Propädeutische Übung im Öffentlichen Recht. Universität Bonn Wintersemester 2010/
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- Adam Frei
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1 Propädeutische Übung im Öffentlichen Recht Universität Bonn Wintersemester 2010/
2 Überblick über diese Doppelstunde I. Besonderheiten im Staatsorganisationsrecht II. Übungsfall
3 I. Besonderheiten im Staatsorganisationsrecht Normenkontrollen (abstrakte und konkrete) Bund-Länder-Streit Organstreitverfahren
4 I. Besonderheiten im Staatsorganisationsrecht 1. Möglichen verfassungsrechtlichen Maßstab identifizieren 2. Ist die Norm auf unseren Fall anwendbar? 3. Was besagt die Norm abstrakt mit Blick auf unseren Fall? 4. Genügt die konkrete Maßnahme diesem Maßstab? 5. Ergebnis
5 Die Leistungen der Bundesregierung Am letzten Sonntag im April 2011 finden die Wahlen zum Deutschen Bundestag statt. Dies hat der Bundespräsident am 10. Juli 2010 bestimmt. Im August 2010 beginnt die Bundesregierung mit einer groß angelegten Medienkampagne. Sie soll bis zum 15. April 2011 andauern, wird aus dem Steuerhaushalt finanziert und umfasst zwei Elemente: Zum einen schaltet die Bundesregierung jede Woche in Zeitungen und Zeitschriften ganzseitige Anzeigen, in denen die Leistungen der Bundesregierung auf verschiedenen Politikfeldern in Slogans und großformatigen Bildern hervorgehoben werden. Die Anzeigen enden jeweils mit dem Satz: Ihre Bundesregierung arbeitet erfolgreich für Sie und verdient auch weiterhin Ihr Vertrauen. Zum anderen lässt die Bundesregierung an alle Haushalte per Postwurfsendung Faltblätter verteilen. Auch auf diesen werden die Leistungen in der laufenden Legislaturperiode hervorgehoben und findet sich der Satz Ihre Bundesregierung arbeitet erfolgreich für Sie und verdient auch weiterhin Ihr Vertrauen.
6 Die im Deutschen Bundestag vertretene Oppositionspartei X hält es für einen Skandal, dass die Bundesregierung für eine solche Kampagne Steuermittel einsetzt. Die Bundesregierung ist demgegenüber der Ansicht, sie sei von Verfassungs wegen nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Wähler über ihre Arbeit zu informieren. Schließlich müsse der Wähler die Leistungen der Bundesregierung bei der nächsten Wahl beurteilen können. Frage 1: Könnte die X-Fraktion im Deutschen Bundestag gegen die Medienkampagne der Bundesregierung mit einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vorgehen? Frage 2: Die X-Partei möchte dem medialen Treiben ein Ende bereiten und stellt beim Bundesverfassungsgericht den Antrag festzustellen, dass die Bundesregierung mit der Medienkampagne gegen das Grundgesetz verstößt. Mit Erfolg?
7 Zu Frage 1: Antrag der X-Fraktion A. Zuständigkeit des BVerfG Art. 93 I Nr. 1 GG, 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG B. Beteiligtenfähigkeit X-Fraktion ist durch das Grundgesetz und in der GO des BT mit eigenen Rechten ausgestattet und daher beteiligtenfähig nach 63 BVerfGG. Bundesregierung ist ein oberstes Bundesorgan und damit beteiligtenfähig. C. Antragsgegenstand Die Medienkampagne der Bundesregierung als rechtserhebliche Maßnahme.
8 D. Antragsbefugnis x X-Fraktion müsste geltend machen können, dass sie oder das Organ, dem sie angehört, durch eine Maßnahme des Antragsgegners in ihren durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet sein kann. Die Medienkampagne der Bundesregierung berührt weder die Rechtsstellung der Fraktion noch die Stellung und Arbeit des Deutschen Bundestages. Daher fehlt es an der notwendigen Antragsbefugnis. E. Ergebnis Die X-Fraktion im Deutschen Bundestag kann gegen die Medienkampagne der Bundesregierung nicht mit einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vorgehen.
