstler in neuen Gruppierungen, die sie Sezession, Abtrennung, nannten, von alten Verkrustungen befreiten. In der evangelischen. Kirche, die ein ganz wesentlicher Kulturfaktor war, wurde zunehmend eine Diskussion über das Wesen der Gemeinde geführt und über die Anforderungen der sichtbaren Gemeinde, d.h. auch über die Anordnung von Altar, Kanzel und Sängertribüne: Was braucht der Gottesdienst in Wahrheit, was ist Gottesdienst in Wahrheit, nur Predigthören oder auch lebendige Liturgie, bloßes Anhören von Reden über christliche Werte oder gemeinsamer Dienst? Was den Kirchenbau anlangt, so erscheint in der Diskussion eine neue Maxime: es wird gefragt nach der Wahrhaftigkeit von Bauwerken im Hinblick auf ihren Zweck. Zweck und Gestaltung sollten zusammenfinden, das Äußere sollte dem Zweck angemessen sein und ihn widerspiegeln. Der Grundriss sollte ausschließlich funktional sein. Ein einfaches Beispiel aus einer anderen Sparte: Eine Bibliothek sollte als Bibliothek dienen und nicht wie ein Schloss aussehen, womöglich mit einem pompösen Treppenhaus. So was galt nach 1900 zunehmend als unwahrhaftig. Deshalb baute Bonatz seine Universitätsbibliothek in Tübin- Entwurfsskizze 1908 (Nordseite-Längenschnitt) handschriftlich: ENTWURF SKIZZE ZU EINEM BETSAAL IN TÜEBINGEN, IM NO- VEMBER M. ELSÄSSER. ARCHITEKT. 26

27 Die Eberhardskirche entsteht ( ) gen so, dass die Funktion Bibliothek auch von außen sichtbar war. Das Funktionale ist nun aber im Kirchenbau nur ein Teil der Zweckmäßigkeit, der Wahrhaftigkeit, dazu kommt noch folgendes Wichtige: Die Kirche als der Versammlungsort der Gemeinde im Gottesdienst stellt Anforderungen auch an die Feierlichkeit des Raumes. Der Raum soll weihevoll sein; nach Fiechter soll der Raum als solcher erlebbar sein. Andere drückten das so aus, dass der Raum eine gewisse Würde ausstrahlen möge. In den neugotischen Backsteingebäuden fand man diese Würde nicht mehr, genauso wenig wie in solchen Gebilden wie dem Berliner Dom, einem Musterbeispiel von äußerlichem Pomp. Ich fasse zusammen: Folgende Begriffe gewannen also zunehmend an Bedeutung: Schönheit, Wahrhaftigkeit, Funktionalität, Feierlichkeit. Oder mit anderen Worten: Die Gemeinde soll sich in der Kirche mit ihren Bedürfnissen wohl fühlen. Das Problem war das: Es gab zur Umsetzung keine fertigen Lösungen, es gab keinen bereit liegenden Stil. Es fing damals ein großes Experimentieren an, nicht nur in der Kirchenbaukunst, sondern überall in der Architektur. Das macht die Zeit zwischen 1900 und 1918 auch auf diesem Gebiet sehr spannend, das hat aber andererseits auch dazu geführt, dass lange Zeit architekturgeschichtlich diese Jahre als Leerstelle empfunden wurden, als begrifflich nicht recht fassbarer Übergang zwischen Historismus und neuer Sachlichkeit, Stichwort Bauhaus. In Wirklichkeit gab es natürlich keine Leerstelle, sondern wie gesagt großes Experimentieren und große Aktivität, denn es wurde viel gebaut. Ein großer Bedarf war zu befriedigen. Was wirkte nun auf die jungen Architektenköpfe ein, wenn sie vor ihrer Aufgabe saßen und kein fertiger Stil weit und breit vorhanden war, lediglich ein neues Bedürfnis nach Schönheit? Das ist eine spannende Geschichte. Das Schöne ist ja nicht so einfach zur Hand. Die Geschmäcker sind verschieden, aber es gibt so etwas wie ein natürliches Gefühl für Schönheit und gefühlte Rangordnungen. Andererseits gilt auch: Wenn sich etwas Neues herausbildet, wird das Alte gerne abgewertet, aber etwas architektonisch Gelungenes knüpft in aller Regel an schon früher Erreichtes an und das waren genau die Probleme der damaligen Architekten, der Historismus war unwahr geworden, aber was nun? Elsaesser war Schüler von Theodor Fischer und Fischer war ein überzeugter Anhänger des damals aufkommenden Heimatschutzgedankens. Er meinte, dass früher, vor der modernen Zeit, besser gebaut worden sei, nämlich im Einklang mit der Natur, den topografischen Gegebenheiten und mit dem vorhandenen überkommenen Material. Architektur müsse sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten, Raum für Nähe, aber auch Abgrenzung bieten. Schachbrettstädte und Mietsilos empfand er als Irrweg. Entwurfskizze 1908 Ostseite 27

28 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Ein zentrales Element von Fischers Architekturkonzeption ist der rhythmisch gegliederte Baukörper. Fischer arbeitet mit asymmetrisch angeordneten Segmenten, die in den Bauhöhen gestaffelt sein können. An- und Aufbauten lockern auf. Ein wesentliches Gestaltungselement ist der Kontrast von Helligkeit und Schattenwurf. Seine Bauten können nicht von einer Hauptblickrichtung voll erfasst werden. Sie erschließen sich nur, wenn sie vollständig umschritten werden. Die Bewegung um den Bau lässt den Betrachter den Bau selbst als Bewegung wahrnehmen. Fischer teilte dieses Prinzip mit vielen Baumeistern seiner Zeit. Manche haben das so auf den Begriff gebracht, dass bei der Abwendung vom Historismus der Block vom Rhythmus abgelöst wurde. Fischer hatte auch eine Theorie über das Wesen der Schönheit in der Baukunst entwickelt, seine Lehre von den Proportionen, von der Schönheit ganzzahliger Verhältnisse. 3 Er fand diese Proportionen in den großen anerkannten alten Bauten der Romanik und der Gotik und ebenso auch als Grundlage der klassischen römischen Baukunst und der Kunst der Renaissance. Er zog daraus den Schluss, es könne durchaus und solle durchaus modern gebaut werden, wenn nur die Gesetze der Proportionalität eingehalten seien. Auf diese Weise gewann er eine neue Freiheit der Architektur, die dann Entwurf Postkarte 28

29 Die Eberhardskirche entsteht ( ) auch nicht mehr in Gebundenheit an einen Stil alte Schmuckformen anwandte, nur weil sie alt und ehrwürdig waren. Fischer und seine Schüler - mischten und erweiterten diese alten Schmuckformen zu neuen aber harmonischen Gebilden. Dabei wussten sie auch historische Stilzitate zu setzen, nicht im Sinne von stilbildend, sondern im Dienste ihrer eigenständigen Formen und nur wenn die Gestalt des Ganzen damit harmonierte. Elsaesser hat Zeit seines Lebens Fischer als seinen großen Lehrmeister betrachtet. Von ihm hat er das bewegte Spiel der Baukörper gelernt. Dazu hat er dessen Lehre von den Proportionen verinnerlicht in der phantasievollen und verspielten Gestaltung von Flächen, bei denen auch eine Art von künstlerisch angenehmer schöner Bewegung beim Sehen entsteht: Wiederholungen, Reihungen und Entsprechungen werden als angenehm empfunden, ebenso wie klare geometrische Formen. Das ästhetische Wohlbehagen wird zusätzlich angeregt, wenn ein Kontrast erscheint, der mit dem Vorangegangenen in Beziehung steht, rein aus der Anschauung, ohne dazwischen geschaltete Gedankenarbeit. Fischer drückt das so aus: Aber nicht die Aufstellung des Kontrastes an sich ist Kunst, sondern die Bewältigung alles Kontrastierenden zur Einheit die Auflösung der Dissonanz erst gibt die Befriedi- Postkarte vom Industrieviertel um

30 Die Eberhardskirche entsteht ( ) gung. 4 Es ist ganz ähnlich wie beim Hören von Musik, die auch von der Wiederholung lebt, von der Schönheit des einzelnen Tones und vom Kontrast und schließlich davon, dass beim Hören ein Sinn erscheint im Spiel der Kontraste. Elsaesser hat eigenständig und mit unerschöpflicher Phantasie zwischen 1906 und 1926 zahlreiche Kirchen im Schwäbischen gebaut. Daneben hat er mehrere Kirchen unter Beibehaltung alter Teile umgebaut. In der näheren Umgebung von Tübingen entstanden die Dorfkirchen in Reutlingen- Mittelstadt ( ) und Reutlingen-Reicheneck ( ). Umgebaut wurde die Dorfkirche von Lichtenstein-Holzelfingen (1908/09). Bei allen drei handelt es sich um wohlerhaltene kleine Edelsteine. Zu nennen sind weiterhin die große Kirche in Stuttgart-Gaisburg (1912/13) und die Südkirche in Esslingen (1925/26), beides Kunstwerke von hohem Rang und außerordentlicher feierlicher Wirkung. Nicht zu vergessen sind die Markthalle in Stuttgart (1914) und die Oberrealschule in Tübingen, das heutige Keplergymnasium (1909/10). Später wandte sich Elsaesser als Stadtbaudirektor in Frankfurt der Neuen Sachlichkeit zu, wobei ihn insbesondere die technischen Möglichkeiten des Spannbetonbaus reizten. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Großmarkthalle in Frankfurt. Aber auch Tübingen hat im Haus Laub (Haußerstraße 42) ein gutes Beispiel für den neuen Stil aus der Hand Elsaessers beschloss der Tübinger Kirchengemeinderat, für die Einwohner der sich in den letzten Jahrzehnten stetig wachsenden südlichen Vorstadt eine Kirche zu bauen. Beauftragt wurde Martin Elsaesser, der schon vorher als Gutachter für einen neuen Kirchenbau tätig gewesen war. Es ist anzunehmen, dass Elsaesser als Architekt ausgewählt wurde, weil er sich trotz seiner Jugend schon durch andere Bauten einen Namen gemacht hatte. Das Baugesuch ist für die Bauherrin unterschrieben von Dekan Elsäßer 5, dem Vater des Architekten. Diese Nähe zwischen Vertreter der Bauherrin und Architekt war nur dann akzeptabel, wenn der Sohn für die Gemeinde als Gewinn angesehen werden konnte. In dem Gesuch wird der Bau als Betsaal bezeichnet. Das war damals ein gängiger Begriff für einfachere Kirchenbauten, der ursprünglich für Saalkirchen pietistischer Vereinigungen verwendet wurde. Später wurde der Begriff Betsaal auch angewandt für schlichtere Kirchen, die in neu entstandenen ganz oder teilweise unselbstständigen Vorstadtgemeinden gebaut wurden. Festzuhalten ist, dass es sich um Bauten mit den vollen Funktionen einer Kirche handelt, die allerdings schlichter gebaut wurden. Wie häufig, ist es auch in diesem Fall nicht eindeutig, inwieweit vor allem finanzielle Gründe den Weg zur baulichen Schlichtheit wiesen. Eine Rolle dürfte auch das Ge- Wenn Vater und Sohn miteinander bauen Unterschrift: Bauherrschaft Dekan Elsäßer Der Architect: Martin Elsaesser (Baugesuch Juli 1909) 30

31 Die Eberhardskirche entsteht ( ) fühl gespielt haben, dass sich der Kirchenbau der bescheideneren Umgebung anpassen sollte. Die Die»eecclesia triumphans«6 passt einfach nicht in eine Arbeitersiedlung. Da es sich bei geplanten neuen Kirche in der Südstadt um eine vollwertige Kirche handelte, ist es nicht verwunderlich, dass auf dem Deckblatt des Baugesuchs das Wort Betsaal dann doch mit Kirche überschrieben wurde, so wie auch der grundlegende Kirchengemeinderatsbeschluss vom die Erbauung eines Betsaals (einer Kirche) ins Auge fasst. Zu dem tradierten Begriff des Betsaals gehört die Einschiffigkeit und eine quaderförmige Raumgestalt. Von den pietistischen Betsälen abgesehen, die die Besonderheit haben, dass sie den Platz für Liturgie und Predigt in der Mitte einer Längsseite haben, also quer und nicht längs ausgerichtet sind und ohne Apsis oder Chor auskommen, gibt es als weitere Vorläufer einige Betsäle von Karl Friedrich Schinkel in Berlin, die alle Wenn in der Planung aus einem Betsaal eine Kirche wird. Einbanddeckel Baugesuch Juli 1909 Farbdruck in Moderne Bauformen 1918 mit der Bildunterschrift: Professor Martin Elsaeßer, Stuttgart - Der Altarraum der evangelischen Eberhardskirche zu Tübingen Altarmalerei von Käte Schaller-Härlin, Stuttgart Nach einem Aquarell von Kunstmaler Nicolaus, Stuttgart im Jahre 1835 eingeweiht wurden. Sie entstanden in den neuen Vorstädten Wedding und Moabit als streng symmetrisch angelegte längsrechteckige Saalkirchen mit einer halbrunden Apsis. Auf drei Seiten befanden sich Emporen. Auf jeder Längsseite öffnete sich eine Reihe von Rundbogenfenstern. Die wenigen klassizistischen Schmuckformen und der blockartige Charakter der Bauten lassen an römische Forenarchitektur denken, wie sie zum Beispiel in der Palastaula in Trier noch heute aufscheint. Elsaessers Betsaal ist nicht unwesentlich anders: Die Symmetrie in der Längsrichtung, betont durch die der Apsis genau gegenüberliegenden Eingänge mit Laufgängen jeweils auf Taufstein und Kanzel zu, dazwischen ein Block Bänke ohne Mittelgang, wird gebrochen durch das eine Seitenschiff im Süden. 31

32 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Außen tritt die Eingangshalle hervor und einseitig neben der Apsis der Sakristeianbau, dem ein kleiner Anbau an der Eingangsseite entspricht. Einseitig sind auch die beiden Eingänge im Norden. Diese rhythmisch bewegte Form, die sich erst im Umschreiten und Durchschreiten des Raums innen und außen voll erschließt, ist das Neue, das Elsaesser bei Fischer gelernt und das er in Tübingen noch zurückhaltend verwirklicht hat; sozusagen mit vollem Akkord finden wir es in Mittelstadt, in Gaisburg und in der Esslinger Südkirche. Die Tübinger Kirche wirkt auch nicht blockartig, trotz der kubischen Grundstruktur. Es handelt sich um einen Ziegelbau. Damit fügt sich die Kirche nicht nur in Gestalt und Größe in die umgebende Bebauung ein, sondern es ist noch ein weiterer Bezug hergestellt zu den Menschen, denen die Kirche dienen soll: Die Ziegelbauweise korrespondiert direkt mit den neuen städtischen Wohnhäusern, die zunehmend aus Klinkersteinen gebaut werden und mit den neuen Backsteinfabriken, in denen die Menschen arbeiten. Die Ziegel an der Eberhardskirche sind nun allerdings keine fabrikmäßig hergestellten Ziegel, sondern sie sind handgestrichen. Sie bilden im Verbund eine warme, lebendige, dem Auge wohlgefällige Fläche. Es entstand eben keine Turnhalle, wie immer wieder einmal moniert wurde, sondern eine Kirche mit einem auch ästhetischen Anspruch. Ziegelwände sind eher nicht geeignet für tiefe Vor- und Rücksprünge, aber sie können in der Art von Flachreliefs mannigfaltig durch Verblendungen und Zurück- Nordseite, Baugesuch

33 Die Eberhardskirche entsteht ( ) nahme einer Lage von Steinen gegliedert werden. Diese Möglichkeiten hat Elsaesser hier genutzt. Spielerisch nennt Elisabeth Spitzbart-Maier 7 seinen Umgang mit den Schmuckformen auf Ziegelgrundlage. Und in der Tat entsteht etwa auf der Nordseite ein Spiel von Kontrasten und harmonischen Lösungen. Durchgehende Rahmen in harmonischer Reihung werden unterbrochen durch eingelassene Rechteckfenster mit schräg gestellten Ziegeln im Sturz und darüber liegende Ovalfenster mit einem einrahmenden Ziegelband. Jeweils am Rand wurde die Wand gehalten und begrenzt durch zwei reich abgetreppte Eingänge, von denen nur noch einer erhalten ist. Die Rechteckfenster waren gegliedert mit einem kleinteiligen Metallgitter, wobei die einzelnen Sprossen in ihrer Größe harmonierten sowohl mit den Ziegeln, mit dem einzelnen Fenster im Ganzen als auch mit den umfassenden Rahmen. Die gefühlte Harmonie der Glockenstuhl auf dem Dachboden (2011) Westseite, Baugesuch

34 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Wand ist messbar: Die Breite der Fensteröffnungen verhält sich zur Breite der fensterlosen Bahnen wie 1 zu 2, und letztere stehen zur Breite der Fensterbahnen mit Rahmen im Verhältnis 5 zu 4. Unterhalb des Daches ist die Wand abgeschlossen mit einem Gesims mit einem klassizistischen Klötzchenfries, fast die einzige Reminiszenz an einen historischen Stil an dem Bau. Durch das Formenspiel auf der Nordseite war das Auge aufgehalten und beschäftigt, so dass sich das Gegenteil von einer blockartigen Anmutung ergab. Die Wand ist verändert durch den Einbau der Betonglasfenster. Verändert ist auch der Eingangsbereich. Verschwunden ist der starke Kontrast zwischen dem rundlichen Dachreiter, der anmutigen Dachform und dem ebenfalls sanft geschwungenen Giebel der Vorhalle einerseits und den drei kantigen reich abgestuften Portalen mit reliefierten Holztüren andererseits. Jetzt sind dort große praktische Glastüren zu sehen, die mit den Dächern nicht kommunizieren. Den Dachreiter gibt es auch nicht mehr. Er wurde im Jahr 1961 abgerissen im Zusammenhang mit der Errichtung des Turmes. Die größte bauliche Veränderung wurde bei der Neugestaltung der Eberhardskirche 1966/67 durch Architekt Ulrich Reinhardt, Tübingen, an der Ostseite vorgenommen. Die dort vorhandene runde Apsis mit drei rechteckigen Fenstern wurde höher gebaut und mit einem Fensterband versehen, die drei ursprünglichen Fenster wurden zugemauert. Der Innenraum öffnete sich ursprünglich mit einem leicht gedrückten Bogen zur Apsis hin; jetzt bildet ein Trapez ein regelrechtes Portal zu einem veritablen Chor. Zu sehen sind noch die Umrandungen der ursprünglichen Fenster mit einigen klassischen Zitaten. Allein die Wand zum Chor hin ist in unverputzter Ziegelbauweise gehalten, im Übrigen ist die Kirche jetzt weiß gestrichen. Ursprünglich war bis zur Höhe der Seitenschifföffnungen rundherum der Ziegelbau unverputzt, ebenso der Bogen und die Apsis. Auf den Seiten des Bogens befand sich eine Schablonenmalerei mit floralen Jugendstilmotiven in hochrechteckigen Feldern, in grünen Tönen gehalten. In der Mitte über dem Bogen befand sich das Kreuzigungsfresko von Käte Schaller-Härlin ( ) aus der Entstehungszeit der Kirche, das bei dem Umbau abgenommen worden war und nun einen dominierenden Platz im Chor gefunden hat. Bereits im Jahre 1951 war die Jugendstilmalerei übertüncht und durch Fresken des jungen Heiner Bauschert ersetzt worden. Sie stellten Engel und menschliche Gestalten in Zuordnung zu dem Kreuzigungsbild dar. Im Zusammenhang mit der Tieferlegung des Kreuzigungsbildes wurden sie wieder übermalt. Der heutige Raumeindruck ist ganz entscheidend durch die Betonglasfenster aus der Werkstatt Dreher, Weilheim/Teck, mitgeprägt. Die Fenster im Schiff sind abstrakt mit einem grauen Grundton, außer dem zum Teil bunteren größeren Fenster beim Taufstein, das anstelle der dort vorher vorhandenen Tür eingefügt worden ist. Das Fensterband im Chor ist ebenfalls von abstrakter, jedoch deutlich farbigerer Zeichnung. Ist der Umbau 1966/67 gelungen? Hierzu ein paar Heiner Bauschert - Wandbemalung

35 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Bemerkungen, getragen von großem Respekt für Architekt Reinhardt, der sein Handwerk verstanden hat und der mit der Martinskirche in Tübingen einen überzeugenden Kirchenbau erstellt hat. Damit soll auch etwas dazu gesagt werden, ob und inwieweit die Eberhardskirche damals und heute den Anspruch an Feierlichkeit eingelöst hat, von dem am Anfang die Rede war. Reinhardt schreibt in dem Festheft zur Einweihung am 23.Mai 1968 sinngemäß, dass schon bei der Eberhardskirche, die er irrtümlich für Elsaessers erstes Werk hält, sein kühner Gestaltungswille den Formen seiner Zeit voraus gewesen sei. Insbesondere habe Elsaesser den Jugendstil weitgehend hinter sich gelassen, jedoch in der Dekoration nicht vollständig, so dass die Heutigen froh seien, dass die Kirche so sparsam gebaut worden sei. Wir sehen: Der Jugendstil galt nichts zur damaligen Zeit. Man konnte mit seinem Willen zur schön gestalteten Form nichts anfan- Innenansicht

36 Die Eberhardskirche entsteht ( ) gen, er wurde als unernst und verspielt abgetan. Und so hatte man wohl auch keinen Blick für die vor allem außen kunstvoll gefügten Einzelheiten des Elsaesserschen Baus, die zwar nicht im blühenden Jugendstil gehalten sind, aber verwandt sind in ihrer Freude am formvollendet schön gestalteten Dekor, am Spiel der Formen. Bei der Neugestaltung der Fenster nahm man daher keine Rücksicht auf den ästhetischen Zusammenhang der Wände. Hat sich das für das Innere gelohnt? Reinhardt schreibt, es habe einen besonderen Wunsch der Gemeinde nach anderen, würdigeren Fenstern gegeben. Die Sprossenfenster wurden also offenbar innen als zu unfeierlich empfunden. Nun war der Innenraum in der Tat, so wie hier beschrieben, ziemlich unspektakulär, er war dem Auge angenehm, aber nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Man könnte sagen, er war angenehm anzusehen, aber es fehlte jede Spur von Erhabenheit. Elsaesser hätte wohl eingewandt, dieser Raum ist feierlich, denn es ist alles da für die Gottesdienstfeier und die Gemeinde kann sich in dieser Kirche wohl fühlen. Damit hat aber offenbar der Gemeinde nach dem Krieg etwas gefehlt und vielleicht auch schon früher. Es sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, dass der oben genannte Fiechter bei seiner Würdigung Elsaessers und seiner Kirchenbaukunst auch meinte anmerken zu müssen, noch sei eine eindeutige Durchdringung und Beherrschung des Ganzen nicht erreicht. Es ist eine Zeit heißen Bemühens und Strebens auf neuen Wegen. 8 Damit soll kein Stein auf Elsaesser als Erbauer der Eberhardskirche geworfen werden, es soll nur ein wenig dem Gefühl abgeholfen werden, das sich leicht aufdrängt: Wie konntet Ihr nur die Eberhardskirche so verändern! Was die frühere Apsis anlangt, so ist es wohl nicht anmaßend, sie ein wenig konventionell zu nennen, trotz der modernen Bauformen, und konventionell hat es weit bis zum Eindruck des Feierlichen. Ein solcherart gedrückter Chorraum ist, wie bei einem Besuch leicht festgestellt werden kann, bei den Elsaesserschen Dorfkirchen sehr überzeugend, er strahlt Wärme und Geborgenheit aus; niemand käme auf die Idee, Feierlichkeit zu vermissen. Diese ist wiederum in reichem Maße gegeben in der Gaisburger Kirche, in der auf eine ganz neue, eigenwillige Weise eine Seite des in das Raumviereck eingeschriebenen Ovals den Chor bildet und auch in Esslingen, in der ein abgesetztes Chorgebilde, die Feierkirche, den Besucher überrascht. Nun also, die Apsis in Tübingen erschien nicht sakral genug und Ulrich Reinhardt hat den Chor hochgezogen, mehr Licht hereingelassen und durch die Schrägen des Trapezes eine Bewegung nach oben gestaltet. Zusammen mit dem Bild von Käte Schaller-Härlin ist so in der Tat ein feierlicher Raum entstanden, der gegenüber dem Schiff seine eigene Würde hat. Zurück zu den Fenstern: Man muss wohl ohne Umschweife sagen, dass sie misslungen sind. Sie steigern nicht die Feierlichkeit, denn sie sprechen nicht und sie schließen den Raum völlig nach außen ab. Das Kirchenschiff wirkt wie eine geschlossene Veranstaltung. Die Welt hat draußen zu bleiben. Vielleicht ist das Jubiläumsjahr ein Anlass, die Fenster theologisch und ästhetisch zur Diskussion zu stellen. Anmerkungen: 1 Württemberg unter der Regierung Wilhelm II, Stuttgart 1916, Kapitel Architektur, S a.a.o. S.639f 3 Theodor Fischer: Vorträge über Proportionen, Reprint München Theodor Fischer: Sechs Vorträge über Stadtbaukunst. München 1920, S.40 des Reprints München Schreibweise im Baugesuch 6 Ausdruck für die triumphierende Kirche 7 Elisabeth Spitzbart-Maier: Die Kirchenbauten Martin Elsaessers und ihre Voraussetzungen in der protestantischen Kirchenbautheorie und Liturgiediskussion. Stuttgart 1989, S a.a.o. S

37 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Irmhild Buttler-Klose Martin Elsaesser Architekt der Eberhardskirche Leben und Werk Martin Elsaesser wurde am 28. Mai 1884 in Tübingen als neuntes von zehn Kindern des Theologen Karl August Elsäßer 1 und seiner Frau Marie Sofie (geborene Werner) geboren. 2 Der Vater wurde 1890 Dekan in Tübingen - er blieb es bis und die Familie lebte in der Neckarhalde 27. Dort wohnen auch heute noch die Tübinger Stiftskirchenpfarrer und Dekane. Nach der Volksschule besuchte Martin Elsaesser die Lateinschule, das heutige Uhland-Gymnasium, wo er im Frühjahr 1902 mit dem Abitur abschloss. Seine Begabung fürs Zeichnen und Gestalten führte ihn zum Studium der Architektur an die Königlich Technische Hochschule Stuttgart. Der dort lehrende Theodor Fischer 3 prägte ihn besonders. Mit ihm blieb Elsaesser ein Leben lang dankbar verbunden. 4 Im Jahre 1904/05 wechselte Elsaesser für zwei Semester an die Technische Hochschule in München, um Friedrich von Thiersch 5 zu erleben, einen prominenten Vertreter des Historismus, bei dem schon Theodor Fischer studiert hatte. Kirchenbaumeister in Südwestdeutschland Ein Jahr vor seinem Examen an der Technischen Hochschule Stuttgart gewann Martin Elsaesser im Jahre 1905 als 21-Jähriger den Architekturwettbewerb zum Bau der evangelischen Kirche im Baden-Badener Vorort Lichtenthal. Sein Entwurf überzeugte gegenüber 162 Konkurrenten. Diese Lutherkirche wurde nach einer zweijährigen Bauzeit unter Elsaessers Leitung im Jahre 1907 fertiggestellt. Damit gelang dem begabten Architekten der nahtlose Übergang vom Studium in die Praxis. Martin Elsaesser eröffnete als freischaffender Architekt ein eigenes Büro 6 in Stuttgart und blieb dabei an der Hochschule tätig, zunächst als Assistent von Theodor Fischer und - nach Fischers Weggang - bei dessen Schüler Paul Bonatz. 7 Durch die beratende Mitarbeit im Verein für christliche Kunst 8 und den Gewinn des Wettbewerbs in Baden-Baden gelangte Martin Elsaesser schon früh zu einem hohen Bekanntheitsgrad. In den Anfangsjahren als junger Architekt bekam er Aufträge zum Umbau oder Neubau von mehr als zwei Dutzend Kirchen in Württemberg. Damit avancierte er zu einem bedeutenden Kirchenbaumeister in Südwestdeutschland in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. In Fachzeitschriften und auf Kongressen beteiligte sich Martin Elsaesser an der Diskussion um die Reformierung des Kirchenbaus innerhalb der Evangelischen Kirche. Kommunale und private Auftraggeber Während dieser produktiven Phase realisierte Martin Elsaesser eine große Anzahl privater und kommunaler Gebäude. Die bis heute genutzte, populäre Stuttgarter Markthalle von 1914 war eines der bekanntesten Bauwerke Elsaessers vor dem Ersten Weltkrieg. Er konstruierte das Gebäude, das sich äußerlich mit seiner gotisierenden Fassade harmonisch in die Umgebung einfügt, im Innern sehr hell und weiträumig. Unter Zuhilfenahme modernster Ingenieurserfindungen für die Deckenkonstruktion kam er ohne Mittelstützen aus. Martin Elsaesser ließ sich nicht auf ein Aufgaben - gebiet festlegen. Seine Bauten in Tübingen zeigen exemplarisch die Vielseitigkeit seines Schaffens. Beispiele dafür sind: das heutige Keplergymnasium (1909/10), die Eisenbahnbrücke über den Neckar und der sich daran anschließende Tunnel im Rahmen des Neubaus der Ammertalbahn (1910), die Eber- 37

38 Die Eberhardskirche entsteht ( ) hardskirche und das Pfarrhaus für die Südstadt ( ). Professor in Stuttgart Martin Elsaesser - Gemälde von Käte Schaller-Härlin um 1915 In den Jahren 1912 bis 1920 lehrte Elsaesser als außerordentlicher Professor für Entwerfen und Baugeschichte des Mittelalters an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Seine Lehrtätigkeit wurde unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg. Zu Kriegsbeginn meldete er sich als Freiwilliger zur Schneeschuh kompanie des Württembergischen Gebirgsbataillons. Er erhielt seine militärische Ausbildung in Isny und wurde 1915 zum Einsatz in die Vogesen beordert. Ein Lazarettaufenthalt und die zeitweise Freistellung vom Kriegseinsatz nutzte er zur Ausübung seines Berufes. So konnte mitten im Krieg, im Jahre 1916, die Stadtkirche in Oberndorf a. N. geplant und fertiggestellt werden. Noch vor Ausbruch des Weltkriegs heiratete Martin Elsaesser im August 1910 die Stuttgarterin Liesel Wilhelm. Fünf Kinder wurden in den Jahren 1912 bis 1920 geboren. Die Familie wohnte in dem 1910/11 von Elsaesser errichteten repräsentativen Doppelhaus in der Bopserwaldstraße 47 in Stuttgart. Hier pflegten die Elsaessers einen fröhlichen und weltoffenen Lebensstil. Ihr Haus wurde zum Treffpunkt vieler Persönlichkeiten aus dem kulturellen Leben Stuttgarts. Regelmäßige Gäste waren dort u. a. der Journalist und spätere Bundespräsident Theodor Heuss und seine Ehefrau Elly, der Kunst händler Hans-Otto Schaller und seine Frau, die Portraitmalerin Käte Schaller-Härlin, sowie deren Schwester, die Keramikerin Dorkas Härlin, die mit ihrem zukünftigen Ehemann, dem elsäßischen Schriftsteller Eduard Reinacher, häufig eingeladen war. Auch der Maler Wilhelm Nägele, der Verleger Martin Mörike und seine Frau und die Gobelinweberin Sofie Mörike gehörten zum Freundeskreis des jungen Paares. 9 Direktor der Kunst gewerbe schule in Köln Im Jahre 1920 wurde Martin Elsaesser zum leitenden Direktor der Kunst gewerbe schule in Köln berufen. Während der Amtszeit des jungen Oberbürgermeis- 38

39 Die Eberhardskirche entsteht ( ) ters Konrad Adenauer lockte Elsaesser die Stelle mit der Aussicht auf konzeptionelle Umstrukturierung und bauliche Erweiterung dieser Schule. Sie wurde Mitte der 20er Jahre entsprechend dem Bauhaus in Kölner Werkschulen umbenannt. Es galt, die Impulse der Kölner Werkbundausstellung von 1914 umzusetzen. Martin Elsaesser war dem Deutschen Werkbund 10 etwa im Jahre 1910 beigetreten. 11 Zeitlebens schätzte er die gediegene handwerkliche Herstellung und setzte sich für eine qualitätsbewusste, ästhetisch und handwerklich hochwertige Bau- und Produktionsweise ein, was er durch eine enge Verzahnung mit der Praxis an der Kölner Ausbildungsstätte zu verwirklichen suchte. Ein die Familie schwer traumatisierender Zwischenfall, der tragische Unfall im August 1922, bei dem der neunjährige Sohn Rainer im Rhein ertrank, überschattete die ansonsten glücklichen und erfolgreichen Kölner Jahre. Martin Elsaessers Vorliebe für das Baumaterial Backstein trat in dieser Schaffensperiode noch klarer zum Vorschein. Dies zeigt sich am Neubau der Kunstgewerbeschule, bei dem Elsaesser auf dezente Weise expressionistische Gestaltungselemente in die Fassaden oberfläche einfügte. seine Dauerstelle aufgab, um fortan künstlerischer Leiter des Frankfurter Hochbauamtes zu werden. Sogleich begann Martin Elsaesser auf dem von der Stadt zur Verfügung gestellten Grundstück ein eigenes Wohnhaus zu bauen, um für die sechsköpfige Familie bald einen Lebensmittelpunkt am neuen Wohnort zu schaffen. Die komfortable geschmackvolle Backsteinvilla plante er in Absprache mit seiner Frau sehr praktisch, gediegen und naturnah mit vielen Zugängen zum großen Garten. Martin Elsaessers Kollege im Bauamt war der gebürtige Frankfurter Architekt Ernst May, der ebenfalls bei Martin Elsaesser 1926 Stadtbaudirektor in Frankfurt/Main Im Jahre 1925 wechselte Martin Elsaesser als Stadtbaudirektor nach Frankfurt/Main. Der 1924 neu gewählte Oberbürgermeister der Stadt, Ludwig Landmann 12, versuchte dort seine ehrgeizigen Vorstellungen vom Ausbau Frankfurts und des umliegenden Rhein-Main-Gebiets zu einer führenden Metropole im Herzen Deutschlands zu verwirklichen. Dafür wurde das Städtische Bauamt mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet und personell großzügig erweitert. Es gelang, Martin Elsaesser mit günstigen Vertragsbedingungen aus Köln abzuwerben, wo dieser 39

40 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Friedrich von Thiersch und Theodor Fischer studiert und zuvor als Stadt- und Landschaftsplaner im schlesischen Breslau gewirkt hatte. Es galt, der großen Wohnungsnot in Frankfurt zu begegnen und innerhalb kurzer Zeit bezahlbaren und funktionalen Wohnraum für Tausende von Stadtbewohnern zu schaffen. Während Ernst May viele Siedlungen für Vororte und Trabantenstädte in moderner Flachdachbauweise schuf, war Elsaesser verantwortlich für die Erstellung kommunaler Großbauten für diese neuen Stadtteile. Einige Schulen, Klinikbauten und zwei Hallenbäder aus dieser Zeit sind noch heute in Betrieb. Als sein größtes und von der Fachwelt viel beachtetes Gebäude entstand in den Jahren 1926/28 die gewaltige Frankfurter Großmarkthalle für die Versorgung der gewachsenen Bevölkerung von Stadt und Umland. Auf einem Grundstück am Mainufer, das auch eine Anlieferung zu Wasser ermöglicht, erstreckt sich die Halle parallel zum Fluss mit einer Länge von über 200 m, einer Breite von 50 m und einer Höhe von 23 m. Die eigentliche Halle wird an ihren beiden Breitseiten flankiert von je einem 46 m hohen turmartigen Kopfgebäude mit einer Backsteinfassade, das zum einen im Westen als Büro- und zum anderen im Osten fast fensterlos als Kühlhaus genutzt wurde. Auf der Suche nach einer stützenfreien Dachkonstruktion für die gigantische Halle wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Die in Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren entwickelte relativ dünne Zeiss-Dywidak-Schalen Konstruktion überwölbt die Halle in 15 Bögen, die in Fünfergruppen zusammengefasst jeweils auf einem schräg in den Raum ragenden Betonpfeiler aufliegen und dadurch den Raum gliedern. Zwei Drittel der Längswände werden von in Beton eingefassten Fenstern eingenommen. Sie sorgen für Helligkeit und natürliche Frischluftzufuhr. Die hervorragende Anbindung an das Schienennetz missbrauchten die Nationalsozialisten, indem sie die Kellerräume der Großmarkthalle zum Sammelort Frankfurter Juden für die Deportationen in den Osten (Ghetto Lodz) nutzten. Heute erinnert eine kleine Gedenktafel am Westturm daran. 13 Vor einigen Jahren erlangte die Großmarkthalle unerwartet wieder eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Presse, da sie von der Stadt samt Grundstück an die Europäische Zentralbank (EZB) verkauft und zum Standort für ihren zukünftigen Sitz ausgewählt wurde. Frankfurter Großmarktalle (Entwurf und Foto 20er Jahre) 40

41 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Ein mehrstufiger Architekturwettbewerb wurde weltweit ausgeschrieben. Nicht nur zahlreiche Nachkommen Elsaessers, sondern auch viele Frankfurter Bürger beteiligten sich an den lebhaften Diskussionen um die Zukunft des markanten Gebäudes, im Volksmund auch liebevoll Gemüsedom genannt. Die Zusammenarbeit von Martin Elsaesser und Ernst May im Frankfurter Bauamt gestaltete sich wider Erwarten nicht problemlos. Zu unterschiedlich war beider Berufsverständnis und Persönlichkeit. Von der Gruppe um May erhielt Elsaesser dennoch wichtige Impulse für seinen weiteren beruflichen Werdegang. Die neuen Bauten und Planungen in Frankfurt wurden in der vom Bauamt herausgegebenen Zeitschrift Das Neue Frankfurt veröffentlicht und festigten den legendären Ruf, den Frankfurt Ende der 20er Jahre als Zentrum des modernen städtischen Wohnungsbaus im Deutschland der Weimarer Zeit genoss. Zu Elsaessers Enttäuschung trug bei, dass seine Bauten in der Zeitschrift weitgehend unerwähnt blieben. Die Weltwirtschaftkrise beendete schlagartig alle diese Bautätigkeiten, da die kommunalen Kassen leer waren und die Aufträge ausblieben. Hinzu kam ein spürbarer Rechtsruck durch das Erstarken der NSDAP im Frankfurter Stadtparlament. Ernst May verließ mit einigen Mitarbeitern 1930 Deutschland, um in der Sowjetunion einen Generalplan zur Erweiterung Moskaus zu konzipieren und neue Industriestädte in Sibirien zu entwerfen. Im Frankfurter Stadtparlament wurde nun Martin Elsaesser allein zur Zielscheibe von ideologisch motivierter Kritik an Mängeln und Verfehlungen der früheren Wohnungsbauprojekte. 1930, eine großzügige und moderne Landhausvilla im Nobelvorort Blankenese zu erstellen. Bei der Umsetzung dieses Auftrags räumte ihm der Bauherr, mit dem sich Elsaesser bald anfreundete, weitgehende künstlerische Freiheiten ein. Martin Elsaesser konnte nun seinen Zehn-Jahresvertrag mit der Stadt Frankfurt 1932 vorzeitig auflösen und damit selbst einer möglichen Kündigung zuvorkommen. Martin Elsaesser um 1930 Baumeister für private Auftraggeber Elsaessers Suche nach neuen privaten Auftraggebern hatte in Hamburg Erfolg. Der wohlhabende Fabrikant und Mäzen Philipp F. Reemtsma beauftragte ihn 41

42 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Im Jahre 1930 wurde Elsaesser kurz noch einmal in Tübingen tätig: Er baute für seinen Schwager, Missionsdirektor Paul Laub, ein Wohnhaus in attraktiver Hanglage in der Haußerstraße 50. Die Ausführung als ein weißes viergeschossiges kubistisches Flachdachgebäude zeigte dem Wunsch des Bauherrn entsprechend eine deutliche Nähe zum Bauhausstil und passte sich ein in die Umgebung am Fuße der Haußerstraße, wo weitere Flachdachbauten existierten. 14 Im Jahre 1932 stellte Martin Elsaesser seine Werkmonographie unter dem Titel Bauten und Entwürfe aus den Jahren zusammen. Er veröffentlichte sie Anfang 1933 mit finanzieller Unterstützung von Reemtsma im Berliner Bauwelt-Verlag. Die Villa für Philipp Reemtsma nahm darin auftragsgemäß einen breiten Raum ein. Ende 1932 knüpfte Elsaesser anlässlich eines Vortrags in Rom Kontakte in Italien; aber seine Hoffnung auf einen italienischen Lehrstuhl für Architektur geschichte erfüllte sich nicht. 15 Zum Regime der Nationalsozialisten ging Martin Elsaesser aufgrund seiner kultur-konservativen Einstellung auf Distanz. Auch wurde er vonseiten der Machthaber als ein Exponent des Neuen Bauens angesehen, dessen Gedanken und Stil nicht in das Bauprogramm der Nationalsozialisten passte. Martin Elsaesser erhielt in Deutschland keine Bauaufträge mehr. Von seinem 1933 in München eröffneten Büro aus bearbeitete er mehrere Projekte in Ankara, wobei dort nur das stattliche Gebäude einer Bank zur Ausführung kam. Bis zur Fertigstellung der Sümerbank 1938 reiste Elsaesser etwa ein Dutzend Mal in die Türkei, doch mit dem Tod Mustafa Kemal Atatürks Ende 1938 endete auch diese Verdienstmöglichkeit. In der Türkei galt die Sümerbank als einer der modernsten Bauten in den 30er Jahren. Dieses Gebäude erscheint wie die abschließende Synthese bisheriger Bauprojekte Elsaessers: die Fassaden spiegelten die Monumentalität der Frankfurter Großmarkthalle, und die Inneneinrichtung repräsentierte die Eleganz der Villa Reemtsma. 16 Ende der 30er Jahre erhielt Elsaesser den Auftrag, die Villa Reemtsma - seinen eigenen Bau - innen und außen dem aktuellen Zeitgeschmack entsprechend zu überarbeiten und zu modernisieren. Während des Zweiten Weltkrieges zog Elsaesser nach Berlin, hielt sich die meiste Zeit fernab von Bombenalarm und Luftschutzkeller auf einer Insel im Seddinsee im Norden der Stadt auf, wo im großen Garten unter günstigen klimatischen Bedingungen viel Gemüse angebaut und geerntet wurde. Er lebte ansonsten von Ersparnissen und vom Erlös aus dem Verkauf des Eigenheims in Frankfurt. Nach dem Kriegsende kehrten die Elsaessers zurück nach Stuttgart. Wegen der weiträumigen Zerstörungen der Großstädte bekam Martin Elsaesser zunächst hier einige Aufträge zum Wiederaufbau (Wagenburgschule, Markthalle), später in Frankfurt (einige Schulen, Großmarkt halle). Als besondere Ehre empfand Martin Elsaesser den Auftrag zum Wiederaufbau des von Theodor Fischer einst entworfenen Gustav-Siegle-Hauses in Stuttgart. Er versuchte die Renovierung im Geiste seines Lehrers auszuführen und setzte auch eigene Akzente. Professor in München Durch Vermittlung eines Kollegen wurde Martin Elsaesser 1947 auf die Professur für Entwerfen an die Technische Hochschule München berufen. Den Lehrstuhl versorgte er von Stuttgart aus an drei Tagen in der Woche. Zudem wirkte er als anerkannter Spezialist an vielen Ausschreibungen und Wettbewerben mit. Am erhielt Elsaesser anlässlich seines 70. Geburtstags das Bundesverdienstkreuz aus den Händen von Bundespräsident Theodor Heuss. Nach einem Schlaganfall im Juli 1955 beendete Elsaesser schweren Herzens im Alter von 72 Jahren seine neun- 42

43 Die Eberhardskirche entsteht ( ) jährige Lehrtätigkeit in München. Er war mit Begeisterung Hochschullehrer gewesen und erhielt in späten Jahren die erhoffte Anerkennung seitens der Studenten. Ein knappes Jahr nach seiner Emeritierung starb Martin Elsaesser am 5. August 1957 in Stuttgart an den Folgen eines zweiten Schlaganfalls. Er wurde auf dem Stuttgarter Waldfriedhof beigesetzt. Anmerkungen: 1 Mit dieser Schreibweise seines Namens unterschrieb der Vater das Baugesuch für die Eberhardskirche. Spitzbart-Maier (Fußnote 4), Abb. 15a. 2 Die folgenden biographischen Angaben sind, soweit nicht anders belegt, dem Lebenslauf im Ausstellungskatalog entnommen: Martin Elsässer und das Neue Frankfurt. Tübingen 2009, S. 185f. 3 Theodor Fischer ( ), ein Vertreter des Heimatstils, entwarf ebenfalls einige Kirchen in Süddeutschland, z.b. die Garnisonkirche (heute Pauluskirche) in Ulm. Andere Bauten von Fischer sind besser bekannt, beispielsweise das Hauptgebäude der Universität Jena oder die Arbeitersiedlung für den Textilfabrikanten Gminder ( Gmindersdorf ) in Reutlingen und die Pfullinger Hallen, eine Konzert- und Turnhalle für die örtlichen Vereine in Pfullingen. 4 Elisabeth Spitzbart-Maier: Die Kirchenbauten Martin Elsaessers und ihre Voraussetzungen in der protestantischen Kirchenbautheorie und Liturgiediskussion, Stuttgart, 1989, S Friedrich von Thiersch ( ) ist heute bekannt für seine repräsentativen monumentalen Prachtbauten im Stil des Neobarock: z. B. Münchener Justizpalast, Wiesbadener Kurhaus, Garnisonskirche (heute Friedenskirche) in Ludwigsburg. 6 Das Büro Elsaessers befand sich zunächst in der Bopserstr. 17 und ab Mai 1909 in der Geißstraße 4. (vgl. Spitzbart-Maier, a.a.o., S. 83) 7 Paul Bonatz ( ), der gebürtige Lothringer, ist bekannt als der Erbauer der Tübinger Universitäts bibliothek und des Stuttgarter Hauptbahnhofs. 8 Spitzbart-Maier, a.a.o., S Spitzbart-Maier, a.a.o., S Der Werkbund ist eine im Jahre 1907 von Hermann Muthesius in München gegründete Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen mit dem Ziel, die ästhetische Qualität handwerklicher und industrieller Produkte zu verbessern. 11 Spitzbart-Maier, a.a.o., S Ludwig Landmann ( ), der als liberaler Kommunalpolitiker von 1924 bis 1933 Oberbürgermeister in Frankfurt/Main war, gilt als einer der Väter der deutschen Autobahn durch seine Beteiligung an einer Vereinigung, die den Bau einer ausschließlich dem Autoverkehr vorbehaltenen Schnellstraße von den Hansestädten im Norden, Hamburg und Bremen, über Frankfurt bis an die schweizerische Grenze nach Basel anstrebte. 13 Manfred Köhler: Die Großmarkthalle. In: Hochhäuser in Frankfurt: Wettlauf zu den Wolken, Müller-Vogg, Hugo (Hrsg.), Frankfurt/M, 1999, S in der Bevölkerung zuweilen Klein Weißenhof genannt. 15 Jörg Schilling: Leben und Persönlichkeit; in: Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt. Tübingen 2009, S. 17f. 16 Jörg Schilling: Arbeit und Werk; in: Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt. (Ausstellungskatalog) Tübingen 2009, S. 38. Eberhardskirche von Westen gesehen Zeichnung Florian Afflerbach, (Dezember 2010) 43

44 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Hans-Ulrich Dapp Das Kreuzigungsbild von Käte Schaller-Härlin 1911 stand eine 34-jährige Künstlerin auf dem Gerüst in der neu erbauten Eberhardskirche. Vorne zwischen der Holzdecke und dem damaligen, aus Ziegelsteinen gemauerten Apsisbogen malte sie ein Fresko, etwa zwei auf vier Meter, mit lebensgroßen Kreuzigungsfiguren. Fresko nennt man ein Bild, das als Verputz mit feuchtem, gefärbtem Gips direkt auf die Wand gemalt und gespachtelt wird und danach kaum mehr korrigiert werden kann. Dass eine Frau da oben auf den Brettern stand und die körperliche Schwerarbeit leistete, lebensgroße Figuren nach einer aufgepausten Käte Schaller-Härlin 1910 Schwarzweißvorlage zu malen, das war sicher damals ein ungewohntes Bild. Diese Technik war vor allem im Mittelalter und in der Renaissance benutzt worden. Der Architekt der Eberhardskirche, Martin Elsaesser, hatte die Künstlerin empfohlen, doch auch ohnedies hatte sie mit umfassender Ausbildung und hoher Begabung bereits einen guten Ruf in der Kirchenraumgestaltung erworben. Als Käte Härlin war sie am 19. Oktober 1877 im südindischen Mangalore geboren, in einer Station der Basler Mission. Als das Mädchen fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Gruibingen auf der Schwäbischen Alb, wo der Vater eine Pfarrstelle bekam. Käte zeichnete schon als Zehnjährige brillant und durfte mit 16 Jahren die Kunstgewerbeschule in Stuttgart besuchen. Zwischen ihrem 18. und 20. Lebensjahr studierte sie Malerei an Landenbergers Damenakademie in München, dann zwei Jahre an der Schule der Schönen Künste in Florenz. Dort befasste sie sich eingehend mit den Fresken des Renaissancekünstlers Giotto. Das Jahr 1900 verbrachte die 23-Jährige in Rom reiste sie nach Paris, wo sie Schülerin des symbolistischen Malers Maurice Denis wurde; aber auch mit dem Bildhauer Auguste Rodin lebte sie Tür an Tür, lernte Rainer Maria Rilke kennen und war von den Bildern Paul Cézannes beeindruckt. Später war noch Adolf Hölzel in Stuttgart ihr Lehrer, der viele moderne Maler prägte. Sie war also weit gereist und vielseitig ausgebildet heiratete Käte Härlin den Kunsthistoriker und Galeristen Hans Otto Schaller wurde eine Tochter geboren fiel Kätes Ehemann im I. Weltkrieg. In den künstlerisch fruchtbarsten Jahren zuvor hatte Käte Schaller-Härlin viel mit dem Kirchenarchitekten Martin Elsaesser zusammengearbeitet, einem Freund 44

45 Die Eberhardskirche entsteht ( ) ihres Mannes, der Tübinger Dekanssohn gewesen war und ab 1909 die Tübinger Eberhardskirche baute stand sie somit auch bei uns auf dem Gerüst, um das Kreuzigungsbild für die Vorderwand zu schaffen. Das Leitbild der Zusammenarbeit beider war die Einheit der Gemeinde in einem einheitlichen, monumentalen Kirchenraum. Weitere Fresken unter diesem Leitgedanken, die Käte Schaller-Härlin schuf, sind zu sehen in Albstadt-Tailfingen (Christus segnet das Volk, Kreuzigungsbild über dem Chorbogen (bis 1967) 1907), in Holzelfingen (12 Apostel in St.Blasius, 1908/09), im Baden-Badener Stadtteil Lichtental (6 Wandbilder in der Lutherkirche , auch von Elsaesser erbaut) und besonders schön in Stuttgart- Gaisburg ( , Elsaesser). Auch Glasfenster gestaltete sie: in der Schlosskapelle Tettnang, in Oberndorf/Neckar (16 Doppelfenster 1915/16), in der Laurentiuskirche von Stuttgart-Rohr ( , Elsaesser) und in der Martinskirche Oberesslingen, aber auch ganz in unserer Nähe in der Dionysiuskirche Bodelshausen. 45

46 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Nach dem 1. Weltkrieg und dem Verlust ihres Mannes übernahm Käte Schaller-Härlin keine Großaufträge mehr, sondern teilte ihre Zeit und Kraft zwischen Kind und Kunst auf. In Stuttgart lebend malte sie noch zahlreiche Stillleben und Porträts bekannter Persönlichkeiten wie Theodor Heuss und Elly Heuss- Knapp. In der Staatsgalerie ist ihr Selbstbildnis als 46- Jährige zu sehen. Und auch den Architekten Elsaesser, der 1957 starb, hat sie gemalt. Es wäre spannend zu wissen, ob sie noch einmal in unsere Kirche nach Tübingen kam und wie sie die Renovierung von 1967/68 beurteilte. Zur Zeit der großen Umgestaltung, wo ihr Fresko von der Wand gelöst und in einem neuen Metallrahmen als Altarbild aufgestellt wurde, war sie jedenfalls noch am Leben. Eine Kinderbibel für ihre Enkel hatte sie noch nach dem II.Weltkrieg illustriert. Sie starb am 9. Mai 1973 hochbetagt mit 96 Jahren in Stuttgart-Rotenberg und Kreuzigungsbild über dem Altar (seit 1968) hinterließ ein Gesamtwerk von etwa 2000 Bildern. Doch als ihr Hauptverdienst gilt bis heute die Erneuerung der Wandmalerei im süddeutschen Raum. Ein altes Foto der Eberhardskirche zeigt: 55 Jahre lang hatte ihr Kreuzigungsfresko seinen Platz unter der Decke unserer Kirche. Der gekreuzigte Christus dürfte dort oben nicht so geduckt gewirkt haben, wie manche ihn jetzt empfinden. Eher schien er dort das ganze Kirchendach zu tragen. Das Foto beweist auch, dass die Jüngerinnen und Jünger ihre Füße ursprünglich richtig auf dem Boden stehen hatten. Da ging etwas von der Wirkung und Substanz verloren, als das Fresko bei der Renovierung aus der Wand gelöst und in Metallschienen gefasst wurde. Übrigens gehen die seitlichen Wandmalereien auf dem Foto Menschen in andächtiger Haltung, teils modern gekleidet, und darüber zwei Engelgruppen -, nicht auf Käte Schaller-Härlin zurück. Sie stammen von dem Tübinger Heiner Bauschert, dem Sohn des Lehrers und Organisten der Eberhardskirche Heinz Bauschert. Er hatte schon bei den ersten baulichen Renovierungen der Kirche 1951 den Auftrag bekommen, auf weiß gestrichenem Grund auf beiden Seiten des Freskos über dem Bogen zum Altarraum gestalterisch tätig zu sein. Dennoch: auch dem Altarbild in seiner jetzigen Form sollte sein Platz nicht streitig gemacht werden. Es gelingt ihm, alle Farben im Kirchenraum zu bündeln. Das Rot des Ziegelaltars, das Weiß der Wand, das Hellbraun des Kalksteinbodens, das Grün im Altarstrauß und auch das Violett und Gold, wenn von Zeit zu Zeit die hebräischen 10 Gebote rechts und links vom Altar hängen all das bringt auch die entsprechenden Farben im Bild zum Funkeln, obwohl sie materialbedingt matt sind. 46

47 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Die neue Positionierung hinter dem Altar verstärkt die Wirkung des Halbkreises der lebensgroßen Figuren. Maria, die Frau des Kleophas, Maria Magdalena, die Mutter Maria und der Lieblingsjünger, sie sind ganz nach vorn an den Bildrand gerückt, nicht in die Raumtiefe. Wenn die Gemeinde beim Abendmahl im Halbkreis vor dem Altar steht, schließen die Figuren uns zusammen und ergänzen uns zum Kreis. Niemand ist ausgeschlossen unterm Kreuz. Schließlich kann einen noch die ruhige Würde des Jesus am Kreuz ansprechen. Er ist der Erhöhte, hat den Dornenkranz und den Erhöhungsglanz, und er scheint seine Arme nicht so sehr in Qual auseinander zu breiten als vielmehr zum Segen. Schon 1907 in Tailfingen hatte die Künstlerin Christus segnend dargestellt. Und genau diese ausgebreiteten Arme Christi hat sie ein Jahr nach dem Tübinger Wandbild noch einmal gemalt: in der Gaisburger Kirche. Wie die Eherne Schlange dort die Seite des Alten Testaments krönt, so krönt Christus mit den ausgebreiteten Armen die Evangelienseite. Das zeigt, wie wichtig ihr auch unser Altarbild gewesen sein muss. Altarbild Harry Waßmann Anerkennung und Anfragen Käte Schaller Härlins Kreuzigungsbild erfährt immer wieder Anerkennung, aber auch Kritik seit nunmehr 100 Jahren äußerten Kirchengemeinderäte einerseits Kritik an der Ausführung, zugleich aber haben sie laut Protokoll nachdrücklich darauf hingewiesen, welch tiefen Eindruck gerade dieses Bild auf sie gemacht habe. 1 Auch beim Umbau 1967/68 kam es zu Meinungsverschiedenheiten: Pfarrer Diether Hermann und der Bauausschuss hatten beschlossen, das Bild zu entfernen. Ein im Denkmalschutz engagiertes Gemeindeglied verhinderte diesen Vorstoß. 2 Das Amt für Denkmalschutz wurde eingeschaltet, das Bild wurde abgetragen und hinter dem Altar positioniert. 40 Jahre später 2009 stand das Bild im Kirchengemeinderat erneut zur Diskussion. In einer intensiven Aussprache wurden verschiedene Empfindungen geäußert. Der Kunstbeauftragte der Landeskirche Pfarrer Lambert Auer erläuterte die kunsthistorische Bedeutung gerade dieser Darstellung. Das 19. Jahrhundert habe keine eindrücklichen Kreuzigungsdarstellungen hinterlassen. Hier sei das Kreuz zum reinen Symbol auf dem Altar geworden. Erst im 20. Jahrhundert und recht eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg seien Kreuzigungsdarstellungen in evangelischen Kirchen wieder verbreitet aufgekommen, hier dann oft in einer extremen Darstellung des Leidens. Käte Schaller-Härlin in ihrem Zusammenwirken mit Architekt Martin Elsässer mache da eine Ausnahme und stehe als vom Jugendstil inspirierte Malerin in einer spannenden Zwischenstellung. Auch deshalb sei das Bild aus seiner Sicht künstlerisch wertvoll. Schaller-Härlin habe auf der Höhe der Zeit gearbeitet. Entferne man es, verlöre die Kirche eine auch kunsthistorisch bedeutsame Darstellung. In einem Beschluss befürwortet der Kirchengemeinderat, das Altarbild an dieser Stelle zu belassen. 3 Anmerkungen: 1 KGRprot, 13. März 1911 zit. n. Eberhardskirche Tübingen, 1968 S. 7f 2 Daran erinnert sich Christa-Maria Schmidt-Jaag, mündlich, KGRprot. Juni

48 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Christa Hagmeyer Glocken nicht nur der Eberhardskirche Eine Kirche ohne Glocken ist aufgrund jahrhundertelanger Tradition kaum denkbar. Glocken rufen zu Gebet und Gottesdienst, läuten ein Fest ein, geleiten Ökumenisch im Gebet verbunden Pfarrer Thomas Steiger und Pfarrerin Beate Schröder (Glockenguß, Karlsruhe Juli 2010) zum Grab. Glocken sind Schmuck der Gemeinde, Heimatklang und in säkularisierten Zeiten nicht selten auch Ärgernis ruhebedürftiger Nachbarn. Mit dem Glockenschlag will man die fließende Zeit benennen, im Akkord eines mehrstimmigen Geläutes und im Nachklang schwingt Musik. Glockengießen wird als ein achtbarer Prozess erlebt, gewaltig und mythisch schon an sich, wenn Metall, Glut und Form des Meisters Hand derart gehorchen, dass eine kleine Terz unter den Schwestern im Turm ohne Falsch erklingt. Glockenguß ist bis heute ein gewaltiger Prozeß hier für die Glocke Kirch am Eck (2010) 48

49 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Nicht Christen haben die Glocke erdacht. Lange zuvor hatten die Völker des Altertums schon kleine Glocken, die kultischen und profanen Zwecken dienten. Die altchinesischen Glocken vor dreitausend Jahren sind wohl die ältesten Beispiele. Sie schwangen allerdings nicht, sie wurden wie ein Gong angeschlagen, auch Glockenspiele waren damals bereits bekannt. Im jüdischen Kult gab es keine Glocken. Die ersten Generationen der Christengemeinden lehnten Glocken ab, denn sie galten als heidnisches Kultgerät. Es ist aber auch nachvollziehbar, dass Christengemeinden in der Verfolgungszeit ein öffentlich wahrnehmbares Versammlungszeichen vermieden und erst mit der Möglichkeit freier Religionsausübung Glocken zum Einsatz kamen. Die ersten Glocken im christlichen Umfeld gebrauchten koptische Christen, um zu ihren Versammlungen zu rufen. Im sechsten Jahrhundert brachten irischschottische Missionare den Gebrauch von Glocken 49

50 Die Eberhardskirche entsteht ( ) nach Mitteleuropa, aber erst ein Edikt Karls des Großen bewirkte eine stärkere Verbreitung. Im 15. und 16. Jahrhundert war die Hochblüte der Bronzegießerei, der Dreißigjährige Krieg aber bewirkte einen starken Rückgang des Glockenbestandes. Zwar hängen insbesondere die Kirchenglocken erhaben im Turm, aber auch sie wurden als Dienerinnen des jeweiligen Zeitgeistes instrumentalisiert. Der Glockenklang sollte zu Gebet und Gottesdienst rufen und die Menschen an die Geborgenheit im Glauben erinnern. Trotzdem schwang noch lange Zeit alter Aberglaube im Volksverständnis mit. Da die Nacht als des Menschen Feind angesehen wurde, weil sie der Wirkungsbereich von Dämonen, Geistern, Wiedergängern und anderen gruseligen Phänomenen sei, sollte ein Zeichen der Macht Gottes entgegengehalten werden. Dies sollte besonders beim Angelusläuten in der Frühe deutlich werden, wenn die Geister der Nacht verschwänden. Dagegen mahnte und warnte das Abendläuten die Menschen. Dass man sich auch praktischen Nutzen von einer Glocke erhoffte, deutet eine mittelalterliche Glockeninschrift an: Die Lebenden rufe ich, die Toten beklage ich, Blitze breche ich. Der religiöse Gebrauch der Glocken war nicht frei davon, aus heutiger Sicht fragwürdige Praktiken zu unterstützen. Das Armesünderläuten erinnert an die Hinrichtungen und auch an die Hexenprozesse, denen rund hunderttausend Frauen zum Opfer fielen. Dass der beabsichtigte Gebetsruf der Glocken in der Geschichte immer wieder als nachrangig angesehen wurde, machten die großen Kriege deutlich, wenn Glocken für Rüstungszwecke eingeschmolzen wurden. Im Ersten Weltkrieg waren es Glocken, im Zweiten Weltkrieg wurden europaweit etwa Glocken eingeschmolzen; weitere Glocken wurden an vielen Orten Europas durch Luftangriffe oder andere Kampfhandlungen zerstört. Glocken der Eberhardskirche Den ängstlichen, abergläubischen Geist vergangener Epochen symbolisieren die Glocken der Eberhardskirche wohl kaum, allerdings unterlagen auch sie der Verknüpfung von politischer Macht und Kirche. Die im Jahr 1911 fertiggestellte Eberhardskirche hatte zunächst keinen separaten Turm, sondern lediglich einen Dachreiter. Dadurch wurde die mögliche Gewichtsbelastung durch ein Geläut begrenzt. Die ersten Glocken für diese Kirche wurden im Jahr 1910 von der Firma Kurtz in Stuttgart gegossen, nämlich: Eine Glocke auf den Ton D gestimmt, 162,5 kg schwer mit einem Durchmesser von 66 cm und eine Glocke auf den Ton F gestimmt, 97 kg schwer mit einem Durchmesser von 55 cm. Die größere Glocke hatte die Inschrift Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Die kleinere Glocke hatte die Inschrift Ein feste Burg ist unser Gott. 1 In jener Zeit standen Glocken für die enge Verbindung von Gott, Volk und Vaterland. Sie riefen nicht nur zu Gebet und Gottesdienst, auch das Viktorialäuten wurde von der Kirchenleitung angeordnet; militärische Siege wurden so hervorgehoben. 2 Dekan Faber schreibt im I. Weltkrieg von der vergeltenden Gottesgerechtigkeit und äußert Freude über den rumänischentreubruch, wodurch Deutschland Erdöl und damit Benzin in Fülle bekomme, 50 Mill. Zentner Korn, Gerste, Mais u. dgl. erbeutet, km² erobert und Rumänen gefangen habe. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob jede Generation, also auch wir, dermaßen verblendet vom jeweiligen Zeitgeist ist. Das Protokoll von der Kirchengemeinderatssitzung am berichtet, dass die größere Glocke für Rüstungszwecke abgeliefert werden musste. Dekan Faber stellte die Frage, ob nicht vorher die kupfernen Braukessel zur Erzeugung von Bier und Schnaps ein- 50

51 Die Eberhardskirche entsteht ( ) geschmolzen werden sollten, da das Läuten zum Gottesdienst und zum Begräbnis zum Durchhalten unseres Volkes wertvoller als der Genuss von Bier und Schnaps ist. 3 Im selben Jahr ging aber bereits wieder die erste Spende für eine neue Glocke ein. Ein Spendenaufruf im Jahr 1921 richtete sich auch an alle Tübinger, die nach Amerika oder in die Schweiz verzogen waren. 4 Gerne hätte die Eberhardsgemeinde jetzt eine größere Glocke bestellt, um die Klangfarbe anders gestalten zu können. Es stellte sich aber heraus, dass das Dach der Eberhardskirche eine Vermehrung des Glockengewichtes überhaupt nicht zu tragen vermöchte. 5 Die eingegangenen Spenden in Höhe von Mark ermöglichten es schließlich, dass die Gemeinde am Palmsonntag des Jahres 1922 die von der Kochendorfer Firma Bachert gegossene 149 kg schwere Glocke feierlich begrüßen konnte, die wie ihre Vorgängerin auf den Ton D gestimmt war 6. Sie trug die Inschrift Ich künde der Helden Tod, des Reiches Not, den alten Gott. Im Zweiten Weltkrieg hatte auch diese Heldenglocke I. Weltkrieg - die Glocken werden abgeliefert 51

52 Die Eberhardskirche entsteht ( ) wieder dem Krieg zu dienen, wie aus dem am von Pfarrer Geißer erstellten Meldebogen für Bronzeglocken der Kirchen hervorgeht. Grundlage war die von Ministerpräsident Generalfeldmarschall Göring erlassene Anordnung. 7 Die Abgabe dieser Glocke wurde noch bis zum zurückgestellt. Die Stiftskirche hatte gleichzeitig ihre Beichtglocke aus dem Jahr 1682 abzugeben, obwohl historisch interessante Glocken eigentlich verschont werden sollten. Und wieder begleitete der Oberkirchenrat das Kriegsgeschehen schon ab dem mit dem Erlass an alle Pfarrämter, dass vom Tage des Einmarsches der deutschen Truppen in Warschau ab alle Glocken zum 1961, die Glocken kommen dankerfüllten Gedenken des Sieges und zum Gedenken an die Gefallenen sieben Tage lang mittags von 12 bis 13 Uhr. zu läuten sind. Warschau kapitulierte erst am 27. Oktober. Dasselbe wurde am angeordnet nach den erfolgreichen Feldzügen im Westen, also in Belgien, Holland und Frankreich. Außerdem wurden ab 1934 die Glocken geläutet an Gedenktagen, an Hitlers Geburtstag, am Tag des großdeutschen Reiches (9. April), am Wahltag 8 und als Österreich 1938 heim ins Reich geholt wurde. Ab dem jedoch wurde das Läuten aus Gründen der Luftverteidigung beschränkt; bei Fliegeralarm hatten die Glocken zu schweigen. Nach dem Krieg vergingen einige Jahre, ehe die Eberhardsgemeinde an die Anschaffung von Glocken denken konnte. Im Jahr 1959 reichten erneut die Firmen Bachert und Kurtz Angebote ein. Es sollten drei Glocken angeschafft werden in der Tonlage e, fis und a. Die Unterlagen über diese Angebote bieten einige Informationen über die technische Seite dieser Anschaffung. Glockenbronze bestand demnach aus 78 % Kupfer und 22 % Reinzinn. Der Preis für ein Kilo Glockenbronze wurde mit DM 4,20/kg benannt. Mit den Glocken war es nicht getan; benötigt wurden auch Jochachsen, Bänder, Klöppel, Bügel, Jochstange, Riemen, Schutzkappe, Läutarm. Die Anschaffung der Glocken Dominika, Betglocke und Kreuz- und Zeichenglocke erfolgte in Abstimmung mit dem Glockensachverständigen Kirchenmusikdirektor Lutz und dem Architekten Greif. Die Läutemaschine wurde von der Ulmer Firma Philipp Hörz geliefert, den Wartungsdienst hierfür übernahm Firma Rincker. Die Eberhardsgemeinde gestaltete den Empfang ihrer drei Glocken sehr festlich. Die damalige Kirchengemeinderätin Klara Möck veranlasste ihren Sohn, die Glocken bei der Glockengießerfirma Kurtz in Stuttgart abzuholen. Auf dem Firmengelände der Firma Möck & Co. wurde von den Mädchen des Mädchen- 52

53 Die Eberhardskirche entsteht ( ) kreises ein Festwagen mit Tannengirlanden, Rosen und Nelken geschmückt. Am Donnerstag, den 6. Juli 1961, also im Jahr des fünfzigjährigen Jubiläums der Eberhardskirche, trafen die Glocken bei der Kirche ein, wurden festlich begrüßt und standen übers Wochenende noch zur Besichtigung zur Verfügung. 9 Das neue, schwerere Geläut konnte natürlich nicht im Dachreiter Platz finden. Jetzt wurde ein frei stehender Glockenturm gebaut mit einer Höhe von 30 m, die Glocken hängen auf 25 m Höhe. In dem Turm wurde als Zeitzeugnis eine Kassette verwahrt, die eine Bibel und ein württembergisches Gesangbuch enthält, auch eine Urkunde, eine kleine Baugeschichte, drei Spendenaufrufe, Finanzierungsplan, Bauplan und Modellaufnahmen, Großaufnahmen von der Bewehrung des Turmfundaments, vier Zeitungen und einen 1960, der Glockenturm im Bau Satz Hartgeld. Diese beachtliche Anschaffung wurde durch Spenden erleichtert, vor allem aber durch zwei Vermächtnisse des Gemeindegliedes Elise Pfisterer ( 1959) über DM und DM. Die über die Kriege verbliebene kleinere Glocke passte nicht mehr zu dem jetzt gewählten Akkord, konnte auch nicht elektrisch geläutet werden. Sie wurde im Jahr 1961 auf Anregung von Missionar Wilhelm Schneider der Basler Mission geschenkt und an die Gemeinde We in Kamerun abgegeben. 10 In launiger Weise ließ man das Glöcklein zuvor im Evangelischen Gemeindeblatt noch selbst zu Wort kommen. So erfuhr die Gemeinde, dass es in Ölpapier und Tücher eingehüllt, in Verbandsstoff und gestrickte Binden (für die Aussätzigensiedlung) gewickelt wurde, dass zu seiner Beruhigung der Glockenstuhl aus dem Dachreiter mitreise, dass aber noch Geld für seine Fahrkarte nötig sei. 11 Allerdings war die Freude über das neue Geläut der Eberhardskirche in der Südstadt nicht ganz einhellig. Bald gingen einige Beschwerdebriefe im Pfarramt ein. Ein Bundesbahnoberinspektor freute sich zwar laut Die We-Kirche in Kamerun mit Glockenturm und der Glocke der Eberhardskirche,

54 Die Eberhardskirche entsteht ( ) seinem Brief vom über Turm und Glocken, nicht aber über das Schlagwerk; er fühlte sich um seinen Schlaf gebracht und war tief erschüttert über diese Maßnahme der Kirche. Seine Kritik gestaltete er kompromissbereit, indem er vorschlug, nur tagsüber per Schlagwerk die Zeit mitzuteilen. Eine Frau stellte die Bedeutung des Frühläutens in Frage: Glauben Sie, auch nur einer der wohlmeinenden Christen wird, so geweckt, mit einem fröhlichen Morgengebet auf den Lippen erwachen, zumal, wenn er noch zwei Stunden schlafen wollte? Eine Lehrerin fürchtete gar gesundheitliche Schädigung durch das Läuten; sie glaubt nicht, dass dadurch eine religiöse Vertiefung bewirkt werde, sondern nur durch persönliche Initiative. wie solch äußerliche, kollektive Zwangsmaßnahmen, die so rücksichtslos und gesundheitsschädlich sind, hier das Innere des Menschen verwandeln sollen, ist mir unverständlich. Im Oktober 1961 wurde Pfarrer Krause-Sparmann per Telefon kontaktiert, weil die Betglocke infolge der falsch eingestellten automatischen Schaltvorrichtung um Mitternacht läutete: Die elende Bimmelei! Ich bin aufgewacht - nun sollen Sie gefälligst auch aufwachen. Der Geistliche antwortete dem anonymen Anrufer im Gemeindeblatt: Lieber unbekannter Nachbar! Ich war schon vor deinem Anruf munter und nicht ganz so bös wie du; ein bißchen mehr Humor und Geduld, wäre das nicht etwas für dich? Dann geht s auch ohne Telefon, du Namenloser. 12 Mehrheitlich aber wird der Klang der Glocken von der Südstadtgemeinde gerne akzeptiert. Eine Läuteordnung regelt Anlass und Dauer und bestimmt, welche Glocke jeweils zum Einsatz kommt. Diese Läuteordnung wurde immer wieder den sich ändernden Gemeindebedürfnissen und Veranstaltungsinhalten angepasst. Die Glocken der Eberhardskirche haben die Inschrift: Herr, lehre uns beten Verleih uns Frieden gnädiglich Gloria in excelsis Deo. Sie sind so gestimmt, dass sie sich ins Geläut der anderen Tübinger Kirchen einfügen. Ihr Geräuschpegel hat im sehr lebhaft gewordenen Verkehr Konkurrenz bekommen. Die räumliche Ausdehnung der Südstadtgemeinde ist stark gewachsen, so dass längst nicht alle Gemeindeglieder die Glocken wahrnehmen können. Auch sind sie im Turm für die Augen verborgen. Überhaupt mag der moderne Mensch die Frage stellen, ob ein Kirchturm heute noch angebracht sei, dieses einst als erhobener Finger verstandene Zeichen. Kirchtürme haben ihre architektonisch prägende Rolle im Stadt- oder Landschaftsbild eingebüßt, seit sie von Profanbauten weit überragt werden. Ihre Sinnhaftigkeit kann heute nicht mehr durch den Symbolgehalt des Rufens und Predigens bekräftigt werden, eine einfache Zweckbestimmung wird als Rechtfertigung des Kirchturms angeführt. Es sind die Glockengießer, die seine Bedeutung wie folgt sachlich erläutern und verteidigen, um ihr Werk nicht durch eine unsachgemäße Hängung herabwürdigen zu lassen. Abgesehen von der statischen Sicherheit sei ein fachkundiger Turmbau für die Klangqualität der Glocken maßgebend. Form und Material der Glockenstube am besten Holz oder rauer Beton, eventuell mit Schwingmetallelementen - sollen bewirken, dass sich die Töne in der Turmakustik zu einem angenehmen Gesamtklang vermischen, indem tiefere Töne verstärkt und hohe Töne gedämpft werden. Würden die Glocken frei hängen, so würden sie grell, hart und aufdringlich klingen, ihr Schall würde unmoduliert abstrahlen. Darum soll die Glockenstube geschlossen sein, der Schall soll lediglich durch Schallöffnungen oder Jalousien nach außen dringen, und 54

