5 Phonologische Bewusstheit
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- Leon Färber
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1 5 Phonologische Bewusstheit Gerheid Scheerer-Neumann, Christiane Ritter 5.1 Theoretischer Hintergrund Vorschulkinder richten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf den Bedeutungsaspekt der Sprache und weniger auf ihre phonologischen Merkmale. So kann es sein, dass ein Vorschulkind auf die Frage: Welches Wort ist länger, Schmetterling oder Bus, mit Bus antwortet. Beim Erlernen einer lautbezogenen (phonographischen) Schrift wie der deutschen muss nun die Aufmerksamkeit auf die phonologischen Eigenschaften der Sprache gelenkt werden. Um das ökonomische Prinzip der alphabetischen Schrift nutzen zu können, müssen die Kinder im lautlichen Bereich lernen, auf zwei Segmente verschiedener Größe zu achten, bzw. mit ihnen umzugehen: Mit Silben und Phonemen ( Lauten ) 1 Silben sind die Einheiten der Artikulation beim Sprechen und deshalb den meisten Vorschulkindern relativ gut zugänglich (z. B. beim Silbenklatschen). Einige Kinder finden diesen spontanen Zugang jedoch nicht und es ist sehr wichtig, sie früh zu erkennen und ihnen zusätzliche Übungen anzubieten. Die Segmentierung von Wörtern in Silben ist beim Schreiben längerer Wörter unerlässlich; nicht nur erfolgreiche Kinder sprechen beim Schreiben die Wörter silbenweise mit. Beobachten Sie sich einmal selbst beim Schreiben von Wörtern wie Schokolade! Beim Lesenlernen muss die Silbengliederung auf die Schrift übertragen werden: Die Kinder müssen die Stellen zwischen den Graphemen (Buchstaben) erkennen, die die Silbengrenzen markieren. Dieses Problem wird im Rahmen der Lernstandserhebung während des 1. Schuljahres aufgegriffen werden. Während die meisten Kinder die Gliederung von vorgesprochenen Wörtern in Silben schon zu Schulbeginn recht gut meistern, ist das Heraushören von Phonemen ( Laute ) der gesprochenen Sprache für alle eine Herausforderung. Dies liegt daran, dass Phoneme abstrakte, künstliche Einheiten sind, die so in der gesprochenen Sprache gar nicht vorkommen: /r/-/o/-/t/ ist qualitativ etwas anderes als /rot/ 2. Für die Nutzung der alphabetischen Schrift muss aber auf die kleinsten phonologischen Einheiten und ihre graphischen Korrespondenzen die Buchstaben bzw. Grapheme 3 zurückgegriffen werden. Aus diesen drei Tatsachen Vorrangige Aufmerksamkeit des Vorschulkindes auf die Bedeutung von 1 Laute (oder Phone) einer Sprache sind die kleinsten lautlichen Einheiten, die möglichst genau in der Lautschrift wiedergegeben werden und auch dialektale Aussprachen kennzeichnen können. Phoneme sind auch kleinste sprachliche Einheiten, aber sie fassen Laute zu Lautklassen zusammen, die bedeutungsunterscheidend sind (z.b. /bal/ vs. /fal/). In der Literatur wird aber nicht immer sauber zwischen den Begriffen getrennt. 2 In diesem Kapitel wird die folgende Notation benutzt: [ ] für Laute, / / für Phoneme und < > für Buchstaben oder Grapheme. 3 Grapheme sind Buchstaben oder Buchstabengruppen (z.b. <sch>), die mit Phonemen korrespondieren. 1
2 Wörtern und nicht auf ihre phonologischen Merkmale Wichtigkeit der phonologischen Merkmale einer Sprache für eine alphabetische Schrift Objektive Schwierigkeit der Analyse einzelner Phoneme aus einem Wort folgt, dass die phonologische Analyse sowohl ein wichtiger Bereich des Schriftspracherwerbs ist, aber auch ein Stolperstein oder Flaschenhals sein kann Begriffe Man spricht heute von phonologischer Bewusstheit, um die phonemanalytische Kompetenzen von Kindern zu bezeichnen. Phonologische Bewusstheit im engeren Sinn bezieht sich auf die kleinsten Einheiten, die Phoneme ( Laute ). Die Analyse