Soll das Gut noch fliessen wie das Blut? Familienbilder in aktuellen Diskussionen zur Reform des Erbrechts
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- Timo Krämer
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1 Forum für Universität und Gesellschaft Universität Bern Brüchiger Generationenkitt? Generationenbeziehungen im Umbau 10. Dezember 2011 Soll das Gut noch fliessen wie das Blut? Familienbilder in aktuellen Diskussionen zur Reform des Erbrechts Prof. Dr.iur. Michelle Cottier MA Universität Basel 1 Übersicht Einleitung Eine ganz normale Patchwork-Familie Das Schweizer Erbrecht heute Wandel der gesellschaftlichen Realität Welche Orientierung für die Erbrechtsreform? Abschliessende Thesen 2
2 Einleitung Bisher: Relative Unbeweglichkeit des Erbrechts Aktuell: Reformdebatte angesichts der Pluralisierung der Familienformen Motion Gutzwiller Für ein zeitgemässes Erbrecht Der Bundesrat wird beauftragt, das über hundertjährige, nicht mehr zeitgemässe Erb-/Pflichtteilsrecht flexibler auszugestalten und es den stark geänderten demografischen, familiären und gesellschaftlichen Lebensrealitäten anzupassen. 3 Eine ganz normale Patchwork-Familie 4
3 Eine ganz normale Patchwork-Familie Lena lebt seit 15 Jahren mit Peter unverheiratet zusammen, sie ist Hausfrau und Mutter. Beide waren frisch geschieden, als sie sich kennen lernten. Peter hat einen Sohn aus der früheren Ehe, Rolf (20 Jahre), mit dem er seit der Scheidung keinen Kontakt mehr hat. Lena hat eine Tochter, Laura (17 Jahre), die mit ihr und Peter zusammenlebt. Peter unterstützt Lena und Laura finanziell. Laura betrachtet Peter als ihren sozialen Vater, sie hat aber noch Kontakt zu ihrem leiblichen Vater Andreas und wird von ihm ebenfalls finanziell unterstützt. Peter verstirbt unerwartet. Es gibt weder ein Testament noch einen Erbvertrag. Peter war Alleineigentümer des gemeinsam bewohnten Hauses. 5 Welche Ansprüche haben Lena, Laura und Rolf nach geltendem Recht in Bezug auf Peters Nachlass? Was ist richtig: A, B oder C? A Rolf, Lena und Laura erben je einen Drittel. B Rolf ist Alleinerbe. Lena und Laura erben nichts. C Rolf ist Alleinerbe. Lena und Laura können für eine Übergangszeit Unterhaltszahlungen aus dem Nachlass und ein Wohnrecht verlangen. 6
4 Variante Peter weiss, dass er todkrank ist. Er verfasst ein Testament, in dem er Laura und Lena je zur Hälfte als Erben einsetzt. Rolf soll nichts erhalten. 7 Welche Ansprüche haben Lena, Laura und Rolf nach geltendem Recht in Bezug auf Peters Nachlass? Was ist richtig? A oder B? A Rolf hat einen Pflichtteil von 3/4 des Nachlasses. Laura und Lena erben je 1/8. B Das Testament ist gültig, da Peter und Rolf keinen Kontakt mehr hatten: Laura und Lena erhalten je die Hälfte des Nachlasses. 8
5 Das Schweizer Erbrecht heute Gesetzliches Erbrecht: Anerkennung nur von Statusbeziehungen Nachkommen(1. Parentel) Eltern und ihre Nachkommen (2. Parentel) Grosseltern und ihre Nachkommen (3. Parentel) Ehegatte und eingetragene/r Partner/in: 1/2 neben 1. Parentel 3/4 neben 2. Parentel 1/1 neben 3. Parentel 9 Zum Beispiel Richtig ist B: Rolf ist Alleinerbe. Lena und Laura erben nichts. (Art. 457 ff. ZGB) 10
6 Zum Beispiel 11 Das Schweizer Erbrecht heute Pflichtteilsrecht: Nachkommen: 3/4 des gesetzlichen Anspruchs Eltern: 1/2 des gesetzlichen Anspruchs Ehegatte und eingetragene/r Partner/in: 1/2 des gesetzlichen Anspruchs 12
7 Zum Beispiel Variante Testament Richtig ist A: Rolf hat einen Pflichtteil von 3/4 des Nachlasses. Erhebt Rolf Herabsetzungsklage, verbleiben für Laura und Lena je 1/8. (Art. 470 ff. ZGB) 13 Zum Beispiel 14
8 Wandel der gesellschaftlichen Realität Pluralisierung der Familienformen Ehe, gemeinsame Kinder Alleinerziehende Patchwork-Familien dauerhafte nichteheliche Lebensgemeinschaften Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare mehrfache soziale Elternschaft etc. Pluralisierung der Werte Deinstitutionalisierungder bürgerlichen Familienform Akzeptanz einer Vielfalt von Lebensformen 15 Wandel der gesellschaftlichen Realität Das geltende Erbrecht angesichts der Pluralisierung der Lebensformen Entfremdung im Eltern-Kind-Verhältnis nach Scheidung der Eltern Gleichbehandlung von Kindern aus verschiedenen Partnerschaften, von eigenen und Stiefkindern Kinder aus früheren Beziehungen versus neue Partner/innen Kinderlose, nicht verheiratete resp. eingetragene Partner/innen versus Eltern 16
9 Welche Orientierung für die Erbrechtsreform? Pflichtteilsrecht Pflichtteil der Nachkommen: Flexibilisierung, Reduktion, Abschaffung? Pflichtteil der Eltern: Abschaffung? Gesetzliches Erbrecht Anerkennung von nicht formalisierten Partnerschaften? Anerkennung von Stiefkindbeziehungen? 17 Welche Orientierung für die Erbrechtsreform? Orientierung an den gesellschaftlichen Normalverhältnissen? Orientierung am mutmasslichen Willen des durchschnittlichen Erblassers? Orientierung an der Familienbindung des Vermögens? Orientierung an der Norm der familiären Solidarität? 18
10 Thesen Die Normalfamilie und den durchschnittlichen Erblasser gibt es heute nicht mehr.! Das Erbrecht muss angesichts der Pluralisierung von Familienformen und -werten für eine Vielzahl von Bedürfnissen passen. Eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung um die normativen Grundlagen des Erbrechts steht noch aus. 19
Rechtswissenschaftliches Institut Prof. Dr. Dominique Jakob
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