Moritz Schlick FRAGEN DER ETHIK. Kapitel 1 Was will die Ethik?
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- Hans Fried
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1 Mritz Schlick FRAGEN DER ETHIK Kapitel 1 Was will die Ethik?
2 Was charakterisiert die Ethik? Erster Satz des Buches 1. Die Ethik sucht nur Erkenntnis «Wenn es Fragen der Ethik gibt, die einen Sinn haben und daher beantwrtbar sind, s ist die Ethik eine Wissenschaft.» Merkmale der wissenschaftlichen Ethik Ziel = Wahrheit ; Ziel praktische Anwendung, z.b. Weltverbesserung «Slange der Ethiker nur mit seinen theretischen Fragen beschäftigt ist, muss er vergessen, dass er an dem Gegenstand seines Frschens [ ] auch nch ein rein menschliches Interesse hat.» Ethiker (Frscher) Mralist (Prediger) Gefahren der Vermischung vn Ethik und Mral Einfluss vn Gefühlen, Wünschen, Hffnungen, Befürchtungen Verlust der Objektivität «Wie ntwendig diese Bemerkungen sind, lehrt ein Blick auf die ethischen Systeme aller Zeiten: es gibt kaum eines, in dem wir nicht zuweilen einen Appell an das Gefühl der die Mralität des Lesers finden, w wissenschaftliche Begründung am Platze gewesen wäre.» (S 54)
3 Wmit beschäftigt sich die Ethik? Antwrt im Alltagsleben 2. Der Gegenstand der Ethik (1) Gegenstand = die Mral, das Sittliche, das mralisch Wertvlle, Nrmen des Handelns, das Gefrderte, das Gute Was tut die Ethik mit ihrem Gegenstand? Untersuchen und erkennen deklariern, setzten was gut und schlecht ist «[ ] jeder, der etwas erkennen möchte, [muss] zuerst einmal wissen, was er denn erkennen will.» Antwrt des Alltagslebens = Ausgangspunkt, gegeben Wie ist der Gegenstand einer Wissenschaft gegeben? Distinktives Merkmal (Gruppe vn distinktiven Merkmalen) unterscheidet einen Gegenstand vn allen anderen Die Wörter «Mral», «Nrm», «gut» werden im Alltagsleben sinnvll verwendet sie haben eine angebbare Bedeutung
4 Wmit beschäftigt sich die Ethik? 2. Der Gegenstand der Ethik (2) Beispiel der Bilgie (Lehre vm Leben) Besndere Merkmale = die Art der Bewegung, Regeneratin, Wachstum, usw. Der Gegenstand ist vr-wissenschaftlich identifizierbar der gewöhnliche Begriff des Lebens Was tut die Frschung? Präzisere Begriffsbestimmung Grund: Bebachtungen unter allgemeine Gesetze bringen Beispiel der Optik Besnderes Merkmal für den vr-wissenschaftlichen Begriff vn Licht = Lichtempfindung Möglichkeit, zu testen Erweiterung des Begriffs durch Frschung: Teil des elektrmagnetischen Spektrums integriert in Naturgesetze Knsequenzen für die Ethik «gut» usw. muss wie «Leben» und «Licht» vr-wissenschaftlich verständlich sein snst hätte die Ethik keinen Gegenstand
5 Ist das Ziel der Ehik die Definitin des Guten? 3. Über die Definitin des Guten Ethik als möglichst umfassende Beschreibung des Gebrauchs des Wrtes «gut» Ethik = Zweig der Linguistik? Ethik nicht nur Semantik, sndern Semantik für ein einziges Wrt? Definitin und Erklärung Definitinen sind Vrstufen der Wissenschaft Hauptaufgabe der Wissenschaft = Erklärung Erklärung als Reduktin und Entdeckung vn Gesetzmässigkeit Beispiel «Licht»: Reduktin des Phänmens auf elekrmagnetische Vrgänge Gesetze dieses besnderen elekrmagnetischen Vrgangs Ethik als Setzung eines Begriffsinhalts vn «gut» Willkürliche Setzung ist absurd «Auch der Prphet, der Schöpfer einer neuen Mral, schafft niemals einen neuen Begriff vn Sittlichkeit, sndern setzt ihn vraus und behauptet nur, dass andere Verhaltensweisen unter ihn fallen, als das Vlk bis dahin glaubte. Begriffsbestimmung vn «gut» ist Vrbereitung für die Ethik
6 Ist das Gute undefinierbar? 4. Ist das Gute undefinierbar? (1) Definitin durch «genus prximum» und «differentia specifica» Gattung [genus prximum] (z. B. Lebewesen) Art 1 (z. B. Mensch) artbildender Unterschied [differentia specifica] (z. B. vernunftbegabt) Art 2 (z. B. Tier) Was ist der «genus prximum» bei der Definitin vn «gut»?
