Bürgerkrieg in Syrien Ein Hintergrundbericht

Transkript

1 Bürgerkrieg in Syrien Ein Hintergrundbericht Liebe Hörerinnen und Hörer Es gibt Sendungen, da wäre es zynisch gute Unterhaltung zu wünschen. Wir wagen einen Blick hinter die Kulissen des Bürgerkrieges in Syrien und den Aufstieg von ISIS. Ein Konflikt der über Menschen das Leben kostete und mehreren Millionen zu Flüchtlingen machte von denen es ein kleiner Teil bis nach Europa schafft. Sowohl der Terror in Paris, London oder Madrid konfrontieren uns mit der Tatsache, dass bisher nur aus den Weltnachrichten bekannte Konflikte uns aus dem gewohnten Alltag herausreißen. In dieser Sendung wollen wir einen groben Überblick über die komplexe Struktur dieses Konfliktes geben, der vor allem in Syrien ausgetragen wird. Syrien- eine Republik der Angst 1966 putschte sich in Syrien die Baath-Partei an die Macht. Ein erneuter Putsch 1970 begründete die Präsidentendynastie unter der bis heute herrschenden Assad-Familie. Sie entstammt der Volksgruppe der Alawiten -nicht zu verwechseln mit den türkischen Aleviten. Die Alawiten sind eine Splittergruppe des schiitischen Islam im mehrheitlich sunnitisch geprägten Syrien. Viele Alawiten sahen im Miltitär häufig ihre Chance zum sozialen Aufstieg. Ein Merkmal der syrischen Diktatur ist das Schüren von Misstrauen und Feindseligkeiten auf allen Ebenen der Gesellschaft. Wie den Irak unter Saddam Hussein bezeichnen Kritiker auch Syrien als "Republik der Angst". So gibt es eine Vielzahl von innersyrischen Geheimdiensten mit Kompetenzüberschneidungen, die sich gegenseitig überwachen. Ebenso werden verschiedene Ethnien gegeneinander ausgespielt. So achtet das Regime zum Beispiel darauf, daß es Alawiten sind, die als Folterknechte gegenüber sunnitischen Gefangenen auftreten. Das somit in Verruf geratene alawitsche Fußvolk lässt sich dann leichter zur Loyalität gegenüber dem Regime verpflichten, da dieses die Rache der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung fürchten muss.

2 Von al Quaida zu ISIS im Irak ISIS entstand etwa 2003 im wesentlichen aus der "Al Quaida im Irak" unter der Führung des Jordaniers Abu Musab az Zarqawi, der 2006 bei einem US-Bombenangriff getötet wurde. Im Unterschied zur Kern-Al Quaida um Osama bin Laden, die den Kampf gegen die USA -"der grosse Satan"- in den Mittelpunkt und Einheit der Muslime fokussierte, bekämpfte Zarqawi neben der US-Besatzung im Irak auch im großen Stil die zu Ungläubigen erklärten Schiiten im Irak. Dieser Terror richtete sich gegen die schiitische Mehrheit im Irak. Ein andauernder Konflikt innerhalb al Quaidas. Die sunnitische Al Quaida im Irak wurde, wie später auch ISIS, immer populärer bei ausländischen Dschihadisten. Mittlerweile ist anzunehmen, daß ein Drittel der ISIS-Kämpfer Nicht-Syrer sind. Nach dem Tod Zarqawis befand sich Al Quaida im Irak in der Defensive und galt später schon fast als geschlagen. Aber der Bürgerkrieg in Syrien bot das Milieu, in dem sich die irakische Al Quaida unter dem Namen ISIS wieder erholen konnte. Es stießen viele Funktionäre der irakischen Baath-Partei aus dem Militär zu ISIS, die ihr geheimdienstliches Wissen einbrachten. Ohne dieses Know-How wären die Erfolge von ISIS wahrscheinlich nicht möglich gewesen. ISIS konnte relativ schnell einen eigen Staat innerhalb Syriens vorweisen, während sich die Kern-Al Quaida vor den US-Truppen im Afghanisch-Pakistanischen Grenzgebiet verstecken musste Hier trennte sich ISIS endgültig von Al Quaida und ihrem offiziellen syrischen Ableger, der Nusra-Front. ISIS finanziert sich wesentlich durch Plünderung des Eigentums von Geflohenen und Toten, sogenannten "Steuern" und Ablasshandel auf "Sünden" sowie pikanterweise durch Zigarettenschmuggel. Wird doch Rauchen als Sünde angesehen. Nach dem Abzug der Amerikaner wurde der Irak despotischer, vor allem gegenüber der sunnitischen Minderheit. Ein bestelltes Feld für die Rückkehr von ISIS in den Irak. ISIS heizt mit seiner Brutalität gegenüber den Schiiten das Bedürfnis nach Vergeltung gegen die Sunniten weiter an. Die Racheaktionen von Schiiten treiben Sunniten in die Arme von ISIS. Es muss erwähnt werden das die meisten Opfer von ISIS in Syrien sunnitische Rebellen sind: ISIS aber behauptet kurzerhand, daß es sich um getötete Alawiten handelt. Iranische Interessenpolitik und mit dem Iran verbundene schiitische Milizen heizen die Situation weiter brutal an. Selbst die US-Amerikaner konnten den damaligen irakischen Premierminister Maliki nicht davon überzeugen, einen besonders brutalen Polizeichef anzuklagen. Das Parlament verweigerte Maliki die Ausrufung des Notstandes trotz der militärischen Erfolge und