55 Die Eberhardskirche entsteht ( ) diese müssen für die ideale Klangentwicklung mit maximal 30 Neigung angebracht werden. So könne die Klangskala eines Tones samt Nachklang sich über Köpfen und Plätzen entfalten, denn in Mitteleuropa streben die Glockengießer mit einem Geläute jeweils eine Glockensymphonie an. Anmerkungen: 1 Ev.Gemeindeblatt vom Ev.Gemeindeblatt 3(1917)1, S. 4 3 Ev.Gemeindeblatt 3(1917)9, S. 4 4 Ev.Gemeindeblatt 7(1921)5 u.6 5 Ev.Gemeindeblatt 7(1921)11, S.3 6 Ev.Gemeindeblatt 8(1922)5 7 Schreiben vom Schr.d.Ev.OKR vom Ev.Gemeindeblatt v KGRprot. vom Ev.Gemeindeblatt vom EV.Gemeindeblatt Nr. 43, vom Zeppelin über dem Tübinger Süden (1909) hinten in der Bildmitte das neu erbaute Gaswerk mit seinen Kesseln. 55

56 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Christa Hagmeyer Gisela Dreher-Richels - Glaskunst erzählt Hundert Jahre ist die Eberhardskirche alt, vor 42 Jahren wurde sie grundlegend renoviert. Schäden waren aufgetreten, und weil man doch mit der Zeit gehen wollte und vielen die Jugendstilelemente in dieser rationalen Epoche peinlich waren, entschloss man sich auch zu einer gestalterischen Veränderung. Diesen Anlass unterstützte Frida Wetzel mit einer Spende von 5.000, $. Zu damaliger Zeit waren das ,50 DM, die die Spenderin durch den Geschäftsführer der Lutheran Church-Missouri Synod für die neuen Fenster auszahlen ließ. Eine weitere Renovierung hielten heute so manche für durchaus vertretbar, soweit sie mit der Raumatmosphäre aus den Sechzigerjahren nicht warm geworden sind. Weil wir aber noch nicht wissen, ob und wie neue Vorlieben Form finden würden und ob sie es wert wären, ein Zeugnis abzulösen, soll das Bestehende eine Stimme bekommen. Gisela Dreher-Richels und Gerhard Dreher Die Künstlerin Bei der Ausschreibung hatte damals neben zwei männlichen Künstlern auch Gisela Dreher Entwürfe eingereicht. Das Künstlerehepaar Gisela und Gerhard Dreher trat in den ersten Jahren gemeinsam auf und entschied intern, wer die Aufgabe übernehmen sollte. Beide Künstler sind im Jahr 1924 geboren. Beide hatten an der Akademie für Bildende Künste in Stuttgart studiert, entwickelten unterschiedliche künstlerische Wege und Techniken und die Künstlerin ergänzt: bis jeder mehr zu sich, zu seiner Ausdrucksform fand; aber geblieben ist, dass einer dem anderen die erste Kritik ist. Sie lebten zur Zeit des Tübinger Auftrags in Weilheim-Teck, wählten im Ruhestand Künzelsau als Alterssitz. Gerhard Dreher, der vor allem Reliefs, Objekte und Installationen schuf, führte ebenfalls eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Licht, wählte aber selten Glas, sondern andere Werkstoffe; er verstarb im Jahr Gisela Dreher-Richels lebt hochbetagt bis heute in Künzelsau. In Tübingen bereichern Glasfenster nach ihren Entwürfen die Eberhardskirche (1968), die Jakobuskirche (1975) und die Dietrich-Bonhoeffer-Kirche (1985). Fünfzig Jahre lang gestaltete sie Glaskunst für Kirchen, private und öffentliche Räume, stand auf hohen Leitern und Gerüsten. In späteren Jahren beschäftigte sich Gisela Dreher-Richels auch mit Kunsttherapie und erweiterte diese um die Initiatische Therapie; in der Folge übernahm die Freie Kunstschule Nürtingen ihr Konzept. Die Künstlerin ging aber auch als Lyrikerin ins Bewusstsein der Kunst- und Literaturinteressierten ein. Sie veröffentlichte mehrere Lyrikbände. Eine weiche, sorgfältige Dichtersprache und dann schwerer Beton wie geht das zusammen? 56

57 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Kunst und Raumwirkung In der Festschrift zur Einweihung im Jahr 1968 erläutert Gisela Dreher den gedanklichen Ansatz zu der Arbeit in der Eberhardskirche, indem sie vor allem auf die Wahl von Material und Form eingeht. Ein Werk betreffend, gilt für sie: Pfarrer, Gremien, Architekten, Künstler, alle gehen wieder, das Bauwerk aber bleibt und in ihm die Kunst. Es bleibt vor allem die Gemeinde, und es war während ihres ganzen Schaffens der Wunsch der Künstlerin, dass die Gemeinden einbezogen werden und ein lebendiges Verhältnis zu dem Werk bekommen. Viele Auftraggeber besuchten darum die Künstlerin in ihrem Atelier und bekamen so Einblick in den Schaffensprozess. Von der Eberhardsgemeinde ist solches jedoch nicht überliefert. Bei dieser Glaskunst wird Dickglas auf einem Spezialamboss zerschlagen, nach einem Gestaltungsentwurf geordnet und aufgeklebt, danach mit Beton ausgegossen. Gisela Dreher-Richels erinnert sich, die Gemeinde habe damals über wenig Geld verfügt, es habe die Auflage bestanden, die zahlreichen Fenster im Schiff kostengünstiger, nämlich als Rapport mit weni- Fest im Atelier der Künstlerin: Die Werkzeichnungen für die Fenster der Eberhardskirche sind abgeschlossen (1967) es musiziert das Quartett Niggemann (Stuttgart) Die Kirchenrenovierung konzipierte Architekt Reinhardt, und von seiner Ausrichtung übernahm Gisela Dreher-Richels den Impuls der Öffnung zur Einheitlichkeit, was sie dann mit eigenen Mitteln umsetzte. Die vorherige Gestaltung hatte sie vor allem im Altarraum als Überfrachtung empfunden, im Kirchenschiff dagegen als äußerst trocken und durch große Klarglasfenster überbelichtet. Nun hieß es also: Verbindung schaffen, einen Raumteil mit dem anderen versöhnen, also überleiten, dass sie miteinander einen Gesamtraum bilden konnten. Die Künstlerin wollte eine verbindende Weise der Lichtführung von Schiff und Chor. Dazu fiel mir eine gemeinsame Gestaltung in Dickglas ein. Sie wollte nun leichte Stimmungsträger einsetzen, denn bei der Vielzahl der Fenster wäre ihr Figürlichkeit als zu aufdringlich erschienen. Gisela Dreher-Richels schuf ein Dickglasmosaik. 57

58 Die Eberhardskirche entsteht ( ) ger Farbelementen zu gestalten. Glaskunst aber gibt der Künstlerin die Möglichkeit, Immaterielles ins Werk einzubeziehen. Gemalt habe ich deshalb nicht, weil mir die aufgetragene Farbe verglichen mit der durchscheinenden zu materiell erschien. Sie schafft zum Objekt ein Form-, Farb- und Lichterlebnis, wenn sie vorführt, wie Gitter- und Netzstruktur das Licht brechen und die Stimmung im Raum verändern. Transparenz heißt die Begrenzung aufheben und Raum neu schaffen. 1 Transparenz bezieht auch Bewegung ein und macht Gleichzeitigkeit erlebbar. Zwei Wirklichkeiten Glaskunst schafft eine Verbindung von Innen- und Außenraum. Dies geschieht in völlig anderer Weise als bei einem bloßen Fenster, das nur die Wand durchbricht, nach außen weist und den Raum erhellen, nutzbar machen soll. Mit Glaskunst wird das Nützliche, grob Anmutende eines Bauwerks unterbrochen von bildnerischen Elementen, deren Materialwirkung für sich allein dem Betrachter nahezu verschlossen bliebe. Licht tritt aber nicht nur in den Raum, Licht Südgang 58

59 Die Eberhardskirche entsteht ( ) tritt ins Glasobjekt, gedämpft und gebrochen, und so führt Glaskunst durch Sammlung und Konzentration nach innen. Licht lenkt hier den Blick auf eine narrative Formgebung. Sollte eine schwer benennbare Figuration erzählen? Da assoziieren wir als Betrachter vielleicht zunächst den Kontrast von Alltagsexistenz und emotionalem Bedürfnis. Wir ertappen uns bei der Verachtung gegenüber dem bescheidenen Oberflächenreiz des Betons, fühlen uns herausgefordert, hier in diesem Raum, wo wir der Widrigkeiten endlich ledig sein und zu uns selber kommen wollen. Und gleichzeitig hört man Klagen, dass so wenig von draußen hereindringe, kein Glaselement wäre groß genug, wenn wir uns in der Kirche nach der Schöpfung draußen sehnen und wir merken spät, dass eben solche Glaskunst sogar als Multiplikator eine Verbindung zum Außenraum, zu Licht, Farbe und Bewegung schafft. Die Künstlerin bleibt ohne Überdeutung beim Formalen. Kontrast und Spannung der Materialien veranschaulichen die wechselseitige Bedingtheit. Gisela Dreher-Richels spricht in einem ihrer Texte von den zwei Wirklichkeiten. Wir leben, wohnen, denken in der Wirklichkeit, spüren, dass es noch eine andere gibt, beginnen, von Sehnsucht ergriffen, sie zu suchen. Immer wieder beginnt sie hindurch zu schimmern durch die Wirklichkeit, in der wir leben. Und zuweilen fühlen wir Wirklichkeit, die wir suchen, uns ganz nahe, in uns selbst, geben ihr Wohnung. Dann ist Innen und Außen aufgehoben. Die Technik dieser Glaskunst ist nicht zufällig. Die Künstlerin sieht darin ein Mittel für den Ausdruck eines emotionalen Bedürfnisses: Unsere Sehnsucht nach Zusammenklingen erwacht, und wir träumen von einem Eins werden der vereinzelten Teile. Auf solche Gedanken können wir uns einlassen, sie überprüfen, wenn wir die 14 ovalen Oberlichter an den Längsseiten betrachten, die 16 kleineren Fenster an der Südseite, vor allem aber die sechs dreigeteilten Fenster zur Straße hin, das viergeteilte große Fenster beim Taufstein und die neun bunten Fenster im Altarraum. Pragmatische Entscheidungen und Symbolwirkung Die Gestaltung ist nicht einförmig, sie erfolgt planvoll. Im Schiff reagiert sie auf die nüchterne Rechteckstruktur der Ziegelsteine. Hier werden Geometrie und Organisches verbunden, wobei Letzteres gegenüber der Konstruktion dominiert, denn die Geraden sind dünn und zart gehalten, während die angedeuteten Rundungen sich markant behaupten und zum Oval der oberen kleinen Fenster eine Verbindung schaffen. Da die Fenster der Eberhardskirche so tief gesetzt sind und damit insbesondere zur Straße hin gefährdet sind, wählte die Künstlerin aus statischen Gründen und zum Schutz der Fenster Beton und Dickglas. Bei anderem Material hätte man die Fläche teilen und Steinwurfgitter zum Schutz anbringen müssen, was aber Oberlicht Südseite 59

60 Die Eberhardskirche entsteht ( ) den Lichteinfall zum Nachteil verändert hätte. Die Einheitlichkeit des gesamten Bauwerkes sollte selbst in der Außenansicht merkbar werden, indem der Werkstoff Beton in den Fenstern wiederkehrt. Da wird das ästhetische Streben deutlich. Auch ein praktischer Ansatz in einem Kunstwerk geschieht nicht ohne die inhaltliche Rechtfertigung. Die massiven, in diesem Mosaik Kontur schaffenden Betonverbindungen, sie erinnern ja in der Tat an das Leben in einer Industriegesellschaft, aber als Ornament werden sie einer organischen Form dienstbar gemacht. Geometrie, die zarten, skizzenähnlichen Geraden dagegen stehen für Konstruktion, für das Geistige eines Werkes und werden so zum gerade noch notwendigen Gerüst für das Nichtgegenständliche, für das Licht. Damit erhält die Backsteinstruktur, die auch im weiß übertünchten Mauerwerk noch streng bleibt, ein zartes Pendant in der Glasgestaltung. Urheber der weichen Stimmung und Lichtbrechungen entdecken wir, wenn wir nahe herantreten. Streichen wir über die Glasoberfläche, so können wir die gewellten Unebenheiten tasten; manche Glasstücke sind matt gehalten, in anderen sehen wir Bläschen, die eine weitere Lichtwirkung auslösen. Farbe oder Täuschung? Farblich sind die Fenster unterschiedlich getönt. Pastelle Erdtöne und Blau bis zu Violett gestuft entwickeln sich in den Fenstern an den Längsseiten der Kirche. Das Fenster beim Taufstein ersetzt einen früheren Eingang und ist deshalb größer und viergeteilt. Hier fallen Rottöne auf, leicht übersieht man die Farbentwicklung dieses Gesamtobjektes. Der Prozess beginnt unten mit braun-grünen Mischtönen, nahezu farblosen gräulichen Feldern und wenig Blau. Darauf folgt im zweiten Feld kräftiges Rot-Orange mit grünlichen Zwischenstücken. Im dritten Feld wird das Rot- Orange von Blautönen unterbrochen, und das oberste Feld gibt schließlich dem Blau allen Raum. Dieses Fenster soll das Kirchenschiff mit dem Altarraum verbinden, wo Farbe schließlich ein Fest feiert. Fünf sich ähnelnde Fenster mit einem höheren Blauanteil bilden im Altarraum die Mitte, sie bilden das Zentrum, den Höhepunkt, auf den die ganze Komposition zuläuft, sie werden gesäumt von je einem gelbgrünen Motiv. Gelb-grün nein, grünes Glas ist nicht eingearbeitet, das ist die Außenwirkung, die von Bäumen durch die Lichtbrechung in den Raum kommt. Den äußeren Rahmen bildet schließlich ein dichtes Farbmosaik, das die Hauptfarben samt Zwischentönen versammelt, ebenfalls durch Reflexe endlos angereichert. Dass wir die Mitte als ein selbstverständliches Miteinander von Geist und Leben interpretieren können, wird von der lichten Klammer unterstrichen, die kein sakrales Gold, kein distanzierender Heiligenschein sein soll. In der über Jahrhunderte angewandten Ikonographie steht die Farbe Rot für Feuer, für die Liebe, auch für den Heiligen Geist. Sie ist die Farbe des Lebens. Blau ist die Farbe der Wahrheit, der Transparenz, des Firmaments. Gelb steht für die Ewigkeit, in der christlichen Kunst oft zu Gold gesteigert. Gelb ist auch die Farbe der Synagoge, des Judentums, der alttestamtlichen Wurzel also. Grün ist vordergründig die Farbe der Natur, ikonographisch die Farbe der Auferstehung und der Hoffnung, also neutestamtlich; Grün ist aber in diesen Fenstern als Glasstück gar nicht vorhanden, sondern lediglich eine gewollte Wirkung. Das Organische, das in der Fugenornamentik bewusst gesetzt ist, tritt also im Lichtreflex noch einmal, aber nicht beeinflussbar auf. Wo in den Fenstern Violett auftaucht, die Mischung aus Rot und Blau, würde uns die Ikonografie auf das Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde, Leidenschaft und Verstand, Liebe und Weisheit hinweisen, aber auch 60

61 Die Eberhardskirche entsteht ( ) hier unterliegt das Auge einem Irrtum: Es handelt sich bei dieser Tönung ausschließlich um leichtfarbene Grautöne, die violette Färbung entsteht auch hier durch Reflexe, so erläutert die Künstlerin. Sehen-Lernen: Sichtbare Erscheinungen werden durchlässig auf eine andere Wirklichkeit hin. Wir sind auch eine Möglichkeit. Also nicht absolut und endgültig. Das Farbenspiel lässt sich zurückführen auf die drei Grundfarben Gelb, Rot und Blau. Zufällige Zahlensymbolik Man mag diese neun Fenster im Altarraum als architektonisch notwendig und naheliegend betrachten. Es sei aber doch noch auf die Zahlensymbolik verwiesen, auch wenn die Anordnung sich hier als zufällig ergeben haben sollte. Neun, die Gesamtanzahl der Fenster im Altarraum fällt in der ikonographischen Deutung auf, allerdings etwas unbehaglich. Wohl steht die Neun für die dreifache Dreieinigkeit, für die Zahl der Engelchöre, aber schon bei den manchmal mit der Neun symbolisierten Stufen der Erlösung, dem Himmelsweg der Seele, beschleicht einen ein zwiespältiges Gefühl. Und etwas düster wirken ja auch die äußersten Fenster, welche sieben Fenster einrahmen. Sieben, die heilige Zahl, drei plus vier, Gott und Welt, hier in Farbkombinationen, aber wie oben beschrieben teils gesetzt, teils Schein. Die Zahl Fünf der mittleren Fenster ist nach Pythagoras die vollkommene Zahl des Mikrokosmos Mensch, symbolisiert in den fünf Dreiecken, den fünf Alpha des Pentagramms. Weiter führt die Spur antiker Deutung über den fünfzackigen Stern der Kabbalah zu zahlreichen Stellen im Alten und Neuen Testament, wo die Zahl Fünf eine wichtige Rolle spielt. Denken wir an die fünf Bücher Mose, Davids fünf Kieselsteine, die fünf Brote bei der Speisung der Fünftausend oder die fünf klugen und die fünf törichten Jungfrauen und schließlich die fünf Wundmale des Gekreuzigten. Fünfzig Tage trennen Ostern und Pfingsten und jedes 50. Jahr war im alten Bund als Heiliges Jahr gedacht. Hier bietet sich auch eine Verbindung zum Raum an, denn der Altarraum weist die Andeutung antiker Säulen auf. Kunst einlassen Unabhängig von solchen möglichen Gedanken kann man sich einlassen auf das zart variierende Mosaik, aber der ganze Reiz wird sich nicht erschließen. Außer man bliebe über viele Stunden Zeuge des wandernden Tageslichts und dies bei jeder Witterung. Unendlich würden sich dem Auge die Impressionen gestalten, dessen Träger die Glasfenster sind. Gisela Dreher-Richels setzte sich auch mit der damals noch kurzen Geschichte dieses als Betsaal konzipierten Gebäudes auseinander. Die Künstlerin schrieb in ihrer Erläuterung: Das Material gibt dem Raum ein größeres Gewicht, er wird festlicher und unterscheidet sich so klar vom vorhandenen Gemeindesaal. Nordfenster 61

62 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Mit ihrer Glaskunst strebte sie ein Gesamtkunstwerk an. Immer noch werden nicht alle warm mit ihrer Kirche. Kunst aber will keineswegs nur gefallen, sie soll anregen. Dafür gab Gisela Dreher-Richels Impulse. Verlassen wir die Sicherheit des Vor-gelernten, Vor-gewussten, Ge-wohnten, so kommen uns neue erhellende Einsichten zu. So kann ein überzeugendes Werk entstehen, glaubhaft die Verbindung zur menschlichen Existenz aufnehmen und darum auch die Betrachter berühren. Anmerkungen: 1 Katalog Dreher-Richels 1994, Aufsatz Karl Heinrich Lumpp Tauffenster 62

63 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Grußwort von Gisela Dreher-Richels Liebe Eberhards-Gemeinde! Heute möchte ich Sie alle grüßen und Ihnen ein gelungenes Jubiläumsfest wünschen! Mir ist die Zeit der Arbeit an den Fenstern noch deutlich, und ich habe mir alle Probleme noch einmal, auch an alten Fotos, vergegenwärtigen können. Wer von Ihnen die Situation vor und nach der Renovation erinnert, wird gleich mir sagen können, dass die Situation des Kircheninnenraums von damals gar nicht vergleichbar ist mit der neu entstandenen. Und das, bei geringen Mitteln, forderte allen Beteiligten äußersten Einsatz ab. Die auseinander klaffenden Aussagen von Schiff und Chor hier trockenste Nüchternheit, dort eine gewisse inhaltliche Überfrachtung des dafür zu kleinen Raumanteils standen sich gegensätzlich gegenüber. Es war, als wenn alles nach einer endlichen Vereinigung schriee! Dazu fiel mir eine gemeinsame Gestaltung in Dickglas ein. Damit konnte auch zugleich eine Außenproblematik gelöst werden: Werkstoff Beton am Turm und in den Fensteranteilen als verbindendes Element. Für beide Teile des Kirchenraumes kam nur eine ornamentale Lösung in Frage, auch das im Hinblick auf eine Zusammenführung der Raumanteile. Nicht zuletzt aber, weil eine äußerst knapp berechnete Summe für Fenster, und das bei insgesamt sehr großen Glasflächen, nur zur Verfügung stand. So hieß es hier: Aus allen Mängeln ein Bestes zu machen! Viele Maßgaben schränken zwar ein, reizen aber wiederum, eine gute Lösung zu finden, regen Erfindungsgeist an, und lassen keine Ruhe, bis eine innere Vorstellung entstehen kann. Manchmal werde ich gefragt, warum ich mir unter den darstellenden Kunstformen ausgerechnet das Glas gewählt hätte. Wir kennen sie alle, diese Augenblicke einer Initialzündung, die unser Leben, unsere Einstellung und Arbeit maßgeblich prägen können: Nach dem Ende des Kriegs, nach dem abgeschlossenen Abitur, als ich wieder frei über Zeit verfügen konnte, wollte ich mich bei den Aufräumungsarbeiten (Frankfurt) beteiligen. Wie von ungefähr war ich an eine Glaswerkstatt geraten, bei der die Aufgabe hieß, Überreste des Glases aus den Trümmern zu bergen. Und da als ich aus Schutt und Asche befreite Glasstücke gegen das Sonnenlicht hielt traf mich mein Thema, das mich seither im Leben begleitet hat: Diaphanie, die Durchlässigkeit, das Durchschimmern einer anderen Daseinsebene in unsere irdische hinein! So hatte ich zum Glas gefunden. So fand ich später zum durchlässigen Wort. Diese Arbeit bewegt mich bis heute. Voller Dankbarkeit bin ich, dass ich dieser Aufgabe noch nachkommen kann. Das Licht und das Wort, an diesen beiden für uns Menschen so wichtigen Elementen durfte ich ein Leben lang tätig sein. Januar 2011 Südgang mit Skulptur von Walter Green Gebet (2007) 63

64 Die Eberhardskirche entsteht ( ) Tauffenster Nordseite (Ausschnitt) Das ist DIE FLAMME brannte nicht unser Herz das ist weil ein Auge in allem Wesen sich aufschlägt ist Atemhauch der uns erhält Quelle ein lebendiges Wasser Erde die unsern Fußtritt Zärte lehrt Eine Liebe ist mit der wir verzeihen eine Kraft mit der wir Widerstand werden dem Zagen Böswillen dem Sinnlos dem Vergeblich Das ist wenn in Finsternis einer sagt fürchtet euch nicht (Aus auch heut näher dir als du weißt v. Gisela Dreher-Richels) 64

65 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Johanna Petersmann Pfarrverweser in der neuen Gemeinde Die seelsorgerliche Betreuung verlief in den ersten sieben Jahren für die neue Gemeinde aus verschiedenen Gründen recht wechselhaft und unruhig. Da das Konsistorium für den neuen Seelsorgebezirk nur eine unständige Pfarrverweserstelle genehmigt hatte, teilte sich Stadtpfarrer Otto Meyer als II. Stadtpfarrer der Stiftskirche den Pfarrdienst der Stiftskirche und der Eberhardskirche mit den in kurzen Abständen wechselnden Pfarrverwesern. Die Pfarrfamilie Meyer, die bisher mit fünf Kindern beengt in zwei Zimmern des Erdgeschosses der Neckarhalde 27 untergebracht waren, zog im April 1911 in das fertige Pfarrhaus in der Eugenstraße ein, in dem sogar ein Amtstelefon zur Verfügung stand. Postkarte von Kirche und Pfarrhaus (Poststempel 1913): Notiz eines Theologiestudenten, der zugleich seinen Wehrdienst in der Kaserne ableistete, über die Eberhardskirche, in der wir immer unsern Sonntagsgottesdienst haben. 65

66 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Auf Wunsch der Feldpropstei Stuttgart und der Garnison hielt Meyer als Garnisonspfarrer die monatlichen Militärgottesdienste ab nun zusammen mit den Gemeindegottesdiensten im neuen Betsaal in der Eugenstraße ab; er lag der Kaserne und vielen im neuen Stadtteil wohnenden Regiments - angehörigen am nächsten. Die Pfarrverweser übernahmen schwerpunktmäßig eher die Jugendgottesdienste, die Haus- und Krankenbesuche in den Gemeinden oder in den Kliniken und die wöchentlichen Bibelstunden. Weiter unterstützten sie Meyer beim Religionsunterricht an der höheren Mädchen- und der Oberrealschule (heute Wildermuth- und Keplergymnasium). Auch die Aufgabe der Seelsorge im Untersuchungsgefängnis nahm Meyer von seiner Stiftskirchenzeit mit in seine neue Gemeinde. Die ersten Pfarrverweser an der Eberhardskirche waren Albrecht Schmidt, Dr. Gotthilf Vöhringer, Immanuel Schairer und Samuel Haap. Schon im November 1909 war für den neuen Seelsorgebezirk in der Neckarvorstadt der 29jährige Predigtamtskandidat Albrecht Schmidt ( ) bestellt worden. Ihm wurde im Pfarrbericht bestätigt, dass er es verstanden hatte, auch vor der Einweihung der Eberhardskirche mit der Sammlung der Gemeinde zu beginnen. 1 Er hatte Predigten und Gottesdienste, Haus- und Krankenbesuche in der Gemeinde und in den Kliniken übernommen und hielt wöchentliche Bibelstunden im Ruppschen Saal in der Christophstraße 30 mit etwa meist weiblichen Besuchern. Bei der Einweihung am 26. Februar 1911 übernahm er die Festpredigt und am 2. April 1911 konfirmierte er die ersten 39 Konfirmanden in der neuen Kirche. Als er im November 1911 eine ständige Pfarrei in Simmersfeld übernahm, folgten ihm noch drei Vikare als weitere Pfarrverweser an der Eberhardskirche: Für ein halbes Jahr Dr. Gotthilf Vöhringer ( ), der anschließend einige Jahre in Kamerun und später als Geschäftsführer der Freien Wohlfahrtspflege und der Inneren Mission tätig war. Vom Mai 1912 bis zum November 1913 gastierte der 26jährige Immanuel Schairer ( ) an der Eberhardskirche. Er promovierte nebenbei an der Universität, bevor er 12 Jahre lang die Stadtpfarrei zunächst in Nagold, dann bis 1938 in Hedelfingen versah. Als Landesleiter der Deutschen Christen gab er zeitweilig den Deutschen Sonntag heraus. Er sah sich dem Ganzen des Volks, der Reinhaltung des Blutes in der Rasse verpflichtet und veröffentlichte 1933 ein Buch mit dem Titel Volk - Blut - Gott machte er in seiner Schrift Das Gottesgespenst des Alten Testaments seine generelle Abrechnung mit dem jüdisch- alttestamentlichen Geist; dies ging der Tübinger Evang. Theologischen Fakultät dann doch zu weit. Auch die Hedelfinger Gemeindeglieder hatten sich merklich zurückgezogen. Schairer wurde beurlaubt, 1938 pensioniert und fand Arbeit beim Stuttgarter Wohlfahrtsamt. Nach Kriegsende stufte ihn die zuständige Spruchkammer 1947 als Hauptschuldigen ein; im Deutschen Sonntag und in seinen Schriften hatte er das NS-Regime propagandistisch stark unterstützt und in seinem fanatischen Judenhass begrüßte er etwa im Synagogenbrand 1938 begeistert die längst fällige Vernichtung der jüdischen Kultstätten. Als er 1953 gegenüber Landesbischof Martin Haug seine agressiven Töne im Deutschen Sonntag bedauerte, erhielt er in den letzten zehn Jahren seines Lebens wieder sein volles Ruhegehalt. 2 Als vierter Pfarrverweser folgte noch der 31jährige Samuel Haap ( ), der 1914 seinen Pfarrdienst in Neckartenzlingen antrat. Erst als der Dekan sich beim Konsistorium bitter über den ständigen Wechsel der noch sehr jungen Pfarrver- 66

67 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) weser beschwerte, die den Seelsorgedienst in den beiden Gemeinden verständlicherweise als Sprungbrett auf ständige Pfarrstellen betrachteten, wurde schließlich die Verweserstelle an der Eberhardskirche ab Dezember 1913 in die 4. Tübinger Stadtpfarrstelle umgewandelt. Stadt- und Garnisonspfarrer Otto Ernst Meyer ( ) Obwohl Meyer ( ) genau betrachtet nur vier Jahre bis Mai 1915 hauptamtlich an der Eberhardskirche tätig war, so war er doch schon seit 1906 in Tübingen präsent. Er hat seine Spuren hier hinterlassen, so dass sein Lebensgang etliche Einblicke in die damaligen Tübinger Verhältnisse in Kirche und Stadt und in die vaterländisch-nationale Sichtweise der großen Mehrheit der damaligen Pfarrerschaft geben kann. Otto Meyer stammte aus einem Fabrikantenhaus in Stuttgart-Berg. Er studierte in Tübingen und Halle Theologie und war Vikar in Pfäffingen, ehe er von 1897 bis 1903 sechs Jahre lang als Hilfsprediger an einer deutschen Gemeinde in London und später als Immanuel Schairer und Hermann Streitberger (Pfarrverweser 1917/18) in den Zwanzigerjahren. Sie hatten beide in ihrer Eberhardskirchenzeit ihre späteren Ehefrauen aus dem Hause Böckheler (Eugenstraße 8) kennengelernt. 67

68 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Geistlicher an der deutschen Hofkapelle in Bradford (Yorkshire) diente; sein Schwiegervater Otto Wendt war zu dieser Zeit als Kaufmann in London aktiv. Im Oktober 1902 bat Meyer gesundheitshalber um Rückkehr ins Vaterland, um das feuchte englische Klima mit dem gesünderen heimatlichen zu vertauschen. Er bewarb sich in etlichen württembergischen Gemeinden und wurde 1903 ständiger Pfarrer in Dietersweiler bei Freudenstadt, von wo er sich am in einer Eingabe an den König als Stadt- und Garnisonspfarrer an der Tübinger Stiftskirche bewarb. Seine Erfahrungen, die er in den Jahren in englischen Großstädten sammeln durfte, lägen in Dietersweiler nun brach. Die Tübinger Gemeinde würde mir ihrer Zusammensetzung nach (Weingärtner, Handwerker und Gebildete) einen ganz ähnlichen Boden und Wirksamkeit bieten, wie ich ihn in England hatte und wie er mich so sehr befriedigte. Auch würde ich bestimmter wissenschaftlicher Interessen halber die Nähe einer öffentlichen Bibliothek freudig begrüßen. 3 Der Freudenstädter Dekan unterstützte Meyers Bewerbung, obwohl er ihn gerne in Dietersweiler behalten hätte. Im Januar 1906 konnte Meyer seinen Dienst als Stadt- und Garnisonspfarrer an der Stiftskirche antreten. In der Tübinger Chronik wurde Meyer in seinen Stiftskirchenjahren immer wieder zitiert als rhetorisch begabter Prediger bei Beerdigungen von Regimentsangehörigen, bei Gottesdiensten anlässlich von Geburtstagen des württembergischen Königshauses o.ä. Nicht selten umrahmte eine Militärkapelle die Feier. Auch beim Jünglingsverein hielt Meyer gelegentlich Vorträge. Im Tübinger Pfarrbericht von 1910 wird seine Begabung als Redner hervorgehoben: Seine Stärke liegt in der Predigt, einer im guten Sinn modernen, großzügig und gewandt angelegten Predigt mit angenehmem, kräftigem Vortrag. 4 Eine Randnotiz lässt jedoch auf Meyers Selbstbewusstsein im Umgang mit Vorgesetzten schließen: Meyer findet sich nicht ganz leicht in die Ordnungen der Landeskirche und empfindet sie teilweise als Bevormundung. Im Laufe der Jahre erweiterte sich sein Aufgabenbereich: Er führte das Taufregister der Frauenklinik und das Register der Strafgefangenen; er wurde außerdem Vorstand des Säuglingsheims am Frondsberg, der Industrieschule in der Schulstraße, des Vereins der Herberge zur Heimat und vor allem der 1907 eingeweihten Kleinkinderschule in der Rappstraße 4; dies sollte für den Bau des zweiten städtischen Kindergartens südlich der Eberhardskirche und des Volksgartens von Bedeutung sein. Kindergarten Paulinenstraße Aus dem ausführlichen Zeitungsbericht über die Einweihung des Kindergartens in der Paulinenstraße im November 1912 geht hervor, wie stark sich Meyer hier engagiert hatte und als Vorsitzender des Komitees der Kleinkinderschule auch die Hauptrede hielt war der erste Tübinger Kindergarten in der Rappstraße eingeweiht worden, in dem die Kinderbetreuung in der Hand von drei Großheppacher Schwestern lag. Diese Einrichtung genügte trotz einer weiteren Kinderpflege in privater Hand am Schloss schon längst nicht mehr für die etwa 350 Kinder der Gesamtstadt und lag auch viel zu weit von der sog. Industrievorstadt im Süden entfernt; gerade dieser neue Stadtteil hatte es im Hinblick auf die in der Hauptsache dort wohnende werktätige Bevölkerung besonders nötig. Der Kampf ums tägliche Brot lässt die kleinen Menschenpflanzen dort in den wichtigen frühen Jahren oft ohne Aufsicht und anregende Anleitung. Fräulein Röhm betreute nun schon lange Jahre die Südstadtkinder im angemieteten Saal der Korsettfabrik Rupp in der Christophstraße. Stadtpfarrer Meyer lobte das Entgegenkommen der Stadt, die in schöner, gesunder und 68

69 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) dem Lärm der Straße entrückten Lage ein Grundstück von 8 ar dafür zur Verfügung gestellt hatte und eine Straße bis zum Haus auf städtische Kosten ausbauen ließ. Die Schwestern Schunke hatten einen namhaften Betrag für einen Fonds gestiftet und Pfarrverweser Schmidt hatte an der Eberhardskirche unter Gönnern mit Eifer und Glück für diesen guten Zweck gesammelt. So habe man nicht mit vollen Händen, sondern nur mit vollem Herzen den Bau in Angriff genommen in der Hoffnung, dass, wenn etwas sichtbar geschaffen sei, dann auch die zukünftig nötige Unterstützung nicht ausbleibe. Oberbürgermeister Haußer würdigte den engagierten Einsatz und den gelungenen Bau. Die Industrievorstadt habe eine Kirche und einen Volksgarten und so sei es gut, daß man auch für die kleineren und größeren Kinder Schulen baue. Kinderreigen, Gedichte und Chormusik rundeten die Feier ab. Meyers Interesse an der Jugend dokumentiert sein Antrag im Kirchengemeinderat vom Mai 1913, fürderhin die allsonntäglichen Abendgottesdienste vor allem auf die Jugend auszurichten. Im Pfarrbericht wird Meyer auch bescheinigt, dass er sich durch regelmäßige wissenschaftliche Lektüre auf dem Laufenden hielt. Schließlich nutzte er in dieser Der Kindergartenneubau war mitten im heutigen Volkspark geplant, bevor die Entscheidung für den Standort Paulinenstraße (heute Jugendhaus Paula) fiel. 69

70 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Zeit auch die Nähe zu den Tübinger Bibliotheken und schrieb an einer Doktorarbeit über die Brüder des gemeinsamen Lebens in Württemberg Im Oktober 1913 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität Tübingen. Erst nach fast 3 Jahren, im Januar 1914, genehmigte das Konsistorium auf den Hilferuf von Dekan Hermann Friedrich Faber endlich die volle ständige Stadtpfarrstelle an der Eberhardskirche. Meyer konnte oder wollte aber als Gemeindepfarrer allem Anschein nach nicht richtig Fuß fassen: In seiner Personalakte ist schon in den Jahren zuvor zu lesen, dass er sich vergeblich um die Einrichtung einer Religionslehrerstelle in Tübingen bemühte oder sich sogar mit dem Gedanken trug, sich auf eine freie Schulstelle für Religion und Hebräisch am Karlsgymnasium in Stuttgart zu bewerben. Ein Blick auf die Tübinger Garnisonskirchen Tübingen war seit Fertigstellung der späteren Thiepvalkaserne im Herbst 1875 Garnisonsstadt geworden. Die Kennzeichnend für die Aufbruchsstimmung zu Beginn des I. Weltkriegs ist diese Fotomontage: Blick auf die erbaute neue Kaserne (später Loretto). Im Vordergrund Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag bei der Übung. 70

71 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Pastoration des Füsilierbataillons des 7. Infanterieregiments übernahm damals zunächst der Stadtpfarrer der Stiftskirche, der spätere Dekan Karl August Elsaeßer ( ) für einen jährlichen Lohn von 180 Reichsmark durch das Kriegsministerium bat Dekan Elsaeßer um Entlastung und schlug den 3. Stadtpfarrer Groß an der Spitalkirche als besonders geeignet für diesen Dienst vor, da dieser selbst in der Artillerie gedient hat. Damit bei der Predigt mehr auf die speciellen Bedürfnisse des Soldatenstandes Rücksicht genommen werden könne, waren auf Anregung des damaligen Majors Max von Hügel und auf Wunsch des Bataillonskommandos Tübingen 1897 alle vier Wochen eigene Militärgottesdienste in der Spitalkirche (Jakobuskirche) eingerichtet worden. 6 Von kirchlicher Seite wurde allerdings betont, dass der Zusammenhang zwischen Civilund Militärgemeinde aufrechterhalten werden sollte durch Beteiligung des Militärs am Gottesdienst in der Stiftskirche und dies vor allem an den Festtagen: Geburtstage Kaiser Wilhelms II., des württembergischen Königs Wilhelms II., Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Weihnachten; dafür sollten dem Militär für eine ge- Gottesdienstliche Feier zur 40. Wiederkehr der siegreichen Schlacht von Champigny vor Paris ( ). Die militärischen und zivilen Reihen um die beiden Geistlichen in der Allee sind dicht geschlossen. Links Garnisonspfarrer Otto Meyer, das einzige uns überlieferte Foto des ersten Pfarrers. Postkarte von

72 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) wisse Anzahl von Abordnungen des Bataillons Sitzplätze auf der Stiftskirchenempore freigehalten werden. Am war Otto Meyer als Stadt- und Garnisonspfarrer an der Stiftskirche in sein Amt eingeführt worden. Alle evangelischen Mannschaften, Offiziere und Unteroffiziere mit Familien, auch viele Gäste der Civilgemeinde waren anwesend. Die Predigt über Römer 1,16 (Ich schäme mich des Evangeliums in Christo nicht) war ein warmes persönliches Bekenntnis und Zeugnis von tiefem religiösem Gehalt und machte großen Eindruck, so berichtet die Königliche Evangelische Feldpropstei in Stuttgart ans Konsistorium. 7 Aus einem späteren Schreiben Meyers ans Konsistorium geht hervor, dass seit Juli 1911 die monatlichen Militärgottesdienste in der Eberhardskirche nahe bei der Kaserne beheimatet waren. Sie waren bei den meisten Gemeindegliedern beliebt, weil sie den Gottesdienst durch die Militärmusik und den Gesang eines Soldatenchors belebten. Allerdings gab es auch einzelne Kirchgänger, die an solchen Sonntagen, an denen es in der Eberhardskirche so voll sei, lieber in die Stiftskirche gingen. 8 Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs fanden die Militärgottesdienste ohnedies wieder in der größeren Stiftskirche statt. Erst von Juni 1925 bis zum Juli 1934 diente die Eberhardskirche nochmals als Garnisonskirche. Auch einige Wochen später, als weitere Truppen ausrückten und die allermeisten in nationaler Begeisterung und siegesgewiss in den Kampf zogen, wiederholte Meyer seine Bitte, das Konsistorium ließ ihn dennoch immer noch nicht ziehen: Meyer möge bei aller Wertschätzung des Amtes, das die Feldgeistlichen draußen zu verwalten haben, die schöne und große Aufgabe nicht verkennen..., die in diesen Tagen mehr als je auch dem Pfarramt in der Heimat gestellt ist. 10 Inzwischen waren außer den monatlichen Militärgottesdiensten wöchentliche Kriegsgebetstunden (drei in der Stiftskirche und eine in der Eberhardskirche) eingeführt worden. Die Kirchen waren vor allem anfangs des Krieges überfüllt und Meyer war als starker Prediger gefordert. Ein fast allgemeines heiliges Verlangen nach Gott, ein ungeheucheltes Hinflüchten zu ihm von sonst religiös gleichgültigen Leuten...schien unter den Wehen des Krieges angebrochen. 11 Dennoch drängte es ihn mit 275 anderen württembergischen Pfarrern an die Front, um die kriegsbejahende Stimmung draußen mit Feldgottesdiensten zu unterstützen. Die Fahnen wurden für eine vermeintlich gerechte Sache zur Verteidigung des Vaterlandes geweiht. 12 Zwei seiner Matthäus 28, 20 als Sinnspruch für die Kämpfenden an der Front. August Aufbruchstimmung Schon wenige Tage nach der deutschen Kriegserklärung an Russland, Frankreich und England fand am 6. August 1914 um 17 Uhr auf dem Hof der Kaserne die Einsegnung der ersten ins Feld ziehenden Kompanie statt. Die Regimentsmusik spielte und die Garnisonsgeistlichen hielten ihre Ansprachen. 9 Schon einen Tag später meldete sich Meyer freiwillig beim Konsistorium für den Dienst als Feldprediger, erhielt aber zunächst einen ablehnenden Bescheid. 72

73 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Predigten sind neben anderen aus dem Kreise der Tübinger Theologen in einer Sammlung Kriegspredigten aus dem großen Krieg 1914 und 1915 aufgenommen. Sie spiegeln die deutsch- nationale Sicht der großen Mehrheit im Kaiserreich Wilhelms II., die Verbindung von Gottes- und Vaterlandsliebe. Das konservative Bündnis von Thron und Altar gegen sozialistische und liberale Tendenzen war gerade auch in der Akademiker- und Beamtenstadt Tübingen und in kirchlichen Kreisen geschätzt. Man war überzeugt, von missgünstigen Nachbarn eingekreist zu sein, gegen deren aufgezwungenen Angriff man sich im Krieg zu verteidigen hatte. Gott wurde für die deutsche Sache vereinnahmt: Gott und das Vaterland...beide gehören zusammen und Euer Kriegsdienst ist Gottesdienst, so predigte Meyer im Militärgottesdienst vor dem Ausmarsch von Kriegsfreiwilligen am 20. September Und unter dem Kopf der Tübinger Kirchenzeitung die Doppelnummer Sept./Okt.1923 kostete im Inflationsjahr Mark Motto: Deutsches Volk, Du bist mein! stand eine Predigt zu Jesaja 43,1-2. In einer unter dem Titel Werdet Helden! bei Heckenhauer verlegten Ansprache an die Konfirmanden des Jahrgangs 1915 mahnte Meyer den Geist zäher, eherner Pflichterfüllung als das Tun des Willen Gottes auch auf dem Schlachtfeld an (Matthäus 7, 21): Wer Heldentaten tut, braucht eine höhere Macht, auf die er sich innerlich stützt im Leben und im Sterben. Wenige Wochen vor seiner Einberufung beschwört Meyer hier einen deutschen Glauben, der mit erhobenem Haupt durch eine Welt der Lüge und der Gemeinheit schreitet, voll starker Zuversicht am Siege unserer gerechten Sache. Diese kriegsbegeisterten Ansprachen und Predigten sind für uns heute - in Kenntnis der katastrophalen Folgen und der schuldhaften Verstrickung Deutschlands in die beiden Weltkriege - nur noch historisch nachzuvollziehen

74 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Das Evangelische Gemeindeblatt Tübingen ( ) Meyer hatte seit Mai 1915 auch die lokale Redaktion des Evangelischen Gemeindeblatts übernommen. Gegen die Bedenken von Dekan Faber über die zusätzlich damit verbundene Arbeit hatte sich Meyer zusammen mit Prof. Haering für das neue Gemeindeblatt eingesetzt und war herzlich gerne bereit, den Bericht Aus Tübingen beizutragen; 14 allerdings konnte er dies nur zwei Monate bis zu seiner Einberufung im Juni 1915 tun. Längst erwogen und beabsichtigt, aber doch erst durch den jetzigen Krieg verwirklicht, sei das von der Ev. Gesellschaft in Stuttgart herausgegebene Blatt in erster Linie für die ausmarschierten Feldsoldaten gedacht - so Meyer im Leitartikel der ersten Nummer. Tübingens Studenten stünden mit 77 Prozent Kriegsteilnehmern an zweiter Stelle aller Universitäten und das Kopfbild mit der Ansicht der Stiftskirche und der Neckarfront von der Eberhardsbrücke aus gesehen möge den draußen Kämpfenden die Verbindung zur Heimat symbolisieren. Freilich diene das Blatt auch nach dem hoffentlich bald endenden Krieg als Sammelpunkt und Informationsquelle für die hiesigen Gemeindemitglieder. Das Gemeindeblatt erschien monatlich und begleitete über 25 Jahre in dieser Form die Tübinger Gemeindeglieder; anfangs wurden 950 Stück kostenfrei ins Feld gesandt, 600 wurden in Tübingen gelesen, und mit fortschreitendem Krieg verteilte man noch 500 in den hiesigen Lazaretten, in denen im Laufe des Ersten Weltkrieges fast kranke und verwundete Soldaten zu versorgen waren. Im Zweiten Weltkrieg kurz vor Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion wurde das Gemeindeblatt, das bis zum Mai 1941 als Sprachrohr der Gemeinde und als Verbindungsglied zwischen der Heimat und den Frontkämpfern zweier Weltkriege gedient hatte, auf Anordnung der Reichsschrifttumskammer verboten. Auch die anderen evangelischen Sonntags- und Gemeindeblätter hatten zu verstummen. Begründet wurde dies damit, man müsse sich nun mit allen Kräften auf den Endsieg konzentrieren. Meyer als Geistlicher im Krieg Anfang Juni 1915 wurde Meyer zum Hilfsgeistlichen der 7. Landwehrdivision im Elsaß bestellt. 15 Das Tübinger Dekanat schilderte den nun bestehenden kirchlichen Notstand: Seit Kriegsbeginn sei Stadtpfarrer Demmler von der Jakobuskirche nach langer Krankheit gestorben, vom Repetentenkollegium sei wegen des Kriegseinsatzes kaum einer übrig geblieben und nun werde Meyer abberufen, obwohl inzwischen die geistliche Arbeit mit den Kriegsgebetstunden, der Verwundetenseelsorge, dem Überbringen von Todesnachrichten bei den Angehörigen stark zugenommen habe. 16 Nachricht im Ev. Gemeindeblatt (Juli 1915) über Stadtpfarrer Meyer, nun Feldgeistlicher. Nach seinem Abgang zum Felddienst grüßte Meyer noch einige Male seine Heimatgemeinde und berichtete im Gemeindeblatt von seinem seelsorgerlichen Außendienst an der 25 km langen Linie im Oberelsaß 74

75 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) unmittelbar hinter den Schützengräben. Er hielt täglich mehrere Feldgottesdienste meist in Scheunen, da viele der Dorfkirchen bereits zerstört und die Dörfer verlassen waren. Wenn er auf seinem Pferd von einem Andachtsort zum andern trabte, hatte die Truppe bereits auf einemtisch oder Holzstapel ein Tischtuch ausgebreitet, auf dem ein kleines Kreuz zu stehen kam; auch von Harmoniumklängen und Männerchor ist die Rede, von gemeinsamem Choralgesang und der Begegnung mit Tübingern. Existentieller waren freilich plötzliche Gewehrsalven, das Pfeifen feindlicher Kugeln und Artillerieangriffe, denen man nur mit Gottes Hilfe knapp entkam. Aber es ist ein herrlicher Dienst, den wir hier leisten dürfen, schrieb Meyer im September 1915 seiner Gemeinde. Im Juni 1916 stieg er zum etatmäßigen zweiten Garnisonsgeistlichen in Warschau auf und berichtete von weiten, grimmig kalten Autofahrten zu Gottesdiensten in Polen im Winter 1916/ Meyer starb überraschend mit 47 Jahren am in Tübingen an der Ruhr, die er aus Warschau in den Urlaub mitgebracht hatte. Bei der feierlichen großen Beerdigung auf dem Stadtfriedhof erwiesen das Offizierskorps und eine Kompanie Soldaten ihrem Garnisonspfarrer die letzte Ehre. Der Trauermarsch der Garnisonsmusik und der Gesang des von Meyer gegründeten Kirchenchors der Eberhardskirche unter Leitung von Hauptlehrer Kübler begleiteten die Trauerfeier auf dem Stadtfriedhof. Dekan Hermann Friedrich Faber hielt die Grabrede, in der er ein liebevolles Bild des von so vielen geliebten und verehrten Toten entwarf und der Trauer darüber Ausdruck gab, daß ein Mann mit...so aufrechtem Charakter, mit so reichen Gaben des Geistes und Gemütes...mitten aus erfolgreichem Wirken herausgerissen worden sei. 18 Im Tübinger Gemeindeblatt vom Oktober 1917 skizzierte der Dekan nochmals die Lebensstationen Meyers und die allseitige Anerkennung seines Wirkens in seiner Tübinger Zeit. Mit seiner offenen Geradheit, seiner ungewöhnlichen Rednergabe und seiner herzhaften christlichen Überzeugung fand er gleichermaßen in allen Kreisen unserer Stadt offene und dankbare Aufnahme: bei unseren Universitätslehrern und Studierenden ebenso wie bei unseren Bürgern oder bei seinen Soldaten, denen er mit seiner hohen, stattlichen Gestalt, seinem warmen vaterländischen Empfinden, seiner markigen Stimme der gegebene Soldatenpfarrer war...aber als der Krieg ausbrach, litt es seinen feurigen Geist nicht länger in den gewohnten Verhältnissen. Er wollte als Seelsorger zur Front...Mit seiner Witwe und seinen sechs Kindern trauert unsere ganze Stadt und Diözese an seinem frühen Grabe. 19 Die Familie konnte noch bis Februar 1918 im Pfarrhaus wohnen bleiben, da die bisher in der Gemeinde stellvertretend tätigen Geistlichen noch ohne Familie waren oder anderwärts in der Stadt wohnten. Todesanzeige in der Tübinger Chronik vom Erneut Pfarrverweser ( ) Nach einem dreimonatigen Gastspiel von Oskar Planck sprang der Reformationsgeschichtler Prof. 75

76 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Otto Scheel, ein geborener Schleswig-Holsteiner, ein Jahr lang vom Oktober 1915 bis 1916 als Prediger, Garnisonspfarrer und Seelsorger der mittlerweile in der ganzen Stadt verteilten 1200 Verwundeten ein. Kriegsverletzte lagen im Lazarett in der Kaserne (Thiepval), im Konvikt, im Museum und in der Turnhalle in der Wilhelmstraße, im Derendingia- und Borussenhaus und in etlichen Kliniken. Laut dem Bericht von Dekan Faber zur Stellvertretung für den zum Hilfsgeistlichen bestellten Stadt- und Garnisonspfarrer Meyer 20 weitete sich die Garnisonsarbeit immer weiter aus: Etwa 30 religiöse Ansprachen jährlich waren in den Lazaretten zu halten, die Seelsorge bei den Familien und Frauen der Ausmarschierten und Verwundeten, die Vereidigung der Ersatztruppen, die Garnisonskasualien, die Krüppelfürsorge u.ä. mussten von den wenigen daheimgebliebenen Geistlichen zusätzlich geleistet werden. Vor allem bei diesem Dienst am Krankenbett und bei den Kriegsbetroffenen wurde Scheel von seinen universitären Kollegen, den Frühpredigern Haering, Wurster und Schlatter tatkräftig unterstützt. Auch der junge Repetent Hermann Faber half hier und beim Religionsunterricht an den Schulen. Über Verwundete waren von 1914 bis 1918 in Tübinger Lazaretten zu betreuen 76

77 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Die durch Meyers Weggang verwaiste Redaktion des lokalen Teils des Evang. Gemeindeblatts übernahm zunächst Prof. Paul Wurster. Seit Oktober 1916 arbeitete sich der 27jährige Ernst Gaiser in die umfangreichen Arbeitsfelder des Pfarramts der Eberhardskirche ein, hatte aber mit seinem noch unsicheren Auftreten große Schwierigkeiten im Religionsunterricht, auch mit Mädchenklassen, und verschwand schon Mitte 1917 als Vikar nach Stuttgart. Mit Hermann Streitberger ( ) endlich fand die Gemeinde einen zwar ebenso jungen, aber warmherzigen und engagierten Seelsorger. Hermann Streitberger um 1915 Er berichtet in seinen Lebenserinnerungen von den gut besuchten wöchentlichen Lutherabenden im Jubiläumsjahr 1917 und von dem regen Besuchsdienst in der Gemeinde, der die Gemeinde unter die Kanzel gebracht habe. Zwei Rügen von Dekan Faber werfen ein Licht auf die bittere Not des Krieges: Bei einer adventlichen Festversammlung des Gustav-Adolf-Vereins seien in der Eberhardskirche mehr Kohlen als zulässig verheizt worden und es sei berichtet worden, der Christbaum in der Kirche habe mehr als ein Dutzend Kerzen erstrahlen lassen; dies widerspreche den kirchengemeinderätlichen Verabredungen. Streitberger verteidigte die Vorgänge. Er halte den Konfirmationsgottesdienst aus Erparnisgründen in den Schulen und habe somit etwas Heizmaterial für solche außergewöhnlichen Termine gespart und die Schachtel Kerzen sei nur für die Kinderweihnachtsfeier von Privat gespendet worden. 21 Streitberger verstand es jedenfalls, in wenig mehr als einem Jahr, den Zugang zu den Herzen zu finden, sodass der Kirchgang ein stetes Wachstum zu verzeichnen hatte, was zumal in der jetzigen Zeit, die als eine Zeit der Flucht von der Kirche sich immer mehr fühlbar macht, hoch anzuschlagen ist. So können wir in einem Brief vom lesen, in dem sich über 40 Gemeindeglieder der Eberhardskirche ans Konsistorium in Stuttgart wandten. 22 Nachdem es in den ersten Jahrzehnten an authentischen Hintergrundsberichten oder Erinnerungen über das Gemeindeleben der Eberhardskirche mangelt, 23 so lässt uns diese Eingabe mit ihren eindrucksvollen Unterschriften etwas vom ersten Miteinander in der jungen Gemeinde begreifen. Als die Stadtpfarrstelle im Frühjahr 1918 ausgeschrieben wurde, ergriff der Bankbeamte Ernst Spieth die Initiative und sammelte Unterstützer im ganzen Quartier zwischen Eberhard-, Reutlinger-, Hechinger- und Karlstraße: Kirchenmusiker und Lehrer Karl Kübler, Tapezier Carl Stickel (der spätere Möbelfabrikant), die Fabrikanten Schäfer und 77

78 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) Lumpp, die Bäckerei Peter Klett, etliche Lehrer, Lokomotivführer, Bahngärtner und viele andere unterzeichneten die Eingabe. Spieth und etliche CVJMler fuhren nach Stuttgart, um ihrer Bitte beim Konsistorium Nachdruck zu verleihen. Sie erhofften sich damit endlich eine pastorale Heimat in dieser kargen Zeit, in der auch die Ernährungslage sich spürbar verschlechterte und ein Versorgungschaos herrschte. 1916/17 war der immer länger dauernde Stellungskrieg in Frankreich zum totalen Krieg mit Trommelfeuer, U-Bootkrieg und der Kriegserklärung der USA geworden. Im September 1917 musste auch die Eberhardskirche wegen Rohstoffmangels ihre erst vor wenigen Jahren neu gegossene größere Glocke für Heereszwecke abliefern und einschmelzen lassen. Der Diözesan-Ausschuss Tübingen ließ in den Kirchen verlesen, wie schwer die Gemeinden dieses schmerzliche Opfer treffe, das das Reich nun eben zu Wehr und Waffen braucht, nicht ohne erbittert anzufügen, dass billigermaßen vor den Kirchenglocken die Kupferkessel einge- Glocke der Eberhardskirche, 2.v.l. 78

79 Die Gemeinde in schweren Zeiten ( ) zogen werden sollten, die zur Herstellung berauschender Getränke dienen. 24 Für die bereits am zur Neubesetzung ausgeschriebene Stelle für Predigt und Seelsorge im Bezirk und an der Frauenklinik, Religionsunterricht an den volks- und studienrätlichen Schulen, die Schriftleitung des hiesigen Gemeindeblatts und das Garnisonspfarramt sollte bei dem künftigen Geistlichen auf eine frische, anregende und tatkräftige Persönlichkeit Bedacht genommen werden, die den wachsenden Aufgaben gerade dieser Stelle sich mit kraftvoller Hingebung widmet. Es bewarben sich 24 Pfarrer, der in der Gemeinde beliebte Hermann Streitberger war nicht darunter; er wäre zwar gerne geblieben, hielt aber eine Bewerbung auf eine Stadtpfarrstelle mit seinen 28 Jahren noch für aussichtslos. Er ging im Oktober 1918 als Stadtvikar nach Heilbronn, und kam 1947 nach fast zwanzigjähriger Tätigkeit als Stadtpfarrer an der Marienkirche Reutlingen nochmals für 10 Jahre als Krankenhausseelsorger nach Tübingen zurück. An erster Stelle der Bewerber stand nun Stadtpfarrer Johannes Schneider aus Weil der Stadt. Anmerkungen: 1 Pfarrbericht 1910 LKA A vgl. Rainer Lächele u. Jörg Thierfelder (Hg.): Wir konnten uns nicht entziehen. 30 Porträts zu Kirche und Nationalsozialismus in Württemberg. Stuttgart 1998, S.175ff. 3 Personalakte LKA 4 Pfarrbericht 1910 LKA A S TC v im Dokband 6 KGprot. v LKA A im Dokband 8 LKA A v vgl. Paul Löffler: Zur Geschichte der Garnison Tübingen und ihrer Truppenteile. Typoskript SAT S LKA 1276 v im Dokband 11 vgl. im Rückblick des Pfarrberichts von 1917 LKA A In einer Bilanz des Ev. Gemeindeblatts vom Februar 1919 wird festgestellt, kein Berufsstand habe dem deutschen Vaterland im Krieg mehr blutige Opfer gebracht...als unsere württembergische Geistlichkeit. 13 vgl. im Dokband Meyers Leitartikel zur ersten Nummer des gemeindeblatts und seine Predigten und Betrachtungen: Kriegspredigten aus dem Großen Krieg. Hg. v. Prof. Paul Wurster und in einer posthum von Karl Müller 1918 hg. Schrift (im Stadtarchiv Tübingen); die Konfirmandenansprache Werdet Helden von 1915 ist in der Pfarrreg. der Eberhardskirche erhalten. Vgl. auch Paul Wurster: Licht auf den Weg. Kurze Worte für Feldsoldaten. Stuttgart 1915 Nr. 2 u KGRprot. v Erlass des Konsistoriums mit handschriftlichen Notizen des Dekanats im Dokband 16 LKA A /23 17 Ev. Gemeindeblatt v. 2(1916)2 u. 3(1917)3 im Dokband 18 TC v und Nachruf in: Kirchlicher Anzeiger 1918 im Dokband 19 Ev. Gemeindeblatt Tübingen 3(1917) 10 S.4 im Dokband 20 LKA A /23 21 vgl. Lebenserinnerungen von Hermann Streitberger (Maschinenschrift 88 S. bei Fritz Streitberger, Scheffelstr. 25, Lichtenstein) 22 LKA A /45 im Dokband 23 Als Quellen stehen nur äußere Registerdaten, Berichte im Gemeindeblatt, knappe Protokolle des Gesamtkirchengemeinderats zur Verfügung. Dazuhin offizielle Pfarrberichte, die aber von den Dreißigerjahren bis 1963 verstummen. 24 Ansprache des Diözesan-Ausschusses an die Gemeinden der Diözese Tübingen 1917 im Dokband (Pfarrreg. Eberhardskirche 27a) 79

80 Zwischen den Kriegen ( ) Johanna Petersmann Johannes Schneider ( ) Johannes Georg Schneider ( ) stammte aus einer Bauernfamilie in Brüchlingen bei Gerabronn. 1 Als viertes unter acht Geschwistern musste er nach dem geltenden Hohenloher Erbrecht seinem älteren Bruder den Hof überlassen. Auf elterlichen Wunsch verbrachte er einige Zeit in Waldenburg wegen des Lateinlernens und stellte sich dem sog. Landexamen, um als begabter Stipendiat über die theologischen Seminare in Schöntal und Urach zum Theologiestudium ins Ev. Stift in Tübingen zu kommen. 2 Nach den ersten Stationen des Vikariats in Kusterdingen und Westhausen schienen ihn Zweifel an seiner Berufung zum Prediger umzutreiben; möglicherweise spielte das Studium der liberalen Theologie Ritschls dabei eine gewisse Rolle. Er war zunächst fast Ehepaar Schneider in Weil der Stadt vier Jahre als Hauslehrer in Heidelberg und Hilfslehrer in Heilbronn, Stuttgart und Cannstatt tätig. In Arosa, wo er eine Lungenentzündung auszukurieren hatte, begegnete er seiner späteren Frau Else Kobelt; sie stammte aus großbürgerlichem Milieu in Darmstadt, wo ihr Vater die Leitung des Postwesens innehatte. Nach dem zweiten Dienstexamen 1904 und kurzen unständigen Pfarrdiensten in Holzheim bei Göppingen und Neckarwestheim, folgte dann seine erste Stadtpfarrstelle an der Johannes- Brenz-Kirche in Weil der Stadt. Neben seinem Pfarrdienst betreute er dort eine erste Kirchenrenovierung, bei der wegen Wasserschadens auch zwei Evangelistenbilder seiner Kunst malenden Schwester Sophie Schneider neu geschaffen wurden. 3 Die angeschlagene Gesundheit seiner Frau bereitete immer wieder Sorgen. Er bewarb sich in diesen Jahren landauf landab um etliche Pfarrstellen zwischen Weikersheim und Ravensburg. Sicher spielte nicht nur die Hoffnung auf bessere Wohn- und Luftverhältnisse, sondern auch die Fürsorge für eine höhere Schul- und Ausbildung seiner inzwischen fünf Kinder und die Nähe zur Universität eine Rolle beim Wechsel nach Tübingen. 4 In den Akten werden ihm großer Fleiß und hohe allgemeine theologische Bildung bescheinigt. Von einer Bewerbung in Leonberg wurde eher abgeraten, da Schneider seine Gaben in einer solchen Industriearbeitergemeinde weniger gut entfalten könne. Seine Predigten seien nicht eben volkstümlich, eher gedankenreich und tief schürfend. 5 In Tübingen kam er nun wegen seiner Predigten von nicht gewöhnlicher Anziehungskraft und als gewandter Katechet und anregender Redner auch für weitere Kreise an die erste Stelle der zahlreichen Mitbewerber. 6 In der Eberhardsgemeinde waren nämlich inzwischen 80

81 Zwischen den Kriegen ( ) neben den Gewerbebetrieben viele Wohnungen entstanden nicht nur für Arbeiter, Bahn- und Postbedienstete, Handwerker, Fabrikanten und Garnisonsangehörige, sondern auch für höhere Beamte oder pensionierte Universitätslehrer, die durchaus einen solchen Prediger zu schätzen wüssten. Schneiders Einsetzung ins Pfarramt verzögerte sich wegen der Lungentuberkulose seiner Frau nochmals um einige Monate bis zur Investitur am Schneiders Arbeitsfeld Schneider widmete sich nun mit großem Einsatz seinen Aufgaben als Stadtpfarrer an der Eberhardskirche: Neben drei Sonntagspredigten im Monat und sommerlichen Jugendgottesdiensten hielt er sechs Stunden Religionsunterricht. Weiter standen Taufen, Trauungen und Bestattungen in der inzwischen auf 2600 Glieder angewachsenen Gemeinde an. 7 Dazu kamen bis 1920 noch zwischen 70 und 200 besondere Reden jährlich, darunter die wöchentlichen Kriegsgebetstunden, die sich mit der Zeit zu Lazarett- und Gefallenengedenkstunden entwickelt hatten. Die zu Beginn des Weltkrieges zu beobachtende euphorische Kriegsfrömmigkeit hatte inzwischen stark nachgelassen, als der Stellungskrieg sich immer verlustreicher und bedrohlicher entwickelte. Von Stadtpfarrer Meyer übernahm Schneider den Ausschuss- und Verwaltungsratsvorsitz der Kleinkinderschule. Weiter wurde er mit der Leitung der theologischen Arbeitsgemeinschaft betraut, verwaltete mit nachdrücklichem Einsatz die theologische Lesegesellschaft des Kirchenbezirks 8 und stand der Tübinger Ortsgruppe des Evangelischen Bundes vor, eines deutschlandweit aktiven älteren Bruders des 1919 in Württemberg gegründeten Ev. Volksbunds (s. S. 82). Im April 1920 hatte Schneider außerdem noch die Redaktion des Tübinger Teils des Evangelischen Gemeindeblatts übernommen, dessen Federführung nach Prof. Wurster im Januar 1917 an Dekan Faber weitergereicht worden war. Diese Aufgabe lag ihm besonders am Herzen. Für die 20 Jahre, in denen Schneider als Stadtpfarrer an der Eberhardskirche amtierte, ist das Gemeindeblatt damit eine stete und authentische Quelle und spiegelt ein Stück Tübinger Kirchen- und Pressegeschichte; es beleuchtet nicht nur den Blickwinkel des Pfarrers und das kirchliche Leben in Gemeinde und Stadt, sondern auch die politischen Themen und Konflikte der Weimarer Zeit und später die einschneidenden politischen Veränderungen in den Dreißigerjahren. Auch wenn es im Tübinger Teil überwiegend spröde bei der Bekanntgabe von Gottesdienst- und Vortragsterminen, von Kasualien, Konfirmandenlisten und aktueller Berichterstattung über einzelne kirchliche Veranstaltungen blieb, so lassen sich doch - bei allem Bemühen um Neutralität - die subjektive Sichtweise und der Standpunkt der Beteiligten, insbesondere des hauptverantwortlichen Pfarrers Schneider nicht verleugnen. Der berührende Nachruf auf den 1921 in Bebenhausen gestorbenen und aufgebahrten württembergischen König ist solch ein Beispiel. 9 Das Arbeitspensum Schneiders war beeindruckend, zumal seine Frau während ihrer Tübinger Zeit sehr krank war und seine fünf Kinder im Alter von 2 bis 13 Jahren das Pfarrhaus mit Leben erfüllten. Auf dringendes Anraten des Arztes beantragte Schneider im Oktober den Bau einer offenen Veranda auf der Südseite des Pfarrhauses auf eigene Kosten. Stadtbaumeister Haug vertrat seine Pläne im Kirchengemeinderat und sprach von einer guten Wertsteigerung des Hauses, sodass letztlich doch die Kirchenpflege die Kosten dafür übernahm. 10 Als Frau Schneider im Frühjahr 1926 starb, bedankte sich Schneider im Gemeindeblatt auch an dieser Stelle für alle Teilnahme 81

82 Zwischen den Kriegen ( ) zum Tod meiner geliebten Frau, der Mutter meiner fünf Kinder 11 und schrieb von ihren sieben hiesigen Leidensjahren. Sie war erst 46 Jahre alt. Nachruf auf die Gattin Stadtpfarrer Schneider 1927 In der Zeit der Weimarer Republik Wenige Tage vor dem Ende des Ersten Weltkriegs mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands im November 1918 und wenige Monate vor dem Abschluss des Schandfriedens von Versailles im Juni 1919 hatte Schneider sein Amt angetreten. Mit der großen Mehrheit von rund 80% der evangelischen Pfarrer Württembergs war er erschüttert über die unerwartete Ausrufung der Republik und die Abdankung des vielgeliebten Bürgerkönigs Wilhelms II., der als Landesherr und - bischof die personelle Verbindung von Thron und Altar, von Landeskirche und Militär verkörperte; statt der königlichen Hausfahne flatterte nun für einige Monate auch die rote Fahne am Stuttgarter Wilhelmspalais und an den Tübinger Kasernen. Ein im November 1918 gebildeter Soldatenrat kümmerte sich um die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, regulierte die Lebensmittelversorgung und organisierte die Bewachung eingezogener Waffen und Munition im Patronenhaus im Wankheimer Täle. Im Zuge der Demobilisierung des Heeres wurde der Tübinger Soldatenrat bereits im April 1919 aufgelöst. 12 Die traditionell im Deutschen Reich eher als kirchenfern einzustufende Sozialdemokratie erstarkte zunächst unter Friedrich Ebert als Reichskanzler bzw. - präsident (seit 1919). Die Trennung von Kirche und Staat rückte ins Blickfeld und die Kirchenverfassung war neu zu fassen. Im Vertrag von Versailles war das deutsche Heer auf Mann begrenzt und das Tübinger 180ger- Regiment Mitte 1919 abgebaut worden. Die Thiepvalkaserne leerte sich. Um der herrschenden Wohnungsnot in der Stadt abzuhelfen, gelang es der Stadt, in der Kaserne 47 große Familienwohnungen einzubauen. Ehemalige Unteroffiziere und Handwerker, Kaufleute, Beamte u.a. mit ihren Familien fanden hier 82

83 Zwischen den Kriegen ( ) bis ins Jahr 1934 günstigen Wohnraum. Das württembergische Heeresabwicklungsamt kündigte zum allen Zivilgeistlichen an den Garnisonspfarrämtern die Seelsorge beim Heer auf. Schneider hielt nun wieder wöchentlich Bibelstunden und Kindergottesdienste. Im Gemeindeblatt bat er um Mitteilung, wo Krankenbesuch oder seelsorgerliche Hilfe gewünscht wäre. In der ersten Nummer des Evangelischen Gemeindeblatts schilderte Schneider die über unser Vaterland hereingebrochene Teuerung. Die Ausgaben der hiesigen Kinderkrippe in der Schulstraße für Licht, Heizung, Nahrungsmittel, Wäsche, Löhne waren z.b. derart gestiegen, dass die Stadt den Abmangel nicht mehr tragen konnte; die Schließung erschien unausweichlich. Schon im Dezember 1917 hatte das Gemeindeblatt angemahnt, die städtische Kohlenversorgungsstelle möge die Kirchen nicht schlechter mit Brennstoff ausstatten als die Aufführungen im Museum oder im Lichtspielhaus. In der gesteigerten Notzeit der Nachkriegsjahre wurde 1922 um private Spenden gebeten, um die Kindergärten Rapp- und Paulinenstraße geöffnet halten zu können. Gasmangel, Kohlennot und die allgemeine Teuerung stiegen im Winter ins Unermessliche, so dass Hunger und Frost die Lebensumstände sehr erschwerten. Der Gottesdienst wurde wegen der grimmen Kälte auf 45 Minuten reduziert, wobei es der Eberhardsgemeinde freigestellt blieb, wie sie den Kohlenvorrat auf Predigt oder Bibelstunden zu verteilen gedachte. Die Telefone der Pfarrämter wurden abgestellt. Im Garten des Pfarrhauses in der Eugenstraße grasten in dieser Zeit Hühner und auch ein Schwein soll der Hohenloher Bauernsohn Schneider nun dort gehalten haben. Die Kosten des Gemeindeblatts, die anfangs nur 80 Pfennige im Jahr betrugen, erhöhten sich 1922 auf 6 Mark, wofür sich Schneider noch wortreich bei seinen Lesern entschuldigte und in Anspielung auf die auf Deutschland lastenden Reparationen um europäische Vernunft flehte. Mit der Doppelnummer 9/10(1923) war in der Zeit des Ruhrkampfs der Höhepunkt der Inflation erreicht, als für das Gemeindeblatt unfassliche Papiermark zu bezahlen waren. Schon die nächste Doppelnummer kostete im November 1923 nach der Rentenmarksreform nur noch 7 Goldpfennige, ab 1925 dann pro Vierteljahr 50 bis 60 Pfennige bis zum Erscheinungsverbot Neuorientierung der Kirche Suche nach Selbstverständnis Hauptthema aus kirchlicher Sicht war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat, nachdem die Jahrhunderte lange Verbindung von Thron und Altar aufgehoben war. Wir reden und schreiben, hören und lesen gegenwärtig viel von Volkskirche und lebendiger Gemeinde. Schneider forderte die Leser gleich in seiner ersten Gemeindeblattsnummer auf, sich mit dieser für die Kirche wichtigen Verfassungsänderung auseinanderzusetzen und sich rege an der Diskussion zu beteiligen. Zu Vorträgen lud vor allem der im Juni 1919 in Stuttgart gegründete württembergische Evangelische Volksbund ein, dem 1922 schon über Mitglieder in 738 Ortsvereinen im Land, davon die Hälfte Frauen, angehörten. Die Tübinger Ortsgruppe hatte sich im September 1919 im Hirsch konstituiert und konnte im Dezember bereits Tübinger Mitglieder aufweisen. Der starke Zuwachs an Mitgliedern war darauf zurückzuführen, dass die nicht mehr vom christlichen Staat beschützte evangelische Kirche sich verunsichert auf sich selbst gestellt sah und in einer Zeit der fortschreitenden Säkularisierung des öffentlichen Lebens 83

84 Zwischen den Kriegen ( ) Südstadtplan

85 Zwischen den Kriegen ( ) einen Verbund aller Evangelisch-kirchlich Interessierten anpeilte: Mobilisierung aller Gemeindeglieder für eine lebendige Volkskirche, starkes Engagement in allen sozialen Bereichen von der Ausbildung von Hausschwestern, Besuchskreisen bei Kranken, Alten und Neuzugezogenen bis zur Müttererholung und Intensivierung des Gemeindelebens angesichts der zunehmenden Konkurrenz alternativer Weltanschauungen von Freidenkern, Sektierern, Gottlosen und erstarkter SPD, die im allgemeinen als kirchenfern galt. 13 Weitere Schwerpunkte bildeten die evangelische Bekenntnisschule, die Abgrenzung gegenüber der katholischen Kirche und die Abwehr ihrer ultramontanen Gegenreformation. Schneider machte sich gegen die Einheitsschule stark, wo doch evangelisch und katholisch Wurzelunterschiede sind. 14 Der Aufruf Herein in den Evangelischen Volksbund erschien im August 1919 im Ev. Gemeindeblatt und die Stadtgeistlichen nahmen Beiträge und Spenden für den Bund gerne entgegen. In den folgenden Jahren war der Ev. Volksbund in Tübingen und im Schneiderschen Gemeindeblatt überaus präsent mit Berichten von Vorträgen, Lutherfeiern, Frauenarbeitsgruppen, Reise- oder Missionsberichten, Unterhaltungsabenden im Hirsch oder im Museum. Ein lebhaftes Bild zeichnen die Berichte Im Vordergrund Leichenhaus und Lazarett der späteren Lorettokaserne mit der damaligen Kleinkinderschule in der Paulinenstraße und der von den Bäumen des Volksparks umgrünten Eberhardskirche. 85

