Neue Spielregeln für die Wohlstandsmessung Brauchen wir Alternativen zum BIP?
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- Hannah Thomas
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1 Neue Spielregeln für die Wohlstandsmessung Brauchen wir Alternativen zum BIP? Dr. Jörg Mayer-Ries Referatsleiter Grundsatzangelegenheiten Umweltpolitik Bundesministerium für Umwelt Konferenz Ökonomie neu denken Frankfurt/Main 23. Januar 2012
2 Gliederung 1. Wohlstandsmessung - ein Umweltthema?! 2. Wohlstandsmessung - ein politisches Thema?! 3. Zur Frage Brauchen wir Alternativen zum BIP? 4. eine empirische Antwort: Der NWI 5. Aufgaben und Anregungen Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 2
3 Wohlstandsmessung - ein Umweltthema?! Wohlfahrt... (als gesamtgesellschaftliche Größe: Welfare, als individuelle Größe: Well-being)... basiert auf der Qualität von (wirtschaftlichem) Wohlstand, aber auch auf Umweltqualität Wohlstand... (als gesamt- u. einzelwirtschaftliche Größe: wealth)... basiert auf Leistungen der Natur/Umwelt: Lebensräume, Ökosystemfunktionen, Ressourcen Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 3
4 Wohlstandsmessung - ein Umweltthema?! Umweltschutz als gesellschaftliche Aktivität trägt zur Sicherung von Wohlfahrt und Wohlstand bei - des Einzelnen und der Gesellschaft - der lokalen wie der globalen Bevölkerung - der heutigen wie der zukünftigen Generationen ist Teil nachhaltiger (Wohlstands-)Entwicklung Umweltpolitik steht im Zentrum gesellschaftlicher Entwicklung ist Wirtschafts-, Innovations-, Sozial-, Außenpolitik versteht sich als Politik für nachhaltige Wohlfahrt Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 4
5 Wohlstandsmessung - ein Umweltthema?! TEEB - The Economics of Ecosystems and Biodiversity 2010 (Leiter Pavan Sukhdev, Deutsche Bank) Ökosystemleistungen: - übersteigen die Leistungen stärkster Branchen - entsprechen 47-89% GDP of the Poor TEEB in Business & Enterprise (12/2011) Gewinn u. Verlustrechnung PUMA: Umweltkosten 2010 THE, Wasser, Fläche Abfall, Luftverschmutzung: 145 Mio Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 5
6 Wohlstandsmessung - ein Umweltthema?! TEEB: Total benefits of conservation compared to benefits from conversion for seven case studies in different countries Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 6
7 Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 7
8 Wohlstandsmessung - ein Politikthema?! Jede Wohlstandsmessung hat politische Relevanz Informationen über Qualität des Zustands Definition nicht Festlegung! von Qualitäts- und Handlungszielen Monitoring der Entwicklung des Zustands und ziel- und zustandsrelevanter Aktivitäten Monitoring von Fortschritten bei der Umsetzung politischer Ziele und Aktivitäten Ausdruck gesellschaftlicher und politischer Prioritäten Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 8
9 Wohlstandsmessung - ein Politikthema?! BIP dient der Legitimation für Politik und staatliches Handeln für individuelles und kollektives Handeln Oberstes Qualitäts- und Handlungsziel (Leitprinzip) der Bundesregierung ist nachhaltige Entwicklung Generationengerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt, globale Verantwortung und Lebensqualität Ziele, Managementregeln, Monitoring durch Kabinettsbeschluss Nationale Nachhaltigkeitsstrategie 2002, 04, 08 u. Febr hoher Standard und Vorbild international Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 9
10 Leitbild Nachhaltige Entwicklung Nachhaltigkeit ist ein ganzheitlicher, integrativer Ansatz. Nur wenn Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen ermittelt, dargestellt und beachtet werden, lassen sich langfristig tragfähige Lösungen für die bestehenden Probleme identifizieren. Dies bedeutet: Umweltschutz, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und soziale Verantwortung sind so zusammenzuführen, dass Entscheidungen unter allen drei Gesichtspunkten dauerhaft tragfähig sind in globaler Betrachtung. Die Erhaltung der Tragfähigkeit der Erde bildet die absolute äußere Grenze; in diesem Rahmen ist die Verwirklichung der verschiedenen politischen Ziele zu optimieren. Bundesregierung: Fortschrittsbericht Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 10