von Wörtern in größere Einheiten (Silben, Silbenbeginn-Reim) wird zur phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn gerechnet. Die linguistischen Einheiten Silbenbeginn und Reim ergeben sich aus der Abtrennung des konsonantischen Anfangs einer Silbe und dem Silbenrest wie in /h-olt/ oder /kr-eis/. Dass der Silbenbeginn nicht nur eine linguistische, sondern auch eine psychologische Einheit ist, kann man aus Antworten von Erstklässlern wie der folgenden ersehen: Brille fängt mit br an. Besteht der Silbenbeginn aus mehreren Konsonanten, ist er nicht nur schwierig zu analysieren, sondern auch zu synthetisieren: <Brot> ist eindeutig schwieriger zu erlesen als <rot>, <Preis> schwieriger als <Reis>. Zur Entscheidung darüber, ob sich zwei Wörter reimen, muss die Aufmerksamkeit unter Vernachlässigung des Silbenbeginns auf den Silbenreim gerichtet werden. Insgesamt befassen sich phonemanalytische Aufgaben mit den folgenden relevanten linguistischen Einheiten: Silben (kro-ko-dil) Silbenbeginn und Reim (br-ot) Phoneme (r-o-t) Die Schwierigkeit von phonemanalytischen Aufgaben wird teilweise durch die Größe der linguistischen Einheit bestimmt, nach der gefragt wird. So sind Segmentierungsaufgaben auf Silbenebene (kro-ko-dil) für Schulanfänger eindeutig leichter als auf der Phonemebene (r-o-t) Die Schwierigkeit einer Aufgabe wird daneben aber maßgeblich auch von den spezifischen Operationen bestimmt, die zur Aufgabenlösung durchgeführt werden müssen. Hier sind die Anforderungen im Schwierigkeitsgrad sehr unterschiedlich und es ist sowohl für die Auswahl von Analyseaufgaben als auch von Übungsaufgaben sehr wichtig, sich über die Unterschiede im Klaren zu sein. Man unterscheidet vor allem vier Typen von Operationen: Segmentieren/Analysieren: Ein Wort soll in vorgegebene linguistische Einheiten (Silben, Phoneme) gegliedert werden (Varianten: vollständige Analyse versus Analyse nur eines Segments, z. B. des Anlauts) Herausfinden (Identifizieren): Es wird z. B. gefragt, ob ein vorgegebener Laut in 2
3 einem Wort vorhanden ist. (Varianten: Die Position der Einheit im Wort soll bestimmt werden am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Wortes. Oder: Vorgabe des kritischen Lautes in gesprochener Form oder als geschriebener Buchstabe vs. Vergleich z. B. des Anlauts bei mehreren Wörtern.) Synthetisieren: Vorgegebene linguistische Einheiten sollen zusammengefügt werden (/b-unt/ zu /bunt/, /r/ /o/ /t/ zu /rot/) Manipulieren: Silben/Laute/Silbenbeginn/Reim sollen weggelassen, hinzugefügt oder vertauscht werden ( Was bleibt übrig, wenn ich von /mein/ das /m/ weglasse? ) Das Manipulieren beinhaltet im Vergleich zu den anderen Operationen eindeutig die höchsten Anforderungen. Entsprechende Aufgaben können in Analysen genutzt werden, die auch im oberen Leistungsbereich differenzieren sollen; als Übungen zum Training der phonologischen Bewusstheit sind sie im ersten Schuljahr und auch später bei langsam lernenden Kinder ungeeignet. Dies gilt auch für Silben, die ja eigentlich leichter zugänglich sind. Während die Segmentierung von Wörtern in Silben zu Beginn des ersten Schuljahres den meisten Kindern recht leicht fällt, haben sie große Schwierigkeiten, aus zweisilbigen Wörtern neue Kombinationen zusammenzusetzen (z.b. aus Lö-we und Ze-bra Löbra zu konstruieren, vgl. Martschinke, Kirschhock & Frank 2001). Das Herausfinden (Identifizieren) von Einheiten ist im Vergleich zur Manipulation eine leichtere Aufgabe, die aber durch zusätzliche Anforderungen (Angabe der Position) erschwert werden kann. Eine weitere Erschwerung tritt ein, wenn ähnlich klingende Laute herausgefunden und unterschieden werden müssen. Der u. a. von Breuer & Weuffen verwendete Begriff der phonematischen Differenzierung fokussiert diese Fähigkeit, (ähnliche) Phoneme zu unterscheiden (z. B. <Nadel> vs. <Nagel>). Die unterschiedlichen Anforderungen in einzelnen Aufgaben und die entsprechenden O- perationen werden im Zusammenhang mit den Analyseaufgaben und den Übungsvorschlägen noch einmal aufgegriffen. 