Einbezug von Angehörigen in die Therapie

Transkript

1 Zwangsstörungen Fortschritte in der Therapie 20 Jahre Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen Kongress in Prien am Chiemsee, Einbezug von Angehörigen in die Therapie Prof. Dr. Michael Rufer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, UniversitätsSpital Zürich

2 Inhalt Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten des Einbezugs von Angehörigen in die Behandlung Systemische Therapieansätze, Kombination kognitivverhaltenstherapeutischer und systemischer Ansätze

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4 Situation der Angehörigen Hoher Leidensdruck bei Betroffenen und ihren Angehörigen Verringertes Wohlbefinden und beeinträchtigte soziale Beziehungen bei Angehörigen im Vergleich zur Normalbevölkerung (Stengler-Wenzke et al. 2006) Fast immer sind sie mit betroffen Unterstützend, hilfreich für den Betroffenen (Rufer et al. 2005) Aber auch oft (ungewollt) aufrechterhaltend, verstrickt in das Zwangssystem Viele Fragen, hoher Beratungsbedarf, oft keine Ansprechpartner Eigene Scham- und/oder Schuldgefühle

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7 Einbezug von Angehörigen in die Therapie Angehörige als Wegbereiter für die Therapie Angehörige als Helfer für die (psychotherapeutische) Diagnostik Entlastung für Angehörige durch «Psychoedukation» Den Betroffenen unterstützen, aber nicht den Zwang Angehörige als aktive Mitarbeiter in Therapie Beratung von Angehörigen, die für sich selbst Hilfe benötigen

8 Beispiele für «Psychoedukation» in Angehörigengesprächen Zwangsstörungen sind gut behandelbare Erkrankungen und sollten adäquat behandelt werden! Verhalten des Betroffenen nicht persönlich nehmen «Das macht er nicht, um mich zu ärgern, das macht der Zwang» Ratschläge «sich zusammenzureissen» etc. helfen nicht Zwangsgedanken werden nicht in Taten umgesetzt und entsprechen auch nicht unbewussten Wünschen Ursachen sind vielfältig, Erziehung nur ein möglicher Faktor

9 Angehörige als aktive Mitarbeiter in der Therapie Therapieziele kennen, Umsetzung im Alltag unterstützen Im Einzelfall: Co-Therapeuten-Funktion, Unterstützung der Exposition Bin ich die geeignete Person? Habe ich genügend Wissen und Zeit? Ist meine Beziehung zum Betroffenen vertrauensvoll genug? Wie wird sich meine Mitarbeit auf die Beziehung auswirken?

10 Evidenz Aktuelle Metaanalyse: Familiy-inclusive treatments (FITs) 29 Studien, 1366 Patienten mit Zwangsstörungen Alter: 7-37 Jahre, im Mittel 18 Jahre (Kognitive) Verhaltenstherapie / Expositionstherapie plus Einbezug der Familie Unterschiede bzgl. Intensität des Einbezugs: Von einmaliger Psychoedukation bis hin zu Co-Therapeuten-Funktion Insgesamt sehr wirksam, hohe Effektstärken, auch langfristig Besseres Therapieergebnis, wenn eine verminderte Einbindung von Angehörigen in die Zwänge gezielt angestrebt wurde Thompson-Hollands et al. (2014) J Fam Psychol 28:

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12 «Im Rahmen des Verhältnisses zwischen Arzt und Patienten müssen Einladungsbriefe jedoch seltsam anmuten, da dieses Verhältnis in der Regel darauf beruht, dass ein Patient um eine Unterredung bittet und man ihm dafür einen Termin gibt. Ich [DE] nutze diese Einladungen, wenn ich der Meinung bin, dass es wichtig ist, Menschen zu einer Therapie zu bewegen, die sich bisher dagegen sträuben.» (White & Epston 2013)

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14 Einige Grundannahmen und Leitsätze der systemischen Therapie Wirklichkeiten entstehen im Dialog Handle so, dass du die Anzahl der Möglichkeiten vergrösserst Allparteilichkeit gegenüber Personen und Problemen Anliegen- und Lösungsorientierung Kontextbezogenheit, Zirkularität

15 Einige systemische Techniken Externalisierung Metaphern, Narrationen, Schriftform Genogramme Familienbrett Reflektierendes Team Kommentare, Schlussinterventionen z.b. Mehr desselben tun bzw. Exposition und Reaktionswiederholung bei Zwangsstörungen (Nardone 1997; Bonchek 2009)

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17 «Zwar liegen eine Reihe von Berichten über gelungene Kurzzeittherapien vor (...), doch führt aufgrund der sich selbst verstärkenden Eigendynamik der Zwänge selten ein Weg an einer störungsspezifische Intervention vorbei» (Schweitzer & von Schlippe 2007)

18 Fricke & Hand (2012)

19 Therapeutische Fragen zum Einfluss auf / von Herrn Zwang Welchen Einfluss gestehen Sie Herrn Zwang auf Ihr Leben zu? Welchen Einfluss haben Sie auf Herrn Zwang? Wer ist von Herrn Zwang noch betroffen? Wer hat noch Einfluss auf Herrn Zwang? Therapeutische Fragen zu Ausnahmen Was war anders, als Sie weniger kooperativ waren? Was haben Sie stattdessen getan/gedacht/gefühlt? Wer wäre am wenigsten erstaunt darüber, dass Sie fähig sind, sich Herrn Zwang zu entziehen? Wie könnten Sie es ihm zukünftig ungemütlich machen?

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23 Fazit (1) Einbezug von Angehörigen in die Therapie hat eine hohe Bedeutung für die Angehörigen und auch die Patienten «Patients have families» (Buchtitel, Richardson 1945): Scheinbar selbstverständlich, aber oft nicht ausreichend beachtet Angehörige / Familien sollten üblicher Weise einbezogen werden (Empfehlung S3-Leitlinie), Evidenzlage ist (noch) unbefriedigend (Aigner et al. 2004, Emmelkamp & de Lange 1983, Mehta 1990, Thompson-Hollands et al. 2014) Bereits ein oder wenige gezielte Gespräche können helfen, Belastungen von Angehörigen zu reduzieren Der Einbezug Angehöriger kann entscheidend für Therapiebeginn, -planung und -durchführung sein

24 Fazit (2) Gerade in festgefahrenen (Therapie-) Situationen können «erweiternde» systemische Sichtweisen hilfreich sein «Handle stets so, dass du die Anzahl der Möglichkeiten vergrösserst» Probleme «aufweichen» «Ein Pflanze wächst nicht schneller, wenn man an ihr zieht» Systemische Techniken können nutzbringend in die kognitiven Verhaltenstherapie eingebaut werden Ohne unbedacht mit eklektischen Mischungen zu arbeiten Evidenzbasierte Verfahren für die Therapie von Zwangsstörungen dürfen deswegen nicht vernachlässigt werden!

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