11 Wohlstandsmessung - ein Politikthema?! Indikatoren zur Messung von Wohlstand und der Zielerreichung Thema der Umweltpolitik BMU Federführer und Koordinator der Indikatorenentwicklung und Berichterstattung im Rahmen der Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung (Nachhaltigkeitsindikatoren DESTATIS) BIP sowohl Indikator für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (bis 2011: wirtschaftl.wohlstand, von Beginn an umstritten) als auch Bezugsgröße für Produktivitäts- und Effizienzkennzahlen alle Indikatoren Gegenstand wachsender Auseinandersetzung Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 11
12 Wohlstandsmessung - ein Politikthema?! Wachsende Bedeutung von Indikatoren im Kontext Wissensgesellschaft Globalisierung und Komplexitätssteigerung Mediengesellschaft und Aufmerksamkeitsökonomie und damit wissensbasierter, evidenzbasierter Politik strategischer Langfrist- und Mehrebenenpolitik symbolischer und medienorientierter Politik Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 12
13 Misst BIP (nachhaltigen) Wohlstand? BIP/VGR misst einen Teil der Mengen und Qualitäten wirtschaftlicher Leistungen - und dies unvollständig BIP misst diesen Teil wirtschaftlicher Leistung unter dem Aspekt der Produktion - eindimensional BIP misst Stromgrößen, keine Bestände od. Systeme BIP/VGR ist auf nationale, nicht globale Wertschöpfungsketten orientiert begrenzte Reichweite Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 13
14 Misst BIP (nachhaltigen) Wohlstand? Konzeptionell drei Ebenen von Defiziten: Messung aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Messung aktueller Wohlstand Messung der Nachhaltigkeit unseres Wohlstands ( Wohlfahrt ) Erkenntnis seit Debatte der 1970er/80er Jahre folgenlos in Wissenschaft, Statistik, Wirtschaft und Politik bis EU-GDP & Beyond 2008ff, OECD Measuring Progress 2008ff, Stiglitz-Kommision 2010, SVR Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 14
15 Misst BIP (nachhaltigen) Wohlstand? Inhaltlich defizitäre Einzelaspekte: Ressourcenabbau, Abschreibungen Naturkapital Umweltschäden trotz Umweltschutzmaßnahmen, Katastrophen Immaterielle Schäden: Verödung Landschaften, Lebensräume Wohlstandssteigernde Aktivitäten: unterbewertete öffentliche Leistungen, Dienstleistungen, Ökosystemleistungen, Leistungen des dritten Sektors (Ehrenamt), Hausarbeit, Schattenwirtschaft Ungleiche Verteilung der Einkommen Verschuldungsgrad öffentlicher und privater Haushalte Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 15
16 Misst BIP (nachhaltigen) Wohlstand? Kommunikativ defizitäre Aspekte: Wissenschaft, Medien und Politik korrigieren die Defizite nicht, sondern fördern die falsche Interpretation BIP = Wohlstand Wissenschaft, Medien und Politik stellen allenfalls selten (etwa infolge der Finanzkrise) die Frage, - was Wohlstand war/ist/sein wird - welche Rolle Wohlstandsmessung hatte/hat/haben wird - wie Wohlstandsmessung geleistet, organisiert und kommuniziert werden soll Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 16
17 Eine empirische Antwort: Nationaler Wohlfahrtsindex NWI Basis für Antworten auf Kritik an BIP in der NHS Studie für das Umweltbundesamt / BMU (2008) Prüfung der Aussagen des Indikators Bruttoinlandsprodukt Konzeption und empirische Abschätzung von wohlstandsrelevanten Aspekten als Korrekturfaktor des deutschen BIP NWI keine Alternative (Ersatz) für BIP, sondern empirischer Nachweis signifikanter Defizite konzeptionelle Schwerpunkte für Reform legitimieren kommunizierbares Signal für Handlungsbedarf an Politik, Medien und Wissenschaft Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 17
18 Eine empirische Antwort: Nationaler Wohlfahrtsindex NWI Mayer-Ries - BMU/ZG III 1
19 Eine empirische Antwort: Nationaler Wohlfahrtsindex NWI Mayer-Ries - BMU/ZG III 1
