Nach der Trennung. 3. Tag Ich will was unglaublich Dummes machen. Ich sehe fern. Wieder ein Tag weggelitten.
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- Nele Hermann
- vor 7 Jahren
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Transkript
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2 Nach der Trennung 1. Tag Ich schneide mir die Pulsadern auf, und dann schlage ich im Erste-Hilfe-Buch nach, wie ein Druckverband geht, und dann mache ich das Bad sauber. Ich telefoniere mit einer Freundin, die sagt, ich solle froh sein, ihn loszuwerden, er wäre ein Muttersöhnchen. Ich finde das nicht. Er ist ja schon erwachsen. Er ist ein Muttersohn. 2. Tag Ich habe mich getrennt. Von meinen Haaren. Ich denke über ihn, dass er mein Müll ist. Ich trenne ihn. Er ist aber auch mein Tee, ich lasse ihn ziehen. Er ist einfach ein Pups, ich lasse ihn fahren. Ich bin ich und lasse mich gehen. Ich schminke mich nicht mehr. Das heult sich sowieso ständig weg. 3. Tag Ich will was unglaublich Dummes machen. Ich sehe fern. Wieder ein Tag weggelitten. 4. Tag Ich schneide mir die Pulsadern auf und weiß ja inzwischen, wie ein Druckverband geht. Diesmal habe ich es in der Küche gemacht, weil ich die eh mal putzen musste. Nächstes Mal mache ich es in der Stube. 5. Tag Mein Herz tut weh. Ich esse Bratwurst mit Auakraut. Ich spreche auf meinen AB, dass ich nicht ansprechbar bin und nicht zurückrufe, aber es ruft sowieso keiner an. Das finde ich schlimm. Ich gehe zu einer Telefonzelle und rufe mich an. Ich bin nicht zu Hause. Mein AB sagt, ich bin nicht ansprechbar. Ich lege deshalb auf. Zu Hause habe ich ein Tuten auf dem AB. Das macht mich irre. Wer hat mich nur angerufen? Hat er angerufen? Ich rufe ihn 19
3 an und frage, ob er mich angerufen hat. Er sagt nein. Ich sage tschüss und lege auf. Ich bin mächtig stolz auf mich. 6. Tag Ich mache mir vorher einen Druckverband und schneide mir dann erst die Pulsadern auf. Das find ich clever. Dann habe ich keinen Grund, meine Stube zu putzen, und darum mache ich es nicht. 7. Tag Eine Woche schon. Andere Frauen mussten jahrelang auf ihre Männer warten, wenn die im Krieg waren. Aber die wurden wenigstens geliebt. Ich möchte lieber, dass mein Mann im Krieg ist und mir liebe Briefe schreibt. Ich ohrfeige mich für diese Gedanken, bis ich knallrote Wangen habe. Ich treffe mich mit einer Freundin, die sagt, ich sähe gut aus, weil ich nicht so blass bin wie sonst. 8. Tag Meine Mutter sagt, er war sowieso nicht ihr Traumschwiegersohn. Ich weiß nicht, ob ich das wichtig finde. Ich habe wieder das dringende Bedürfnis, was Dummes zu machen. Ich schneide mir einen Arm ab. In der Stube. Als ich mir einen Druckverband machen will, merke ich, wie schwer das mit einer Hand ist. Fast wäre ich verblutet. Außerdem habe ich noch meine Tage. Die Stube putze ich mit links. Abends spiele ich einarmiger Bandit und klaue Rosen aus dem Stadtpark. An den Dornen pieke ich mich. So ist die Liebe, jaja. 9. Tag Ich kann Smileys weinen. Wenn ich im Bett auf dem Bauch liege und heule, entstehen zwei nasse Flecken, und weil ich sabber, entsteht unter den runden Flecken noch ein länglicher Fleck. Der grinst mich an. Jetzt liege ich nicht mehr allein im Bett. Mein neuer Freund trocknet ständig weg, und ich muss ihn erneuern. Dazu denke ich mir Geschichten aus, warum ich traurig bin. Ich 20
4 denke, dass ich wieder mit dem Mann zusammenkomme und er dann qualvoll stirbt. Davon muss ich nicht heulen. Davon bekomme ich richtig gute Laune. 10. Tag Ich höre mit dem Rauchen auf und fange wieder an, höre wieder auf und fange wieder an. Dann schneide ich mir die Pulsadern auf, aber nur an dem abgetrennten Arm. Das tut nicht weh und blutet auch nicht. 11. Tag Ich kann sein Profil aufs Kissen heulen. Na gut, ich habe vorher Zwiebeln geschnitten, weil ich gar nicht heulen musste, aber ich fand die Idee so toll. Dann habe ich es fotografiert und ihm geschickt. Dann habe ich ein brennendes Streichholz in den Briefkasten geworfen. 