5.2 Welche phonemanalytischen Kompetenzen werden bei Schulbeginn erwartet? Im Wesentlichen bilden sich die phonemanalytischen Kompetenzen erst durch den Umgang mit Buchstaben und Phonemen, also unmittelbar beim Lesen- und Schreibenlernen heraus. Im Vorschulalter und kurz vor und nach dem Schuleintritt gibt es jedoch beginnende Fähigkeiten, die die nachfolgende Entwicklung recht gut vorhersagen und schon deshalb von Bedeutung sind. Kinder zu Beginn des ersten Schuljahres sollten vorgesprochene Wörter in Silben gliedern, Reime erkennen und in einem gewissen Maß die Anlaute von Wörtern heraushören können. Ebenso sollten sie in Ansätzen dazu in der Lage sein zu sagen, ob ein vorgegebener Laut in einem vorgesprochenen Wort vorkommt. Wie schon erwähnt, entwickelt sich phonologische Bewusstheit vor allem während des Schriftspracherwerbs, bei manchen Kindern sogar explosionsartig. Es ist deshalb sinnvoll 3
4 und notwendig, entsprechende Untersuchungen/Beobachtungen im Laufe des ersten Schuljahres mehrfach zu wiederholen. Dann sollten fortgeschrittene Kompetenzen zu beobachten sein. 5.3 Verfahren zur Erfassung phonemanalytischer Kompetenzen bei Schulbeginn Zur Untersuchung der phonologischen Bewusstheit bei Schulbeginn stehen in Deutschland derzeit zwei überprüfte Verfahren zur Verfügung: Der Rundgang durch Hörhausen von Martschinke, Kirschhock & Frank (2001) Das Bielefelder Screening (BISC) von Jansen, Mannhaupt, Marx & Skowronek (1999) Beide Verfahren sind Einzelverfahren und damit zeitaufwändig (30-40 Minuten). Das Bielefelder Verfahren wurde vor allem für den Vorschulbereich entwickelt und stößt im ersten Schuljahr schnell an seine Grenzen und ist entsprechend nur für sehr leistungsschwache Kinder geeignet. Dagegen liegen für den Rundgang durch Hörhausen Werte sowohl für den Schulanfang als auch für die Mitte des ersten Schuljahres vor. Für den vorliegenden Reader wurden Aufgaben entwickelt, die in der Gruppe durchführbar sind. Es wurden gut verständliche Aufgaben gewählt, die keinen zu hohen Schwierigkeitsgrad haben; sie differenzieren entsprechend vor allem zwischen Kindern mit guten bis ausreichenden Voraussetzungen und Kindern mit einer noch sehr gering entwickelten phonologischen Bewusstheit. Für eine Differenzierung im oberen Leistungsbereich wäre zusätzlich das Verfahren von Martschinke et al. (2001) anzuwenden. Es wurden die folgenden Aufgaben ausgewählt, die die linguistischen Einheiten Silbe, Reim und Phonem umfassen. Es folgt eine kurze Beschreibung der Aufgaben und der in etwa erwarteten Leistungen. 5.4 Aufgaben für die Gruppe 5.4.a Gliedern von vorgesprochenen Wörtern in Silben (Schreiben von Silbenbögen) Aufgabe: Auf einem Bogen sind Bilder zu sehen. Die entsprechenden Wörter werden einzeln von der Lehrkraft benannt. Danach schreibt jedes Kind zu jedem Wort die Anzahl der Silben als Silbenbögen jeweils unter das Bild. Das Schreiben von Silbenbögen sollte schon einmal geübt worden sein. Als Vorübung bietet sich Silbenklatschen an. Erwartete Leistung: Mit Ausnahme von einsilbigen Wörtern, die von den Kindern gern in zwei Silben geteilt werden (/ga-ans/), müsste die Silbengliederung den meisten Kindern gut gelingen, so dass etwa vier von sieben Antworten richtig sein sollten. Sehr viel schlechtere Leistungen sind auffällig. 4