86 Zwischen den Kriegen ( ) von sommerlichen Festen am Heuberger Tor oder im Salzgarten, auf der Wiese hinter dem Gaswerk, wo neben Sachinformationen und launigen Reden musikalische Beiträge von Posaunenquartett, Jungmännerund Jungfrauenchor, Kinderchor und Gemeindegesang samt Spielen oder Reigen geboten wurden. Ein gutes Jahrzehnt später - kurz nach der Machtübernahme startete das NS-Regime Angriffe auf den Ev. Volksbund; sein damaliger Leiter August Springer, der den religiösen Sozialisten nahe stand und dem die Arbeiterbildung am Herzen lag, wurde entlassen und der Volksbund als freier Bund im Januar 1934 verboten. Trotz alledem wirkten im Evangelischen Gemeindedienst Mitglieder des Bundes an der Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft weiter und organisierten Bibelwochen, Erholungsmöglichkeiten für Bedürftige, Gemeinde- und Familienhilfen, Armenfürsorge u.a.m. Das Stuttgarter Büro konnte sich noch bis 1938 als Informationsbörse für die Gemeinden oder die Kirchlich-Theologischen Arbeitskreise halten. In einem Staatsgesetz vom April 1924 wurden die in Württemberg seit der Reformation gültigen engen Beziehungen zwischen Staat und Kirche gelockert. Zwar gingen die Pflichten des Staates zu den finanziellen Leistungen für die Kirche weiter, aber die Kirche erhielt durch Selbstverwaltung mehr Bewegungsfreiheit und orientierte sich insofern neu. Ein vom Staat unabhängiger Kirchenpräsident wurde gewählt, der im Zuge der Reichskirchenbewegung von 1933 den Titel Landesbischof zu führen hatte. Schon seit Mitte 1920 waren die Lehrer nicht mehr zur Orgelbegleitung des Gottesdienstes in den Gemeinden verpflichtet, womit eine Ausbildung der künftigen Geistlichen im Orgelspiel angezeigt war; die neuerrichtete Stelle eines Leiters des Chores und des Orchesters am Ev. Stift übernahm der bisherige Knittlinger Stadtpfarrer und Kirchenmusiker Richard Gölz, der zugleich auch Stiftskirchenorganist wurde und damit den Grundstein für den hohen Stellenwert der Tübinger Kirchenmusik legte; er bot im Anschluss an die Gottesdienste immer wieder Singstunden an, um den Gemeindegesang aus der Lahmheit und Geistlosigkeit, womit viele ihre Verse heruntersingen, herauszuheben. 15 Um das bisher von Stadtmusikern besorgte Turmblasen von der Stiftskirche kümmerte sich seit Mai 1922 der neu erstarkte Christliche Verein Junger Männer (CVJM). Vorbild Martin Luther Schon in der zweiten Kriegshälfte, als die zahlen- und materialmäßige Überlegenheit des feindlichen Lagers immer deutlicher wurde und vollends mit der Vierhundertjahrfeier der Reformation 1917 hatte man sich besonders im Stuttgarter Mantelteil des Ev. Gemeindeblatts, aber auch auf den Tübinger Seiten immer wieder auf Martin Luther berufen. Lutherworte und die sechs Festvorträge der Tübinger Theologenschaft beschworen ihn als Mann des Glaubens und der Zuversicht, bezeugten seinen Mut und Kampfgeist, sein Gottvertrauen und seine Unerschütterlichkeit auch in größter Not. In der Novembernummer des Stuttgarter Teils des Gemeindeblatts 1917 erschien ein zehnstrophiges Gedicht auf Luther von E. Goes, das Luther in der damaligen Diktion vereinnahmt: Martin Luther, Mann von Erz, Geist aus Gottes Geist geboren, in dir hat das deutsche Herz seinen Helden sich erkoren. Wenn es je vergäße dein, müßt`s von Gott vergessen sein.... Deine Glaubenszuversicht kindlich, trotzig und verwegen, die den Teufel fürchtet nicht, spende uns den Waffensegen: daß wir in dem schwersten Strauß ohne Wanken halten aus. 86

87 Zwischen den Kriegen ( ) Darauf geben wir die Hand, die an deinem Werk sich laben, daß dein Land, das deutsche Land, sollen nicht die Feinde haben. Aber auch die Seele nicht: Gott bleibt unser Halt und Licht. Die Rückbesinnung auf Luther hielt auch in der Nachkriegszeit an; nun diente Luther im neugegründeten Ev. Volksbund bei den Lutherfeiern als Vorbild für das tägliche Durchhalten in der bedrückenden Not- und Teuerungszeit der beginnenden Zwanzigerjahre. Sie waren bis 1932 alljährlich in dem billigen und stimmungsvollen Raum der Eberhardskirche beheimatet und fanden durchgehend regen Zuspruch. 16 Um einen Hauptvortrag zu Luthers Leben und Werk rankten sich meist Lutherlieder, die von der Gemeinde gesungen oder vom Chor der Eberhardskirche zunächst unter Leitung von Chorleiter Karl Kübler, ab November 1926 von Oberlehrer Friedrich Bauschert musikalisch gestaltet wurden. Im November 1927 hielt den Hauptvortrag Repetent Paul Schempp vom Ev. Stift über Luther und die Deutschen. Obwohl der Vortrag vom Titel her sich in die Festreferate der vorhergehenden und dann vor allem der späteren Jahre über Luther als kämpferischen Deutschen einordnete, wich Schempps Vortrag von denen der anderen Festredner merklich ab: Er stellte das Christentum Luthers weit vor sein Deutschtum, das sich vor allem durch sein Bemühen um die deutsche Sprache und die deutsche Schule definierte. Der Eberhardskirchenchor unter Bauschert sang Ein feste Burg und die Reichswehr umrahmte mit einem Streichquartett von Mendelssohn die Feier - undenkbar in der späteren nationalsozialistischen Zeit. 17 Ab 1932 wurde die Lutherfeier in den größeren und zentraler liegenden Schillersaal des Museums verlegt und im Jahr der Machtergreifung 1933 berichtete dann Schneider im Gemeindeblatt von einer überreichen Folge von Lutherfeiern am gleichen Tag, beginnend mit einer Kundgebung der evangelischen Jugend auf dem Marktplatz, einer Lutherfeier der Universität mit einem Vortrag des Kirchenhistorikers Hanns Rückert über Luther als Deutschen und der bisherigen Lutherfeier in der Stiftskirche, bei der sich als Festredner die Professoren Heim, Rapp und Stadtpfarrer Kull von der Spitalkirche ablösten. Schneider beklagte, dass die drei Festredner in der vollen Stiftskirche teilweise schlecht verständlich waren und dadurch und durch die Länge der Feier die Zuhörer schließlich überfordert wurden. Schneider bedauerte weiter die stattdessen leere Spital- und Eberhardskirche, bemühte sich freilich, alle menschlichen Regungen des Neids zu unterdrücken. 18 Man hatte sich an diesem Luthertag an das starke Angebot der nun üblichen großen Kundgebungen, Aufmärsche und Gedenkfeiern der nationalsozialistischen Bewegung angeglichen. Nur die Lautsprecher fehlten in diesem Jahre noch. Wärmstens begrüßt wurde die Reichswehr, als sie im Juni 1925 erneut einmal im Monat regelmäßig an den Gottesdiensten der Eberhardskirche teilnahm: Wir freuen uns als Freunde der Kirche und des Militärs, daß wieder eine lebendigere Verknüpfung des Soldaten mit seiner Kirche erstrebt wird...die gegenwärtige Zentralleitung der Reichswehr legt großen Wert darauf, weil sie die unersetzliche Bedeutung der religiös-sittlichen Kräfte für den soldatischen Gedanken...erkannt hat. So begrüßte Schneider die nun wieder ermöglichte Zusammenarbeit mit der Garnison, die seit 1920 aufgekündigt worden war. 19 Das Orchester begleitete die Choräle der Gemeinde mit Instrumenten, oder bereicherte Liturgie und Predigt mit Streichquartett und Solisten. Zweite Pfarrstelle in der Gemeinde Gastprediger ( ) Im Februar 1921 genehmigte das Konsistorium überraschenderweise eine weitere Stadtpfarrstelle, die vor 87

88 Zwischen den Kriegen ( ) allem den Professor für praktische Theologie an der Predigeranstalt und in Fragen der Religionspädagogik unterstützen sollte. Nebenbei sollte der Geistliche sich an der Seelsorge an den Kliniken und schließlich am Predigtdienst an der Eberhardskirche beteiligen und daher als II. Pfarrstelle an der Eberhardskirche ausgewiesen sein. 20 Der Kirchengemeinderat kritisierte in einer heftigen Aussprache am , an der neben Oberbürgermeister Haußer auch Prof. Wurster und der 2. Stadtpfarrer an der Stiftskirche Theodor Schlatter, der 1914 dort Otto Meyer gefolgt war, die Entscheidung des Konsistoriums. Es sei unbegreiflich, ohne Fühlung mit dem Kirchengemeinderat eine neue Stadtpfarrstelle zu errichten, die im übrigen eher an der Spitalkirche angebracht sei. Diese Lösung nehme Stadtpfarrer Schlatter die einzige Vormittagspredigt und dazuhin sei die Vermehrung der Prediger in keiner Weise ein Bedürfnis, ein Gemeindehelfer und Jugendhelfer dagegen werde schmerzlich vermisst. Das Konsistorium verwies in seiner Antwort vom darauf, dass im Zentrum der neuen Stelle die Berufsausbildung für Theologiestudenten, die Mitarbeit an der Predigeranstalt und die wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Religionspädagogik liege. Nur wenige Sonntagspredigten solle der neue Stelleninhaber halten. Auf die Bitte um Unterstützung in der Jugendarbeit ging die Behörde nicht ein. Für die Stelle wurde Repetent Hermann Faber vorgeschlagen, der schon Anfang Juni 1921 zum zweiten Stadtpfarrer der Eberhardskirche ernannt wurde. Von acht Sonntagspredigten wurden nun 5 von Stadtpfarrer Schneider, wie bisher zwei von Theodor Schlatter und eine vom neuen 2. Stadtpfarrer Hermann Faber gehalten. Damit wissen wir heute, welche damals noch jungen Prediger, die später als Landesbischof, Stiftsephorus, an der Stiftskirche oder an der Universität an verantwortlicher Stelle das religiöse Leben Tübingens mitprägten, bis zur Machtergreifung 1933 in regelmäßigen Abständen von der Kanzel aus das Gemeindeleben der Eberhardskirche mitgestalteten: Nach Hermann Faber (Professor f. prakt. Theologie und Frühprediger 1923/46 und 1949/56) folgten ab Karl Fezer (Stiftsephorus 1930/56, Prof. für praktische Theologie und Frühprediger1929/59, Rektor der Universität /3.1935) ab Martin Haug (später Prälat in Stuttgart und Landesbischof 1948/62) ab Pfarrverweser Otto Kübler (später weltweitgespannte Aufgaben in Java, Berlin, Madrid, ab den Fünfzigerjahren Geschäftsführer Gustav-Adolf- Werk, Lehrer in Ulm und Markgröningen) ab Pfarrverweser Herbert Keller (2. Pfarrer an der Stiftskirche 1935/46, Landesgeschäftsführer der Inneren Mission in Tübingen 1950) ab Pfarrverweser Hans Rücker (Assistent v. Prof. Faber, später Pfarrer in Löwenstein, Schwäbisch Hall und Ebersbach) Kirchenheizung In den Jahren von 1924 bis 1929 stabilisierte sich die wirtschaftliche Situation. Die Eberhardsgemeinde machte sich für eine neue Heizung stark. Der Winter 1928 war kalt und die Klagen über die mangelhafte Heizung mit den vier ursprünglichen Kohleöfen von1910 rissen nicht ab. Die Öfen seien ungenügend für den großen Raum, zumal die beiden unter der Empore stehenden Öfen ihre Wärme nicht genügend vortreiben könnten. Der Raum lasse außerdem durch seine unverputzten Wände viel Kälte durch und die großen Fensterflächen täten das Übrige. Am Christfest habe man vom frühen Nachmittag des Vortages an ständig und kräftig geheizt...und doch nur etwa 4 Grad Wärme erreicht, obwohl dem Festtag zuliebe extra nicht mit Gaskoks, sondern mit reinem Anthrazit gefeuert worden war. 88

89 Zwischen den Kriegen ( ) Man blickte mit Neid auf die beiden Stadtkirchen, die mit Dampfheizung (Stiftskirche) bzw. mit Gasheizung (Spitalkirche) ausgestattet waren. Schneider zeigte sich guten Mutes, dass der Kirchengemeinderat die Eberhardskirche hinter den beiden älteren Schwestern, die sowieso schon manches voraushaben durch ihre zentrale Lage, durch ihr langes Verwachsensein mit der Gemeinde, durch ihr kirchenmäßigeres Aussehen...nicht zurücksetzen wird. 21 Eine Unterschriftensammlung in der Gemeinde tat das Ihrige. Schneider zog Erkundigungen in anderen Gemeinden ein oder besichtigte mit einzelnen Gemeindegliedern die Kirchen, die schon über 10 Jahre gute Erfahrungen mit einer elektrischen Fußschemelheizung gemacht hatten. Statt der bisherigen Fußbänke sollten flächige Heizbänke unter einem Lattenrost erwärmt werden, sodass die frierenden Gottesdienstbesucher ihre Füße sozusagen in der ganzen Kirche am Feuer haben. Dies sei die Heizung der Zukunft, auch wenn der Strom teuer sei. In Ravensburg kostete ein Gottesdienst zwischen 10-20, im kleinen Betzweiler nur 4-5 Reichsmark. 22 Im Gemeindeblatt verteidigte Schneider diese Mehrkosten: wenn die Vorteile überwögen und dem kirchlichen Leben zugutekämen, dann dürfte die Geldfrage nicht mehr die Entscheidung geben. Oberbürgermeister Scheef und Betriebsleiter Henig von den Stadtwerken unterstützten in ihren Stellungnahmen diese Lösung und der Kirchengemeinderat bewilligte mehrheitlich den RM für die gewünschte Heizung der Volta-Werke. In dieser Zeit baute die Stadt das neue Kraftwerk an der Rappenberghalde und freute sich über jeden neuen zuverlässigen Kunden, der das Kraftwerk mit auslasten half. Sie stellte daher nach Fertigstellung des Kraftwerks 1929 eine Verbilligung des Preises von 10 auf 8 Pfennige/kWh in Aussicht. Das Christfest 1928 konnten die zahlreichen Gottesdienstbesucher mit warmen Füßen in der Kirche feiern. Überkonfessionelle Totenfeiern Der Säkularisierungsprozess schritt trotz aller Bemühungen der Kirche weiter voran. Insbesondere die Weingärtner, Männer und Frauen, und 90% der Universitätslehrer gehen fast nie zur Kirche, ebenso der überwiegende Teil der Industriearbeiter...Die monatlichen Gottesdienste der Reichswehr in der Eberhardskirche werden gut besucht (kommandiert). So stand es im Pfarrbericht von Immerhin berichtete Schneider im Gemeindeblatt von einer ersten interkonfessionellen Feier von Katholiken und Protestanten: Am wurden zum ersten Mal am Totensonntag auf dem Stadtfriedhof Katholiken und Protestanten zu einer großen gemeinsamen Friedhoffeier gerufen. 24 Da die Kirchenchöre, die Reichswehrkapelle und auch die Angehörigen der Toten und deren Kameraden nur schlecht zweimal gebeten werden konnten, wurde nun ein beeindruckender Gedenkgottesdienst mit Ansprachen zweier Geistlicher der beiden Konfessionen und mit Musik und Gesang des Uhland/Silcherlieds Der gute Kamerad gestaltet. Heldenmut und Opferbereitschaft der Gefallenen wurden als das Vermächtnis der Toten für die Überlebenden beschworen. Der Kampf für ein besseres deutsches Vaterland und eine wahre Volksgemeinschaft sollte nicht aus den Augen verloren werden. Hindenburg - seit 1925 Nachfolger des Sozialdemokraten Ebert als Reichspräsident - verkörperte das Ideal protestantischer Frömmigkeit, soldatischer Pflichterfüllung und starker Staatsautorität. Als er im September 1934 starb, läuteten nicht nur in der Eberhardskirche in Tübingen alle Glocken eine ganze Woche lang allabendlich von 20 bis 21h. In Generalleutnant Freiherr Max von Hügel ( ), dem ältesten Offizier Schwabens, erlebten die Tübinger von 1909 bis 1939 sozusagen ihren eigenen Hindenburg. Er hatte schon im Siebzigerkrieg in 89

90 Zwischen den Kriegen ( ) vorderster Front bei Sedan gekämpft, an der Belagerung von Paris teilgenommen, kam 1901 zu den 180gern in die Kaserne und entschied sich nach seiner Kommandantur auf dem Münsinger Truppenübungsplatz als Ruheständler für Tübingen. Im Ersten Weltkrieg stellte er sich nochmals als Kommandeur zur Verfügung. der die ersten Sozialwohnungen in der Paulinen- und damaligen Hügelstraße gefördert hat und dessen Büste in der heutigen Ebertstraße auf den Volkspark blickt. Nach Karl von Hügel ist auch die Hügelschule und nach seiner wohltätigen Frau Helene von Hügel 1968 ein Kindergarten auf der Wanne und die Kinderkrippe im Carlo-Steebhaus benannt. Pfarrer Schneider schrieb von großer Sympathie getragene Berichte zu den runden Geburtstagen General Tübinger Kirchengemeinderat 1925 (Ev. Gemeindeblatt 11(1925)4). Bei der Wahl 1931 kamen Landrat Julius Gös, Weingärtner Zacharias Krauß und Forstmeister Karl Rau dazu. General Max von Hügel Er stammte aus einer alten Soldatenfamilie, die zahlreiche schneidige Generäle...in der Württembergischen Armee aufzuweisen hat. Er war damals der populärste Mann Tübingens und Stimmenkönig bei den Kirchengemeinderatswahlen. 25 Der General Hügel ist höchstens fern verwandt mit Landgerichtsdirektor Karl von Hügel ( ), 90

91 Zwischen den Kriegen ( ) Hügels im Gemeindeblatt. 26 Er lobte ihn als warmherzigen und hilfsbereiten Mitmenschen, als treuen Gottesdienstbesucher und aktiven Kirchengemeinderat (seit 1913), als bestbewährten Vertreter der alten Armee, dem die Erziehung der Jugend im vaterländischen Sinn vor allem in der von ihm geführten Tübinger Ortsgruppe Jungdeutschland am Herzen lag. 27 Am Totensonntag lenkte der groß gewachsene Freiherr mit seiner segensreich ordnenden Hand auf dem Friedhof generalstabmäßig die zusammenströmende Masse und ermöglichte damit einen ungestörten Verlauf der Feier. Er wählte sich im letzten Jahrzehnt seines Lebens als Wohnsitz die Südstadt zunächst in der Eugenstraße 7, zuletzt in der Hechingerstraße 12 also in der Nähe der Garnison und der monatlichen Militärgottesdienste in der Eberhardskirche. Als er 88jährig am 1. Februar 1939 starb, bot die Garnison beim feierlichen Beisetzungszeremoniell alles auf, was sie konnte: Stadt- und Garnisonspfarrer Schaal hielt die Predigt, zahlreiche Nachrufe schlossen sich an und Kultusminister Mergenthaler ließ einen prächtigen Lorbeerkranz mit großen Schleifen niederlegen. 28 Im Nachruf betonte der Redakteur der Tübinger Chronik Hügels deutschnationale Haltung: Daß er den Aufstieg des Vaterlandes zu neuer Macht und Größe durch Adolf Hitler erleben durfte, war ihm eine ganz besondere Genugtuung und Freude. 29 Weltwirtschaftskrise und Machtergreifung Die Weltwirtschaftskrise 1929 mobilisierte erneut die Angst vor der Inflation und die Arbeitslosenzahlen stiegen. Politische Auseinandersetzungen nahmen zu. Die Reichstagswahlen im September 1930 beschleunigten den Zerfall der liberalen Mitte. Die NSDAP stieg auch in Tübingen auf fast14 und bei den Kommunalwahlen im Dezember 1931 auf über 23 Prozent an. Viele Protestanten begrüßten die nationalen und sozialen Ziele der Bewegung und erhofften sich die Bejahung der kirchlichen Arbeit, die Abkehr von materialistischem Genussdenken, vom Kulturbolschewismus oder liberalistischem Freidenkertum. So waren sie bereit, an der Erneuerung des Volkslebens mitzuarbeiten. Auch im Evang. Gemeindeblatt bekundete Landesbischof Wurm die Verbundenheit der evangelischen Kirche mit dem neuen NS-Staat und Stadtpfarrer Schneider schrieb im Tübinger Teil: An der vaterländischen Erhebung der letzten Wochen und Monate mit ihrem wunderbaren Höhepunkte des 21. März mit der Feier in der Garnisonskirche in Potsdam und der Eröffnung des Reichstags in der Krolloper in Berlin darf auch das kirchliche Gemeindeblatt nicht vorübergehen. Von der Parteipolitik halten wir uns fern; aber was da emporstieg, war ja nicht irgendeine Partei oder ein Bund von Parteien, sondern es war...das Vaterland, das Volk, das sich wiedergefunden hat...und Volk und Vaterland darf und muß jeder Christ bejahen. 30 So schrieb Schneider zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme; der Reichtagsbrand hatte bereits den Anlass für die Verhaftung der Kommunisten gegeben und mit dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März konnte Hitler ohne Kontrolle des Reichtags in wenigen Monaten die Gleichschaltung auf allen Ebenen betreiben. Zugleich wurde die neue Volksgemeinschaft im öffentlichen Raum inszeniert: Schneider schilderte überschwänglich das große, alles überragende Ereignis der Feier des Tages der nationalen Arbeit am 1. Mai 1933: Das ganze deutsche Volk hat eine einzige Festgemeinde im buchstäblichen Sinne des Wortes gebildet. Die nationale Aufbruchsstimmung sei ein Geschenk des Himmels, der unglückselige Klassenhaß, wie er durch den Marxismus bei unseren Industriearbeitern...geführt wurde, ist überwunden...auch wir von der Kirche haben uns nicht abseits gestellt, zum Bekenntnis auch ihrer Zusammengehörigkeit mit dem Volke... Die Kirche war bei 91

92 Zwischen den Kriegen ( ) diesem nationalen Feste auch mit besonderen Gottesdiensten...in allen drei Kirchen dabei. 31 Sogar die Vereinigten Gewerkschaften riefen 1933 noch zu diesem propagandistischen Schauspiel auf. Selbst die frühere Königin Charlotte von Württemberg nahm teil. Das Tagwachtblasen der Stadtgarde zu Pferd eröffnete den Festtag. Der Klang aller Kirchenglocken lud zu den Gottesdiensten in den Kirchen und der Rabbiner sprach in der Synagoge überwert und Weihe der Arbeit. In der übervollen Stiftskirche predigte Studentenpfarrer Wilhelm Pressel. Standkonzerte auf dem Marktplatz, vor der Neuen Aula und der Eberhardskirche schlossen sich an. Am frühen Nachmittag zogen etwa Menschen vom Güterbahnhof zum Marktplatz, Schaulustige umsäumten die Straßen. Der Zug erinnerte an frühere Festzüge etwa beim 450jährigen Universitätsjubiläum 1927 mit den verschiedenen Berufsgruppen in ihrer Tracht von den Professoren und Studenten, den Handwerkern mit ihren Symbolen, den Innungen und Betrieben bis zu den Schul- und Kindergartenkindern. An der Spitze schritten in Begleitung vom Reitersturm der SA Oberbürgermeister Scheef und Kreisleiter Baumert mit der Ehrenformation von Partei und Wehrmacht unter wehenden Hakenkreuzfahnen, die die Herkunft des Feiertags aus der internationalen Arbeiterbewegung vergessen ließen. Prof. Gustav Bebermeyer hielt vom Rathausbalkon eine markige Ansprache, in der die neue Volksgemeinschaft beschworen wurde. 32 Schneider beendete seinen Festbericht mit Segenswünschen an Volk und Kirche: Gott segne und behüte auch unsere Kirche, auch in den Schwierigkeiten, die sie gerade jetzt durchmacht, wo eine vollständig neue Zeit auch von ihr eine Neuordnung fordert. Aufruf 1. Mai

93 Zwischen den Kriegen ( ) Gleichschaltungsschritte In atemberaubendem Tempo wurden in diesen Monaten die Grundrechte eingeschränkt, unliebsame Personen verfolgt und verhaftet, Versammlungen verboten, die freie Presse ausgeschaltet und Vereinsvermögen kassiert, Vorgänge, die anfangs von vielen als Rückkehr zur rechten Sitte und Ordnung im Staat gesehen wurden. Bis zum Juli 1933 waren Gewerkschaften und Parteien zerschlagen, das Konzentrationslager auf dem Heuberg war binnen kurzem überfüllt und die Stigmatisierungswelle nichtarischer Mitbürger nahm ihren Lauf. Der nationalsozialistische Tübinger Gemeinderat verbot schon am Juden und Fremdrassigen den Zutritt zum Freibad und ab wurde das jüdische Tapetenhaus Löwenstein aus der städtischen Lieferantenliste gestrichen. Festwagen beim Handwerkertag am auf dem Tübinger Marktplatz. 93

94 Zwischen den Kriegen ( ) Am Tübinger Stiftskirchenturm wurden im Frühjahr 1933 die reparaturbedürftigen Eckfialen durch die wasserspeierartigen Tiergestalten von Fritz von Graevenitz ersetzt. Sie sollten mit den vier Evangelistensymbolen von Engel, Adler, Stier und Löwe die deutschen Ideale von Reinheit, Freiheit, Kraft und Manneszucht darstellen.von Stadtpfarrer Schneider ist zu lesen, dass er sich nicht recht mit den Grävenitzschen Entwürfen befreunden konnte im Gegensatz zu Prof. Fezer und der großen Mehrheit des Kirchengemeinderats. Er hätte offenbar die Entwürfe des Tübinger Bildhauers Ugge Bärtle bevorzugt. 33 Die oben zitierten Segenswünsche Pfarrer Schneiders berührten aber bereits die Maßnahmen des Dritten Reichs, die auch die Gleichschaltung der Kirchen zum Ziel hatten und eine schwierige Zeit innerer Richtungskämpfe der Kirche mit sich brachten. Hitler wollte die bestehenden Landeskirchen umgestalten zu einer einheitlichen Reichskirche unter einem Reichsbischof. Reichskanzler Hitler verwies im Gemeindeblatt auf das bereits unterzeichnete Reichskonkordat mit dem Papst und wünschte reinen Tisch auch mit der protestantischen Seite. Der Staat hat kein Interesse daran, mit 25 oder 30 Kirchen zu verhandeln...der starke Staat kann nur wünschen, daß er seinen Schutz solchen Körperschaften angedeihen läßt, die ihm auch ihrerseits wieder nutzbar zu werden vermögen. Hier bezog er sich auf die Deutschen Christen (DC), die bewußt auf den Boden des nationalsozialistischen Staats getreten sind, nicht in erzwungener Duldung, sondern in lebendiger Bejahung. 34 Der radikale Flügel der DC sah in Rasse, Volkstum und Nation von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen...Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten. Folgerichtig sei die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten. 35 Sie strebten eine deutsche Nationalkirche an. Nachdem im Mai nicht der von Hitler gewünschte Ludwig Müller, sondern Friedrich von Bodelschwingh als Reichsbischof gewählt worden war, oktroyierte der Führer kurzfristig im Juli 1933 Kirchenwahlen für die gesamte evangelische Kirche. Landesbischof Wurm strebte eine Einheitsliste an, um einen Wahlkampf zu verhindern. Die Abgeordneten der neuen Landessynode wurden ausgehandelt, wobei Bezirksnotar Luz Abgeordneter für Tübingen wurde. Kirchenmusikdirektor Richard Gölz stellte sich nicht mehr zur Verfügung. 36 Auch im Kirchengemeinderat sollte den Deutschen Christen die Mehrheit gesichert sein. 37 Im Benehmen mit der Kreisleitung wurde eine Liste aufgestellt: Die bisherigen Kirchengemeinderäte Carl Flammer und Julius Goes mussten als untragbar von der Liste gestrichen werden. Im Kirchengemeinderat herrschte einmütig tiefes Bedauern darüber, dass die beiden sich veranlasst gesehen haben, ihr Amt als Kirchengemeinderäte niederzulegen. Ihre wertvollen Dienste, selbstlose Hingabe und nie versagende Hilfsbereitschaft wurden gepriesen. Ohne großen Eklat mit unabsehbaren Folgen Aus der Feder des langjährigen Kirchenmusikers der Eberhardskirche Friedrich Bauschert stammt dieser beschauliche Blick vom Galgenberg im Jahr

95 Zwischen den Kriegen ( ) konnte dies aber offensichtlich nicht verhindert werden. 38 Schneider schloss sich in seinem Bericht im Gemeindeblatt klagend an und beschwor die Ausgeschiedenen öffentlich um ihre weitere treue Begleitung. 39 Das Ergebnis der Wahl vom entsprach den Gegebenheiten, auch in Tübingen: Von den 16 Kirchengemeinderäten stellten die DC neun. 40 Die Wahlbeteiligung war mit knapp 30 Prozent der über Wahlberechtigten allerdings gering. Im ganzen Reichsgebiet erhielten die DC, die außerdem von der NSDAP und Hitler massiv auch über den Rundfunk unterstützt worden waren, einen starken Wahlsieg und am wählte die neue Nationalsynode des Führers Wunschkandidaten Ludwig Müller 41 zum Reichsbischof. Hitlers Ziel, die evangelische Kirche gleichzuschalten, schien erreicht. Reichsbischof Müller verlor aber durch ungute Amtsführung und Alleingänge schon bald allenthalben an Vertrauen. Gleichzeitig sahen sich je länger je mehr viele Pfarrer in ihrer Seelsorgearbeit vor Ort durch zentralgelenkte Erlasse des Oberkirchenrats eingeschränkt und behindert. Der deutsche Gruß wurde ab September 1933 in den Klassenzimmern, bei kirchlichen Jugendveranstaltungen oder auch bei nationalen Feiern für die Talartragenden zur Pflicht, selbst bei Beerdigungen, wenn im Anschluß an einen Nachruf das Deutschland- oder Horst-Wessellied gesungen wurde. 42 Wer die Jugend hat, hat die Zukunft Vor allem das Ev. Jugendwerk und die kirchliche Jugendarbeit im CVJM oder in den Mädchenkreisen waren der Partei ein Dorn im Auge und standen unter dem Druck der Parteijugend. Dekan Theodor Stockmayer (1930/46) konnte zwar berichten, dass sich die Abwanderung in die Hitlerjugend in Grenzen hielt und fügte hinzu, der HJ fehlten wohl die geeigneten Führer. Doch im Bereich der Jugend ließ die Partei nicht locker: Ab Oktober 1933 gehörten der zweite und vierte Sonntag im Monat der Hitlerjugend und am musste der Oberkirchenrat die Eingliederung der evangelischen Jugend der zehn- bis 18jährigen in die Hitlerjugend (HJ) bekanntgeben; die Mitgliedschaft im ev. Jugendwerk setze die HJ- Mitgliedschaft voraus und Sport, Geländespiele und staatspolitische Erziehung seien ab sofort das alleinige Ressort der HJ. Schneider klagte im Gemeindeblatt, dass kaum ein Sonntag ohne vormittägliche Aufmärsche und Übungen vergehe und die Gottesdienste infolgedessen von der Jugend immer weniger besucht seien. Der Führer habe doch versprochen, daß er auf den Dienst der Kirche beim Wiederaufbau des Volkes rechne, schrieb er protestierend. 43 Bei seinem Rückblick auf das vergangene reiche und entscheidende Jahr für unser Volk und Vaterland zitierte Schneider die Rettung vom Tod des Bolschewismus, den Kampf gegen Korruption und Arbeitslosigkeit und die Chance einer nationalen Volkskirche. Aber noch sehen wir nicht sorgenfrei in die Zukunft und die letzten Tage des Jahres haben uns besonders um die Zukunft der evangelischen Jugendvereine bangen lassen, die der Hitlerjugend einverleibt werden. 44 Bei der Konfirmation im März 1934 trat erstmals ein Konfirmand in HJ-Uniform auf. Schneider thematisierte seine Gedanken hierzu im Gemeindeblatt. 45 Entwicklung von Gegenkräften im Kirchenkampf Die starken Eingriffe und die Verdrängung der kirchlichen Jugendarbeit durch HJ und BDM führten zu Unruhe in den Familien und Gemeinden und letztendlich zum Protest des Landesbischofs Wurm, der von einem drohenden evangelischen Papsttum sprach. Reichsbischof Müller begab sich nach Stuttgart, um die verfassungsgemäße Einberufung einer Landessynode durch den Landesbischof zu verhin- 95

96 Zwischen den Kriegen ( ) dern, da sich dort eine Niederlage der DC abzeichnete. Dies führte zum offenen Protest der bekenntnisnahen kirchlichen Gruppen auf dem Bekenntnistag in Ulm am Der Tübinger Kirchengemeinderat protestierte mit erstaunlichen 16:4 Stimmen gegen den Angriff auf die Verletzung der württembergischen Kirchenverfassung. Als Wurm eine Woche später in der Tübinger Stiftskirche den sonntäglichen Vormittagsgottesdienst hielt, zogen die Kirchengemeinderäte nach dem Vorgang von Ulm von der Sakristei aus mit dem Herrn Landesbischof an der Spitze geschlossen in die Kirche ein. 46 Tausende hörten die Predigt, die durch Lautsprecher in den Schillersaal des Museums übertragen wurde. Eine starke Solidaritätswelle für den Landesbischof gegen eine von den DC geführte Reichskirche wurde hier offenkundig. 47 Bekennende Kirche contra Deutsche Christen Aber nicht nur gegen die rigide Eingliederungspolitik aus Berlin regten sich Gegenkräfte bei Pfarrern und Kirchengemeinden. Die starke Betonung des Rassis- Begeistert bedankte sich das Kirchenvolk bei Landesbischof Wurm für seine gottesdienstlichen Ansprachen und sein entschiedenes Stehvermögen im Jahr

97 Zwischen den Kriegen ( ) mus, die Vergöttlichung von Blut und Boden und die Einführung des Arierparagraphen 48 mobilisierte viele Pfarrer der Bekennenden Kirche. Die Abwertung des Alten Testaments und die Reinigung des Neuen Testaments von jüdischem Gedankengut stießen teilweise auf Widerstand in den Gemeinden. Stiftsephorus und Professor Karl Fezer, der im Mai 1933 an vorderster Stelle als Berater in Berlin an den Richtlinien der DC mitgewirkt hatte, verließ im November1933 zusammen mit seinen theologischen Kollegen an der Uni Tübingen Gerhard Kittel, Hanns Rückert und Artur Weiser die Glaubensbewegung der DC. 49 Landesbischof Wurm im Visier Unter dem Einfluss des Bonner Theologieprofessors Karl Barth und des von Pfarrer Martin Niemöller in Berlin begründeten Pfarrernotbundes schlossen sich im Mai 1934 verschiedene Gruppierungen in Barmen zur Bekennenden Kirche zusammen. Ihre unantastbare Grundlage bildete die Heilige Schrift und das biblisch-reformatorische Bekenntnis. Auch Vertreter von 18 Landeskirchen - darunter Landesbischof Wurm - nahmen an der Synode in Barmen teil. Dieser Zusammenschluss wurde auch im Ausland aufmerksam verfolgt. Viele Mitglieder hielten im Rahmen des Möglichen dagegen, umgingen Erlasse und erinnerten die NS-Führung in der Folge immer wieder an die Grenzen ihrer Gewaltherrschaft. Im September 1934 startete Reichsbischof Müller einen weiteren Versuch, die süddeutschen Landeskirchen gegen ihren Willen in die Reichskirche einzugliedern. So stand es überraschend im Gesetzblatt. Landesbischof Wurm protestierte. Nun beurlaubte der Reichsbischof ihn unter dem aus der Luft gegriffenen Vorwand, Wurm habe Kirchengelder veruntreut, und stellte ihn vom 15. bis 18. September und vom 8. bis 26. Oktober1934 unter Polizeigewahrsam und Hausarrest. 50 Auch der frühere Tübinger Studentenpfarrer und inzwischen hellhörig gewordene Oberkirchenrat Wilhelm Pressel und in Bayern Landesbischof Hans Meiser waren betroffen. Der Reichsbischof setzte eine kommissarische Vertretung ein. Weit über Stuttgarter versammelten sich vor der Wohnung ihres Landesbischofs. Wurm versicherte sich mit einem Rundschreiben der Unterstützung von über 80 Prozent aller württembergischen Pfarrer, ignorierte daraufhin die Beurlaubung und führte seine Amtsgeschäfte weiter. Karl Heim predigte in der Tübinger Stiftskirche über Matthäus 5,10-12: Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich. Die gleichgeschaltete Presse berichtete nur noch zaghaft und verschlüsselt über den Kirchenstreit. Am 19. September1934 hatte das württembergische Innenministerium alle den Kirchenkampf betreffenden Äußerungen in Presse oder Flugschriften verboten. Vierzig der neunundvierzig Dekane der Landeskirche, darunter der Tübinger Dekan Theodor Stockmayer erklärten ihre Solidarität mit ihrem rechtmäßigen Landesbischof, ebenso fast alle Tübinger Theologieprofessoren mit Ausnahme von Ernst Stracke. 51 Sie waren der Meinung, dass sie den Amtseid verletzen würden, wenn sie schwiegen. 418 Tübinger unterzeichneten eine Solidaritätsadresse für Wurm: Einer Kirche anzugehören, die im Geist der gegenwärtigen Reichskirchenregierung geleitet würde, wäre uns eine innere Unmöglichkleit. Für uns vertritt Landesbischof D. Wurm die wahre evangelische Kirche. Wir sind überzeugt, daß wir in dieser Haltung der deutschen evangelischen Kirche, unserem Volk und dem Staat Adolf Hitlers am besten dienen. 52 Wurm war inzwischen am mit seinem ebenso relegierten bayrischen Kollegen von Hitler in Berlin empfangen worden; der Reichskanzler zog es wegen der breiten öffentlichen Kritik im In- und Ausland vor, Wurm wieder in sein Amt 97

98 Zwischen den Kriegen ( ) einzusetzen. Ausgehend von Tübingen als Landesuniversität dankten rund 560 Theologiestudenten aus allen Teilen Deutschlands dem Führer, dass er die bisherigen rechtswidrigen Schritte der Reichsregierung (in diesem Fall des Reichsbischof Müller)...nicht vorgenommen hat...wir Tübinger Theologiestudenten haben mit Schmerz feststellen müssen, dass das...werk Adolf Hitlers monatelang durch Gewalteingriffe von Seiten der Polizei und Partei in Glaubensangelegenheiten untergraben wurde. Die Studenten, zum größten Teil SA-Männer, forderten den Rücktritt des Reichsbischofs Müller und schlossen mit dem Versprechen, im Gehorsam gegen unsern himmlischen Herrn mit Einsatz aller Kräfte im Dienst des nationalsozialistischen Deutschlands zu stehen und das Werk der Einigung treu zu fördern Tübinger Studenten nahmen Anfang November den Zug nach Stuttgart zum Oberkirchenrat und skandierten vor den Amtsräumen: Wer ist unser Konfirmation 1935 Pfarrer Johannes Schneider, rechts. 98

99 Zwischen den Kriegen ( ) Bischof? Wurm! Aber erst nach der Niederschlagung des gegen den Landesbischof arglistig angestrengten Strafprozesses konnten Wurm und seine Kirchenräte am 20. November 1934 wieder ihre Plätze einnehmen, als die von Berlin aus kommissarisch Bevollmächtigten das Feld geräumt hatten. In diesen Monaten fanden viele Bekenntnisgottesdienste und die zahlenmäßig größten Demonstrationen im Dritten Reich statt. Zwei Wochen später kam der Landesbischof nach Tübingen und sprach im Schillersaal des Museums Menschen sollen auf den Beinen gewesen sein, um ihn zu hören, zu sehen und zu unterstützen. Seine Rede musste wieder übertragen werden in die Stiftskirche und die Spitalkirche; alle drei Räume waren bis auf den letzten Sitz- und Stehplatz voll und doch nicht ausreichend, so daß auch der Löwensaal noch besetzt werden mußte und viele überhaupt nicht ankamen. Stärker noch war das innere Erleben der Gemeinschaft und des Bekennens, von dem Stadt und Land, hoch und nieder, Bürger und Student erfaßt waren. Schneider bedauerte, dass wegen des staatlichen Presseverbots über die Rede noch nicht (!) berichtet werden könne. 54 In der Tübinger Chronik wurde der Bischofsbesuch völlig totgeschwiegen, auch der von der Gemeinde an die Presse geschickte Bericht erschien nicht. Dass Wurm in seinem Kampf für Kirche und Bekenntnis die Verbindung zu Volk, Staat und Führer halten wollte und noch lange Jahre seine Hoffnung auf eine volksmissionarische Zusammenarbeit mit dem NS- Staat mit der Mehrheit seiner Anhänger nicht aufgab, das zeigte auch das Ende der Kundgebung: Von begeisterten Heilrufen begleitet fuhr das Auto des Landesbischofs durch die von Menschen schwarzen Straßen vom Museum zur Stiftskirche, von dort zur Spitalkirche und zum Löwen. Immer wieder freudige Heil-Rufe, begeistert stimmten die Massen ein in das von Wurm auf den Führer ausgebrachte Sieg Heil. 55 Die Tatsache, dass es Wurm verstand, die Massen in dieser Weise zu mobilisieren, war dem Regime nicht geheuer und stärkte Wurms Position als Landesbischof. Aus dieser Zeit stammt der bis heute überlieferte Schüttelreim: Wenn der Wurm murrt, dann wurmt s den Murr. 56 Die evangelische und die katholische Kirche konnten als einzige größere Institutionen gelten, die mit ihrer Verkündigung dem NS-Staat bis zu einem gewissen Grade standhielten. Zwischen Anpassung und Selbstbehauptung Die Reichskirchenpolitik der nationalsozialistischen Deutschen Christen mit ihrem Versuch, die württembergische Kirche der Reichskirche einzugliedern, war insoweit hier gescheitert. Das Regime ließ aber nicht locker und arbeitete planmäßig darauf hin, die kirchliche Arbeit zu behindern und verkümmern zu lassen. Von den Zusicherungen Hitlers in seiner Regierungserklärung vom März 1933, den christlichen Konfessionen als wichtigsten Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums den ihnen zukommenden Einfluss einzuräumen, blieb nichts mehr übrig. Da die Instrumentalisierung der Kirche für den NS-Staat nicht gelungen war, versuchte man nun, den kirchlichen Einfluss in allen Bereichen zurückzudrängen. Schneider agierte in diesen fünf letzten turbulenten Jahren seiner Amtszeit im Windschatten von Landesbischof Wurm und von Dekan Stockmayer, soweit es aus seinen Beiträgen im überwachten Gemeindeblatt oder aus einigen Disputen im Kirchengemeinderat zu schließen ist. Wie in unzähligen Familien taten sich aber auch im Hause Schneider inzwischen schmerzliche Risse auf. Während sich Stadtpfarrer Schneider seit 1934 deutlich von den nationalsozialistischen Deutschen Christen distanzierte, folgte sein Sohn Hans der nationalsozialistischen Bewegung und trat zum Leidwesen seines Vaters sogar aus der Kirche aus

100 Zwischen den Kriegen ( ) Im ganzen war Schneider tief enttäuscht darüber, dass das volkskirchliche Leben im Vergleich zur Aufbruchstimmung des Ev. Volksbundes der Weimarer Zeit in der NS-Zeit nun massiv von der öffentlichen Bildfläche verdrängt worden war; das ist deutlich aus seinen Berichten über die nationalen Feiern des NS-Staats herauszuhören. 58 Der 1. Mai war 1934 zum zweiten Mal im Dritten Reich laut Schneider wieder wirklich größter deutscher Volkstag... Eine Fülle von Fahnen, als wäre ein Fahnenfrühling selber ins Land gezogen...vom Kind bis zum Greis, vom einfachsten Manne bis hinauf zum Universitätsprofessor. Er beklagte zutiefst, dass kein gemeinsamer Gottesdienst stattfand. Wie war das doch das letzte Mal ganz anders und wieviele Hoffnungsblüten sind da erstorben! 59 Nur die Glocken läuteten befohlenermaßen feierlich. Schneiders Hoffnung, dass Staat und Kirche sich Seite an Seite wieder fänden bei zukünftigen Maifeiern, sollte sich nicht mehr erfüllen. Statt des Totensonntags, an dem die evangelische Kirche ihre Feier auf dem Stadtfriedhof weiterführte, inszenierte die NS-Regierung seit dem Jahr der Haustaufe: v.l. Sohn Hans mit Frau und Täufling Hans-Jörg, Pfarrer Schneider mit seinen vier Töchtern Lotte, Traute, Irene und Susanne Schneider; im Hintergrund Ulrich Narr 100

101 Zwischen den Kriegen ( ) Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht- am fünften Sonntag vor Ostern (Ps 25,6 Reminiscere) eine pompöse Feier, den Heldengedenktag. 60 Rund um einen Katafalk auf der Wiese hinter der Hauptpost (heute Europaplatz) wurde mit militärischen Formationen, großem Zeremoniell, Glockengeläut, Musik, Fahnenparaden und Weihereden die Kampf- und Opferbereitschaft des ganzen Volkes beschworen. Das Volksheer sei das unmißverständliche Sinnbild unserer Würde als eines selbständigen und souveränen Staates akklamierten Wurm und Schneider. Aber Geistliche, auch Militärgeistliche kamen dabei leider nicht mehr zu Wort. Die Kirche gedachte aber der Gefallenen wie immer in den vollbesuchten Hauptgottesdiensten der Gemeinde. Ein Jahr später feierte das Reich den Überraschungszugriff Hitlers auf das entmilitarisierte Rheinland am 7. März 1936 entlang der deutsch-französischen Grenze; es war der erste massive und dreiste Rechtsbruch des Versailler Vertrags durch Adolf Hitler. Damit war zum einen die Wiederherstellung der vollen Hoheit des Reiches vollzogen und weiter die am an der Wahlurne eingeholte überwältigende Geschlossenheit des deutschen Volkes in seinem Ja zu dieser Politik des Führers klar zur Schau gestellt. Auch hier erfüllte die Kirche ihre vaterländische Zeremonienpflicht über ihre Glocken, die freudigst ihren Klang mit in den Jubel hineingemischt haben. 61 Auch der Luthertag, der noch 1933 mit großem Aufgebot gefeiert worden war, 62 hielt sich eher als einfacher Vortragsabend in den folgenden Jahren; im Dezember 1938 berichtete das Gemeindeblatt nur noch ohne Angabe von Referent oder Veranstaltungsort über einige Grundgedanken des Vortragenden, insbesondere Luthers Wertschätzung des Alten Testaments als festem Bestandteil der Bibel. Das zielte gegen die antijüdische Hetze der Zeit, wie sie in Kreisen der DC an der Tagesordnung war. Man war inzwischen notgedrungen vorsichtig und kleinmütig geworden. Im Übrigen hatte der Luthertag Konkurrenz bekommen vom Gedenktag an die Gefallenen der NS-Bewegung beim Marsch zur Feldherrnhalle in München am 9. November An weiteren Festen während des Jahres wie dem Erntedankfest, dem Muttertag, der Aufnahme vom Jungvolk in die HJ, Sonnwendfeiern oder Jubiläumsfesten etwa für den Weingärtner Liederkranz oder für Uhland und Silcher mangelte es nicht. Jeder Volksgenosse konnte im aufwändig inszenierten Schauspiel die große Volksgemeinschaft des NS-Staates erleben und sich ihm zugehörig fühlen, wenn ihm die dahinterstehende Ideologie mit ihren rassistischen und mörderischen Zielen oder die erzwungene Teilnahme nicht zuwider waren. An Hitlers Geburtstag am 20. April 1934 war die Beflaggung aller öffentlichen Gebäude, somit auch der Kirchen angeordnet und die Kirchenglocken läu- Aufmarsch zum Erntedankfest in der Wilhelmstraße am

102 Zwischen den Kriegen ( ) teten eine halbe Stunde lang. Wie empfindlich das Regime selbst auf kleinliche Verletzungen solch angeordneter Identifikationssymbolik reagierte, ist aus einer ausführlichen Rechtfertigung Schneiders im Gemeindeblatt abzulesen. 63 Kirchengemeinderat, Protokoll vom Die mechanischen Aufzüge der drei Fahnenstangen an der Eberhardskirche waren defekt. Der schon seit Wochen beauftragte Handwerker wurde im Blick auf den Führergeburtstag wiederholt vom Kirchenpfleger gemahnt und hatte schließlich noch vor Hitlers Geburtstag an zwei Stangen die Aufzugsdrähte gelöst, aber die Reparatur nicht recht zeitig zu Ende gebracht. Schneider betonte, über diese verhältnismäßig kleine Verwaltungsangelegenheit nicht informiert gewesen zu sein. Kurzfristig wurde entschieden, lieber gar keine als nur eine Fahne an der Kirche zu hissen, um nicht Mißdeutung oder Spott hervorzurufen. Er beteuerte nun wortreich, dass jeder demonstrative Hintergedanke fehle, wie ja auch seine positive Stellung zu Adolf Hitler und seinem Werk aus vielen öffentlichen Äußerungen bekannt sein dürfte. Er mutmaßte, den Hintergrund könnten möglicherweise die bedauerlichen kirchenpolitischen Kämpfe bilden und beteuerte seine Regimetreue: Trotz seiner Sympathie für den Landesbischof habe er sich nie an einer Hetze gegen den Reichsbischof beteiligt. Er versprach, das nächste Mal mit Nachdruck seiner Beflaggungspflicht nachkommen zu wollen. Schon ein solches Versehen konnte im Dritten Reich zum Verrat an Reich, Volk und Führer hochstilisiert werden. Im April 1935 flatterten dann drei Hakenkreuzfahnen zur militärischen Feier des Führergeburtstags an der Eberhardskirche. Ein christliches Orgelspiel und ein abschließender Choral umrahmten die Ansprache des Regimentskommandeurs. Ab 1937 fand der Festakt zu Hitlers Geburtstag nicht mehr in der Eberhardskirche sondern im universitären Festsaal statt. Das Militär zieht wieder in die Stiftskirche Eine weitere Enttäuschung in dieser schweren Zeit hatte Pfarrer Schneider schon am 1. August 1934 getroffen: Angesichts der Vergrößerung der Garnison teilte das Wehrkreiskommando V mit, dass die Eberhardskirche den Anforderungen des Militärgottesdienstes nicht mehr entspreche und daher die Stiftskirche für gottesdienstliche Feiern, Taufen und Trauungen der Heeresangehörigen zur Verfügung gestellt werde. Die Truppen sollten einmal monatlich geschlossen von den Kasernen um 11 Uhr zum Gottesdienst durch die Stadt ziehen. Stadtpfarrer Schneider bat drei Wochen später um Enthebung von seinem Dienst als Standortseelsorger. 64 Die Geschäfte gingen zum an Klinikpfarrer Walter Schaal, der als gewesener Soldat...und als einer von den Geistlichen, die im Krieg ihr besonders schweres Opfer für Volk und Vaterland gebracht haben, besonders zur Übernahme der militärischen Charge vorherbestimmt ist. Bei seiner Einführung als Wehrmachtspfarrer am in der Stiftskirche knüpfte Schaal in seiner Predigt an Hindenburgs Vermächtnis an. Der Dekan sprach ein Grußwort und Oberstleutnant Tschunke wünschte vom neuen Militärpfarrer, er möge mithelfen bei der Weckung und Pflege der seelischen Kräfte und ethischen Werte, die der Soldat bei der Erfüllung seiner Aufgabe braucht

103 Zwischen den Kriegen ( ) Weitere Spannungen Immer neue Nahrung erhielten in diesen Jahren die internen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Flügeln der DC im Zeichen von Volkstum, Rassenwahn und Führerkult 66 und den weit auseinanderklaffenden Flügeln der Bekennenden Kirche. Die freie Luft zum Atmen nahm vor allem für die im öffentlichen Raum Wirkenden stetig ab und jeder der zahlreichen Erlasse provozierte innerkirchliche Richtungskämpfe und verlangte vom Einzelnen Mut zur Entscheidung. Schneider litt stark unter den ständigen Auseinandersetzungen und dem vom Innenministerium im Juni 1935 erneut bekräftigten Verbot aller öffentlichen kirchlichen Versammlungen. 67 Auch die Tübinger Kirchengemeinderatssitzungen verliefen durch die Anwesenheit der bedingungslos führertreuen Laienmitglieder immer wieder spannungsreich. 68 Als im Oktober 1934 die DC für einen Vortrag des Berliner Reichsvikars D. Engelke die Eberhardskirche anforderten, verschanzte man sich hinter dem innenministeriellen Verbot einer öffentlichen Versammlung: Der Pfarrkonvent habe vereinbart, daß zur Vermeidung von Gewaltmaßnahmen die Kirche nicht verweigert werden soll, daß aber die Pfarrer weder den Vortrag besuchen, noch zum Vortrag einladen sollen. Auch Dekan Stockmayer lehnte dies ab, obwohl er vonseiten des von Berlin eingesetzten kommissarischen Vertreters des Landesbischofs zur Bekanntgabe gedrängt wurde. Der Kirchengemeinderat sah sich nicht in der Lage, einen Beschluss zu fassen, sodass die Schlüsselgewalt für die Kirche und die Entscheidung über die Öffnung schließlich bei Mesnerin Rösch lag. 69 Im Juni 1935 unterstützten sechs der DC nahen Kirchengemeinderäte, von denen drei in der Eberhardsgemeinde wohnten, 70 die Bitte des Ortsgruppenleiters der Reichskirchenbewegung, Gymnasialprofessor a.d. Wilhelm Honold (Eugenstraße 10), monatlich einmal die Eberhardskirche für Sondergottesdienste zur Verfügung gestellt zu bekommen. Pfarrer a.d. Martin Maier-Hugendubel, Nationalsozialist und DC-Mitglied, sei bereit, die Predigten zu halten. Der Oberkirchenrat untersagte eine solche Ausnahme, die erst dann gemacht werden könne, wenn die DC ihre gehässigen Angriffe auf die württembergische Kirchenleitung einstellt. Nach einer Aussprache, die in erfreulicher Ruhe verlief, erhielt ein Antrag Schneiders auf vorläufige Zurückstellung des Gesuchs eine klare Mehrheit von 12 Stimmen. 71 Die DC fanden dann ab Herbst 1935 zunächst im Feuerwehrhaus Asyl. Im Dezember drängten die DC-Kirchengemeinderäte nochmals mit härteren Bandagen. Sie strebten nachdrücklich die Durchsetzung der nationalsozialistischen Grundanschaung in der Kirche an und wollten solche Pfarrer hören, die mit voller Entschiedenheit auf dem Boden des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches stehen. Dekan Stockmayer verwies wiederum auf das Verbot des Oberkirchenrats, worauf Oberpostinspektor Kirchengemeinderat Sautter gegen den Vorsitzenden in gehässiger Weise ausfällig wurde und die Sitzung verließ. In der Januarsitzung 1936 verlas Sautter nochmals eine längere Erklärung und verließ die Sitzung. Im Juli trat er aus dem Kirchengemeinderat aus; sein Stadtratsmandat behielt er freilich weiter bei. Sautter wohnte in der nahen Eberhardstraße und konnte damit die Vorgänge rund um die Kirche als Zuhörer, Aufpasser und aufmerksamer Passant weiter stets im Blick behalten und denunzieren. Von ihm ist auch das Urteil über den Theologen Karl Barth als sattsam bekannten internationalen Marxisten 72 überliefert. Im September 1936 gaben drei weitere Kirchengemeinderäte ihr Mandat z.t. auch aus gesundheitlichen Gründen zurück; der in der Ulrichstraße 13 wohnende Bezirksnotar Luz erklärte, er halte seine Mitarbeit in einer Kirche für vergeblich, die den Totalitätsan- 103

104 Zwischen den Kriegen ( ) spruch des nationalsozialistischen Staates nicht anerkennt und in die mühsam errungene Volksgemeinschaft Verwirrung trägt durch Festhaltung an der jüdisch beeinflussten Lehre über das Christentum Kultusminister Mergenthaler ermöglichte dann ab Ostern 1937 der Volkskirchenbewegung der DC, ein bis zweimal im Monat Sondergottesdienste in der staatlichen Tübinger Schloßkirche abzuhalten. Wurm protestierte dagegen und ließ am Karfreitag eine Bekanntmachung von den Kanzeln verlesen; die dort predigenden Theologiestudenten würden damit brüskiert. Nach der ersten Predigt in der Schlosskirche an Ostern 1937, die der DC-Pfarrer Georg Schneider ( ) dort gehalten hatte, erhob Wurm aufs entschiedenste Einsprache...gegen die kirchenzerstörende Arbeit der DC. Ohne jeden Erfolg. 74 Anmerkungen: 1 Personalakte LKA 2 Zwei seiner Schwestern wurden Kunstmalerinnen, eine dritte Studienrätin in Berlin und ein Bruder Berliner Senatspräsident. 3 Näheres hierzu und zu seinem 130seitigen Pfarrbericht auch zur Geschichte Weil der Stadts in der vom dortigen Kirchengemeinderat hg. Festschrift: 100 Jahre Johannes-Brenz-Kirche Weil der Stadt. 1989, v.a. S. 59ff. mit der von seinem Sohn Hans Schneider verfassten Lebensskizze. 4 Eine seiner Töchter Susanne Schneider (*1913) studierte ebenfalls in Tübingen Theologie und wurde eine der frühen ordinierten württembergischen Pfarrerinnen in Heilbronn, allerdings damals nur mit dem Titel Pfarrvikarin. 5 Personalakte LKA 6 LKA A : Erlass des Konsistoriums mit Unterschriften des damaligen KGR v im Dokband 7 Pfarrbericht 1923 LKA A Ein alphabetisches Bestandsverzeichnis von 1930 (mit Nachträgen 1937) gibt Aufschlüsse über die Interessen der Tübinger Theologen, insbesondere auch Schneiders: Neben den Werken der Tübinger Kollegen Schlatter, Haering, Heim, Wurster, Schlunk u.v.a. sind z.b. Titel zur Neuordnung der Kirche von Erich Stange oder Friedrich Thimme oder eine Vorlesung von Karl Barth zur Auferstehung der Toten von 1924 zu finden.(pfarrreg. der Eberhardskirche I,4 c). Eine sehr strenge Ordnung des Umlaufs der Leseschriften ließ Schneider als Bibliothekar kurz nach seinem Amtsantritt im November 1920 von der Vollversammlung unterschreiben. Dokband 9 Ev. Gemeindeblatt 7(1921)11 S.3f. im Dokband 10 KGprot. v und Ev. Gemeindeblatt 12(1926)4 12 vgl. Matthias Möller (Hg.): Still gestanden? Die Geschichte einer alten Kaserne. Tübingen 2009, S vgl. auch die am von der Kanzel zu verlesende Ansprache des Diözesan-Ausschusses Tübingen im Dokband 14 Ev. Gemeindeblatt 8(1922)4. Als aber im Januar 1921 entschieden werden musste, ob ein von seinen Eltern angemeldeter katholischer Schüler in die evangelische Silcherschule aufgenommen werden könnte, befürwortete Schneider im Ortsschulrat trotz seiner grundsätzlichen Bedenken die versuchsweise stillschweigende Aufnahme mit Rücksicht auf den Willen der Eltern. vgl. Archiv Silcherschule, Ortsschulrat Ev. Gemeindeblatt 6(1920)6 und 10(1924)12 im Dokband 16 Ev. Gemeindeblatt 13(1927)4 und10 17 Im Ev. Gemeindeblatt wird Prof. Rapp bei der Lutherfeier z.b. am 9. November 1930 zitiert: Das deutsche Gewissen und der germanische Geist sind in Luther und in den Deutschen der Reformation erwacht. 18 Ev. Gemeindeblatt 19(1933)12 19 Ev. Gemeindeblatt 11(1925)6 20 LKA A Ev. Gemeindeblatt 14(1928)1 und 10 im Dokband 22 LKA A Pfarrbericht 1929 LKA A Ev. Gemeindeblatt 12(1926)12 im Dokband 25 Zitat aus dem Nachruf im Schwäbischen Merkur 1939 Sondernr. 29 v Ev. Gemeindeblatt 12(1926)6 und 17(1931)5 im Dokband 27 vgl. im Dokband Einladung zur Feier des 75. Geburtstags in der Lindenallee und im Schillersaal des Museums 28 TC v TC v Ev. Gemeindeblatt 19(1933)4 im Dokband 31 Ev. Gemeindeblatt 19(1933)6 S.4 im Dokband 32 TC v. 2. und vgl. Hermann Jantzen: Stiftskirche Tübingen, S. 292f. 34 Ev. Gemeindeblatt 19(1933)9 S.2 im Dokband 35 Herbert Gutschera, Joachim Maier, Jörg Thierfelder: Geschichte der Kirchen. Ein ökumenisches Sachbuch. Freiburg 2006 S KGRprot. v Rundschreiben der NSDAP, Gau Württ.-Hohenzollern v Landrat Julius Goes gehörte zu den Standfesteren der lokalen Spitzenleute und war daher für die Partei untragbar. Auch Kaufmann Carl Flammers Stimme hatte Gewicht. Er gehörte der DDP an und war schon seit 1920 als Mitglied des Kirchengemeinderates in den Kirchenbezirkstag abgeordnet worden (seit 1925 zusammen mit Stadtpfarrer Schneider) war er mit viertstärkster Stimmenzahl in den Kirchengemeinderat wiedergewählt worden. Nach dem Krieg kehrte er im Dezember 1945 wieder ins kirchliche Gremium zurück. Aus einem 104

105 Zwischen den Kriegen ( ) Brief von Dekan Stockmayer zum 70. Geburtstag Flammers im Mai 1951 geht hervor, wie stark den Dekan seine damalige Nachgiebigkeit gegenüber der herrschenden Partei beschäftigte. Vgl. Dokband (Original bei Hans-Jürgen Warneken, Tübingen) 39 Ev. Gemeindeblatt 19(1933)6 40 KGRprot. v im Dokband 41 Müller war 1932 zu der nationalsozialistisch orientierten Kirchenpartei der DC gekommen. Hitler entzog ihm bereits im Juli 1935 seine Unterstützung. Trotzdem hielt Müller weiterhin Vorträge über sein Ziel einer überkonfessionellen völkischen Nationalkirche, in der das Nationalgefühl mit dem Heiligen Geist gleichgesetzt werden sollte. Er starb durch Freitod Schreiben des Oberkirchenrats v im Dokband 43 Ev. Gemeindeblatt 20(1934)4 44 Ev. Gemeindeblatt 20(1934)1, S.4 im Dokband 45 Ev. Gemeindeblatt 20(1934)4, S.4 im Dokband 46 Beschluss laut KGRprot. v. 20. und im Dokband 47 vgl. Schneiders Bericht im Ev. Gemeindeblatt 20(1934)5 S.3f. im Dokband 48 Wer nicht arischer Abstammung oder mit einer Person nichtarischer Abstammung verheiratet ist, darf nicht als Geistlicher und Beamter der allgemeinen kirchlichen Verwaltung berufen werden. Preußisches Kirchengesetz v Auch in der Württembergischen Landeskirche galt auf staatliches Drängen hin der Arierparagraph für die Seminare und das Ev. Stift als theologische Ausbildungsstätten. Vgl. Im Dienst an Volk und Kirche! Hg. Siegfried Hermle, Rainer Lächele, Albrecht Nuding. Stuttgart 1988, S. 179ff. 49 Staatsarchiv Sigmaringen: Wü 65/36, Acc.31/1973 Nr vgl. Marie Wurm: Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit des Kirchenkampfes. Stuttgart 1951, S.26ff. und Joachim Botzenhardt über die Hintergründe der Schutzhaft in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 97(1997)S Universitätsarchiv Tübingen 47/40 S Ernst Stracke war außerordentlicher Prof. der Kirchengeschichte neben Rückert mit Schwerpunkt Alte Kirche von 1928/45 (ab 1940/43 im Wehrdienst), suspendiert 1945, ab 1952/62 erneut mit Lehrauftrag für Ostkirchengeschichte betraut. 52 LKA Ev. Dekanat Universitätsarchiv Tübingen 162/848 im Dokband 54 Ev. Gemeindeblatt 20(1934)11 S.4 55 zit. nach Schönhagen S Gauleiter Wilhelm Murr löste Eugen Bolz als Staatspräsident im März 1933 ab. 57 Laut telefonischer Auskunft seines Sohnes Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider (Saarbrücken) studierte Hans Schneider (1907/94) Geschichte und alte Sprachen u.a. bei Johannes Haller in Tübingen und kam nach seinem Referendariat am Stuttgarter Eberhard-Ludwigsgymnasium als Assessor nach Ulm. Nicht gerade zur Freude seines Vaters heiratete er 1933 eine Nordländerin aus sozialdemokratischem Hause trat er der NSDAP bei, der er bis zum Kriegsende treu blieb. Eine schwere Tuberkulose verhinderte letztlich seine Einberufung zur Front und führte zu seiner Versetzung nach Baiersbronn, wo er auch Kulturleiter der NS-Ortsgruppe wurde. Als Funktionsträger musste er 1945 ins Gefängnis bzw. Lager. Erneut erkrankt und von katholischen Schwestern bei Appenweier gepflegt kehrte er nach der Entnazifizierung über eine Vertragslehrerstelle zunächst nach Baiersbronn und 1957 als Studiendirektor nach Freudenstadt in den Schuldienst zurück. In seiner Freizeit widmete er sich intensiv seinen geschichtlichen Interessen: Insbesondere befasste er sich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte mit den Hintergründen des Reichstagsbrandes, um die These der Alleintäterschaft van der Lubbes zu überprüfen. Eine ausführliche Dokumentation zum Thema ist im Wissenschaftsverlag in Berlin 2004 erschienen unter dem Titel: Neues vom Reichstagsbrand. Er stand in lebhaftem fachlichem Gedankenaustausch mit Prof. Hans Rothfels oder dem Publizisten Klaus Mehnert ( Christ und Welt ). Im Ruhestand zog er mit seiner Frau 1972 zurück nach Tübingen in das väterliche Haus in der Gartenstraße vgl. auch im Dokband die besorgte Ansprache von Dekan Stockmayer an die Tübinger Gemeinden, verlesen von den Kanzeln am Ev. Gemeindeblatt 20(1934)5 S.4 im Dokband 60 Ev. Gemeindeblatt 21(1935)4 S.4 im Dokband 61 So Schneider im Ev. Gemeindeblatt 22(1936)4 S.4 im Dokband 62 Ev. Gemeindeblatt 19(1933)12 S.3 im Dokband 63 Ev. Gemeindeblatt 20(1934)5 S.4 im Dokband 64 LKA Ev. Dekanat Ev. Gemeindeblatt 20(1934)9 u. 11 im Dokband 66 In Tübingen lehrte sowohl der Indologieprofessor Jakob Wilhelm Hauer, der Mitbegründer der Deutschen Glaubensbewegung, die ihre Kraft aus dem religiösen Erbgut der germanischen Rasse zu schöpfen suchte, als auch der Religionswissenschaftler Gerhard Kittel, der sich auf die rassistische Abgrenzung von Judentum und Christentum gestürzt hatte. 67 vgl. den Bericht über zwei kurz aufeinanderfolgende Vortragsabende der DC und der Bekennenden Kirche im Ev. Gemeindeblatt 21(1935)7 S.4 im Dokband 68 vgl. KGRprot. v im Dokband 69 vgl. KGRprot. v im Dokband 70 Wilhelm Frauendiener (Schuhmachermeister), Zacharias Krauss (Weingärtner), Julius Luz (Bezirksnotar, Ulrichstr.13), Albert Sauer (Verwaltungsinspektor, Reutlingerstraße 35), Karl Sautter (Oberpostinspektor, Eberhardstr. 17) und Gottlob Zündel (Rechnungsrat) 71 KGRprot. v im Dokband 72 vgl. Schönhagen S KGRprot. v KGRprot. v und Pfarrreg. EBK 18a: Karfreitagsverkündigung v im Dokband. Zu DC-Pfarrer Georg Schneider vgl. Rainer Lächele/Jörg Thierfelder: Wir konnten uns nicht entziehen. 1998, S. 417ff. 105

106 Zwischen den Kriegen ( ) Harald Müller-Baur Zwischenfall in der Eberhardskirche eine Versammlung der Bekennenden Kirche 1937 Im Februar 1937 fand in der Eberhardskirche eine Veranstaltung statt, die hohe Wellen schlug und dazu führte, dass der Tübinger Dekan Theodor Stockmayer in dem nationalsozialistischen Hetzblatt Flammenzeichen scharf angegriffen wurde und sich vor dem Stadtrat schriftlich rechtfertigen musste. Für Furore sorgte dabei eine geschlossene Versammlung der Bekennenden Kirche in Tübingen. 1 Obwohl die evangelische Kirche in weiten Teilen der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten positiv gegenüber gestanden war, war der Versuch gescheitert, eine einheitliche evangelische Reichskirche unter Führung der nationalsozialistischen Deutschen Christen zu schaffen. Im Gegenteil, die Bekennende Kirche war entstanden. Auch durch die Einführung des Reichskirchenausschusses als oberstes Organ der evangelischen Kirche gelang es dem Staat nicht, den Kirchenkampf zu beenden. Am 12. Februar trat der Reichskirchenausschuss zurück, am Tag darauf kündigte Reichskirchenminister Kerrl ein Gesetz an, das einer Verstaatlichung der Kirche gleichgekommen wäre. Überraschend kündigte Hitler dann am 15. Februar die Wahlen zu einer Generalsynode an, die evangelische Kirche sollte eine neue Verfassung erhalten. Für die Bekennende Kirche war die Situation ambivalent. Die Teilnahme an der vom Staat angeordneten Wahl zur Generalsynode bedeute, dass man nicht nur ein Recht des Staates, die Angelegenheiten der Kirche zu regeln, sondern auch die ebenfalls teilnehmenden Deutschen Christen anerkannte. Andererseits gab es Überlegungen, an der Wahl mit der Absicht teilzunehmen, sich an der späteren Generalsynode nicht zu beteiligen, die Wahl aber zu einem Volksentscheid über die kirchlichen Richtungen zu machen. 2 So wertete der Tübinger Dekan denn auch im Rückblick: Eine Entscheidung von größtem Ausmaß, von schicksalhafter Bedeutung war damit dem Kirchenvolk aufgegeben. Soll die Kirche zu einer Einrichtung des Staates werden, nach staatlichen Gesichtspunkten und Methoden regiert und in den Dienst staatlicher Interessen gestellt werden? Oder soll die Kirche Kirche bleiben und erst recht werden, in der vor allem und in allem der Wille dessen oberstes Gesetz ist, der ihr alleiniger Herr ist, Deutscher Sonntag (Wochenzeitung der Deutschen Christen), 2. Juni 1935: Der Reichsbischof tauft im NS-Mütterheim Plieningen bei Stuttgart das Söhnlein unseres Parteigenossen Kreisleiter Mauer, Stuttgart 106

107 Zwischen den Kriegen ( ) Jesus Christus, in der die in Jesus Christus geoffenbarte ewige Wahrheit die Eine alle verpflichtende und alles gestaltende Macht ist? 3 Obwohl noch kein Wahltermin feststand, begann man auch in Tübingen mit der Aufklärungsarbeit zur Wahl. Am 28. Februar 1937 fand eine nicht öffentliche Versammlung der Bekennenden Kirche im Kirchenbezirk Tübingen in der Eberhardskirche zur Besprechung der Wahl statt. Entsprechende Versammlungen gab es auch in den anderen Kirchenbezirken der Landeskirche. Pfarrer, Kirchengemeinderäte und andere in den Kirchengemeinden tätigen Personen, soweit sie zur Bekennenden Kirche gehörten, hatten hierzu eine schriftliche Einladung bekommen, die als Ausweis zum Einlass in die Eberhardskirche galt. Zu Beginn der Veranstaltung wies Dekan Stockmayer auf den Charakter der Zusammenkunft als geschlossene Veranstaltung hin und bat, Personen ohne Ausweis mögen den Raum verlassen. Nach der Andacht zu Anfang der Versammlung erfuhr der Dekan, dass Oberpostinspektor Karl Sautter anwesend war. Dieser war als Deutscher Christ selbst Mitglied des Kirchengemeinderats gewesen, aber im Jahr 1936 ausgetreten. Der Dekan veranlasste ihn, die Kirche zu verlassen. 4 Am 15. März versuchte Sautter den Tübinger Stadtrat, dem er angehörte, zum Tribunal gegen Dekan Stockmayer zu machen. Er berichtete, dass er von diesem in skandalöser Weise aus der Kirche gewiesen worden sei. Sautter wollte seine Mitarbeit in der Mädchenbeschäftigungsanstalt und Kleinkinderschule beenden, da ihm nach dem Vorfall in der Eberhardskirche eine weitere Mitarbeit nicht zuzumuten sei; dort seien die Stadtpfarrer Kull und Schneider im Vorstand. Auch solle Oberrechnungsrat Schlichtenmayer als städtischer Beamter aus den genannten Einrichtungen abgezogen werden. Der Stadtrat stellte fest, dass die Vorgänge eine Beleidigung für Sautter seien und dass ihm durch den Dekan Genugtuung verschaffet werden müsse. Allerdings wollte Oberbürgermeister Adolf Scheef den städtischen Beamten nicht von seiner Tätigkeit in den genannten Einrichtungen entbinden, auch nicht generell auf den Anspruch verzichten, einen Stadtrat dorthin zu delegieren. Die Stadt solle insbesondere ihren Einfluss auf die Kleinkinderschule nicht aufgeben, da sie für deren Arbeit auch einen beträchtlichen finanziellen Beitrag leiste. Schließlich stehe auch eine Neuordnung der Kindergartenarbeit an mit dem Ziel, sie unter die Verwaltung der NS-Volkswohlfahrt zu bringen. Dies sei aber schwierig, da die Gebäude der Kleinkinderschule selbst gehörten. Scheef kündigte an, mit dem Dekan Rücksprache über den Vorfall zu halten. In der Stadtratssitzung vom 30. März 1937 berichtete Scheef von seinem Gespräch mit Stockmayer und verlas dessen schriftliche Erläuterung des Vorgangs. Auffallend ist, dass laut Protokoll der Oberbürgermeister eigentlich nur die Stellungnahme Stockmayers unkommentiert bekannt gab. Im Stadtrat wurde in der Aussprache moniert, dass Kirchen nicht für geschlossene Veranstaltungen da seien, dass Stockmayer Stadtrat Sautter in der Versammlung hätte belassen können und dass der Dekan ihm»genugtuung verschaffen«müsse. Es gab aber auch die Ansicht, dass die Stadt in diesem Falle nicht eingreifen könne. 5 Es scheint, dass die Sache für die Stadt damit auch erledigt gewesen war. Im Kirchengemeinderat berichtete der Dekan am 24. März über die Vorgänge, es erfolgte eine Aussprache, aber das Thema wurde nicht weiterbehandelt. 6 Allerdings wurde Dekan Stockmayer weiter angegriffen. Er wurde auf den Vorfall angespro- 107