3 Geländegewinnen von ISIS. Es wollte die Macht Malikis nicht weiter ausbauen. Säuberungen und zunehmende Korruption innerhalb des irakischen Sicherheitsapparates höhlten diesen bis zur Handlungsunfähigkeit aus. Durch dieses Machtvakuum konnte ISIS ohne Gegenwehr in Mossul einmarschieren und modernste amerikanische Ausrüstung von der irakischen Armee erbeuten. Auch die folgenden Grausamkeiten gegen die Jesiden waren hierdurch möglich geworden. Das Assad-Regime und ISIS- Allianz des Todes Auch für vorgeblich säkulare arabische Regimes sind trotz aller Gegnerschaft Islamisten ein wichtiger Teil ihrer Herrschaft. Einig ist man sich in der Ablehnung demokratischer Opposition. Zudem legitimiert die Anwesenheit von Islamisten die autoritären Regimes als kleineres Übel. Das Regime Assad macht da keine Ausnahme: Nach dem Sturz Saddam Husseins galt Syrien mit Duldung des Regimes als wichtiges Transitland für internationale Dschihadisten in den Irak. Die Absicht Syriens war es, den Irak zu destabilisieren. Zu Beginn des Aufstands 2011 in Syrien entließ das Regime Dschihadisten aus den Gefängnissen die oftmals Rückkehrer aus dem Irak waren. Im zum Bürgerkrieg eskalierten Aufstand ging das Regime ein nicht ausgesprochenes Bündnis mit ISIS ein. Zum einem diente dieses Bündnis als Drohung gegenüber vor allem nicht-sunnitischen Minderheiten und somit zur Erzwingung von Loyalität gegenüber dem Regime. Um diese Drohung zu bekräftigen fingierte der syrische Geheimdienst angebliche islamistische Anschläge. Der Iran schulte eigens hierfür syrische Agenten, z. B. im Bau von Autobomben. Zum anderen herrscht ISIS in Gebieten, die das Regime nicht kontrollieren kann und verhindert, daß sich demokratischere Alternativen entwickeln könnten. Arabischer Frühling & Opposition in Syrien In Syrien kam der Arabische Frühling im März 2011 an. Dem vorausgegangen war eine wirtschaftliche Liberalisierung, die vor allem die Ärmeren traf. Eine Dürre verschärfte zudem den Zerfall der Landwirtschaft und führte zur Landflucht.

