Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins
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- Kai Gehrig
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1 Berlin, im Februar 2004 Stellungnahme Nr. 09/2004 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts (BR-Drs. 03/04 vom ) Mitglieder des Ausschusses: Rechtsanwalt und Notar Eberhard Kempf, Frankfurt a.m.(vorsitz und Berichterstatter) Rechtsanwalt Rainer Endriß, Freiburg Rechtsanwalt Rüdiger Deckers, Düsseldorf Rechtsanwältin Dr. Gina Greeve, Frankfurt a.m. Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt a.m. Rechtsanwältin Gabriele Jansen, Köln Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Berlin 1
2 Rechtsanwalt Werner Leitner, München Rechtsanwalt Georg Prasser, Stuttgart Rechtsanwalt Michael Rosenthal, Karlsruhe Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Potsdam Rechtsanwalt Dr. Rainer Spatscheck, München Zuständige DAV-Geschäftsführerin: Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin Verteiler: Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Rechtsausschuss, Innenausschuss des Deutschen Bundestages Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Andreas Schmidt Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Landesjustizverwaltungen Bundesgerichtshof Generalbundesanwaltschaft Vorstand des Deutschen Anwaltvereins Landesverbände des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzende der Gesetzgebungsausschüsse des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des KAV, BAV Vorsitzender des Forums Junge Anwaltschaft des DAV 2
3 Deutscher Strafverteidiger e.v., Frau Regina Michalke Regionale Strafverteidigervereinigungen Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen und -initiativen Arbeitskreise Recht der im Bundestag vertretenen Parteien Deutscher Richterbund Strafverteidiger-Forum (StraFo) Neue Zeitschrift für Strafrecht, NStZ Strafverteidiger Prof. Dr. Jürgen Wolter, Universität Mannheim ÖTV, Abteilung Richterinnen und Richter Deutscher Juristentag (Präsident und Sekretär) Prof. Dr. Schöch, LMU München 3
4 Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit ca Mitgliedern vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Die Bundesregierung hat am 2. Januar 2004 den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts in den Gesetzgebungsgang eingebracht und damit ein Vorhaben wieder aufgenommen, das die Regierung der 14. Wahlperiode am 11. Juni 2002 bereits eingebracht hatte (BT-Drs 14/9358), das aber der Diskontinuität verfallen war. I. Der Inhalt des Gesetzentwurfs Der Gesetzentwurf übernimmt zahlreiche Ansätze des Entwurfs vom 11. Juni 2002, weicht aber in einigen Punkten auch von ihm ab: Wie der Entwurf 2002 spricht sich der Regierungsentwurf für die Einführung der gemeinnützigen Arbeit als primäre Ersatzfreiheitsstrafe aus ( 43 StGB E), erhebt er das Fahrverbot bei sog. Zusammenhangstaten zu einer neuen Hauptstrafe (anstelle oder neben einer Freiheits- oder Geldstrafe) ( 44 StGB E) und erweitert er den Anwendungsbereich der Verwarnung mit Strafvorbehalt ( 59 StGB E). 4
5 Anders als der Entwurf 2002 sieht der jetzige Regierungsentwurf in 42 S. 3 StGB E eine bessere Berücksichtigung von Opferinteressen vor, indem dem zu einer Geldstrafe Verurteilten Zahlungserleichterungen gewährt werden sollen (bisherige Regelung in 459 a Ans. 1 S. 1 StPO: können ), wenn ohne die Zahlungserleichterung die Wiedergutmachung des Schadens gefährdet wäre; sieht der Regierungsentwurf vor, dass nur noch 1/20 einer Geldstrafe einer anerkannten gemeinnützigen Einrichtung der Opferhilfe zukommen soll ( 40 a StGB E), soll das Konzept der Abwendung von Freiheitsentziehung durch gemeinnützige Arbeit nicht nur bei der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen, sondern auch bei der (Rest-)Vollstreckung von Freiheitsstrafen angewendet werden ( 55a StGB E) und wird die Öffnung