108 Zwischen den Kriegen ( ) chen, auch eine diesbezügliche Zuschrift an ihn ist überliefert. Stadtrat Sautter wandte sich außerdem an das nationalsozialistische Hetzblatt»Flammenzeichen«, worauf dort unter der Überschrift»Gottesdienst oder Politik«ein Artikel über den Vorfall in der Eberhardskirche erschien. Stockmayer antwortete Sautter mit einem Brief auf die Veröffentlichung. Er betonte, dass die Entfernung Sautters aus der Eberhardskirche nicht gegen ihn als Person gerichtet gewesen sei. Aber bei den immer stärker werdenden Gegensätzen zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche müsse es deren Anhänger möglich sein, sich untereinander zu besprechen und ihr Verhalten zur vom Staat angeordneten Wahl abzustimmen. Dies sei eine Versammlung zu kirchlichen Themen gewesen und habe mit Politik oder gar Hetze gegen den Staat nichts zu tun gehabt. Die anwesenden NSDAP-Mitglieder, die zur Bekennenden Kirche gehörten, könnten das bestätigen. Stockmayer wandte sich auch an den Evangelischen Presseverband und schilderte diesem ebenfalls seine Sicht der Dinge, bat aber darum, dass man ihn bei einer eventuellen Reaktion auf den Hetzartikel in den Flammenzeichen informieren möge. 7 Hintergrund für die Aktion Sautters war nicht nur die zunehmende Auseinandersetzung von Bekennender Kirche und Deutschen Christen, zumal auf dem Hintergrund der angekündigten Kirchenwahl. Das Auftreten der Deutschen Christen, die 1933 in den Kirchengemeinderat gewählt worden waren, hatte vielfach zu Spannungen im Gremium geführt. Sie hatten jedoch alle ihre Mandate im Lauf der Zeit niedergelegt. Die Tübinger Deutschen Christen hatten sich erfolglos darum bemüht, Kirchengebäude für eigene Gottesdienste zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Tatsache, dass die Bekennende Kirche ihre Versammlung in einem Kirchengebäude einberief, deren Nutzung ihnen vorenthalten blieb, wird vermutlich mit ein Grund für das provokative Auftreten Sautters gewesen sein. Die Tübinger Ortsgruppe der Deutschen Christen hatte wiederholt versucht, Kirchen zur Abhaltung eigener Sondergottesdienste zu erhalten. Eine entsprechende Anfrage des Pfarrkonvents bei der Kirchenleitung wurde abgelehnt. Auch wenn der Kirchengemeinderat fürchtete, dass deutsch-christliche Gottesdienste den Kirchenstreit weiter verschärfen könnten, ließ man sich nach wiederholten Gesuchen der Deutschen Christen auf eine Regelung ein, wonach in Jakobus- und Eberhardskirche im Wechsel mit dem jeweiligen Stadtpfarrer ein deutsch-christlicher Pfarrer den regulären Gottesdienst hätte halten sollen. Vorbedingung wäre gewesen, dass der Gottesdienst nicht als deutsch-christlicher Gottesdienst angekündigt wird, der Pfarrer das reine Evangelium verkündet und keine Kirchenpolitik betreibt. Aber auch diesen Vor- Margret Rühle, Mitgliedskarte für den kirchlichen Mädchenkreis in der Eberhardskirche

109 Zwischen den Kriegen ( ) schlag genehmigte die Kirchenleitung nicht. Weitere Gesuche lehnte der Kirchengemeinderat dann selbst ab. Die Deutschen Christen kamen dann im Feuerwehrhaus zusammen, ab 1937 wurde ihnen vom Staat die Schlosskapelle zur Verfügung gestellt. Die Weigerung der Kirche, Kirchengebäude für Sondergottesdienste zur Verfügung zu stellen, nahmen viele Deutsche Christen ab dem Rechnungsjahr 1936/37 zum Anlass, gegen die Kirchensteuerbescheide Einspruch zu erheben. Die Einsprüche wurden 1938 gerichtlich abgewiesen. Die Wahl zur Generalsynode war immer wieder Thema im Tübinger Evangelischen Gemeindeblatt, am 15. März und 7. April 1937 fanden Wahlveranstaltungen in der Stiftskirche statt. Letztere Redner war Otto Dibelius aus Berlin wurde über Lautsprecher auch in die Jakobus- und die Eberhardskirche übertragen; Otto Dibelius war aus Berlin als Redner angereist. 8 Die Wahl wurde jedoch nie durchgeführt, die Auseinandersetzungen zwischen evangelischer Kirche und nationalsozialistischem Staat nahmen weiter an Schärfe zu. Anmerkungen: 1 Vgl. auch Benigna Schönhagen: Tübingen unterm Hakenkreuz (Beiträge zur Tübinger Geschichte 4). Tübingen 1991, S. 256f. 2 Vgl. Gerhard Schäfer: Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus. Eine Dokumentation 5: Babylonische Gefangenschaft Stuttgart LKA, Dekanatsarchiv Tübingen, Nr LKA, Dekanatsarchiv Tübingen, Nr Stadtarchiv Tübingen A 75/ LKA, Dekanatsarchiv Tübingen, Nr LKA, Dekanatsarchiv Tübingen, Nr LKA, Dekanatsarchiv Tübingen, Nr , bei der ersten Konfirmation von Pfarrer Walther Geißer erscheinen etliche Konfirmanden in HJ-Uniform. 109

110 Zwischen den Kriegen ( ) Johanna Petersmann Stadtpfarrer Schneiders letzte und schwere Dienstjahre Schneider nahm an den Diskussionen im Kirchengemeinderat teil, stellte gelegentlich Anträge und stand mit der Mehrzahl der Pfarrer des Tübinger Dekanats weiter ergeben zu Landesbischof Wurm und seinen Bemühungen, die kirchliche Loyalität dem NS-Staat so lange wie möglich zu beweisen. Im März 1938 begrüßte er mit Wurm Hitlers rechtswidrige Eingliederung Österreichs, die allenthalben mit Glockenklang im Lande gefeiert wurde. Die Dankesworte des Landesbischofs wurden im Gottesdienst verlesen und Schneider sah in dem glückhaften Geschehen...den Finger Gottes. 1 Der Gewaltakt Hitlers in Österreich und der gleichzeitig geforderte Treueid auf den Führer wurde uneingeschränkt gebilligt; der Rottenburger Bischof Sproll verweigerte damals den Eid und wurde anschließend schikaniert, verfolgt und bis 1945 ins bayrische Exil gezwungen. Nach dem Synagogenbrand Sitzung der Sozietät im Stuttgarter Kurhaus aus der Heid 1937: Die Brüder Hermann und Harald Diem, rechts daneben Heinrich Fausel und im Vordergrund rechts Paul Schempp im November 1938 protestierte Wurm gegen die gewalttätigen Übergriffe beim Reichsjustizminister, nicht ohne hinzuzufügen, dass er keineswegs dem Staat den Kampf gegen das Judentum und dessen zersetzende Wirkung auf vielen Gebieten absprechen wolle. Sowohl der Landesbruderrat unter Vorsitz des Würtinger Pfarrers Theodor Dipper, als auch die Theologische Sozietät um Paul Schempp, die Brüder Hermann und Harald Diem erhoben ihre mahnenden Stimmen gegen die württembergische Kirchenführung: Landesbischof Wurm verhalte sich ambivalent und sei zu sehr auf einen Kompromisskurs mit dem NS-Staat bedacht. Er übergehe die unchristlichen Vorgänge und die Brutalitäten gegen Andersdenkende mit Schweigen und habe sich damit vom Bekenntnis von Barmen, von der vorrangigen Autorität der Heiligen Schrift und ihrer Botschaft weit entfernt. Immer mehr Pfarrer dieser konsequent widerständigen bekennenden Kirche wurden überwacht und diszipliniert, von der Kanzel herunter verhaftet und die Fürbitten für bedrängte Amtsbrüder im Rahmen der Gottesdienste nahmen zu. 2 Erst im Juli 1940 war auch für den Landesbischof das Maß voll: Wurm protestierte beim Reichsinnenminister und im Oktober 1940 bei der Wehrmacht unüberhörbar gegen die sich ausweitenden Euthanasieverbrechen an psychisch Kranken, Schwachen und Behinderten. Er trug damit wohl dazu bei, dass die Kohlenmonoxyd-Gasöfen beim Schloss Grafeneck aufhörten zu rauchen; mindestens Menschen - auch aus Tübingen - waren 1940/41 dort ermordet worden. Reichsweit waren bereits Patienten getötet worden, bevor Hitler die Tötung lebensunwerten Lebens im August 1941 aussetzte. Der Wirkungskreis der Kirche wurde immer enger. Durch Kürzung von Staatsleistungen, durch parallele Pflichtveranstaltungen in NS-Gruppen, durch Erlasse, 110

111 Zwischen den Kriegen ( ) Strafmanöver, Denunziationen, Festnahmen und Schikanen nahmen die Kleinkriege an vielen Fronten zu und die Spannungen verschärften sich zunehmend. Schon seit Juli 1935 hatte Reichsinnenminister Frick strikt sämtliche öffentlichen kirchlich-konfessionellen Veranstaltungen verboten, sodass die Stimme der Bekennenden Kirche im öffentlichen Raum immer mehr verstummte. Religionsunterricht, Kinder- und Jugendarbeit unter NS-Repression Insbesondere in der Jugendarbeit drosselten die zunehmenden Termine von HJ und BDM die Aktivitäten der kirchlichen Gruppen 3 etwa des CVJM, deren Mitarbeiter Albert Thaidigsmann mit anderen schließlich an die Front einrücken musste. Nur ein kleiner Kreis, den Stadtpfarrer Geißer den ganzen Krieg über durchhalten konnte, blieb bestehen. Verbotenerweise verschickte Frau Thaidigsmann immer wieder Rundbriefe, die meist von Fronturlaubern verfasst waren, um den Kontakt notdürftig aufrechtzuerhalten nahmen die ersten Kriegsheimkehrer wieder die Jugendarbeit auf. Von unserer Gemeindejugend von vor dem Krieg ist nur ein starkes Drittel zurückgekommen, berichtete Dekan Theodor Haug Anfang 1948 im Tübinger Teil der Stimme der Kirche. 4 Der Tübinger Kirchengemeinderat wandte sich in einer Kanzelverkündigung im Oktober 1938 nachdrücklich an die Eltern der Konfirmanden, ihre Kinder trotz der vielseitigen Inanspruchnahme durch die Jugendverbände zur regelmässigen Teilnahme am Konfirmandenunterricht zu motivieren. 5 Auch der kirchliche Religionsunterricht wurde vom Unterrichtsstoff her stark eingeschränkt, die Geschichten des Alten Testaments waren gestrichen und die Stundenzahl reduziert. Die Religion unterrichtenden Geistlichen gerieten 1937 in Gewissensnöte durch ein von Berlin gefordertes bedingungsloses Treuegelöbnis auf den Führer, das vor dem jeweiligen Schulrat abgelegt werden sollte. Die große Mehrheit der Pfarrer wollte dies nur mit einer Zusatzerklärung tun, die den Vorrang ihrer Verpflichtung auf die Heilige Schrift und auf ihr Ordinationsgelübde verdeutlichte. Der Tübinger Schulrat nahm den Eid unter Vorbehalt nicht an. Über 700 Geistliche in Württemberg verweigerten diesen Eid und durften daraufhin keinen Religionsunterricht mehr erteilen. 6 Im Mai 1936 gab es anstelle der konfessionellen Volksschulen in Tübingen nur noch die deutsche Einheitsschule. Im September 1936 waren die Kindergärten an der Reihe. Kultusminister Mergenthaler forderte eine Erziehung der Jüngsten im Geist des Dritten Reichs. In Derendingen und Lustnau hatten bereits NS-Schwestern die kirchlichen Schwestern abgelöst. In den beiden städtischen Kindergärten hielt die Stadt nur zwei Drittel der Personalfinanzierung in ihrer Hand. Die städtischen Mittel sollten gestrichen werden. Der Amtsleiter des städtischen Wohlfahrtsamts Schlichtenmayer forderte die Ablösung von Stadtpfarrer Schneider, der als Vorstand naturgemäß die Erziehung der Kinder im Geiste der Kirche lenke. Er solle durch einen Beauftragten abgelöst werden, der die Geschäfte nach dem Führerprinzip im nationalsozialistischen Geist führt. In diesem Falle machte die zuständige Ministerialabteilung für Bezirks- und Körperschaftsverwaltung mangels rechtlicher Möglichkeiten nicht mit. So installierte Partei und NS-Staat kurzerhand einen zusätzlichen neuen NS-Kindergarten im früheren Normannenhaus. 7 Die immer karger werdenden Berichte Schneiders im Gemeindeblatt spiegeln die Zwänge wider, unter 111

112 Zwischen den Kriegen ( ) denen die Kirche und ihre öffentlichen Sachwalter zu leiden hatten. Dass Schneider dazu übergegangen war, seine Beiträge für die Gemeinde mit Gott zum Gruße statt wie noch 1934 Mit deutsch-evangelischen Grüßen zu schließen, ist für den heutigen Leser bereits eine Botschaft. Seine Schilderung des 25jährigen Jubiläums des Eberhardskirchenchors im Dezember 1936 ließ nochmals seine Freude über einen guten Anlass und ein gelungenes Feiern erkennen, wenn auch in aller Stille im kleinen Kreise der eigenen Mitglieder. Er lobte die gottesdienstliche Wirkung des Chors unter seinen beiden langjährigen Leitern, den Herren Oberlehrer Kübler und Hauptlehrer Friedrich Bauschert, insbesondere auch in den guten Zeiten, als die Lutherfeiern noch in der Eberhardskirche stattfanden. Schließlich blickte er hoffnungsvoll in die Zukunft, wenn in weiteren 25 Jahren die Eberhardsgemeinde selber ein Jubiläum ihres eigenen Bestehens feiern wird. Bis dorthin wird dann hoffentlich auch die Lage der Kirche im allgemei- Johannes und Else Schneider, geb. Kobelt Grabstätte auf dem Stadtfriedhof Tübingen 112

113 Zwischen den Kriegen ( ) nen über ihre jetzige Krisis hinweg und so geklärt und gefestigt sein, daß die volle Stimmung zu einem solch größeren Jubiläum vorhanden ist. Und fast hellseherisch fügte Schneider hinzu: Vielleicht daß bis dorthin auch Wünsche, die für die Eberhardskirche laut werden, nach einem Turm, einem vollen Geläute, einer Uhr u.a., doch noch z.t. erfüllt werden konnten...und die Eberhardsgemeinde selbst dürfte bis dorthin aus einem bloßen Seelsorgebezirk zu einer selbständigen Kirchengemeinde geworden sein.wenn sie dann sogar im eigenen Gemeindehaus feiern könnte, während sie heute jedes eigenen Lokals entbehrt, wäre es um so schöner. 8 Schneiders Wunschvorstellungen von Turm, Gemeindehaus, Uhr und neuem Geläute für die Eberhardskirche sollten tatsächlich Wirklichkeit werden, allerdings erst 50 Jahre nach der Einweihung der Eberhardskirche im Jahre Die Eberhardsgemeinde als selbständige Kirchengemeinde existierte schon 15 Jahre früher. Schneider erkrankte ernsthaft im Juni Bei der Verabschiedung würdigte Dekan Hermann Faber Schneiders Verdienste ums Gemeindeblatt in einer Zeit, wo die Tagespresse zwar von langen Rettichschwänzen und von Kälbern mit zwei Köpfen berichtet, das lebendige kirchliche Gemeindeleben aber, als ob es nicht da wäre, mit völligem Stillschweigen übergeht. 9 Die Redaktion des Blatts in den letzten Erscheinungsjahren bis Mai 1941 übernahm Stadtpfarrer Kull von der Spitalkirche. Aus Schneiders Abschiedsbrief an die Gemeinde geht hervor, wie stark er unter den Übergriffen des Regimes litt und er schloss mit dem Wunsch, daß das Evangelium von der heiligen Liebe Gottes in Jesus Christus...allezeit frei in ihr verkündigt werden darf, ohne daß es von irgend einer Seite her irgend eine Gewalt leidet. 10 Schneider wohnte im Ruhestand in der Gartenstraße 25 und blieb mit seiner Tübinger Gemeinde verbunden. Er betreute weiter die Theologische Lesegesellschaft des Bezirks und arbeitete im Vorstand der Kleinkinderschule mit. Als Anna Röhm (Tante Röhm) im Oktober 1940 nach 27jähriger Arbeit im Kindergarten Paulinenstraße von Erika Kullen abgelöst wurde, würdigte er ihre treuen Dienste an den Kindern, die sie allein und immer wieder mit frischem Mut über all die Jahre anleitete und mit Eifer viele Feste im Jahreslauf mit Kindern und Eltern in Szene setzte. 11 Am starb Pfarrer Schneider 78jährig, ein freundlicher Nachruf von Dekan Stockmayer erschien im Schwäbischen Tagblatt und Kirchengemeinderat Huber legte einen Kranz am Grab nieder. 12 Anmerkungen: 1 vgl. Wurms Ansprache v und Schneiders Bericht im Ev. Gemeindeblatt 24(1938)5 im Dokband 2 vgl. die abgedruckten Fürbitten v und im Dokband 3 Ev. Gemeindeblatt 23(1937)6 im Dokband 4 Stimme der Kirche. Ev. Gemeindeblatt für Tübingen 2(1948)3 5 Verkündigung v im Dokband 6 vgl. Lächele/Thierfelder ( s.o. Anm. 125) S. 165ff. 7 SAT F Ev. Gemeindeblatt 23(1937)1 im Dokband 9 Ev. Gemeindeblatt 24(1938)11 10 Ev. Gemeindeblatt 24(1938)9 und 10 im Dokband 11 Ev. Gemeindeblatt 26(1940)1 im Dokband 12 Schwäb. Tagblatt v im Dokband. Das großzügig angelegte Grab, in dem 1926 bereits Schneiders Frau Else geb. Kobelt beerdigt worden war, ist in der Abt. K 13/14 auf dem Stadtfriedhof erhalten. 113

114 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Harry Waßmann Walther Geißer ( ) Wenn gewagte Worte Vertrauen eröffnen Walther Geißer Stadtpfarrer in Winnenden bewirbt sich Anfang September 1938 auf die frei gewordene 1.Stadtpfarstelle an der Eberhardskirche in Tübingen und zwar ausdrücklich als Mitglied der Bekennenden Kirche, die sich dem Anpassungsdruck an die NS-Ideologie in der Kirche widersetzt. Meine kirchlich-theologische Stellung wird im Oberkirchenrat bekannt sein: Ich stand immer bei der bekennenden Kirche und dem ihr verordneten Kampf und gehöre der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft an. 1 Ende des Monats bekommt Walther Geißer die Stelle von Landesbischof Wurm übertragen. Aber in was für ein Tübingen kommt dieser Pfarrer der Bekennenden Kirche Ende 1938? Wer wissen will, wie tief der Judenhass die Universitätsstadt Tübingen Ehepaar Geißer, um 1940 damals erfasst hatte, der lese nach in den von Lilli Zapf erfragten Erinnerungen ehemaliger Tübinger Juden 2, oder denke nur an den Beschluss des Tübinger Gemeinderates vom 15. Mai 1933: Juden und Fremdrassigen ist der Zutritt zu der städtischen Freibadeanstalt zu verwehren. 3 Zehn Tage nach Geißers Amtseinführung am Reformationstag wird die Synagoge in der Gartenstraße verwüstet und niedergebrannt. Stadt, Universität und da machte auch die Evangelisch-Theologische Fakultät keine Ausnahme waren von Propagandisten der nationalsozialistischen Ideologie durchdrungen. Die Schlosskirche hatte der Evang. Oberkirchenrat April 1937 den nazitreuen Deutschen Christen zur Nutzung überlassen. In dieser Stadt hatte Walther Geißer einst studiert, im Herbst 1921 das Examen abgelegt und war 1925/1926 als Repetent im Ev. Stift tätig. In dieser Zeit hatte er auch einige Mal in der Eberhardskirche zu predigen 4 und hier wirkte auch Jahrzehnte lang sein theologischer Lehrer Adolf Schlatter (von ), der im Mai 1938 verstorben war und zu dessen Gedenken das Haus der Studentengemeinde am 27. November 1938 (1. Advent) benannt wurde. In dieser Stadt lebten 1938 als Witwen Walther Geißers Mutter wie auch seine Schwiegermutter. In eben diese Stadt kamen Walther Geißer mit seiner Frau und seinen vier kleinen Kindern den zwei Söhnen Hans (geb. 1928) und Walter (geb.1932) und den zwei Töchtern Gretel (1931) und Magdalene (1934). Ende Oktober zogen sie zu sechst in das Pfarrhaus Eugenstraße 21. Was für ein Pfarrer kam da an die Eberhardskirche? Was für Erfahrungen hat er mitgebracht? 5 In Künzelsau als Pfarrerssohn am geboren, war Walther Geißer Schüler in den kirchlichen Seminarschulen Maulbronn und Blaubeuren. Nach dem Abitur 114

115 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) 1917 hat er sich freiwillig als Soldat zum I. Weltkrieg gemeldet und war dann auch im Studium dabei, als es galt in Stuttgart und im Ruhrgebiet Aufstände niederzuschlagen. Nach seiner Studienzeit im Evang. Stift und dem anschließenden Vikariat war Walther Geißer Pfarrverweser bei Brackenheim und Leonbronn, kam 1925 als Repetent ins Stift mit dem Schwerpunkt biblische Exegese. Nach der Repetentenzeit ist er nach Bad Urach (1926) gekommen. Dort erlitt er einen depressiven Zusammenbruch. Er ist dann auf die Alb geschickt worden, dem Gomadinger Pfarrer beigesellt (1927). Da habe er sich gefangen und es ging bergauf. Sein ältester Sohn Hans Geißer mutmaßt, dass sein Vater nach dem Uracher Zusammenbruch so etwas wie ein Bekehrungserlebnis gehabt habe. Daher rühre auch die spätere Praxis des freien Gebets und die intensive Nutzung des Losungsbuches. Vermutlich hat die pietistische Prägung auch mit Walther Geißers Vater zu tun, der einerseits als typischer Hohenloher unpietistisch evangelisch war, aber doch als frommer Mühlstraße, Neckarbrücke: Siegesparade nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug im September

116 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Pfarrer in Künzelsau als Leiter der Kinderkirche Aufbauarbeit geleistet hatte. Von Gomadingen ging es 1932 nach Winnenden, wo Walther Geißer als engagierter Pfarrer der Bekennenden Kirche auffiel und von NS-Leuten kritisch beäugt wurde. Sein theologisches Profil beschrieb er in seiner Bewerbung für das Pfarramt der Eberhardskirche so: Da jedoch meine persönliche und theologische Entwicklung von zwei leider immer wieder auseinander strebenden Bewegungen zugleich beeinflusst wurde, nämlich Pietismus und reformatorischer Theologie, und ich dem Manne, der über der derzeitigen System- und Gruppenbildung stand, D.A.Schlatter besonders viel verdanke, kann ich mir von dieser (erg.: Bekenntnisgemeinschaft) im einzelnen Haltung und Weg nicht festlegen lassen. 6 wenn er von dessen Sohn Hans Spiro erfährt, wie sie ihn am Tag nach der Zerstörung der Synagoge in Tübingen in der Gartenstraße verhaftet, nach Dachau deportiert und erniedrigt und drangsaliert haben? Was erzählen am Familientisch oder auf der Kanzel, wenn er als Lazarettseelsorger heimkommt und von Eine zupackende Säule der Gemeinde: Georg Steck, von Beruf Eisenbahner, wohnte in der Ulrichstraße und reparierte alles Nötige im Pfarrhaus. Kinder riefen ihm zu: Wer kommt da um die Eck? Das ist unser lieber, alter Steck. Vertrauen Dieser Pfarrer kam Ende Oktober 1938 in dieses Tübingen und die Kirche war bei seiner Amtseinführung bis auf den letzten Platz gefüllt. 7 Doch wem konnte Walther Geißer hier vertrauen als Seelsorger, als öffentlicher Verkündiger des Evangeliums von Jesus von Nazareth? Wenn doch das öffentliche Wort kriminalisiert und das private möglicherweise denunziert wird. Wie konnte er Menschen in wichtigen Lebenssituationen in vollem Vertrauen begegnen und begleiten in einer Atmosphäre von Bespitzelung und Denunziation, so wie es der von Harald Müller- Baur zuvor geschilderte Vorfall in der Eberhardskirche 1937 zeigt. 8 Wie reagieren, wenn Konfirmanden in der Uniform der Hitlerjugend zum Unterricht erscheinen? Was sagen, wenn Kinder ihn fragen, warum er nach dem Attentat auf Hitler nicht Gott gedankt habe? Was den eigenen Kindern erklären, wenn Jugendliche ihnen hinterher rufen: Euren Vater kriegen wir auch noch 9. Was tun, wenn er 1941 Ludwig Spiro, einen getauften Juden, beerdigen soll? 10 Was, 116

117 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) den verwundeten Soldaten erfahren hat, wie grausam der Krieg ist und was für Verbrechen dort geschehen? Misstrauen und Verrat sind Fundamente einer Diktatur. Sie befördern Angst und beschädigen Vertrauen und behindern das freie Wort unter Menschen die Grundlagen für Seelsorge und eine biblisch fundierte Predigt. Dietrich Bonhoeffer hat dies an der Wende zum Jahr 1943 kurz vor seiner Verhaftung in seiner Bilanz Nach 10 Jahren so auf den Punkt gebracht: Vertrauen Die Erfahrung des Verrates ist kaum einem erspart geblieben. Die Gestalt des Judas, die uns früher so unbegreiflich war, ist uns kaum mehr fremd. So ist die Luft, in der wir leben, durch Misstrauen verpestet, dass wir fast daran zugrunde gehen. Wo wir aber die Schicht des Misstrauens durchbrachen, dort haben wir die Erfahrung eines bisher gar nicht geahnten Vertrauens machen dürfen. Wir haben es gelernt, dort, wo wir vertrauen, dem anderen unseren Kopf in die Hände zu geben; gegen alle Vieldeutigkeiten, in denen unser Handeln und Leben stehen musste, haben wir grenzenlos ver- Otto und Ilse Michel zu Beginn ihrer Tübinger Zeit (um 1940) 117

118 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) trauen gelernt. Wir wissen nun, dass nur in solchem Vertrauen, das immer ein Wagnis bleibt, aber ein freudig bejahtes Wagnis, wirklich gelebt und gearbeitet werden kann.... Wir haben gelernt, uns den Gemeinen durch nichts, dem Vertrauenswürdigen aber restlos in die Hände zu geben. 11 Dort haben wir die Erfahrung eines bisher gar nicht geahnten Vertrauens machen dürfen, schreibt Bonhoeffer. Offenbar konnte in der Eberhardskirche immer wieder einmal die Schicht des Misstrauens durchbrochen werden. Was für ein großes Geschenk in Zeiten der Diktatur! Walther Geißer und Glieder der Gemeinde schenkten einander Vertrauen. Abzulesen ist das an den intensiven Erinnerungen an Pfr. Geißer, die in vielen, die ihn erlebt haben, bis heute lebendig sind, ihnen etwas bedeuten und sorgsam bewahrt werden: Wortspiele, Predigten, Fotos, Alltagsszenen. Viele in der Gemeinde haben ihrem Pfarrer Walther Geißer Vertrauen geschenkt und er hat seinerseits dieses Vertrauen mit seinem Dienst erwidert. Walther Geißer hat das Wagnis der Predigt angenommen im seelsorgerlichen Besuch, in der Verkündigung auf der Kanzel, in Gesten und Taten. Das hat Vertrauen eröffnet, weil viele gespürt haben hier ist einer mit seiner ganzen Existenz dabei. Etliche seien auch von weit her zu Fuß in die Eberhardskirche zum Gottesdienst gekommen. 12 Manche von der anderen Seite der Bahnlinie haben ihre Kinder sehr bewusst zu Walther Geißer in den Konfirmandenunterricht geschickt, wie z.b. die Familie Michel. Das hatte geistliche Gründe. Otto Michel, Mitglied der Bekennenden Kirche in Halle, kam als Dozent nach Tübingen und fand in Walther Geißer ebenfalls Mitglied der Bekennenden Kirche einen Bruder im Geist. Eine intensive Freundschaft verband die beiden. 13 Der Theologe Otto Michel half mit Predigtdiensten und hielt Bibelstunden. Es wuchs daraus auch bald eine Freundschaft der Familien. So erinnert sich Christa Beck, die älteste Tochter von Otto und Ilse Michel, an gemeinsame Weihnachtsabende. 14 Kinderkirche und Konfirmandenunterricht Von ihrer Kinderkirch- und Konfirmandenzeit 15 weiß sie zu berichten: Ich bin in der Kriegszeit zum Kindergottesdienst gegangen. Meine Kirche war die Laurentiuskirche in Halle und nun, seit 1941, die Eberhardskirche in der Südstadt. Ich war über die Eberhardskirche geschockt. Das war keine richtige Kirche und die Kinder benahmen sich entsprechend. Sehr genau erinnere ich mich an einen 2. Weihnachtsfeiertag, Kindergottesdienst am Nachmittag: Eine Krippe steht vor dem Altar in der Eberhardskirche und Pfarrer Geißer kniet vor der Krippe und betet, das Paul Gerhardt Lied Ich steh an deiner Krippen hier. Karte mit Konfirmandenspruch für Siegfried Riehle (1942) 118

119 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Der Konfirmandenunterricht wurde damals nach Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet. Insgesamt waren wir über 80 Konfirmanden (1947). Zu Beginn des Jahres malte man ein Blatt voll mit allen Sonntagen. Auf diesem Blatt wurde jeder Gottesdienstbesuch abgestempelt. Die Karten mit den Konfirmationssprüchen lagen umgekehrt auf dem Tisch. Jede und jeder hat eine gezogen. Die Konfirmanden wussten nicht, welchen Spruch sie gezogen hatten. Erst an der Konfirmation bekamen wir unseren Spruch. Etwas anders war es noch beim Jahrgang So erinnert sich Siegfried Riehle: Vor der Konfirmation hat Pfarrer Geißer die Konfirmationssprüche mit der Rückseite auf den Tisch gelegt und gesagt: Und nun beten wir und Gott sucht für jeden den Spruch aus, der für ihn bestimmt ist. Und da haben wir umgedreht. Meiner war 2.Samuel 22,2»Der Herr ist mein Fels und meine Burg und mein Erretter«. Und das hat gestimmt. 16 Am Ende des Konfirmandenunterrichts, so erinnert sich Christa Beck, hat Pfarrer Geißer regelmäßig aus einem Buch vorgelesen, eine christliche Biographie, und alle waren sehr beeindruckt und haben konzentriert zugehört. Was ist Sünde? Pfarrer Geißer hat die Wortbedeutung erklärt. Sünde komme von sund, d.h. in Sünde steckt die Trennung, das Getrenntsein vom Festland, man ist den LKW-Fahrt mit Konfirmierten an den Bodensee, 1949, r.v. Renate Schlunk 119

120 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Gefahren des Meeres ausgesetzt Sünde = abgesondert sein (von Gott). Diese Erklärung der Wortbedeutung hat sich mir tief eingeprägt. Nach der Konfirmation sind die Mädchen mit Fräulein Schlunk 17 zu einem Ausflug an den Bodensee im LKW gefahren. Es war kein gutes Wetter, aber im Freien bei Fahrtwind auf dem LKW, da hatten alle einen Sonnenbrand. Ein beeindruckender aber auch ein strenger Konfirmator sei er gewesen, der viel auswendig lernen ließ. Nicht ohne Erfolg. So sollten zwei Konfirmierte Renate Keller und Lutz Knauf - im Christfestgottesdienst am die Weihnachtsgeschichte nach Lukas auswendig vortragen was sie auch getan haben. Übrigens: Einen Gottesdienst an Heiligabend gab es wie auch in vielen anderen Gemeinden in diesen Jahren noch nicht. Walther Geißer, Zwei Predigten Jahresschluss 1939 / Neujahr 1940 Pfarrer i.r. Wilhelm Wurster Für mich war die Eberhardskirche eine Heimat in der braunen Zeit. So blickt Pfarrer i.r. Wilhelm Wurster auf Kinderkirche ( ) und Konfirmandenunterricht in der NS-Zeit zurück. 18 Kinderkirche (ca ) In den vorderen Bänken waren immer viele Kinder. Es können vier, fünf Gruppen gewesen sein, die von Erwachsenen ihre biblische Geschichte erwarteten. Der Hunger danach war damals echt und die Helfer waren meiner Aufmerksamkeit sicher, auch wenn der Lausbubenkitzel mitlief. Mädchen und Buben immer getrennt, Helferinnen für die Mädchen, Helfer für die Knaben. Klappernd waren Glaswände und Türen des abgeteilten Konfirmandensaals unter der alten Empore. Und es war kalt. Wir erwarteten nichts anderes. Der Staat hat sicher keine extra Zuteilungen von Kohlen eingeräumt. Konfirmandenunterricht ( ) Pfarrer Geißer ist der Vater meines lebenslangen Freundes Hans Geißer. Sein Lächeln ist mir geblieben vom ersten Eindruck, als ich mit einem oder zwei anderen im Unterricht ihm angeboten habe, alle Lieder, die er regelmäßig mit uns sang, gut vorher zu lernen, wenn er nur nicht mitsingen würde. Er war unmusikalisch. Im Unterricht war er fordernd und zudringend beim Darstellen und Einprägen. Der Nazi-Ideologie von zum Tod bereiten Heroen widersetzte er sich frontal, wenn er die Gethsemane- Schilderung verteidigte, nein, als die wahre Lebens- 120

121 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) fürstlichkeit weit vorordnete. Lehrer Bauschert war beteiligt am Disziplin herstellen. Konfirmation 1943: Ich kann meine greifbar gebliebene Legende nicht von blanken Fakten trennen. War da - mindestens im Vorlauf nicht ein Geländespiel der HJ geplant; gefürchtet, dass es geplant sei? Und Geißer sagte dazu:...dann kommt ihr, sobald ihr könnt. Wir warten auf euch. War s denn wirklich so, mein Konfirmationsbild erzählt es anders. Gut gekämmt und feier- Kindergartenfest im Kindergarten in der Paula - am Donnerstag, 20. Juli 1944: Liese Zürn, verh. Lemke, links am Tisch, spielt die böse Schwiegermutter von Aschenbrödel. Während des Festes ist Aufregung. Es geht das Gerücht vom Attentat auf Hitler um, Hitler sei tot. Liese Lemke erinnert sich auch noch deutlich: Der Kindergarten war die ganze Zeit kirchlich; morgens wurde gebetet»unseren Eingang segne Gott«und am Schluss»Unseren Ausgang segne Gott.«Der Kindergarten hat damals auch jedes Jahr beim Krippenspiel und beim Erntedankfest mitgewirkt. lich stehe ich da. Aber im Grundgefühl ist das geblieben. Geißer wollte uns um jeden Preis dabei haben und es uns leicht machen, was auch vorher Störendes oder Entmutigendes passieren könnte. So ist er mir im Ganzen geblieben. Reizbar ja; auch misstrauisch prüfend, aber doch hauptsächlich einladend. Aufmerksam und Aufmerksamkeit weckend. Mein Konfirmandenspruch Man sucht nicht mehr an den Haushaltern, denn dass sie treu erfunden werden. (1.Korinther 4,2) habe ich sicher lange als Warnung und Schelte empfunden. Dann, als ich selber Paulustexte lesen gelernt habe, wurde es ein Juwel. Dass keine HJ-Uniform zum Unterricht oder gar Gottesdienst erwünscht war, kann ich so nicht erinnern; aber für hoch wahrscheinlich muss ich s halten. Denn Geißer war mutig und unbeugsam. Schuldbekenntnis So erinnere ich mich an schroffe Diskussionen mit dem Landgerichtsdirektor Dr. Conrad Heimberger aus der Gemeinde, der Pfarrer Geißer 1945 wegen des Stuttgarter Schuldbekenntnisses angriff. Der Gerichtspräsident warnte alle, dass uns hier eine zweite Kriegsschuldlüge in der Welt schade. 19 Zum Kirchengebäude: Dunkle Bankreihen gewiss, aber der Raumeindruck war heller, Lichteinfall vom Südgang her, unvergleichlich anders.... Die Klinkersäulen waren schöner als die Düsternis der Glasbausteine mit Stacheldrahtmuster. Aber man hat auch schon immer über die Eberhardskirche gemotzt. Geistliche Bierbrauerei sagten meine Großonkel in der Bauzeit in Anspielung auf die Wulle-Brauerei in Stuttgart. 121

122 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Walther Geißer war um eine sorgfältige Gestaltung des Gottesdienstes bemüht. Nicht nur die Predigt, den ganzen Gottesdienst hat er intensiv vorbereitet. Walther Geißer ließ hin und wieder auf dem Altar Kerzen anzünden. Für evangelische Kirchen in Württemberg war das damals noch ziemlich ungewohnt. Oder er benützte liturgisch nicht ganz stilgemäß für das Eingangs- und Schlussgebet gern geistliche Gedichte, wie sie damals von Hand zu Hand gingen und z.t. sich mittlerweile auch in Gesangbüchern finden, etwa von Jochen Klepper, Otto Riethmüller oder Siegfried Goes. 20 Ökumenische Ansätze Für die Ökumene mit der katholischen Kirche hatte Walther Geißer einen ausgeprägten Sinn. Bei einem ökumenischen Gottesdienst im Standortlazarett sei er sehr beeindruckt gewesen von einem lettischen, katholischen Pfarrer, der solo Ein feste Burg ist unser Gott geschmettert habe. Im Konfirmandenunterricht habe er auf konfessionelle Unterscheidungen hingewiesen aber keine antikatholischen Reflexe gezeigt. Beeindruckt hat ihn auch eine Mai-Andacht im Oberland: Wie christuszentriert die Predigt des katholischen Priesters war. Dazu passt auch, dass Geißer 1941 im Evang. Frauen- Konfirmationsbild 1943 Wilhelm Wurster 2. von rechts neben Organist Friedrich Bauschert 122

123 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) bund einen Vortrag über Maria hielt. Am Kriegsende wurde er vom Repetenten Weitmann vom Wilhelmstift angefragt, ob man den Katholiken, die südlich der Bahnlinie wohnen, gelegentlich die Eberhardskirche für Gottesdienste überlassen könne. 21 Seelsorge Intensiv war Geißer zu Hausbesuchen in der Gemeinde unterwegs. Sehr wichtig war ihm die Seelsorge in den Soldatenlazaretten im Alexanderpark und auf dem Sand. Geißer kam von dort regelrecht depressiv zurück. Die Mutter äußerte zu den Kindern: Der Vater hat viel über die Judenaktionen im Osten erfahren, das hat ihn fürchterlich beschäftigt. Ein verletzter Soldat soll zu ihm gesagt haben: Herr Pfarrer, wenn mir des einmal büßa müsse, was wir den Juden angetan haben, dann geht s uns schlecht. Hans Geißer mutmaßt: Es müssen schauderhafte Details gewesen sein, die sein Vater da vernommen hat. Besonders eindrücklich waren auch die Gefallenen-Gedächtnisgottesdienste in der Eberhardskirche. Sehr gefühlvoll. Da sei die sentimentale Seite seines Vaters zum Ausdruck gekommen, erinnert sich Hans Geißer. Er selber erinnert sich auch noch an einen Gefallenen-Gedächtnisgottesdienst mit Landesbischof Wurm. Wurm war ein Bundesbruder von Geißer von der Verbindung Luginsland und hat bei der Gelegenheit in der Eberhardskirche gesprochen. 22 In großer Treue hat Geißer die Namen der gefallenen Soldaten im Gottesdienst verlesen. 23 Seine ausführliche Gefallenen Liste ( ) hat er mit vielen persönlichen Notizen über die Toten versehen. Er hat ebenso eine Liste der Kriegsgefangenen geführt und mit ihnen korrespondiert. Die Kriegshandlungen wurden im Gemeindeleben bedrückende Realität. Man bedenke: Die Bibelstunde wird am 10. März 1943 wegen Fliegeralarm abgebrochen, die Konfirmation am 4. März 1945 wurde wegen eines Fliegerangriffs am Morgen von Alarm unterbrochen und am Nachmittag Uhr fortgesetzt. 24 Am 17. April notierte Geißer: Fliegeralarm auf Straßen der Eberhardsgemeinde (Schaffhausenstraße, Bismarckstraße, Mathildenstraße, Lorettostraße, gen Süden altes Standortlazarett) Die Welt im Spiegel der Bibel In solchen Zeiten hat Geißer die Bibel als ein Lebensbuch gelesen, das seine Zeit diagnostiziert, ja entschlüsselt. Am Reformationsfest 1939 predigt er über das Wort Es steht geschrieben... unter dem Thema: Was fangen wir mit der Bibel an? Was fängt die Bibel mit uns an? Geißer steht nicht als Ausleger neben dem Wort der Bibel. Im Gegenteil. Gerade in der Umkehrung der Frage Was fängt die Bibel mit uns an? wird deutlich, wie sehr ihn Gottes Wort als persönliche Anrede und Anfrage erreicht. Das wird im Unterricht und in der Predigt schon an seiner Textauswahl erkennbar: In seinen Bibelabenden und Betstunden behandelt er bezeichnenderweise 1938 die Apokalypse (Sendschreiben), 1939 die Vaterunserbitten, 1944/45 das Buch Hiob und 1946 Daniel. Drei Tage nach der Befreiung Tübingens zwei Tage nach Hitlers Geburtstag predigt Geißer am Sonntag, über 2.Mose 17,15: Und Mose baute einen Altar und nannte ihn: der HERR ist mein Feldzeichen. Oft wählte Geißer für seine Predigt und Betstunde die Bibelworte der Jahreslosung und oder des Monatsspruchs. Die waren in Zeiten der Diktatur in Deutschland zum geistlichen Gegenwort zur NS-Propaganda geworden und massenhaft verbreitet. Der Versuch der NS-Ideologen, den Braunen Monatsspruch dem biblischen Wort entgegenzusetzen, scheiterte kläglich. 123

124 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Jesus im Zentrum Geißers Christus zentrierten Predigten beeindruckten. Für die Soldaten im Krieg hat er diese Predigten im Pfarrhaus vervielfältigt und verschickt. Seine Predigten hat Walther Geißer immer schriftlich ausgearbeitet, aber frei gehalten, sehr stark in der persönlichen Anrede. Ein Seufzer von ihm: Die Perikopenordnung (Bibelabschnitte für die Predigt) da kommen wichtige Texte nicht vor! Manchmal hat er darum für die Predigt selber einen Text gewählt, z.b. den Monatsspruch oder die Tageslosung. Wie sehr ein Gottesdienstbesuch in dieser Zeit bereits ein Bekenntnis war, wie Geißer im Gemeindeblatt 1941 schrieb, das hing wohl auch mit seinen Predigten zusammen. Freilich finden sich auch Jesus - Konfirmationspredigt 1939 in seinen Predigten nationale Töne, Worte, die die Kriegsbegeisterung nachempfinden sie aber doch immer konfrontieren mit anderen Augen, den Jesusaugen. Jesus mit diesem einen Wort hat Geißer seine Konfirmationspredigt 1939 überschrieben. Und das ist Programm. Seine Predigten zeigen Jesus als ein antiheroisches Gegenbild: Blut und Wunden Jesu sind nicht Merkmale einer zu allen Opfern bereiten Herrenrasse, sondern heilende Gabe des Gekreuzigten aus Nazareth. Das ist der wirkliche, göttliche Mensch. Da die Waffen schweigen Ein sprechendes Beispiel seiner Predigten ist die an Himmelfahrt gehaltene, vom 10. Mai 1945, Eberhardskirche Tübingen mit anschließendem Abendmahl 25 Sie ist hier in Auszügen nachzulesen: Liebe Gemeinde! Seit gestern Nacht schweigt der Kriegslärm auf den europäischen Schlachtfeldern. Es fallen keine Schüsse mehr, es schreien keine Verwundeten mehr auf, es sinken keine Männer mehr fallend zu Boden, es heulen keine Sirenen mehr, es fallen keine Bomben mehr, es sinken keine Städte und Häuser mehr in Trümmer, es werden darunter keine Frauen und Kinder mehr begraben! Wir haben bedingungslos kapituliert. Nun schweigen die Waffen. Und wir, sollten wir nicht aufatmen, aufjubeln? Und nicht wahr, wir könnens doch nicht recht, es ist, wie wenn auf einem Schlachtfeld der Lärm verstummt ist, dann aber legt 124

125 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) sich drüber ein schrecklich dumpfes Schweigen, dann wird erst recht offenbar, wie viel da verwüstet ist, wie viele da gefallen sind! Wir denken an alle die, die ja nicht mehr heimkehren auf Erden und wir suchen die, die so vielfach abgeschnitten sind von uns und wissen nicht, wo sie sind, ob sie noch leben, wann und wie sie heimkehren werden. Und es liegt alles so dunkel vor uns, es ist alles so ganz anders ausgegangen, als wir dachten, es ist alles so anders geworden. Es kann nicht klingen und singen in uns, es ist, wie wenn die Saiten zersprungen wären! Alle Saiten? Es ist uns eine letzte Saite geblieben, wir dürfen noch und dürfen erst recht wieder neu Christen sein. Und auf diese letzte Saite gibt uns Gott ein neues Lied; gibt s uns gerade auch damit, dass er uns mitten in dieser dunklen Woche Himmelfahrt feiern lässt.... ALLE ZUNGEN SOLLEN BEKENNEN, DASS JESUS CHRISTUS DER HERR SEI ZUR EHRE GOTTES, DES VATERS. Das war, das Thema aller biblischen Geschichte, das ist das Thema aller Weltgeschichte, das soll sein das Thema unserer Geschichte, das wird sein das Thema der Ewigkeit.... Das ist Himmelfahrt Jesu Christi: Jesus der Herr der ganzen Welt zur Ehre Gottes, des Vaters! Stimmt das? Es gibt doch so viele Bücher von der Weltgeschichte, in denen überhaupt kein Name steht. Ist das Thema der Weltgeschichte nicht ein ganz anderes: der Kampf, der politische, der wirtschaftliche Kampf der Weltmächte miteinander und Jesus und Seine Kirche da mitten drin etwas ganz Nebensächliches, etwas höchstens für Einzelseelen, denen dieser Jesus ein Jenseits verheißt? Ist es so? Nein, Jesus Christus der Herr, das ist doch das letzte Thema auch der Weltgeschichte, das uns aufleuchtet, wenn wir nur sehen können, das uns in den Ohren klingt, wenn wir nur hören können: Wie sind sie alle dahingegangen, die Reiche dieser Welt!... Ja, Jesus Christus der Herr! Das ist das Thema der Weltpolitik Gottes, und die allein bleibt auf dem Plan. Und selbst da, wo die Welt ihre Macht entfaltet gegen Ihn, muss sie Seiner Herrschaft dienen. Drei Jahrhunderte lang vergoss Rom das Blut der Christen und das Blut der Märtyrer war der Samen der Kirche. Roms Macht ging unter in diesem Kampf und die Kirche Jesu Christi gewann darin vertieftes Leben: Jesus Christus der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters! Oder denken wir an das, was uns viel näher liegt. Wie viele Zeugen Jesu Christi wurden gerade in den letzten Jahren zum Schweigen gezwungen, gerade die Treuesten, die Eifrigsten, die um Seines Befehles willen, um der Wahrheit willen und um einer letzten echtesten Liebe willen zum Deutschen Volk mit aller Deutlichkeit die Alleinherrschaft Jesu und Seinen Herrschaftsanspruch auf das Deutsche Volk bezeugten. Sie wurden zum Schweigen gebracht, vielfach bedrängt, jahrelang in Haft genommen, und nun, heute sind alle diese Dränger dahin, so plötzlich dahin und ein Niemöller nach siebenjähriger Haft und andere sind wieder frei zu neuem noch gesegneterem Dienst.... Jesus Christus zur Ehre Gottes, des Vaters, das Thema aller Weltgeschichte und DARUM SOLL ES AUCH SEIN DAS THEMA UNSERER GESCHICHTE. Ja das Thema unserer Deutschen Geschichte!... Und dann kam die Zeit, da scheinbar die deutsche Geschichte auf ihre letzte Höhe stieg, da Gottes Güte uns viel Gutes bescherte, und noch mehr Zungen schwiegen von Ihm, dem einen Herrn, und immer mehr Zungen lästerten Ihn, verwarfen Ihn, gerade auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens, vor allem da, wo Jugend erzogen werden sollte. Und Gott? Gott schien zu schweigen zu all diesem Toben und Schreien wider Christus und seine Sache. Und noch etwas anderes schrie immer lauter, es schrie Blut, ja Blut schrie auf gegen uns, nicht das Blut im ehrlichen Kampf an 125

126 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) den Fronten vergossen, aber das Blut auf andern unheimlichen Schlachtfeldern vergossen, das Blut armer kranker Volksgenossen, das Blut nicht bloß von Männern, sondern von Frauen und Kindern, die gequält und getötet wurden um keiner persönlichen Schuld, sondern nur um des einen willen, dass sie der Schöpfer selber so geschaffen hatte, - und dieser Schöpfer schien dazu zu schweigen. Und wir? Wir meinten größtenteils, wir dürften auch dazu schweigen und machten uns mitschuldig dadurch. Lasst uns nicht warten, bis andere aufbrechen, lasst uns den Anfang machen im eigenen persönlichen Aufbruch, wie einst Seine Jünger, ohne Rücksicht darauf, ob das Briefe von Kriegsgefangenen an Walther Geißer ganze Volk mittut oder nicht, aber um des Herrn willen und aus Liebe zu unserem ganzen Volk. Jesus Christus, dein und mein persönlicher Herr, darum geht s.... Dann ist die neue Welt da, die Welt, die ganz bedingungslos kapituliert hat vor Gott, ihrem Herrn und die darum bedeckt ist von Gerechtigkeit und Friede wie von Meereswellen, wo darum alle Eigenart und Mannigfaltigkeit der Menschen und Völker sich wundersam entfaltet nicht mehr in gegenseitiger Zerstörung, sondern zum Segen füreinander, wo alles Leben und Lieben, alles unaufhörliche Feiern und Dienen zugleich durchdrungen sein wird von diesem einen Thema: JESUS CHRISTUS, DER HERR, ZUR EHRE GOTTES, DES VA- TERS, UND DARUM: GOTT ALLES IN ALLEN! AMEN 126

127 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Raum für Andere Walther Geißer notierte im Pfarramtskalender: 19. April Einmarsch der Franzosen. Kampflose Übergabe von Tübingen (Kirche und Pfarrhaus bleiben völlig verschont, auch ohne Einquartierung) auch in den folgenden Wochen und Monaten. An Himmelfahrt 1945 hatte er gepredigt: Das ist die neue Welt - Feiern und Dienen! Die Familie Geißer hat das nach Kriegsende mit ihren Möglichkeiten versucht. Hansmartin Bruckmann erinnert sich, dass seine Mutter mit seinen vier Geschwistern im Pfarrhaus Eugenstraße eine Unterkunft fanden, nachdem sie ihre Wohnung in der Eberhardstr.13 auf Geheiß des französischen Militärs räumen mussten. Auch die Schwester Lore Bruckmann-Kopp weiß noch, wie schließlich acht Personen ihrer Familie im Pfarrhaus unterkamen, dazu noch zwei Studentinnen. 26 Ende Juni 1947 verabschiedete sich Walther Geißer von der Gemeinde mit Predigt (9.30 Uhr) und einer Abendmahlsfeier (20 Uhr) nach achteinhalb Jahren Dienst am Evangelium als Pfarrer in der Eberhardskirche davon 5 Jahre und acht Monate im Krieg also vom ersten bis zum letzten Kriegstag. ter der Tübinger Fakultät, die er bewusst in die Kurse als Referenten eingeladen hat. In diesen Jahren konnte er nun auch etliches von dem zu Papier bringen und publizieren, was ihn in seiner Zeit als Gemeindepfarrer berührt hat: Adventsbüchlein (1951), Passionsbüchlein (1958), Beichte und Absolution in evangelischer Sicht (1966). Für Walther Geißer war die Freudenstädter Pastoralkollegzeit eine erfüllte Zeit. Er ist dort im April 1967 im Alter von 67 Jahren gestorben wurde Walther Geißer als Pfarrer der Brüdergemeinde nach Korntal berufen. Sein Sohn Hans Geißer bezeichnet das als ein Missverständnis von beiden Seiten. Die Korntaler dachten, Walter Geißer sei pietistisch und er selber hat es als Ruf des Herrn verstanden. Aber er konnte sich mit dem Korntaler Pietismus nicht anfreunden. Geißer hat rasch eine heuchlerische Seite dieses Pietismus erleben müssen und war darüber tief unglücklich. 27 Von Korntal wurde Walther Geißer 1952 in das Pastoralkolleg nach Freudenstadt berufen. Das Pastoralkolleg wurde zur Pfarrerfortbildung errichtet und Pfarrer Geißer war dessen erster Leiter ( ). Es kamen immer wieder Vertre- 127

128 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Am 29. Januar 1966 schrieb Lilli Zapf an Walther Geißer, sie habe im Skript einer Rundfunkreportage mit dem Titel Ein Mann namens Spiro gelesen: Ohne Zweifel wäre auch ihm (...) die Hölle der Deportation nicht erspart geblieben, wenn er nicht vorher, am , in Tübingen gestorben wäre. Hier muss der damalige evangelische Pfarrer der Tübinger Eberhardskirche (= Walther Geißer) lobend genannt werden. Er scheute keine Gefahr, um den Schwererkrankten immer wieder aufzusuchen, und er war es auch, der gegen alle amtlichen Widerstände Prof. Spiro auf dem Tübinger Stadtfriedhof zur letzten Ruhe betten ließ. Am 10. Februar 1966 antwortete Walther Geißer: Zuallererst: zu rühmen ist von mir gar nichts! Die von Ihnen zitierte Rundfunkreportage... ist mir fast peinlich, denn vor der größten Gefahr scheute ich doch zurück, nämlich vor dem Versuch, die arme vereinsamte Tochter von Spiro, der ich immer wieder begegnete und mit der ich dann trotz ihrer Warnung sprach, vor der Verschleppung und Ermordung zu bewahren.... Aber wir von der Bekennenden Kirche sind auch immer wieder schuldig geworden und können im Rückblick nur von der Vergebung Gottes leben. (aus: Adelheid Schlott: Die Geschichte der Geschichten des Tübinger Synagogenplatzes. 2009, S.20) Einzige Traueranzeige für Bürger jüdischer Herkunft nach dem Krieg - Trauergottesdienst in der Eberhardskirche. Pfr. Geißer hatte den Vater Ludwig Spiro beerdigt und Elfriede Spiro war regelmäßig in seiner Bibelstunde 128

129 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Anmerkungen: 1 LKA Personalakte B54. 2 Lilli Zapf, Die Tübinger Juden, Tübingen, ebd., S.66f 4 LKA - PA/B54 5 Die folgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf Erinnerungen von Prof. Hans Geißer/Zürich und die Notizen, die ich mir bei einem Gespräch mit ihm am gemacht habe; ferner: LKA- Personalakte Geißer. 6 LKA, Personalakte, B54 7 Ev.Gemeindeblatt 11/ s. S. 106 Gretel Geißer erinnert sich an Beschattungen der Predigten ihres Vaters. (tel. Mitteilung) 9 An ein solches Hinterherrufen erinnert sich lebhaft die ältere Tochter Gretel (telefonische Mitteilung). Auch Liese Lemke, geb. Zürn hat solche Anfeindungen in Erinnerung (telefonisch): Es hat uns gewundert, dass ihm nichts passiert ist. 10 Von Geißer am beerdigt vgl. Pfarramtskalender Über Ludwig Spiro und seinen Sohn Hans Spiro: vgl. Lilli Zapf, S.60f, 170f., 221ff 11 Dietrich Bonhoeffer, Nach 10 Jahren, in: Widerstand und Ergebung, München, 1985, S So Hermann Braun, Christa Beck, Elisabeth Jehle. Siegfried Riehle erinnert sich: Da sind etliche Professoren gekommen. Werner Jetter später Professor für Praktische Theologie - sagte mir (Verf.) einmal: In der Eberhardskirche hat man gehört, was wirklich passiert. 13 Otto Michel kam zum Wintersemester 1940 nach Tübingen. Die Familie folgte zum nach, als eine passende Wohnung in der Karlstraße gefunden war. 14 Christa Beck ist 1933 geboren. Die Formulierungen entstammen von ihr schriftlich autorisierten Gesprächsnotizen ( ); Dokband 15 Sie war im Konfirmandenunterricht bei Pfarrer Geißer, obwohl die Karlstraße seit November 1938 zum Bezirk der Stiftskirche gehörte. Ein Mitkonfirmand von Christa Beck war übrigens ein Sohn von Paul Schneider. 16 So erinnert sich Siegfried Riehle, ehemaliger Diakon in Kirchentellinsfurt, Konfirmandenjahrgang 1942, an seinen Konfirmator Walther Geißer: mündlich 6. August 2010, Dokband 17 Renate Schlunk war als Gemeindehelferin seinerzeit Leiterin des Mädchenkreises. 18 Wilhelm Wurster, 1943 konfirmiert, ab 1944 zur Flak, nach dem Krieg Abitur im Seminar Urach; lebt erst seit seinem Ruhestand (1990) wieder im Elternhaus im Tübinger Süden, Schellingstraße 1. Er war als Zeitzeuge in den Arbeitskreis 100 Jahre Eberhardskirche eingeladen. Ein Gesprächsprotokoll vom und Wilhelm Wursters Aufschriebe vom Tag danach sind hier auszugsweise wiedergegeben. Dokband 19 An diese Auseinandersetzung erinnert sich auch Hans Geißer am : Es kam in der Eberhardskirche nach dem Krieg zum Streit über die Schuldfrage. Pfarrer Geißer hat das Stuttgarter Schuldbekenntnis in der Bibelstunde verlesen und besprochen. Es kam zu einer lebhaften Auseinandersetzung mit einem Juristen, der ihn anging: Wer ist das»wir«, wer ist schuld? 20 Hans Geißer, Brief KGRprot , 26 (1. Sitzung nach dem Einmarsch der französischen Truppen) 22 Pfarramtskalender: Uhr - Totensonntag Schlussansprache Landesbischof Dr. Wurm 23 Zeitzeugengespräch Ilse und reante Keller vom Pfarramtskalender Die Predigt über Lukas hat Elisabeth Jehle aufbewahrt und dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt. 26 Hansmartin Bruckmann, Brief vom ; Lore Bruckmann-Kopp, Brief vom Daran erinnert sich auch Wilhelm Wurster: Geißers im Ganzen positive Einstellung zum Pietismus... änderte sich, als er sich von der Eberhardsgemeinde (1947) nach Korntal hatte berufen lassen. Seine Abkehr von Korntal ist mir noch im Ohr: Ich will dort weg gehen, bevor aus Korntal ein Zorntal wird. 129

130 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Johanna Petersmann Eberhardskirchengemeinde selbstständig seit 1947 Schwäb. Tagblatt v Schon im Dezember 1930 waren erstmals die Vorteile eines Teilkirchengemeinderates im Kirchengemeinderat angesprochen worden: Das Zurücktreten der Verwaltungsfragen, die Entlastung des Gesamtkirchengemeinderats, die Bindung von mehr Laien für die gemeindliche Mitarbeit und die regere Beteiligung der Mitglieder in einem kleineren Gremium. Allerdings nahm erst nach dem Krieg Schneiders Amtsnachfolger Walter Geißer bei seinem Abschied im Kirchengemeinderat im Juli 1947 die Sache wieder auf und bat, ernstlich zu erwägen, ob nicht künftig die einzelnen Tübinger Gemeinden Teilkirchengemeinderäte haben sollen, in denen alle örtliche Arbeit geschieht. Das Gemeindeleben werde dadurch gefördert. Andere Kirchengemeinderatskollegen fürchteten die Trennung und vermehrte Arbeit. Der Mehrheitsbeschluss für Teilkirchengemeinderäte fiel dann aber doch im August 1947: Ab den nächsten Kirchengemeinderatswahlen sollten 11 Mitglieder für den Stiftskirchengemeinderat und je 6 für die Spital- bzw. Eberhardskirche gewählt werden, sodass der Gesamtkirchengemeinderat mit den zwölf von Amts wegen bestellten Mitgliedern bei den Sitzungen für Finanzen, Geschäftliches und Grundsätzliches jetzt 35 statt 27 Mitglieder umfassen werde. Die Wahlen für den ersten Teilkirchengemeinderat der Eberhardskirche fanden dann schon unter Stadtpfarrer Geißers Nachfolger Schaal im November 1947 statt. Die Wahlbeteiligung war außerordentlich hoch: Im Stiftskirchenbezirk gingen 73 % der Gemeindeglieder zur Urne, im Spitalkirchenbereich waren es 66 %, in der Eberhardsgemeinde sagenhafte 83 % der Evangelischen. Sie machten damit deutlich, wie groß das Interesse vor allem der Eberhardsgemeindeglieder am kirchlichen Geschehen vor Ort damals war. Hauptlehrer Gustav Huber in der Autenriethstraße erhielt die höchste Stimmenzahl. Walter Schaal ( ) Kaum zehn Monate war Walter Schaal ( ) Stadtpfarrer in der Eberhardsgemeinde, als er am erst 56 jährig - ganz unerwartet starb. Nach einem erfüllten Sonntag mit Predigt- und Kindergottesdienst, Taufe und Hochzeitsfeier beschloss er den Tag mit einem Abendmahl in der Eberhardskirche und erlag in der Nacht einem Schlaganfall. Sein plötzlicher Tod wurde in mittelbaren Zusammenhang mit seiner schweren Kriegsverletzung im 130

131 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Ersten Weltkrieg gebracht. Als junger Frontkämpfer war er 1915 nach kurzem Einsatz bei Ypern verwundet und erst nach 36 Stunden fast verblutet im Feld gefunden worden; eine Beinamputation und lange Lazarettaufenthalte folgten. Seither litt er zeitweilig unter heftigen Schmerzen, die nur mit starken Schmerzmitteln zu ertragen waren. Walter Schaal wurde ab Juli 1947 mit der Eberhardsgemeinde betraut, obwohl der Kirchengemeinderat für einen gesunden und rüstigen Pfarrer und für die Mitarbeit einer Pfarrfrau sehr dankbar gewesen wäre, da Tübingen künftig gerade nach dieser südlichen Seite hin wachsen und in der Gemeinde und in der Nachfolge Geißers eine besonders treue Übung der Seelsorge nötig gehabt hätte. 1 Aber Schaal war in Tübingen kein Unbekannter und hatte schon im Verlauf der Kriegsjahre immer wieder tapfer Vertretungsdienste übernommen, sodass Kirchengemeinderat und Gemeinde wohl dankbar waren für die schnelle Besetzung und dabei über seine einschränkende Kriegsverletzung und die fehlende Pfarrfrau hinwegsahen. Walter Schaal widmete sich nach seinen turbulenten Heerespfarrerzeiten nun mit Energie der neuen Aufgabe an der Eberhardskirche. um Papier, damit den Kriegsgefangenen, auf deren baldige Heimkehr alle hofften, jeweils zum Kirchenblatt noch ein Brief beigelegt werden könne. Im Jungmännerkreis sollten außerdem einzelne Briefbeziehungen aufgebaut und in allen Jugendkreisen Päckchen verschickt werden, um die Verbundenheit der Gemeinde zu den Gefangenen zu festigen. Man spürt im Beitrag die Aufbruchstimmung der Zeit und des berichtenden Stadtpfarrers. So traf die Gemeinde sein plötzlicher Tod, zumal sein schweres persönliches Schicksal ein sprechendes Licht auf die Zeit wirft. Walter Schaal in den Dreißigerjahren Im März 1948 erschien ein Bericht von Schaal im neuerstandenen Evangelischen Gemeindeblatt Stimme der Kirche. 2 Es sollte sein einziger Bericht bleiben. Er schilderte darin die freudige Aufnahme in seinem neuen Seelsorgebezirk und wunderte sich darüber, wie viele ihn aus früherer Zeit kannten und dass ihn so starke persönliche Beziehungen mit einem großen Teil verbanden. Er fühlte sich tatkräftig unterstützt von vielen freiwilligen Helfern in Gemeindedienst, Kinderkirche und Jugendarbeit, insbesondere von Gemeindehelferin Renate Schlunk und Mesnerin Frau Denneler. Schaal bat um Spenden fürs kirchliche Hilfswerk und 131

132 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Walter Schaal stammte väterlicherseits aus einer Handwerker- und Wengerterfamilie im Remstal; sein Vater war lange Jahre als Missionar in Indien, sodass der 1892 in Schorndorf geborene Walter Schaal mit seinen vier Geschwistern in dieser Zeit überwiegend in Pflegefamilien groß wurde. Über das Landexamen und die Seminare Maulbronn und Blaubeuren kam er ins Tübinger Stift und gehörte bald zu der nach der Stiftsstube Luginsland genannten Theologenverbindung. Die Studienzeit wurde durch seinen folgenschweren Fronteinsatz unterbrochen. Wohl während seiner Vikariatszeit in Heidenheim hatte er seine spätere Frau Gertrud Mosapp (* ) kennengelernt, die aus einer alten Theologen- und Lehrerfamilie stammte, deren Vorfahren wohl hugenottische oder Salzburger Glaubensflüchtlinge waren. Als Repetent wurde Schaal nach Maulbronn versetzt und versah dort anschließend über zehn Jahre von 1922 bis 1932 die dortige Stadtpfarrstelle. Er fühlte sich wohl in Maulbronn. Dort sind auch seine beiden Söhne Walter und Wolfgang 1928 und 1932 geboren worden. Ein Nachruf eines Maulbronner Pfarrei- Nachfolgers namens Lang am Grabe Schaals bestätigt die große Dankbarkeit der dortigen Gemeinde für Schaals Wirken in Maulbronn wechselte er als Seelsorger ans Tübinger Klinikum und übernahm außerdem von Schneider im Herbst 1934 auch noch das sich erweiternde Standortpfarramt. Zu dieser Zeit wurde die Alte Kaserne (später Thiepvalkaserne) vom Reich im Rahmen der Aufrüstung wieder militärisch genutzt, nachdem die Räume seit 1919 an Familien vermietet worden waren. Durch seine Kriegserfahrungen eignete sich Schaal besonders für dieses Amt. Möglicherweise spielte aber auch eine Rolle, dass für den gehbehinderten Schaal die Tübinger Klinik- und Standortseelsorge leichter zu bewältigen war als die seelsorgerlichen Fußmärsche in die ländlichen Gemeinden rund um Maulbronn. Schaal bezog mit Frau und Söhnen eine Dienstwohnung in der Stöcklestraße 22. Die Familie zählte nun zur Spitalkirchengemeinde, wo von 1928 bis 1947 Hermann Kull Stadtpfarrer war, mit dem Schaal eine enge Freundschaft verband. Als Pfarrer Kull im Frühjahr 1942 erkrankte, sprang z.b. kurzfristig Wehrmachtspfarrer Schaal beim Konfirmationsgottesdienst für ihn ein. Unter den 52 Konfirmanden war damals auch sein Sohn Walter, der zu dieser Zeit als Jungvolkführer stolz war auf seinen Vater in Wehrmachtsuniform. Wenig später ging Walter Schaal jun. aber auch gerne in den sogenannten Türmerkreis, einen kirchlichen Jugendkreis, der sich zur Bibelarbeit hoch oben im Türmerzimmer der Stiftskirche oder im Gemeindehaus in der Neckarhalde zusammenfand; auch Handball- und Geländespiele, die eigentlich der HJ vorbehalten waren, fanden auf dem Schnarrenberg rund ums dortige CVJM-Häuschen statt. Der Kreis wurde zeitweilig von Schneidermeister Jakob Krauss aus der Münzgasse 12 und von dem als Soldat verwundet heimgekehrten späteren Stiftskirchenmesner Helmut Weber betreut. Jakob Krauss gehörte später neben Prof. Adolf Köberle, Studienrat Reinhold Schönig und den beiden Südstädtern Kaufmann Hans Künstle und Hauptlehrer Friedrich Bauschert zu den fünf Tübinger Persönlichkeiten, die kirchlicherseits für den im Mai 1945 von der Stadt Tübingen in Aussicht genommenen Stadtbeirat vorgeschlagen wurden; keiner der Genannten war NSDAP-Mitglied ge wesen. 4 Ab 1939 wurde Schaal von der Klinikseelsorge beurlaubt, gab damit auch seinen Sitz im Kirchengemeinderat ab und wurde ab September 1939 zum hauptamtlichen Wehrmachtspfarrer zugleich auch für Reutlingen und Horb ernannt. Ab 1941 arbeitete er schließlich als Wehrmachtsoberpfarrer in Stuttgart, 132

133 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) danach 1942/43 in Nürnberg. Seine Heimatadresse blieb aber in diesen Jahren die Tübinger Stöcklestraße, von wo aus die Söhne die Silcherschule und später das Uhlandgymnasium besuchten. Mit der Zunahme der alliierten Luftangriffe auf Nürnberg als der Stadt der Reichsparteitage zog Schaal wieder ganz nach Tübingen, wo er als Wehrmachtsoberpfarrer gelegentlich den erkrankten Pfarrer Geißer im Predigtgottesdienst oder bei den Konfirmanden vertrat. Auch übernahm er wieder Seelsorgebesuche im Versorgungskrankenhaus und anderen Tübinger Lazaretten für die im Fronteinsatz abwesenden Pfarrer. Überschattet waren die Tübinger Jahre durch eine schwere psychische Erkrankung der Ehefrau. Dem älteren Sohn blieb das sprunghafte und unbegreifliche Verhalten der Mutter nicht nachvollziehbar. Er erinnert sich noch an Unfälle, die ängstigten. Postkarten, wirre Briefe und lange Schreiben an die Familie oder an Behörden bis hin zur Reichskanzlei, die in schwer lesbarer und kleinster Handschrift geschrieben waren, kamen vereinzelt zurück in die Hände des Ehemanns in die Stöcklestraße. Frau Schaal wurde eines Tages 1936 in der Wohnung von der Geheimen Staatspolizei abgeholt und ins Frauengefängnis nach Gotteszell bei Schwäb. Gmünd eingeliefert. Dem Ehemann legte man als Wehrmachtspfarrer nahe, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, was er strikt ablehnte. Er war bis zu einem gewissen Grad erleichtert, dass sie vom dortigen Gefängnisarzt als nicht zurechnungsfähig und als psychisch erkrankt eingestuft wurde, sodass sie von Gotteszell in die Psychiatrische Heilanstalt Weißenau bei Ravensburg eingeliefert wurde. So war der Verdacht der politischen Gegnerschaft ausgeräumt. Noch konnte man in dieser Zeit unter Umständen auf psychische Behandlung und Heilung hoffen. 5 Aber im Juni 1940 traf die Todesnachricht unter Angabe einer standardisierten Todesursache ( Lungenentzündung o.ä.) ein. Jetzt wurde klar, dass Gertrud Schaal geb. Mosapp zu den fast Ermordeten in der Tötungsanstalt Grafeneck bei Marbach/Münsingen zählte, die von Januar bis Dezember 1940 dort vergast wurden. 6 Aus Weißenau fanden mit ihr damals 691 Erkrankte den Tod. Hitler hatte im September 1939 die planmäßige Vernichtung lebensunwerten Lebens angeordnet. In den grauen Bussen der Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft wurden die Kranken und Behinderten aus Heimen und Anstalten nach Grafeneck gebracht und dort ermordet. Im Nachlass Walter Schaals fanden die Söhne die Todesnachricht, worauf mit väterlicher Hand Lüge! und Heuchelei! hinzugefügt worden war. 7 Spätestens nach Erhalt dieses Schreibens, das den Tod von Gertrud Schaal auf den datierte, wusste Walter Schaal, was im Lande vorging. 8 Seit 1936 blieb die mutterlose Familie lange Jahre ohne kontinuierliche Hilfe und Betreuung: Teils sprang die Großmutter väterlicherseits aus Schwäbisch Hall ein, teils waren die beiden Söhne tagsüber nach der Schule zu Gast in befreundeten Familien oder in der Dekansfamilie Stockmayer in der Neckarhalde, bis im Frühjahr 1939 zwei aus Calw stammende Cousinen des Vaters zunächst in die Stöcklestraße und Mitte 1947 ins Eberhardspfarrhaus zogen. Sie waren für die beiden Buben endlich verlässlich präsent und kümmerten sich in diesen turbulenten Jahren um den tragisch verwaisten Hausstand. Schaal hatte in diesen ganzen Tübinger Jahren eine erdrückende Last zu tragen im Spannungsfeld zwischen der Sorge um seine Frau und seine Söhne und der Ausübung seiner Dienstpflicht - zuletzt als Wehrmachtsoberpfarrer. Neben der Lazarettseelsorge forderte vor allem seit Beginn des Krieges sein Dienst unerbittlich von ihm, den ins Felde ziehenden Soldaten Mut und Gottvertrauen im Kampf um die deutsche Sache zuzusprechen und mit vorrückendem 133

134 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Krieg hatte er den unzähligen Verwundeten und den um die Toten trauernden Angehörigen Tröster zu sein. Im Oktober kurz nach Hindenburgs Tod - hatte er seinen Dienst als Militärseelsorger angetreten. Damals predigte er im Geist Hindenburgs, der Soldat solle Taten tun mit Gott mitarbeitend am Bau unseres Reiches und mitkämpfend im Kampf um das Leben unseres Volkes. Dekan Stockmayer forderte den neuen Militärpfarrer damals auf, mitzuhelfen, dass die hohe Schule des Militärs eine Pflegestätte der Kräfte sei und bleibe, in denen alle Manneskraft und alle Volkskraft am sieghaftesten sich bewährt: reines Herz, ernster Wille, hoher Mut, Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit, Selbstzucht und Vaterlandsliebe, in allem echte, lebendige Gottesfurcht. 9 Dieses Bekenntnis konnte in der Sprache der Zeit von ihm und der großen Mehrheit seiner Amtsbrüder noch glaubwürdig vertreten werden. Es klingt noch nach im Nachruf des langjährigen Freundes Ernst Schieber, Kirchenrat und Dekan in Ludwigsburg, der im Wehrkreis V in der Stuttgarter Zeit Schaals vorgesetzter Wehrmachtsdekan gewesen war. Er erinnerte daran, wie dieser aufrechte Mann trauern konnte um unser Vaterland. Schieber hatte an diesem Tag in der Eberhardskirche das Kreuz mit der Inschrift gesehen, die das Gedächtnis an den ersten Pfarrer der Eberhardskirche hier, den ehemaligen Divisionspfarrer des ersten Weltkriegs (Stadtpfarrer Meyer) lebendig halten sollte, und fügte an: Es ist uns gewesen, wie wenn gerade mit dieser Kirche die Verkündigung des Evangeliums in unserer jungen Mannschaft verbunden sein müsste. So trifft es sich, dass Schaal, der lange Jahre Soldatenpfarrer gewesen ist, seine Wirksamkeit in dieser Kirche und in der Gemeinde, die zu dieser Kirche gehört, zu beenden hatte. 10 Den heranwachsenden Söhnen erschien der Vater verlässlich, aber verschlossen, schweigsam und in sich gekehrt. Er wollte sie wohl nicht in die schwer lastenden Gewissenskonflikte und Sorgen hineinziehen, unter denen er zu leiden hatte. Sein streng geschlossener Mund, der nicht mehr sagt, als er sagen durfte, und der im Nachruf Schiebers explizit angesprochen wurde, kann als charakteristischer Zug seiner Persönlichkeit betrachtet werden. Auch seine Söhne kannten ihn so. Erst nach seinem Tod konnten die inzwischen Herangewachsenen langsam Stück für Stück erahnen, welche Zeit sie in Tübingen und in der Familie damals erlebt, aber im Ganzen nicht verstanden hatten. Walter Schaal junior war z.b. ab 1942 Klassenkamerad des ältesten Sohnes von Pfarrer Paul Schneider, der schon im Juli 1939 als Prediger in Buchenwald ermordet worden war. Auch dessen Kinder sind wie die Kinder Kurt Gersteins oder Hanns Ludins 11 u.a. für die jeweiligen Klassenkameraden durchs Uhlandgymnasium gegangen, als ob nichts geschehen wäre. Eine der Konfirmandinnen von Walter Schaal erinnert sich noch heute an die ihr damals höchst merkwürdig erschienenen Inhalte seines Unterrichts im Neckarhaldengemeindehaus. Schaal war im Chaos des letzten Kriegsjahres in der Stiftskirchengemeinde eingesprungen. Wegen der Schäden am Dach und an den südlichen Fenstern der Stiftskirche durch den Fliegerangriff im März 1944 fand die Konfirmation im März 1945 in der Eberhardskirche statt. Die Konfirmanden bekamen im Unterricht offenbar statt des Katechismus oder einer Bibellektüre Hermann Hesses Knulp zu lesen. 12 Die dortigen fiktiven Gespräche des Vagabunden Knulp über den Sinn des Lebens und die Selbstzweifel an der Richtigkeit seiner Lebensführung standen Schaal als Grundlage für die Aufarbeitung des in den letzten Jahren Erlebten und im Blick auf das nahende Kriegsende offenbar näher. Zu dieser Zeit belastete den Vater Walter Schaal zusätzlich, dass sein 16 jähriger Ältester zum Arbeitsdienst einberufen und dürftig militärisch ausgebildet noch gegen den amerikanischen Einmarsch im Bayrischen Wald eingesetzt 134

