II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (2): Der Mensch als "intuitiver Wissenschaftler": Attributionstheorien
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1 II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (2): Der Mensch als "intuitiver Wissenschaftler": Attributionstheorien 1. Attribution: Mensch als Wissenschaftler 2. Drei klassische Ansätze Heider Jones & Davis Kelley 3. Kritik und Weiterentwicklungen 4. Anwendungen
2 1. Attribution: Mensch als Wissenschaftler Leitbild: Mensch als rationales Wesen; Denken dient der Erkenntnis der Wahrheit -- bezogen auf das Selbst und die externe (soziale) Realität Wie? Durch Finden der Ursachen von Ereignissen und Verhalten --- Mensch als "intuitiver Wissenschaftler"
3 Wie schließt man vom beobachteten Verhalten auf die dahinter liegenden Ursachen? Aussagen hierüber machen die Attributionstheorien Definition: Attribution = Ursachenzuschreibung Funktionen: verstehen, vorhersagen, kontrollieren Auftreten: bei wichtigen (z.b. emotionsauslösenden), negativen bzw. unvorhergesehenen Ereignissen und Verhaltensweisen
4 2. Drei klassische Ansätze Heider (1958): The psychology of interpersonal relations "naive Psychologie": Einsichten des Laien, Psychologie des "gesunden Menschenverstandes" bevorzugte Ursachen: stabil und überdauernd; Rückführung von Verhalten auf "dispositional properties" V = f (P, U) Heiders Theorie v.a. von programmatischer Bedeutung, nie systematisiert
5 Jones & Davis (1965): Theorie der korrespondierenden Schlussfolgerungen Zwei Stufen: 1. Zuschreibung von Intention (Wissen, Fähigkeit, Wahlfreiheit) 2. Zuschreibung einer Disposition (eigtl. Gegenstand der Theorie). Im 2. Schritt sind 2 Faktoren bestimmend: a) Anzahl der distinktiven Merkmale ("noncommon effects") b) Soziale Erwünschtheit "social desirability"
6 Beispiel: Warum wählt O den Studienort B? Kriterium der distinktiven Merkmale: Fall I: Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität Studienort B: nah, Großstadt, alte Universität Fall II: Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität Studienort B: weit, Kleinstadt, moderne Uni Fall III: Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität Studienort B: nah, Großstadt, moderne Uni
7 Kriterium der sozialen Erwünschtheit: Fall I: O's Eltern, Freunde und Bekannte empfehlen Studienort B. Fall II: O's Eltern, Freunde und Bekannte empfehlen Studienort A. Fazit: Nichtübereinstimmende Konsequenzen (je weniger, desto besser) erlauben dispositionale Attribution. Sozial unerwünschte Handlungen erlauben dispositionale Attribution.
8 Empirische Befunde stützen die Theorie (z.b. Jones, Davis & Gergen, 1961; Jones & Harris, 1967) Aber: Selbst wenn keine Entscheidungsfreiheit vorliegt, wird von Verhalten auf Dispositionen geschlossen (L.Ross: "fundamental attribution error"; Ross, Amabile & Steinmetz, 1977) pro Erschlossene Einstellung Verfasser hat keine Wahl Verfasser hat freie Entscheidung anti Pro-Castro Anti-Castro Daten aus Jones & Harris (1967)
9 Kelley (1973): Kovariationsmodell Kovariation als notwendige Bedingung für Kausalität: Ursache und Wirkung müssen zusammen auftreten. Wenn Experiment unmöglich, verwendet auch die Wissenschaft beobachtete Kovariation als Grundlage für Urteile über Kausalbeziehungen. Kelley: Individuum als "naiver Wissenschaftler" verhält sich ebenso. Drei Arten von Information bestimmen das Urteil:
10 Drei Arten von Information bestimmen das Urteil: Konsensus: Reagieren andere Personen in dieser Situation in gleicher Weise? Konsistenz: Reagiert P auf dieses Objekt bei anderen Gelegenheiten in gleicher Weise? Distinktheit: Reagiert P auf andere, unterschiedliche Objekte in gleicher Weise? "ANOVA-Modell"
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12 Attribution nach Kelley Konsensus Distinktheit Konsistenz Person Entität Umstände Kelley (1973): Konfigurationsmodell Bei einmaliger Beobachtung Kausalschemata Schema multipler hinreichender Ursachen: Abwertungsprinzip ("discounting principle") Aufwertungsprinzip ("augmentation principle") Vergleich: Kovariationsmodell ist "datengetrieben", Konfigurationsmodell "theoriegeleitet".
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14 3. Kritik und Weiterentwicklungen Einige Annahmen und kritische Einwände dazu: Sukzessive Abspeicherung und Entdeckung von Kovariation. Aber: Kovariationsurteile z.t. von Augenfälligkeit bestimmt (Hamilton & Gifford, 1976; Taylor & Fiske, 1975). Verschiedene Informationen gehen mit gleichem Gewicht in das Urteil ein. Aber: Konsensusinformation erhält geringeres Gewicht; dispositionale Ursachen werden überschätzt (Ross et al., 1977).
15 Kein Unterschied zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Aber: Handelnde sehen Ursachen eher in Situation, Beobachter eher in handelnder Person. Schlüsseluntersuchung: Storms (1973) Attribution als rationaler Prozess: keine motivationalen Verzerrungen. Aber: Selbstwertdienliche Verzerrungen, v.a. bei Attributionen für Erfolg und Misserfolg (z.b. Miller & Ross, 1975). Attribution als datengetriebener Prozess: Die Daten bestimmen das Ergebnis. Aber: Kommunikationskontext ist bedeutsam. Nur was von der Norm abweicht, gilt als "gute" Erklärung (Hilton & Slugoski, 1986).
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17 Gründe für Akteur-Beobachter-Unterschiede Unterschiedliche Informationen Unterschiedliche Perspektiven Selbstwertschutz Kontrollmotivation (bei Erwartung späterer Interaktion) 4. Anwendungen Attributionale Theorie der Motivation und Emotion (Weiner, 1986) Ereignis (z.b. Prüfungsversagen) ergebnisabhängige Gefühle Kausalattribution attributionsabhängige Gefühle Verortung auf Attributionsdimensionen dimensionsabhängige Gefühle, Erwartung und Verhalten (z.b. Prüferwechsel) Anwendung im pädagogischen Bereich
18 Attributionsdimensionen und ihre Folgen nach Weiner Lokation: selbst (Stolz, Scham), andere (Dankbarkeit, Ärger), Zufall (Überraschung) Stabilität: Zuversicht, Hoffnungslosigkeit Kontrollierbarkeit: Ärger, Mitleid, Sympathie Theorie der erlernten Hilflosigkeit (Abramson, Seligman & Teasdale, 1978) individuelle Unterschiede im Attributionsstil stabile, internale, globale Attribution negativer selbstrelevanter Ereignisse als dispositionaler Bedingungsfaktor für Depression Anwendung in der kognitiven Therapie
19 Fazit Mensch als intuitiver Wissenschaftler problematisch, was das Ergebnis angeht (Verzerrungen, "biases"). Deshalb jedoch noch keine Abkehr vom rationalen Menschenbild; Ziel Fähigkeit. Entscheidungen oft unter suboptimalen Bedingungen Attributionstheorien eher normative Modelle als Theorien mentaler Prozesse Enormer Einfluss auf die Forschung, insbesondere in Reaktion auf diese Modelle? Urteilsheuristiken? Social Cognition
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