7 Ist das Gute undefinierbar? Antwrt vn Schlick 4. Ist das Gute undefinierbar? (2) Nicht alle Begriffe können und müssen s definiert werden Die Begriffsbestimmung kann eine Kennzeichnung sein(stentative der deiktische Definitin) Beispiele: Ostentative Definitin vn «grün» «Schau diese Smmerwiese an! Schau die Blätter dieses Baums an! Die Farbe dieser Dinge ist grün.» Ostentative Definitin vn «Lichtempfindung» «Schliess die Türen und die Fensterläden und öffne die Augen um Mitternacht! Dann mach die Tür auf und die Fensterläden und öffne die Augen am Mittag! Im ersten Fall hast Du keine Lichtempfindung, aber im zweiten Fall hast Du eine Lichtempfindung das heisst, du siehst etwas.» Die Kennzeichnung vn «gut» muss ebens einfach sein, denn es handelt sich um eine Tatsachenfrage Die Hypthese eines mralischen Sinnesrgans («mral sense») Analgie «Lichtempfindung» «mralisches Empfinden» Prbleme: kein Organ Verschiedenheit der mralischen Urteile unter gleichen Umständen Unterschiedlich entwickelter mralischer Sinn? Wie feststellen?
8 Was ist die implizite Lgik vn «gut»? 5. Frmale Kennzeichen des Guten Implikatin vn «gut» (laut Immanuel Kant) Wenn die Handlung X gut ist, dann ist die Handlung X gebten Wenn die Handlung X schlecht (böse) ist, dann ist die Handlung X verbten. Knsequenz: «Gut sind Handlungen, die wir tun sllen.» Gebte (und Verbte) haben Urheber: wer ist das bei mralischen Gebten? Verschiedene Atwrten in der Geschichte Thelgische Ethik: Der Urheber ist Gtt (richtig handeln und das Gute tun heisst nach Gttes Willen handeln) Philsphische Ethik: Utilitarismus: Der Urheber ist die menschliche Gesellschaft Eudämnismus: Der Urheber ist der Handelnde Immanuel Kant: Niemand ist der Urheber mralische Gebte sind Kategrische Imperative Kants falsche Schlussflgerung: Ethik ist nur frmal.
9 Was ist der Inhalt vn «gut»? 6. Materiale Kennzeichen (1) Wenn «X ist gut» impliziert «X ist gefrdert» was wird genau gefrdert? Antwrt: Das, was der Urheber («Gesetzgeber») wünscht Prblem: Unsicherheit, wer der Urheber («Gesetzgeber») ist Lösungsvrschlag: Inventar der mralischen Regeln, die man in den Gesellschaften findet Gemeinsamkeiten (empirische Universalien) = materiale Kennzeichen Prblem: X = gut in Gesellschaft A und X gut in Gesellschaft B (Beispiel: Plygamie) Mögliche Knsequenzen Verschiedene Begriffe vn «gut» es gibt nich eine, sndern verschieden Mralen Nur scheinbarer Widerspruch In der Gesellschaft A glaubt man, dass X ein gutes Mittel ist, um ein höheres Ziel Z zu erreichen In der Gesellschaft B glaubt man, dass X kein gutes Mittel ist, um Z zu erreichen Beide Gesllschaften billigen das höhere Ziel Z. Vielleicht ist das, was man in einer Gesellschaft glaubt, falsch Kein Indiz für unterschiedliche Mralen, sndern für unterschiedliche Kenntnisse.