135 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) v.l. Walter Schaal im Gespräch mit Mitgliedern der liberalen DVP: Theodor Heuss, Ernst Steinbach und Otto Erbe im Vorfeld der Wahlen v oder v.l. Walter Schaal senior und junior, Vetter Gerhard Steudle und dessen Frau, r. sitzend die beiden Calwer Tanten und die Steudleskinder wurde; im Westen hatten die Amerikaner und Franzosen bereits den Rhein überschritten. Auf der abenteuerlichen Flucht geriet Walter Schaal junior in München beim Maximilianeum in amerikanische Gefangenschaft, aus der er nach zwei Monaten in Neu-Ulm entlassen wurde. Er schlug sich durch das bereits von den Amerikanern befreite Gebiet nach Schorndorf zu der Verwandtschaft durch und traf über den Schönbuch wieder heil zuhause in der Stöcklestraße ein. Als nach dem Krieg die Wohnungsnot am größten war und fast alle Wohnungen bewirtschaftet wurden, gesellte sich noch ein Vetter Schaals, Gerhard Steudle mit Frau und Töchterchen dazu; ein zweites Kind der Familie Steudle wurde während der kurzen Amtszeit Schaals im Pfarrhaus in der Eugenstraße geboren. Aktenkundig wird die Not der Nachkriegsjahre über einen Gasherd, der noch in Geißers Zeiten nach Derendingen an Pfarrer Unz ausgeliehen worden war. Nun beorderte man den Herd Anfang Januar 1948 wieder dringlich zurück ins Eberhardspfarrhaus, da Pfarrer Schaal nun auch dringend einen Herd benötigte. 13 Nach dem jähen Tod Schaals übernahm Vetter Steudle die Vormundschaft für die verwaisten Söhne. Die Familie fand nach dem Aufzug der Nachfolgerfamilie Knödler eine Bleibe in der Nauklerstraße. Der ältere Sohn Walter kam freilich nur noch besuchsweise nach Tübingen, da er mittlerweile eine landwirtschaftliche Lehre und anschließend ein Studium in Hohenheim absolvierte. Sein Bruder Wolfgang wurde Jurist. 135

136 Kriegs- und Nachkriegszeit ( ) Anmerkungen: 1 KGRprot.v im Dokband 2 Stimme der Kirche. Ev. Gemeindeblatt 2(1948)3, Dokband 3 Die zahlreichen Nachrufe u.a. auch von Kirchengemeinderat Huber für die Eberhardsgemeinde und Prof. Fezer für die Verbindung Luginsland sind in einem Typoskript im Dokband nachzulesen: Zum Gedächtnis an Walter Schaal. Die Teilnahme am Trauergottesdienst in der Eberhardskirche für den im aktiven Dienst so plötzlich verstorbenen Stadtpfarrer Schaal am Himmelfahrtstag (Dekan Theodor Haug) und vollends an der Trauerfeier auf dem Stadtfriedhof am (Stadtpfarrer Hermann Kull) war überwältigend. 4 KGRprot. v im Dokband. Die Vorschläge erwiesen sich allerdings als voreilig, da die französische Militärregierung erst über ein Jahr später am die freie Wahl von 24 Gemeinderäten genehmigte. 5 Die im Bundesarchiv Berlin im Bestand R 179 vorliegende Krankenakte aus Weißenau ist gesperrt. 6 Literatur bei Thomas Stöckle: Grafeneck Die Euthanasieverbrechen in Südwestdeutschland. Tübingen Gespräch mit Landwirtschaftsdirektor a.d. Dr. Walter Schaal am Die Asche von Gertrud Schaal geb. Mosapp wurde 1940 zunächst im engen Kreis der Familie im Stadtfriedhof beigesetzt; Pfarrer Kull hielt die Trauerrede. Nach dem Tod ihres Mannes 1948 wurde sie umgebettet und fand ihren Platz bei ihm in der Abt. R 6/1 im Stadtfriedhof Tübingen. 9 Ev. Gemeindeblatt 20(1934)11 S vgl. Dokband 11 Gerstein war ursprünglich Mitglied der Bekennenden Kirche, als SS- Offizier Augenzeuge des Holocaust in deutschen Vernichtungslagern (R. Hochhuth: Der Stellvertreter 1963); Ludin als SA-Obergruppenführer war seit 1941 in der Slowakei als deutschem Satellitenstaat an der Endlösung der Judenfrage und der Deportation von etwa Slowaken in die Vernichtungslager maßgeblich beteiligt und wurde im Dezember 1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet. 12 Gespräch mit Doris Ufer geb. Jehle aus Tübingen am KGRprot. v

137 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Johanna Petersmann Wohnungsbau für Flüchtlinge und Franzosen Bei den letzten Bombardierungen Tübingens waren die Südstadt und damit die Eberhardsgemeinde besonders betroffen. Fast 30 Menschen kamen in ihren Häusern in der Bismarck- und Schaffhausenstraße am und zwischen Güterbahnhof und den Kasernenbauten an der Reutlinger Straße am ums Leben. Zwei Tage später marschierten die Franzosen ein, wobei ein junger Mann im nahen Volkspark erschossen wurde. 1 Gas, Strom und Wasser fielen zunächst aus und die große Versorgungsnot der Kriegsjahre ging nahtlos weiter. Aufräumarbeiten in den betroffenen Straßenzügen standen an. Bis zur Währungsreform war das tägliche Leben bestimmt von der Sorge ums pure Überleben im Alltag. Heizmaterial und Lebensmittel blieben knapp und die Beschaffung von Bescheinigungen fürs Lebensnotwendigste bestimmte den Tagesablauf. Außerdem mangelte es an Wohnraum. In den Dreißigerjahren war zwar die Privathausbebauung im Bereich von Eberhard-, Mathilden- und Katharinenstraße, zwischen Johannesweg und Autenriethstraße und im eingemeindeten Derendinger Bezirk zwischen Moltkestraße und Altem Rauns weitergegangen; die Wohnungsnot blieb dennoch eines der drängendsten Nachkriegsprobleme - auch in den Pfarrhäusern. Durch den großen Zustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen aus den Ostgebieten wuchs die Tübinger Bevölkerung von Einwohnern zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auf rund anfangs der Fünfzigerjahre. 2 Die französische Besatzung quartierte sich zunächst in den notdürftig reparierten Kasernen und in rund 60 Privatvillen, fast 600 Wohnungen und über 400 Einzelzimmern im gesamten Tübingen ein. 3 Seit 1948 bemühte sich die Stadt um die Erschließung von Baugelände für den Wohnungsbau sowohl auf dem Sand und im Bereich Frischlinstraße, am stärksten aber im Tübinger Süden. In der Verlängerung der Eugenstraße, zwischen Reutlinger Straße und Galgenberg bis zur Alexanderstraße und am Hechinger Eck nahmen Kreisbau-, Postbaugesellschaft und andere gemeinnützige Wohnungsgesellschaften wie GWG und GSW die Bauvorhaben in Angriff. Im Gebiet Backofen entstanden zwölf Einfachstbauten mit Wohnküche und Trockenabort für Obdachlose. Mitte der Fünfzigerjahre schloss sich die Bebauung im Wennfelder Garten im Osten und die Diözesansiedlung im Westen des Galgenbergs an. In der 1948/49 erbauten Michaelskirche in der Hechinger Straße fanden die katholischen Neubürger ihren neuen Gemeindemittelpunkt. Skizze der neuerbauten St. Michaelskirche aus der Feder des Organisten der Eberhardskirche Friedrich Bauschert 137

138 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Plan 1950 Rund um die Michaelskirche die Panzerschuppen und Lagerhallen der Franzosen und die neue Diözesansiedlung am Galgenberg 138

139 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Die französischen Truppen bevölkerten die drei Südstadtkasernen in bewachten Tabuzonen; freilich hörte man ihre Schießübungen oder fühlte sich durch ihre Panzermanöver belästigt. Für ihre Bediensteten und Offiziersfamilien entstanden im Laufe der Fünfzigerjahre Normbauten im Bereich Eugen-/Stuttgarterund Memminger-/Fürststraße samt Französischer Schule und dem Einkaufszentrum Economat in der Katharinenstraße, sodass die vielen bis dahin in der Stadt Tübingen beschlagnahmten Privathäuser und Wohnungen nach und nach freigegeben wurden. Die Franzosen fanden ihre katholischen Andachtsräume (die sog. Aumonerie) zunächst in der Mathildenstraße, später Ecke Alexander-/Thomas-Mayer- Straße am Alexanderpark. Im städtischen Süden lebten nun Franzosen, viele Neuzugezogene, sozial Schwächere und seit den Sechzigerjahren die ersten Gastarbeiter mit den alteingesessenen Südstädtern auf dichtem Raum zusammen - aber doch weitgehend durch wirkliche oder virtuelle Zäune und Mauern getrennt nebeneinanderher. Schon vor dem Krieg war die Umgehungsstraße der B 27 gebaut worden; sie entlastete nun die Innenstadt vom Durchgangsverkehr und verlagerte damit ihre Lärm- und Abgasprobleme dauerhaft in den Süden. Die Freiräume dazwischen füllten sich ohne zusammenhängende städtebauliche Begleitung mit Industriebauten, Großmärkten und unwirtlichen Reifenund Schrottlagern. Eduard Knödler ( ) Nachdem sich Walter Schaal in seiner kurzen Amtszeit an der Eberhardskirche vor allem durch seine seelsorgerliche Tätigkeit, seine Jugendarbeit und die vielen Hausbesuche die Wertschätzung der Gemeinde erworben hatte, erhoffte sich der Kirchengemeinderat wiederum für die Gemeinde einen Nachfolger mit vergleichbaren Schwerpunkten. Im September 1948 lehnte der Kirchengemeinderat aus diesem Grund den an erster Stelle vorgeschlagenen Bewerber Dekan Dr. Martin Plieninger aus Leonberg ab, obwohl sich damit die schmerzliche pfarrerlose Zeit verlängerte. Eine Reihe von privaten Erkundungen hatte ergeben, dass der Dekan vor allem als Prediger gelobt wurde. Doch seien seine Predigten zu sehr auf die Gebildeten abgestellt und damit empfange der einfache Leonberger nicht sehr viel. Entscheidend sei aber die Auskunft, dass der Bewerber sich bei der Jugend und als Religionslehrer namentlich in der Oberschule nicht gut eignete; wegen seiner weltfremden, ungewandten, komischen Art fordere er den Spott der Schüler heraus, ja man müsse für die religiöse Entwicklung der Jugend von kirchlicher Seite ernste Besorgnis haben. 4 Oberkirchenrat Keller und Prälat Dr. Haug akzeptierten zwar das Votum des Gremiums bei der nächsten Sitzung, beanstandeten aber die Schärfe des Ablehnungsbeschlusses und die informellen Erkundungen einzelner Kirchengemeinderäte ohne Wissen des Bewerbers. Sie stellten sogar die Drohung in den Raum, bei solcher Beurteilung würde die Gemeinde vielleicht gar keinen Pfarrer bekommen. Sie forderten den Kirchengemeinderat auf, noch nachträglich direkten Kontakt mit Dekan Plieninger aufzunehmen, da er von der Befragung gehört habe und nun sehr betroffen sei und seine Dienstfreudigkeit einen schweren Stoß erlitten habe. Landgerichtsdirektor Dr. Heimberger u.a. verteidigten das Vorgehen des Rats als rücksichtsvoll und korrekt und erklärten, die Informationen seien übereinstimmend von Gemeindegliedern gekommen, die den Dekan letztlich als Prediger zu schätzen wüssten. Schließlich gäbe es vonseiten des 139

140 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Oberkirchenrats keine diesbezüglichen Richtlinien und daher lehnten sie ein nachträgliches Gespräch mit dem Bewerber als eher kontraproduktiv für beide Seiten ab. Es sei auch nicht selbstverständlich, dass ein Dekan sich auf eine Stadtpfarrstelle bewerbe. 5 An zweiter Stelle der Bewerbungsliste stand Eduard Knödler ( ). Der Kirchengemeinderat der Eberhardskirche besuchte ihn vollzählig im Gottesdienst im nahen Ofterdingen und entschied sich nach einer persönlichen Aussprache ohne Umschweife und einstimmig am für ihn. 6 Als Sohn eines kleineren Gold- und Silberwarenfabrikanten in Schwäbisch Gmünd geboren, hatte er Theologie in Tübingen und Kiel studiert und in Schelklingen als Vikar seine Frau kennengelernt übernahm er die Pfarrstelle in Ofterdingen, wo die Familie mit drei heranwachsenden Kindern über 20 Jahre beheimatet war. Knödler erfüllte dort seinen Pfarrdienst mit Leib und Seele, gründete und leitete einen ansehnlichen Kirchenchor, setzte sich mit Erfolg für einen freiwilligen Kirchenbeitrag ein, den die große Mehrheit der Gemeindeglieder gerne entrichtete 7 und gab ein Gemeindeblatt für Ofterdingen heraus. Frau Knödler unterstützte ihren Mann nicht nur beim sonntäglichen Organistendienst; sie hatte in der Schelklinger Zeit bei Stadtvikar Kiefner, dem späteren Kirchenmusikdirektor in Tübingen, die Orgel C-Prüfung gemacht. Pfarrer Knödler stand fest auf dem Boden der Bekennenden Kirche, wie Dekan Stockmayer im Visitationsbericht von 1934 anmerkte; 8 gleichwohl hatte sich Knödler in den Jahren 1936 bis Kriegsbeginn 1939 im Sommer wiederholt freiwillig zu militärischen Übungen gemeldet, für die ihm vom Oberkirchenrat eine Urlaubsverlängerung gewährt wurde. Er bedauerte in seinen Erfahrungsberichten, dass nicht alle jüngeren Pfarrer den Dienst im Heer kennenlernen konnten. Im Gegensatz zum Heerespfarrer, der als halber Vorgesetzter angesehen werde, komme der mit der Waffe dienende Pfarrer den im gleichen Glied stehenden Kameraden wesentlich näher, könne seinen Glauben vorleben und dabei seelsorgerlich tätig werden. 9 Von 1939 an leistete Knödler Kriegsdienst in Frankreich und Russland. In dieser Zeit vertrat ihn häufig bei Predigt und Kasualien der Tübinger Ruhestandspfarrer Ernst Kurz. Im September 1942 kam er als Oberleutnant mit Auszeichnungen - durch einen Nervenschuss in den Oberschenkel schwer verletzt - in verschiedene Lazarette und zur Pflege auch ins hiesige Haus der Jugend (heute Jugendherberge). Gehbehinderung und heftige Nervenschmerzen begleiteten ihn fortan. Nur während der Predigt oder beim Saunabesuch konnte er die pochenden Schmerzen vergessen. Sobald es ihm möglich war, besuchte er auch vom Lazarett aus seine Gemeinde und vertrat sich selbst auf der Kanzel in Ofterdingen. Seine Frau leitete inzwischen den Kirchenchor, hielt Konfirmandenunterricht, Mädchenkreise und organisierte das Nötige bei Beerdigungen. Nach erneutem Kriegseinsatz im Bayrischen Wald kam Pfarrer Knödler 1945 wieder in seine Gemeinde zurück und wurde mit offenen Armen empfangen. Laut Pfarrbericht 1947 nahm die Kirche weiter ihren festen Platz im Dorfleben ein, die Gemeinde war in jeder Hinsicht in einem bemerkenswert guten Zustand und die Pfarrfamilie bestens integriert. Dennoch drängte der Oberkirchenrat auf einen Wechsel. 10 Nach Marbach a.n. (damals in der amerikanischen Zone) wurde ihm das Tübinger Eberhardspfarramt angeboten; vielleicht gaben bei ihm die Nähe zu Ofterdingen und die Schul- und Universitätsperspektiven für die heranwachsenden Kinder den Ausschlag für Tübingen. 140

141 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Anfang März 1949 wurde Pfarrer Knödler in sein Amt eingesetzt. Seine Frau mit den drei Kindern konnte erst im Spätherbst im Wohnstock im Pfarrhaus einziehen, nachdem für Familie Steudle mit den Schaalsöhnen endlich eine Wohnung in der Nauklerstraße gefunden worden war. Schon am Tag nach seiner Investitur regte der neue Pfarrer in seiner ersten Kirchengemeinderatssitzung am etliche Beschlüsse an: - Drei von Dekan Haug verabredete Aufführungen des Gemeindedienstspielkreises sollen vom ausnahmsweise in der Eberhardskirche stattfinden. - Jeder Konfirmand erhält zukünftig eine Bibel zur Konfirmation. - Die Christenlehrepflicht nach der Konfirmation wird für zwei Jahrgänge wieder eingeführt. - Um eine alte Wandtafel für den Konfirmandenunterricht kümmert sich die Lehrerin und Kirchengemeinderätin Irene Kerridge. - Bei wärmerer Witterung soll dringend die notwendige Bauschau stattfinden, vor allem soll geeignete Abhilfe gegen das Hereinregnen in die Kirche geschaffen werden. - Die zerbrochenen Fensterscheiben und die fehlenden Glühbirnen sollen aus Mitteln der Eberhardskirchengemeinde repariert bzw. angeschafft werden. - Für die Orgelbenutzung wird ein neues Merkblatt entworfen. - Zwei Opferbüchsen für besondere Gemeindebedürfnisse werden zur Finanzierung des Beschlossenen aufgestellt. Ende Mai 1949 bat Knödler die Kirchengemeinderäte Heimberger, Huber und Stahl, ihn in der Bauschaukommission der Gesamtkirchengemeinde zu vertreten und dort mit Nachdruck die in der Eberhardskirche festgestellten Schäden anzusprechen, vor allem das undichte Dach. Er selbst war zu diesem Termin verhindert durch die längst vorher geplante Ausfahrt mit dem Helfer- und Mädchenkreis auf offenem Lastwagen Richtung Oberland und Bodensee. 11 Eduard Knödler im Juni 1963 Hier zeigte sich bereits die Begabung des neuen Pfarrers, die Gemeinde zu begeistern und mitzunehmen; so konnte vieles, was ihm selbst am Herzen lag, auch ohne Gesamtkirchengemeinde verwirklicht werden. 141

142 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Start des Motorsportrennens in der Reutlinger Straße; im Hintergrund sind die Speicherbauten des Depot zu erkennen 142

143 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Motorrennen stößt auf den Widerspruch beider Kirchen Im Mai 1950 bemühte sich Pfarrer Knödler, der Gemeinde den ohrenbetäubenden Lärm und die Abgase des 2. Tübinger Stadtringrennens für Motorräder und Rennwagen rund ums Dreieck Hechinger, Stuttgarter und Reutlinger Straße zu ersparen. Die Vorrunden fanden schon am Samstag statt und das Hauptrennen begann zum Ärgernis der Kirchenverantwortlichen am Sonntag zur selben Zeit wie der Gottesdienst um 9.00 Uhr. Vergebens - selbst die zeitliche Verschiebung des Motorrennens war unmöglich: Die Zustimmung des Innenministeriums war längst erteilt. Die Veranstaltungen standen unter der Ehrenpräsidentschaft des französischen Gouverneurs Widmer und des Staatspräsidenten Gebhard Müller; dem Ehrenausschuss gehörten neben hochrangigen französischen Militärs Innenminister Renner, Landrat Zahr, die Oberbürgermeister Kalbfell (Reutlingen) und Mülberger (Tübingen) und der Chefredakteur der Tübinger Chronik Will Hans Hebsacker an. Zwischen und Besucher verfolgten die Tour an den Straßen. Umjubelter Sieger war der Rennfahrer Georg (Schorsch) Meier. damit gemeint ist. Jedenfalls lässt sich aus diesen Vorgängen rund um den Motorsport ablesen, wie die Oberen auf französischer und deutscher Seite zum einen und auf katholischer und evangelischer Seite zum andern wenige Jahre nach dem Krieg sich in ihren jeweiligen Interessen inzwischen angenähert hatten. In den folgenden Jahren lief das größere Solitude-Rennen Tübingen den Rang ab und es wurde wieder ruhiger in der Südstadt. Aufwertung der Kirche und neuer Gemeindesaal Seit 1950 kümmerte sich Pfarrer Knödler auch um die ästhetische Aufwertung der Kirche von außen und innen. Hermann Braun erinnert sich: Pfarrer Knödler war mit der baulichen Verfassung der Eberhardskirche nicht zufrieden. Er habe geäußert: Man erkennt nicht, dass es eine Kirche ist. Das ist doch eine Sporthalle. Und ohne Turm ist das keine Kirche. Foto vom Oktober 1951 Der Helferkreis schrieb zum Abschied von Pfr. Knödler (1965) in seinen Geschenkband: Endlich ist die Kirche als Kirche erkennbar. Die Hechinger Straße war schon beim 1. Rennen 1949 mit einer standesgemäßen Asphaltschicht überzogen worden. Immerhin setzte Knödler zusammen mit seinem katholischen Kollegen von der Michaelskirche durch, dass durch den Bau zweier provisorischer Holzbrücken an der Kreuzung Christoph- und Ebertstraße über die Hechinger Straße die jenseits wohnenden Gemeindeglieder die Gottesdienste ungefährdet erreichen konnten. In einem Bericht wird vom einsamen Kampf des schwäbischen Don Camillo gesprochen, wobei nicht klar ist, welcher der beiden Kollegen von St. Michael oder Eberhard 143

144 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Im Frühjahr bat er den Kirchengemeinderat, sich zu besinnen, ob unsere Eberhardskirche, die für alles Mögliche von außen gehalten wird, schon äußerlich als Kirche gekennzeichnet werden könnte. Die bisherige Fahnenstange an der Nordseite sollte durch ein großes hölzernes Balkenkreuz ersetzt werden. 12 Der unschöne Leuchter im Altarraum sollte entfernt, das Mittelfenster dort abgedunkelt und der Farbanstrich der Blindfenster über dem Altarbogen geändert werden. 13 Frau Rost aus der Fürststraße 13 schenkte der Kirche eine Brücke und eine Portière zum Abdunkeln des mittleren Chorfensters. Im Oktober fiel dann der Beschluss, bei der Maßschneiderei Karl Negele in der Reutlingerstraße ein violettes Gewerk für die Abdunkelung neu anfertigen zu lassen. Außerdem sollten die Wandflächen neben dem Kreuzigungsfresko in der Farbe der Längswände überstrichen werden. In einer Besprechung über die Ausmalung der geweißelten Fläche, bei der Oberkirchenrat Kopp als Kunstsachverständiger der Landeskirche, Dekan Haug, Bauingenieur Helbling und Baurat Haug von der Stadt neben Kunstprofessor Boeckh und den Kunstmalern Biese und Bauschert dabei waren, gingen die Meinungen auseinander. Schlussendlich wurde aber entschieden, dass der junge Kunstmaler Heiner Bauschert, der Sohn des Organisten und Hauptlehrers Friedrich Bauschert, sich der Ausmalung zu beiden Seiten des Freskos annehmen solle; er verzichtete auf ein Honorar und wollte nur seine Barauslagen ersetzt haben. Vier mächtige Engel und darunter zwei Gruppen in andächtiger Haltung schwebten 16 Jahre lang zu beiden Seiten des Kreuzigungsbildes, bis die Feuchtigkeitsschäden den Anlass gaben, auch den Innenraum 1967/68 gründlich umzugestalten. 14 Im Juni 1950 tauchte im Kirchengemeinderat erstmals der Wunsch auf, einen eigenen großen Gemeindesaal im Zusammenhang mit dem Bau eines Flüchtlingsheims anzustreben. Das gelegentlich benutzte Schlatterhaus koste jedesmal Nutzungsgebühr (30 DM) und sei für die Südstädter schwer zu erreichen. Kirchengemeinderat und Baurat Albert Giesing sollte nun bei der Stadt klären, ob der tiefer liegende Platz neben der Kirche für einen Gemeindesaal in Aussicht genommen werden könnte. Gespräche mit dem städtischen Bauinspektor Helbling folgten. 15 Um eigene Mittel in der Gemeinde für dieses große Projekt zusammenzubringen und die Öffentlichkeit zu erreichen, wurde im September 1950 nördlich der Kirche ein Zelt aufgeschlagen, in dem straßenabschnittsweise die Gemeinde zu Gesang, Gedichtvortrag und schwäbischem Mundartstück geladen wurde. Zwei Jahre später führte der Helferkreis ein Stück über den originellen Münchinger Pfarrer Johann Friedrich Flattich (1713/97)auf, der viele schwererziehbare Jugendliche an seinem Tisch aufnahm und einst durch sein pädagogisches Wirken Aufsehen sogar bei Herzog Karl Eugen erregte. Bei Tee und Gebäck kamen sich die Gemeindeglieder näher; 60 Tassen für die Bewirtung waren extra dafür angeschafft worden. Die so genannten Straßenabende waren gut besucht, förderten das Zusammengehörigkeitsgefühl und der Erlös für das Gemeindehaus konnte sich sehen lassen. Vielleicht sollte das Zelt auch verhindern, dass das städtische Tiefbauamt auf der Nordseite der Kirche in der dortigen Mulde immer wieder Schotter und anderes Baumaterial lagerte und trotz wiederholter Bitten und Gespräche, zum Leidwesen des Pfarrers, sich nicht an die Vereinbarungen hielt. Der Kirchengemeinderat musste schließlich schriftlich Einspruch gegen dieses Ärgernis erheben. 16 Der Oberkirchenrat genehmigte ab Januar 1951 eine dritte Pfarrstelle an der Stiftskirche für die Bereiche 144

145 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Richtung Lustnau, für die neu entstehenden Wohngebiete auf dem Sand und in der Täglesklinge für die 1955 fertig gestellte Martinskirche betreffend. Eine Neueinteilung der Pfarrbezirke wurde damit notwendig, die auch die anderen Kirchenbezirke betraf: Der II. Stiftskirchenpfarrer gab Waldhäuser und Universitätsviertel weiter und entlastete dafür neben der Spitalkirche das Eberhardspfarramt im links der Bahn gelegenen Bereich Schaffhausen-, Bismarckund Biererstraße. Die fünf Tübinger Pfarrer hatten somit nach damaliger Zählung folgende Seelenzahlen zu betreuen: Stiftskirche I Stiftskirche II Spitalkirche Eberhardskirche Stiftskirche III Es war abzusehen, dass durch die neuen Siedlungsbauten vor allem in der Eberhardsgemeinde die Zahl der Gemeindeglieder rasch wachsen würde. 17 So versuchte Pfarrer Knödler den ständig wachsenden Aufgaben vielfältig gerecht zu werden; sein Lambretta-Motorroller verhalf ihm zur besseren Mobilität. Unvergessen sind bis heute seine Freizeiten mit den jeweils 60 bis 100 Konfirmanden, meist auf der Schwäbischen Alb, insbesondere auf dem Römerstein bei Böhringen, aber auch in Aidlingen oder Erkenbrechtsweiler. Auch ließ er es sich nicht nehmen, möglichst alle Konfirmandenfamilien zu besuchen. In den Jahren 1954/55 initiierte er auch Gebetswochen für Kriegsgefangene, Vermisste und Angefochtene. Ohne personelle Unterstützung in dem sich weiter vergrößernden Gemeindebereich überstiegen die seelsorgerlichen Anforderungen zunehmend seine Kräfte. Als Gemeindehelferinnen unterstützten ihn bei der Jugendarbeit, bei Haus- und Krankenbesuchen und teilweise auch im Unterricht nacheinander - freilich immer wieder mit Unterbrechungen: Renate Schlunk (bis Ende 1949), Marlene Schütz (bis März 1954), Renate Terpitz (bis 1956) und schließlich Christa- Maria Schmidt (bis 1973). 18 Pfarrer Knödler verstand es auch, langjährige Helfer für die verschiedenen Gruppen im Kindergottesdienst zu finden, so neben Oberlehrer Huber und dem späteren Landesjugendpfarrer Dieter Eitel auch die Geschwister Käte und Hermann Arndt Riethmüller. 19 Im November 1953 standen Kirchengemeinderatswahlen an. Alle erneut zur Wahl antretenden bisherigen Kirchengemeinderäte wurden wiedergewählt: Oberlehrer Gustav Huber (Ebertstr. 18) erhielt 439 Stimmen, Oberlehrerin Irene Kerridge (Eugenstr. 8) folgte mit 414 und Landgerichtsdirektor Dr. Conrad Heimberger (Fürststr. 13) mit 374 Stimmen. Auch Hausfrau Klara Möck (Reutlinger Str. 75), die seit Juni 1952 für die ausscheidende Gemeindehelferin Renate Andres geb. Schlunk ins Gremium nachgerückt war, und Kaufmann Carl Stahl (Christophstr. 23) blieben dabei. Nur Baurat Albert Giesing (Ebertstr. 14) stellte sich leider nicht mehr zur Verfügung. Mit Studienrat Walther Haug (Ebertstr. 20) als neuem Mitglied wurde die Ebertstraßen- und Lehrerriege weiter verstärkt. 20 Neubau von Gemeindehaus und Turm Ein Hauptanliegen Knödlers blieb der Bau eines Gemeindehauses zunächst in Verbindung mit einem Flüchtlingsheim. Anfang 1956 besichtigte der Kirchengemeinderat die Gemeindehäuser in Kirchheim a.d.teck und in Reutlingen. Die Verhandlungen über den Erwerb des Platzes neben der Kirche zogen sich über Jahre hin. Ursprünglich als Schulstandort ausersehen bot ihn die Stadt noch im September 1956 dem Jugendsozialwerk für ein Mädchenwohnheim an. Erst in einer Bürgerversammlung im März 1957 wurde der Platz vonseiten der Stadt öffentlich für den 145

146 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Die Franzosen unterstützten die Eberhardsgemeinde im August 1960, als sie mit ihrem Panzerabschleppwagen zwei Liter-Öltanks für das Gemeindehaus in die ausgeschachtete Grube hievten Bau eines Gemeindehauses angekündigt. Der Oberkirchenrat bestätigte dies kurz danach und schrieb von DM, die in der Gesamtkirchengemeinde bereits für den Bau bereitstünden, unabhängig von den in der Eberhardsgemeinde gesammelten Mitteln. 21 Im Kirchengemeinderatsprotokoll vom Dezember 1957 liest man erstmals auch von einem angedachten Kirchturm. Offenbar erwogen die Verantwortlichen zunächst auch die Konzeption des Stiftskirchenturm, mit dem dort vorhandenen Turmzimmer, das als Jugendraum genutzt wurde. Baurat Ehrlich vom Oberkirchenrat winkte eine solche Nutzung des Turmes aber sofort als unrentabel und aufwändig ab. Er riet dazu, einige Architekten mit einem Vorentwurf für das Vorhaben zu beauftragen, was die Gesamtkirchengemeinde im Herbst 1958 tat: Die Architekturbüros Greif und Theil aus Stuttgart, Ruff aus Stuttgart-Degerloch, Ulrich Reinhardt und Artur Achstetter aus Tübingen sollten Pläne für einen Gemeindehausneubau mit einem Saal für 350 Personen, 4 Jugend- und Konfirmandenräumen, je einer Wohnung für einen Hausmeister und eine Krankenschwester und den Neubau eines Turms für die Eberhardskirche entwerfen. 22 Vom noch jungen Architekten Schmid vom CVJM sei abzuraten nach den Erfahrungen mit dem damals noch jugendlichen Baumeister der Eberhardskirche. 23 Man hielt in dieser Zeit nicht viel von Martin Elsaeßer und betrachtete die Eberhardskirche gewissermaßen als Jugendsünde des großen Architekten. Am erhielt das Stuttgarter Büro Greif und Theil den Zuschlag für den Bau eines Gemeindehauses. Vor allem deren atriumartiger Hof zwischen Kirche, neuem Gemeindehaus und Glockenturm und der Durchblick zum Volksgarten imponierten. Eine große Mehrheit von 16 Stimmen bei fünf Enthaltungen und nur drei Gegenstimmen entschied sich im Gesamtkirchengemeinderat für diesen Plan. Die Gesamtkirchengemeinde stellte inzwischen DM zur Verfügung. Die Eberhardsgemeinde hatte ihrerseits DM parat und Pfarrer und Kirchengemeinderat richteten erneut ein eindringliches Bittschreiben an alle Gemeindeglieder um möglichst fortlaufende Spenden zur Realisierung des langjährigen Wunschtraums. Gute zwei Jahre später konnte im Kirchengemeinderat verkündet werden, dass DM an Spenden eingegangen seien und die Gemeinde damit schuldenfrei in die Zukunft blicken könne

147 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Schaugerüst für den Turm Letzte Planierarbeiten vor dem Richtfest am Die Glocken kommen am 5. Juli Pfarrer Knödler und viele mit ihm freuen sich. 147

148 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Reime zur Glockenweihe in der Stimme der Kirche vom Schlüsselübergabe des Architekten an Dekan Friedrich Epting und weiter an Pfarrer Knödler (v.r.) Im Publikum Pfr. Geißer mit Frau und OB Hans Gmelin (beim Pfosten rechts) 148

149 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Die Stadt hatte das Baugelände zum moderaten Preis von 15 DM pro m² an die Kirche abgegeben. Sie kündigte dazuhin an, die Kosten von DM für eine Turmuhr mit drei Zifferblättern zu übernehmen. Sicher spielte dabei die persönliche Verbundenheit des Oberbürgermeisters Gmelin mit der Eberhardskirche und der Südstadt eine Rolle. Hans Gmelin war 1925 von Stadtpfarrer Schneider hier konfirmiert worden, die Großfamilie wurzelte in der Südstadt und wohnte lange in der Gemeinde. Vielleicht trug dazu auch bei, dass die Verantwortlichkeit der Stadt für den Stiftskirchenturm eine jahrhundertealte Geschichte hat und damit die Verbundenheit von Stadt und Kirche - wie vielerorts - im Turm weithin sichtbar bleibt. Die Bauunterlagen wurden schließlich am genehmigt. 25 Die örtliche Bauaufsicht lag beim Tübinger Architekten Artur Achstetter. Die Tübinger Chronik widmete im April 1960 eine Titelseite dem seit zehn Jahren geplanten Bauvorhaben mit der Überschrift Einen Glockenturm für die Südstadt und erläuterte und begrüßte das Projekt ausführlich: Niemand wird behaupten wollen, daß die vor rund 50 Jahren gebaute Eberhardskirche ein architektonisches Meisterwerk darstellt. Wir ließen uns sagen, daß sie von Fremden schon für eine Turnhalle gehalten wurde. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß ihr sakraler Charakter nun doch einen deutlichen Akzent bekommen wird und die langen Bemühungen seitens der Kirchengemeinde zum Erfolg geführt haben. 26 Ein Schaugerüst war aufgestellt worden und diente der letzten Überprüfung der Höhe und Stellung des Turmes, der zum optischen Blickpunkt der Eugen-, Paulinen- und Ulrichstraße werden solle und bereits vom Sternplatz aus gesehen werden könne. Richtfest war am , euphorische Reime wurden dort vorgetragen und über den bescheidenen Kirchensaal geklagt: Da stand die Kirche, schmucklos, schlicht, wer es nicht wußte, sah es nicht. Und hätt Graf Eberhard sie erblickt, beifällig hätt er nicht genickt. 27 Die feierlich inszenierte Glockenweihe fand im Juli 1961 statt. Schließlich beschloss das große Freudenfest der Einweihung von Gemeindehaus und Turm zum 50-Jahr- Jubiläum ( ) am 1. Advent 1961 das Festjahr: Die ins neue Gemeindehaus übertragene Predigt hielt Landesbischof Dr. Martin Haug, beim festlichen Nachmittag ergriffen neun Redner das Wort, wobei Pfarrer Knödler mit einem launigen Seiten langen Gedicht zahlreiche Orden (aus Schokolade) verlieh. Dazwischen erklang Musik, und am Abend wurde Der Prophet Jona aufgeführt. 28 Zweite Pfarrstelle mit Eberhard Krause-Sparmann ( ) Pfarrer Knödler hatte in all den Jahren neben der Kirchenbaustelle in seinem stark wachsenden Seelsorgebereich viel zu tun. Eine erste Unterstützung erhielt er im Juli 1955 durch Vikar Wolf-Dieter Hardung, den späteren Pfarrer der Jakobuskirche und Cannstatter Dekan. Noch im gleichen Jahr drängte der Kirchengemeinderat auf die (Wieder-) Errichtung einer II. Pfarrstelle in der Südstadt für die weit über Seelen umfassende Gemeinde mit fast 100 Konfirmanden. Der Oberkirchenrat anerkannte den Antrag als notwendig und genehmigte ihn im Mai 1956 unter der Voraussetzung, dass eine angemessene Wohnung gefunden und von der Gesamtkirchengemeinde Tübingen finanziert würde. 29 Im Mai 1956 bestiegen Vikar Hardung, Gemeindehelferin Terpitz und Kirchengemeinderat Stahl den Stiftskirchenturm, um von der Vogelschau aus einen Überblick über die Gemeinde zu gewinnen mit dem Ergebnis, die Hechinger Straße bilde die markanteste Bezirksgrenze. Dies ergäbe Gemeindeglieder im Osten und im Westen. Auch andere Vor- 149

150 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Eberhard Krause-Sparmann 1997 anlässlich eines Besuches in Tübingen zum 40jährigen Bestehen der Hilfsaktion Hungernde in aller Welt schläge wurden diskutiert. Die Grenze Ulrich-, Paulinen-, Stuttgarter-, Galgenbergstraße sorge für eine gerechtere Verteilung der Gemeindeglieder. Pfarrer Knödler wollte gerne wegen der besonderen Schwierigkeiten die Backofensiedlung weiterhin bedienen, denn Sorgenkinder sind oft die liebsten Kinder und damit die Ostpfarrei übernehmen. Schließlich blieb er der I. Pfarrer und gab wohl mit gemischten Gefühlen den östlichen Bezirk aus der Hand - möglicherweise um neben seiner seelsorgerlichen Tätigkeit die ihm am Herzen liegende und längst angesprochene Erneuerung des alten Kirchensaals umso eifriger vorantreiben zu können. Der neue zweite Pfarrer sollte nach dem Wunsch des Kirchengemeinderats ein jüngerer Mann sein, der aber schon Erfahrung in einem ständigen Gemeindepfarramt gesammelt hat, er muss geistig beweglich sein, in der Predigt die verschiedenen Stände ansprechen und Autorität bei der Jugend haben. Wichtig sind die Hausbesuche, auch im Blick auf die Sektenpropaganda. 30 Der Oberkirchenrat schlug im August 1956 Eberhard Krause-Sparmann ( ) vor. In Königsberg geboren, Vikar in Nürtingen und Oberboihingen, konnte er 1945/46 als Pfarrverweser die 2. Pfarrstelle in Urach antreten, bevor er als unständiger Pfarrer zehn Jahre in Wildbad und Besigheim wirkte. Der Kirchengemeinderat konnte ihn in seiner bisherigen Pfarrei in Besigheim bei der Predigt und im Gespräch kennenlernen und akzeptierte ihn mit 4:2 Stimmen bei einer Enthaltung und ohne Einwendung. Er wurde am 28. Oktober 1956 investiert. Er trat nun als 2. Pfarrer seinen Dienst im weit gespannten östlichen Seelsorgebezirk zwischen Hechinger Straße und Wennfelder Garten an und bezog zunächst die in der Christophstraße 23 angemietete Wohnung. Im Februar 1962 konnte er dann in das kirchlicherseits neu erworbene Häuschen im Johannesweg 12 umziehen. 150

151 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre In Anspielung auf den Kalten Krieg zwischen Ost und West ist in der Oktobernummer der Stimme der Kirche zu lesen: Wir werden also in unserer Eberhardsgemeinde nun eine Ost- und Westpfarrei haben. Die Bezirksgrenze - nicht der Eiserne Vorhang - wird die Mitte der Hechingerstraße sein. Der Ostpfarrer agierte von seinem Pfarrsitz im Westen aus. Ein Kirchenraum im Wennfelder Garten entsteht Schon ein Jahr später wurde im Kirchengemeinderat über die Notwendigkeit eines kirchlichen Raumes im Wennfelder Garten gesprochen. Die dortigen Sozialwohnungen lagen fernab isoliert hinter dem unzugänglichen Kasernengelände. In den Obdachlosenwohnungen des Backofens lebten kinderreiche Familien, deren heranwachsende Jugendliche nachmittags von der Straße geholt werden sollten. Auf Betreiben beider Südstadtpfarrer und von Ilse Michel vom Deutschen Evangelischen Frauenbund erklärte sich die Stadt im Juli 1958 bereit, einen kleinen Bauplatz zu reservieren. Der Kirchengemeinderat beschloss allerdings, erst nach der Einweihung des neuen Gemeindehauses bei der Eberhardskirche mit dem Bau des Behelfsheims im Wennfelder Garten zu beginnen. Die Stadt trug schließlich im November 1961 mit der Übernahme der Erschließungskosten und DM Baukostenzuschuss entscheidend zur Realisierung des Wennfelder Gartenhauses bei. 31 Im April 1964 konnte dort ein Schülerhort für zunächst etwa 30 Kinder und Jugendliche im schulfähigen Alter von 6 bis ca. 15 Jahren eingerichtet werden. Die von der Gesamtkirchengemeinde finanzierte Erzieherin Christa Ueberfluß (später Gehr) betreute zusammen mit ehrenamtlichen Studenten die Schüler bei den Hausaufgaben und gestaltete anschließend bis ca. 18 Uhr ein freies Programm mit Spielen, Bastelangeboten und bei gutem Wetter mit Walderkundungen Richtung Salzgarten und Galgenberg. Die Erfolge der schwierigen Arbeit ließen sich schon bald an kleinen Besserungsschritten im Sozialverhalten und z.t. auch an den Schulzeugnissen der Teilnehmenden ablesen. Ab Herbst lud ein Helferkreis der Eberhardskirche zum Kindergottesdienst während der Ferien ein, an dem zwischen 20 und 50 Kinder teilnahmen. Ab Januar 1965 fanden sonntägliche Gottesdienste um 11 Uhr und später auch durchgehend Kindergottesdienste statt; Altenkreis und Bibelabend folgten, sodass schließlich auch eine Teilzeit-Mesnerstelle notwendig wurde. Impulse von Pfarrer Krause-Sparmann für die Gemeinde Daneben versuchte Krause-Sparmann im Februar 1961, als der geschäftsführende Pfarrer Knödler im Kinderkirche im Wennfelder Gartenhaus im Juni

152 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre Endspurt um die äußeren Baumaßnahmen rund um Gemeindehaus und Turm stand, im Kirchengemeinderat Gedanken und Vorschläge zur inneren Architektur zur Diskussion zu stellen. Ob eine Diskussion zustande kam, lassen die Protokolle offen. Von Krause-Sparmann wird erzählt, dass er die Errichtung eines Turms für weniger vordringlich hielt. Er gehörte zum Berneuchener Kreis, vertrat mit Nachdruck die feierliche Stille im Chorraum und soll eher zurückhaltend gewirkt haben. Jedenfalls setzte er etliche seiner Vorschläge in den Folgejahren in die Tat um: - Ein bisher nur einmal im Jahr angesetztes geselliges Zusammenkommen für Ältere, Zugezogene und Alleinstehende fand nun monatlich am Samstag statt mit Themen und Musik o.ä. bei einer Tasse Kaffee, im Sommer mit Ausflügen in die nähere Umgebung; das war der Vorgänger des späteren Club Süd mit Pfarrer Peter Mittler und danach über lange Jahre hin mit Martin Lohss. - Elternarbeit durch Hilfestellung in Erziehungsfragen und Bestärkung eines christlichen Familienlebens - in Zusammenarbeit mit der Gesamtkirchengemeinde. - Film- und Diaabende oder Vorträge für die Gemeinde oft mit dem Pfarrer selbst (Bericht von Reisen nach Mitteldeutschland und zur Thüringer Partnergemeinde, Israel, Lappland, 100 Jahre Bethel etc. oder Buchbesprechungen). - Einrichtung einer Leseecke im Gemeindehaus mit ausliegenden Zeitschriften und neuen Büchern als Ursprung der Gemeindebücherei. - Neben den Jugendkreisen Offene Abende für die Jugend, um weitere Kreise der Jugend im Gemeindehaus heimisch werden zu lassen. Pfarrer Krause-Sparmann hoffte auf verantwortliches Mitwirken von Seiten der Kirchengemeinderäte und zählte auf Laienkräfte, die darauf warten, in unseren evangelischen Gemeinden etwas tun zu dürfen. 32 Seit 1959 gab es im 2. Bezirk einen regelmäßigen Besuchsdienst von 10 Männern und 4 Frauen neben dem Gemeindedienst in beiden Bezirken. In den Sechzigerjahren traf sich etliche Zeit ein aktiver Gesprächskreis in der Gemeinde, in dem aktuelle Themen quer durch den Gemüsegarten lebhaft diskutiert wurden ist aber auch aus einem Brief an den Kirchengemeinderat zu schließen, dass Krause-Sparmann seine Tätigkeit als Verbindungspfarrer zur männlichen Jugendarbeit aufgeben will, da sich seine Wünsche an ein offenes Gemeindehaus, wo sich die Jugend in jugendgemäßer Art treffen kann und an eine Gemeinde, die sich daran freuen kann, offenbar nicht realisieren ließen. Nach dem Mauerbau vom fanden auf Veranlassung des Oberkirchenrats wegen der ernsten Situation für unser Volk und alle Völker der Welt Fürbittengebete in den Gottesdiensten und zusätzlich Mittwochabends in der Kirche statt. Die Ostpakete wurden mehr. Erneuerung der Kirche Diether Hermann ( ) Der Kirchengemeinderat befasste sich erstmals im November 1962 mit der notwendigen Renovierung von Kirche und Orgel. Die Gemeinde sollte informiert und frühzeitig wieder um Spenden und Daueraufträge gebeten werden. Die Baubesichtigung mit Dekan Epting, Oberbaurat Ehrlich und Pfarrer Knödler ergab eine lange Liste von Mängeln und Änderungswünschen: Die Faltwand unter der Empore war überflüssig, seit der Konfirmandenunterricht u.ä. ins neue Gemeindehaus umgezogen waren. Die alte Orgel könnte aus ihrer beengten Lage befreit und auf der Empore 152

153 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre links vorne neu errichtet werden, um sich besser entfalten zu können. Die Ölheizung könnte durch neue Kanalverbindungen vom Gemeindehaus aus mit betrieben werden. Die Kirchenfenster sollten neu gestaltet werden, da die Fenster wie Gewächshausfenster...in ihrer Hellverglasung zu nüchtern wirken. Vor allem aber stand die äußere Erneuerung dringend an: Die starken Feuchtigkeitsschäden, die mit umfangreichen Salpeterausblühungen bis nach innen gedrungen waren, mussten gründlich behoben werden. Sie gingen auf die ungünstige Ausbildung des Dachanschlusses insbesondere an den Gebäudeecken zurück.die Verwahrungen mussten erneuert, die Aufsätze entfernt und umlaufende Dachrinnen angebracht werden. Zur Erklärung der Mängel wurde hier an Architekt Elsaesser erinnert, dessen Erstlingswerk die Eberhardskirche nun einmal darstelle. Vom Gerüst aus sollten alle Außenwände überholt werden. Die äußere Renovierung wurde auf rund , die Innenrenovierung auf DM geschätzt. Dazu Innenraum der Eberhardskirche 1964, kirchliche Trauung Petzold 153

154 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre kämen laut Orgelsachverständigen DM für die Erneuerung der Orgel. 33 Der Oberkirchenrat wünschte sich Ulrich Reinhardt als betreuenden Architekten, einige Kirchengemeinderäte mit Dr. Heimberger als Sprecher hätten Artur Achstetter vorgezogen. Für die Mehrheit spielte aber auch die Furcht vor eventuellen Zuschussstreichungen des Oberkirchenrats eine Rolle, sodass die Fahrt nach Stuttgart zur Klärung der Architektenfrage unterblieb. 34 Außerdem ging Ende Juni 1965 altershalber die Amtszeit Pfarrer Knödlers zu Ende, der bisher als geschäftsführender Pfarrer die kirchlichen Bauaktivitäten verantwortlich geleitet hatte und der Kirchengemeinderat musste sich unter Leitung von Prälat Pfeifle aus Reutlingen mit der Wiederbesetzung des Pfarramts beschäftigen. Es wurden einige Wünsche beim Oberkirchenrat vorgebracht: 1. dass der neue Pfarrer nicht der modernen theologischen Richtung angehöre, sondern tiefgläubig sei, 2. dass er nicht so alt sei, dass er seine Pfarrstelle gewissermaßen als Auslauf in den Ruhestand betrachte, 3. dass vermieden werde, dass beide Pfarrer Norddeutsche seien. Nach anfangs zögerlicher Behandlung durch den Oberkirchenrat, der die Ausschreibung zunächst übersehen hatte, kam Ende Juni die Nachricht, dass der derzeitige Stuttgarter Landesjugendpfarrer Diether Hermann für die Stelle vorgeschlagen werde. Die Kirchengemeinderäte befürworteten die Bewerbung einhellig, nachdem sie Hermann persönlich kennengelernt und eine Predigt gehört hatten. Im Vorfeld war auf Anregung einiger Kirchengemeinderäte auch die Frage erörtert worden, ob Pfarrer Krause-Sparmann, dessen Dienst in der Gemeinde anerkannt wird, ins 1. Pfarramt aufrücken solle. 35 Vielen Gemeindegliedern fiel nach 16 Jahren der Abschied von Pfarrer Knödler schwer und mancher bedauerte, dass er im Ruhestand nach Balingen zog. In der Stimme der Kirche wurde Knödler als dienstältester Pfarrer des Kirchenbezirks Tübingen herzlich verabschiedet. Als Eduard Knödler sechs Jahre später starb, erschien ein warmherziger Nachruf von seinem Nachfolger Diether Hermann, in dem neben seiner intensiven Seelsorge vor allem seine Verdienste um das neue Gemeindehaus samt Turm und seine Vorarbeiten für die Renovierung der Kirche angesprochen wurden. 36 Am wurde Diether Hermann in sein Amt als I. Pfarrer eingesetzt. Er übernahm neben dem Seelsorgedienst im westlichen Bezirk, und dem gymnasialen Religionsunterricht vor allem die anstehende Erneuerung des Kirchenraumes. Ein starkes Jahr nach seinem Amtsantritt waren die Planungen und Vorarbeiten soweit gediehen, dass er in der Stimme der Kirche den Beginn der Umbauarbeiten auf den ankündigen konnte. Gottesdienste, Taufen und die übrigen Veranstaltungen konnten in den fünfzehn Monaten der Kirchenrenovierung im Ge- 154

155 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre meindehaus abgehalten werden; dort fanden auch die Konfirmationen des I. Bezirks auf zwei Sonntage verteilt statt. Den rund 90 Konfirmanden des II. Bezirks öffnete die Stiftskirche ihre Pforten. Inzwischen waren nach eingehenden Beratungen weitere Raumveränderungen vom Kirchengemeinderat beschlossen worden: Der niedrige Bogen zum Altarraum sollte verschwinden und damit eine stärkere Öffnung zum Ganzen entstehen. Die seitherigen Chorfenster sollten zugemauert und dafür sollte ein Band von Fenstern in größerer Höhe angebracht werden, um den Altarraum zu erhellen. Der vordere nordöstliche Eingang sollte durch ein Fenster ersetzt werden und der Taufstein mit der Kanzel den Platz Postkarte: Der neue Innenraum der Eberhardskirche nach der Einweihung am

156 Aufbauphase der Fünfziger- und Sechzigerjahre tauschen, sodass sich für die Taufen ein eigener Nischenplatz formte. Die vier Kanzelsteinplatten mit den Evangelistensymbolen sollten in der rückwärtigen Wand eingelassen werden. Außerdem sollten die Kirchenbänke so angeordnet werden, dass ein Mittelgang den Blick zum Altar öffnete. Im Tübinger Gemeindebrief erschien in dem Bericht Aus der Eberhardskirchengemeinde eine Bauskizze des geplanten Innenraums. 37 Im Verlauf der Bauarbeiten waren etliche Hürden zu überwinden: Die Vermauerung der Chorfenster machte Schwierigkeiten, da sich das Format der Backsteine seit der Bauzeit vor über 50 Jahren verändert hatte und die passenden Steine in Form und Färbung aufwändig und gesondert angefertigt werden mussten. Für die Neugestaltung der Fenster fand im Frühjahr 1967 ein interner Wettbewerb statt, zu dem die Künstler Hans Gottfried von Stockhausen (Esslingen), Wilhelm Pfeiffer (Tübingen) und Gerhard Dreher (Weilheim/Teck) aufgefordert wurden. Die Entwürfe wurden von einer achtköpfigen Jury mit Oberbaurat Ehrlich, Kirchenrat Gommel (Stuttgart), Kunstmaler Kies (Fürstenberg), Architekt Reinhardt, Dekan Epting, Pfarrer Hermann und den Kirchengemeinderäten Gehr und Haug (Tübingen) begutachtet. Die Mehrheit entschied sich für den Entwurf aus der Künstlerwerkstatt Dreher, wobei sich herausstellte, dass die Arbeit nicht von dem Beauftragten Gerhard Dreher, sondern von seiner Frau Gisela Dreher gestaltet worden war. 38 Der Kirchengemeinderat folgte der Entscheidung und vergab den Auftrag an Gisela Dreher. Die über DM, die die neue Weigleorgel aus Echterdingen kostete, musste die Gemeinde selbst aufbringen. Schon 1968 gelang es - auch mit einer großzügigen Spende von Dollar von Frida Wetzel - 80 % der angepeilten Summe vorweisen zu können. An Himmelfahrt 1968 konnte die Gemeinde in die erneuerte Kirche einziehen: Prälat Pfeifle hielt die Festpredigt, Architekt Reinhardt gestand, dass er im Blick auf die Form des alten Gebäudes den Auftrag zur Neugestaltung nur zögernd übernommen habe. Dann aber habe er erkannt, dass der Gesamtraum doch schön sei, und sich bemüht, ihn wieder so herzurichten, daß er ein ausgesprochener Kirchenraum werde. Bürgermeister Eberhard Doege und der katholische Dekan Rathgeb sprachen Grußworte und nach dem gemeinsamen Mittagessen meldeten sich Pfarrer Hermann, Kirchengemeinderat Haug und Pfarrer Knödler (mit wohlgesetzten Versen) zu Wort. Den Bericht über die Einweihungsfeier untertitelte die Tübinger Chronik: Aus dem Schafstall im Industrieviertel wurde ein ansehnliches Gotteshaus. 39 Abendmahlsgerät 1968, Zinn, Harald Buchrucker, Ludwigsburg 156

157 Die letzten vier Jahrzehnte ( ) Johanna Petersmann Von der Franzosenzeit bis zum Französischen Viertel Nach dem stufenweisen Abzug der Franzosen wurden in der freigewordenen Thiepvalkaserne 1981 Asylbewerber untergebracht, seit 1989 DDR-Flüchtlinge und nach 1991 Spätaussiedler bzw. Studenten in den beiden anderen Südstadtkasernen. Hinter der früheren Burgholzkaserne 40 ließen sich auf den Hangwiesen unangepasste Individualisten in ihren Wagenburgen Kunterbunt und Bambule nieder. Auf diese Weise prallten hier wie in keinem anderen Stadtteil verschiedene Lebensstile, Kulturkreise und soziale Gegensätze aufeinander. Die Südstadt war in Gefahr, vollends zum Abstellviertel, Problemkind unter Kirch am Eck, Februar

158 Die letzten vier Jahrzehnte ( ) Glockenweihe Oktober 2010 Inschrift: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes (Psalm 19,2) 158

159 Die letzten vier Jahrzehnte ( ) den Stadtteilen und damit zum echten Jenseits zu verkommen. In den Kindergärten und Schulen erreichte der Anteil von Kindern italienischer und türkischer Gastarbeiter, von Arbeitslosen, Alleinerziehenden und sozial Gefährdeten Rekordwerte. Aber ein neues Kapitel der Südstadtgeschichte hatte sich inzwischen aufgetan. Stadt und Kirchen engagieren sich im Süden Schon 1983 hatte das Stadtplanungsamt im Wohnumfeldprogramm Südstadt (WUP) begonnen, den bis dahin deutlich vernachlässigten Stadtteil in seiner Eigenart zu stärken: Das Gebiet rund um die Eberhardskirche von Steinlachallee, Eugenstraße bis zum Sternplatz wurde die erste Versuchszone für Tempo 30 in der Stadt. Bäume wurden gepflanzt, Straßen umgebaut und der stets wachsende Verkehr damit etwas beruhigt. Die Stadt verlegte nun nach dem überraschenden Abzug der Franzosen das Stadtsanierungsamt in den Lorettobereich (bis 2008) und nahm die Herausforderung an, die freigewordenen Kasernenareale zu einem attraktiven Quartier zu entwickeln. Im Gespräch mit vielen Beteiligten und Verantwortlichen entstanden unter der Federführung von Andreas Feldtkeller Konzeption und Rahmenplan für den neuen Stadtteil. Im Gemeinderat wurde für diesen Entwicklungsbereich ein neuer Südstadtausschuss gebildet, der von 1993 bis 2009 die Ausgestaltung und Realisierung der geplanten Vorhaben konstruktiv-kritisch zu begleiten hatte. Die Chance zur Verbesserung der Lebensqualität und der Infrastruktur in den über lange Jahrzehnte militärisch genutzten Arealen wurde wahrgenommen: Durch das mittlerweile viel beachtete Konzept der kurzen Wege sind urbane Quartiere mit bisher rund zugezogenen Südstädtern entstanden, eine ganz besondere Stadt mit Eigenschaften : ein vielfältiges Neben- und Miteinander von Wohnen, Arbeiten, Läden, kulturellen Einrichtungen und Dienstleistungen aller Art hat sich inzwischen im Tübinger Süden entwickelt. Auch vielfältige Angebote für Schüler und Kinder werden genutzt. Kindergärten gibt es - neben den städtischen - kirchlich konfessionelle oder auf Elterninitiative gegründete wie in der Villa Kunterbunt. Selbst etliche Bewohner der ruhigen Halbhöhenlagen Tübingens haben sich bewusst für das bunte, lebensoffene und kommunikative Wohnen im Französischen Viertel oder auch im Loretto entschieden. Auch die beiden evangelischen und katholischen Kirchengemeinden Eberhard und St. Michael engagierten sich gemeinsam im Französischen Viertel in der so genannten Kirch am Eck. Nur wenige Meter vom Standort der einstigen Nikolauskapelle entfernt und nicht weit vom Wennfelder Gartenhaus eröffneten sie 1998 einen ökumenischen Treff im ersten großen Baugemeinschaftsprojekt P 14. Das Konzept der Kirch am Eck orientiert sich auch an dem vom Berliner Theologen Ernst Lange in den 6oer Jahren entworfenen Konzept einer Ladenkirche. Die Türen stehen offen für alle unterschiedlichen Stadtteilbewohner zu Gottesdiensten, Frauenkirche, Themenund Bibelabenden, Gesprächs- und Bastelkreisen, Kinderfrühstück, Jugendcafé, Seniorentreff, Meditationsangebot, Heiligabendfeier und -essen, u.v.m. Auch fremdsprachige Gemeinden und nichtkirchliche Gruppen können die Räume nutzen. Ein Planungskreis von Gemeindegliedern und kirchlichen Mitarbeitern betreut die Kirche. Ein daneben stehender ehemaliger Dachreiter des einstigen Gaswerks der Stadtwerke Tübingen macht als kleiner Kirchturm auf die besondere Funktion der dortigen Räumlichkeiten im Parterre aufmerksam; seit Oktober 2010 lädt eine kleine, aus Spendenmitteln finanzierte Glocke zu Gottesdiensten ein. 159

160 Die letzten vier Jahrzehnte ( ) Ausblick: Und es gibt weiter viel zu tun Im Zuge der rasanten und tief greifenden Veränderungen in der Südstadt sind neben den Bewohnern und Initiativen auch die Südstadtkirchen zum Engagement herausgefordert besonders im Blick auf Fehlentwicklungen und Problemzonen, die das Miteinander in Zukunft erschweren können: Die innerstädtische Nachverdichtung ist an eine kritische Grenze gestoßen: Auf dem ehemaligen Güterbahnhofareal längs der Eisenbahnstraße soll ein großes neues Gewerbe-, Wohn- und Mischgebiet entstehen; dies muss ebenso wie die Neubaumaßnahmen im Wennfelder Garten mit großer Sorgfalt, Umsicht und im Austausch mit den Betroffenen geplant und begleitet werden. Bei den weiteren Bauplanungen darf die für den ganzen Stadtteil so wichtige Frischluftzufuhr aus dem Steinlach- und Neckartal nicht weiter abgeriegelt werden. Vor allem sollte die Südstadt endlich vom belastenden Durchgangsverkehr der B 27 in der Stuttgarter Straße und längs der Gartenstadt befreit werden durch die Untertunnelung des Schindhaus. Nur so wird das organische städtische Zusammenwachsen der neuen Südstadt möglich. Aber wann geschieht das? Schließlich verstummen Anwohnerklagen rund ums Depot an der Reutlingerstraße nicht: Zum Straßenlärm der B 28 und dem Industriekrach kamen inzwischen Schnellrestaurants, Discounter und die Großdiskothek»Top-Ten«hinzu, wodurch die dortigen Bewohner in vielfacher Hinsicht belastet werden. Das Schwäbische Tagblatt titelte in diesem Zusammenhang sogar:»die Südstadt geht vor die Hunde«41 soweit soll es in diesem seit den 80er Jahren so interessant und lebendig gewordenen Stadtteil nicht kommen! Anmerkungen: 1 So die Erinnerung der Augenzeugin Christa Bepperling, die seinerzeit in der Paulinenstraße wohnte. 2 Verwaltungsbericht der Universitätsstadt Tübingen Gemeinderatsprot. v Plieninger war seit 1918 in der evangelischen Pressearbeit in Stuttgart und Berlin tätig, geriet dort 1933 in Konflikt mit den Deutschen Christen und verlor seine Stellung als kirchlicher Redakteur. Die württembergische Landeskirche brachte ihn über eine Sonderprüfung in den Kirchendienst; er war bis 1937 als Pfarrer in Oferdingen und später als Dekan in Leonberg tätig. (Auskunft von Harald Müller-Baur LKA Stuttgart) 5 KGRprot Anwesend waren Dr. Conrad Heimberger, Gustav Huber, Albert Giesing, Irene Kerridge-Zeller, Carl Stahl und Gemeindehelferin Renate Schlunk standen z.b RM zur Verfügung 8 LKA LKA A-327/85 v im Dokband 10 LKA A-327/85 v im Dokband 11 Aus der Teilnehmerrunde ist als Dank Unserem lieben Herrn Pfarrer Knödler ein kalligraphisch gestaltetes und mit vielen Fotos bestücktes Album überliefert. (Ottheinrich Knödler, Reutlingen) 12 Laut KGRprot. v wurde auf einem Sockel der Baufirma Rauscher ein Holzkreuz angebracht (Kosten 75 DM). Malermeister Rühle verzichtete für die Holzbehandlung freundlicherweise auf eine Rechnung. 13 KGRprot. v , 21.5., 6.8. u KGRprot. v. 2. u und v KGRprot. v ; vgl. auch die Helblingschen Skizzen oben S KGRprot. v GesamtKGRprot. v Der Tübinger Kirchengemeinderat hatte schon 1921 einer Jugendund Gemeindehelferstelle deutlich den Vorzug vor einer zweiten Predigerstelle gegeben. Seit 1925 stand dann Gemeindehelfer Wilhelm Scheerer den Tübinger Pfarrern bei der Jugendarbeit zur Seite. Nachfolger wurde Paul Immendörfer (1936/50), der auch schon bei der Gefängnisseelsorge dabei war. Auf weiblicher Seite betreute Gertrud Schoppen zwei Jungscharen mit je ca 40 Mädchen von 1933/ Vgl. hierzu das Gespräch mit Christa-Maria Schmidt-Jaag v KGRprot. v KGRprot. v. 2.4., 9.7. u

161 Die letzten vier Jahrzehnte ( ) 22 Schreiben an die Architekten vom im Dokband 23 KGRprot. v KGRprot. v KGRprot.v Tübinger Chronik v im Dokband 27 Die Reime eines H.J.Z. wurden in die Stimme der Kirche Nr. 50 v zur Einweihung von Turm und Gemeindehaus mit aufgenommen im Dokband 28 TC v u , Gedicht von Eduard Knödler, Stimme der Kirche v.3. u im Dokband 29 KGRprot KGRprot Die Gesamtkosten betrugen ca DM. KGRprot. v u Vorschlagspapier des II. Pfarramts v im Dokband 33 Bericht über die Baubesichtigung der renovierungsbedürftigen Eberhardskirche v im Dokband 34 KGRprot. v und KGRprot. v und Erinnerungen von Kirchengemeinderat und Stv. Sparkassendirektor Max Hornung Galgenbergstraße 36 TC v im Dokband 37 vgl. Dokband 38 Details zum Wettbewerb v und zur Jurysitzung am im Dokband 39 TC v. 22., 24. u im Dokband 40 Die Kaserne wurde in der Franzosenzeit nach französischen Offizieren Quartier Désazars de Montgailhard und Quartier Maud`Huy genannt und war mit Ausnahme des Tags der offenen Tür das Jahr über hermetisch hinter Zäunen abgeschottet , u u.a. Singen mitten im kalten Winter... Adventssingen vor der Kirch am Eck 2010 mit Pfr. Christoph Wiborg 161

162 Die letzten vier Jahrzehnte ( ) Annemarie Jürgens Vom Wennfelder Gartenhaus zur Kirch am Eck Die Bewohner des Wennfelder Gartens gehörten nicht gerade zu den privilegierten Tübingern. Es handelte sich weitgehend um Bedürftige mit oft schwierigen Lebensgeschichten oder um Flüchtlinge, wie die Namen der umliegenden Straßen zeigen, z.b.: Königsberger Straße, Marienburger Straße, Tilsiter Weg, Memelweg, Liegnitzer Straße, Allensteiner Weg. Der Ruf des Viertels wurde vorwiegend durch die Schlichtestbauten und städtischen Notunterkünfte im oberen Teil geprägt. Das ganze Gebiet litt unter seiner abseitigen Lage, eingezwängt durch Kasernenzaun und Schießplatz. Niemand konnte je zufällig vorbeikommen. So fühlten sich nicht wenige Bewohner vom Rest der Stadt verachtet, manche bezogen jedoch geradezu aus diesem Gefühl ihr Selbstbewusstsein. Häufig gehörte Sätze waren: Für uns interessiert sich sowieso niemand. Wir sind denen doch egal. Uns hat noch nie jemand geholfen.«umso wichtiger war die oft mühsame Arbeit der Eberhardsgemeinde und des Planungskreises Wennfelder-Garten-Haus, der aus Interessierten und Hauptamtlichen bestand: Kindergottes dienst in anderer Form, Gottesdienst sonntags um Uhr in kleinerem Rahmen, ein Weihnachtsgottesdienst am 4. Advent, über längere Zeit ein einfaches, gemeinsames Essen nach dem Gottesdienst, sehr schöne Straßenfeste auf dem nicht mehr vorhandenen Platz neben dem Wennfelder-Garten-Haus etc. In manchem war der Ton hier rauer als in der Kern-Gemeinde«, aber ehrlich und herzlich. uns sein? Was werden die von uns wollen? Deshalb wählten wir für das letzte Straßenfest im Juni 1993 das Motto Wer aufbricht, der kann hoffen aus dem damals im Westen noch unbekannten Lied Vertraut den neuen Wegen (Evangelisches Gesangbuch Nr. 395). Diese Hoffnung hat nicht getrogen. Die damaligen Besucher des Wennfelder-Garten-Hauses sind den Weg innerlich und äußerlich mitge gangen, am deutlichsten sichtbar an der Art, wie Bibel und Altar am Tag der Einweihung, am 21. Juni 1998 in einer Prozession vom Wennfelder-Garten-Haus in die neue Kirch am Eck gebracht wurden. Die bestehenden Kreise machten in den neuen Räumen weiter. Heute ist im Wennfelder Garten vieles anders. Die Einfachwohnungen wurden durch moderne Wohnblocks ersetzt. Die Straße wirkt nicht mehr ärmlich. Viele der früheren Bewohner leben nicht mehr. Das Martha Pallesche - die ehemalige Hausmeisterin im Wennfelder Gartenhaus als Ehrenamtliche bei der ökumenischen Neujahrsfeier Die Pläne für die Auflösung der Kaserne und die Umgestaltung zu einem neuen Stadtteil lösten nicht nur Freude aus, sondern auch Ängste. Wie wird das für 162

163 Die letzten vier Jahrzehnte ( ) Gebiet ist nicht mehr so abgehängt - und trotzdem ist es auch heute keine Tübinger Traumadresse. Der Dachreiter auf dem Weg von Sanitär Klein an die Kirch am Eck Das Wennfelder-Garten-Haus wird jetzt von der Caritas vorwiegend für die Arbeit mit jungen Aussiedlern genutzt. Wennfelder Gartenhaus 1956 erste Spielnachmittage mit Ilse Michel (Evangelischer Frauenbund) 1963 Gemeindehaus Wennfelder Garten Schrankaltar von Gotthilf Kurz, vom Evang. Frauenbund erworben 1968 Kinderhort und Treffpunkt für Jugendliche 1970 ab dem Sommer an die Stadt vermietet 1972 Rückgabe an die Kirchengemeinde 1973 Einweihung Altenclub, Kindergottesdienste, Familiengottesdienste, Bibelabende, Hausaufgabenhilfe Jahre Wennfelder Gartenhaus Evang. Frauenbund übereignet den Schrankaltar der Eberhardsgemeinde seit 1998 an die Caritas vermietet Kirch am Eck (ökumenisch genutzt) 1998 Einweihung Kirch am Eck ab 1998 Nikolausfeier bei der Kirch am Eck 1999 Einweihung Turm Kirch am Eck 2002 Erweiterung durch Zukauf Eröffnung der»bodega«, Jugendtreff ab 2003 Segensfeier am Neujahrstag mit Stehempfang ab 1998 Festessen an Heiligabend 2010 Einweihung Glocke Kirch am Eck regelmäßige Veranstaltungen und Kreise (seit 1998) Gottesdienste Planungskreis Kirch am Eck, Kinderfrühstück, Vergnügungskreis, Seniorentreff, Frauenkirch am Eck, Meditation am Freitagmorgen, Bibelabend 163

164 Ökumene Das Interview führt Christoph Wiborg Eberhard aus der Sicht von St. Michael Ein Gespräch mit Sr. Carlagnese und Pastoralreferent Martin Günter 100 Jahre Eberhardskirche, das sind zugleich 62 Jahre Michaelskirche. Und wer nach Tübingen in die Südstadt kommt, der merkt sehr schnell, dass hier Ökumene nicht nur postuliert, sondern auch gelebt wird. Dafür ist die ökumenisch getragene Kirch am Eck im Französischen Viertel sichtbares Zeichen. Und gerade weil das ökumenische Miteinander in diesem Stadtteil Tübingens so fruchtbar scheint, wuchs das Bedürfnis, noch einmal genauer nachzuhaken und zu forschen, wie nun eigentlich der katholische Blick auf unsere evangelische Gemeinde aussieht. Aus diesem Grund suchten wir das Gespräch mit Schwester Carlagnese, die die Geschicke der Michaelsgemeinde seit 50 Jahren miterlebt und Martin Günter, seit 2002 Pastoralreferent in St. Michael (seit 2010 Krankenhausseelsorger in Tübingen). Wie sehen Sie gerade das Verhältnis zwischen Eberhardsund St. Michaelsgemeinde? Schwester Carlagnese: Gerade sind wir in einer Umbruchphase durch den in Ruhestand gegangenen Pfarrer Braunschweiger und den neuen Pfarrer der Eberhardsgemeinde, Christoph Wiborg. Ich habe aber das Gefühl, dass sich auch nach diesem Wechsel nichts an unserem freundschaftlich-partnerschaftlichen Verhältnis ändern wird. Ich sehe im Prinzip keine Unterschiede im Alltag zwischen evangelischen und katholischen Christen. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe: das Evangelium zu leben, Zeugnis von unserem Christsein zu geben, indem wir den Menschen dienen. Gerade die Diakonie und die Caritas bilden eine Einheit. Im tiefsten Grunde sind wir als Kirche Jesu Christi eine Einheit. Sr. Carlagnese Ökumenische Aktivitäten mit St. Michael ökumenischer abwechselnd in St.Michael und Eberhard Gottesdienst (jährlich) Gastpredigt abwechselnd in St.Michael und Eberhard (jährlich) Janusz-Korczak-Kindergarten seit 1996 Palmsonntag mit gemeinsamer Prozession seit 1999 Gottesdienst im Grünen an Himmelfahrt Kirchenasyl für Familie Güler 164

165 Ökumene Martin Günter: Ich denke auch, dass uns der Dienst am Menschen verbindet. Aus dieser Aufgabe heraus ist zwischen unseren beiden Gemeinden sehr viel gewachsen: die Kirch am Eck, die gemeinsame Prozession am Palmsonntag, der Kanzeltausch oder unser ökumenischer Stammtisch. Im Augenblick gibt es keine neuen Impulse. Wir leben von dem, was in früheren Jahren grundgelegt wurde. Aber das darf ja auch mal so sein wir können nicht ständig Neues initiieren Schwester Carlagnese: Nach meiner Erinnerung hat vor allem die Kirchenrenovierung von St. Michael 1987/88 das Miteinander intensiviert. Wir Katholischen hatten in dieser Zeit keine eigene Kirche und wurden dann von der Eberhardskirche herzlich aufgenommen. Alle kirchlichen Feste, alle liturgischen Feiern wie Taufen, Erstkommunion wurden in dieser Zeit in der Eberhardskirche gefeiert. Sie war uns Heimat auf Zeit. Und auch für die Eberhardsgemeinde war es eine spannende Zeit. Unter anderem wurde das Interesse am katholischen Brauchtum geweckt, sie war schon ein wenig neidisch auf den Reichtum unserer Symbole, auf unsere lebendigen, familienfreundlichen Gottesdienste. Seit dem ist die gegenseitige Offenheit gewachsen! Meiner Erfahrung nach hatten auch die Pfarrer schon damals ein gutes Miteinander. Martin Günter: Ich weiß, dass der damalige Dekan Hugo Rathgeb, der seit 1948 unserer Gemeinde vorstand, viel Kontakt mit Evangelischen hatte und dass er sich bemühte, Kanzeltausche zu organisieren. Damals stieß er aber noch auf Schwierigkeiten mit der Diözese. Martin Günter Wie haben Sie denn die ersten gemeinsamen Jahre erlebt? Schwester Carlagnese: Als ich nach Tübingen kam, war ich noch jung und habe darauf nicht so geachtet. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass es da irgendwann einmal Schwierigkeiten gegeben hätte zwischen evangelisch und katholisch. Ich habe nichts Befremdendes gespürt und wurde auch in der Eberhardsgemeinde hin und wieder sogar von evangelischen Hauskreisen eingeladen. Das waren für mich sehr schöne und bereichernde Begegnungen. 165

