Theologie und Naturwissenschaft Eine alte Grundsatzdiskussion aktuell betrachtet

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Kristian Siegel
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1 Theologie und Naturwissenschaft Eine alte Grundsatzdiskussion aktuell betrachtet PD Dr. Dirk Evers, Universität Tübingen Das mittelalterliche Weltbild 2

2 Die Wende zur neuzeitlichen Wissenschaft Nikolaus Kopernikus ( ) De revolutionibus 1543 Papst Paul III. gewidmet: die Bewegungen der Weltmaschine, die um unseretwillen vom besten und genauesten aller Werkmeister gebaut ist, klarer zu verstehen und besser zu berechnen. Vorwort von Andreas Osiander 3 Die Entstehung der neuzeitlichen Kosmologie Johannes Kepler ( ) Was bleibt uns übrig, als mit Platon zu sagen, Gott treibe immer Geometrie Astronomia nova 1609 Ich wollte Theologe werden, lange war ich in Unruhe. Nun aber sehet, wie Gott durch mein Bemühen auch in der Astronomie gefeiert wird. Priester am Buche Gottes der Natur 4

3 Die Entwicklung der experimentellen Methode Galileo Galilei ( ): Denn das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben, und seine Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne diese Mittel ist es unmöglich, ein einziges Wort zu verstehen, irrt man vergeblich in einem dunklen Labyrinth umher. So ist das, was der bloße Sinn des Sehens uns gibt, so gut wie nichts im Vergleich zu den Wundern, die der Verstand der Verständigen durch lange und sorgfältige Beobachtung am Himmel entdeckt. Beobachtung, Mathematik, Labor! Die Absicht des Heiligen Geistes ist es, uns zu belehren, wie man in den Himmel geht, nicht wie der Himmel geht. Die Newtonsche Mechanik Isaac Newton ( ) Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (1686) Gesetze der Bewegung (Axiome) Beweis aus den Phänomenen Raum Zeit punktförmige Körper und Kräfte Gravitation als universale Kraft Unendlichkeit des Kosmos Gott als Weltherrscher: Diese bewundernswürdige Einrichtung der Sonne, der Planeten und Kometen hat nur aus dem Ratschlusse und der Herrschaft eines alles einsehenden und allmächtigen Wesens hervorgehen können. 6

4 Die kosmische Entwicklung Vom Sein zum Werden Pierre Laplace ( ) «Sire, ich habe diese Hypothese nicht nötig.» Mich dünkt, man könne hier... ohne Vermessenheit sagen: Gebet mir Materie, ich will eine Welt daraus bauen! das ist, gebet mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Welt daraus entstehen soll.... Kann man aber wohl von den geringsten Pflanzen oder Insect sich solcher Vortheile rühmen? Ist man im Stande zu sagen: Gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Raupe erzeugt werden könne? Man wird eher die Bildung aller Himmelskörper einsehen, ehe die Erzeugung eines einzigen Krauts oder einer Raupe aus mechanischen Gründen deutlich und vollständig kund werden wird. (Immanuel Kant) 7 Die Evolution der Lebewesen Charles Darwin ( ) 1859 On the Origin of Species by Means of Natural Selection There is one general law leading to the advancement of all organic beings, - namely, multiply, vary, let the strongest live and the weakest die. Variabilität und Überproduktion von Nachkommen Natürliche Zuchtwahl (Überleben des Tüchtigsten) und sexuelle Selektion Synthetische Theorie Entdeckung des genetischen Codes (Mutation und Rekombination) Populationsbiologie und genetische Drift Kooperation und Koevolution 8