5 5.4.b Erkennen von Reimwörtern Aufgabe: Bei zwei von drei vorgegebenen Bildern, die jeweils von der Lehrkraft benannt werden, reimen sich die entsprechenden Wörter. Sie sollen angekreuzt werden. (z. B. Haus, Käse, Maus). Erwartete Leistung: Auch diese Aufgabe sollte für die meisten Kinder recht gut zu bewältigen sein. Es werden bei sieben Aufgaben vier richtige Antworten erwartet. 5.4.c Erkennen des gleichen Wortanfangs Aufgabe: Zu zwei von drei vorgegebenen Bildern beginnen die entsprechenden Wörter mit dem gleichen Anlaut. Sie sollen angekreuzt werden. (z. B. Apfel, Birne, Affe) Erwartete Leistung: Da sich diese Aufgabe auf die Phonemebene bezieht, ist sie schwerer zu lösen als Aufgaben 1 und 2. Unmittelbar nach Beginn des Schuljahres werden nur drei bis vier richtige Antworten bei sieben Aufgaben erwartet. 5.4.d Heraushören eines Lautes Aufgabe: Die Kinder sollen durch ein Kreuz unter einem Bild entscheiden, ob in dem entsprechenden Wort ein vorgegebener Laut vorkommt, ohne seine Position genauer zu analysieren. Der kritische Laut befindet sich bei einigen Wörtern in der Position des Anlauts, bei anderen als Endlaut oder in der Mitte des Wortes. Von 18 Bildern enthalten neun den entsprechenden Laut, neun nicht. Diese Aufgabe sollte erst durchgeführt werden, wenn die entsprechenden Buchstaben (M, A, L) eingeführt wurden. Die einzelnen Bögen (M, A, L) können zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingesetzt werden. Erwartete Leistung: Nach der Einführung der entsprechenden Graphem-Phonem- Korrespondenz sollten (fast) alle Anlaute, die Mehrzahl der Endlaute und die Hälfte der Laute in der Mitte richtig erkannt werden. 5.4 Auswertung Aus den Ergebnissen der Aufgaben 1 bis 3, die zu Beginn des Schuljahres durchgeführt werden sollten, lässt sich ein Summenwert berechnen, der etwas stabiler ist als die einzelnen Werte. Dazu addiert man für jedes Kind die in den drei Aufgaben erzielten Ergeb- 5
6 nisse. Es können maximal 21 Punkte erreicht werden. Etwa 14 bis 15 Punkte werden erwartet. 5.6 Einzelverfahren Kinder, deren Werte im Gruppenverfahren auffällig sind, sollten in einer Einzelsituation beobachtet werden. Im Einzelverfahren wird deutlich, ob ein Kind eine Aufgabe (z. B. reimen) gar nicht bewältigen kann oder sich z. B. durch die semantisch verwandten Bilder von den phonologischen Eigenschaften eines Wortes ablenken lässt. Es könnte auch ein falschen Alarm bereinigt werden, falls ein Kind im Gruppenverfahren nur Schwierigkeiten mit den Anweisungen hatte. Im Einzelverfahren sollte prinzipiell die gleichen Anweisungen wie im Gruppenverfahren gegeben werden; wenn zusätzliche Hilfen angeboten werden, ist dies zu vermerken. Bei der Einzelbeobachtung sollte auch auf Sprachauffälligkeiten geachtet werden. Als Einzelverfahren können bei leistungsschwachen Kindern auch die weiter oben erwähnten standardisierten Verfahren eingesetzt werden. Während das Bielefelder Screening (BISC) zu Beginn des ersten Schuljahres nur bei sehr leistungsschwachen Kindern angezeigt ist, beinhaltet der Rundgang durch Hörhausen auch sehr anspruchsvolle Aufgaben, bei denen die Leistungssteigerung während des 1. Schuljahres gut zu beobachten ist. Das Bielefelder Screening enthält auch Aufgaben aus anderen kognitiven Bereichen (z. B. visuelle Aufmerksamkeit). 5.7 Förderung phonemanalytischer Kompetenzen In den ersten Monaten des ersten Schuljahres sind für die meisten Kinder und besonders natürlich für die in den Aufgaben leistungsschwachen Übungen zur Steigerung der phonemanalytischen Kompetenzen angezeigt. In die Übungen sollten alle Ebenen - Silben, Reime und Phoneme - einbezogen werden. Bei leistungsschwachen Kindern ist schwerpunktmäßig auf die spezifischen Probleme zu achten, die sich in den Aufgaben gezeigt haben; es kann z. B. sein, dass ein Kind besonders im Silbenbereich weit mehr Förderung benötigt als andere Kinder. Zur Förderung phonemanalytischer Kompetenzen liegen eine Reihe von Programmen und Materialien vor. Es folgt eine Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. 