12. Tag Ich schneide mir ein Bein ab, aber nur auf einem Foto. Da brauche ich keinen Druckverband machen. Ich hüpfe in der Stube herum, um es authentischer zu machen. Es ist aber autistisch. Nach einer Stunde habe ich keine Lust mehr. Nach Heulen ist mir auch nicht. Was mach ich bloß? 13. Tag Kann wieder heulen. Kneife mich dafür in den Oberschenkel. Kann aus blauen Flecken sein Profil machen. Es ist gerade ein Straßenfest in der Nähe, und ich stelle mich mit einem Stand neben die Zuckerwatte und biete Kneiftattoos an. Ich kann Katzen und Käfer. Die Kinder verstehen mich. Sie weinen auch. 14. Tag Ich gehe nur noch da essen, wo es ungesalzenes Bioessen gibt. Drauf geheult ist halb gewürzt. Außerdem mag ich nicht noch einmal den Spruch hören, dass der Koch verliebt ist, wenn das Essen zu salzig schmeckt. 21
5 15. Tag Ich will was verbrennen von ihm. Da er mir keine Briefe geschrieben hat, angel ich die Briefe der Nachbarn aus den Briefkästen und verbrenne die. Dann gehe ich zur Post und lege da Feuer. Ich werde verhaftet, und endlich kann ich mich mal richtig ausquatschen. Die Polizisten hören mir stundenlang zu, sie schreiben sogar mit. Ich habe doch gewusst, dass das keine Null-achtfuffzehn-Trennung ist, sondern eine ganz besonders schlimme. Sie machen betretene Gesichter und finden, dass ich ganz schön verwirrt bin. Wieder zu Hause, fällt mir ein, dass er mir zehn Euro geborgt hat. Ich verbrenne einen Zehn-Euro-Schein. Da ich nicht weiß, ob es genau der Schein war, gehe ich zur Bank und hebe immer wieder zehn Euro ab, bis das Konto leer ist. Danach mache ich ein Feuerchen zu Hause. 16. Tag Ich will Fotos von ihm bemalen, mit Schnurrbart und Zahnlücke. Er hat aber schon beides in echt. Richtig schön ist er ja nicht. Ich kaufe fleischfarbenes Tippex und übermale seinen Schnurrbart. Sieht auch nicht besser aus. 17. Tag In meinem Horoskop steht, dass es mir gut geht. Okay! 22
6 Ich und Outdoor Sobald ich meine Wohnung verlasse, bin ich theoretisch outdoor, aber so leicht ist das nicht, denn es ist ja nicht gleich jeder outdoor, der mal eben schnell zum Bäcker geht. Für outdoor braucht man Equipment. Letzten Sommer plante ich eine längere Wanderung und stellte mir alles ganz schön vor. Mir war schon klar, dass einfach loslaufen nicht geht, aber wie sehr einfach loslaufen nicht geht, stand überall im Internet. Das ging nämlich gar nicht. Einfach loslaufen konnten nur noch Flüchtlinge, die über die Grenze wollten. Wer in seiner Freizeit loslaufen wollte, um an seine eigenen Grenzen zu kommen, der machte sich in den Augen der Profis ohne atmungsaktives Pipapo zum Hannes des Waldes. Allerdings stellte ich später fest, dass man sich in den Augen der normalen Landbevölkerung mit buntem atmungsaktiven Pipapo sowieso zum Hannes des Waldes macht. Es blieb mir also nur die Wahl, zu wessen Hannes des Waldes ich mich machte, zum Profi-Hannes-des-Waldes oder zum Amateur-Hannes-des- Waldes. Aber all das war mir noch nicht bewusst, als ich in der Vorbereitungsphase war. Man musste ja schon mal die Outdoor-Schuhe ein Jahr lang einlaufen, bevor man mit denen wandern durfte. Im Internet hatte ich gelesen, dass gute Schuhe eine bedeutendere Anschaffung sind als ein Spenderorgan. Die müssen absolut passen, aber absolut, wenn nicht, das mag man sich nicht ausmalen, da fault einem der Fuß ab, oder das ganze Bein verdreht sich um 90 Grad. Ich hab mich darum nicht getraut, Wanderschuhe bei Neckermann zu bestellen. Das könnte Abstoßungsreaktionen geben, die sich kein normaler Mensch vorstellen kann. Meine Füße würden im Laufen die Schuhe von sich schleudern. Außerdem muss man genau wissen, was man damit will, mit den Schuhen, Rad fahren, laufen, zum Outdoor-Bäcker gehen oder in einem Rapsfeld tanzen. Meine Eltern, die Barbaren, hatten mich in meiner Kindheit alles in Halbschuhen machen lassen. Ein richtiger 23
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