10 Was ist der Inhalt vn «gut»? 6. Materiale Kennzeichen (2) Gibt es Gemeinsamkeiten der Verwendung des Wrtes «gut» in allen Gesellschaften? Antwrt: Ja. (Schlick gibt erst später Belege, auf S. 120) Beispiele: Gut Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft, Verträglichkeit Schlecht (böse) Diebstahl, Raubmrd, Zanksucht Wie sll man «Ausnahmen» vn diesen Gemeinsamkeiten behandeln? Zwei Möglichkeiten Untersuchung der Verhältnisse, in denen in einer Gesellschaft nicht-universelle mralische Urteile gefällt werden Hypthese: ft nur scheinbarer Widerspruch Mehrdeutigkeit des Wrtes «gut» Abweichende individuelle mralische Urteile Sllten untersucht werden wie gesellschaftliche «Ausnahmen» vn universellen Regelmässigkeiten
11 Was ist die Beziehung zwischen Werten («gut»), Nrmen und Prinzipien? 7. Sittliche Nrmen und Mralprinzipien (1) Vn Merkmalen zu Nrmen (Regeln) Gruppe vn guten Handlungen der Gesinnungen (z. B. Verhalten in der Familie) Wert (Gutheit) der Handlung charakterisiert duch Merkmale M1, M2, M3, usw. Nrm (Regel): «Man sll s handeln, dass die Handlung die Merkmale M1, M2, M3, usw. besitzt.» = N1 Die Nrm drückt eine Tatsache aus: Wenn jemand (z. B. in der Familie) s handelt, dass seine Handlung die Merkmale M1, M2, M3, usw. besitzt, dann wird seine Handlung tatsächlich als gut bezeichnet. Vn Nrmen zu Prinzipien Gemeinsamkeiten vn verschiedenen Gruppen vn guten Handlungen verschiedene Nrmen N1, N2, N3, N4, N5, N6, N7, usw. Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Nrmen höhere Nrmen HN1, HN2, HN3, HN4, usw. Gemeinsamkeiten vn höheren Nrmen nch höhere Nrmen HHN1, HHN2, usw. Höchste Nrm (allgemeinste Regel) = Mralprinzip P1
12 Gibt es nur ein einziges Mralprinzip? 7. Sittliche Nrmen und Mralprinzipien (2) Die Möglichkeit vn mehreren Prinzipien Eine empirische Frage Möglichkeit vn «mehreren, vneinander unabhängigen Bedeutungen des Wrtes sittlich gut» In diesem Fall : Mral als Gesamtheit der verschiedenen irreduziblen Mralprinzipien (Wertpluralismus im Gegensatz zu Wertmnismus) Beispiel: der Dekalg Wenn Ethik nur in der Definitin des Guten bestünde wäre jetzt alles zum Thema Ethik gesagt wäre Ethik eine reine «Nrmwissenschaft» : die Entdeckung der Hierarchie vn Nrmen könnte man auf die Frage, warum eine Handlung mralisch gut ist, immer antwrten: «Weil sie unter die Nrm N fällt.» könnte man auf die Frage, warum Handlungen, die unter die Nrm N fallen, mralisch gut sind, immer antwrten: «Weil die Nrm N unter die höhere Nrm HN fällt.» gäbe es keine Antwrt auf die Frage, warum Handlungen, die schliesslich unter das Mralprinzip P1 fallen, gut sind.
13 Warum kann die Ethik nicht einfach eine Nrmwissenschaft sein? 8. Ethik als Nrmwissenschaft (hne Beispiel zu J. St. Mill) Fragen der Nrmwissenschaf Fragen der «Tatsachenwissenschaf» «Mit welchem Rechte wird jener Charakter als gut beurteilt?» «Wann und warum wird ein Charakter tatsächlich als gut beurteilt?» «Was ist schlechthin billigenswert?» «Was wird tatsächlich gebilligt?» abslute Rechtfertigung relativ-hypthetische Rechtfertigung Zwei Knzeptinen vn Rechtfertigung vn Nrmen Empirische Begründung (relativ-hypthetisch) Zeigen, dass eine Nrm anerkennt wird Tatsache der menschlichen Natur Nrmen gegeben Wissenschaft kann nur erkennen Abslute Begründung Zeigen, dass eine Nrm anerkannt werden muss Setzung Keine Tatsache der menschlichen Natur, sndern transzendent Nrmen deklarieren (schaffen) «Die Frage nach der Rechtfertigung der höchsten Nrmen der der bersten Werte is sinnls, da ja nichts Höheres vrhanden ist, wrauf sie zurückgeführt werden könnten.»