5.8 Veröffentlichte Programme/Materialien 1. Vor allem für langsam lernende Kinder geeignet ist das Programm Hören, lauschen, lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter von Küspert & Schneider, 3. Aufl. 2001, wobei nicht unbedingt mit den ersten Einheiten begonnen werden muss. 6
7 2. Allgemein angemessen für die Erfordernisse des 1. Schuljahrs und sehr ansprechend ist das Programm von Forster & Martschinke Leichter lesen lernen mit der Hexe Susi. Übungen und Spiele zur Förderung der phonologischen Bewusstheit (2001) (Kopiervorlagen). 3. Kopiervorlagen für vielerlei Spiele finden sich in dem Buch von A. Auf m Kolk: Lesen üben leicht gemacht! Arbeitsmittel und Spiele für den Erstleseunterricht 2. Aufl Donauwörth: Auer. 4. Von der gleichen Autorin gibt es einen 2. Band: A. Auf m Kolk: Lesen üben leicht gemacht! Arbeitsmittel und Spiele für das weiterführende Lesen 2. Aufl Donauwörth: Auer. 5. Sehr zu empfehlen ist auch die Lernkiste Lesen und Schreiben von Dagmar Mahlstedt. Es handelt sich um Fibelunabhängige Materialien zum Lesen und Schreiben lernen 3. Aufl. 1999, Weinheim: Beltz. 6. Neu erschienen ist: Ganser, B. (Hrsg.): Damit hab ich es gelernt. Materialien und Kopiervorlagen zum Schriftspracherwerb 3. Aufl. 2003, Donauwörth: Auer. 7. In dem Spieleset zur Regenbogenlesekiste (Balhorn et al.) finden sich schon fertige Spiele (Domino, Memory, Würfelspiel) zur Identifizierung des Anlautes und den dazugehörigen Graphemen. 5.9 Kriterien für die Auswahl von Übungen Sowohl bei der Nutzung von Programmen als auch bei der Zusammenstellung von eigenem Material ist es wichtig, sich bei jeder einzelnen Übung über ihre Anforderung und ihren Nutzen im Klaren zu sein. Man muss ein Verständnis dafür entwickeln, welche Aufgaben welche Teilprozesse üben und wie schwierig sie für die Kinder zu bewältigen sind. Zu Beginn des ersten Schuljahres sind die Aufgaben zunächst danach zu sortieren, ob sie Buchstabenkenntnisse voraussetzen. Möglich sind zunächst nur Aufgaben, die ausschließlich aufgrund der gesprochenen Sprache zu lösen sind. Hier ist das Wortmaterial daraufhin zu prüfen, ob das Erwartete tatsächlich hörbar ist. Konstrukteure von Aufgaben lassen sich oft von ihrem Graphemwissen leiten: So findet man Aufgaben, in denen das [r] in [u: ] oder in [kof ] herausgehört werden soll. Es ist aber nicht hörbar, weil am Wortende das <r> nicht als [r] gesprochen wird. Sobald aber erste Phonem-Graphem-Korrespondenzen im Unterricht eingeführt wurden, sollten diese auch im Rahmen von phonemanalytischen Übungsaufgaben eingesetzt werden; Phoneme und die lautliche Struktur von Wörtern sind für Kinder leichter zu begreifen, wenn sie durch Grapheme konkretisiert werden. In empirisch überprüften Übungsprogrammen hat sich entsprechend ein größerer Fortschritt bei der gleichzeitigen Verwendung von Phonemen und Graphemen im Vergleich zu rein phonemanalytischen Übungen gezeigt. Die Auswahl der Übungen wird erleichtert, wenn man sich an den linguistischen Einheiten und Operationen orientiert, die in diesem Kapitel unter Begriffe erläutert wurden. Wie dort erklärt wurde, sind alle Aufgaben schwierig, die eine Manipulation von Silben, Pho- 7