166 Ökumene Sein Nachfolger Dr. Eberhard Amon, der am sein Amt antrat, hat das dann einfach selbstverständlich gemacht. Ich denke, er hat mit den Grundstein gelegt für unsere heutige Ökumene. Gab es auch schwierige Zeiten im Miteinander? Wo sehen Sie heute noch Grenzen in der Zusammenarbeit? Martin Günter: Nun gut, die Papstenzykliken der letzten Jahre haben vieles nicht einfacher gemacht. Es herrscht immer wieder mal ein wenig atmosphärische Strenge. Dass die evangelische Kirche von Rom aus nicht im vollen Sinne als Kirche Jesu Christi wahrgenommen wird, ist brüskierend für die evangelische Kirche. Auch wir vor Ort leiden darunter und ringen darum, solche Spannungen vor Ort auszuhalten und sofern möglich auch wieder auszugleichen. Schwester Carlagnese: Und natürlich tut es uns auch weh, dass wir das Abendmahl nicht miteinander feiern dürfen. Wir nähren uns von dem einen Wort Gottes und arbeiten für die Menschen, aber das Essen von dem einen Brot ist uns bis jetzt noch verwehrt. Es bringt uns allerdings nicht weiter, immer wieder zu jammern. Was wir Gutes tun, das ist wichtig. Wie sieht es denn eigentlich mit der Ökumene im Kinderhaus aus? Schwester Carlagnese: Das Kinderhaus war schon immer ökumenisch und ist es bis heute auch in neuer Trägerschaft! Jeder und jede ist willkommen. Nationalität, soziale Herkunft, Familiensituation, Konfession haben noch nie eine Rolle gespielt. Es ging und geht uns bis heute darum, Kinder mit unterschiedlichen Lebensbedingungen in gleichen Gruppen zusammenleben zu lassen und uns an den Bedürfnissen von Familien zu orientieren. Diese neue Form der Kinderbetreuung wurde zunächst von der Kommune und auch von der Kirche kritisch gesehen, darum gab es anfangs Schwierigkeiten mit der finanziellen Unterstützung. Im Grunde leben wir hier ganz nach dem Geist unseres Ordensgründers Carlo Steeb. Er wurde in Tübingen geboren und war ja zunächst selbst evangelisch. Im katholischen Verona hat er sich als junger Konvertit und dann Priester für die dortigen Randgruppen und Benachteiligten eingesetzt, ganz nach dem Beispiel seiner pietistischen Mutter. Um auch für die Zukunft diesen Liebesdienst zu gewährleisten, hat er dann eine katholische italienische Schwesterngemeinschaft gegründet. So leben wir Schwestern mit evangelischen Wurzeln und sind im Grunde eine ökumenische Ordensgemeinschaft! Carlo Steeb hat die Diakonie gelebt, die der Eberhardskirche und eben auch uns wichtig ist: die Zuwendung zu den Bedürftigen. Was zeichnet denn aus Ihrer Sicht die Eberhardsgemeinde aus? Schwester Carlagnese: Die offenen und herzlichen Begegnungen besonders auch mit Pfarrer Waßmann, Pfarrerin Schröder und Diakon Heilemann, die Bemühungen um die Zukurzgekommenen, die Randgruppen, die sichtbar sind in den verschiedenen sozialen Angeboten. Martin Günter: Man spürt immer wieder die Sorge um den Menschen, das starke, soziale und politische Engagement. Pfarrerin Schröder, Pfarrer Waßmann und Diakon Heilemann haben da prägend gewirkt. Sie haben den Schwächeren im Blick und seine Hilfsbedürftigkeit. Schwester Carlagnese: Das kann ich nur unterstreichen. Das war schon immer so, dass die Eberhardskirche eine soziale Ausstrahlung hat. Die Hinwendung 166

167 Ökumene Hubert Krins und Karl-Heinz Dentler (v.l.n.r), Nikolausfeier vor der Kirch am Eck 167

168 Ökumene zu den Schwachen das ist die Eberhardskirche! Hier hat sie sicher eine neue Frische gewonnen durch die Vesperkirche. Martin Günter: Genau! Dazu fallen mir gleich mehrere Projekte der Eberhardskirche ein: Das Mittagessen am Freitag. Das Kinderfrühstück in der Kirch am Eck. Oder jetzt das seit September bestehende Kirchencafe an jedem Vormittag unter der Woche! Und wenn Sie an die Kirche denken? Welche Attribute fallen Ihnen da ein? Schwester Carlagnese: Der missionarische Einsatz un die pastorale Bemühung besonders für die junge Generation. Martin Günter: Die Eberhardskirche nimmt man wahr, sie fällt als Gebäude auf, im Unterschied zu St. Michael. Unsere Kirche ist deutlich kleiner und man nimmt sie auch von ihrer Bauart her in ihrem Umfeld nicht so eindeutig wahr. Die Eberhardskirche ist einfach auffällig, groß, markant, Zeichen setzend in der Südstadt. Wo sehen Sie gemeinsame Anliegen in Gegenwart und Zukunft? Schwester Carlagnese: Das gemeinsame Abendmahl würde hier einen Quantensprung bedeuten. Dass das noch nicht so ist, darunter leide ich. Die Stärkung des Bewusstseins, dass Diakonie und Caritas die gleiche Zielsetzung, die gleichen Wurzeln haben: Katholische und evangelische Christen setzen sich in gleicher Weise für das Wohl von Menschen ein. Es geht nicht um mehr Aktivitäten, mehr Sitzungen, mehr Planungen, sondern um die Vertiefung, des sich gegenseitigen Austauschens in den bereits vorhandenen Strukturen. Martin Günter: Mir wäre wichtig, dass wir die bestehenden Punkte der Begegnung aufrechterhalten. Kanzeltausch, Ökumenische Gottesdienste, Kirch am Eck, Palmsonntag, das Fest an Christi Himmelfahrt, der Ökumenische Stammtisch.. Früher gab es einmal gemeinsame Fastenpredigten und gemeinsame Bibelgespräche in der Fastenzeit. Eigentlich finde ich es schade, dass dies nicht mehr so ist. Haben Sie einen Geburtstagswunsch für das 100jährige Jubiläum der Eberhardskirche? Schwester Carlagnese: Ich wünsche der Eberhardsgemeinde, dass sie noch viele Jubiläen feiern darf in Offenheit und Weite, dass sie sensibel und aufmerksam bleibt in den gewachsenen Gemeinsamkeiten mit der Michaelsgemeinde, dass die evangelischen Christen freundschaftliche Beziehungen weiterhin pflegen mit den katholischen Christen, und dass wir in greifbarer Nähe an einem Tisch sitzen und gemeinsam von dem einen Brot essen dürfen in dem gemeinsamen Glauben, denn: Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. (1.Kor 12,4-6) Martin Günter: Dass sie ein Ort bleibt, wo Menschen hier in Tübingen Heimat finden können - ein Ort, der mit dazu beiträgt, dass unter der Führung des Geistes Gottes Leben gelingt! 168

169 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Peter Mittler Wir sind eine Gemeinde in der Südstadt«( ) Von Januar 1970 bis Januar 1980 lebte ich mit meiner Frau und den Kindern in Tübingen. Auch meine Frau ist examinierte Theologin. Sie feierte ihre Ordination in meinem Investiturgottesdienst. Viele Jahre übernahm sie neben Pfarrfrau und Mutter Vertretungsdienste als Seelsorgerin in den Tübinger Kliniken und erhielt 1978 einen 50% Dienstauftrag an der Frauenklinik. Ich arbeitete als einer der beiden Pfarrer an der Eberhardskirche. In der ersten Zeit meiner Tätigkeit war Diether Hermann, ab 1972 Paul Hägele mein Kollege. Mit beiden und deren Familien hat sich im Laufe der Zeit eine dauerhafte, intensive Freundschaft entwickelt, die auch unserer gemeinsamen Arbeit zugute gekommen ist. Zu Beginn unserer Zusammenarbeit hatten wir neben dem jeweils eigenen Seelsorgebezirk eine funktionale Aufteilung der Aufgaben vereinbart. Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich an folgende Aufgabenfelder besonders, Meine Kollegen und ich hatten uns vorgenommen, das Bewusstsein wir sind eine Gemeinde in der Südstadt«zu stärken; dazu gehörte auch eine enge Zusammenarbeit mit den haupt- und nebenamtlich Mitarbeitenden: Organistin Luise Scheel; Gemeindehelferin bzw. Diakon/in Christa Schmidt-Jaag, Peter Sumalvico und Ulrich Kriehn, Regina Blum-Rapp und den Mesnerinnen Walburga Huber und Ruth Subke, dem Kirchengemeinderat unter dem Vorsitz von Alfred Höckh und den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dass wir eine Gemeinde mit zwei Seelsorgebezirken sind, machten wir auch nach außen hin deutlich durch die Einrichtung eines Gemeindebüros für die ganze Gemeinde im Pfarrhaus in der Eugenstraße. Eine große Bereitschaft vieler Zu diesem Bild von Dr. Mundinger 1 heißt es im ersten MITEINAN- DER (November 1970): Zwei oder drei Menschen gehen auf einander zu, und diese Gruppe könnte beliebig erweitert werden. Sie sehen sich gegenseitig, sie sind umsichtig und sehen dass, was sie freut, was sie in ihrem Leben bestätigt, aber auch das, was ihnen als verschiedenartige Aufgabe gegenübersteht. Sie haben Hände, die sie einander entgegen strecken, Hände, die sie füreinander regen und auch für andere gebrauchen wollen und sie wollen das miteinander tun. So möchte dieses Bild eigentlich eine Frage an uns Mitglieder der Eberhardsgemeinde sein, ob wir alle mit unseren verschiedenen Möglichkeiten, die wir haben, auch bereit sind, sie in einem hilfreichen Miteinander einzusetzen und zu nützen. Denn nur so bleibt oder wächst echte Gemeinschaft, echte christliche Gemeinde. 169

170 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Gemeindeglieder zur Mitarbeit und eine erstaunliche Offenheit zwischen den Generationen ermutigte uns 1970, ein Informationsheft unter dem Titel MITEINANDER herauszubringen, das drei mal jährlich erschienen ist. Gleichzeitig richteten wir ein Gemeindearbeitskonto ein, mit dessen Spendengeldern wir Innovationen des Gemeindelebens unbürokratisch verwirklichen konnten. Bei verhältnismäßig vielen Hausbesuchen in den ersten Monaten lernte ich die vielfältige Bevölkerung meines Seelsorgebezirks östlich der Eberhardskirche einschließlich des Gebiets südlich der Stuttgarter Straße kennen. Der oberste Teil des Galgenbergs war damals noch nicht bebaut. Eine besondere Herausforderung sah ich im Wennfelder Garten-Gebiet. Der Wennfelder Garten«selbst zerfiel in zwei Teile: links der Straße standen schon die Blocks von Wohnungsbaugesellschaften, in den Schlichtbauten rechts der Straße wohnten sozial schwache Familien und Einzelpersonen. Das Obdachlosenasyl grenzte an. Eine Baracke mit einem herrlichen, wertvollen Altarschrank, die dort 1964 für die kirchliche Arbeit aufgestellt worden war, war zunächst noch an die Stadt Tübingen vermietet. Darin wurde eine offene Jugendarbeit angeboten. Im Sommer 1970 tagte der Pfarrkonvent des Kirchenbezirks Tübingen in Berlin. Meine Frau und ich verlängerten den Aufenthalt um ein paar Urlaubstage. Konfirmanden gegen Kirchengemeinderat Volksgarten,

171 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Diese Zeit benützte ich im Deutschen Institut für Sozialwesen Berlin, mich über ähnliche Lebensverhältnisse in Deutschland wie im Wennfelder Garten und über Modelle einer Obdachlosenarbeit und Arbeit mit Familien in sehr bescheidenen Wohnverhältnissen zu informieren. Die mitgebrachten Erkenntnisse bestärkten mich, eine Art Gemeinwesenarbeit in diesem Gebiet aufzubauen. Ich knüpfte Kontakte zu öffentlichen und sozialen Einrichtungen (z.b. Jugendamt, Sozialamt, Gesundheitsamt) und gründete eine Arbeitsgruppe. Doch bevor diese Arbeit richtig beginnen konnte, hatte auf Beschluss des Tübinger Gemeinderats die Umsetzung der Bewohner aus den Schlichtbauten in andere Wohngebiete Tübingens begonnen. Hintergrund dieser Entscheidung waren einmal ein Bericht in der Wochenzeitung DIE ZEIT«über Slums in Deutschland«mit einem Artikel über den Tübinger Backofen«, und zum andern der bevorstehende Bau des Schlossbergtunnels. Nördlich und südlich des geplanten Durchstichs hatte die Stadtverwaltung Häuser aufgekauft, in die die Bewohner des Backofens eingewiesen wurden. Chorausflug Prof. Hans-Peter Rüger, Pfarrer Mittler und Kantorin Luise Scheel (1978) 171

172 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Die Schlichtbauten wurden abgerissen und ebenfalls durch Wohnblocks ersetzt. Mit der sogenannten Austrocknung des Backofens«veränderte sich das Gesicht des Wohngebiets. Trotzdem blieb dort ein Schwerpunkt meiner Arbeit. Nachdem die Stadtverwaltung die kirchliche Baracke wieder zurückgegeben hatte, plante ab 1972 eine Arbeitsgruppe deren Renovierung und die zukünftige Arbeit in den Räumen des Wennfelder Gartenhauses«. Neben Sonntagsgottesdiensten feierten wir in der Regel dreimal im Jahr Samstagabends Gottesdienste an Tischen, denen sich ein gemeinsames Essen, Gespräche und Spiele anschlossen. Unvergesslich bleiben dabei die verschiedenen Arten von Kartoffelsalaten (z.b. schwäbisch, schlesisch, berlinerisch, norddeutsch,...), die Gottesdienstbesucherinnen als Essensgrundlage mitgebracht haben. Einen unkonventionellen Kindergottesdienst Mittwochnachmittags gestalteten Mütter mit, dem sich gemeinsames Essen, Spielen und Basteln anschlossen. Eine Vielzahl von Ideen brachte dazu immer wieder Annette Herrgott ein. In diesen Räumen kam auch eine Konfirmandengruppe zusammen. Im Wennfelder Garten Club«trafen sich wöchentlich meist ältere Damen, und die jungen Frauen und Mütter blieben im Margaretenkreis«unter sich. Ab und zu wurde das Haus für private Feiern genützt. Die ganze Arbeit wurde von einer Gruppe in einem monatlichen Planungsgespräch begleitet. Ein weiterer Schwerpunkt Anfang der ssiebziger Jahre war die Arbeit mit den großen Konfirmandengruppen in beiden Bezirken. Wir entwickelten eine eigene Konfirmationsgottesdienstordnung mit integriertem Abendmahl. Die Einsegnung fand stehend mit dem Zuspruch des Denkspruchs für jede Konfirmandin und jeden Konfirmanden statt. Daneben gestalteten wir Abendmahlsfeiern an Tischen mit Gesprächen über Texte und mit jugendgemäßer Musik in Verbindung mit einem gemeinsamen Essen, das die Eltern liebevoll vorbereitet hatten. Auf Anregung und mit großem Engagement von Frau Dr. Welz-Asmuss boten Konfirmanden und Konfirmandeneltern jährlich einmal im Gemeindehaus die Gelegenheit, dass Handgefertigtes von Multiple Sklerosekranken aus ganz Südwürttemberg verkauft werden konnte. Damit die finanziellen Erwartungen der Kranken für die Handarbeiten erfüllt werden konnten, wurde dies unterstützt durch den Erlös aus einer Bewirtung mit selbstgebackenen Kuchen der Eltern. Diese Veranstaltung entwickelte sich zu einem Treffen von Betroffenen und Freunden im Vorfeld der Organisation AMSEL. Von 1970 an bemühte ich mich, mit meinem Kollegen und einem sich ständig erweiternden Kreis von Gemeindegliedern um eine Aktivierung theologischer und weiterer kommunikativer Arbeit in der Gemeinde. So fanden von Frühjahr 1970 bis Spätherbst 1971 nach den Gottesdiensten monatliche ökumenische Frühschoppengespräche mit theologischen Themen wechselweise in den Gemeindehäusern der Südstadt statt. Obwohl diese Gespräche von evangelischer und katholischer Seite gut besucht waren, mussten sie leider wieder eingestellt werden. Ökumenische Begegnungen entwickelten sich später bei gemeinsamen Gottesdiensten in St. Michael und der Eberhardskirche (Deutsche Messe) und bei gegenseitigen Besuchen der Altenclubs haben wir begonnen, in der Regel jährlich zu einem musikalisch-theologischen Wochenende in einer Tagungsstätte einzuladen. Das miteinander Erlebte und Erarbeitete wurde anschließend in einer Abendmusik für die ganze Gemeinde eingebracht. Überhaupt begleitete eine reiche kirchenmusikalische Arbeit unter der Leitung von Luise Scheel mit verschiedenen Flötengruppen, Kinderchören, den Gratianern«(Teilnehmerinnen des Altenclubs) in Gottes- 172

173 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück diensten, kirchenmusikalischen und anderen Veranstaltungen das Gemeindeleben. Dazu gehörte jeweils im Herbst ein festlicher Abend in allen drei Sälen des Gemeindehauses mit Kerzenlicht und kulinarischen Köstlichkeiten, bei dem auch die Gelegenheit zum Spielen und Tanzen vor allem Gruppentänze geboten war. Seit 1971 fand jährlich im Sommer in und um Kirche und Gemeindezentrum ein Gemeindefest statt, das nach dem Familiengottesdienst mit einer Vielzahl von Angeboten für Jung und Alt zu einem Treffpunkt der ganzen Südstadt geworden war. Ohne ein Heer von Frauen und Männern aus allen Kreisen der Gemeinde, die hier ihre Gaben und Kräfte besonders eingebracht haben, wäre dies nicht möglich gewesen. Nach einer Renovierung der Gemeindesäle nahmen wir die Gelegenheit wahr, am wurde der Eberhardskindergarten eingeweiht Seit 2010 im Hundertwasser-Stil. 173

174 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück die Wände mit Bildern der Malkurse der Familienbildungsstätte oder von Künstlern aus der Gemeinde und Umgebung zu schmücken. Dabei fanden auch Ausstellungen mit Werken von Andreas Felger, Hugo Mundfinger und Wilhelm Pfeiffer große Beachtung. Nach 1945 war Tübingen Sitz der französischen Militärregierung geworden. Noch in den siebziger Jahren war die Präsenz der französischen Garnison in den Kasernen erlebbar. Ca Franzosen und ihre Angehörigen lebten im Gebiet der Eberhardsgemeinde. Häufig sah man Gruppen von jungen, einfachen Soldaten nach Dienstschluss durch die Straßen ziehen. Ich selber sprach kein Französisch, fand aber Gemeindeglieder, die bereit waren, zusammen mit mir Kontakte mit dem stationierten französischen General und dem protestantischen Standortpfarrer zu knüpfen. Seit 1974 entwickelten sich monatliche Treffs im Gemeindehaus. Wir machten in regelmäßigen Abständen Sonntagnachmittags gemeinsame Ausflüge in Gemeindefest 1974 Sackhüpfen in der gesperrten Eugenstraße Gemeindefest 1974: Französische Soldaten helfen beim Zeltaufbau Kehraus 174

175 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück die nähere Umgebung. In der Weihnachtszeit wurden nach den Gottesdiensten französische Soldaten in unsere Familien eingeladen. Wie sehr diese Kontakte von französischer Seite geschätzt worden waren, zeigte sich daran, dass wir ein Militärzelt jeweils für die Dauer des Gemeindefestes vor die Eberhardskirche und für die Dauer der Freizeiten der Stadtranderholung für ältere Menschen in der Weiler Hütte aufgestellt bekommen haben. Zusammen mit einem Team ehrenamtlicher Helferinnen war ich verantwortlich für den Club Süd, zu dem wöchentlich bis zu 50 Seniorinnen und Senioren ins Gemeindehaus kamen. Wir boten ein interessantes, abwechslungsreiches Programm an, bei dem wir darauf achteten, dass auch die Besucher miteinbezogen waren. Vor der Veranstaltung luden wir wechselweise zur Gymnastik oder zum Singen ( Gratianer ) ein. Ergänzend kamen Ausflüge hinzu. Sehr gerne wurden zweimal im Jahr Abendmahlsfeiern an Tischen angenommen. Diese Erfahrungen mit älteren Gemeindegliedern führten dazu, dass ich mich seit 1971 in besonderer Weise übergemeindlich beim Zusammenschluss der Altenclubs mit unterschiedlicher Trägerschaft in Tübingen und beim Aufbau einer überparteilichen und überkonfessionellen Organisation dem Bezirkskuratorium für offene Altenarbeit«engagierte. Ich brachte mich dort mit meinen Gaben ein, weil ich begriffen hatte, wie wichtig es damals war, die Öffentlichkeit für die Probleme der älteren Menschen in der Gesellschaft zu sensibilisieren und den Betroffenen eine Hilfe zur Selbsthilfe«anzubieten, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Ich war mitverantwortlich für regelmäßige Fortbildungen der Frauen und Männer, die die Altenclubs leiteten, und war mitbeteiligt bei der Konzeption und Durchführung der Stadtranderholung für Ältere in der Weiler Hütte. Seit 1973 wurden jeweils zwei Freizeiten im Juni und September mit jeweils Personen durchgeführt. In der Zeit meines Vorsitzes des Bezirkskuratoriums organisierten wir seit 1975 alle zwei Jahre die Tübinger Seniorentage Veranstaltungen in einer Woche Festprogramm

176 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück boten ein buntes Bild des Engagements der älteren Generation nicht nur für sich, sondern auch für die Allgemeinheit. In diesen Jahren bemühten wir uns auch um die Konzeption, Finanzierung und Einrichtung einer Begegnungsstätte für Ältere als Ergänzung zur Clubarbeit. Als Baustein dazu gestaltete ich 1977 das Bilderbuch für Erwachsene antworte mir«. Die Bilder waren Arbeiten von Schülern der Walter- Erbe-Realschule, an der ich Religionsunterricht erteilte. Den Bildern gegenüber standen kurze, literarische Texte u.a. von Harvey Cox, Hilde Domin, Max Frisch, Albrecht Goes und Marie Luise Kaschnitz. Bilder und Texte sollten das Gespräch zwischen den Generationen fördern konnte der Hirsch Begegnungsstätte für Ältere«mit seiner Arbeit beginnen. Wenn ich auf zehn Jahre Leben in der Südstadt und Arbeit in der Eberhardsgemeinde zurückschaue, so bin ich für diese Zeit sehr dankbar. Abschied : v.r.n.l. Pfarrer Peter Mittler und seine Frau, Pfarrer Paul Hägele und Dekan Hugo Rathgeb (Michaelskirche) 176

177 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Sie war reich an entgegengebrachtem Vertrauen und an Bereitschaft zur Mitarbeit von Menschen jeden Alters. Besonders aber danke ich meinem väterlichen Freund Paul Hägele und (erg.: dem verstorbenen) Alfred Höckh, dass sie mir immer wieder für neue Versuche in der Gemeindearbeit den Rücken frei gehalten haben und nicht zuletzt meiner Frau und Familie, die viel Verständnis für meinen Dienst aufgebracht haben. Und hier der nichtoffizielle Teil der Verabschiedeung von Peter Mittler 177

178 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Jens Plinke Zwischen Altvertrautem und Modernem einen Weg in die Zukunft finden ( ) Jubiläen veranlassen gerne zum Rückblicken. Darum zunächst von mir ein kräftiger Dank im Blick auf die Jahre 1980 bis 1991, in denen ich als seelsorgerlicher Begleiter in der Südstadt habe wirken dürfen. Erst im Rückblick ist mir aufgegangen: Es war gewiss nicht nur eine traumhaft-leichte Zeit in Tübingens Süden. Aber es war für mich eine besonders fruchtbare Zeit hat sich doch damals mein Traum einer zukunftstüchtigen Kirchengemeinde heraus kristallisiert und mich in der Folgezeit sehr beflügelt. Schon als Tübinger Theologiestudent hatte ich die Südstadtgemeinde kennen gelernt. Peter- und Pauls- Gemeinde genannt nach ihren beiden Pfarrern, dem rührig-modernen Peter Mittler und dem väterlichseelsorgerlichen Paul Hägele. Besonders gut gefiel meiner späteren Frau und mir dort die persönliche Art wie wir etwa zu den Gottesdiensten liebevoll begrüßt wurden von der langjährigen Mesnerin, Frau Huber. Jens Plinke November 1980 Der väterlich-seelsorgerliche Kollege Paul Hägele (1972) 178

179 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Als ich mich 1980 bewarb, war ich mir nicht sicher, ob ich meinen eigenen Weg finden würde, die Gemeinde zwischen Altvertrautem und Modernem in die Zukunft zu führen. Würde ich dazu helfen können, dass mehr Menschen im Konfirmandenalter und jüngere Erwachsene in die Gottesdienste hineinfinden würden ich, ein Gitarre klimpernder Pfarrer, der sich um andere Töne in den Gottesdiensten mühte, damit noch mehr Menschen von den Rändern der Kirchengemeinde gottesdienstlichen Zugang finden könnten und sei es durch erzählende Predigten oder das Miteinander-Kanon-Singen? Bilder aus meiner Anfangszeit Bilder kommen mir aus meiner Anfangszeit vor Augen: Unser frisch renoviertes Pfarrhäuschen im Johannesweg mit dem kleinen Garten und seinem großen Apfelbaum - bald ein rechtes Paradies für unsere schließlich vier Kinder. Das Kirchengebäude fast wie aus meiner norddeutschen Heimat importiert mit seinem roten Klinkerwerk als Garnisonskirche einst gebaut, dann in der Nachkriegszeit modern renoviert. Warum hat man dabei nicht zum ursprünglich anmutigen Jugendstil zurück gefunden? Karikatur Hans-Ulrich Dapp 179

180 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Welch ein schmales Kirchenschiff, das das Miteinander der sonntäglichen Gemeinde so sehr in die Länge zog! Wie oft hatte ich später den Wunsch, wenigstens die ersten Bankreihen durch Stühle zu ersetzen, damit man sich bei Bedarf in der Gemeinde einander besser zuwenden könnte. Dazu kommt mir noch heute jene treffliche Karikatur in den Sinn, die später mein Kollege Hans-Ulrich Dapp ins Miteinander zeichnete. Unsere Südstadt damals noch dreifach durchsetzt von französischen Kasernen! Einmal im Jahr lud unsere Gemeinde ein zu einem festlichen Treffen mit dem französischen Fanfarenchor. Schon längst vor Einführung des Euros endete solch ein deutsch-französischer Abend traditionell mit Beethovens Europahymne! Früh wurde meine Familie eingeübt in ökumenische Zeitansage - lagen wir doch direkt im Schnittpunkt zweier Glockenspiele (St. Michael - St. Eberhard ). Das vorbildliche ökumenische Miteinander jährlich im Herbst gepflegt an gemeinsamen Bibelabenden und an Pfingsten vertieft im gegenseitigen Einladen zur Mess- bzw. Abendmahlsfeier fand bei der Renovierung von St. Michael seine besondere Bewährungsprobe: Wohl über ein halbes Jahr hindurch feierte man die katholischen Gottesdienste der Südstadt bei uns in der Evangelischen Kirche. Ruth Subke und in ihrer Nachfolge Martha Pallesche aus dem Kirchengemeinderat Else Artzt, dazu das Ehepaar Kiunke fallen mir stellvertretend ein für die vielen Menschen, die mich damals geschwisterlich auf kirchlichem Neuland unterstützt haben. Wen wunderte es, dass Alfred Höckh, der große Vorsitzende im Kirchengemeinderat, bald Sorge bekam, ob sich der Wennfeldergarten-Bereich wohl eines Tages zu einer eigenständigen Gemeinde mausern würde! Unterhaltungsabend 1982 Das Wennfeldergarten-Gebiet Früh wurde mir deutlich, dass die Menschen aus dem Wennfeldergarten-Gebiet zu anderen Formen von Gemeindeleben finden würden. Die Gottesdienste im Häusle und dazu das Predigen im Kreis auf gleicher Augenhöhe unter seinem liebevoll gestifteten kleinen Aufklapp-Altar konnte dafür meine Phantasie freisetzen ebenso wie das allsommerliche Gemeindefest unter freiem Himmel oder das Singen von volkstümlichen Advents- und Weihnachtsliedern warum nicht mit anschließenden Fleischkäs-Weckle? Unsere rührige 180

181 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Die offenere Jugendarbeit hatte kurz vor meinem Antritt einen ziemlichen Zusammenbruch erlitten. Manche Jugendliche aus der Gemeinde fanden nun über musikalische Angebote ins Gemeindeleben. In der Regel waren das aber Kinder aus dem eher bürgerlichen Milieu des 1. Bezirks. Ein Neuanfang der Jugendarbeit mit Hilfe von Diakonin Sprenger, die ich aus meiner früheren Gemeinde mitbrachte, führte mit viel Geduld und Einfallsreichtum zu allmählicher Blüte. Besonders gerne denke ich dabei noch an meine allwöchentlichen Konfirmanden- und Konfirmiertentreffs vor allem, als daraus eine samstägliche Jugendabendgemeinde erwuchs. Meine 11 Lehrjahre Jesus kündigte uns das Reich Gottes an was dann aber kam, war die Kirche. Dieses Bonmot eines Theologen aus dem späten 19. Jahrhundert hörte ich als Tübinger Student zum ersten Mal. Es hat mich unterscheiden gelehrt: Alles, was kirchlich gelebt wird in Gemeinde und ihren Gottesdiensten, muss kritisch hinterfragbar sein im Blick auf die Quelle unseres Christseins, die Person Jesus Christus und seine Ursprungsabsichten mit uns. Genial hat der Evangelist Lukas, der Weitererzähler der Lebendigkeit Jesu hinein in die erste urchristliche Gemeindegestaltung, das auf den Punkt gebracht, was christliche Gemeinschaften wirklich im Sinne Jesu lebendig macht und durch die Zeiten zu erhalten vermag: Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet... Sie aßen die Speise mit Frohlocken und Gotteslob. Sie waren beim ganzen Volk geachtet und die Gemeinde wuchs mit jedem Tag, weil Gott dadurch viele Menschen retten konnte (Apostelgeschichte 2,42 und 47 48) Es sind demnach vier Quellen, an denen die Kirche mit ihren Gemeinden und Kreisen immer wieder neue Lebendigkeit gewinnt: 1. Von daher meine beharrlichen Fragen: Sind wir in der Südstadt schon genügend der Botschaft zugewandt, um froh zu werden über dem, was man sich als Mensch ohne göttliche Impulse nicht selber sagen kann? Dazu erinnere ich mich gerne an: - die ökumenischen Bibelabende mit katholisch-evangelischem Austausch über Bibeltexte um kleine Tische herum. - Ich fand eine auffallende Wertschätzung der Predigt im Sonntags-Gottesdienst, unterstützt bisweilen durch geistliche Kantaten, aber auch durch Gitarrenspiel und Kanons, erzählende Predigtanteile, Visualisierungen durch Plakate, sowie durch moderneres Liedgut. Kirche etwas anders : So kam es mir vor, wenn wir alle 14 Tage Gottesdienste auch im Wennfeldergarten-Häusle anboten wruden gnädig für Langschläfer und mit einer Predigt auf gleicher Augenhöhe. Bisweilen gelang es sogar, die Teilnehmer für eine Art kleine Mitmach-Predigt zu gewinnen. Was ich noch gerne hätte weiter entwickeln wollen: - Nachfragen an den Prediger: Was hat mich angerührt? Was habe ich vermisst? - Tauf-Erinnerungsangebote in Gottesdiensten: Gottes großes JA zu mir und wir heute? - Familien-Gottesdienste mit mehr Beteiligung durch möglichst viele Teams - regelmäßiges Angebot von Glaubenskursen - für Menschen an den Rändern der Gemeinde sowie als Auffrischungsangebot des Glaubens auch für kirchliche Insider 2. Immer wieder stellte sich mir die Frage: Ist unser Gemeindeleben schon genügend Einander-zugewandtsein, um dabei Gott als den Liebhaber unserer Vielfalt motivierend zu spüren? 181

182 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Dazu erinnere ich mich ganz besonders gerne an unsere Gemeindefeste als Zusammenklang aller Gemeindegruppen. Geistlich kam man in einem bunten Fest-Gottesdienst zusammen gesellig in der Mitarbeit und Teilnahme am übrigen Festverlauf. Später haben wir dann versucht, unter besonderem praktischen Engagement von Frau Hauger und Frau Herrgott im gemeinsamen Mittagessen monatlich diesem mitmenschlichen und göttlichen Zusammenklang nachzuspüren. Ein Wachsen der Hauskreise mit zentraler Bedeutung von Bibel- und Glaubens-Gesprächen fand meine besondere Unterstützung verbunden unter anderen mit den Namen Betz, Schadows, Stöfflers, Wizemann und ihren Wohnzimmern. Für mich war es dabei immer spannend, mitzuerleben, wie man sich im Gespräch gegenseitig predigte, d.h.: tröstete, ermutigte, motivierte erhellend einander weiterhalf im Glauben und im Leben. Welch eine notwendige persönliche Ergänzung zu den Erfahrungen im Gottesdienst! Bei meinen oft zu langen Predigten mag man es mir nicht glauben aber es wuchs eine Sehnsucht nach mehr Miteinander auch im Gottesdienst. Als meine Kinder später einmal äußerten: Die Kirche läuft ab ob wir dabei sind oder nicht!. Da wurde ich zunehmend nachdenklicher: Herrscht nicht bis heute noch ein zu starkes Versorgungsdenken in unserer Kirche vor? Nicht nur Betreuungsangebote in der Gemeinde, verantwortet von wenigen Haupt- und Ehrenamtlichen dafür mehr Möglichkeiten einer Mitwirkungs-Gemeinde! Gemeinde als Miteinander auf gleicher Augenhöhe? Was ich in dieser Hinsicht noch gerne hätte weiter entwickeln wollen: - regelmäßiges Kirchencafe als Gemeinschaftsangebot im Anschluss an den Gottesdienst - Zentrale Treffen der unterschiedlichen Klein- und Aktionsgruppen mit Austausch: Wie macht Ihr s in Eurem Kreis? Was beschäftigt uns zurzeit? - Die Gründung weiterer Kreise um ein Projekt oder eine missionarische Aktion herum oder als eine Art Gegenseitigkeitsgruppe für besondere Lebenslagen. Anfänge dazu wurden schon von mir begleitet im Kreis Freud und Leid - Gemeindeversammlungen, auf denen um die großen Linien der Gemeindeentwicklung gerungen werden kann. 3. Aus meiner seelsorgerlichen Erfahrung mit den besonderen Kräften des Abendmahls kam mir immer mehr der Wunsch nach deren intensiverer Einbindung ins Gemeindeleben: Sind wir schon genügend den Gaben Jesu zugewandt, um dabei auch zu spüren, wie sehr wir vielfältig und unterschiedlich Begabte Gottes sind, ausgerüstet für einen Weg, den Gott gerne segnen möchte? Dazu erinnere ich mich gerne an die Einführung eines monatlichen Abendmahlsangebots im Hauptgottesdienst zu einer Zeit, als es andernorts noch üblich war, möglichst wenig und möglichst im Anschluss an den Gottesdienst Abendmahl zu feiern. Von daher waren wir stolz auf unsere landeskirchlich einmaligen Konfirmationsgottesdienste mit Austeilung der Gaben Brot und Wein in den Bänken. Welch Wagnis auch, unter den gewiss kritischen Blicken aus Rom, in unsere gegenseitigen ökumenischen Gottesdiensten Jesu Angebot im Abendmahl bewusst hinein zu nehmen. Dazu gehörte auch gegen anfänglich starke Bedenken die Einführung des Krippenspiels am Heiligen Abend sowie die Möglichkeit szenischer Gottesdienste mit Abendmahl an Ostern ermöglicht allein dadurch, dass Kinder und deren Eltern innere Begabungen entdeckten zur Projektplanung und zur schauspielerischen Gestaltung. Da haben wir es miteinander erleben können: Wem Gott eine Aufgabe gibt, dem gibt er auch eine Begabung dafür! 182

183 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Gemeindefeste 1981/

184 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Abschied von Eberhard, Oktober 1991 Was ich noch gerne hätte weiter entwickeln wollen: - Schulung für die zahlreichen verborgenen seelsorgerlichen und sozialen Begabungen in der Gemeinde - Angebote zu intensiverem Abendmahlsbewusstsein: Was reicht uns Jesus eigentlich, wenn er uns einen Brocken Brot und einen Schluck Wein reicht? 4. Im Blick auf das Gemeindebild des Lukas fragte ich immer wieder: Was könnte das bei uns in der Südstadt konkret heißen: Gott auch in Lobpreis und Gebet zugewandt sein, auf dass wir ihn wie eine Quelle spüren und feiern können? Dazu erinnere ich mich besonders intensiv an das tapfere Friedensgebet um den unermüdlichen Herrn Loohs besonders in der Zeit des 1. Irakkriegs. Leider gelang die richtige Einbindung in die Weite unserer Gemeinde nicht. In Erinnerung bleibt mir der Irakkrieg 1990/91 und niemand fragte, wie die Gruppe des Friedensgebets damit zu recht kommt. Ähnliches lässt sich auch sagen von Frau Hubers Bastelkreis am Montag, in dem gewiss viel Seelsorge geschah aber abseits der Aufmerksamkeit und Fürbitte in der Gemeinde. Lobpreis als Erlebnis göttlichen Angerührt-Seins erklang vornehmlich im Gewand klassischer Musik. Leider sahen sich die Hauptamtlichen nicht in der Lage, unter den Jugendlichen moderne Bands mit neuartigen Lobpreisliedern zu fördern. So haben meine Konfirmanden dann die Jugend-Abend-Gemeinde ins Leben gerufen. Zu meinem Erstaunen gewöhnte man sich nach und nach daran, auch eine Form von persönlichen Gebetsanliegen in die Feier einzubringen. Die kleine Sakristei fast zu übersehen neben dem Altarraum war in meinen letzten Jahren der Ort persönlich-seelsorgerlicher Zuwendung im Rahmen des heilsamen Betens. Dort habe ich nie Langeweile gehabt, denn erstaunlich viele Menschen, oft auch 184

185 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück von den Rändern unserer Gemeinde, haben sich dadurch angesprochen gefühlt! Was sich bisweilen im Verborgenen heilsam bewegt hat ich könnte ein Büchlein darüber schreiben. Dort habe ich gelernt, auch in den tiefsten menschlichen Niederungen zu setzen auf Jesu Reich der Möglichkeiten Gottes und darüber ins Staunen zu kommen, wie heilsam Gott unter uns tätig sein kann, wenn wir das wirklich miteinander gespannt erwarten. Was ich noch gerne hätte weiter entwickeln wollen: - einen Trägerkreis für Heilsames Beten, damit das Durchtragen der Probleme und das Warten auf die Lösungen Gottes nicht nur auf einer Schulter lasten. - regelmäßige besondere Gottesdienste: Wir feiern, was wir sonst nur abkündigen!. In solchen Festen zur Ehre Gottes könnte ein dankbares Staunen darüber entstehen, was Gott alles in der Eberhardsgemeinde lebendig macht und in Bewegung hält. Gleichzeitig würden die einzelnen Gruppen und ihre Aktivitäten füreinander durchsichtiger werden. Was habe ich nach elf Jahren aus der Südstadtgemeinde mitgenommen? Bei meinem Abschied aus der Eberhardsgemeinde Ende 1991 zeichnete sich schon längst die Zeit eines gewaltigen Umbruchs in der Südstadt ab: In meinen letzten Jahren hatte sich die Zusammensetzung der Gemeindeglieder schon sehr verjüngt nicht zuletzt an der hohen Zahl von Beerdigungen war das ablesbar gewesen. Die frei gewordenen Wohnungen füllten sich mit deutlich kirchen-distanzierteren Menschen. Hatten sie überhaupt noch Erwartungen an ein lebendiges Gemeindeleben und wie könnte das dann aussehen? Außerdem: Die Französischen Kasernen würden bald wieder unter deutsche Regie und Gestaltungskraft kommen. Was könnte sich daraus entwickeln auch für eine Kirchengemeinde mit viel Altgewohntem? Wer nicht will, dass die Kirche sich verändert und erneuert, hilft letztlich nicht dazu, dass die Kirche von lebendiger Bedeutung bleibt. a) Kirche besteht immer aus Gemeinden mit vielen Stimmen und unterschiedlichen Stimmungen. Die Gemeinde ist vielgestaltiger, als es der Sonntagsgottesdienst abbildet. Wichtig dabei ist, dass man sich in seiner Unterschiedlichkeit auf gleicher Augenhöhe begegnet und gegenseitig zum Besseren ergänzt. Unsere Kirche mit ihren Gemeinden darf nicht zu sehr Pfarrer zentriert von oben her geprägt werden, sondern muss sich zukünftig auf ihre Kräfte von der Basis her besinnen. So wie es der Gott unserer Bibel tat, als er in Jesus den Himmel verließ, um als Jesus Christus auf der Basisebene unseres Menschseins heilsam tätig zu sein. b) Kirche muss immer wieder nach Möglichkeiten suchen, ihre innere Vielgestaltigkeit wirklich in Zentralveranstaltungen zusammen zu führen, sonst zerfasert sie, verliert ihren wahren Volkskirchen-Charakter und wird nicht zu einer religiösen Heimat, mit der sich die Menschen vor Ort identifizieren können. Die Erfahrung unserer jährlichen Gemeindefeste aber auch der Heiligabend-Gottesdienste und der bunten Erntedankfeste haben dazu Wege gewiesen, denn dort wurde die Vielfalt der Eberhardsgemeinde zur erlebbaren Einheit fand man doch in solchen Gemeindeangeboten ein Zugehörigkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühl wie sonst nie: Einheit und Vielfalt zugleich im Gefühl gleicher Identität: Wir gehören als vielgestaltige evangelische Südstadtgemeinde zusammen. Elf Jahre als Pfarrer in der Eberhardsgemeinde es waren meine Lehrjahre. Sie haben meinem Traum von einer zukunftsfähigen Gemeinde deutlichere Konturen gegeben. 185

186 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Susanne Back-Bauer Aus Frauensicht (Vikarin ) Susanne Bauer (1990) Im Frühjahr 1983 begann mein Ausbildungsvikariat. Während des Studiums haben mich manchmal durch den Pietismus geprägte Kommilitonen gefragt, warum ich als Frau den Weg ins Pfarramt anstrebe. In der Eberhardskirche wurde ich als erste Vikarin sehr freundlich erwartet. Neben den beiden Pfarrern Paul Hägele, ab 1984 Heinz Hauger, und Jens Plinke (meinem Mentor), und nicht zu vergessen dem Laienvorsitzenden Alfred Höckh, spielten Frauen eine wichtige Rolle in der Gemeinde. Luise Scheel, die Kantorin, Frau Höckh und Frau Baur (später Frau Walker) im Büro fallen mir ein, Walburga Huber, die Hausmeistersfrau, Irmgard Rüger im Kirchengemeinderat und Irmgard Hauger, die sich für Menschen in Not in der Ferne und in der Nähe engagierte und ein weit offenes Pfarrhaus führte. Dort traf man sich auch zur wöchentlichen Dienstbesprechung, wo ich mich unter den hauptamtlich Mitarbeitenden gleichberechtigt fühlen durfte. Ich hatte im 2. Bezirk meinen eigenen Seelsorgebereich zwischen Reutlinger und Stuttgarter Straße und Herr Plinke hielt sich strikt daran, dass ich zuständig war, auch wenn Gemeindeglieder gern den vertrauten Pfarrer etwa zur Beerdigung gehabt hätten. Das habe ich ihm hoch angerechnet. Ich initiierte ein kleines Projekt mit obdachlosen Männern, die hinter dem Wennfelder Gartenhaus ihre Unterkunft hatten. Für einen Familiengottesdienst im Advent bauten wir zusammen ein Schiff. Auch im Wennfelder Garten waren es vor allem die Frauen, die sich um die Gemeindearbeit in diesem Stadtteil kümmerten. Besonders Angebote für Kinder wurden dort gebraucht: Hausaufgabenhilfe, Kindergottesdienst am Nachmittag, Ausflüge, Gottesdienst für Jung und Alt (und anschließend gab es 186

187 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Würstchen mit Kartoffelsalat). Im Planungsgespräch im Wennfelder Gartenhaus konnten sich alle beteiligen, denen die Arbeit dort am Herzen lag. Ich erinnere mich an Rita und Marlis Kiunke, Brigitte Sprenger, die Diakonin für Jugendarbeit, Ruth Subke als Hausmeisterin und die Kirchengemeinderätinnen Gisela Hechler und Else Artzt. Die ehrenamtlich engagierten Frauen arbeiteten oftmals im Stillen, aber mit langem Atem. Für viele Kinder gab es da nicht nur einen warmen Kakao mit Gebäck, sondern auch fröhliches Spielen, Basteln, Singen, biblische Geschichten und vor allem Menschen mit einem offenen Herz und Ohr, die sich um ihre Belange sorgten und oftmals auch (Beratungs-) Gespräche mit den Eltern führten. Im Auftrag meines Mentors durfte ich die Gemeindedienstfrauen zu ihrem Geburtstag besuchen und konnte dabei die Gemeinde noch besser kennenlernen. Bei diesen Besuchen wurde mehrfach bemängelt, dass die Frauen einen Großteil der ehrenamtlichen Arbeit in der Gemeinde tun, es aber für sie keine spezifischen Angebote gibt, jedenfalls nicht für jüngere Frauen und Frauen in der Lebensmitte. Frau Huber bot damals eine Bastelrunde am Montagnachmittag an, und im Wennfelder Garten traf sich eine Gruppe alleinstehender Frauen; aber einen Gesprächskreis für Frauen gab es nicht. Es waren vor allem Else Artzt, Suse Bayer und Hildegard Vetter, die sich für ein neues Angebot für Frauen einsetzten und auch selbst bereit waren, im Vorbereitungsteam mitzuarbeiten. Im Februar 1984 konnten wir dann mit dem Frauentreff starten. Wichtig waren uns der Austausch über persönliche Erfahrungen, spirituelles Erleben, Anliegen von Frauen in Kirche und Gesellschaft, Verantwortung für den Weltgebetstag der Frauen, aber auch kreatives Tun und gemeinsame Unternehmungen. Die emanzipatorische Frauenarbeit war bei uns damals noch nicht sehr ausgeprägt. Elisabeth Moltmann-Wendel s 1980 erschienenes Buch Ein eigener Mensch werden Frauen um Jesus gab uns erste Anstöße zu einer feministischen Theologie. Im Herbst 1985 bin ich mit vielen guten Erfahrungen aus dem Vikariat in meine erste Pfarrstelle auf die Schwäbische Alb gegangen. Dort war dann für mich die Zeit, mich noch stärker mit der Last der patriarchalen Traditionsgeschichte der Bibel kritisch auseinanderzusetzen und Neues aus Frauensicht in die Gemeindearbeit und in den Gottesdienst einzubringen. Viele Frauen (und Männer!) aus der Eberhardskirche, die mein Ausbildungsvikariat mit Interesse und Wärme begleitet haben, waren dabei für mich bedeutsam und haben mich gestärkt für meinen weiteren Weg. Susanne Back-Bauer, Pfarrerin in Bornheim-Alfter, Kirchenkreis Bonn Der Frauentreff zu Besuch auf der Alb (Lonsingen, 1989) 187

188 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Beate Schröder Frauentreff und Frauenkirch Die Pfarrer wurden gebeten, einen Beitrag für diese Festschrift zu schreiben, die Vikare nicht, da sie meistens nur zwei Jahre in der Gemeinde blieben. Bis auf eine Ausnahme: Pfarrerin Susanne Back-Bauer, Vikarin in der Eberhardsgemeinde von 1983 bis Sie war in der Geschichte der Gemeinde die erste Frau, die als Theologin in der Eberhardskirche predigte. 1 Sie stand nicht nur auf der Kanzel, sie rief 1984 auch den ersten Gesprächskreis für Frauen ins Leben: den Frauentreff, der sich auch heute noch vierzehntägig am Dienstagnachmittag trifft. Zwei der Mitbegründerinnen sind bis heute aktiv dabei: Else Artzt und Hildegard Vetter. Als Susanne Bauer die Gemeinde verließ, übernahm Irmgard Hauger die Leitung des Frauentreffs. Nachdem sich das Ehepaar Hauger 1997 in den Ruhestand verabschiedet hatte, bildete sich ein Leitungsteam aus fünf bisherigen Mitgliedern: Else Artzt, Susanne Bayer, Ursula Elliger, Hildegard Vetter und Ingetraud Wurster. Else Artzt und Ursula Elliger gehören bis heute zum Team, dazu gekommen ist Maria Petzold entstand neben dem Frauentreff die»frauenkirch am Eck«- ein ökumenischer Gesprächskreis von Frauen vorwiegend in der Lebensmitte, der sich seit seinen Anfängen in der Kirch am Eck trifft. Wie in früheren Jahren die Frauen des Frauentreffs, so gestalten auch diese Frauen heute das Leben der Gemeinden aktiv mit, sowohl das der Eberhardsgemeinde wie auch das der Gemeinde von St. Michael: im Gemeindebüro, im Kirchengemeinderat, in der Kantorei, bei Festen und Gottesdiensten. Erstmalig sind derzeit Zweidrittel der gewählten Kirchengemeinderäte Frauen. Frauentreff vom Leitungsteam: Maria Petzold, 2. v.r., links daneben Else Artzt 188

189 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück In der Frauenkirche stehen theologische und politische Themen im Zentrum: Schriften von Frauen wie Simone Weil, Hannah Ahrendt und Simone de Beauvoir wurden gelesen. Themen wie»bibel in gerechter Sprache«,»Die dunkle Seite Gottes«oder»Homosexualität und Kirche«wurden diskutiert. Immer wieder gingen aus solchen Gesprächen auch Gottesdienste hervor, zu denen die Frauenkirche einlud:»politische Nachtgebete«zum fairen Umgang mit Geld (»Geld und Gewissen«) oder zu den Produktionsbedingungen von Kleidung (»Kleider machen Leute - Leute machen Kleider«) und auch Passionsandachten und Abendmahlsfeiern. Die Altersspanne ist so groß wie noch nie: Die jüngste Frau ist 30 Jahre, die älteste 92 Jahre alt. 1 Dass Frauen in der Württembergischen Landeskirche 1968 zur Ordination zugelassen und die Pfarrerinnen den Pfarrern gleichgestellt wurden, ist nicht zuletzt einem Gemeindeglied der Eberhardsgemeinde zu verdanken: Prof. Dr. Friedrich Lang. Als Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen und Mitglied der württembergischen Synode hielt er auf der entscheidenden Synodaltagung einen Vortrag, in dem er die Frauenordination biblisch begründete. Regelmäßig kam er in die Eberhardskirche zum Gottesdienst. Ich habe ihn vor Augen, wie er auf der Kanzelseite sitzt, leicht mit dem Kopf nickt und aufmunternd lächelt. Am 9. März 2004 ist er gestorben und wurde auf dem Bergriedhof beerdigt. Frauenkirch-Team Politisches Nachtgebet: Kleider machen Leute

190 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Heinz Hauger Eine offene, einladende Gemeinde ( ) Miteinander leben in der Eberhardsgemeinde Teilnehmen und Teilgeben Das Zentrum unserer Eberhardsgemeinde ist keine Kirchenburg, wie sie die Siebenbürger Sachsen in Rumänien hatten und noch haben, eine Burg, von einer Mauer umgeben, hinter der man sich bergen und notfalls Zuflucht suchen kann. Aber einladend und zum Verweilen geeignet, ein Zuhause, in dem man sich gerne trifft und austauscht, das ist dieses Zentrum hinter der großen Platane in der Eugenstraße: die Kirche, das Gemeindehaus und der eingefriedete freie Platz dazwischen. Das war jedenfalls unser erster Eindruck, als meine Frau und ich zum 1.Advent 1983 nach Tübingen kamen. Wir erlebten, dass nach dem Gottesdienst die Besucher nicht gleich wegliefen. Sie begrüßten sich auf dem Platz zwischen Kirche und Gemeindehaus und schnell bildeten sich innerhalb des Gatters kleinere oder größere Gruppen. Man redete noch miteinander, wollte sich noch etwas fragen oder hatte sich noch etwas zu erzählen. Ein allsonntäglicher Ständerling, der nicht organisiert war, zu dem auch nicht extra eingeladen oder aufgefordert wurde. Miteinander leben in der Eberhardskirchengemeinde schien ein selbstverständliches Bedürfnis zu sein. So dauerte es nicht lange, bis wir einmal im Monat anschließend an den Gottesdienst im Gemeindehaus geplant zusammen blieben, um uns noch auszutauschen und gemeinsam zu essen. Christus ist auch mitten unter den Kochtöpfen. Das erfuhren immer wieder neue Frauen und Männer schon beim Essen planen und Vorbereiten und dann beim Kochen. In der Stunde zwischen Gottesdienst und einfachem Mittagessen ließen wir uns gegenseitig am Leben unserer Gemeinde und unserer Kirche teilnehmen. Was erleben Gemeindeglieder, die auf Kirchentage, Tagungen oder Freizeiten fahren? Was beschäftigt einzelne von ihnen so, dass sie gerne auch den anderen davon berichten? Welche Aufgaben haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kirchlichen Einrichtungen? Wie vielfältig und reich das Leben in Gemeinde und Heinz Hauger,

191 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Kirche ist, zeigte sich schon daran, dass uns in über zehn Jahren nie der Stoff und die Themen ausgingen. Miteinander leben in der Eberhardsgemeinde, hieß der Titel des Mitteilungsblattes, das von einem Redaktionskreis vorbereitet und gestaltet monatlich über das Geschehen in der Gemeinde berichtete. Was ich angetroffen habe: eine farbige, vielfältige und lebendige Gemeinde War die Südstadt einmal die Arbeitervorstadt und der Ort der Soldaten und Kasernen gewesen, so hatte sich inzwischen im Jenseits (so nannte man ja in Tübingen das Gebiet südlich von Neckar und Bahnlinie) eine sehr gemischte Bevölkerungsstruktur entwickelt. Da waren die Angestellten und die Beamten, die bei der Stadt, bei der Bahn oder bei Tübinger Firmen arbeiteten. Da waren die Bewohner, die in verschiedensten Funktionen mit der Universität zu tun hatten: die Professoren, die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Angestellten bei den verschiedenen Instituten und Einrichtungen der Universität, die Hausmeister und Handwerker, und selbstverständlich die Studierenden (von denen es in der Südstadt aber etwas weniger gab als in anderen Stadtteilen). Da war der überdurchschnittlich hohe Bevölkerungsanteil, der in recht bescheidenen Verhältnissen in den vielen Einfachstsozialwohnungen der Südstadt lebte. Und da waren die Heimatvertriebenen, die nach dem Kriegsende in Notunterkünften im Wennfelder Garten untergebracht waren, und die später auf Dauer eine neue Heimat in Tübingen fanden. Aber sie gehörten alle zur Gemeinde. Sie besuchten die Gottesdienste, sie trafen sich in den verschiedenen Gemeindegruppen oder zu den Gemeindefesten, die nicht nur alt und jung, sondern auch die bunte Eberhardsbevölkerung zusammen brachten. Es war eine Herausforderung für die Gemeinde, ihren verschiedenen Bevölkerungsschichten gerecht zu werden, aber auch eine Bereicherung, das Leben in einer großen Breite zu erfahren, wahrzunehmen und zu teilen. Nicht erwähnt habe ich jetzt die ausländischen Flüchtlinge, von denen auch viele in der Südstadt wohnten. Von ihnen wird später noch die Rede sein. Aber erwähnen möchte ich noch die Obdachlosen. Viele von ihnen kamen in unseren ersten Tübinger Jahren nicht nur auf dem Weg vom Bahnhof zum Männerwohnheim an unserem Pfarrhaus vorbei. Vor allem meine Frau hat viel Zeit mit ihnen verbracht. Sie aßen gerne etwas, aber noch lieber wollten sie eine Weile in ihrer Küche sitzen und etwas erzählen. Wir haben wenig Enttäuschungen mit Nichtsesshaften erlebt, aber immer wieder Dankbarkeit und beinahe so etwas wie Freundschaft. Einige von ihnen habe ich auch auf dem Waldfriedhof beerdigt. Später, als die Situation sich für die Obdachlosen in Tübingen durch den Ausbau der Übernachtungsstelle im Männerwohnheim und das Angebot täglicher Mahlzeiten an verschiedenen Orten in der Stadt sehr verbessert hatte, brauchten sie uns weniger. Wer mich erwartete: aktive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Als ich in die Eberhardsirchengemeinde kam, da traf ich auf eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die teilweise schon viele Jahre in und mit der Gemeinde gelebt, sie aufgebaut und sie geprägt hatten. Ich konnte mich einfügen, Gutes und Bewährtes gemeinsam mit den anderen fortsetze. Ich durfte aber auch manches Neue probieren und so meinen Teil der Aufgaben im Ganzen übernehmen. In der kirchlichen Erwachsenenbildung, für die ich in meiner vorherigen Gemeinde mit verantwortlich war, hatte ich gelernt, Vorhaben und Aufgaben nicht alleine, sondern im Team mit Vorbereitungsgruppen 191

192 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück und Arbeitskreisen zu planen und durchzuführen. Ich suchte solch gemeinsames Arbeiten und nach dem, was wichtig ist und ansteht, nicht vergebens. Da waren die hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Gemeinde, die in ganz regelmäßigen Treffen die Umsetzung der anstehenden Aufgaben besprachen und sich gegenseitig von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen berichteten. Da war der Kirchengemeinderat, der mich sehr offen aufnahm, und der das Leben der Gemeinde und die Aktivitäten in ihr mit bedachte und mittragend begleitete. Da war mein Kollege Jens Plinke, mit dem ich die Gottesdienste und viele andere Aufgaben teilen konnte. Wir waren dankbar für die jeweiligen Fähigkeiten des anderen. Wir gestanden uns gerne gegenseitig die Schwerpunkte zu, die wir selber für uns sahen und für wichtig hielten, und wir wussten, dass wir uns so für die Gemeinde ergänzten. Da war Luise Scheel, die Kantorin, die es verstand, in Zupackende Mitarbeit in der Küche: Else Kraus und Irmgard Hauger Kindern und Erwachsenen Freude am Singen und Musizieren zu wecken, die beide bei Urlaubsfreizeiten mit viel Musizieren zusammenführte, und für die die Kirchenmusik ein wesentlicher Bestandteil der Gemeindearbeit und ein wichtiger Teil der gottesdienstlichen Verkündigung war. Da war das Ehepaar Huber. Hermann Huber, der als Hausmeister unsere Kirche und unser Gemeindehaus sauber hielt und beide hütete wie seinen Augapfel. Und seine Frau Walburga Huber, die über viele Jahre weg so etwas wie eine fürsorgliche Mutter der Gemeinde war. Da war die Gemeindediakonin Gertrud Sprenger, die sich um die Kinder und die Jugendlichen der Gemeinde kümmerte, die aber auch vielen Mädchen und Frauen in Nöten eine große Hilfe und wichtige Gesprächspartnerin war. Da war die Vikarin Susanne Bauer, die gerade auf die Bitte einiger Frauen aus der Gemeinde hin den Frauentreff gründete, damit auch Frauen in der Lebensmitte einen Ort in der Gemeinde hätten, an dem sie sich treffen und austauschen könnten. Da waren die Damen im Gemeindebüro, die den anderen Mitarbeitern viel Schreibkram abnahmen und sie immer wieder an wichtige Termine und kommende Veranstaltungen und Aufgaben erinnerten. Als später für Jens Plinke Kollege Harry Waßmann und für Gertrud Sprenger zuerst Renate Schäfer und dann Peter Heilemann in die Eberhardsgemeinde kamen, änderte sich nichts an der vertrauensvollen Zusammenarbeit und an der gegenseitigen Unterstützung der jeweiligen Aufgaben des Anderen. Die Thiepval- und die Lorettokaserne Die Thiepvalkaserne war, als ich nach Tübingen kam, schon einige Jahre Sammelunterkunft für Asylbewerber. Betreut wurden diese von Mitarbeitern des Dia- 192

193 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück konischen Werkes, die uns immer wieder über die Situation der Flüchtlinge berichteten, und vom Tübinger Asyl-Arbeitskreis. Da auch außerhalb der Thiepvalkaserne viele Asylbewerber in der Südstadt wohnten, waren sie uns ständig vor Augen. Im Gemeindehaus trafen sich einige Jahre eritreische Flüchtlinge zu Versammlungen und Festen. Es entstanden Kontakte zwischen Gemeindegliedern und Flüchtlingen bzw. Flüchtlingsfamilien. Als die Flüchtlinge eine Zeit lang für ihren Unterhalt kein Geld mehr bekamen, sondern nur noch Lebensmittelpakete, halfen auch aus unserer Gemeinde einige mit, den Flüchtlingen diese Pakete abzukaufen. Die Flüchtlinge konnten sich dann ihre Lebensmittel kaufen, die sie gewohnt waren und die sie essen konnten. Und wir konnten den Versuch machen, einige Tage nur von dem zu leben, was Flüchtlinge bekamen. Nachdem die Asylbewerberzahlen kleiner wurden, wurde die Thiepvalkaserne im Herbst 1989 für ein halbes Jahr Übergangswohnheim für DDR-Übersiedler. Der gemeindliche Kontakt zu diesen meist unkirchlichen Leuten war nicht einfach, aber einige Bibelstunde mit Spätaussiedlern in der Lorettokaserne mit Pfarrerin Sabine Dietz (Stiftskirche), dritte von rechts 193

194 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Russisch-deutsches Gottesdienstprogram, von Vikar Albrecht Knoch erstellt Frauen aus der Gemeinde arbeiteten im Kleiderbazar mit und unsere Gemeindediakonin Renate Schäfer kümmerte sich mit Helfern um die Kinder. Deutlich änderte sich die Lage, als im Frühjahr 1990 das Übergangswohnheim in die Lorettokaserne verlegt und diese mit rumänien- und mit russlanddeutschen Aussiedlern belegt wurde. Nicht nur äußerlich waren die Aussiedler dadurch mehr ins Zentrum der Gemeinde gerückt. Viele von ihnen besuchten den Gottesdienst. Die Gemeinde lud sie zu Begrüßungsnachmittagen ins Gemeindehaus ein. Viel erfuhren wir dabei über die Lage der Deutschen in Russland, die oft über lange Jahre hinweg keine Kontakte mehr mit Pfarrern oder Kirchengemeinden hatten. Oder über die Lage der Siebenbürger Sachsen in Rumänien, die immer schwieriger und verzweifelter geworden war, sodass sie am Ende und nachdem es der rumänische Staat erlaubte, nur noch den Ausweg sahen, ihre Heimat zu verlassen und nach Deutschland zurück zu kommen. Wir erlebten in dieser Zeit, wie ganze Familien Großeltern, Eltern und Kinder sich taufen ließen. Wir spürten, wie schwer sich die Siebenbürger Sachsen mit uns taten, sie, die endlich wieder deutsch reden, denken und leben wollten, und dann spürten, wie wir längst europäisch dachten, Kontakte zu französischen Nachbarn pflegten oder gar zu Farbigen aus Afrika. Wir entdeckten, wie schwer es für die Umsiedler aus Osteuropa war, vor allem für die Männer, ihr Leben ein Stück weit wieder selber in die Hand zu nehmen, nachdem sie gewohnt waren, Wohnung, Arbeit und vieles andere zugeteilt zu bekommen. Oder wie fremd ihnen ein Wohnen als Familie in verschiedenen Stadtteilen oder gar Orten war, nachdem sie doch immer als Großfamilie zusammen gelebt hatten. Der Erwachsenenbildungskreis und die Gemeindeseminare Ich war immer gerne mit Kindern und mit Jugendlichen zusammen, in der Kinderkirche, auf Freizeiten, im Konfirmandenunterricht. Aber mit dem Älterwerden wurde mir das Gespräch und die Auseinandersetzung mit Erwachsenen immer wichtiger. Ich merkte, wie mir die Vorbereitung des Kindergottesdienstes mit den Helferinnen und Helfern so wichtig wurde wie der Kindergottesdienst selber, wie gerne ich auch mit den Konfirmandeneltern wenigsten einmal wäh- 194

195 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Seminarreihe des Erwachsenenbildungskreises rend des Konfirmandenjahres Konfirmandenunterricht machen wollte. Ich fing an zu bedauern, dass es mir nicht gelang, mehr Erwachsene für das Gespräch über biblische Bücher und Texte, also für die alte Bibelstunde, zu interessieren. Und ich war wieder sehr dankbar, dass ich in Tübingen als meinen pfarramtlichen Unterrichtsauftrag bei erwachsenen Schülern Religionspädagogik unterrichten durfte im Berufskolleg Sozialpädagogik. Aber ganz besonders gern erinnere ich mich an den Erwachsenenbildungskreis in der Gemeinde. Dieser Kreis war eine Gruppe von Leuten, die an den verschiedensten Glaubens- und Lebensfragen interessiert waren, und die sich der Aufgabe stellten, für die Gemeinde jedes Jahr ein Gemeindeseminar zu einem bestimmten Thema vorzubereiten. Und viele Zuhörer dankten es uns. Da waren die Themen: Krankheit und Tod gehören zum Leben Begegnungen mit dem Judentum Fremde Bedrohung und Bereicherung und mich sollte nicht jammern der vielen Tiere Umgang mit psychisch Kranken Brauchen wir Religion auf der Suche nach Sinn Das Weib schweige in der Gemeinde Frauen melden sich zu Wort Leben zwischen Hektik, Rhythmus und Verweilen Wertewandel unterwegs zu neuen Orientierungen Aber die Seminare waren ja nur die eine Sache. Der größte Gewinn war wie immer - die Phase der Vorbereitung. Sie begann mit der Suche nach dem Thema: Welche Probleme oder Fragen beschäftigen uns, die Gemeinde oder die Gesellschaft gerade besonders? Wo müssen wir umdenken, wo neue Wege suchen, wo neue Antworten finden? Wenn wir uns entschieden hatten, folgte zuerst ein intensiver, bereichernder und oft sehr persönlicher Austausch über das Thema in unserem Kreis. Was möchten wir wissen oder besser verstehen? Wo sind wir betroffen? Wo möchten wir weiterkommen? Erst wenn wir uns selber intensiv in ein Thema eingearbeitet hatten, erst wenn wir uns selber über unsere Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen klar geworden waren, begannen wir zu fragen: wie können wir das, 195

196 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück was wir erkannt haben, der Gemeinde so weitergeben, dass es auch den Seminarbesuchern helfen kann, dass auch sie daraus einen Gewinn für ihr Denken, ihren Glauben und ihr Handeln ziehen können. Personen, die für mich besonders wichtig waren Gemeindefest - Alfred Höckh (1. Vorsitzender) und Gerhard Ziener (Vikar) Es gab viele für mich wichtige Persönlichkeiten in der Eberhardsgemeinde, die ich sehr schätzen lernte, von denen ich viel gelernt habe, über die ich neue Erfahrungen und neue Einsichten gewann und die mich in meinen Überzeugungen und in meinem Tun bestärkten oder weiterbrachten. Da waren die beiden Theologieprofessoren Hans-Peter Rüger und Friedrich Lang, die in unserer Gemeinde wohnten und mir durch ihre Nähe und ihre wohlwollend-hilfreiche Begleitung viel bedeuteten. Da war Annette Herrgott, die viele Jahre den Kindergottesdienst leitete und sich dabei um jedes einzelne Kind persönlich kümmerte. Da waren die Vikare, mit denen mir die Zusammenarbeit ausnahmslos Freude machte. Ich verdanke ihnen nicht wenige neuere Einsichten aus der theologischen Forschung und in die Gemeinde brachten sie alle viele Anregungen mit. Und da waren die vielen Gemeindeglieder, die mir mit ihren Fähigkeiten, mit ihren Lebenserfahrungen und mit ihrer freundlichen Begleitung und Unterstützung manche Arbeit in der Gemeinde leicht machten. Drei Begleiter möchte ich aber noch besonders nennen. Als ersten meinen Vorgänger Paul Hägele. Auch wenn er in seinem Ruhestand in der Gemeinde nicht mehr auftauchte, war er mir und der Gemeinde ein unsichtbarer, aber sehr treuer Begleiter. Vom ersten Kennenlernen an wusste ich, dass er meine Zeit in der Eberhardsgemeinde mit seinen guten Gedanken und seinen Gebeten begleiten würde. Wenn ich bei meinen Besuchen hörte: Ah, Sie sind der Nachfolger von Pfarrer Hägele, dann wusste ich, dass ich nicht erst Türen öffnen musste, sondern dass sie schon geöffnet waren. Er hinterließ mir eine an Glaubensfragen hoch interessierte Gruppe ehemaliger Konfirmanden, die für mich jahrelang wichtige Gesprächspartner waren, und einen ebenso lebendigen Bibelkreis, der offen und lebhaft theologische Fragen stellte und diskutierte. Als zweiten wichtigen Begleiter in der Gemeinde möchte ich Alfred Höckh nennen. Bei ihm war nicht nur das Gemeindekonto gut aufgehoben. Er sorgte nicht nur dafür, dass die Gemeinde stets das nötige Geld hatte für den Unterhalt ihrer Gebäude, für die Aufgaben innerhalb der eigenen Gemeinde und für die Unterstützung von wichtigen Projekten außerhalb. Er übernahm nicht nur souverän nötige Verwaltungsund Leitungsaufgaben. Alfred Höckh war ein Vorsitzender, der ganz in seiner Kirchengemeinde und in ihrer Arbeit aufging, der aufmerksam das Gemeindeleben verfolgte, der alle ihre Veranstaltungen besuchte, 196

197 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück der neue Aktivitäten mit bedachte und mitging. Nie habe ich sonst einen Kirchengemeinderatsvorsitzenden erlebt, der sich von seiner Firma einen Vormittag in der Woche frei geben ließ, um an den Dienstbesprechungen der Mitarbeiter seiner Gemeinde teilnehmen zu können; oder der die Konfirmandenelternabende besuchte, um sich zu informieren über das, was Pfarrer und Eltern im Blick auf die Konfirmandenzeit wichtig war. Und schließlich möchte ich Martin Lohss besonders nennen. Ehrenamtliche Mitarbeiter erlebt ein Pfarrer in seinem Leben viele. Auch solche, die sich mit großem Engagement für ihre Gemeinde einsetzen. Aber dass ein Mann, der aufgrund seines Soldatenberufes relativ früh pensioniert wird, sich nach seinem Arbeitsleben noch einmal ganz einer Kirchengemeinde zur Verfügung stellt, das ist ungewöhnlich. Noch während seiner Tätigkeit als Oberst beim Zentrum für Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz ließ er sich zum Seelsorgehelfer ausbilden. In der Eberhardsgemeinde kümmerte er sich dann vor allem um die Älteren. Er leitete den Seniorentreff der Gemeinde, den Club Süd. Er besuchte die älteren Jahrgänge zu ihren Geburtstagen. Er kümmerte sich um sie, wenn sie Hilfe brauchten oder krank wurden. Er begleitete viele bis zum Sterben. Er strahlte einen tiefen Glauben und ein ansteckendes Vertrauen aus. Er beeindruckte durch seine liebenswürdige und hilfsbereite Art und durch seine geradlinigen Überzeugungen. Eine ganz wichtige Rolle spielte er für die Tübinger Friedensbewegung. Martin Lohss war nach seiner Erfahrung von Krieg und Gefangenschaft zur Bundeswehr gegangen. Dort wollte er mithelfen, die Armee in einem neuen Geist aufzubauen, eine Armee, die nichts als den Frieden sichern will, eine reine Verteidigungsarmee, aber als er sah, dass die Bundeswehr sich in eine Angriffsarmee verwandelte, wurde er zu einem überzeugten Friedenskämpfer. Die Auflösung der französischen Garnison und die Angst vor der Entstehung eines gefährlichen sozialen Brennpunktes in der Südstadt Als ich 1983 in die Eberhardsgemeinde kam, war Tübingen noch Standort einer französischen Garnison. Sie war vor allem in der Loretto- und in der Hindenburgkaserne untergebracht. Daher gehörten die französischen Soldaten noch zum Bild der Südstadt. Es gab Kontakte zum protestantischen Standortpfarrer, es gab Beziehungen zwischen deutschen und französischen Familien, es gab noch gemeinsame deutschfranzösische Weihnachtsfeiern am Heiligen Abend in unserem Gemeindehaus oder gegenseitige Einladungen zum Gottesdienst. Und manchmal übte auch ein französischer Soldat auf der Orgel der Eberhardskirche. Mit der Auflösung der französischen Garnison wurden dann aber nicht nur die Kasernen und die großen Freiflächen zwischen ihnen frei, sondern auch weitere 440 Wohnungen, in denen vor allem die Offiziere gewohnt hatten. Was sollte, was konnte aus diesen freien Wohnungen und Räumen werden? In den Mannschaftsgebäuden der Hindenburgkaserne sollten 500 Wohnheimplätze für Studierende entstehen. In den Räumen dazwischen Gebäude zum Wohnen und Arbeiten. Auf dem Lorettogelände sollten Aussiedler, weitere Asylbewerber und Familien aus der städtischen Notfallkartei unterkommen. Deren Liste war lang. Würde in der Südstadt also ein Ghetto entstehen, in dem die Menschen Obdach finden, die nirgendwo sonst eine Wohnung bekommen und die sich selber schlecht helfen können? Es gab damals viele Befürchtungen und Ängste. Es gab aber auch von Anfang an Ansätze, die hoffen ließen. 197

198 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Es war Andreas Feldtkeller, der nicht nur seine Erfahrung mit der Sanierung der Tübinger Altstadt einbrachte, sondern viele interessante Ideen für ein neues Stadtquartier, in dem sich Wohnungen, Werkstätten, Läden, Dienstleistungen und soziale Einrichtungen mischen. Es gab die Bürgermeisterin Gabriele Steffen, die sich mit ihren Mitarbeiterinnen vom Sozialreferat um die Kindergarten- und Schulsituation, um die nötige soziale Betreuung von Familien, Alleinerziehenden, Jugendlichen und Kranken kümmerte. Es gab die Arbeits- Ugge Bärtle auf Gauinger Travertinblöcken. Sein Brunnen wurde am 11. September 1987 anlässlich der Ugge Bärtle-Ausstellung Gebilde von der Stadt gestiftet. 198