20 Aufgaben und Anregungen Über Reichweite des Indikators BIP in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit/Medien aufklären Identifizierte Defizite der VGR/des BIP hinsichtlich der angemessenen Reichweite korrigieren Andere Reichweiten priorisieren und Ergänzungen entwickeln Anschlussfähigkeit an HH, Unternehmen, Staaten, Öffentlichkeit verbessern Scheinalternativen (i.s. von BIP-Ersatz) unterlassen: Glücks- u. Wohlstandsindices, Nachhaltigkeitszahlen Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 20
21 Aufgaben und Anregungen Ansatz des BMU Weiterentwicklung Indikatoren relevantes politisches Thema u. Vorhaben der Bundesregierung Ziele dieser Aufgabe müssen klar definiert und daher differenziert werden - neues und besseres Wissen über Zustand und Ziele erzeugen (z.b. Ökosystem Ökonomie) - Vergleichbarkeit und Anschlussfähigkeit herstellen (z.b. international, subnational) - Kommunizierbarkeit für politische Entscheider und Öffentlichkeit sichern (z.b. Schlüsselind.) Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 21
22 Aufgaben und Anregungen Ansatz des BMU: Weiterentwicklung NH-Indikatoren Schlüsselindikatoren, flexible Teilndikatoren und Indexbildungen für spezifische Interessen, Funktionen Indikatoren für Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zielen herstellen Indikatoren für nachhaltiges Wirtschaften: - nachhaltiger Konsum (CO2-, Flächen-, Rohstoff-Rucksack) - Einkommensverteilung - Verschuldung/Kreditaufnahme - Green Economy/Green Growth Indikatoren Sicherung und Ausbau der Datenlage Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 22
23 Aufgaben und Anregungen Die Indikator-Diskussion verdeckt, verdrängt und verwirrt die notwendig und rational in Wissenschaft, Beratung und Politik zu führende Debatte: Über die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele, auf denen jede Messung aufbauen muss: Wenn Wohlstand das (ein) gesellschaftliche(s) Ziel ist, wie ist es definiert und politisch erschließbar? Über die Formen und Qualitäten wirtschaftlichen Handelns und wirtschaftlicher Entwicklung, die als Zwecke dem Ziel dienen: Falls BIP-Wachstum und Wohlstand nicht (mehr) korrelieren, kann BIP-Wachstum dann weiter Ziel oder Voraussetzung sein? Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 23
24 Aufgaben und Anregungen Nachhaltige Entwicklung ist als global anerkanntes Leitprinzip unserer Gesellschaft umzusetzen Herausforderung ist die Integration von Zielsetzungen im Rahmen der Tragfähigkeit der Erde Ziel kann also nur nachhaltige Qualität von Ökonomie als System und Handeln sein Die Qualität der Ökonomie Struktur, Handeln und Entwicklung - bestimmt sich über die dauerhafte und global verantwortliche Sicherung der Tragfähigkeit. BIP-Wachstum ist im besten Falle Folge dieser Qualität, nicht aber Voraussetzung Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 24
25 Aufgaben und Anregungen Neben der Indikatoren-Entwicklung ist die Entwicklung angemessener ökonomischer Theorien und Strategien entscheidend und eine entsprechend reflektierte Wirtschaftsberichterstattung, Lehre und Bildung: Ökonomie (wirtschaftliches Handeln) neu denken Ökonomik (als Lehre vom wirtschaftlichen Handeln) und Politikberatung neu gestalten Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 25
26 Aufgaben und Anregungen Finanz-, Wirtschafts-, Armuts- und Ökologiekrise zusammendenken Theorie und Empirie verbinden (VGR als Gegenstand) Physische Grundlagen angemessen reflektieren Raum jenseits von Standorttheorien Zeit jenseits von Diskontierungskonzepten Natur jenseits von isolierten Ressourcen Mythen korrigieren: Mythos Ökonomik als exakte Naturwissenschaft und Mythos Ökonomie als unabhängig von Natur gestaltbar historisch und zukunftsverantwortlich denken Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 26
27 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: Dr. Jörg Mayer-Ries Bundesministerium für Umwelt Referat ZG III 1 Allgemeine und grundsätzliche Fragen der Umweltpolitik joerg.mayer-ries@bmu.bund.de Mayer-Ries - BMU/ZG III 1 27
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