14 Gibt es Gegensätze zwischen der philsphischen und der alltäglichen Chrakterisierung vn «gut»? 9. Die Ethik als Tatsachenwissenschaft Nrmen als Tatsachen der menschlichen Natur Wirkliche Gegensätze nicht möglich Behauptete Gegensätze Indizien für eine Vermischung vn Ethik (erkennen) und Mral (setzen) Möglichkeit vn zwei Rllen: Ethiker & Mralist Scheinbare Gegensätze Unvllkmmene Sprache und Gedanken im Alltagsleben Falsches Verständnis vn Tatsachen Aufgabe des Ethikers: Inkhärenzen aufzeigen «[Die Ethik] hat es [ ] mit Wirklichem zu tun» Falscher Stlz einiger Philsphen: Die gemeine Wirklichkeit ignrieren Das reine «Seinsllende» untersuchen Möglichkeit der dentischen Lgik (Nrmenlehre): lgische Beziehungen zwischen Nrmen Verwechslung der dentischen Lgik (irgendwelche Nrmen) mit Ethik (empirisch festgestellte Nrmen) Dentische Lgik als Ethik = «Idealwissenschaft» Vergleich mit imaginärem Schachspiel
15 Was will die Ethik erklären? Rekapitulatin: 10. Die Ethik sucht Kausalerklärung Ethik = das Gute erkennen Der Untersuchungsgegenstand «gut» = kmplex (Nrmen & Prinzipien) Mralische Rechtfertigung der höchsten Nrmen (Prinzipien) = Pseud-Erkenntnis Erklärung in der Ethik «Akte des Regelgebens, des Billigens, des Wertens im menschlichen Bewusstsein» «reale Vrgänge des seelischen Lebens» «Der Wert, das Gute sind blsse Abstrakta, aber das Werten, das Gutfinden sind wirkliche psychische Vrkmmnisse, und die einzelnen Akte sind sehr whl erkennbar [ ]» Warum erklären die Menschen gewisse Handlungen und Gesinnungen als «gut»? Kausalerklärung: Ursache des psychischen Przesses der Wertung erkennen Ursachen als Gesetzmässigkeiten «Die Nrmenlehre fragt: Was gilt tatsächlich als Richtschnur des Handelns?, die erkennende Ethik aber Warum gilt es als Richtschnur des Handelns?»
16 Wie kann man den Akt des Wertens untersuchen? 11. Frmulierung der Hauptfrage Die Beziehung zwischen Handlen und Werten Handlungen als Resultate vn Wertungen Handlungen als Schlüssel zur Erkenntnis vn Wertungen kmplexe Beziehung zwischen Handlungen und Wertungen sagen und tun Wertungen als Bestandteil vn Mtiven Handeln und mralisches Handeln Mralisches Handeln ist eine Unterkategrie vn Handeln Erste Frage deshalb: «Aus welchen Mtiven handeln wir überhaupt?» «Wir fragen als nach den Ursachen, d. h. nach der Gesetzlichkeit alles menschlichen Tuns in der Absicht, daraus dann durch Spezialisierung die Mtive des mralischen Tuns zu gewinnen. Wir geniessen dabei den Vrteil, dass wir die Frge nach dem Wesen des Sittlichen, als nach dem Mralprinzip, slange zurückstellen können, bis das Prblem der Gesetzmässigkeit des handelns überhaupt gelöst ist. Wenn wir aber über das Handeln im allgemeinen Bescheid wissen, werden wir sicher viel leichter auf das besndere des mralischen Handelns aufmerksam werden und den Inhalt des Begriffs «gut» hne Schwierigkeit umgrenzen können.»
17 Ist die Reduktin der Ethik auf Psychlgie prblematisch? 12. Die Methde der Ethik ist psychlgisch Das zentrale Prblem der Ethik Antwrt auf die Frage : Was ist die Ursache vn mralischem Verhalten? Ausschliesslich psychlgische Frage Die Psychlgie erklärt die Mtive (Gesetzmässigkeiten) vn allem Verhalten Psychlgie = empirische Wissenschaft Einwand: «Wenn Ethik ein Teil der Psychlgie ist, dann gibt es ja gar keine Ethik mehr!» Erwiderung Schlicks Die Vernachlässigung der empirischen Psychlgie hat der Ethik geschadet psychlgisch unrealistische Frderungen «Der wahre Philsph [ ] will die einzelnen Wissenschaften nicht selbständig und unabhängig vneinander machen, sndern umgekehrt vereinigen und verschmelzen [ ]» «Der Ethik ist es nicht um Selbständigkeit zu tun, sndern allein um die Wahrheit.»
18 Verständnisfragen (1.a) 1. Wie unterscheidet Schlick «Ethik» und «Mral»? 2. Wie ist der Gegenstand der Ethik gegeben (identifizierbar)? 3. Warum ist, laut Schlick, das Gute nicht undefinierbar? 4. Was sind, laut Schlick, die frmalen Kennzeichen des Guten? 5. Was sind, laut Schlick, die materialen (inhaltlichen) Kennzeichen des Guten?
19 Verständnisfragen (1.b) 1. Warum könnte es, laut Schlick, mehrere irreduzible Mralprinzipien geben? 2. Warum ist, laut Schlick, die Ethik keine Nrmwissenschaft, sndern eine Tatsachenwissenschaft? 3. Warum kann es, laut Schlick, keine wirklichen Gegensätze zwischen der philsphischen Auffassun und der alltäglichen Auffassung vn «gut» geben? 4. Wrin besteht, laut Schlick, die Hauptfrage der Ethik?
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