der bisherigen Halbstrafenregelung für alle zeitigen Freiheitsstrafen im Falle der Erstverbüßung nicht vorgesehen. II. Stellungnahme Der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins hat bereits die Anstrengungen der Vorgängerregierung begrüßt, das nicht sehr ausdifferenzierte System strafrechtlicher Sanktionen zu erweitern und zu verfeinern, um damit die sozial nicht mehr aufzufangenden Auswirkungen der Vollstreckung vor allem kurzer Freiheitsstrafen zu vermeiden. Der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins hat seine Positionen zum strafrechtlichen Sanktionensystem und dessen Reformierungsbedarf in einer umfassenden Veröffentlichung der Öffentlichkeit vorgestellt ( Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems. Alternativentwurf des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, 2000). Er knüpft heute hieran ebenso an wie an seine Stellungnahme von März 2001 zum damaligen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, der 5
6 bis auf wenige Ausnahmen in den Regierungsentwurf unter BT-Drs 14/9358 vom 11. Juni 2002 übernommen wurde. Dies vorausgeschickt kann sich der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins auf folgende grundsätzliche Feststellungen beschränken: 1. Erweiterung der Ersetzung kurzer Freiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit Es ist zu begrüßen, dass die Leistung gemeinnütziger Arbeit zur primären Ersatzstrafe ausgebildet werden soll, so dass sowohl kurze Freiheitsstrafe als auch Geldstrafen durch Leistung gemeinnütziger Arbeit abgeleistet werden können. Zu begrüßen ist auch, dass der Regierungsentwurf den Umrechnungsmaßstab Geldstrafe : gemeinnützige Arbeit auf 1 Tagessatz = drei Stunden gemeinnütziger Arbeit vorschlägt ( 43 Abs. 1 Satz 2 StGB E). Für den Fall der Umrechnung einer Ersatzfreiheitsstrafe wegen einer uneinbringlichen Geldstrafe sieht 43 Abs. 2 StGB E ein Umrechnungsverhältnis von zwei Tagessätzen zu einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe vor. Dadurch wird die Leistung gemeinnütziger Arbeit deutlich attraktiver gestaltet. 2. Fahrverbot als Hauptstrafe ( 44 StGB E) Der Regierungsentwurf gestaltet das Fahrverbot neben Geld- und Freiheitsstrafe zu einer strafrechtlichen Hauptstrafe. Der Strafrechtsausschuss des Deutschen des Deutschen Anwaltvereins hat sich bereits frühzeitig hiergegen ausgesprochen. Das System von Spiegelstrafen (Handabhacken für Diebstahl, Zunge abschneiden für Aussagedelikt, Fahrverbot für Vergehen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs ) ist überwunden und ohnehin nur anwendbar, wenn der Beschuldigte eine Fahrerlaubnis hat. Die mit dem Fahrverbot gewünschten Wirkungen können wie bisher mit einem Fahrverbot als Nebenstrafe erzielt werden. 6
7 3. Erweiterung des Anwendungsbereichs der früheren Verwarnung mit Strafvorbehalt (jetzt: Verurteilung mit Strafvorbehalt, 59 StGB E) Es ist zu begrüßen, dass der Regierungsentwurf die kann-bestimmung einer Verurteilung mit Strafvorbehalt zu einer Muss-Bestimmung umformen will ( so verwarnt ihn ) und die bisherige Ausschlussbestimmung in 59 Abs. 2 StGB wegfallen soll, die eine Verwarnung unter Strafvorbehalt in der Regel ausgeschlossen hat, wenn der Täter während der letzten drei Jahre vor der Tat mit Strafvorbehalt verwarnt oder zu Strafe verurteilt worden ist. Beide Änderungen des bisherigen 59 StGB können aus der Verurteilung mit Strafvorbehalt eine echte Eingangsstrafe am unteren Ende des strafrechtlichen Sanktionensystems werden lassen, die nicht nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eingesetzt werden kann. 4. Bessere Berücksichtigung von Opferinteressen Es ist zu begrüßen, dass der Regierungsentwurf die bisherige Vollstreckungsregelung des 459 a StPO vorzieht und in 42 StGB E als Sollvorschrift ausgestaltet, dem Verurteilten Zahlungserleichterungen zu gewähren, wenn ohne die Bewilligung die Wiedergutmachung des durch die Straftat verursachten Schadens durch den Verurteilten erheblich gefährdet wäre, /20 einer Geldstrafe für gemeinnützige Einrichtung der Opferhilfe Die Glaubhaftigkeit öffentlicher Erklärungen, sich zur Verbesserung von Opferschutz einsetzen zu wollen, nimmt Schaden, wenn der Regierungsentwurf den Teil von Geldstrafen, den Gerichte gemeinnützigen Einrichtungen der Opferhilfe zuweisen ( 40 a StGB 7
