Mein Leben mit der Angst. Ich habe Angst.
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- Julia Krause
- vor 7 Jahren
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1 Mein Leben mit der Angst. Ich habe Angst. Die Angst gehört zu meinem Leben. Sie hat mich nicht beherrscht, aber sehr viel Kraft gekostet. Dabei meine ich nicht die Angst, die ich habe, weil ich hier vor vielen Menschen reden soll. Hierbei spreche ich von Lampenfieber, das wahrscheinlich jeder von Ihnen kennt. Im Internet und im tatsächlichen Leben treffe ich auf viele Menschen, die an Angst- und Panikattacken leiden. Ich selbst kenne diese auch aus der Vergangenheit Psychosen und Depressionen waren für mich das größere Übel. Die Angst stand erst an dritter Stelle. Es gab Momente in meinem Leben, in denen ich mir vor Angst fast in die Hose gemacht hätte, jedoch ohne ersichtlichen Grund. Monate lang hatte ich mit Durchfall gekämpft. Internisten stellten mich stationär auf den Kopf, um eine Ursache zu finden. Zu meinem Glück gab es keine organische Ursache. Mit vielen Medikamenten wurde der Durchfall besiegt. Es war eine Zeit, in der ich mich wegen des Durchfalls nicht vor die Tür getraut habe. Der Durchfall war weg, doch die Angst blieb. Bis heute habe ich keine Erklärung für diese Ursachen. Ein befreundeter Arzt war der Meinung, ich hätte Angst, durchzufallen. Doch wovor? Meine heutige eigene Definition ist, es war die Angst vor dem Leben. Durch viele Umstände in meinem Leben bin ich 1989 plötzlich psychisch krank geworden. Nach einigen Versuchen, die Krankheit ambulant in den Griff zu bekommen, entschied ich mich, nach Rücksprache mit meinem Arzt, in eine stationäre Therapie zu gehen.
2 Zu meinem Schutz hatte ich mir eine Mauer aus Arroganz um mich herum aufgebaut. In der Klinik in Bonn brach diese Mauer innerhalb weniger Tage in sich zusammen. In wenigen Tagen blieb mir die Erkenntnis, dass mein Leben mit großer Angst besetzt war. Allein schon drei Dinge in der Klinik machten mir Angst: Chefarzt-Behandlung, weißer Kittel und die ständigen Visiten, zum Teil mit vielen Personen in meinem kleinen Einzelzimmer. Diese permanente Angst trieb mich in meine erste Psychose. Ohne Übertreibung kann ich heute behaupten, dass diese ersten Tage in der Klinik zu den schlimmsten in meinem Leben gehörten. Danach wurde ich langsam wieder aufgebaut. Nach einigen Wochen verließ ich die Klinik in der Hoffnung, nie wieder in die Psychiatrie zu müssen. Was mir in dieser Zeit sehr geholfen hatte, um stabil zu werden, war meine damalige Partnerin und die mutmachenden Worte meiner Familie. Sie konnten war nicht verstehen, welche Krankheit ich hatte, ließen mich aber nicht im Stich. Eine weitere Erkenntnis aus dieser Zeit war, dass mein Selbstwertgefühl meiner knapp 40 Lebensjahre auf sehr wackeligen Füßen gestanden hatte. Etwas optimistischer ging ich an die Zukunft heran. Mir hatte jedoch in der Therapie niemand gesagt, dass ich weiter in Behandlung bleiben sollte. Darum wurschtelte ich mich so durch. Ich erkannte, dass der damalige Beruf nicht das Richtige für mich war. Der ständig höher werdende Stress fraß meine Seele auf und erzeugte erneut Angst in mir, diesen nicht mehr bewältigen zu können. Nach dem Klinikaufenthalt wurde ich von meinem Arzt weiterhin arbeitsunfähig geschrieben. Nach seiner Meinung war es für mich nicht mehr zumutbar, in dieser Firma zu arbeiten. Da ich etliche Jahre in der Firma beschäftigt war, hatte ich eine lange Kündigungszeit. Ich ließ mir kündigen. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung landete ich bei einer Bausparkasse. Die neue Herausforderung machte mir am Anfang großen Spaß. Doch hier lernte ich eine ganz andere Art von Angst kennen. Nur unter erheblichen Mühen gelang es mir, wildfremde
3 Menschen anzurufen und sie um einen Termin zu bitten. War ich erst einmal bei dem Kunden, war das Gefühl der Angst nicht mehr da. In meinem neuen Job war ich als freier Handelsvertreter beschäftigt. Jeden Monat musste ich Angst haben, ob ich auch genügend Umsatz getätigt hatte. Natürlich werden einige von Ihnen nun sagen: Diese Angst ist natürlich! Nur es kommt ja darauf an, wie jeder das für sich empfindet. Langsam kam ich auch zu der Erkenntnis, dass mein eigenes Selbstwertgefühl sehr stark mit der Angst gekoppelt war. Wie bei vielen Menschen war mein Selbstwertgefühl von einer Leistung abhängig. Je mehr ich geleistet hatte, umso stabiler wurde mein Selbstwertgefühl. Dies ist ein sehr gefährlicher Weg, jedenfalls bei mir. Gerade in Berufen, die mit