Prof. Dr. Reinhard Singer Wintersemester 2009/2010 ( , 8/T1) Grundkurs im Bürgerlichen Recht. 8 Das Recht der Stellvertretung
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1 Prof. Dr. Reinhard Singer Wintersemester 2009/2010 ( , 8/T1) Grundkurs im Bürgerlichen Recht 8 Das Recht der Stellvertretung I. Begriff und Wesen der Stellvertretung 1. Begriff, Wesen und Funktion der Stellvertretung a) Begriff: Stellvertretung ist Handeln nicht für sich selbst, sondern für einen anderen b) Wesen: Der Vertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab, aber nicht im eigenen, sondern in fremden Namen Beispiel: Kaufvertrag A/B; B vertreten von V Willenserklärungen werden hier ausgetauscht zwischen A und V. Diese wirken für und gegen B, wenn - V im Namen des vertretenen B aufgetreten ist und - V im Rahmen der ihm eingeräumten Vertretungsmacht handelt. c) Funktion der Vertretung: - Arbeitsteilung im Wirtschaftsleben erforderlich - Juristische Personen nur handlungsfähig durch Organe - Minderjährige können ebenfalls rechtlich nicht selbst Rechtsgeschäfte abschließen. 2. Abgrenzung gegenüber verwandter Erscheinungen: a) Bote: Stellvertreter gibt eigene Willenserklärung ab, Bote übermittelt nur fremde Willenserklärung. aa) Wer eigene Willenserklärung abgibt, verfügt über Entscheidungsspielraum. Entscheidend Sicht des Erklärungsempfängers = Auftreten nach außen. bb) Indizien: soziale Stellung der Hilfsperson: Bote: Hausmädchen, Kinder, Hausmeister Stellvertreter: Sekretärin, Verkäuferin, kaufmännische Angestellte 1
2 cc) Bedeutung der Unterscheidung: bei Falschübermittlung durch Boten gilt 120 BGB (= jeder Irrtum berechtigt zur Anfechtung) bei Irrtümern von Stellvertretern sind nur solche Irrtümer beachtlich, die unter 119, 123 BGB fallen. b) Mittelbare Stellvertretung: Der mittelbare Stellvertreter gibt Willenserklärungen im eigenen Namen ab, handelt aber für fremde Rechnung. Klassischer Fall: Kommission ( 383 HGB); Geschäfte, bei denen Hintermann anonym bleiben will (z.b. Kunstauktion). In Wahrheit keine Stellvertretung, weil Wirkungen des Geschäfts den mittelbaren Vertreter treffen, nicht den Hintermann. Hintermann hat schuldrechtliche Ansprüche auf Herausgabe des aus der Geschäftsführung Erlangten ( 667, 675 BGB). c) Handeln unter fremden Namen: Keine Stellvertretung, weil der Handelnde nicht deutlich macht, im Namen eines Anderen zu handeln. Aber: Stellvertretungsregeln gelten analog, wenn die Auslegung ergibt, dass der Namensträger verpflichtet werden soll (Fall der Identitätstäuschung; abzugrenzen von der bloßen Namenstäuschung). Beispiel: Einchecken im Hotelzimmer unter falschem Namen; i.d.r. Identität gleichgültig, weil Hotelzimmer sofort bezahlt werden muss. dazu Fall 55 2
3 Lösung Fall 55: U 929 ( Müller ) E gestohlener Scheck E KfZ-Brief u.schein 929, bar 985? B Anspruch E gegen B auf Herausgabe des Fahrzeugs gem. 985 BGB? Voraussetzungen: E = Eigentümer, B = Besitzer ohne Besitzrecht ( 985, 986). I. Veräußerung E/U (der unter dem Namen Müller auftrat): Einigung: Parteien des Rechtsgeschäfts? a) Bei Handeln unter fremden Namen kommt es darauf an, ob der Namensträger oder die konkret auftretende Person Vertragspartner sein soll. b) Auslegung gem. 133, 157 BGB: Identität des Namensträgers erheblich (Identitätstäuschung)? Kriterien: wird Rechtsgeschäft sofort abgewickelt oder Kredit gewährt; hier: Kredit (Bezahlung mit Schecks). 2. Subsumtion: Bei Veräußerung E/U kommt es auf die Identität des Vertragspartners an, da U lediglich mit Schecks bezahlt hat. 3. Rechtsfolge: Einigung mit Müller, der jedoch nicht wirksam vertreten worden ist ( 177 I BGB) U ist jedenfalls nicht Eigentümer geworden. II. Übereignung U/B 1. Bei Veräußerung durch U, der als E auftritt, handelt es sich um ein Bargeschäft. Folge: Identität des Namensträgers gleichgültig. 3