8 nemen oder anderen Einheiten erfordern z. B. die Vertauschung oder das Weglassen von Einheiten (z. B. von Hut und Mund zu Mut und Hund). Diese Aufgaben sollten älteren oder besonders leistungsstarken Kindern vorbehalten bleiben. Für die ersten Monate des Anfangsunterrichts im Schriftspracherwerb und besonders für langsam lernende Kinder sind die folgenden Übungen geeignet: Gliederung (Segmentierung) von Wörtern in Silben Wie in den Analyseaufgaben können zu vorgesprochenen Wörtern oder Bildern Silbenbögen geschrieben werden. Für langsam lernende Kinder ist diese Übung auch noch im späten 1. und 2. Schuljahr sinnvoll; sie sollte dann durch das Schreiben der Vokale in die Silbenbögen ergänzt werden. Neben dem Schreiben von Silbenbögen bieten sich motorische Reaktionen an: Silbenklatschen, Silbenschreiten (ein Schritt für jede Silbe; in einer Variante dürfen sich die Kinder selbst lange Wörter ausdenken, so dass sie viele Schritte vorankommen), Wortkarten in Würfelspielen (man darf so viele Schritte vorangehen, wie das Wort Silben hat). Reimaufgaben Reimaufgaben lassen sich in vielen Varianten durchführen. Besonders attraktiv ist es für Kinder, selbst Reime zu finden: Ich hatte einen Traum. Ich saß auf einem Baum. Dazu kann man zeichnen lassen. Manche Reimspiele sind relativ schwer, weil gleichzeitig mehrere Wörter präsent sein müssen. Dies gilt z.b. für das Reim-Domino. Das Reim-Memory (Rose und Hose bilden z.b. ein Paar) ist ebenfalls ziemlich schwierig, da die Paare nicht als visuell zusammengehörig erkannt werden können (Es empfiehlt sich, diese Spiele selbst auszuprobieren.). Analyse des Anlauts Auch hierzu gibt es viele Aufgabenvarianten unterschiedlicher Schwierigkeit. Bei allen Aufgaben sind die Anlaute leichter bei Wörtern mit einfacher Konsonant-Vokal-Struktur (F- Fisch) am Silbenbeginn im Vergleich mit Konsonantenhäufungen (F-Flasche) herauszuhören. Deshalb sollte mit einfachen Silbenrändern begonnen werden. Am leichtesten ist die Entscheidung, ob ein vorgegebenes Wort mit einem vorgegebenen Laut beginnt (Laut-zu-Wort-Vergleich: Fängt Apfel mit O an?). Schwieriger ist schon der Wort-zu-Wort-Vergleich ( Klingen Fisch und Flasche am Anfang gleich? ). Noch schwieriger wird die Aufgabe, wenn die Kinder den Anlaut eines Wortes angeben sollen ( Mit welchem Laut fängt Fisch an? ). Hier bereiten vor allem Konsonantenhäufungen ( Konsonantencluster ) Probleme. Anlautaufgaben eignen sich auch sehr gut zur Einführung von Phonem-Graphem- Korrespondenzen. Jedes Kind sollte über eine Anlauttabelle verfügen. Schöne Spiele zur Analyse des Anlauts sind: - Anlautteller (ausgeschnittene Gegenstände, deren korrespondierende Wörter mit 8
9 dem kritischen Laut beginnen), - Anlautposter (s. o.), - Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst, und das fängt mit an!, - Laufspiel in der Turnhalle oder im Freien: Es gibt vier Ecken mit vier Phonemen/ Buchstaben. Die Lehrkraft oder ein Kind sagt ein Wort, die anderen rennen in die richtige Ecke, die dem Anlaut entspricht. (Auch möglich: Verschiedene Kinder sind Detektive für verschiedene Anlaute), - Ballspiel in kleinen Gruppen: Der Ball wird einem Kind mit einem Wort zugeworfen; es darf ihn weiter werfen, wenn es auch ein Wort mit dem gleichen Anlaut kennt. Analyse des End- und Mittellautes Arbeitsbögen wie in Aufgabe 4 enthalten Wörter bzw. die korrespondierenden Bilder, bei denen sich der kritische Laut in unterschiedlicher Position im Wort befindet. Das Kind muss sich aber lediglich zur An- bzw. Abwesenheit des Lautes äußern. Weit höhere Anforderungen stellen Aufgaben, bei denen die Kinder die Position des Lautes angeben müssen oder einen Laut in einer bestimmten Position benennen sollen. Während der Auslaut infolge seiner akustisch herausgehobenen Position noch ganz gut analysierbar ist, ist die Aufgabe, das Wortinnere zu analysieren, schwierig und mit der Ausnahme von Wörtern mit der Struktur