Provisionen vergütet werden, treibt es einen dazu, immer mehr Abschlüsse zu tätigen. Es mag zwar Menschen geben, die diese Spirale aushallen können. Bei mir war das nicht so. Permanente Durchfälle, heftige Spannungskopfschmerzen, Zittern der Augenlider, Schwindelgefühle unter Menschen, heftige Herzschmerzen, feuchte Hände, das Gefühl, zu sterben, sind nur die heftigsten Symptome, die ich in einigen Jahren verkraften musste. Viele Jahre hielt ich dies für normal und ging natürlich auch zu keinem Arzt damit, weil es immer wieder Phasen gab, in denen ich diese Beschwerden einfach nicht hatte. Jedenfalls hatte ein Mittel immer ganz gut funktioniert: Kritik von Vorgesetzten oder anderen Menschen in meinem Leben versuchte ich durch einen flotten Spruch zu überspielen. Doch kaum hatte ein flotter Spruch meine Lippen verlassen, kam gleich die neue Angst, wie mein Gegenüber darauf reagieren würde. In meiner Familie war das Thema Angst kein Thema. Deshalb hatte ich mich damit auch nie auseinandergesetzt. Die Erkenntnis, knapp 40 Jahre ein Angsthase gewesen zu sein, traf mich wie ein Hammer vor den Kopf. Im Laufe der letzten Zeit habe ich für mich gelernt, dass, wenn man sich auf seine Gefühle verlassen kann, die Angst auch sehr positiv sein kann. Wenn ich an eine neue Sache herangehe und dabei ein ungutes Gefühl habe, so ist das nichts anderes, wie Angst. Sehr oft habe ich in meinem Leben dieses Gefühl gehabt und es einfach übergangen.
4 Natürlich ist es schwer, jemand anderen, der auch die Angst kennt, Tipps zu geben. Jeder empfindet anders. Jeder hat andere Symptome. Jeder geht damit anders um. Wie auch bei anderen seelischen Störungen gibt es keine Wunderpille, kein Wunderarzt und keine Wunderselbsthilfegruppe. In meinem Leben habe ich manche schwierige Aufgabe gelöst. Doch die Arbeit an mir und meinen Gefühlen hätte mich fast umgebracht. Nichts habe ich so schwer empfunden, wie gewohnte Bahnen zu verlassen oder sich wieder wie ein Kind auf seine Gefühle zu verlassen. Es gab Situationen in Therapien, bei denen mir der Suizid nicht aus dem Kopf gehen wollte. Was ich vielleicht in der Vergangenheit anders gemacht habe wie mancher andere seelisch Kranker, ist, dass ich jede Hilfe, die mir in irgendeiner Form angeboten wurde, angenommen. Ich habe mich nicht davor geschämt, anderen gegenüber zu artikulieren, dass ich psychisch krank und in meinen Augen auch am Ende meines Lebens war. In den allerschlimmsten Phasen konnte ich mir absolut nicht vorstellen, wieder ein stabiler Mensch zu werden. Was mir in meinen Augen letztendlich geholfen hat, waren frühzeitige Klinikaufenthalte und eine Gesprächstherapie bei einer Psychologin und auch Medikamente. Dies allein ist natürlich kein Patentrezept für einen Ausstieg aus der seelischen Krankheit. Ich hatte den unbedingten Willen, nachdem ich die schlimmsten Krisen überwunden hatte, wieder stabil zu werden. Irgendwie muss es mir auch gelungen sein, meine Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Dies alles zusammen und ständige Veränderungen in den vergangenen fünf Jahren haben aus mir wieder einen stabilen Menschen gemacht. Wem mein Vortrag zu lapidar erscheint, dem möchte ich noch sagen, dass ich die Höllen und das Fegefeuer, in denen ich mich befand, hier nicht beschreiben kann. Nachvollziehen kann dies nur jemand, der die Angst kennt. Im November 2003 bekam ich einen starken Druck auf meinen Brustkorb. Dies beunruhigte mich erst nicht, weil ich diesen Schmerz aus der Vergangenheit kannte. Nachdem sich jedoch nach rund 30 Minuten sich dieser Schmerz immer noch steigerte, mir übel wurde, ich Schmerzen im linken Arm empfand und ich brechen musste, kam mir dies doch gefährlich vor. Ich weckte meine Lebensgefährtin und bat sie, einen Krankenwagen zu rufen. Die Schmerzen waren fast unerträglich geworden. Der Notarzt, der in wenigen Minuten da war, gab mir eine Spritze und in der Klinik lautete die Diagnose: Herzinfarkt!
5 Nach Akutbehandlung und ReHa war ich jedoch wieder hergestellt. Nun kam für mich auch noch die Angst vor einem organischen Schaden dazu. Bis heute vermeide ich es, allein ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen. Natürlich muss ich auch wegen des Herzinfarktes weitere Medikamente nehmen. Wie lange, das kann mir niemand sagen. Ich möchte nicht sagen, dass ich die Angst besiegt oder aus meinem Leben verbannt habe, doch möchte ich behaupten, dass ich es weitgehend gelernt habe, ein Leben mit der Angst zu fuhren. Wolfgang Kluck
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