4 B will mit der Person kontrahieren, die ihm gegenüber steht = U (bloße Namenstäuschung ). 2. U ist zwar nicht Berechtigter (Eigentümer), aber B könnte gutgläubig erworben haben ( 932 BGB). Kfz-Handel: strenge Anforderungen. Vorlage des Kfz-Briefs und Kfz-Scheins. Nicht notwendig Identitätsprüfung, da bei Vorlage des Fahrzeugbriefs aus der Sicht des Bewerbers alles komplett ist. B hat also gutgläubig erworben und ist Eigentümer des Fahrzeugs geworden. E hat nur Schadensersatzansprüche gegen den flüchtigen U (unsicher) III. Voraussetzungen wirksamer Stellvertretung 1. Zulässigkeit der Stellvertretung: unzulässig bei bestimmten höchstpersönlichen Rechtsgeschäften Bsp.1: Eheschließung ( 1311 BGB) Die Eheschließenden müssen die Erklärenden nach 1310 Abs. 1 persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgeben. Erklärung nur gültig, wenn diese vor einem zur Mitwirkung bereiten Standesbeamten, der innerhalb seines Bezirks tätig wird, abgegeben wird (Palandt/Brudermüller, 1310 Rn. 2). [Ausnahmen: 1310 Abs. 2 (Scheinstandesbeamter) und Abs. 3 ( hinkende Ehe = im Ausland gültige, im Inland an sich nicht formgerechte Eheschließung).] Bsp. 2: Errichtung eines Testaments ( 2064 BGB); Stellvertretung unzulässig. 2. Handeln im Namen des Vertretenen ( 164 Abs. 1): es genügt, wenn Umstände ergeben, dass Willenserklärung im Namen des Vertretenen erfolgt ( 164 I 2). Beispiel: Verkäuferin im Warenhaus erklärt nicht ausdrücklich, dass sie im Namen des Geschäftsinhabers handelt. 4
5 a) Anfechtungsausschluss bei Willensmangel: Falls Vertretungswille nicht deutlich geworden ist, kann Geschäftspartner die Erklärung nicht mit der Begründung anfechten, er habe nicht im eigenen Namen handeln wollen ( 164 Abs.2 BGB). Grund: Missbrauch des Anfechtungsrechts soll verhindert werden; bei Anfechtung würde Irrender nur gem. 122 BGB haften. 164 II gilt nicht analog im umgekehrten Fall, in dem der als Vertreter Auftretende Eigengeschäft wollte. Grund: Gegner hat hier wenigstens Vertragspartner b) Ausnahmen vom Offenkundigkeitsprinzip: aa) Geschäft für wen es angeht Lösung Fall 56: Vermieterpfandrecht gem. 562 BGB an den eingebrachten Sachen des Mieters : = wenn H Eigentümerin des Buches ist (1) 929 BGB B H? (a) (b) äußeres Erscheinungsbild ( 164 Abs. 1 S. 2 BGB): H erwirbt Eigentum durch Rechtsgeschäft im eigenen Namen Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip: wenn Geschäftspartner an einer Offenlegung der Vertretungsverhältnisse überhaupt nicht interessiert ist: (2) 929 B - Z Hauptanwendungsfälle: Bargeschäfte des täglichen Lebens, die sofort abgewickelt werden. (a) Einigung B Z nicht persönlich, aber Z vertreten durch H ( 164 I 2) - Handeln in fremdem Namen: entbehrlich (Geschäft für wen es angeht) und - Vertretungsmacht: H war bevollmächtigt ( 167 Abs. 1) 5
6 (b) Übergabe an Z? erfordert tatsächliche Gewalt des Z ( 854 BGB); H = Besitzdiener der Z ( 855 BGB): (+) - Übergabeersatz gem. 930 BGB, wenn Z mittelbarer Besitzer ist ( 868, 930 BGB). Besitzmittlungsverhältnis gem. 868: antizipiert bei Erteilung des Auftrags an H ( 662, 667). Auch in diesem Fall kein Durchgangserwerb des H. Erg.: V hat kein Vermieterpfandrecht c) Unternehmensbezogene Rechtsgeschäfte Verkaufspersonal tritt zwar in fremdem Namen auf, macht aber nicht deutlich, wer Vertragspartner ist. Offenkundigkeitsprinzip eingeschränkt, da Identität des Vertragspartners i.d.r. gleichgültig ist. Beispiele: Restaurantbesuch, Kfz-Reparatur Lösung Fall 57: F muss bezahlen, wenn M - in ihrem Namen die Bestellung aufgegeben hat und - Vertretungsmacht hatte ( 164 I). 1. Bestellung in fremdem Namen? erkennbar unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft (Bäckerei in der Mohrenstraße) 2. Vertretungsmacht des M: sog. Duldungsvollmacht, wenn F in der Vergangenheit Eigenmächtigkeiten des M geduldet hatte (dazu näher unten III 5 b aa OLG Bremen NJW 1970, 1277 f. mit abl. Anm. E. Lorenz)
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