8 E), gegenüber dem Entwurf vom 11. Juni 2002 von 1/10 auf 1/20 halbiert. Bereits der in dem Referenten- und Gesetzentwurf der vergangenen Legislaturperiode vorgesehene Zehnte war nicht gerade ein Ausbund großzügiger Opferhilfe. 6. Ersetzung kurzer Freiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit ( 55 a StGB E) Der Regierungsentwurf hat im Wesentlichen den Ansatz des ursprünglichen Referentenentwurfs von Juni 2001 übernommen, der im Regierungsentwurf von Juni 2002 nicht enthalten war, das Konzept aber in nicht unerheblicher Weise gekappt : a) Nicht Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten, sondern nur solche unter sechs Monaten können, nicht mehr sollen durch gemeinnützige Arbeit abgewendet werden können, wenn es sich um sog. Erstverbüßer handelt ( 55 a Abs. 1 Nr. 1 StGB E) oder die Entschädigung des Opfers durch Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gefährdet wäre ( 55 a Abs. 1 Nr. 2 StGB E). b) Für die Abwendung von Freiheitsstrafe sieht 55 a Abs. 2 StGB E im Gegensatz zum Umrechnungsmaßstab von Geldstrafe den doppelten Umrechnungsmaßstab von einem Tag Freiheitsstrafe zu sechs Stunden gemeinnütziger Arbeit vor. Die so vorgesehenen Möglichkeiten der Abwendung der Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen sind zu begrüßen, wenn der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins auch bedauert, dass sie in nur geringerem Umfang vorgesehen sind, als dies in früheren Entwürfen der Fall war. 7. Verzicht auf eine Erhöhung der 2-Jahres-Grenze für die Aussetzung von Freiheitsstrafen zu Bewährung ( 56 StGB) und Verzicht auf eine Öffnung der Halbstrafenentlassungsmöglichkeiten des 57 StGB 8
9 a) Der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins hat sich in seinem Alternativentwurf für die Erhöhung der bisherigen 2-Jahres-Grenze für die Möglichkeit zur Aussetzung von Freiheitsstrafen zu Bewährung auf drei Jahre ausgesprochen. Trotz der nicht von der Hand zu weisenden Gefahr eines Sogeffekts, also einer Erhöhung von Strafen, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt, später aber möglicherweise widerrufen werden, hält der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins daran fest, dass diese in 57 StGB ohnehin als Ausnahme ausgestaltete Möglichkeit das Sanktionsinstrumentarium des StGB erweitern würde, das für geeignete Fälle auch konkret bereit gestellt werden sollte. Es ist umso bedauerlicher, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf die Grenze bewährungsfähiger Freiheitsstrafe nicht anhebt, als die vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene kommentierte Rückfallstatistik Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen von Jehle, Heinz und Sutterer zu dem Ergebnis kommt, dass die Bewährungsstrafen gegenüber vollzogenen Freiheits- und Jugendstrafen deutlich besser ab(schneiden). Es wäre zu begrüßen, wenn die Bundesregierung ihre Position im laufenden Gesetzgebungsverfahren angesichts dieser Forschungsergebnisse überprüfen würde. b) Der Referentenentwurf von Juni 2001 hatte die Möglichkeit vorgesehen, bei Erstverbüßern alle zeitigen Freiheitsstrafen nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung aussetzen zu können. Der jetzt vorliegende Regierungsentwurf enthält eine solche Regelung nicht. Auch insoweit bleibt der Regierungsentwurf hinter den Erwartungen zurück, die in Einzelfällen in sinnvoller Weise eingesetzt werden könnten. 9
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