199 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück gruppen, in denen sich Vertreter der Eberhardsgemeinde, der katholischen Nachbargemeinde St. Michael und der Stadt in unserem Gemeindehaus trafen, um für die neuen Südstadtbewohner Möglichkeiten der Begegnung und ein gutes Miteinander vorzubereiten und zu ermöglichen. Ein Kind dieser Arbeitsgruppe wurde zunächst der Janusz-Korczak-Kindergarten, ein anderes Kind ist aus der Südstadt heute nicht mehr wegzudenken: das ökumenische Zentrum Kirch am Eck. Wie dann das heutige Gesicht der Südstadt zwischen Loretto- und Hindenburggelände Stück um Stück entstanden und gewachsen ist, da kann ich, der ich die leeren Kasernenhöfe und die verlassenen Soldatenwohnungen gesehen habe, nur staunen, was heute daraus geworden ist. Die Partnerschaft mit La Rochelle Ich kam nach Tübingen mit der Erfahrung, dass Kirchengemeinden von einer Beziehung zu einer Partnergemeinde nur gewinnen können. So war ich zunächst etwas enttäuscht, dass die Eberhardsgemeinde weder eine Beziehung zu einer Thüringer Gemeinde noch zu einer nichtdeutschen Gemeinde hatte. Das sollte sich aber bald ändern. Ein französischer Kollege und Freund, Pfarrer Francois Coester, hatte ein Aufbaulager des Evangelischen Jugendwerkes von Württemberg in Frankreich erlebt. Er war davon so begeistert, dass er mich fragte, ob das Jugendwerk nicht auch für ihn ein solches Lager organisieren könne. Er selber war damals Leiter der Fraternité der Mission Populaire Evangélique in La Rochelle, einer kirchlich-diakonischen Sozialeinrichtung, die in der Hafenstadt wichtige Aufgaben für Flüchtlinge, Obdachlose, Alkoholkranke und sozial schwache Familien wahrnahm. Für sie plante er den Bau eines Begegnungszentrums, in dem sich die verschiedenen Gruppen treffen konnten und in dem auch einige Übernachtungsplätze für Nichtsesshafte zur Verfügung stehen sollten. Bei einem Besuch in Tübingen berichtete Pfarrer Coester im Gemeindehaus von seiner Arbeit. Es entstanden erste Kontakte und die Bereitschaft der Eberhardsgemeinde, dieses diakonische Projekt in La Rochelle finanziell zu unterstützen. Und noch ein kleines Wunder geschah: Das Evangelische Jugendwerk organisierte im Sommer 1986 in Verbindung mit dem CVJM Tübingen ein Aufbaulager in La Rochelle. An ihm nahmen auch eine Reihe Jugendlicher aus unserer Gemeinde teil, von denen einige tief beeindruckt im Jahr darauf wieder nach La Rochelle fuhren, um beim Innenausbau des Hauses weiter zu helfen und um am Leben der Fraternité teilzunehmen oder ein Praktikum bei ihr zu machen fuhr dann ein Teil des Kirchengemeinderates mit einer Gruppe aus der Gemeinde nach La Rochelle, um das Hoffnung bauen so nannte die Fraternité ihr Tun der französischen Partner vor Ort kennen Am Hafen in La Rochelle 1990 Alfred Höckh, Hans Woidt, Dr. Gerhild Lohss, Martin Lohss 199

200 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück zu lernen. Und gleichgültig, ob sie von ihrer Arbeit mit Flüchtlingen oder mit Umsiedlern, mit sich selbst überlassenen Kindern oder sozial Schwachen, mit Alkoholkranken oder Nichtsesshaften berichteten, unsere Gedanken waren immer auch in der Südstadt und ihren Problemen. Ganz besonders eindrücklich für mich war dann im Jahr darauf der Gegenbesuch der Gäste aus La Rochelle bei uns. Sie interessierten sich sehr für das, was sich in unserer Südstadt nach dem Abzug der französischen Garnison veränderte. Irmgard und Heinz Hauger, Abschied 1997 Und ich hatte noch lange ihre Fragen an uns im Ohr: Was sind das für Leute, die da zu euch kommen? Wisst ihr, was sie nötig haben? Wie ist das mit euren Plänen und Vorhaben, denkt ihr euch die selber für sie aus? Oder teilt ihr das Leben mit ihnen, um herauszufinden, was sie wirklich brauchen? Nachbemerkung Es ist eine sehr persönliche Auswahl von Streiflichtern geworden, von denen ich jetzt berichtet habe. Und es gäbe noch vieles, was für die Gemeinde in diesen Jahren wichtig und prägend war und an was ich mich noch immer dankbar und mit Freude erinnere: An die so selbstverständlich-geschwisterliche Nähe der katholischen St. Michaelsgemeinde mit allen gemeinsamen Begegnungen und gemeinsamen Gottesdiensten und Feiern. An die Gemeindefeste, die jedes Jahr wieder Höhepunkte im Leben der Gemeinde waren. An das Friedensgebet, zu dem sich in so großer Treue eine vertraute Gruppe jede Woche in der Eberhardskirche traf. An das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach, aufgeführt in sechs Teilen über die Weihnachtssonntage hinweg. An die bewegende Konfirmation wenige Tage nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl, und die große Bitte der Konfirmanden an die Gemeinde: Helft mit, dass unsere Welt nicht zerstört wird. Trotzdem: es sei genug. Dieser Bericht darf lückenhaft und offen bleiben, wie die Gemeinde offen bleiben darf, wenn die Pfarrer wechseln, und sie manches, was seine Zeit hatte, zurücklässt, und Neues sucht und beginnt. 200

201 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück Heiner Braunschweiger Vom Wagnis der Predigt ( ) Heinrich Braunschweiger war von Pfarrer in der Eberhardskirche. Sein Kollege Harry Waßmann hat ihn zum Abschied nach den Profilen seiner Arbeit befragt. 1 : Gemeindefest 2006: Pfarrer Heinrich Braunschweiger, Diakon Peter Heilemann. Warum warst du ein Pfarrersleben lang im Team mit Anderen tätig? Ich kenne die Grenzen meiner Begabungen, auch meine Defizite. Und ich hoffte, dass diese im Team ausgeglichen und ergänzt werden. Zudem lag mir nie daran, als einziger Gockel auf dem Misthaufen Gemeinde zu krähen. Und da ich, wie ich meine, ein friedfertiges Gemüt habe und immer Karl Barths Warnung an eine Gemeinde im Ohr hatte - durchaus einen tüchtigen, aber keinen geschäftstüchtigen Pfarrer zu wählen - glaubte ich, für ein Team auch eine Bereicherung zu sein. Zwischen deinem Einstieg in den Pfarrdienst und dem Ruhestand ( ) liegt eine Zeit. Die Evangelische Kirche hat sich verändert. Inwiefern? Dass die Kirche finanziell aus dem Vollen schöpfen konnte und als selbstverständliche Größe im gesellschaftlichen Konzert akzeptiert war, ist Gott sei Dank Vergangenheit, denn das hat sie satt und träge gemacht. Dass manche (viele?) der Verantwortlichen nun ihr Heil bei der Ökonomie und in den Meinungsumfragen suchen - das Papier Kirche der Freiheit z.b. lässt 201

202 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück dies vermuten - ist eine substantielle Gefahr für die evangelische Kirche. Wenn die Kirche des Wortes ihr Heil nicht beim WORT selber sucht und dann noch die Leute ständig fragt, wie sie denn die Kirche gern haben wollen, dann wird sie es in Zukunft neben der katholischen Kirche, die dem Heiden in uns viel mehr einleuchtet, schwer haben. Was ist das Zentrum deiner Arbeit gewesen? Was ist die Freude, was ist das Wagnis der Predigt? Im Augsburger Bekenntnis (1530) heißt es: Um den Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben Wie also dürfte das Zentrum meiner Arbeit etwas anderes gewesen sein als der Gottesdienst? Und im Zentrum des evangelischen Gottesdienstes steht die Predigt. Durch sie will der Heilige Geist Gemeinde bauen und den Glauben in den Herzen der Hörer wirken. Wie nach der Lehre der katholischen Kirche in der Eucharistiefeier Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden, so wird nach Lutherischer Lehre das Wort des Predigers auf der Kanzel zur lebendigen Stimme Christi, sofern es ihm gefällt. Darum u. a. ist Predigen auch beides: Freude und Wagnis. Die Freude, von Gott bei seinem Werk an uns Menschen gebraucht zu werden. Und gerade deshalb ist die Predigt auch das große Wagnis, weil Gott Aus dem Niederländischen übersetzt, erschienen Stuttgart

203 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück sie zu seinem Wort machen will eigentlich für den Prediger eine unmögliche Aufgabe. Denn ich bin ja ein sündiger Mensch, in dem von seinen Urahnen her noch heidnisches Blut pocht. Darum kann ich nur mit dem Wort Christi im Ohr und im Herzen dieses Wagnis eingehen: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. (Jahreslosung 2009) Wer sind die ersten Hörer deiner Predigt? Der erste Hörer meiner Predigt bin ich selber mit meinen Zweifeln und Fragen, in meiner Gebrochenheit, Abgründigkeit und Glaubensschwäche. Ich vermute, wenn ich mir nicht immer wieder selber predigen würde, d. h. aus dem Evangelium, der Kraft Gottes..., schöpfen würde, wäre ich angesichts des Zustands der Welt und übrigens auch der Kirchen schon bald ein Atheist oder zumindest ein Agnostiker. Und da ich annehmen kann, dass die Leute, die am Sonntag mit mir Gottesdienst feiern, grundsätzlich nicht anders gewickelt sind, hoffe ich, mit meiner Predigt auch ihren alten Adam immer wieder im Erneuerungswasser des WORTES ersäufen zu können. Wenn ich mir wegen mancher Passagen der Predigt unsicher bin, lese ich sie auch manchmal meiner Frau vor oder maile sie an einen befreundeten Pfarrer im Ruhestand. Kornelius Heiko Miskotte ein niederländischer Theologe hat tiefe Spuren in deiner geistlichen Biographie hinterlassen. Wie kam es dazu? Ich habe in einer Zeit studiert, in der man sich von einer humanwissenschaftlichen Aufrüstung der Theologie eine Kompetenzerweiterung und damit auch eine Aufwertung des Pfarrberufes versprochen hat. Die theologische Wissenschaft wurde dominiert von der historischen Kritik. Ich hatte nach dem Studium nicht den Eindruck, zu wissen, was einen guten Theologen und Pfarrer ausmacht. Erst nach dem Vikariat wurde ich aufmerksam auf Schriften von Miskotte. Vom ersten Augenblick an war ich von seiner Hymnischen Theologie (H. Stoevesandt) fasziniert. Miskotte hat mir die Augen dafür geöffnet, dass Gott nicht unbedingt durch die theologische Wissenschaft zu uns spricht, sondern dass er oft in der Fremde zuhause ist und z.b. bei den Künstlern und Poeten zu finden ist, durch die er uns etwas zu sagen hat. Und was für mich noch entscheidender war: Miskotte hat mir die Einheit der beiden Testamente (AT und NT) sichtbar gemacht. Er hat mir die Thora verschrieben als einziges Gegengift gegen unser heidnisches, durch die Identifizierung von Gott und Schicksal infiziertes Blut. Und er hat mir das Gespräch mit dem Judentum als unabdingbar für die Theologie evident gemacht. Mit einem Wort: An seinen Schriften erst wurde ich zu einem biblischen Theologen und zu einem leidenschaftlichen Prediger, dem die Predigt zumeist auch Leiden schafft. Was wirst du als Ruhestandspfarrer vermissen? Die vielen Begegnungen mit allen Generationen der Gemeinde und das kontinuierliche Predigen, so schwer mir jede Predigt gefallen ist. Worauf wirst du dich besonders freuen? Freundschaften neu aufleben lassen und pflegen, Enkelkinder begleiten darauf freue ich mich besonders. Dein Wunsch für die Eberhardskirche? Dass der Hunger nach dem WORT wachse und sie so noch offener und sensibler werde für ihre Aufgaben in und an der Welt und in einer sich wieder immer mehr 203

204 Vier Pfarrer und eine Vikarin blicken zurück in Klassen spaltenden Gesellschaft. Und sie nicht der Wellness-Religion verfalle, sondern bei der Schwarzbrot-Spiritualität (Fulbert Steffensky) bleibe. Anmerkungen: 1 Das Interview ist veröffentlicht in»kirche in der Stadt«Zeitung der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Tübingen, 1 /2009, S.5 Abschied, Februar

205 Kirchenmusik Klaus-Ulrich Thiedemann Organisten und Chorleiter Bei der Durchsicht der Akten fällt auf, dass in den vergangenen 100 Jahren die Besetzung der Organistenund Chorleiterstelle nur sechsmal gewechselt hat. Das deutet auf eine große Kontinuität hin; mehrere Organisten waren über lange Zeit ( Jahre) im Amt. Weiter fällt auf: Bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus waren die Organisten und Chorleiter an der Eberhardskirche nebenamtlich tätig gewesen, im Hauptberuf waren sie meist Lehrer. Dies ist mit Sicherheit auf die Tradition der württembergischen Lehrerausbildung zurückzuführen, die auch eine musikalische Ausbildung umfasste Mark zusätzlich zur Verfügung, von denen er 1919 den 2. Band des Chorgesangbuches von ABEL in 50 Exemplaren anschaffen konnte 3. In der Inflationszeit im Februar 1923 erhöhte sich der Betrag auf die inflationäre Summe von Mark! 4 Der Chor Benefiz-Weihnachtsmusik, Eintritt: für Verwundete nur an der Abendkasse 10 Pfg Mit Beschluss des Kirchengemeinderates vom 2. Februar 1911 wurde Hauptlehrer Karl Kübler einstimmig zum Organisten in der Eberhardskirche gewählt 1. Sein Gehalt wurde auf Mark jährlich festgesetzt. Zusätzlich standen ihm für das Orgelspiel bei Hochzeiten 2.- Mark zu. Zu seinen Pflichten gehörte das Orgel- bzw. Harmoniumspiel bei allen ordentlichen Gottesdiensten, also sonntags 2 mal, werktags einmal, sowie bei allen außerordentlichen vom Kirchengemeindrat angeordneten Gottesdiensten. In Urlaubszeiten hat er auf seine Kosten für Stellvertretung zu sorgen. Die Orgel ist seiner besonderen Obhut übergeben. Über die Arbeit von Karl Kübler ist wenig überliefert. Aber aus der Tatsache, dass der Kirchenchor der Eberhardskirche 1936 sein 25jähriges Bestehen beging 2, können wir schließen, dass Kübler sehr bald einen Chor gründete. Immerhin erhielt er seit Juni

206 Kirchenmusik hatte also um diese Zeit rund 50 Mitglieder und sang nicht nur in etlichen Gottesdiensten, sondern erhob seine Stimme z. B. auch bei der Beerdigung von Stadtpfarrer Meyer auf dem Stadtfriedhof neben der Garnisonsmusik. Bei allen späteren Organisten gehörte die Leitung des Kirchenchores immer ausdrücklich zu den Dienstaufgaben und wurde auch extra entlohnt. Die Gebühr des Organisten bei Hochzeiten wurde 1920 für alle drei Tübinger Kirchen auf 5.- Mark erhöht 5, wobei beschlossen wurde, dass mit jeder kirchlichen Trauung Orgelspiel verbunden sein soll... Im Jahr 1920 wurde auch das Gehalt des Organisten auf Mark jährlich erhöht, ausgefallene Bibelstunden wurden mit 6.- Mark abgesetzt 6. Im Juli 1926 teilte Oberlehrer Kübler mit, dass er aus Gesundheitsrücksichten auf 1. Oktober des Jahres von seinem Amt als Organist und Chorleiter der Eberhardskirche zurücktreten werde 7. Seiner Bitte, weiterhin auf der Orgel üben zu dürfen, wurde entsprochen, ohne Erhebung der üblichen Gebühren. Als mögliche Nachfolger wurden mehre Personen benannt 8. Zu den Beratungen wurde der Stiftsmusikdirektor und Organist an der Stiftskirche Richard Gölz hinzugezogen. Eine weibliche Organistin lehnte man ab und allerlei Gründe sprachen gegen einige der Kandidaten: Sie waren zu alt, wenig musikalisch oder ihre Stellung zur Kirche war ungeklärt. Da die Übernahme [des Amtes] durch einen Lehrer am natürlichsten erscheint und Hauptlehrer [Friedrich] Bauschert bereit ist, das Organistenamt zu übernehmen, kommt er in erster Linie in Frage. Erkundigungen haben ergeben, dass B. kirchlich ist und die musikalischen Fähigkeiten hat. Ein angefordertes Gutachten seines früheren Ortspfarrers war durchaus günstig. Hauptlehrer Bauschert wurde ohne Probezeit vom 1. Oktober 1926 an als Organist und Chorleiter angestellt. Er erhielt für seine Organistendienste Mark jährlich, für den Chorleiterdienst Mark jährlich 7. Friedrich ( Fritz ) Bauschert wurde 1888 in Neckargartach geboren 9. Er erhielt seine Ausbildung am Lehrerseminar in Lichtenstern (b. Heilbronn). Seit 1913 war er als Unterlehrer und Lehrer tätig in Saulgau, Esslingen, Würzbach (Kreis Calw) und Schömberg (Kreis Freudenstadt). Seit 1914 war Bauschert verheiratet. Als seine Frau 1926 unerwartet verstarb, zog er mit inzwischen fünf Kindern nach Tübingen in die Eberhardstr heiratete er seine zweite Frau, Anna Riepp, mit der er noch einmal zwei Söhne (die Zwillinge: Heiner und Frieder) großzog. In Tübingen war Bauschert Lehrer an der Grundschule des Uhlandgymnasiums, dann an der Silcher-Knabenschule, stellvertretender Rektor in Derendingen. Friedrich Bauschert wird von ehemaligen Schülern als strenger, aber beliebter Schulmeister beschrieben 10, als ein sehr gütiger, ausgeglichener Lehrer mit sehr viel pädagogischem Geschick 11, als ein sehr engagierter, vielseitig begabter Lehrer, Erzieher und Künstler, ein integrer und stets korrekter Bürger. 12 Musik und Malerei waren seine künstlerischen Betätigungsfelder, die er sich auch bemühte, seinen Schülern weiter zu vermitteln. Friedrich Bauschert, 1943 (Zeichnung Heiner Bauchert) 206

207 Kirchenmusik So erteilte er z. B. auch privaten Violin- und Klavierunterricht und ließ seine Schüler viel zeichnen und malen 13. In die Dienstzeit von Friedrich Bauschert fiel auch das Chorjubiläum: am 3. Dezember 1936 beging der Kirchenchor der Eberhardskirche die Feier seines 25jährigen Bestehens. Vier Sängerinnen haben durch 25 Jahre hindurch dem Chor die Treue gehalten. Der Verwaltungsausschuß beschließt, daß denselben in dankbarer Würdigung ihrer Dienste ein Geschenk im Wert von je 5.- RM überreicht werden soll. 2 Bauschert war ein tief religiöser Mensch und machte daraus auch seinen Schülern gegenüber keinen Hehl. Im Dezember wurde Friedrich Bauschert zum Kirchengemeinderat zugewählt, zum bat er um Enthebung aus diesem Amt. Er habe seiner vorgesetzten Behörde Anzeige erstattet und habe mit Schwierigkeiten zu rechnen, die ihm für seinen Organistendienst erwachsen könnten. 15 Er weigerte sich bis 1945, der NSDAP beizutreten, galt deshalb als nicht linientreu und war allerlei Schikanen ausgesetzt wurde er strafversetzt nach Dusslingen, dann auch nach Talheim, Wolfenhausen und Mähringen. Trotz der Strafversetzung erteilte Bauschert weiterhin Religionsunterricht und übte mit seinen Schülern Choräle ein. 9 Durch all die Jahre in Tübingen bis zu seinem Tode 1951 versah Friedrich Bauschert treu und unermüdlich seinen Organistendienst. Leider ist über seine kirchenmusikalische Arbeit heute nur noch wenig zu erfahren. Aus Berichten seiner ehemaligen Schüler 9 ist man aber geneigt anzunehmen, dass er auch ein engagierter Chorleiter war erkrankte Bauschert schwer (Magenkrebs). Es folgten Kur- und Klinikaufenthalte. Im Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderates der Eberhardskirche am 17. November heißt es: Unser Organist und Chorleiter Friedrich Bauschert ist im Herbst d. J. 25 Jahre lang an der Eberhardskirche. Weil er das nicht mehr feiern konnte, sind i. V. des erkrankten past. loci dessen Frau und Herr Pfarrer Grüninger und Herr KGRat Huber vorzeitig zu Herrn Bauschert und haben ihm die vom GesKGRat gewährte Gabe von aus der Kirchenpflege überbracht, worüber Herr Bauschert sich noch sehr gefreut hat. Nun ist Herr Bauschert heimgerufen worden [14. Oktober 1951] Die Beerdigung hielt i. V. des p. l. Herr Pfarrer Grüninger, den Nachruf für KGR und Kirchenchor sprach Herr Huber, wofür Vors. seinen Dank ausspricht. Vors. hat im Gemeindeblatt Nr. 11 d. J. anliegende Gedenkworte geschrieben. Requiescat in pacem. Am Zweiten Advent veranstaltete Friedrich Bauscherts zukünftige Schwiegertochter zusammen mit ihrer Schwester und dem Kirchenchor zum Gedächtnis des verstorbenen Organisten eine Abendmusik in der Eberhardskirche. 16 Friedrich Bauschert 207

208 Kirchenmusik In der Sitzung des Kirchengemeinderates am wurde in Gegenwart von Kirchenpfleger, Amtmann Schleeh, und KMD D. Walter Kiefner (Kantor an der Stiftskirche) über die Neubesetzung der Organistenstelle beraten. Der KGRat beschließt am Totensonntag, 25. November und am 1. Advent, 2. Dezember in allen Tübinger Kirchen verkündigen zu lassen: Die Organisten- und Chorleiterstelle an der Eberhardskirche ist auf 1. Januar 1952 neu zu besetzen. Bewerbungen wollen bis 8. Dezember 1951 beim Pfarramt der Eberhardskirche eingereicht werden 17. Als Vergütung wurde festgesetzt: für das Organistengehalt jährlich DM, für das Chorleitergehalt jährlich DM zuzüglich der jeweiligen Trauungsgebühren, z. Zt. 4.- DM. Es gingen vier Bewerbungen ein; drei Bewerberinnen wurden eingeladen zum Probedirigieren und Probespiel in Gegenwart von KMD Kiefner, Dekan Höltzel und des Kirchengemeinderates der Eberhardsgemeinde. Es ist erwünscht, wenn alle Beteiligten, besonders auch der Kirchenchor sich offen aussprechen, über die Stellenbesetzung entscheidet allein der KGR. 18. Vom Kirchengemeinderat wurde nach Anhörung der Sachverständigen und des Kirchenchores am 18. Dezember 1951 Fräulein Theodora Wittmann aus Tübingen gewählt 19. Sie wurde zunächst sechs Monate zur Probe angestellt, dann fest übernommen. Zur Einführung der neuen Chorleiterin hielt KMD Kiefner Mitte Januar 1952 eine Abendsingwoche (3x) mit dem Kirchenchor der Eberhardsgemeinde 20. Im Oktober 1953 bat Theodora Wittmann allerdings überraschend, zum 1. Februar 1954 aus dem Organistenund Chorleiterdienst entlassen zu werden. 21 Auf Hinweis von Herrn KMD D. Kiefner 22 wurde ab 1. Februar 1954 zunächst probeweise, ab 1. Juli dann fest Hans Kaßner als Organist und Chorleiter an der Eberhardskirche angestellt. 23 Er war im Besitz des Großen Anstellungszeugnis für Organisten und Chorleiter (A-Prüfung). 24 Gebürtig aus Laurahütte in Ober-Schlesien, kam er Ende des 2. Weltkriegs nach Berlin verließ er als Sowjetzonenflüchtling Ostberlin und ließ sich in Tübingen nieder, wo er aushilfsweise als Religionslehrer und als Fachlehrer für Musik und Englisch am Kepler-Gymnasium eine Anstellung fand. Kaßners Dienstzeit an der Eberhardskirche wurde durch eine Affäre überschattet, die mit dem Verlust der persönlichen Papiere durch die zweimalige Flucht zusammenhing: Wohl hervorgerufen durch nachbarliche Zwistigkeiten wurde gegen ihn Anzeige wegen unberechtigter Führung des Titels Studienrat erstattet, die in ein Strafverfahren mündete. 25 Seit 1959 bemühte sich Hans Kaßner um eine Anstellung an einer Schule außerhalb Tübingens, was schließlich 1962 zum Erfolg führte, sodass er den Organisten- und Chorleiterdienst an der Eberhardskirche zum 1. Mai 1962 aufgab. 26 Bis zur Wiederbesetzung der Stelle übernahm die Hilfsorganistin, Frau Spitzer, den Orgeldienst und die Chorleitung. 27 Hans Kaßner verabschiedete sich mit einem Gemeindeabend, bei dem der Kirchenchor und, als Instrumentalisten, Schüler des Kepler-Gymnasiums mitwirkten. 28 Da KMD D. Walter Kiefner in Tübingen einige Interessenten für die Stelle kannte, wurde auf eine öffentliche Ausschreibung in den Württembergischen Blättern für Kirchenmusik verzichtet und durch Verkündigung in allen vier Tübinger evangelischen Kirchen an zwei aufeinander folgenden Sonntagen um Bewerbungen gebeten 29. Einzige Bewerberin war Luise Scheel 30. Sie hatte in Greifswald Kirchenmusik studiert und war im Rahmen der Familienzusammenführung 1958 nach Tübingen gekommen 31. Sie arbeitete hier zunächst als Assistentin von KMD Walter Kiefner, der sie vor allem mit der Vertretung in den Proben der Kinder- und Jugendkantorei der Stiftskirche betraute. Ab 1959 war Luise Scheel am Ev. Pfarr- 208

209 Kirchenmusik amt der Marienkirche Reutlingen angestellt, hat am Brenz-Gemeinde-Haus als Organistin gearbeitet und dort einen Kirchenchor und einen Kinderchor aufgebaut. Außerdem gehörte zu ihrem Dienstauftrag die Arbeit als Katechetin in den Unterklassen einer Reutlinger Volksschule und die Leitung einiger Mädchenkreise. 32 Als die Neubesetzung der Organistenstelle an der Eberhardskirche anstand, drängte KMD Kiefner sie, sich zu bewerben. Im Protokoll des Kirchengemeindrates der Eberhardsgemeinde heißt es zur Entscheidung über die Stellenbesetzung: Frl. Luise Scheel, einzige Bewerberin um die Luise Scheel Zeitungsausschnitt 1962 (Chorchronik) Organisten- und Chorleiter-Stelle an der Eberhardskirche spielte am 14. d. Mts. vor dem KGRat auf der Orgel und hielt vor ihm eine Kirchenchorsingstunde. Anschließend wurde der Kirchenchor gebeten, sich zu äußern. Der Chor ist bereit, unter der Leitung von Frl. Scheel zu singen, wenn auch ein Sänger bedauerte, daß kein Chorleiter bestellt werden könne. Besonders wertvoll war die Frl. Scheel sehr befürwortende Äußerung unserer Hilfsorganistin Frau Hildegard Spitzer, die stellvertretend den Kirchenchor leitet. Da auch H. KMD D. Walter Kiefner sich in 2 Sitzungen (6.3. u ) sehr positiv über die Leistungen von Frl. Scheel geäußert hat, beschließt der KGRat 1stimmig, den Organisten- und Chorleiter-Dienst an unserer Eberhardskirche Frl. Luise Scheel zum frühestmöglichen Termin 1.10.d.Js. zu übertragen Luise Scheel wurde auf Beschluß des Verwaltungsausschusses mit 60% (später wurde die Stelle auf 80% hoch gestuft) von der Gruppe VI b BAT angestellt unter der Voraussetzung, dass sie bereit ist, neben dem Organisten- und Chordienst wöchentlich 5 8 Stunden weitere Arbeit als Jugendhelferin zu übernehmen. 34 Die Anstellung der Kirchenmusiker nach BAT wurde später auf Betreiben von KMD Kiefner eingeführt und ersetzte die bis dahin übliche nebenamtliche Anstellung gegen Aufwandsentschädigung. 31 In der Eberhardsgemeinde fand Luise Scheel einen kleinen, aber engagierten Kirchenchor vor. Auf Wunsch des Kirchengemeindrates begann sie sehr bald mit dem Aufbau eines Kinderchores. Nebenher leitete sie noch eine Jungschar in der Martins-Gemeinde und einen Jugendkreis in der Jakobus-Gemeinde. Der Kinderchor für Kinder ab dem Schulalter wuchs rasch trotz großer Fluktuation durch Zuund Wegzüge und hatte in den 1970er Jahren bis zu 66 Mitglieder, verteilt auf drei, zeitweise vier Gruppen. Zur Verbesserung der musikalischen Grundbildung bot Luise Scheel, gemeinsam mit einigen Helferinnen, 209

210 Kirchenmusik gegen geringes Entgelt für die Chor-Kinder Blockflötenunterricht an. Aus dieser Arbeit ging bald ein Blockflöten-Ensemble hervor, zunächst mit erwachsenen Freunden, später dann auch mit fortgeschrittenen Schülern. Dieses Ensemble besteht im Prinzip bis zum heutigen Tag. Zur Ergänzung wurden Orff-Instrumente angeschafft. Damit konnten auch die Kleineren, die noch kein Instrument spielten, ins gemeinsame Musizieren einbezogen werden. Improvisationen und freies Musizieren wirkten sich vor allem auch bei gehemmten Kindern positiv aus. Im Laufe der Jahre wurde die Kinderchor-Arbeit durch eine Singschar für ältere Kinder und Jugendliche (bis 15./16. Lebensjahr) ergänzt. Später konnten die älteren Jugendlichen auch im Kirchenchor mitsingen. Mit den Kinderchören hat Luise Scheel im Laufe ihrer Tätigkeit viele Singspiele erarbeitet, die meist zum Gemeindefest auf der Bühne des neuen Gemeindesaales aufgeführt wurden. Unterstützt wurde sie dabei von mehreren ehrenamtlichen Mitarbeitern und Müttern der Chorkinder. Besonders zu erwähnen ist die Zusammenarbeit mit Herrn Drephal, der häufig die Regie übernahm, sodass Scheel sich auf die musikalische Seite der Aufführungen konzentrieren konnte. Die Gewänder und Requisiten konnten oft aus dem List-Gymnasium in Reutlingen ausgeliehen werden oder wurden von den Chor-Müttern genäht und gebastelt. Von den aufgeführten Werken seien nur einige erwähnt: Bileam und sein Esel von G.-P. Münden und K.-P. Hertzsch Der Seekrebs von Mohrin von Günter Kretschmer Knasterbax und Siebenschütz von Heinz Lemmermann und Werner Schrader Till Eulenspiegel von Günter Kretschmer König Drosselbart von Gunther Martin Göttsche Der Kirchenchor wurde unter Scheels Leitung langsam wieder größer, nicht zuletzt auch durch die Beteiligung der Kinderchor-Eltern. Im Laufe der Jahre entstand auch ein kleines Streichorchester, das bei der Aufführung von Kantaten in Gottesdiensten und Abendmusiken mitwirken konnte. Mit Kirchenchor, Kinderchören und den Instrumentalisten gestaltete Luise Scheel nach Möglichkeit an jedem 2. Sonntag den Gottesdienst musikalisch. Der Kirchenchor hatte meist einmal im Monat und an den Feiertagen Dienst. Zwischendurch wurden immer wieder befreundete Instrumentalisten und Gesangssolisten zur Gestaltung der Gottesdienste herangezogen. Auf diese Bemühungen um eine regulierte Kirchenmusik (wie es bei J. S. Bach heißt) geht auch ein bis heute bestehender Brauch zurück: Im Foyer der Kirche wird in einem kleinen Rahmen die für den jeweiligen Gottesdienst vorgesehene Musik bekannt gegeben. Gelegentlich wurden mit den Kinderchören im Gottesdienst auch Lied-Spiele aufgeführt (z. B. mit den Chorälen Vom Himmel hoch da komm ich her oder Erstanden ist der heilig Christ ), bei denen die Kinder die im Choral geschilderte Handlung szenisch darstellten. Neben der regelmäßigen musikalischen Gestaltung der Gottesdienste wurden mehrmals im Jahr geistliche Abendmusiken veranstaltet, an denen Chöre, Instrumentalisten und ggf. auch Solisten beteiligt waren. Bei diesen Anlässen war dann auch Gelegenheit, Kantaten und andere größere kirchenmusikalische Werke aufzuführen. Zu diesen kirchenmusikalischen Veranstaltungen gehörte z. B. die auf Anregung von Pfarrer Hauger eingeführte Musik zur Todesstunde Jesu am Nachmittag des Karfreitag und der musikalisch ausgestaltete Gottesdienst am Nachmittag des 2. Weihnachtsfeiertages, der meist sehr gut besucht war. Zu erwähnen ist auch die Aufführung des Weihnachts- 210

211 Kirchenmusik oratoriums von Johann Sebastian Bach in den Weihnachtsgottesdiensten des Jahres Von Luise Scheel wurden auch die musikalischen Matineen ins Leben gerufen, die mehrmals im Jahr sonntags nach den Gottesdiensten stattfinden. Neben der musikalischen Arbeit war Scheel der menschliche Kontakt und Zusammenhalt der Mitglieder ihrer Chöre und Instrumental-Gruppen sehr wichtig. Dazu trugen immer wieder Ausflüge in die nähere oder weitere Umgebung bei, sowie Freizeiten Luise Scheel an ihrer Zimmerorgel,

212 Kirchenmusik und auch gemeinsame Urlaubsreisen. Bei diesen Gelegenheiten wurde natürlich immer sehr viel gesungen und musiziert. Oft wurden dann auch in auswärtigen Kirchen Gottesdienste mitgestaltet oder Geistliche Musiken veranstaltet. Regelrechte kleine Konzertreisen mit Chor und Instrumentalisten führten 1995 und 1997 nach Tschechien (Prag und Bystrice pod Hostynem), wo an mehreren Orten Abendmusiken und Gottesdienste gestaltet wurden. Dabei kam es immer wieder zu sehr eindrucksvollen Begegnungen und Kontakten mit Mitgliedern der lokalen Brüder-Gemeinden. Leider machten sich im Laufe der Jahre die zunehmenden schulischen Verpflichtungen der Kinder und das veränderte Freizeitverhalten der Familien bemerkbar. Dies führte dazu, dass die Zahl der Kinder in den Kinderchören abnahm und gemeinsamen Aktivitäten des Kirchenchores weniger wurden. Am 5. Mai 1996, kurz vor ihrem 60. Geburtstag, wurde Luise Scheel von Landesbischof Eberhardt Renz zur Kirchenmusikdirektorin ernannt 35. Mit diesem Titel wurde das herausragende musikpädagogische Wirken, besonders mit mehreren Kinderchören und Instrumentalgruppen, gewürdigt. Leider sind die beiden letzten Jahre von Scheels Dienstzeit an der Eberhardskirche durch schwerwiegende Folgen eines an sich kleinen Unfalls im Frühjahr 1998 überschattet, die sie längere Zeit arbeitsunfähig sein ließen und sie auch, nachdem sie im Herbst des Jahres ihren Dienst teilweise wieder aufgenommen hatte, weiterhin erheblich behinderten. In der Folge schied Luise Scheel im Juli 1999 nach 37 Jahren aus dem Amt der Kantorin und Organistin aus Jahre, in denen sie nicht nur das kirchenmusikalische Leben in der Eberhardsgemeinde zu einer Blüte geführt hat, sondern auch an anderen Stellen im Dienst an der Gemeinde vielfältig mitgewirkt hat. Nachdem das Ausscheiden von Luise Scheel feststand, wurde die nun auf 50% reduzierte Kantorenstelle neu ausgeschrieben. Am 28. Juni 1999 waren drei BewerberInnen zum Probespiel und Probedirigieren des Kinderchores, des Kirchenchores und des Orchesters eingeladen. Chor und Orchester sprachen sich mit großer Mehrheit für Juliane Mechler aus, die dann auch in der anschließenden Sitzung des Kirchengemeinderates gewählt wurde. Das Deputat der Stelle wurde aus Mitteln der Gemeinde auf 65% erhöht mit der Maßgabe, dass die dafür notwendigen Finanzmittel nach Möglichkeit aus Spenden aufgebracht werden Luise Scheel mit dem Chor unterwegs,

213 Kirchenmusik sollen. Der Förderkreis Kirchenmusik in der Eberhardskirche ist bemüht, dieses Ziel zu erreichen. Juliane Mechler trat ihren Dienst Anfang September an und wurde am 19. September 1999 offiziell in ihr Amt eingeführt. Juliane Mechler hat am Kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg Kirchenmusik studiert und ihr Studium mit dem B-Examen abgeschlossen bis 1993 war sie Kantorin und Organistin in der Evangelischen Kirchengemeinde in Hockenheim. Danach gründete sie eine kleine private Musikschule und einen kleinen weltlichen Chor, den sie bis 1998 leitete. Seit 1997 war sie Assistentin bei KMD Gerhard Steiff und bildete sich bei ihm in Chor- und Orchesterleitung fort. Mit dem Wechsel der Chorleiterin gab es zunächst bei den Kinderchören und dem Kirchenchor einen Rückgang der Mitgliederzahlen. Juliane Mechler baute die Kinderchöre wieder auf und gestaltet immer wieder Gottesdienste mit ihnen. Auch größere Singspiele (z. B. Brundibár von Hans Krása und König Drosselbart von G.M. Göttsche) wurden erarbeitet und mit großem Erfolg aufgeführt. Der Kirchenchor, der jetzt Eberhardskantorei heißt, hat sich unter ihrer Leitung verjüngt und vergrößert und durch intensive Stimmbildung und effektive Probenarbeit an Klangvolumen, Ausdrucksfähigkeit und Präzision erheblich dazugewonnen. Seither fanden eine ganze Anzahl größerer und kleinerer Aufführungen in Tübingen und an anderen Orten statt, die ein sehr erfreuliches Echo gefunden haben. Nur einige sollen erwähnt werden: Musik zum Holocaust-Gedenktag am 27. und 28. Januar 2001 in der Synagoge in Hechingen und in der Eberhardskirche (mit Uraufführung einer Komposition von Juliane Mechler), das Requiem von W. A. Mozart (in der Fassung von Richard Maunder) am 17. November 2002 in der Stiftskirche, die Missa Dei Filii von Jan Dismas Zelenka am 30. Januar 2005 in der Stiftskirche und das Oratorium Paulus von Felix Mendelssohn-Bartholdy am 21. Oktober 2007 in der Stiftskirche in Tübingen. Kantorin Juliane Mechler beim Gemeindefest

214 Kirchenmusik Anmerkungen: 1 KGRprot. v , 3 2 KGRprot. v , KGRprot. v , 2 4 KGRprot. v KGRprot. v KGRprot. v KGRprot. v , 2 8 KGRprot. v , 1 9 Fritz Bauschert ein schwäbischer Lehrer und Maler, Hrsg. Marianne Bauschert-Engel, Tübingen-Kilchberg, 1990, Eigenverlag. Wir danken Frau Bauschert-Engel für die freundliche Überlassung von zwei Exemplaren dieses Buches und für die Gesprächsbereitschaft zur Person von Fritz Bauschert. 10 a.a.o., p a.a.o., p a.a.o., p a.a.o., p KGRprot. v , KGRprot. v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , 83, v , 84, v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , 137, KGRprot. v , 8 24 LKA, Mappe 1285, Brief von H. Kaßner an Landesbischof D. Haug v KGRprot. EbK v , 415, v , KGRprot. Ebk v KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , KGRprot. EbK v , 592, Wir danken Frau Scheel dafür, dass sie dem Arbeitskreis Kirchenjubiläum während eines abendlichen Gespräches bereitwillig Fragen zu ihrer Dienstzeit beantwortet hat. 32 KGRprot. EbK v , Brief vom IV. Pfarramt der Marienkirche Reutlingen an Pfarrer Knödler v KGRprot. EbK v , KGRprot. v , 8 35 ST v ST v Singspiel

215 Kirchenmusik 100 Jahre Chorgesang Quellen zur Geschichte Mit der Eberhardskirche kann auch die Eberhardskantorei wie der Chor sich heute nennt ihr 100jähriges Bestehen feiern. Aus den Anfängen haben sich keine schriftlichen Dokumente erhalten, die über die Chorarbeit Auskunft geben könnten. Allein aus den Protokollen des Kirchengemeinderates und aus einigen kurzen Artikeln in Ev. Gemeindeblatt Tübingen lässt sich erschließen, dass spätestens seit 1911 ein Kirchenchor existierte. Aus dem Ev. Gemeindeblatt 10 (1924), S. 2: Unser verdienstvoller, treuer Organist der Eberhardskirche, Herr Oberlehrer Kübler, schreibt uns: Es ist immer schön, wenn an festtäglichen Hauptgottesdiensten ein Kirchenchor mit seinen Weisen die Herzen der Gemeinde zur Andacht stimmt. Auch unser Eberhardskirchenchor hat sich diese Aufgabe zum Ziel gesetzt. Und daß er sich manchen Gemeindegenossen schon gleichsam ins Herz gesungen hat, durfte er zu seiner großen Freude in der Weihnachtszeit erfahren. Um der Kirchenpflege die Ausgaben für ein Ausweichlokal zu ersparen, will der Chor diesen Winter seine Proben im Konfirmandensaal der Eberhardskirche abhalten, und damit er dies ausführen kann, sind ihm in entgegenkommendster Weise von mehreren Seiten Koks und Briketts zur Heizung des kalten Raumes teils schon zugewiesen, teils in gewisse Aussicht gestellt worden. Wir möchten nicht versäumen, den freundlichen Spendern auch an dieser Stelle herzlichen Dank zu sagen; ihre Gabe soll uns ein Ansporn sein zu neuem Eifer. Aber vielleicht darf... erwähnt werden, daß unser Chor dringend noch einer anderen Unterstützung bedarf. Trotz des Vorhandenseins eines treuen und zuverlässigen Stammes von Sängerinnen und Sängern fehlt es dem Chor bedenklich an Stimmen, besonders an Männerstimmen, so daß das Verhältnis der vier Chorstimmen untereinander ein recht ungünstiges und die Fortsetzung des vierstimmigen Gesanges fast in Frage gestellt ist.... Aus dem Ev. Gemeindeblatt 12 (1926), S. 3: Mit dem 1. Oktober hat Herr Oberlehrer Kübler seinen Organistendienst in der Eberhardskirche niedergelegt.... Er hatte allezeit mit hervorragender sachlicher Tüchtigkeit und mit geradezu vorbildlicher persönlicher Treue seines Amtes gewaltet nichts war ihm zu schwer und nichts zu viel, an der Gemeinde mit Spiel und Chorgesang zu dienen. Auch in den Nebengottesdiensten war er immer auf seinem Posten mit seinem Können und seiner Treue; die Höhepunkte seines Wirkens aber waren die Festtage, an denen er uns immer wieder neue erhebende Gesänge des Kirchenchors vermittelte, und besonders die Feiern wie die jährlichen Lutherfeier, seit sie in der Eberhardskirche veranstaltet wird... Aus dem Ev. Gemeindeblatt 25 (1937), S. 1: Am 6. Dezember hat der Eberhardskirchenchor in aller Stille und im Kreise der eigenen Mitglieder und einiger Gäste, auch aus den früheren Mitgliedern, sein 25jähriges Jubiläum gefeiert. Er ist mit der Entstehung des Eberhardskirchenbezirks und der Eberhardskirche selber entstanden, im Jahre 1911, und hat nun 25 Jahre sein Leben entfaltet und seinen Dienst getan, sich selber zur Freude, der Gemeinde zum Dienst und Gott zur Ehre. Auch durch die Kriegszeit, mit dem Fehlen der männlichen Jugend und der Männerstimmen überhaupt, ist das noch zarte Gebilde hindurchgekommen, wie es überhaupt aus manchen Erschütterungen heil oder neu gekräftigt hervorging.... Drei Mitglieder sind von Anfang an bis heute dabei und wurden besonders geehrt; sie verkörpern ebenso wie frühere Mitglieder, die im Dienst ergraut sind, die Treue, die auch von seiten der Mitglieder für das Gedeihen eines Kirchenchores nötig ist.... Eine ausführliche Chorchronik wurde seit 1962 von Hans-Ulrich Dapp geführt und gibt Auskunft über die Aktivitäten. Für die Zeit ab 1951 hat sich ein Kas- 215

216 Kirchenmusik senbüchlein erhalten, aus dem sich die Zahl der Chormitglieder erschließen lässt. Hans-Ulrich Dapp schreibt in der Chorchronik:... Ein seltsamer Brauch lässt sich aus dieser Chorkasse ablesen. Jede Ostern wurden offenbar Eier für alle Chormitglieder gekauft, und aus der Eierrechnung ergeben sich Rückschlüsse auf die Zahl der Sängerinnen und Sänger betrug die Rechnung 6 DM, was für Eier reichte, im Jahr darauf jedoch genau das Doppelte! Hatte sich die Mitgliederzahl verdoppelt, oder bekam einfach jedes 2 Eier, so muß man sich fragen. Jedenfalls gibt es noch in der Folge interessante Schwankungen: Eier, Eier, 1956 nur 30 Eier (dafür von der teuren Sorte zu 23 Pfennig!), 1957 wieder 66 Eier (jetzt nur 18 Pfennig das Stück!), 1958: 50, 1959: 54, 1960 der Rekord mit 70 Eiern zu nur noch 15 Pfennigen! Dann ging s wieder über 50 auf 30 zurück, und damit übernahm Luise Scheel die Chorleitung 1962 von Herrn Kaßner. In ihren ersten Jahren verdoppelte sie wieder beinahe den Eierumsatz, bis der Brauch dann wohl in Vergessenheit geriet. Die Kantorei

217 Kirchenmusik Die Orgeln in der Eberhardskirche Einige der mehr als 1700 Orgelpfeiffen Ursprünglich war für den Betsaal nur ein Harmonium vorgesehen. Nachdem im Fortschreiten der Planung der Raum verlängert worden war, hielt es Martin Elsässer für notwendig, eine Orgel einzubauen, da ein Harmonium bei der Größe des Raumes nicht mehr durchdringen würde. 1 Für eine Orgel mit zehn Registern samt Prospekt und Aufstellung wurden Mark veranschlagt. Gerade für die Eberhardskirche, welche abgesehen von Gottesdiensten, keinen besonderen musikalischen Aufführungen zu dienen haben wird, sollte eine Orgel mit Mark vollständig genügen 2. Die Disposition des Instrumentes sollte der zuständige Orgelrevident, Prof. Hegele (Nürtingen) erstellen. Für den Orgelbau gingen Offerten ein von den Firmen Schäfer (Kirchheim), Link (Giengen/Br.), Walcker (Ludwigsburg) und Weigle (Echterdingen). Der Kirchengemeinderat beschloss, der Firma Schäfer den Auftrag zu erteilen, weil diese Firma noch die Orgeln in den beiden anderen Kirchen schon in Betreuung hat. 3,4 Nach Besichtigung des Raumes erklärte Orgelbaumeister Schäfer dem Architekten Elsässer, dass die Orgeldisposition für den Raum bei weitem zu schwach erscheint und dass er es für seine Pflicht halte, uns jetzt darauf aufmerksam zu machen, da die bisherige Orgeldisposition die Kirche nicht füllen wird. Er hält eine Verstärkung der Orgel um 3 Register für notwendig und erbietet sich mit einem Mehraufwand von Mark die Sache zu machen 5. Auch der um seinen Rat gebetene Orgelrevident Hegele Nürtingen hat dies nach einem Augenschein bestätigt und deshalb eine erweiterte Disposition aufgestellt, deren Preis den bisherigen Anschlag um 1000 Mark übersteigt. Die Baukommission beschließt, dass die erweiterte Orgel samt Schwellkasten nach dem Voranschlag von 6200 Mark erstellt wird. 6 Leider sind die Angebote nicht mehr auffindbar, sodass weder die Disposition noch technische Einzelhei- 217

218 Kirchenmusik ten erhalten sind. Aus dem Schriftwechsel zwischen dem Architekten Elsässer und dem Dekan und aus einem Abnahmeprotokoll nach einer größeren Reparatur und Erneuerung kann man allerdings erschließen, dass es sich um ein zweimanualiges Werk mit pneumatischer Traktur (sog. Röhrenpneumatik mit Bälgchenlade) handelte, wobei die Register eines Manuals in einem Schwellkasten standen. Der Registerbestand war offenbar zeittypisch mit zahlreichen grundtönigen Stimmen 7. Die Orgel war in der Mitte der Empore aufgestellt und nahm ziemlich viel Platz ein, sodass zwischen dem Spieltisch und der Empo- 218

219 Kirchenmusik renbrüstung nur noch ein schmaler Durchgang blieb. Ein Chor konnte sich nur neben der Orgel aufstellen, der Platz dafür war sehr beengt. Ein Musizieren gemeinsam mit einem Orchester war kaum möglich. 8 Wohl schon seit der Inbetriebnahme der neuen Orgel gab es Probleme mit dem elektrischen Orgelgebläse. In der Sitzung des Kirchengemeinderat am 15. Juni 1911 bringt der Organist Kübler zur Anzeige, dass der Gebläsemotor wegen zu geringer Leistungsfähigkeit schon im April an die Fabrik zurückgegeben wurde. Seither musste das Gebläse durch einen Orgeltreter bedient werden. 9 Die Orgel der Eberhardskirche wurde, wie die Orgeln der beiden anderen Tübinger Kirchen, auch von Orgelschülern zum Üben benutzt. In seiner Sitzung am 1. April 1912 stellt der KGR unter 4 dazu fest, dass als Übungsorgel für Studenten die Orgel der Schlosskirche zur Verfügung steht, für Angehörige des Stiftes, die dortige Orgel. Für die Benutzung der drei Kirchenorgeln wurde eine Benutzungsordnung (s. Kasten) beschlossen. 10 Die Benutzungsordnung wurde 1920 überarbeitet und verschärft (Einschränkung der Übungszeiten, Einführung einer Abgabe nicht nur für den Stromverbrauch, sondern auch für Abnutzung der Instrumente). Insbesondere wurde festgelegt, dass die Benutzung fünf Stunden täglich nicht überschreiten sollte und der Motor nach je zwei Stunden eine Stunde ruhen sollte. Hintergrund dafür waren wiederholte Probleme mit den Gebläsemotoren an allen drei Tübinger Kirchenorgeln. In den Sitzungen am 1. April und am 25. Juli 1912 wurde beschlossen, für den Saal der Eberhardskirche für 400 Mark ein Harmonium der Fa. Keim (Kirchheim) anzuschaffen, da das bis dahin von der Sonntagschule ausgeliehene Instrument zurückgegeben werden musste 11. Mitte der dreißiger Jahre nahmen offenbar die technischen Störungen der Orgel in der Eberhardskirche so stark zu, dass 1936 eine dringende Instandsetzung für das Rechnungsjahr 1937/38 beschlossen wurde. 12 In einem Schreiben teilte die Fa. E. F. Walcker & Cie mit, dass der Spieltisch im Werk grundlegend erneuert werden musste. 13 Aus dem Abnahmegutachten 7 geht hervor, dass bei dieser Instandsetzung auch mehrere Register ausgetauscht wurden und dadurch der Klang des gesamten Werkes aufgehellt (und an den veränderten Zeitgeschmack angepasst) wurde. Die Kosten für diesen Umbau beliefen sich auf 1877 Mark. 14 Bei diesem Umbau wurde auch das Register Violonbass 16 im Pedal entfernt. Eine Pfeife dieses Registers hat sich erhalten und ist heute im Foyer der Kirche aufgestellt. Im Verlauf der fünfziger Jahre wurde die Orgel wiederum zunehmend unzuverlässig und renovierungsbedürftig. Organist Hans Kaßner stellte, noch vor seiner Bestellung als Organist und Chorleiter, in einem Brief an Pfarrer Knödler die Mängel dar und bat dringend um Beseitigung. Zugleich machte er Vorschläge für eine völlige technische und klangliche Umgestaltung und Modernisierung des Instrumentes. 15 Der Orgelpfleger der Landeskirche Dr. Walter Supper wurde als Sachverständiger hinzugezogen. In einem Gutachten schlug er vor, die Orgel an die Nordwand des Gebäudes zu versetzen und bis an die Emporenbrüstung vorzuziehen. Dadurch könnten die für die Aufstellung des Chores ungünstigen Platzverhältnisse auf der Empore verbessert werden. Zur Verbesserung des Klanges schlug er neben dem Austausch einiger Register vor, das Gehäuse so zu ändern, dass der Schallaustritt verbessert wird. 16 Die Orgelbauanstalt Friedrich Weigle (Echterdingen), die um die Abgabe eines Angebotes gebeten wurde, bezifferte die Kosten für diese Arbeiten auf ca DM, riet aber von der Ausfüh- 219

220 Kirchenmusik rung ab. Bei der Umsetzung des Spieltisches müssten die Rohrleitungen der pneumatischen Traktur verlängert werden, was zu einer noch stärkeren Verzögerung der Ansprache der Pfeifen führen würde. Außerdem wäre die Investition einer so hohen Summe in ein Instrument mit einem völlig veralteten Traktursystem kaum zu verantworten. Eine völlig neue Orgel gleicher Größe mit Schleifladen und mechanischer Traktur könnte um einen nur ein Drittel höheren Preis erstellt werden schlug Kaßner dem KGR der Eberhardskirche vor, im Zusammenhang mit der geplanten Kirchenerneuerung eine neue Orgel anzuschaffen. 18 Vermutlich bedingt durch das Ausscheiden von Hans Kaßner und die Neueinstellung von Luise Scheel als Organistin, ruhten die Pläne für einen Orgelneubau einige Zeit, während derer das Instrument zunehmend unzuverlässig wurde. Im November 1964 lagen Angebote der Fa. Weigle (Echterdingen), Fa. Link (Giengen/Br.) und Rensch (Lauffen/N.) vor. Vorbehaltlich der Zustimmung des Oberkirchenrates wurde der Fa. Weigle der Auftrag für die neue Orgel erteilt. 19 Die zunächst von Dr. Supper vorgeschlagene Disposition wurde als ungeeignet für die Erfordernisse des gottesdienstlichen Gebrauches abgelehnt, insbesondere auch bei Benutzung durch nebenamtliche Organisten. In langwierigen Diskussionen erarbeiteten Kantorin Luise Scheel, KMD D. W. Kiefner (Kantor an der Stiftskirche) und KMD Rößler (Musikdirektor am Ev. Stift) eine geeignetere und etwas erweiterte Disposition, die dann auch ausgeführt wurde. Die neue Orgel war zur Einweihung der umgebauten Eberhardskirche 1968 fertiggestellt. Seither wurden einige kleinere Veränderungen und Ergänzungen der Disposition vorgenommen. Die heutige Disposition ist im Kasten wiedergegeben. 220

221 Kirchenmusik Anmerkungen: 1 Briefe M. Elsässer an Dekan Römer, und , LKA, Mappe Brief M. Elsässer an das kgl. Evangelische Dekanatsamt, , LKA, Mappe KGRprot. v , 1 4 Orgelbaumeister Friedrich Schäfer aus Göppingen übernahm die Fa. Goll u. Sohn in Kirchheim u. T. (persönliche Mitteilung von Andreas Ostheimer, Tübingen) 5 Brief M. Elsässer an Dekan Römer, , LKA, Mappe Protokoll der Sitzung der Baukommission vom , KGRprot. S KMD Kunz, Prüfungsergebnis bei der Eberhardskirche zu Tübingen, , Abschrift, Pfarrreg. EbK, Mappe 16 8 pers. Mitteilung von Luise Scheel Beschluss des KGR am 1. April Die Benützung der Orgel in einer der hiesigen drei Gemeindekirchen (Stifts-, Spitals-, Eberhardskirche) wird nur solchen Studierenden, welche beim Univers. Musikdirektor oder bei einem der Organisten Unterricht im Orgelspiel nehmen, eingeräumt, u. zwar je für die Orgel des betr. Organisten, ferner nur auf schriftliches Ansuchen ihres Lehrers beim Dekan u. nur, solange dieser Unterricht dauert. 2. Ebenso werden diese Orgeln zu Übungszwecken eingeräumt für die Vertreter des betr. Organisten und unter dessen persönlicher Verantwortung, ausserdem auf schriftliches Ersuchen beim Dekan für hiesige jüngere Lehrer, besonders solche, die sich auf das II. Examen vorbereiten, unter Zustimmung und Verantwortung des betr. Organisten. 3. Die Stiftskirchenorgel darf Anfängern unter keinen Umständen zur Verfügung gestellt werden. 4. Sämtliche unter Ziff. 1) und 2) aufgeführten Übenden haben der Kirchenpflege Ersatz für die zum Orgelantrieb benötigte elektrische Kraft zu leisten. 5. Dieselben haben den Schlüssel zur Kirche und zur Orgel beim betreffenden Mesner abzuholen u. denselben auch wieder persönlich abzugeben, welcher hiernach für die Berechnung des elektrischen Kraftverbrauchs (Ziff. 4) die tatsächliche Übungszeit feststellen wird. 9 KGRprot. v , 2 10 KGRprot. v , 4 11 KGRprot. v , 8, KGRprot. v , 8 12 KGRprot. v , Dekanatsarchiv Nr KGRprot. v , Brief Hans Kaßner an Pfarrer Knödler v , Pfarrreg. EbK, Mappe Brief Dr. W. Supper an evgl. Kirchenverwaltung Tübimngen v , Dekanatsarchiv Nr Brief Fa. Friedrich Weigle an die Ev. Kirchenpflege Tübingen v , Dekanatsarchiv Nr KGRprot. EbK. v , KGRprot. EbK. v Brief Fa. Friedrich Weigle an das 1. Pfarramt der Eberhardskirche v , Pfarrreg. EbK, Mappe 16 Disposition der Orgel der Eberhardskirche (Stand 2010) Erbaut von Friedrich Weigle (Echterdingen), op (1968), Disposition: Dr. Walter Supper u.a.) Hauptwerk Schwellwerk Quintadena 16 Salizional 8 Prinzipal 8 Gedackt 8 Gemshorn 8 Schwell-Prinzipal 4 Oktave 4 Rohrflöte 4 Blockflöte 4 Kleinoktave 2 Quinte 2 2/3 Sifflötenquint 1 1/3 Terz 1 3/5 Flautino 1 Waldflöte 2 Klingend Zimbel 3-4 f.1/2 Oktave 2 Dulzian-Schalmey 8 Mixtur 4-5 f. 2 Trompete 8 Tremulant SW Tremulant HW Pedal Untersatz 16 Gedacktbaß 16 Singend Oktavbaß 8 Harfpfeife 8 Dolkan 4 Nachthorn 2 Zink 4 f. 3 1/5 Fagott 16 2 Freie Kombinationen 1 Freie Pedalkombination Organo Pleno Tutti Zungen-Absteller Koppel II/I Koppel I/P Koppel II/P Schleifladen, mechanische Spieltraktur, elektromechanische Registertraktur 221

222 Mesnerdienste Johanna Petersmann Der Dienst des Mesners ist für die Gemeinde von unschätzbarer Bedeutung. Als Haushüter der Kirche (lateinisch: mansionarius ) sind die Pfarrer, die Kirchenmusiker, die Diakone und weiter der Kirchengemeinderat und alle ehrenamtlich engagierten Gemeindeglieder auf dessen bereitwillige Hilfe und Unterstützung angewiesen: Neben dem Gottesdienstgeschehen mit Glockenläuten, Liederaufstecken, Abendmahlsdiensten oder Blumen-, Erntedank- und Christbaumschmuck sind die vielen anderen Termine für gemeindliche und darüber hinausgehende Veranstaltungen, Feste, Chorund Theateraufführungen abzusprechen und erfordern zuverlässigen und oft ganz besonderen Einsatz. Dazu wird erwartet, dass der Mesner für die Reinhaltung der Gebäude sorgt und den Zugang im Umfeld auch bei Schnee oder im laubreichen Herbst sauber zu halten versteht. Kleinere reparable Schäden sollte er, wenn irgend möglich, sofort beheben oder handwerkliche Hilfe in Absprache mit dem Pfarramt bzw. der Kirchenpflege einfordern. 1 Es konnte in Notzeiten und bei Sonderfällen gelegentlich sogar dazu kommen, dass selbstbewusste Mesner auch bei Gemeindehilfsdiensten oder als Pfarramtsvertreter einsprangen wie z.b. Helmut Weber in der Stiftskirchengemeinde. Die Mesner waren bei häufigem Pfarrverweserwechsel wie z.b. im Anfangsjahrzehnt der Eberhardsgemeinde ein nicht zu unterschätzendes Element der gemeindlichen Kontinuität. Damals waren außerdem die vier Öfen termingerecht zu beheizen und das nötige Brennholz und die Kohlen zu beschaffen, soweit es die damaligen Notzeiten überhaupt zuließen. Im Februar 1911 wurde der Packer Wilhelm Rösch aus der nahen Paulinenstraße als Mesner eingestellt. Sein Entgelt betrug 525 Reichsmark jährlich. Seine Frau Maria stand ihm von Anfang an zur Seite und seine Pflegetochter Thekla Böttle half seit 1915 eine Zeitlang beim Austragen des Gemeindeblatts südlich des Neckars mit. Stadtpfarrverweser Hermann Streitberger charakterisierte ihn sieben Jahre später 2 als eigentlich gutmütigen Biedermann, entgegenkommend und freundlich, der aber, wenn er sich dem Trunk ergibt, daheim zum Haustyrannen und nach außen verstockt und mürrisch wird. Unter diesen Umständen hatte auch seine Frau zu leiden und konnte, wenn ein äußerer Anlaß es gibt, recht giftig werden und hat dann mit ihrer bösen Zunge...sich bei manchen Leuten in der Gemeinde mißliebig gemacht. Auch bei Dekan Faber und dem Stiftungspfleger Griesshaber waren die Mesnersleute nicht gut angeschrieben. Beide hatten aber offenbar in den vergangenen Jahren immer wieder ihren sozialen Fürsprecher in Stadtpfarrer Meyer, der sie durch die Anstellung aus ihrer Not herausbringen wollte. Auch Stadtpfarrverweser Prof. Scheel hatte das Mesnerehepaar in Schutz genommen. Streitberger schloss sich dem an, hielt die Eheleute für nicht so schlimm wie deren Ruf und unterstützte ihr Weiterwirken vor allem im Andenken an den verstorbenen Stadtpfarrer Meyer, der dem Mesner Rösch mit seinem Vertrauen auf bessere Bahnen geholfen hat. So verblieb Rösch kontinuierlich im Amt, bis er im Dezember 1921 ernsthaft durch Stadtpfarrer Schneider verwarnt werden musste und seine Frau Maria Rösch mehr und mehr für ihn einzuspringen hatte. Im Februar 1923 berichtete Schneider erneut über den Mesner: Rösch sei stärker als je dem Trunk ergeben; außerdem wurde ihm unsittlicher Verkehr mit einer Nichte nachgesagt. Er habe das seiner Frau gegenüber einräumen müssen und lebe mit ihr nun in bitterem Streit. Seinen Dienst habe er zuletzt gänzlich vernach- 222

223 Mesnerdienste lässigt. Daraufhin wurde er auf Juli 1923 gekündigt, nicht ohne im Falle einer gründlichen Besserung im Verhalten in dieser Frist und mit Rücksicht auf das öffentliche Ärgernis eine Rücknahme der Kündigung in Aussicht gestellt zu bekommen. 3 Alle Langmut der Pfarrer war aber schließlich vergebens. Maria Rösch versah nun voll verantwortlich die Stelle als Mesnerin und dies offensichtlich zur allseitigen Luise Lampeitl Zufriedenheit der Gemeinde. Bei den innerkirchlichen Auseinandersetzungen 1934 überließ der Tübinger Kirchengemeinderat z.b. ihr die Verantwortung für die Öffnung der Kirche anlässlich eines Vortrags des Berliner Reichsvikars in der Eberhardskirche. 4 Bis zu ihrem Tod am 6. Mai 1936 ist jedenfalls nichts Gegenteiliges aktenkundig geworden. Das Verhältnis zu ihrem langjährigen Vorgesetzten Pfarrer Schneider muss sehr gut gewesen sein. Zwei Monate zuvor ehrte sie Schneider zu ihrem 25jährigen Dienstjubiläum mit einer Ehrengabe von 25 RM und dankte ihr im Gemeindeblatt mit warmen Worten für ihre unterstützende Hilfe. 5 Er wünschte ihr gute Genesung von ihrer Erkrankung und würdigte ihren Dienst als wichtiges Glied im Organismus der Gemeinde und des gottesdienstlichen Lebens und ist es um so mehr, je freundlicher und treuer er besorgt wird. Diese anerkennenden Worte mögen der leidgeprüften und erkrankten Mesnerin auf ihrem Sterbebett wohlgetan haben. Der Mesnersdienst blieb weiter in der Familie: Ihr Schwiegersohn Ludwig Schick hatte sich schon während ihrer Krankheitszeit bewährt, die Mesnergeschäfte kommissarisch besorgt und die nicht ganz einfache technische Bedienung der neuen elektrischen Heizung übernommen. Im Jahr 1941 ging allerdings die nunmehr 30 Jahre andauernde Mesnerära Rösch zu Ende, da Herr Schick kündigte. Stadtpfarrer Geißer gewann als Nachfolgerin Luise Lampeitl geb. Schmid, eine kirchliche Frau, die von allen, die sie kennen, als tüchtig, fleißig und zuverlässig gerühmt wird. Geißer begrüßte es, dass sie in der Nähe wohnt und dass sie Kinder hat, die ihr manche Besorgung abnehmen können. Die Mesnersfamilie wurde damals selbstverständlich in den Dienst mit eingeplant. Im Gemeindeblatt begrüßte Pfarrer Geißer seine zukünftige Stütze folgendermaßen: Möge die neue Mesnerin ihr Amt liebgewinnen; es ist ein Amt, das seine Würde 223

224 Mesnerdienste hat! Und möge es ihr gelingen, es auch zur Zufriedenheit der Gemeinde auszurichten! 6 Frau Lampeitl wohnte mit den Kindern und ihrem Mann, der als Schreinermeister tätig war, in der nahen Hechingerstraße 21. Sie zog zwar nach sechs Jahren 1947 mit ihrem Mann an seine neue Arbeitsstelle nach Mariaberg weiter, kehrte aber im September 1956 nochmals ins Mesneramt nach Tübingen zurück und wurde mit offenen Armen in der Gemeinde wieder aufgenommen. Ehepaar Huber, 1965 In den neun Mariaberger Zwischenjahren trat Babette Denneler in ihre Fußstapfen. Ihr Mann war aus der Gefangenschaft zurückgekommen, arbeitete werktags als städtischer Straßenwart beim Städtischen Tiefbauamt und pflegte sich gelegentlich, da Pferde in dieser Zeit noch viel auf den Straßen unterwegs waren, humorig als Professor der Rossbollogie zu bezeichnen. Er und die erwachsenen Söhne halfen mit, besonders wenn es Frau Dennelers Asthmaerkrankung erforderte. 7 Sie erhielt damals für ihren Dienst jährlich 390 Mark. Als sie am starb, hielt Wilhelm Denneler noch über zwei Jahre lang die Stellung seiner Frau bis zur Rückkehr von Luise Lampeitl. Deren Schwiegersohn sprang seit 1962 bei der Bedienung von Uhr und Glockengeläut im neuen Turm ein. Im September1964 musste sie ihren Dienst aus gesundheitlichen Gründen endgültig quittieren. Im Februar 1965 ging die Schlüsselgewalt auf Mesnerin Walburga Huber über. 8 Auch ihr Mann Hermann Huber war als Bauschlosser nicht nur im Hintergrund mit tätig und als Frau Huber im Mai 1978 aus gesundheitlichen Gründen in Rente ging, bewarb sich Hermann Huber und blieb bis Ende August 1990 der offizielle Ansprechpartner für alle Mesnerdienste. Pauline Schall übernahm seine Vertretung, engagierte sich im Bastelkreis und unterstützte Martin Lohss bei seiner engagierten Altenarbeit im wöchentlichen Club Süd. Frau Huber half freilich weiter nach ihren Kräften mit. Rund acht Jahrzehnte lang waren bis hierher nur vier Mesnerdynastien am Dienst in der Eberhardsgemeinde beteiligt. Dass sie trotz ihrer niedrigen Bezahlung (inzwischen bei BAT IX-VII) über so lange Zeit treu geblieben sind, spricht für sie selbst, für ihre Aufgaben, für die Gemeinde und ihre pastoralen Vorgesetzten. 224

225 Mesnerdienste Erst anfangs der Neunzigerjahre, als sich nach der Wende die osteuropäischen Aussiedler als bewährte Hand- und Heimwerker um Hausmeister- und Mesnerstellen bewarben, wechselten ihre Namen schneller: Elisabeth Potsch (bis ) und Heinrich Bartuli (bis 1998). Alexander Schumacher versieht nun wiederum schon über zehn Jahre seinen Dienst. Im Hintergrund wirken freilich immer wieder helfende Hände mit. Augenfällig etwa die Anlage und stete Pflege des Bibelgartens rund ums Gemeindehaus oder der abwechslungsreiche Blumenschmuck im Altarbereich, die wir unserer langjährigen Kantorin KMD Luise Scheel zu verdanken haben - um nur ein Beispiel zu nennen. Alexander Schumacher renoviert Foyer Gemeindehaus, 2006 Suse Vlahopoulos läutet zum Gottesdienst an der Kirch am Eck

226 Mesnerdienste Im Wennfelder Gartenhaus hatten zunächst die Erzieher und Betreuer des dortigen Schülerhorts für Sauberhaltung und Schlüsseldienst selbst zu sorgen. Erst als in den späten Sechzigerjahren auch ein Altenkreis und regelmäßige Kinder- und Erwachsenengottesdienste dort stattfanden, wurde als Mesnerin Ruth Subke eingestellt, die seit 1983 im Reinigungsdienst von Suse Vlahopoulos unterstützt wurde und den Stab an Martha Pallesche weitergab. Suse Vlahopoulos ist nun seit 1999 verlässliche Ansprechpartnerin in der ökumenisch geführten Kirch am Eck im Französischen Viertel, die 1998 das alte Wennfelder Gartenhaus abgelöst hat. Anmerkungen: 1 Eine ausführliche, fast 10 Seiten umfassende Dienstanweisung für den Mesner und Hausmeister der Eberhardskirchengemeinde ist durch Kirchengemeinderatsbeschluss vom verabschiedet worden. Vgl. Dokband 2 Schreiben v im Dokband 3 KGRprot. v und vgl. oben S Ev. Gemeindeblatt 22(1936)3, S.4 6 KGRprot. v und Ev. Gemeindeblatt 27(1941)3, S.3 7 KGRprot. v KGRprot. v im Dokband Von Hand läuten unter Anleitung der Mesnerin i.r. Marta Pallesche Pfr. Harry Waßmann versucht es im Oktober

227 Erlebte Geschichte in Portraits Christa Hagmeyer Renate und Ilse Keller Jugend in schwerer Zeit Die Erinnerungen der Schwestern Renate und Ilse Keller fangen vor ihrer Zeit an, nämlich bei den Erzählungen ihrer Eltern. Kein Wunder, wenn eine Familie so spektakulär beginnt. Der damals amtierende Pfarrer Schneider, der seit 1918 in der Eberhardsgemeinde tätig war, vergaß die Hochzeit der Brautleute Keller, die am 28. April 1928 mit ihren Gästen ratlos vor der Eberhardskirche standen. Man suchte den Geistlichen und fand ihn im Garten. Trotz der Hektik blieb seine schöne Predigt in Erinnerung. Letztlich brachte man ihm Verständnis entgegen, denn als Witwer und Vater mögen ihm die Pflichten so manches Mal über den Kopf gewachsen sein. Aber übel genommen hat es ihm der Bräutigam viele Jahre; er wurde kein eifriger Kirchgänger. Seine Töchter nennen ihren Vater ehrenkäsig. Die Mutter dagegen hielt zur Kirche, auch in den Zeiten, als die Deutschen Christen lautstark Einfluss nehmen wollten, was zu heftigen Streitgesprächen in der Verwandtschaft führte. Im eigenen Umfeld fiel Renate auf, dass manche Kinder, vor allem aus dem Bereich der Universität, nicht konfirmiert wurden. Darüber hinaus waren die religiösen Auseinandersetzungen nicht Themen der Jugendlichen in Renates Umfeld. Die Mutter nahm auch die Töchter mit zur Kirche. Sie erinnern sich an die proppenvolle Kirche bei den Abendgottesdiensten, die während der Karwoche täglich stattfanden und zu denen man sich zeitig auf den Weg machen musste, wenn man noch einen Sitzplatz ergattern wollte. Die Mutter besuchte auch die Bibelstunde bei Pfarrer Geißer, der ab 1938 das Pfarramt I versah. Renate wurde im Jahr 1944 von Pfarrer Geißer konfirmiert, der Pfarrer Schneider abgelöst hatte. Er ist ihr als ein gläubiger, strenger Mann in Erinnerung. Viel war auswendig zu lernen, nicht nur der Katechismus. Renate trug in einem Weihnachtsgottesdienst zusammen mit einem Jungen das Weihnachtsevangelium auswendig vor und blieb zum Stolz der ganzen Walther Geißer, um

228 Erlebte Geschichte in Portraits Familie kein einziges Mal stecken. Doch fanden die Kinder auch im strengen Umfeld ihre Nischen und hatten genug Phantasie für Streiche. So vertauschten sie die Ziffern an den Liedertafeln in der Kirche. Der als Garnisonskirche geplante Bau wurde als kalt erlebt. 1937/38 fand bereits die erste Renovierung der Kirche statt. Immer noch bestand der Dachreiter mit einer Glocke. Jahrzehntelang hatte die Familie am Galgenberg einen Schrebergarten von der Stadt gepachtet, was die Versorgung in der Hungerzeit etwas erleichterte. Aber dies war allzu nahe an den Kasernen, die gegen Kriegsende oft Ziel von Fliegerangriffen waren. Wirf dich auf die Erde, rief dann die Mutter, wenn Tiefflieger nahten. Nach dem Kriegsende war die böse Zeit vorbei, aber nicht überwunden. Die Anspannung im täglichen Umgang während der Nazizeit hatte Ilse noch nicht so bewusst wahrgenommen wie Renate. In der Gemeinde hatte die zum Christentum konvertierte jüdische Familie Spiro gelebt; Mutter Keller aber fragte nicht danach, ob man noch mit den Juden reden dürfe. Dich holt man auch noch, warnte der Vater, der als Beamter bei der AOK beschäftigt war. Er war überzeugt von Hitlers Weg, hatte bereits an den Aufmärschen der SA teilgenommen und sich in den Kriegsjahren als Blockleiter engagiert. Auch am Volkssturm hatte er mitgewirkt, war in Gefangenschaft geraten und auf der Schwäbischen Alb in der Nähe von Neufra inhaftiert. Es gelang ihm jedoch bald die Flucht. Der Heimweg führte ihn zu Fuß über Hechingen, wo er von jemand ein Fahrrad erbitten konnte. Aber auch danach hatte er aus dem Tausendjährigen Reich persönliche Konsequenzen zu ziehen. Luftangriff auf den Güterbahnhof