5 Zu Methodik der Naturwissenschaften Die NW erkennen nicht die Dinge, wie sie an sich sind, sondern wie sie sich relativ zu einer methodischen Praxis und theoretischen Konzepten rekonstruieren lassen. Reduktion auf das Quantifizierbare, das Messbare, das Formalisierbare, das intersubjektiv Gültige (Beobachterperspektive) Durch das Wechselspiel von Hypothese und empirischer Überprüfung werden falsche Theorien ausgeschlossen, gute Theorien bewähren sich. In jede Theoriebildung gehen nicht-empirische Kategorien ein: Mathematik, Metaphern, Kohärenz, Einfachheit Verloren gehen das Qualitative, das Individuelle, die Frage Wozu?. Die NW können nur feststellen, was der Fall ist, nicht was der Fall sein soll. Fragt man nach dem Sinn von Wissenschaft und ihrer Erkenntnis, so kann man sie nicht wieder mit den Mitteln der Wissenschaft beantworten. 9 Ist Evolution eine Tatsache? Sie ist eine hochstufige Theorie (Paradigma). Sie ist das beste Paradigma für die Entstehung der Arten, das wir haben. Ob wir alle ihre Mechanismen schon richtig verstanden haben, darf bezweifelt werden. Sie hat sich als Paradigma allerdings so bewährt, dass eine Alternative auch aus theologischen Gründen nicht mehr denkbar ist. 10

6 Die evolutionäre Sicht des Lebens 1. Alle Tier- und Pflanzenarten haben einen gemeinsamen Stammbaum. 2. Alle Ein- und Mehrzeller sind untereinander verbunden durch kontinuierliche Teilungsfolgen totipotenter Zellen (Keimzellen). 3. Die meisten Stammreihen haben sich in mehrere Zweige aufgegabelt. 4. Viele Stammreihen zeigen einen gerichteten Verlauf. 5. Auch der Mensch ist in den tierischen Stammbaum mit einzubeziehen. Er stammt von affenartigen Vorfahren ab. 11 Direkte Erschaffung der Arten: eine Alternative? Philip Henry Gosse ( ) Zwei Jahre vor Darwins Über die Entstehung der Arten : Omphalos. Ein Versuch den geologischen Knoten aufzulösen Prochronische Eigenschaften: Adams Bauch mag wohl durchaus einen Nabel aufgewiesen haben, auch wenn nie eine Nabelschnur daran gehangen hatte. Henne Ei Ei Henne 12

7 Zur theologischen Interpretation der Evolution Die Vorstellung, dass die Lebewesen direkt von Gott nach ihren Arten entworfen und hergestellt wurden, ist nicht haltbar. Das wörtliche Verständnis der Heiligen Schrift auch in Naturdingen ist mit der Evolutionstheorie unvereinbar (z.b. Alter der Welt). Die Heilige Schrift ist unfehlbar und vollkommen unangetastet von jeglichem Irrtum, oder, was das gleiche ist, in der Heiligen Schrift gibt es keine Lüge, keine Falschheit, auch nicht den geringsten Fehler, sei es in der Sache, sei es in der Wortwahl, sondern alles und jedes ist vollkommen wahr, was in ihr überliefert ist, ob es dogmatischer Natur ist oder moralischer, historischer, chronologischer, topographischer, onomastischer [Namen betreffend]. 13 Zur theologischen Interpretation der Evolution Die Vorstellung, dass die Lebewesen direkt von Gott nach ihren Arten entworfen und hergestellt wurden, ist nicht haltbar. Das wörtliche Verständnis der Heiligen Schrift auch in Naturdingen ist mit der Evolutionstheorie unvereinbar (z.b. Alter der Welt). Die Entstehung des Menschen ist kein besonderer (biologischer) Schöpfungsakt. Bleiben dann nur Zufall und Notwendigkeit? Der Alte Bund ist zerbrochen; der Mensch weiß endlich, dass er in der teilnahmslosen Unermesslichkeit des Universums allein ist, aus dem er zufällig hervortrat. Nicht nur sein Los, auch seine Pflicht steht nirgendwo geschrieben. (Jaques Monod) 14

8 Zur theologischen Interpretation der Evolution Sinnfragen sind keine naturwissenschaftlichen Fragen. Sie können nicht aus der Beobachter-, sondern nur aus der Teilnehmerperspektive gestellt und beantwortet werden. Auch in der Evolution zeigen sich Richtungen und Trends. Tendenzen zur Selbstorganisation Tendenzen zur Vielfalt Tendenzen zu funktionaler Komplexität Tendenzen zur Gemeinschaft Morphologische Trends (Bewegung, Manipulation) Wachsen der Lernfähigkeit Zunahme an Kommunikation Tendenz zu Bewusstsein und Personalität In alledem zeigt sich, dass Leben um seiner selbst willen da ist (Lebenswille, Freude am Dasein). Theologisch zeigt sich darin das Ja des Schöpfers zum Leben. 15

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