4 Vor diesem Hintergrund nahm die Kritik an Korruption und alltäglicher Staatsgewalt zu. Das Regime reagierte auf die Proteste mit Gewalt, bis hin zum Einsatz chemischer Waffen. Dies eskalierte die Situation anstatt sie zu beruhigen. Forderung nach Reformen wurden durch Forderungen nach dem Sturz des Regimes ersetzt. Es bildeten sich Selbstverteidigungsorganisationen, aus denen bewaffnete Rebellengruppen hervorgingen. Bald desertierten über zwei-drittel der Streitkräfte oder liefen direkt zu den Rebellen über. Mit einer Strategie der verbrannten Erde terrorisiert dass Regime die Bevölkerung und zerstört ihre Infrastruktur wie Krankenhäuser oder Bäckereien. Auch die einsetzenden Fluchtbewegungen gehören zum zynischen Kalkül des syrischen Regimes. Ohne schlagkräftige Armee ist das Regime auf Unterstützung von außen angewiesen: Zu nennen ist der Iran und die von ihm unterstützten schiitischen Milizen aus dem Irak, die Hisbollah und Russland. Die heterogene Opposition in Syrien rekrutiert sich in den Stadtvierteln oftmals an familiären, ethnischen oder religiösen Strukturen. Ähnlich Unterschiede gibt es auch in der Exilopposition. Die Freie Syrische Armee ist eine Sammlung verschiedener Rebellengruppen, die neben demokratischen Forderungen diplomatische Kontakte zu Israel wünscht. Dies ist ein Indiz dafür, daß festgefahrene Vorstellungen im Wandel sind. War doch Israel ein sorgsam gepflegtes Feindbild - wie überall in der arabischen Welt. Und Syrien gehörte zu den schärfsten Gegnern des Ägyptisch-Israelischen Friedensabkommens nach dem Sechs-Tage-Krieg. Eine Gemeinsamkeit der Rebellen mit Israel ist die Gegnerschaft zum islamistischen Terrorismus. Und Israel behandelt syrische Kriegsopfer in seinen Kliniken -trotz des historisch gewachsenen Misstrauens. Die westlichen Länder reagierten zurückhaltend auf den Aufstand in Syrien. Einerseits will man keinen zerfallenden Staat - mit Begleiterscheinungen wie Terrorismus, Schwerkriminalität und Fluchtbewegungen - fast vor der europäischen Haustür. Andererseits gibt es nach den Feldzügen in Afghanistan, Irak und Libyen eine Enttäuschung in westlichen Gesellschaften angesichts der dürftigen Ergebnisse. Daß nach dem Giftgasangriff durch das Assad-Regime im August 2013 die angekündigte militärische Reaktion ausblieb, wurde als Schwäche des Westens interpretiert. Ebenso die eher halbherzige Bekämpfung von ISIS.

5 Die westliche Politik hinterließ ein Vakuum, das andere destruktivere Akteure zu nutzen wissen. Seit den Anschlägen von Paris geht man sogar soweit das man mehr oder weniger offen meint mit Assad gegen ISIS vorgehen zu können. Iran und Saudi-Arabien-zwei fundamentalistische Machtblöcke im Streit um Einfluss. Der Iran wurde von westlichen Ländern umworben im Kampf gegen ISIS. Bereitwillig ignoriert der Westen, daß der Iran selbst ein islamistisches Regime ist. Der Iran ist einer der wichtigsten Unterstützer weltweiter islamistischer Gewalt und Troublemaker in der gesamten Region. Z. B. liefert der Iran Waffen über Syrien an die anti-israelische Hisbollah-Terroristen. Der große fundamentalistische Konkurrent des Iran um die Vorherrschaft Nahen Osten ist Saudi-Arabien, dessen Führung oft als "Taliban mit Geld" bezeichnet wird und den Sturz Assads will. Saudi-Arabien hofft auf eine fundamentalistische Zukunft des mehrheitlich sunnitischen Syriens. Allerdings ist die Politik der Saudis scheinbar oft widersprüchlich: In der Sicht vieler islamistischer Gruppen wie al Quaida oder ISIS gilt Saudi-Arabien als Verräter, seit im Kuwaitkrieg 1991 ungläubige US-Truppen nach Saudi Arabien eingeladen wurden. Man geht davon aus das Saudi-Arabien die "Islamische Front" unterstützt: ein Bündnis verschiedener Gruppen, die sich von al Quaida und ISIS abgrenzen und mit anderen Rebellengruppen kooperieren. Türkei und Kurden- Ein Konflikt im Konflikt Traditionell war das Verhältnis der ehemals westlich orientierten Türkei zu Syrien schlecht. Mehrmals stand es kurz vor kriegerischen Auseinandersetzungen. Wie in der Region üblich, förderte Syrien deshalb die rebellische kurdische PKK des türkischen Nachbarn und ihren syrischen Ableger, die PYD. Das Verhältnis zwischen der Türkei und Syrien entspannte sich zunächst unter der Regierung Erdogan und seiner islamistischen Partei AKP. Seine Außenpolitik wandte sich von Europa ab und dem arabischen Raum zu. Mit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien endete die Männerfreundschaft zwischen Erdogan und Assad in erbitterter Feindschaft. So hofft auch Erdogan auf mehr Einfluss in Syrien, falls sich sunnitische Kräfte im Bürgerkrieg durchsetzen sollten. Geschätzte neun Zehntel der ausländischen ISIS-Kämpfer reisten über die Türkei ein, obwohl es in Teilen der internationalen und