229 Erlebte Geschichte in Portraits Bald waren von den Anwohnern weniger rühmliche Bemerkungen zu hören. Angst hatten diese offenbar vor dem Parteimitglied Keller seiner Strenge wegen gehabt, und nun gaben sie dem angestauten Ärger Ausdruck. Die Familie bekam französische Einquartierung, Mutter und Töchter hatten sich mit zwei Zimmern zu begnügen und nach Vater Kellers Heimkehr wurden alle Vier ausquartiert. Der Vater verlor für drei Jahre seine Stelle als Oberinspektor. Mit einem Dreirad übernahm er für Firmen das Ausfahren von Waren und besserte durch Basteln von Puppenstuben den Lebensunterhalt der Familie auf. Die kleine Dachwohnung bei der Tante in der Christophstraße war ständig mit Staub und Sägemehl bedeckt, und die Töchter mussten natürlich mithelfen, was diese rasch verdross. Als äußerst streng hatten die beiden Mädchen ihren Vater erlebt, noch als Jugendliche hatte Renate Schläge mit dem Kochlöffel kassiert. Die karge Zeit während der Kriegsjahre und vor allem nach dem Zusammenbruch bleibt Renate und Ilse unvergesslich. Bis nach Warmbronn bei Leonberg ging die Familie zu Fuß, um bei Verwandten Kartoffeln, Mehl, Äpfel, Eier und Milch zu erbitten und mit einem Handwagen nach Tübingen zu befördern. Auch in Entringen hatten sie ein gutes Haus, Renate hatte den Weg dorthin allein zu machen. Schlaf schnell, ich habe kein Brot mehr für dich, sagte die Mutter manchmal zu der hoch aufgeschossenen Ilse. Diese wurde schließlich mit der Kinderverschickung 1946/47 für drei Monate in die Schweiz geschickt. Kontakte zur Tochter jener Familie bestehen bis heute. Zwiespältig ist die Erinnerung der Schwestern an die französische Besatzung. Als die elterliche Wohnung Konfirmation 1944, Renate Keller, vordere Reihe, dritte von rechts. 229

230 Erlebte Geschichte in Portraits für ein Vierteljahr beschlagnahmt wurde, konnten sie lediglich einige Matratzen aus der Wohnung schmuggeln, und nach der Rückkehr war die Einrichtung ziemlich beschädigt. Die Besatzung brachte den Mädchen aber auch ein Paar Skier ein, die ein französischer Militärangehöriger zurückgelassen hatte. Es ist zu spüren, wie in Zeiten der Entbehrung kleine Überraschungen eine langfristige Erinnerung milde stimmen; die Freude der Mädchen über die Skier wirkte nachhaltig in den tristen Alltag hinein und unterhöhlte auch das alte Feindbild. Die Besatzungssoldaten in den nahegelegenen Hindenburg-, Loretto- und Thiepval-Kasernen samt den mit der Zeit aufziehenden Familien brachten Leben und Farbe in den Stadtteil, auch eine verstärkt katholische Präsenz, was spärliche Begegnungen auch überkonfessionell auslöste. Misstrauen und Vorurteil bröckelten langsam. Bis zu ökumenischen Begegnungen sollten aber noch viele Jahre vergehen. Zunächst bestanden zwischen den Konfessionen Vorbehalte; über die Fronleichnamsprozession ärgerten sich anfänglich so manche Protestanten. Doch wird inzwischen längst ein anderer Ton angeschlagen. Als 1987/88 die katholische Kirche renoviert wurde, feierte die Gemeinde St. Michael in der Eberhardskirche Gottesdienste. Seit 1996 gibt es eine gemeinsame Palmsonntagsprozession beider Gemeinden. Den Schwestern ist die überfüllte Kirche bei besonderen Anlässen noch gut in Erinnerung. Von 1948 bis 1965 war Pfarrer Knödler für die Südstadtgemeinde Konfirmation 1952 Ilse Keller, vordere Reihe, zweite von rechts; Pfarrer Knödler im Zentrum 230

231 Erlebte Geschichte in Portraits zuständig, die organisatorisch noch zur Stiftskirche zählte. Damit hängt wohl zusammen, dass um 1950 zum Beispiel auch Professor Helmut Thielicke, der später an die theologische Fakultät Hamburg berufen wurde, manchmal in der Eberhardskirche predigte. Er erfreute sich großer Beliebtheit, seine Zuhörer drängten sich gar noch außerhalb der Kirchentür. Ilse wurde im Jahr 1952 im schwarzen, von der Tante genähten Taftkleid mit Rüschenkragen von Pfarrer Knödler konfirmiert, zusammen mit sechzig Mädchen und Jungen. Pfarrer Knödler pflegte den Brauch, den Konfirmationsspruch im laufenden Bibeltext der zu überreichenden Konfirmandenbibel rot zu unterstreichen. Knödler war kriegsversehrt; während der Predigt, die er frei hielt, musste er mit einem Bein auf einem Hocker knien, um die Schmerzen ertragen zu können. In den ersten Jahren nach Kriegsende fanden abends öfters Fürbittegottesdienste für Kriegsgefangene statt. Ilse erinnert sich, dass die Konfirmanden teilweise die Liturgie mitgestalteten, z. B. mit dem Spruch: Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, werden wir sein wie die Träumenden Jedoch ist man in diesem Alter weder sonderlich meditativ, noch dem Leid gegenüber verständnisvoll gestimmt. So verbindet Ilse eher die Erinnerung an ein Kichern mit solchen Anlässen. Ilse sang ab 1950 im Kinderchor und später im Erwachsenenchor, ebenso Renate ab Mitte der fünfziger Jahre. Deutlich erinnern sie sich an die Einweihung von Kirchturm und Glocken im Jahr 1961, die der Chor mitgestaltete. In der Nachkriegszeit gab es in der Südstadt einen von Fräulein Schüz geleiteten Mädchenkreis, wo Singen, Basteln und eine Andacht zum Programm gehörten. Ilse schloss sich dieser Jugendgruppe an, während die acht Jahre ältere Schwester Renate bereits 1946 ihren Berufsweg begonnen hatte. In dieser Generation war es noch nicht selbstverständlich, dass Mädchen eine Berufsausbildung genossen. Renate war zwei Jahre als Helferin im Kindergarten Paulinenstraße tätig, besuchte danach das Fröbelseminar in Stuttgart. Damals wurde in der Erziehung Disziplin verlangt, und so war Renate nicht wenig erstaunt, bei einer englischen Familie ein schrankenloses Gewährenlassen zu erleben. Nach England war sie gegangen, weil sie nach ihrer Ausbildung in Deutschland keine Anstellung gefun- Eduard Knödler 231

232 Erlebte Geschichte in Portraits den hatte. Dort erlebte sie noch deutliche Vorbehalte gegenüber Deutschen, konnte aber auch eine bis heute währende Freundschaft begründen. Später entschied sie sich dann aber gegen die Erziehertätigkeit und war fortan in der Industrie als Buchhalterin beschäftigt. Im Alter von 53 Jahren musste sie allerdings ihre berufliche Tätigkeit zunächst beenden, da die alten Eltern pflegebedürftig geworden waren. Nach dieser Phase konnte sie noch einmal für vier Jahre eine Verwaltungstätigkeit im Theologikum übernehmen. Ihre Schwester Ilse war nach dem Besuch der Handelsschule kontinuierlich in der Industrie tätig, überwiegend in der Personalverwaltung der Himmelwerke in Derendingen. Im Alter von 56 Jahren begann sie noch eine neue Phase und übernahm eine pflegerische Aufgabe. Die Schwestern Keller konnten während der sechs Jahrzehnte Nachkriegszeit den gravierenden Wandel der Südstadt mit verfolgen. Lange ist s her, dass sie auf der einstigen Wiese am Sternplatz die fünf Meter Gefälle für Schlittenfahrten benützten. Waghalsiger war die Abfahrt durch den Hohlweg zum Galgenberg, wo sogar der Vater mit von der Partie war. In der Zeit des Wiederaufbaus gab es viele kleine Geschäfte in der Renate und Ilse Keller,

233 Erlebte Geschichte in Portraits Südstadt, so dass die alltägliche Versorgung auf kurzem Weg möglich war. Der Stadtverkehr war noch nicht eingerichtet, man ging zu Fuß in die Stadt oder fuhr mit den vom Vater gebastelten, etwas schwerfälligen Fahrrädern. Jedoch schon ab dem Jahr 1960 fuhren die Schwestern mit dem eigenen Auto, blieben aber im Haus der Eltern wohnen. Die Jahre nach Krieg und Währungsreform waren geprägt von der Bewältigung des Alltags im persönlichen Bereich. Neben und nach der sehr einschränkenden Lebensmittel- und Güterbewirtschaftung galt es, im Arbeitsleben Fuß zu fassen und eine berufliche Perspektive zu entwickeln. Eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen des Dritten Reiches stand nicht nur hintenan, sie wurde im Überlebenskampf weitgehend verdrängt. Auch in der eigenen Familie gab es keine Diskussionen, die zu einer Aufarbeitung geführt hätten. Bald aber war der Blick nicht mehr ausschließlich auf die eigene Existenz gerichtet. Viele Menschen hatten durch die anhaltende Fluchtsituation familiäre Beziehungen zu Bewohnern der DDR und hatten Einblick in deren Lebensbedingungen. Auch die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche wurde sich ihrer Verantwortung für die dortigen Gemeinden bewusst. Die Württembergische Landeskirche begann eine Partnerschaft mit der Thüringer Landeskirche. Über verschlungene Kanäle wurde versucht, Kirchengemeinden ohne Kenntnis des DDR-Staatsapparates zu unterstützen. Für die Gemeinden bzw. Einzelpersonen besonders wahrnehmbar waren die Patenverbindungen. Über Jahre hinweg wurden Päckchen geschickt, zunächst als organisierte Aktion, wofür dringend benötigte Artikel zentral eingekauft und dann in der jeweiligen West-Gemeinde von einem Helferkreis verpackt und versandt wurden. In der Eberhardsgemeinde hatte Pfarrer Krause-Sparmann diese Aktion begründet. Auch Renate und Ilse Keller hatten ein älteres Ehepaar aus Jena zugeteilt bekommen, das die Schwestern zur Tarnung als Onkel und Tante titulierten. Der Kontakt hielt auch an, als die offizielle Aktion nach der Wende nicht mehr notwendig war. Dann im Ruhestand wurde für beide Schwestern die Gemeinde der Eberhardskirche in verstärktem Maße der zentrale Angelpunkt für Engagement und Kontakte. Ob Bastelgruppe, Kochen oder spontane Aktivitäten, die Keller-Sisters sind in ihrer zurückhaltenden Art gerne dabei. Still vollzieht sich auch das Engagement für Hungernde in aller Welt, wofür Renate seit langem die Buchhaltung und Spendenwerbung übernimmt. Vor über fünfzig Jahren hatte Pfarrer Krause-Sparmann diese Initiative ins Leben gerufen. Ilse und Renate Keller am Stand der Aktion Hungernde in aller Welt (Bezirkskirchentag 1988) 233

234 Erlebte Geschichte in Portraits Johanna und Theodora Metzler Ehe die Erinnerung versinkt Johanna, genannt Hanne, gehört dem Jahrgang 1921 an, ist also zum Zeitpunkt der Vorbereitungen zur Festschrift 86 Jahre alt. Unzufrieden ist sie mit ihrem alten Kopf, der die Bilder von einst nicht immer herausrücken will. In der Gartenstraße hatte Familie Metzler zunächst gewohnt, bis sie 1928 in den Neubau in der Mathildenstraße einzog. Hanne sei ein wildes Lausmädle gewesen, meint sie, mit der Kirche sei sie in jungen Jahren nicht sehr verbunden gewesen. Es deutet sich wieder einmal an, dass die persönliche Ausstrahlung von Amtsinhabern einen wesentlichen Einfluss auf den Zugang der Gemeindeglieder hat. Jener Pfarrer Schneider erschien Hanne und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Dora zu alt. Aber im Alter sieht man alles anders, sagt Hanne jetzt und erinnert, dass jener Pfarrer wohl von den Kriegserfahrungen des Ersten Weltkrieges geprägt war und junge Menschen nicht gut erreichen konnte. Hannes Schwester Dora, 1919 geboren, wurde im Jahr 1934 in der Eberhardskirche konfirmiert, Hanne jedoch zwei Jahre später in der Stiftskirche von Pfarrer Keller. Der Vater hatte dies durchgesetzt. Was war wohl der Grund gewesen? Hatten die Töchter damals schon ein Urteilsvermögen, das theologische Richtungen und Zeitgeist bewerten konnte? Dies kann Dora nicht mehr aus der Erinnerung abrufen. Aber Bilder stehen noch einmal auf. Sie kommt vom Zuhörerunterricht nach Hause, der im Jahr vor dem Konfirmandenunterricht zu besuchen war. Der Vater stellt Fragen über den Ablauf des Unterrichts, Dora will jedoch nicht ausgefragt werden. Zu verbergen hätte sie nichts, denn dank christlicher Erziehung konnte sie im Unterricht immer Rede und Antwort stehen. Dora bleibt Konfirmation 1934, Theodora ( Dora ) Metzler 3. Reihe 2. v.l. links, daneben Pfarrer Johannes Schneider, rechts außen Organist Friedrich Bauschert 234

235 Erlebte Geschichte in Portraits wortkarg, der Vater aber zieht den Schluss, dass Pfarrer Schneider nichts beigebracht hat. Der Geistliche ist dem Vater zu liberal, zu weltlich. Das muss wohl zu Hause so manche Diskussion ausgelöst haben, denn Hanne wird später als Konfirmandin vom Vater in der Stiftskirche bei Pfarrer Keller angemeldet. Dies war bereits die Zeit, als einige Mädchen sich in der Jungmädel-Uniform konfirmieren ließen. Das Haus Metzler aber folgte nicht dem Zeitgeist, was Hanne allerdings nicht gerne mittrug. Sie hätte lieber zum großen Haufen gehört, wo es unternehmungslustig zuging. Sie empfand es als recht peinlich, wenn sogar in ihrem Zeugnisheft vermerkt war, dass sie als Einzige der Klasse nicht zu den Jungmädeln zählte. An die Indoktrination in der Schule kann sie sich noch erinnern: Das verstehen eure Eltern nicht, aber das hat für euch Jungen keine Bedeutung. Mit Entsetzen wurde am Familientisch diskutiert, als bei einer Hochzeit in der Eberhardskirche eine Hakenkreuzfahne als Parament verwendet wurde. Außerhalb aber fielen Äußerungen verhalten aus oder unterblieben angesichts der mehrheitlichen Begeisterung für das In der Mitte: Hanne Metzler mit verbundenen Augen (Helferkreisausflug 1960) 235

236 Erlebte Geschichte in Portraits Regime. Im Nichtgesagten liegt auch jetzt in der Erinnerung manche Andeutung der Verhältnisse. Wenn Hanne erzählt, sie habe Pfarrer Geißer in seiner Familie anders erlebt, als sie als Haushaltshilfe (sie gebraucht die schwäbische Bezeichnung Pfarrmagd) achtzehnjährig im Pfarrhaushalt mitarbeitete. Anders, das meint gelöst, natürlich; der offenbar sonst wahrzunehmende Ernst, die Anspannung lassen die Schwierigkeiten jener Zeit ahnen. Die Bekennende Kirche entstand, das freie Kanzelwort war gefährdet, immer mehr vom Leid gebeugte Gemeindeglieder vernahmen im Gottesdienst die Abkündigungen ihrer Gefallenen. Gab es eine Reaktion auf die Verhaftung der jüdischen Familie Löwenstein, die deportiert und ermordet wurde? Hanne weiß es nicht oder nicht mehr. Oder war sie zu der Zeit schon beim Roten Kreuz Die Metzler Geschwister auf dem Roßberg, Dora und Hanne (v.l.n.r.) tätig? Auch sie musste in den Krieg, denn ihr Einsatz führte sie nach Osten. Sogar bis nach Kiew sind wir gekommen, dieser nackte Satz verrät das Erlebte und Gefühlte nicht mehr. Sie kehrt nach dem Krieg zurück, weiß nicht mehr wie und wann genau, sieht aber noch, wie sie nachts um ein Uhr am elterlichen Haus klopft, wie die Mutter im Nachthemd die Tür öffnet, wie jene erschrickt und sich freut zugleich. Hanne ist wohlbehalten heimgekehrt. Als die Mutter stirbt, versorgt Hanne den Vater bis zu dessen Tod. Ihre Schwester Dora wird Krankenschwester in der Säuglingspflege und dann auch Hebamme. Dora geht in die Mission, ist in Afrika und Indien im Einsatz. Nach des Vaters Tod macht auch Hanne noch eine Ausbildung in Schwäbisch Hall als Gemeindeschwester. Im Jahr 1961, also 40-jährig, tritt sie eine Stelle bei der Evangelischen Gemeindeschwesternstation an, welche damals in der Klinikumsgasse ihren Sitz hatte. In diesem Jahr werden Gemeindehaus und Kirchturm gebaut. Hanne ist als Gemeindeschwester im Südstadtbereich tätig; sie unterstützt die Familien bei der häuslichen Krankenpflege und steht beratend zur Verfügung. Der Bezirk wird schnell größer, aber die neuen Wohngebiete Galgenberg und Wennfelder Garten nehmen vor allem junge Familien auf, so dass Hanne in diesen Bereichen weniger angefordert wird. Sie kann ihren Distrikt mit dem Fahrrad bewältigen. Längst ist sie kein Lausmädle mehr, sondern eine tatkräftige Frau, und mit der Kirche ist sie jetzt eng verbunden, hält dies aber nicht für erwähnenswert. So müssen ihr andere bestätigen, dass sie lange im Chor mitsang, verschiedene Chorleiter erlebte und an den Friedensgebeten teilnahm. Wenn man älter wird, sieht man alles anders näher führt sie dieses Lebensfazit nicht aus. Die erfahrenen und gestalteten Geschehnisse unterliegen der auswählenden und schwindenden Erinnerung. 236

237 Erlebte Geschichte in Portraits Dora Sperth eine Frau im Amt Im Jahr 1948 kam Dora Sperth nach Tübingen. Mit ihrer Familie wohnte sie zunächst in der Reutlinger Straße, dann in einem Reihenhaus in der Lichtensteinstraße, ehe das 1935 erbaute Haus in der Ebertstraße erworben werden konnte. Sie erinnert sich an den im Jahr 1948 ebenfalls aufziehenden Pfarrer Eduard Knödler, den sie als einen strengen Pfarrherrn erlebte. Zu jener Zeit bestand nur ein Pfarramt in der Südstadt. Ihre vier Kinder schickte Dora Sperth in die Kinderkirche, die damals stark besucht wurde. Sechs Gruppen mit je zwanzig Kindern feierten jeden Sonntag Gottesdienst und bekamen von den Helfern eine biblische Geschichte erzählt. Der Jugendfreund war seiner Geschichten und Rätsel wegen bei den Kindern begehrt, denn damals wurde man noch nicht von einer Medienflut überdeckt. Viel später erzählten die inzwischen erwachsenen Kinder ihrer Mutter von den geheimen Abmachungen und ihrem geschärften Gewissen. Eines der Kinder opferte jeweils sein Zehnerle nicht in der Kirche, sondern für Bonbons und durfte darum das Vaterunser Kinderkirche in den 50er Jahren nicht mitbeten. Von den Bonbons aber naschten auch die Beter. Das Abendmahl empfand Dora Sperth gegenüber der heutigen Stimmung als traurig und streng, und ihre Kinder schlugen sich mit der Verwandlung herum und warteten vergeblich auf einen sicht- oder fühlbaren Niederschlag. Die Vorbereitung auf die Konfirmation erfolgte innerhalb von zwei Jahren zunächst im Zuhörerunterricht, im zweiten Jahr im Konfirmandenunterricht. Der Katechismus war zu lernen und beim Konfirmationsgottesdienst mit den verteilten Fragen auswendig der Gemeinde vorzutragen. An ihrem Festtag waren die Kinder schwarz gekleidet. Die Eingangstüre der Kirche zierte eine mit weißen Papierrosen geschmückte Girlande. Nach der Konfirmation war die einjährige Christenlehre sonntags von 13 bis 14 Uhr zu besuchen. Die beiden Söhne der Familie schlossen sich dem CVJM in der Stadt an, der in der Gartenstraße seine Räumlichkeiten hatte. In den 50er Jahren hatten die Gemeindeglieder sich zum Abendmahl anzumelden. Dora Sperth empfindet bis heute, dass die Arbeit der Kirchenmusikerin Luise Scheel das Gemeindeleben wesentlich geprägt und bereichert hat. Diese hatte während ihrer Wirkungszeit neben dem Kirchenchor zwei große Kinderchöre und Flötengruppen für Erwachsene und Kinder aufgebaut. Ein besonderes Augenmerk war in der Eberhardsgemeinde auf das entstehende Wohngebiet Wennfelder Garten zu richten, das zunächst einen sozialen Brennpunkt darstellte. Es war recht schwierig, dort Gemeindeatmosphäre entstehen zu lassen, da die Menschen sich auch untereinander fremd waren. Das Wennfelder Gartenhaus, in dem Gottesdienste, Gruppenarbeit und Schülernachhilfe stattfand, lag zudem etwas versteckt, das zuständige Pfarramt im Johannesweg ist nach wie vor weit ab vom Schuss, was die Kontaktpflege nicht gerade erleichtert. 237

238 Erlebte Geschichte in Portraits Annette Herrgott, tragende Säule im Leben des Wennfelder Gartenhauses Aus dem Kirchenalltag ragt für die ehemalige Kirchengemeinderätin Dora Sperth in den folgenden Jahrzehnten die Umgestaltung der Eberhardskirche heraus. Im Jahr 1961 erhielt die Kirche einen Turm. Der Dachreiter mit dem zweistimmigen Geläut sollte Vergangenheit sein. Im Jahr 1961 wurde auch das Gemeindehaus gebaut, so dass außergottesdienstliche Aktivitäten wie Konfirmandenunterricht und Gruppenarbeit nicht mehr im Kirchenraum stattfinden mussten. Die katholische Kirche St. Michael, die zwar in den dreißiger Jahren geplant worden war, konnte erst 1949 geweiht werden, und 1987 stand bereits eine Innen- und Außenrenovierung an. Da war Ökumene gefragt; die Katholiken feierten während der Renovierungszeit in der Eberhardskirche ihre Gottesdienste. Dora Sperth war von 1960 bis 1978 Mitglied des Kirchengemeinderates und folglich an all diesen Entscheidungen beteiligt. Nicht nur das. Sie nennt sich eine frühe Quotenfrau und stand hörbar ihre Frau, denn sie gehörte 12 Jahre dem Gesamtkirchengemeinderat der sieben Tübinger Kirchen an. Als Mitglied des Engeren Rates war sie zweite Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderates und damit gleichzeitig Vorsitzende des Bauausschusses und des Diakonieausschusses, was in jener Zeit für so manchen männlichen Gesprächspartner noch gewöhnungsbedürftig war. War der Dekan abwesend, so hatte Dora Sperth die Sitzung zu leiten und war nicht gewillt, allzu lange über einem Thema zu brezeln. Die zarte Dame redete dem Oberkirchenrat drein, er solle sich in der Gemeinde informieren und nicht einen Architekten vorsetzen. Es stand damals die Entscheidung an, welcher Architekt die Bonhoeffer-Kirche in Waldhäuser Ost bauen sollte. Da dachte Dora Sperth praktisch: Der Architekt soll nicht weiter als eine Wegstrecke von zehn Minuten vom Bauprojekt entfernt wohnen. 238

239 Erlebte Geschichte in Portraits Es galt abzuwägen, auch zu streiten, zu überzeugen, als man die Eberhardskirche so grundlegend verändern wollte. Die Jugendstil-Engel flogen raus, abstrakte Fenster, gefasst im massigen Beton der Zeit, kamen rein, der Chor wurde höher, das schon 1911 umstrittene Bild wurde von der Wand abgenommen und auf eine separate Trägerwand übertragen, dies erneut unter geteilter Meinung der Kirchengemeinderäte. Ein Mittelgang gliedert jetzt die Kirche, der Turm birgt ein dreistimmiges Geläute. Die seitlichen Fenster sind Dora Sperth heute zu dunkel, sie würden auch nicht dem damals der Entscheidung zugrunde liegenden Musterfenster entsprechen, meint sie. Aber im Chor leuchten die abstrakten Farbfenster doch passend zu dem Komm, göttliches Licht., das Teil der sonntäglichen Liturgie ist. Gegen den Strich ging Dora Sperth auch das Besetzungsverfahren, nach dem der Gemeinde ein Pfarrer vorgeschrieben wurde. Sie habe das Wahlverfahren nicht nur angeregt, sondern angestoßen, denn sie habe damals Dekan Hermann gebeten, als Synodaler für eine Änderung einzutreten. In der Folge bekam die Gemeinde Gelegenheit, drei Bewerber kennen zu lernen. Das war also der Anfang des jetzigen Wechsels zwischen Wahlverfahren und Benennungsverfahren. Abwechslung zu den nüchternen Kirchengemeinderatssitzungen brachten die Tagungen, die unter den Pfarrern Mittler und Hägele eingeführt wurden. Bleibend sind die Eindrücke von der dreiwöchigen Gemeindefreizeit in Südtirol im Jahr Als besondere Aktivitäten sind Dora Sperth die Gemeindefeste mit großer Besucherzahl und dem reichhaltigen Programm in Erinnerung. Mit dem Erlös dieser Feste konnten Sonderaufgaben angepackt werden. So konnte einmal der Kirche in Karl-Marx-Stadt zu einem neuen Schieferdach verholfen werden. In einem anderen Jahr nahm man sich ein Projekt in der Dritten Welt vor und ermöglichte in Äthiopien den Bau eines Dora Sperth, Alfred Höckh, Peter Mittler Gemeindefest 70er Jahre 239

240 Erlebte Geschichte in Portraits April 2009 Bildunterschrift im Schwäbischen Tagblatt: I m 90 years old, I m an old woman Dora Sperth feierte mit ihrem Kurs im d.a.i. (Deutsch-Amerikansiches-Institut) schon mal Geburtstag. 240

241 Erlebte Geschichte in Portraits Brunnens. Während Pfarrer Knödlers Amtszeit kam einmal ein Bus mit Pfarrfrauen aus dem Bezirk Brandenburg nach Tübingen zu Besuch. Über Jahrzehnte beteiligte sich auch die Eberhardsgemeinde an der Päckchenaktion zu Gunsten von Menschen in Thüringen. Aus Mitteln eines Fonds, in den alle Gemeinden einzahlten, wurden Artikel gekauft, die dann von Privatpersonen an Adressaten in der DDR geschickt wurden. Pro Päckchen wurden dreißig Deutsche Mark eingesetzt. Gewöhnlich freuten sich die Empfänger über Kaffee und Kleider. Bücher durften nicht versandt werden. Auch an entlassene Gefangene wurden solche Päckchen geschickt. Dabei gaben sich die westlichen Absender als Verwandte der Empfänger aus. In Dora Sperths Amtszeit fiel auch der Ausbau der Begegnungsstätte Lamm am Marktplatz. Dies war eine Aufgabe der Gesamtkirchengemeinde. Es waren Dissonanzen zu überwinden, denn die Jakobusgemeinde, auch Spitalkirche genannt, verzichtete ungern auf einen weiteren Zugang von der Marktgasse her. Im Jahr 1978 beendete Dora Sperth ihr Wirken im Amt. Den Platz wollte sie den Jüngeren überlassen. In der Folgezeit übte sie soziales Engagement im privaten Bereich. Einer Passion aber dient sie bis heute: Zeitlebens hat die inzwischen Neunzigjährige gesungen, jahrzehntelang im Tübinger Kantatenchor und seit einigen Jahren im Singkreis der Begegnungsstätte Hirsch. Neben der Freude an der Musik genießt die Hochbetagte in dieser Runde die Begegnung mit Gleichgesinnten und blickt gerne auf all die Unternehmungen zurück, die sie wahrnehmen konnte. 241

242 Erlebte Geschichte in Portraits Annemarie Jürgens Die zweite Hälfte der Franzosenzeit Im Herbst 1964 kam Annemarie Jürgens im Rahmen ihres Studiums nach Tübingen. Seit 1972 wohnt sie in der Südstadt. Somit konnte sie die zweite Hälfte der Franzosenzeit verfolgen, die sich zunehmend eher als ein freundschaftliches Miteinander darstellte. Durch ihr Französischstudium und so manchen Frankreichaufenthalt fiel es Annemarie Jürgens nicht schwer, zu den vor allem in der Südstadt anwesenden Franzosen in Kontakt zu treten. Als Befreiung hatten die Tübinger das Kriegsende zunächst nicht in allen Teilen empfunden. Dem Buch Annemarie Jürgens Erinnerungen an die Tübinger Franzosenzeit, das im Jahr 1995 aufgelegt wurde, ist zu entnehmen, dass in den ersten Tagen der Besetzung besonders Frauen Opfer von Gewalt wurden. Zwar hielten sich die baulichen Schäden durch die vorhergehenden Bombardements in Grenze. Nun aber wurden für die französischen Soldaten 450 Wohnungen und 1600 Zimmer requiriert. Tübingen war als Sitz der Militärregierung ausgewählt worden, nachdem Stuttgart zur amerikanischen Besatzungszone gehörte. Tübingen war als größter französischer Wehrmachtsstandort gedacht. Die Tübinger mussten eng zusammenrücken und empfanden schmerzlich den manchmal rüden Umgang. Auch trafen immer mehr Flüchtlinge ein, die unterzubringen waren. Die Verwaltung und das öffentliche Leben mussten entsprechend dem durch die Besatzungsmacht reglementierten Spielraum aufgebaut werden. Das Aufarbeiten der nationalistischen Vergangenheit fand offenbar nicht so konsequent wie in der amerikanischen Besatzungszone statt; Frankreich vertraute darauf, dass dies die Deutschen weithin selbst regeln könnten, was viele aktive Parteimitglieder aus der braunen Zeit ohne nennenswerte Blessuren wieder in Amt und Würden gelangen ließ. Im Jahr 1955 waren 3000 französische Soldaten in Tübingen, und in diesem Jahr wurde der Besatzungsstatus in einen Stationierungsstatus umgewandelt. Die Wohnungssituation entspannte sich in dem Maß, wie Wohnungen für die französischen Armeeangehörigen und deren zuziehende Familien geschaffen werden konnten. Eben diese Langbauten sind heute noch das bleibende Zeugnis von fast fünfzig Jahren französischer Präsenz in Tübingen. Vergleichsweise weniger bewusst ist in unseren Tagen, dass einige dieser uniformen Häuser bereits aus der Zeit der deutschen Wehrmacht stammen. Begriffe wie Thiepval, Loretto, Depot, Pferdeställe, Panzerhalle, Französische Schule und einige Straßennamen sollen bleibend an diese 242

243 Erlebte Geschichte in Portraits Jahrzehnte erinnern, auch wenn die Nutzung der Gebäude heute eine andere ist. Die drei ehemals deutschen Kasernen, Thiepval, Loretto und Hindenburg, wurden nun von den Franzosen genutzt. Die rein militärischen Quartiere blieben für die Tübinger verschlossen, abgesehen von den später veranstalteten Tagen der offenen Tür, wo Spiele, Tombola und besonders der französische Sekt auch innere Barrieren fallen ließen. Die Wohnquartiere waren für Deutsche nur in geringem Maße zugänglich. In jedem Haus hing bis zum Ende der Franzosenzeit ein Anschlag, für wen der Zutritt verboten war. Und doch wurde dies mit der Zeit nicht allzu ernst gehandhabt. Die um 1900 sich ausdehnende Südstadt hatte von vornherein ihr eigenes Gepräge durch die Kasernen und die Ansiedlung von Industrie und Arbeiterwohnungen. Jenseits von Neckar und Eisenbahn gelegen, erhielt sie drum auch die landläufige Bezeichnung Jenseits. Gegenüber der Kernstadt mit Universität, Studenten- und Gogen-Hassliebe entwickelte sich die Andersartigkeit der Südstadt nach dem zweiten Weltkrieg immer stärker. Die binationale Bevölkerung und die baulichen Konsequenzen verliehen ihr ein eigenes Gepräge. Es gab eine französische Infrastruktur mit Casino, Depot, Gaststätte, Kindergarten, Schule, Apotheke, Laden, Wäscherei und Bäckerei, und doch kosteten die Soldaten auch gerne die Backwaren der deutschen Bäcker. Auch außerhalb der geschlossenen Quartiere wurden Wohnungen gebaut, so zwischen Hechinger Straße und Steinlach und an der Stuttgarter Straße in Richtung Galgenberg für Offiziere, Unteroffiziere und deren Familien. Die deutschen und französischen Familien bildeten also ein gemischtes Wohngebiet. Allerdings waren Begegnungen nur spärlich möglich. Dabei war die sprachliche Barriere nur eines der Hindernisse. Die Fluktuation der Soldaten wirkte von vornherein näherem nachbarschaftlichen Kennenlernen entgegen. Die Wehrpflichtigen hatten gegenüber den übrigen Armeeangehörigen weniger Spielraum. Ihr Kontakt mit der Tübinger Bevölkerung beschränkte sich auf von der Militärpolizei dezent überwachte Kneipen- und Diskobesuche. Gelegentlich gab es allerdings dann doch gemischtnationale Paarbeziehungen. Armee und französische Familien boten zahlreiche Arbeitsplätze für Deutsche, und so lernte man wechselseitig Lebensart und Charaktere kennen. Naheliegend war, dass sich deutsche und französische Mütter mit ihren Kindern im Volkspark bei der Eberhardskirche treffen konnten, und dies war Anfang der Siebzigerjahre auch ein Anknüpfungspunkt für Annemarie Jürgens und ihre beiden Kinder. Im Jahr 1974 kam erstmals ein evangelischer Militärpfarrer nach Tübingen. Dieser äußerte den Wunsch, zur Eberhardskirche Kontakt aufnehmen zu wollen. Der da- Pfarramtsschild - zweisprachig 243

244 Erlebte Geschichte in Portraits mals amtierende Pfarrer Mittler nahm diesen Anstoß gerne auf. Dabei konnte Annemarie Jürgens dank ihrer Französischkenntnisse aktiv mitwirken. Ungefähr zwanzig französische Gemeindemitglieder nahmen regelmäßig an den Gottesdiensten teil. Zeitweise gab es auf Anregung durch die Franzosen einen deutsch-französischen Gesprächskreis, auch Abende mit Wehrpflichtigen, vor allem auf Wunsch eines Offiziers, der den Soldaten Einblick in deutsche Lebensart und nicht nur in Kneipenkultur vermitteln wollte. Annemarie Jürgens erinnert sich an gemeinsames Singen von deutschen und französischen Liedern bei gemeinsamen Veranstaltungen. Auch wurden teilweise französische Soldaten an Weihnachten in deutsche Familien eingeladen. Bei Gemeindefesten unterstützten Soldaten gelegentlich musikalisch oder durch das Bereitstellen eines großen Zeltes. Ein Name bleibt vor allem in diesem Zusammenhang nicht nur den Südstädtern in Erinnerung: Mechthild Horowski aus dem Johannesweg. Unvergesslich ist das Wirken dieser Dame, die ein sehr herzliches Verhältnis zu Franzosen gleich welchen Standes pflegte. Sie organisierte unter anderem auch Treffen mit deutschen Schulklassen, die so einen Eindruck von französischer Lebensart vor Ort gewinnen konnten. Auf einer anderen Ebene, weniger im profanen Alltag eingebettet, agierte die Freizeit Weilerhütte (Schönbuch) 1977 mit deutsch-französischer Beteiligung rechts von Pfr. Mittler die Gattin des französischen Generals, dahinter Mechthild Horowski von der Deutsch-Französischen Gesellschaft 244

245 Erlebte Geschichte in Portraits Deutsch-Französische Gesellschaft, die im Tübinger Kultur- und Gesellschaftsleben fest verankert war. Französisch-deutsche Familien hatten natürlich mehr Kontakte zur Tübinger Bevölkerung. Ihre Kinder kamen zum Teil in den Kindergottesdienst der Eberhardsgemeinde oder wurden in der Eberhardskirche konfirmiert. Manche Familien wandten sich mit den Jahren immer mehr deutschem Leben zu. Eine mögliche, nicht ganz typische Entwicklung nahm die Familie einer französischen Lehrerin, die einen Deutschen geheiratet hatte. Das erste Kind ging nur in französische Schulen, das zweite wechselte nach der 9. Klasse in ein Tübinger Gymnasium, das dritte nach der Grundschule und das vierte besuchte nur deutsche Schulen. Die Französische Schule in Tübingen erfasste die Schüler bis zur neunten Klasse. Ältere Schüler mussten das französische Internat in Baden-Baden besuchen. Es gab auch Tübinger frankophile Familien, die ihre Kinder in die französische Schule schickten. Französische Kinder andererseits oft an das autoritäre Verhalten ihrer Offiziersväter gewöhnt schätzten die größere Freiheit im deutschen Umfeld. Als Lehrerin begegnete Annemarie Jürgens Franzosen beim Schüleraustausch, sowohl den Schülern, als auch manchen Eltern, wobei ihr ebenfalls die etwas strengere Erziehungsart auffiel. Tübingen hatte wohl durch die 68er Bewegung unterschiedliche Denkmodelle erfahren. Dies blieb auch den Franzosen nicht verborgen. Entgegen der deutschen klischeehaften Vorstellung vom etwas leichtlebigen Franzosen empfanden nun die Franzosen Deutschland als ein Land der Freiheit, dies nicht nur auf erotischem Gebiet, sondern auch angesichts der gesellschaftlichen und politischen Tabubrüche. Angers an der Loire eine Fahrt nach Tübingen und bat den französischen Standortpfarrer um einen Kontakt zu einer hiesigen evangelischen Gemeinde. So fand sich Annemarie Jürgens plötzlich in Vertretung des Diakons Peter Sulmavico auf dem Tübinger Bahnhof wieder, um die Gruppe abzuholen. Als Erkennungszeichen pfiff sie ein französisches Osterlied und wurde sofort erkannt. Der Diakon organisierte im Gemeindehaus Treffen der französischen Gäste mit den Jugendlichen der Eberhardsgemeinde. Angers lud zu einem Gegenbesuch ein, und schon in den Osterferien reiste Familie Jürgens spontan nach Angers und kam dort gerade recht, um bei der Trauung eines deutsch-französischen Paares zu dolmetschen. Bald danach reisten auch Jugendliche aus der Eberhardsgemeinde nach Angers. Diese Kontakte hatten allerdings keinen Bestand. Ein anderer Kontakt der Eberhardsgemeinde entstand zur französischen Hafenstadt La Rochelle. Durch die Verbindung von Pfarrer Hauger zu dem französischen Pfarrer Koester von der Mission Populaire wurde eine Phase des Gebens und Nehmens eingeleitet. Wenn La Rochelle auch als protestantische Hochburg in Frank- Annemarie Jürgens zu Besuch in La Rochelle 1990 Im Jahr 1976 ergaben sich außermilitärische Beziehungen der Eberhardsgemeinde zu Frankreich. In jenem Frühjahr machte der evangelische Pfarrer von 245

246 Erlebte Geschichte in Portraits reich gilt, so handelt es sich doch um Diaspora. Außerdem agieren in Frankreich die Kirchen nicht unter den Fittichen des Staates, müssen sich also selbstständig um ihre Finanzierung kümmern. Die Volksmission in La Rochelle war in Geldnot, wollte aber ein soziales Zentrum für Beratung und Begegnung aufbauen. In den Jahren 1985 und 1993 organisierte der Tübinger CVJM ein Aufbaulager, an dem auch Jugendliche aus der Eberhardsgemeinde teilnahmen. Daraus erwuchs eine längerfristige Partnerschaft der Eberhardsgemeinde mit La Rochelle. Von 1984 bis 1999 wurden im Haushalt der Eberhardsgemeinde jährlich viertausend Deutsche Mark zur Unterstützung der Partnergemeinde vorgesehen. Im Gegenzug konnten die Tübinger von den Erfahrungen La Rochelles im Umgang mit sozialen Brennpunkten profitieren, denn in jener mit Problemen erfahrenen Stadt gibt es inzwischen eine blühende Sozialarbeit. Mit La Rochelle wurden gegenseitige Besuche gepflegt, wobei Herzlichkeit und Direktheit erlebt wurden. Im Jahr 1991 waren dreißig Personen in Tübingen zu Gast, die bei Gemeindemitgliedern Quartier fanden. Im Jahr 1996 nahmen Tübinger am zehnjährigen Jubiläum der Mission Populaire teil. Dann aber wurden die Kontakte dünner. Im Jahr 1991 war die französische Armee abgezogen, die französische Präsenz fehlte plötzlich in der Stadt. Die Eberhardskirche hatte neue Aufgaben anzupacken. Die Kirch am Eck wurde als ökumenischer Ort entwickelt. Aussiedler und Asylbewerber kamen verstärkt in die Stadt, benötigten Unterkünfte und warteten auf Zuwendung. Stichworte wie Schlichtbauten und Backofen stehen für grenzwertige soziale Verhältnisse und Resignation, die man nicht ignorieren konnte und wollte. Da war die Eberhardsgemeinde für die Anregungen aus La Rochelle dankbar. Die Freunde der»mission Populaire«aus la Rochelle in Tübingen Abschied vor der Kirche, Oktober

247 Erlebte Geschichte in Portraits Christa-Maria Schmidt-Jaag 16 Jahre Gemeindearbeit in der Eberhardskirche Christa-Maria Schmidt-Jaag, damals noch Fräulein Schmidt, erlebt auch heute die Eberhardsgemeinde aus dem Blickwinkel einer Hauptamtlichen. Sie war von 1956 bis 1973 als Gemeindehelferin in der Südstadt tätig. Vielfältig gestaltete sich damals die Arbeit einer Gemeindehelferin, und dies entsprach auch dem Anliegen der jungen Frau. Ihre Ausbildung hatte sie im Burkhardthaus in Gelnhausen genossen. Nach einer zweijährigen Tätigkeit in Weingarten war sie eigentlich für die Volksmissionarischen Dienste in Württemberg bei Pfarrer Joachim Braun vorgesehen. Aus einer geplanten Übergangszeit von 3 Monaten in Tübingen wurden dann aber rund 16 Jahre in der Eberhardsgemeinde, angereichert mit einigen Bezirksaufgaben. in wechselnder Gewichtung tätig: Sie war für die Kinder- und Mädchenarbeit zuständig, wirkte beim Konfirmandenunterricht, im Kindergottesdienst und bei Gemeindeveranstaltungen mit und machte Hausund Krankenbesuche. Wöchentlich erteilte sie auch bis zu sechs Stunden Religionsunterricht und sammelte auf diese Weise im Laufe der Jahre Erfahrungen an der Silcherschule, Albert-Schweitzer-Realschule, am Kepler-Gymnasium und an der Hauswirtschaftlichen Berufsschule. Pfarrer Eduard Knödler und Mesner Wilhelm Denneler Als im Jahr 1956 Pfarrer Krause-Sparmann zum Kollegium stieß, wurde die Südstadtgemeinde in zwei Kirchenbezirke aufgeteilt; als Grenze wurde damals die Hechinger Straße gewählt. Die Zusammenarbeit mit Pfarrer Knödler (Pfarramt I) endete im Jahr Es folgten die Pfarrer Hermann und Hägele. Im Jahr 1970 übernahm Pfarrer Mittler Pfarramt II der Südstadtgemeinde. So arbeitete Christa-Maria Schmidt- Jaag während ihrer Tübinger Zeit also mit fünf Pfarrern zusammen. Unterschiedliche Amtsinhaber vertreten unterschiedliche Schwerpunkte. Sich darauf einzustellen, war für die Gemeindehelferin eine besondere Herausforderung. Entsprechend veränderte sich auch ihre Arbeit im Laufe der Jahre. Neben der Unterstützung des jeweiligen Pfarrers als Pfarramtssekretärin war Christa-Maria Schmidt-Jaag 247

248 Erlebte Geschichte in Portraits Eine vorübergehende Veränderung ergab sich 1967/68 durch einen einjährigen Studienaufenthalt in den USA mit einem Stipendium des Weltrates der Kirchen. Christa-Maria Schmidt-Jaag erlebte dort während ihres Aufenthaltes auch die Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy. Ihre Tübinger Zeit war eine Epoche der Umbrüche in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur, dass jeder amtierende Pfarrer in seiner persönlichen Weise sich mit dem Gewachsenen auseinandersetzt, Methoden begründet, Anderes nachrangig einstuft - die äußere Entwicklung des Stadtteils brachte viel Bewegung. Galgenberg und Wennfelder Garten wurden nach und nach bebaut. In den Wohnblocks versuchte sich eine Vielzahl von Flüchtlingen, eine neue Existenz aufzubauen. Trotzdem war die Gemeinde noch einigermaßen überschaubar, so dass im Rahmen von Hausbesuchen eine Teilnahme am jeweiligen Schicksal versucht wurde. In den Straßenzügen mit älterer Bausubstanz wohnten immer mehr betagte Gemeindeglieder, also war an die Begleitung von Kranken und Trauernden zu denken. Andererseits wurden Neuzugezogene in der Gemeinde soweit möglich persönlich begrüßt. Gemeindegruppenarbeit fand im Pfarrhaus in der Eugenstraße oder im hinteren Teil der Kirche statt. Der Kindergottesdienst hatte zu Pfarrer Knödlers Zeiten einen großen Stellenwert. Er fand am Sonntag um 11 Uhr nach dem Erwachsenengottesdienst in der Kirche statt, mit Glockengeläut, eigener, reicher Liturgie und fast immer Orgelbegleitung. Zum Kindergottesdienst kamen in den 60er Jahren noch etwa zweihundert Kinder, die ein stattlicher Helferkreis betreute (u.a. die sog.tante Röhm, Oberlehrer Huber, Käthe und Hermann-Arndt Riethmüller, Hannelore Kienzle, Hanne Metzler und Dieter Eitel). Den Kern des Gottesdienstes bildeten ca. sieben Erzählgruppen, die sich in der gesamten Kirche einschließlich Sakristei für die Zeit des Erzählens der Mädchenkreis im Pfarrhaus Eugenstraße mit Christa-Maria Schmidt-Jaag Kindergottesdienst in den 60er Jahren 248

249 Erlebte Geschichte in Portraits biblischen Geschichte verteilten. Die wöchentliche Vorbereitung der Helfer und Helferinnen war Pfarrer Knödler besonders wichtig. Zu Ostern gab es immer ein gefärbtes Osterei für jedes Kind, was vom Helferkreis am Gründonnerstagnachmittag vorbereitet wurde. Ein- bis zweimal im Jahr fanden Kinderpredigten statt, zu Ostern regelmäßig. Am vierten Advent oder an Heilig Abend wurde jeweils ein Weihnachtsspiel aufgeführt. Der Religionsunterricht wurde in dieser Zeit von Kindern und Jugendlichen nicht mehr so willig angenommen. Das Interesse und ihr Verhältnis gegenüber kirchlichen Angeboten veränderten sich. Die Religionspädagogik war noch nicht weit entwickelt. In der Hauswirtschaftlichen Berufsschule fand Christa- Maria Schmidt-Jaag beispielsweise keinen Lehrplan vor und unterrichtete ein Jahr lang ökumenisch in Absprache mit dem katholischen Kollegen. Die Südstadt erlaubt Besorgungen zu Fuß oder per Fahrrad; als aber Schmidt-Jaag nach ihrem Amerika- Spatzennest 1960 wie ein Chor entsteht Aufenthalt in Hirschau wohnte, war sie fortan per Auto unterwegs. Auch die Bezirksaufgaben verlangten Mobilität; hier ging es um die Weiterbildung der KIndergottesdiensthelfer, die teilweise im Rahmen von Freizeiten in Beilstein erfolgte. In dieser Zeit wurde auch das Kreisbildungswerk eingerichtet, für das die Gemeindehelferin verantwortlich war. Zu Beginn von Schmidt-Jaags Tübinger Dienstzeit gab es in der Südstadt bereits Mädchenarbeit. Neben zwei Mädchenkreisen konnte auch eine Jungschargruppe angeboten werden. Diese Gruppenarbeit fand im Pfarrhaus statt, später im Gemeindehaus. Durch die Jugendarbeit erlebten die Kinder neben den wöchentlichen Gruppenstunden auch Freizeiten, u. a. im alten Schulhaus in Unterjesingen oder im Feriendorf Gomadingen. Im Übrigen wurde im 1959 gegründeten Evangelischen Waldheim Spatzennest bei Pfrondorf im Auftrag der Gesamtkirchengemeinde ein Sommerferienprogramm für Kinder angeboten. Das Spatzennest wurde auch einige Jahre für Gemeindefeste der Eberhardsgemeinde genutzt, um genügend Raum für Spiele und Begegnung zu haben. Später wählte man für die Gemeindefeste das Gelände um die Kirche, um kirchliche Gemeinschaft im Wohngebiet erlebbar zu machen. Mit dem Mädchenkreis fanden im Laufe der Jahre größere Unternehmungen statt, so eine Studienreise nach Genf zum Weltrat der Kirchen, in einem anderen Jahr eine Wanderfreizeit im Odenwald. Unvergesslich blieb die Begegnung mit einer Rotte Wildschweine samt Frischlingen. In der Mädchenarbeit hatte Christa-Maria Schmidt- Jaag von ihrer Vorgängerin, Frau Terpitz, ein Erbe übernommen, nämlich eine Partnerschaft mit der Jungen Gemeinde Zwickau. Diese wurde fortgeführt, bis für die Zwickauer die Kontakte nach Westen immer schwieriger wurden. 249

250 Erlebte Geschichte in Portraits Juli 1961, die Glocken kommen vorne in der Mitte auf dem Wagen, Christa-Maria Schmidt-Jaag Unter der Jugend gärte es in zunehmendem Maße. Um 1970 begann der klassische Mädchenkreis sich zu mausern. Mit Spielen, Basteln, Andacht, Diskussion und einer gelegentlichen Freizeit war es plötzlich nicht mehr getan. Die Mädchen wünschten sich eine Plattform, wo sie sich mit ihren Freunden treffen konnten. Christa-Maria Schmidt-Jaag stand vor der Frage, ob sie auf der Zielsetzung klassischer Jugendarbeit bestehen sollte um den Preis, die Mädchen vielleicht zu verlieren, oder neue Wege gehen sollte. Die tatkräftige Gemeindehelferin wagte 1969 einen Jugendclub trotz der Skepsis des Kirchengemeinderats und unter der ständigen Kritik des Mesners. Es war die Zeit, in der sich Jugendarbeit nicht nur mit Rauchen und Alkohol auseinanderzusetzen hatte, auch Drogenkonsum breitete sich unter Jugendlichen aus. Es tauchten junge Menschen aus anderen Stadtteilen auf, auch verschiedene Nationalitäten. Jugendarbeit war in diesen Jahren des großen Umbruchs im wesentlichen Sozialarbeit. Christa-Maria Schmidt-Jaag versuchte, den Jugendclub als soziales Engagement zu sehen und entsprechend zu gestalten. Die Gruppe gab sich selbst eine Ordnung, die Drogen und Rauchen ausschloss. Christa-Maria Schmidt-Jaag entwickelte ein Programm, das die Jugendlichen an soziale Aufgaben heranführte. Sie halfen bei den Blindentreffen mit und bei der Organisation eines Flohmarktes auf dem Gemeindefest. In den Jahren 1971/72 wurde unter Mitwirkung der Jugendlichen ein Stand auf dem Weihnachtsmarkt bestückt und damit eine Vorstufe eines Eine-Welt-Ladens entwickelt. Herkömmliche Bibelarbeiten fanden kein Interesse, dafür Diskussionen über Gesellschaft und Lebensfragen. Anhaltend bestand in der Gemeinde großes Misstrauen gegen eine solche offene Arbeit. Nach Christa-Maria Schmidt-Jaags Weggang im Jahr 1973 wurde die Gruppe aufgelöst. Danach war Christa-Maria Schmidt-Jaag bis zum Ruhestand als Referentin für die Weiterbildung der Verantwortlichen für Frauenkreise der Württembergischen Landeskirche tätig. Ihr Arbeitsgebiet erstreckte sich über die ganze Prälatur Reutlingen. Sie blieb in Tübingen wohnhaft und der Eberhardsgemeinde verbunden. 250

251 Erlebte Geschichte in Portraits Hans-Ulrich Dapp Martin Lohss Seelsorger im Ehrenamt 1 Martin Lohss ( ) war ein äußerst aktiver Ruheständler. Er widmete seit seiner Pensionierung im Jahr 1978 einen sehr großen Teil seiner freien Zeit den Aufgaben und Menschen in unserer Gemeinde. Bis 1989 war er auch Mitglied des Kirchengemeinderates. Er wie auch seine Frau Dr. Gerhild Lohss und seine Schwester Margarethe Lohss waren Jahrzehnte Säulen der Gemeinde Menschen, die Einzelne und das Leben der Gemeinde getragen haben. Herr Lohss, vor 15 Jahren gingen Sie als Oberst a.d. in Pension. Wie kam es dazu, dass Sie hier etwas völlig Neues begonnen haben? Schon in Koblenz hatte ich an einem Kurs für Klinik- Seelsorgehelfer teilgenommen und auch Konfirmandenunterricht gehalten. Im Juli 1979 zogen wir hierher, und ich wollte zunächst in der Klinikseelsorge mitmachen. Doch da fragte mich Pfarrer Mittler im Johannesweg, ob ich den Altenclub übernehme das sei seine große Bitte. Ich bat mir aus, erst einmal darüber zu schlafen, aber schon an der Steinlach sagte ich mir: Du bist doch ein Blödmann; in deinem Alter ist die Jugendarbeit passé. Da bin ich wieder umgekehrt und hab ihm gesagt: Klarer Fall, ich übernehm den Club Süd! ähnliche Fragen hörten bald auf. Ich hab aber nichts umgekrempelt. Nur dass wir nur noch alle acht Wochen Geburtstag feiern, und dann mit genügend Zeit für jeden einzelnen. Wie kam es zum Club Süd und seinem Namen? Den Anfang bildete ein Kaffeekränzchen, zu dem sich verwitwete Frauen zu Pfarrer Krause- Sparmanns Zeit am Samstagnachmittag trafen. Pfarrer Mittler, der sich in der Gesamtkirchengemeinde für Altenarbeit engagierte, hat dann daraus den Club Süd geprägt, also einen Seniorenclub für die Südstadt. Und damals war es auch noch so: wenn die Alten in Ehren gestorben sind, kamen jüngere Rentner dazu. Heute kommen vor allem die, die wirklich allein sind, übriggeblieben. Zum Glück haben wir aber immer noch genug Leute, die jemanden bei einem Spaziergang am Arm nehmen können. Und bei den Ausflügen gehen auch Jüngere mit. Martin Lohss und Familie Martin, Chorfreizeit 1985 Wenn Sie an Ihre Anfangszeit zurückdenken was fällt Ihnen da ein? Nach kurzer Zeit fragte mich eine Frau: Warum machen Sie es so, wo es doch Herr Mittler anders gemacht hat? Ich konnte nur freundlich lächelnd zurückfragen: Wie heiße ich denn? Mittler? Ich bin doch der Martin Lohss! Da musste sie lachen, und 251

252 Erlebte Geschichte in Portraits Was gehört außer den Donnerstagen zu Ihren Aufgaben? Nun, ich bin ja offizieller ehrenamtlicher Seelsorgehelfer. Und wir haben uns die Geburtstagsbesuche so aufgeteilt, dass die Pfarrer zum 70., 75. und ab dem Martin Lohss, Geburtstag kommen. Ich komm in beiden Bezirken vom 76. bis 79. zu Besuch. Sehr nötig ist aber auch oft, dass man jemand beim Sterben begleitet. Was waren Ihre Ziele in diesen 15 Jahren? Die Menschen meiner Generation haben oft die Vergangenheit nicht verarbeitet. Und ich war ja auch selber mit dem Fahrrad bei der Olympiade in Berlin und mit Überzeugung bei der Wehrmacht. Aber wenn jetzt immer noch welche sagen, beim Adolf hätte es das und das nicht gegeben, dann liegt es mir am Herzen, meine Meinung deutlich zu sagen. Wer oder was hat Ihnen besonders geholfen? Am meisten die Dankbarkeit der Menschen. Und es ist auch noch ein Stück Erfüllung meines Jugendziels, als ich Pfarrer werden wollte Seit einem Jahr hat Herr Boß die Vorbereitung und Durchführung der Ausflüge übernommen. Der Gemeinde würde ich aber wünschen, dass noch mehr jüngere Rentner zur Mitarbeit bereit wären. Und was wünschen Sie sich für die Zukunft? Hier in der Südstadt sieht man mich oft mit schnellen Schritten unterwegs. Aber ich werde 75, und wenn ich die Neckargasse raufgehe, muss ich langsam tun. Mir ist nicht wichtig, dass einmal gesagt wird: er war bis zu seinem Tod rastlos tätig. Manchmal hätte ich gerne mehr Zeit für mich und für meine Familie. Doch den Club lasse ich deswegen nicht im Stich. Anmerkungen: 1 Das Gespräch führte Hans-Ulrich Dapp, November

253 Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal Harry Waßmann Eine christliche Kirche, benannt nach Graf Eberhard im Bart ( ), Herzog von Württemberg, das ist einzigartig. Allerdings: Kein Zeichen, kein Symbol, kein Bild weist bis heute in dieser Kirche auf ihren Namensgeber hin. 1 Warum so zurückhaltend? Ein katholischer, weltlicher Landesherr, Vater mindestens zweier vorehelicher Söhne, einer, der in seinem Testament verfügt hat, man möge die Juden seines Landes vertreiben, das ist erst einmal kein Namenspatron, auf den sich eine Evangelische Gemeinde heute gerne beziehen mag. Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Stimmen, die sagten, Wie könnt ihr eure Kirche weiter nach einem Judenvertreiber benennen? Das müsst ihr ändern! Das geschieht nicht auch nicht im Jubiläumsjahr Vielmehr hat der Kirchengemeinderat 2010 einstimmig beschlossen, am Ende des Festjahres den Gemeindesaal nach Lilli Zapf zu benennen. Warum es bei der Eberhardskirche bleibt und wieso ein Lilli-Zapf-Gemeindesaal an seine Seite tritt, wird hier erläutert. auf der Brücke errichtet und im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen wurde. Vielmehr steht der Name Eberhardskirche auch für eine sich in der Namensgebung ausdrückende Verwandtschaft mit der Stiftskirche, denn Eberhard und seiner Universitätsgründung verdankt sich auch die Stiftskirche St. Georg. So trägt Eberhard-Denkmal auf der Neckarbrücke, 1903 Eberhardskirche ein passender Name? Es ist keineswegs nur ein unglücklicher Zufall, dass der Tübinger Kirchengemeinderat 1910 beschlossen hat, die im Industrieviertel entstehende Kirche nach Graf Eberhard im Bart zu benennen. Eberhard verweist auf den Gründer der Universität und verbindet die im Tübinger Jenseits wohnen jenseits von Neckar und Bahnlinie, zwischen Industriebetrieben und Kasernen mit der Geschichte der Universitätsstadt. Und zwar nicht nur baulich durch die Eberhardsbrücke und durch das vom württembergischen König Wilhelm II. gestiftete Eberhard-Denkmal, das

254 Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal der erste nachreformatorische evangelische Kirchenbau in Tübingen, die erste Filiale der Stiftskirche, aus gutem Grund den Namen von Eberhard im Bart. Es war der Geist der Zeit, ein fragwürdig gewordenes System von Monarchie und Aristokratie durch Bauwerke und Straßennamen im öffentlichen Bewusstsein zu verankern - abzulesen etwa auch an den Straßennamen in der Umgebung der Kirche. Es gibt aber auch etliche gute geistliche Motive für den Namen»Eberhardskirche«. Stiftskirche Tübingen - Graf Eberhard mit Palme und Wahlspruch: Attempto!»Vor Luthero lutherisch gewesen«der Eberhard-Forscher Gerhard Faix merkt an: In den folgenden Jahrhunderten wurde festgestellt, das Eberhard vor Luthero lutherisch gewesen und recht evangelisch gestorben sei. 2 Wenn dieses Urteil auch erkennbar mit dem Interesse zusammen geht, den altgläubigen Eberhard nach der Überführung seines Leichnams vom Einsiedel in die Stiftskirche (1537) der reformatorischen Bewegung einzuverleiben, ist diese Sicht auf Eberhard doch nicht ganz unbegründet. Eberhard war ein tief im Glauben verwurzelter weltlicher Herrscher. Als hätte sein Vater Ludwig I. (gest. 1450) diese Anlage geahnt, hat er doch auf dem Sterbebett seine Räte unter Eid verpflichtet, den Sohn nicht die lateinische Sprache lernen zu lassen. Eberhard war gerade einmal fünf Jahre alt, als sein Vater starb 3 und dessen Verbot, aus Eberhard einen Lateiner zu machen... sollte wohl verhindern, dass Eberhard ein Kleriker wird, der dann für den Erhalt der Dynastie nicht in Frage gekommen wäre. 4 Zu so etwas wie einer geistigen Wende wurde für Eberhard offenbar seine Pilgerreise nach Jerusalem im Jahr Hier wird er mit 22 Jahren zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen und von hier soll er auch seine Devise Attempto (Ich wag s), sein Symbol, die Palme und die Barttracht mitgebracht haben, der er seinen Beinamen verdankt

255 Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal Bildung zu fördern, das war Eberhards humanistischer und insofern auch reformatorischer Impuls. Das kommt in seinem Geleitwort für die Universität prägnant zum Ausdruck:...helfen zu graben den Brunnen des Lebens, aus dem von allen Enden der Welt unversieglich geschöpft mag werden tröstliche und heilsame Weisheit zum Löschen des verderblichen Feuers menschlicher Unvernunft und Blindheit. 6 Heilsame Weisheit von allen Enden der Welt Eberhard war beseelt von einem universalen und im wörtlichen Sinne ökumenischen Bildungsinteresse, das so weit reichte, dass er sich wegen seiner Lateinunkenntnis zum Zweck eigener Studien Werke in die Landessprache übersetzen ließ. 7 Bruder vom gemeinsamen Leben Chorgestühl Herrenberg Besonders greifbar wird Eberhards geistlicher Reformwille, da er die Brüder vom gemeinsamen Leben in Württemberg ansiedelte einen in den Niederlanden im 14. Jahrhundert gegründeten Reformorden. Zuerst in Urach (1477), Herrenberg (1481), Dettingen/Erms (1482), Tachenhausen/Oberboihingen (1486) und Tübingen (1482), später auch auf dem Einsiedel (1492). Eberhard berief Gabriel Biel (um ), einen hoch angesehenen Vertreter der Brüder vom gemeinsamen Leben und Vordenker der Reformation als Probst nach Urach und als Professor an die Universität Tübingen ( ). Die Gemeinschaft der Brüder wegen der hohen Mützen auch Kappenherren genannt war ein Orden ohne Standesgrenzen und Gelübde. 8 Sie suchten einen Mittelweg zwischen klösterlichem und profanem Leben vergleichbar heutigen christlichen Kommunitäten wie Taizé oder Selbitz. Für ihr Zusammenleben wählten die Brüder die Regel des Kirchenvaters Augustinus von Hippo ( ). Auch wollten sie ihren Unterhalt durch Arbeit selber verdienen. Das Ziel der Gemeinschaft war das gemeinsame Leben nach dem Vorbild der apostolischen 255

256 Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal Urgemeinde, also nach Vollkommenheit zu streben und in der Freiheit des christlichen Gesetzes unter dem einen Abt Jesus Christus zu leben. 9 Dazu gehörte wie selbstverständlich die vollkommene Gütergemeinschaft. Schön, dass ausgerechnet Otto Meyer, der erste Pfarrer der Eberhardskirche, seine Dissertation 1913 der Erforschung dieser Gemeinschaft gewidmet hat. Eberhards in Auftrag gegebenes und unvollendet gebliebenes Gebetbuch 10, seine Vaterunserkette (Paternoster) aus Rosenholz, sein Gebetsstuhl in Urach alles das lässt einen Herrscher erkennen, der nicht von ungefähr seine letzten Lebensjahre in der Gemeinschaft der Brüder vom gemeinsamen Leben auf dem Einsiedel verbracht hat und seinem Testament gemäß 1496 dort begraben wurde an der Seite seines ein Jahr zuvor verstorbenen geistigen Vaters Gabriel Biel. Man bedenke: Noch ein Jahr zuvor war Eberhard in Worms am 21. Juli 1495 feierlich zum Herzog ernannt worden und ausgerechnet er als Herzog und Angehöriger des hoch angesehenen Ordens vom Goldenen Vlies lässt sich beerdigen in der einfachen, blauen Kutte der Kappenherren. 11 Eberhard soll seine Herrschaft nicht auf Unterdrückung gegründet haben. Der reichste Fürst, das ist nach dem gleichnamigen Gedicht von Justinus Kerner ( ) der Graf im Bart!, denn der konnte von sich sagen: Ich mein Haupt kann kühnlich legen // jedem Untertan in Schoß. 12 Sehr berührend ist in diesem Zusammenhang das überlieferte Gebet Eberhards, das er im Angesicht seines Todes gesprochen haben soll. Es ist eine eindringliche Bitte um Verzeihung. Hier betet auf dem Sterbebett ein Regent, der um seine Fehler und Schuld weiß und davon sprechen kann: Schöpfer des Himmels und der Erde, Gott, laß mich erkennen, ob es jemand gibt, dem wider Gerechtigkeit meine Herrschaft allzu beschwerlich war, diesem soll Wiedergutmachung geleistet werden mit allen meinen Mitteln. Wenn aber nicht einmal dies dir genügen kann, gütiger Schöpfer, da ist mein Körper, den ich anbiete, den ich zum Opfer darbringe: strafe ihn ohn Unterlaß, er sei mein Sühnopfer. 13 Was für ein Namenspatron, dieser Eberhard im Bart: ein Nichtlateiner, ein Laie, ein vaterlos aufgewachsener, katholischer Regent ohne Nachfahren, ein an umfassender Bildung interessierter Förderer der Schulbildung, der sich einem soziale Klassen übergreifenden Orden anschließt, der kontemplativ lebt und der auf dem Sterbebett um Wiedergutmachung für seine Untergebenen betet. Man könnte meinen, da ist noch Einiges, was einer evangelischen Gemeinde auch im 21. Jahrhundert zu denken geben kann. Aber und auch das ist ein Ausfluss seiner Pilgerreise nach Jerusalem, seiner geistigen Wende als Ritter des Heiligen Grabes legte Eberhard das Versprechen ab, die Ungläubigen aus den Landen der Christen immer weiter hinauszutreiben. 14 Konsequent ließ er zur Gründung der Universität 1477 auch noch die fünf in Tübingen verbliebenen Juden aus der Stadt vertreiben und verfügte in seinem Uracher Testament 1492: Item es ist och unser Ordnung und letster will, das fürohin unser erben in unserer Herrschaft kainen Juden Seßhafft wonen noch dehain gewerb tryben lassen 15. Was für fatale Konsequenzen doch auch Jerusalemreisen haben können! Lilli-Zapf-Saal Eberhards Judenvertreibung kann im 21. Jahrhundert so nicht unkommentiert stehen bleiben. Nach Jahrhunderte langem Antijudaismus suchen Christen nach einem neuen Verhältnis zum Judentum, das auf Respekt und Achtung gründet und Freude am Lernen vom Judentum hat. Eine solche Neubesinnung auf Israel und seine Religion steht hierzulande bis 256

257 Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal heute noch im Schatten der Shoah: Deutsche haben Millionen europäischer Juden ermordet. In Tübingen gab es nach dem Krieg eine Neuzugezogene, die Zeit ihres Lebens ein solidarisches Verhältnis zu Juden und zum Judentum gelebt hat: Anna Mathilde Zapf (* 5. Januar 1896 in Nördlingen; 12. Dezember 1982 in Tübingen), genannt Lilli Zapf, eine evangelische Christin ohne geistliches Amt, die als Ledige von 1955 bis 1982 im Gertrud-Bäumer- Haus in der Memminger Straße 18 wohnte und zur Eberhardsgemeinde gehörte. 16 Sie war eine sehr regelmäßige und intensive Predigthörerin mit positiven, wie auch kritischen Rückmeldungen. Daran erinnern sich deutlich die Pfarrer der Siebziger Jahre, Peter Mittler und Paul Hägele. Lilli Zapf unterstützte mit ihrem Schreibbüro in Berlin in den 30er Jahren jüdische Studierende und Doktoranden. Nach Denunziation und Hausdurchsuchungen durch die Gestapo floh sie 1935 nach Den Haag. Dort arbeitete sie als Sekretärin für den jüdischen Juristen Henrik George van Dam 17. Sie tauchte nach dem Gertrud-Bäumer-Haus, Memminger Straße 18, Frauenwohnheim, Oktober 1955 Lilli Zapf gehörte zu den ersten Bewohnerinnen 257

258 Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal Einmarsch der deutschen Truppen unter, wurde gegen Kriegsende von der Gestapo gefasst, entkam aber einer Verurteilung. Sie wurde befreit durch den erfolgreichen Krieg der Alliierten gegen die deutschen Besatzer. Lilli Zapf kehrte 1949 nach Deutschland zurück und kam 1950 nach Tübingen, arbeitete hier als Sekretärin im Tropenheim und in der Universitätsnervenklinik. Ihr Anliegen war es, den Lebensgeschichten der vertriebenen, überlebenden und ermordeten ehemaligen Lilli Zapf, in den 50er Jahren Tübinger Juden nachzugehen. In ihrem Ruhestand hat sie jahrelang Nachforschungen angestellt und so ein Netz der Erinnerungen und der Möglichkeit für neuerliche Begegnungen geknüpft. Ihre Veröffentlichung Die Tübinger Juden (1974) widmet sie meinen jüdischen Freunden in aller Welt, den toten und den lebenden. Lilli Zapf gehört nicht zu den Nazijägern der Nachkriegszeit, die zu den besseren Deutschen gehören wollen vielleicht auch, weil ihre politische und religiöse Lebensgeschichte in die Zeit der Weimarer Demokratie zurückreicht. Lilli Zapf jedenfalls hat einzelne Tübinger Jüdinnen und Juden und ihre je eigenen Lebenswege erforscht Wohnorte, Berufe, Verwandtschaftsverhältnisse. Ihr kam es nicht auf historische Deutungsmuster an, sie interessierte sich für das Leben der Einzelnen. Nachdem das Gewaltpotential großer politischer Theorien deutlich geworden ist, ist dies eine Weise der Erinnerung, die Zukunft haben sollte. 100 Jahre Eberhardskirche 50 Jahre Gemeindehaus: mit der Namensgebung Lilli-Zapf-Saal entsteht nun ein spannungsvoller Zweiklang Der Kirchengemeinderat spricht sich einstimmig gegen Judenmission aus Die Eberhardsgemeinde erwirbt Bausteine für das Denkmal Synagogenplatz Die Eberhardsgemeinde übernimmt die Patenschaft für das Ehrengrab von Lilli Zapf Seit Februar 2009 kommt monatlich eine Lernstub zusammen, um von jüdischen Schriftauslegungen zu lernen und die Hebräische Bibel, das Alte Testament, neu zu verstehen Die Eberhardsgemeinde unterstützt die Initiative Stolpersteine in der Südstadt Der Gemeindesaal wird am 3. Advent 2011 in Lilli-Zapf-Saal umbenannt. 258

259 Von der Eberhardskirche zum Lilli-Zapf-Saal Lilli Zapf die große Tübinger Unbekannte, so betitelte Hans-Joachim Lang seinen Vortrag am 27. Januar 2007 im Großen Sitzungssaal des Tübinger Rathauses. Zwei Passagen daraus: Um Ihnen noch etwas von Lilli Zapfs Wesen nahe zu bringen, möchte ich aus einem ihrer Briefe schildern, wie sie Weihnachten feierte: Weihnachten feiere ich nicht mit Bewohnerinnen des Gertrud Bäumerhauses. Das habe ich noch nie getan. Ich bin da immer allein (außer ich bin bei meinen Geschwistern), und allein ist es auch am allerschönsten. Ich gehe am Abend zum Gottesdienst in die Christmette zur Stiftskirche, die an diesem Abend mit zwei riesigen Christbäumen wundervoll aussieht (...) Danach gehe ich langsam nachhause und höre noch bis an die Steinlach die Trompeten, die die Weihnachtslieder über die ganze Stadt blasen. Dann decke ich mir einen kleinen Tisch und lege die diversen Geschenke drauf (...), zünde ein paar Kerzen an (...), singe Weihnachtslieder, vor allem die holländischen, die viel schöner sind als die deutschen, esse eine Kleinigkeit und gehe dann meistens noch ein bis zwei Stunden auf die Straßen, um mir von außen die brennenden Christbäume anzusehen und an alle meine Lieben, auch an Sie, zu denken und für sie zu beten. Das ist meine Weihnachtsfeier. (...) Gefällt Sie Ihnen? Traurig bin ich nur deshalb ein wenig, weil ich nicht mehr bei meinen geliebten Eltern sein kann..., wo es immer wunderschön war an diesem Abend. Aber auch diese Wehmut geht wieder vorüber. Einmal feiern wir alle droben Weihnacht oder Chanukkah zusammen, da gibt es dann keinen Unterschied mehr zwischen Konfession, Rasse, Nation, reich und arm, klein und groß. Ich freue mich darauf. 3 Seine Mutter, Pfalzgräfin Mechthild, starb Faix, a.a.o. S.20 5 Faix, a.a.o. S.12f; s.a Gerhard Faix in seinem Vortrag Die Pilgerreise des Grafen Eberhard im Bart in der Eberhardskirche, So im Freiheitsbrief, der die Rechtsstellung der Universität gegenüber der Stadt sichert; zit.n. Faix, a.a.o.s.18 7 Faix a.a.o. S.20,f: die Geschichtswerke von Sallust, Livius, Josephus Flavius, ferner Ovids Metarmorphosen und Columellas Buch über die Landwirtschaft. 8 Sie begründeten diese standesübergreifende Gemeinschaft worauf mich Pfr.i.R. Martin Schupp hinwies offenbar aus einer Vorstellung vom dem Priestertum aller Getauften, verwandt der späteren lutherischen Lehre vom Priestertum aller Gläubigen. 9 Gabriel Biel Traktat über das gemeinsame Leben; zit.n. Faix, a.a.o.s Jakob Eschweiler, Das Eberhardgebetbuch, Stuttgart Faix, a.a.o.,s.38; ausgerechnet der von Eberhard zum Erben seines Privatvermögens bestimmte spätere Herzog Ulrich ließ den Orden 1517 aufheben. Faix, ebd. 12 zit. n. Faix, a.a.o., Faix, a.a.o., Faix, a.a.o., 12 nach einem zeitgenössischer Bericht der Ordination in der Heiliggrab Kapelle 15 zit, nach Lilli Zapf, Die Tübinger Juden, Tübingen, 1981, S. 16, Anm zur Biographie von Lilli Zapf: Winfried Setzler, Biografisches zu Lilli Zapf, aus Anlass der Preisverleihung des 1. Lilli-Zapf-Jugend-Preises im großen Sitzungssaal des Tübinger Rathauses am ; Michael Jaesrich, Lilli Zapf - ein Portrait, Vortrag zum 25.ten Todestag von Lilli Zapf am im Gemeindehaus Eberhardskirche. 17 Hendrik George van Dam, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, von seiner Gründung 1950 bis Ein klares Nein zur Judenmission, in: MITEINANDER Nr. 126, S. 1f. Manchmal träumte sie davon, Deutschland ein zweites Mal zu verlassen. An Georg Weil schrieb sie in die Schweiz: Man müsste in Israel leben können. Meinen Sie nicht auch? Wenn es nur irgendwie möglich sein kann, packe ich meine Habseligkeiten und wandere dorthin aus. Lachen Sie nicht, es ist mein ernstester Ernst. Es muß ein wunderbares Land sein, und hoffentlich nehmen mich die Israelis auch auf, was gar nicht selbstverständlich ist für eine Angehörige des Verbrecherlandes. (...) Anmerkungen: 1 Ein erster zaghafter Versuch ist seit 2009 die Ansiedlung einer Palme auf dem Vorplatz. 2 Gerhard Faix, Eberhard im Bart, Der erste Herzog von Württemberg, Stuttgart 1990, S

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