9 Zu Frage 2: Antrag der X-Partei A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG II. Beteiligtenfähigkeit Bundesregierung als oberstes Bundesorgan beteiligtenfähig. X-Partei? Nach 63 BVerfGG sind nur bestimmte oberste Bundesorgane und Teile solcher Organe beteiligtenfähig. Zu beiden gehören die Parteien nicht. Beteiligtenfähig sind nach Art. 93 I Nr. 1 GG aber auch andere Beteiligte, die durch das GG mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Art. 93 I geht BVerfGG vor. Die politischen Parteien sind in Art. 21 mit eigenen Rechten ausgestattet und daher ebenfalls beteiligtenfähig.
10 III. Antragsgegenstand IV. Antragsbefugnis Dazu müsste X-Partei in ihren durch das GG übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet sein. Hier könnte die X-Partei in ihrem verfassungsmäßigen Recht auf Chancengleichheit, Art. 21 I, Art. 3 I GG, verletzt worden sein. Denn es könnte sein, dass die Bundesregierung mit ihrer Medienkampagne zugunsten der sie tragenden Partei/en auf den Wahlkampf eingewirkt hat. V. Antragsfrist 64 III BVerfGG: sechs Monate; hier noch nicht verstrichen VI. Ergebnis Der Antrag im Organstreitverfahren ist zulässig.
11 B. Begründetheit Der Antrag ist begründet, wenn die Medienkampagne der Bundesregierung verfassungswidrig ist (I.) und die X-Partei in ihren durch das Grundgesetz verliehenen Rechten verletzt (II.) I. Verfassungswidrigkeit der Medienkampagne 1. Zulässigkeit regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit Demokratieprinzip, Art. 20 I, II GG: Volk kann Volksherrschaft nur sachgerecht ausüben, wenn Bürger über die Sachfragen, die Entscheidungen der Amtswalter und die zukünftigen Vorhaben hinreichend informiert sind. Nur so kann der Volkssouverän das staatliche Handeln beurteilen, billigen oder verwerfen. Öffentlichkeitsarbeit = Kommunikationsakte, die der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern [BVerfG 20, 56 (100)]
12 2. Überschreiten der verfassungsrechtlichen Grenzen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit a) Konfliktpotential: öffentliche Meinungs- und politische Willensbildung Nur wenn sich die Regierenden, die aufgrund ihrer Finanz-, Personal- und Organisationskraft über ein mächtiges Instrumentarium verfügen, im Hinblick auf die politische Willensbildung zurückhalten, kann ein Wesenszug der Demokratie verwirklicht werden: die Chance der Minderheit, einmal Mehrheit zu werden. BVerfG: Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung findet dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt.
13 b) Zeitliche Grenze Es gilt Grundsatz äußerster Zurückhaltung ab Bestimmung des Wahltages durch den Bundespräsidenten Hier: Wahltag bestimmt; unmittelbare zeitliche Nähe zur Wahl c) Quantitative Grenze Kein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe ohne sachlichen Grund Hier: massive Kampagne ohne sachliche Begründung d) Qualitative Grenze Informative Gehalt darf gegenüber werbenden Elementen in Wort und Bild nicht zurücktreten; keine reklamehafte Aufmachung Hier: Großformatige Bilder; v.a. aber ist der Satz Ihre Bundesregierung arbeitet erfolgreich für Sie und verdient auch weiterhin Ihr Vertrauen eindeutige Werbung für die Regierung
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17 e) Ergebnis Grenze zur Wahlwerbung überschritten und damit verfassungswidrig. II. Verletzung von Rechten der X-Partei In Betracht kommt Verletzung des Rechts der politischen Parteien auf Chancengleichheit, Art. 21 I, Art. 3 I GG. Zu Chancengleichheit gehört, dass alle Parteien bei den Wahlen zum Bundestag die gleichen Chancen haben. Dieses Recht hat die Bundesregierung mit ihrer Medienkampagne verletzt, weil dort für die die Regierung tragenden Parteien geworben wird. III. Ergebnis Der zulässige Antrag im Organstreitverfahren ist auch begründet.
18 C. Gesamtergebnis Die X-Partei könnte mit Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht den Antrag stellen festzustellen, dass die Bundesregierung mit der Medienkampagne gegen das Grundgesetz verstößt.
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