Konsonant-Vokal-Konsonant (z. B. Hut) auch uneindeutig. Gehört das /l/ in /blume/ wirklich zum Wortinnern? (vgl. Trennung in Silbenbeginn und Reim). Solcher Art von Lokalisationsaufgaben sind schwieriger als die Analysen, die beim authentischen Lesen und Schreiben gefordert werden. Sie sind deshalb vor allem für den Lese- und Schreibanfang nicht geeignet. Die Rolle von Graphemen (Buchstaben) in der Phonemanalyse Es wurde weiter oben schon darauf hingewiesen, dass Buchstaben (Grapheme) für Kinder eine wichtige Rolle als konkrete Verankerung von Phonemen spielen. Deshalb sollte die Phonemanalyse auch keine Einbahnstraße sein. Sobald schon etwas gelesen werden kann, ist es auch sinnvoll, Phoneme anhand von Graphemen zu verdeutlichen. Reine phonologische Aufgaben dürfen nicht zu anspruchsvoll sein. Komplexe phonologische Aufgaben sind oft nur lösbar, wenn das Kind in Gedanken schreibt oder an einem vorgestellten Wort Buchstaben abtrennt. Auch die vollständige mündliche Analyse ( Auflautieren ) eines Wortes erschwert die Aufgabe nur unnötig; weit besser ist das Aufschreiben der Grapheme zu den schon analysierten Phonemen, um die Aufmerksamkeit ganz auf die noch unanalysierten richten zu können. Freies Schreiben Beim freien Schreiben räumt man Kindern die Freiheit ein, die Wörter, die ihnen orthographisch noch nicht bekannt sind, selbst zu konstruieren. Kinder tun dies, indem sie ausgehend von ihrer eigenen Artikulation die Laute eines Wortes analysieren und verschriften. Das freie Schreiben, wie es extrem im Lehrgang Lesen durch Schreiben von Jürgen Reichen verwirklicht wird, übt in hohem Maße phonemanalytische Kompetenzen. Allerdings muss man bei diesem Vorgehen nicht nur orthographische Abweichungen in den Schreibungen akzeptieren, sondern zunächst auch sehr unvollständige Schreibungen. Die 9
10 meisten Kinder können im frühen ersten Schuljahr nur wenige Laute eines Wortes analysieren und verschriften (z. B. KODL zu Krokodil). Allein durch die ständige Übung werden die Schreibungen aber vollständiger. Als Hilfe zum freien Schreiben werden Kindern Anlauttabellen zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe sie noch unbekannte Grapheme herausfinden können. Ist ein Graphem noch völlig unbekannt, handelt es sich um einen sehr komplexen Vorgang. Ein Kind, das z. B. Gras schreiben möchte müsste: den Anlaut von Gras analysieren und sich das Phonem /g/ merken, alle Bilder der Anlauttabelle nach einem korrespondierenden Wort mit /g/ im Wortanfang durchsuchen und erkennen, das Geige ebenfalls ein /g/ im Anlaut hat, den korrespondierenden Buchstaben abschreiben. Beobachtet man Kinder bei der Arbeit mit Anlauttabellen, bemerkt man, dass die Hauptfunktion darin besteht, die Frage zu beantworten Wie ging noch mal dieser Buchstabe? Dabei wissen sie schon, nach welchem Bild sie suchen müssen, d. h. bruchstückhaftes Wissen wird mit Hilfe der Anlauttabelle ergänzt. Es ist wichtig, sich die oben aufgeschlüsselte Komplexität der Arbeit mit einer Anlauttabelle zu vergegenwärtigen, um zu verstehen, warum manche langsam lernende Kinder große Probleme mit ihr haben. Sie kann ein Kind erschlagen, das noch keinen Buchstabenbegriff hat, erst über sehr wenige Buchstaben verfügt oder noch gar keinen Zugang zur Phonemanalyse gefunden hat. Für diese Kinder kann man reduzierte Anlauttabellen mit vier bis zehn Bildern/Buchstaben erstellen, in denen sie sich leichter orientieren können. Kinder mit besonderen Problemen bei der Phonemanalyse Es gibt einzelne Kinder mit extremen Problemen bei der Phonemanalyse, Kinder, die einfach nicht hören, dass dem /b/ in /blume/ ein /l/ folgt oder den Anfangslaut in /girafe/ konsequent als /k/ angeben. Was ist zu tun? Das