6 sogar türkischen Sicherheitskreise Kritik daran gibt. Offensichtlich ist der türkischen Regierung ein Sieg über die wiedererstarke PKK wichtiger ist als der Kampf gegen ISIS. Die EU überträgt der Türkei die Abschottung der europäische Grenze gegen Flüchtlinge während hierzulande fadenscheinig die sog. Willkommenskultur zelebriert wird. Im Gegenzug wird die diktatorische Politik der türkischen Regierung toleriert. Erdogan hat praktisch freie Hand, seine Gegner zu verfolgen und zu ermorden. Russland- Verzweifelter Kampf ums Imperium Auch wenn nach einem Sturz Assads eine Einigung Russlands mit den syrischen Rebellen über seinen einzigen Marinehafen Tartus an Syriens Mittelmeerküste wahrscheinlich wäre, geht es für Russland in Syrien um mehr. Seit dem Ende der Sowjetunion ist das Assad-Regime der letzte Verbündete Russlands im Nahen Osten. Russland beteiligt sich an der Regime-Strategie der verbrannten Erde, indem es zivile Ziele wie Krankenhäuser bombardiert. Die geplante Stationierung moderner Luftabwehrraketen in Syrien berührt wesentliche israelische Sicherheitsinteressen, weil Israel die Hisbollah aus der Luft angegriffen hat, um möglichen Anschlägen zuvorzukommen. Ausblick Die mediale Aufmerksamkeit des Konfliktes in Syrien gehört ISIS. Allerdings greift dies zu kurz, weil die Opferzahlen des syrischen Bürgerkrieges ohne ISIS hoch sind. Der Aufstieg von ISIS und anderen dschihadistischer Gruppen in Syrien nur durch die Gesamtsituation möglich. Das Kernproblem der arabischen Welt ist die Nichtexistenz demokratischer Struktur und der Überfluss an Feindbildern, wirtschaftliche Ineffizienz und religiösen Wahns. Zusammengenommen ein permanenter Nährboden der Gewalt. Der arabische Frühling war Hoffnungsträger für entsprechende Reformen und wird deshalb von allen Regimen blutig bekämpft. Es ist zwar wichtig, daß endlich Frieden und Stabilität in Syrien einkehren: denn es sind stets Anarchie und Staatszerfall, die Dschihadisten den weltweiten Aufstieg ermöglichen. Aber es braucht mehr als eine Politik, die nur auf das kurzfristige Ziel einer Befriedung und eine Öffnung der Märkte setzt. Diejenigen Akteure in der arabischen Welt müssen unterstützt werden die den Mangel an Demokratie, den Überfluss an Feindbildern und den religiösen Wahn überwinden wollen. In Syrien werden solche Strömungen derzeit im Bürgerkrieg zerrieben.

7 Es erfordert nicht nur militärische Gewalt, sondern im wesentlichen den Aufbau neuer Institutionen und das Zerschmettern alter Traditionen wie das Denken in Abstammungslinien und den darin begründeten Herrschaftsmechanismen. Demokratisierung kann nie ein abgeschlossenes Projekt sein sondern setzt sich stets fort. Übrigens auch hier im Westen. Jede Demokratisierung hat erbitterte Gegner die um ihre Privilegien fürchten, nicht nur in den arabischen Ländern. Der Westen muss seine Doppelmoral beenden: Diktaturen dürfen weltweit nicht mehr im eigenen kurzfristigen Interesse aufgewertet werden, weder aus wirtschaftlichem und schon gar nicht aus militärischem Kalkül. Diplomatie muss neu definiert werden.