Problem aller bisher beschriebenen Aufgaben besteht darin, dass sie nur Anlässe zur Übung bieten, nicht aber in die eigentlichen Prozesse der Lautanalyse eingreifen. Hier liegt ein Problem und es wird deutlich, warum auch noch bei älteren Kindern Rechtschreibfehler auf der Phonemebene als schwerwiegender gelten als Verstöße gegen orthographische Regeln. Immerhin gibt es einige Hilfestellungen für Kinder mit besonderen Problemen bei der Phonemanalyse: o extensive Nutzung der Silbenebene (z. B. ma, me, mi etc. zunächst als unanalysierte Einheiten), o Hilfe bei der Bewusstmachung der eigenen Artikulation der Kinder, o Einführung in Handzeichen zu Phonemen (vgl. z. B. Kieler Leseaufbau von Dummer & Hackethal 1984), o verstärkte Nutzung des Schriftbildes als Ausgangspunkt und Stützung der Phonemanalyse. In den folgenden Kästen werden die vorgestellten phonemanalytischen Übungen für das erste Schuljahr noch einmal zusammengefasst und bewertet. 10
11 Empfehlenswerte Übungen Silbengliederung Silbenklatschen, Silben schreiten Schreiben von Silbenbögen Eintragen von Vokalen in Silbenbögen Laut-zu-Wort-Vergleich unabhängig von der Position des Phonems im Wort (evtl. mit Bildern) (Ist in Roller ein [s]?) Analyse von Anlaut und Endlaut: Laut-zu-Wort-Vergleich (Beginnt das Wort Katze mit [s]?) Isolierung des Anlauts und des Endlauts (Womit fängt das Wort Katze an? Wo mit hört das Wort Hut auf?) Wörter zu einem vorgegebenen Anlaut finden (evtl. mit Bildalternativen) Wort-zu-Wort-Vergleich in Bezug auf den Anlaut (Klingen Katze und Roller am Wortanfang gleich?) Freies Schreiben 5.10 Literatur Nicht zu empfehlende Übungen Entscheidung über den mittleren Laut eines Wortes Angabe der Position bei Vorgabe des Lautes (An welcher Stelle steht das [l] in Blume?) Weglassen des Anlautes und Benennen des Wortrestes Austausch von Lauten außer dem Anlaut Vollständige mündliche Phonemgliederung Didaktische Kunstfehler Frage nach nicht hörbaren Lauten: Hörst Du das [r] in Koffer? An welcher Stelle steht das [d] in Wald (valt)? Wo steht das [h] in Uhr? Nichtberücksichtigung dialektaler Varianten: Hörst du ein [r] in Kerze? Frage nach wenig prägnanten Phonemen (z. B. nach kurzen Vokalen; besonders in geschlossenen Silben (z. B. Kind)) Auf m Kolk, Adelheid (2. Aufl. 1993): Lesen üben leicht gemacht! Kopiervorlagen. Arbeitsmittel für den Erstleseunterricht. Donauwörth. Balhorn, H., Brügelmann, H., Kretschmann, R. & Scheerer-Neumann, G. (Hrsg.): Spieleset zur Regenbogenlesekiste. Hamburg. Breuer, Helmut, Weuffen, Maria (6. Aufl. 1986): Gut vorbereitet auf das Lesen- und Schreibenlernen? Berlin. 11
12 Dummer-Smoch, Lisa & Hackethal, Renate (1999). Kieler Leseaufbau. Kiel Forster, Maria & Martschinke, Sabine (2002): Diagnose und Förderung im Schriftspracherwerb. Band 2. Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi. Übungen und Spiele zur Förderung der phonologischen Bewusstheit. Donauwörth. Ganser, B. (Hrsg.) (2003): Damit hab ich es gelernt. Materialien und Kopiervorlagen zum Schriftspracherwerb. Jansen, H., Marx, H., Mannhaupt, G. & Skowronek, H.(1999): Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Göttingen. Küspert, Petra & Schneider, Wolfgang (3. Aufl. 2001): Hören, lauschen, lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter. Göttingen. Mahlstedt, Dagmar (3. Aufl. 1999): Lernkiste lesen und schreiben. Fibelunabhängige Materialien zum Lesen und Schreiben lernen. Martschinke, Sabine, Kirschhock, Eva-Maria & Frank, Angela (2001): Diagnose und Förderung im Schriftspracherwerb. Band 1. Der Rundgang durch Hörhausen. Erhebungsverfahren zur phonologischen Bewusstheit. 12
Hören, lauschen, lernen
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