Zu Frank Wedekinds "Frühlingserwachen"

Transkript

1 Germanistik Genevieve Mulack Zu Frank Wedekinds "Frühlingserwachen" Erörterung der Fragestellung, ob es sich um ein offenes oder geschlossenes Drama handelt Essay

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3 Erörterung zur Fragestellung, ob es sich bei Frank Wedekinds Werk um ein geschlossenes oder ein offenes Drama handelt Von: Genevieve Mulack Datum: 6. März 2009 Im Jahr 1890 lehnt ein Münchner Verlag den Druckauftrag für die Veröffentlichung eines gesellschaftskritisch-satirischen Dramas eines jungen Autors, aus Angst vor rechtlichen Problemen, ab. Ein Jahr darauf erscheint das Buch jedoch trotzdem in den Verkaufsregalen, da es nun auf eigene Kosten des Autors vervielfältigt wurde. Durch dieses Werk wird die Diskussionsbereitschaft der Gesellschaft deutlich angeregt und das Stück wird sogar, nach seiner Uraufführung am 20. November 1906 an den Berliner Kammerspielen, aufgrund seiner angeblichen Obszönität verboten oder zensiert. Bei dem Drama handelt es sich um die Kindertragödie Frühlings Erwachen, welches 1891 in Zürich, von dem aufstrebenden Autor Frank Wedekind veröffentlicht wurde. Bis zu dem heutigen Tag wurde die Zäsur wieder aufgehoben und das Werk stellt in einigen deutschen und österreichischen Bundesländern eine weit verbreitete Schullektüre dar. Die Kindertragödie behandelt die Problematik des Erwachsenwerdens bei Jugendlichen. Thematisiert werden die entwickelten Bedürfnisse, welche den Alltag der Hauptpersonen Wendla, Melchior und Moritz drastisch verändern. Doch die mangelnde Aufklärung, unerwartete Schicksale, sowie eine problematische Gesellschaft erschweren die Situation, sodass es zu fatalen Folgen kommt. Dies führt zu einem unvermuteten Ende, in welchem alleine die Hauptperson Melchior überlebt, da sein Freund aus schulischen Gründen Selbstmord begangen hat und seine Schulkameradin Wendla, auf Grund der Folgen einer unerwarteten Schwangerschaft, dank ihm stirbt. Bei dem Lesen des Werkes wird der Leser mit mehreren Fragen und Problemen konfrontiert, wie die Differenz zwischen der Jugend und den Erwachsenen, oder der Verbindung zwischen Schule und Selbstmordgedanken, allerdings tauchen auch literarische Ungeklärtheiten auf, wie die Fragestellung, ob es sich bei der Tragödie um ein geschlossenes oder ein offenes Drama handelt. Da die Lektüre, mit welcher sich diese Erörterung befasst, Merkmale beider Dramenformen aufweist.

4 Die offene und geschlossene Form beschreibt zwei gegensätzliche Typen der Dramatik. Oft sind allerdings keine eindeutigen Abgrenzungen möglich, manchmal sind auch beide Richtungen in der Entwicklung eines Dramas nachweisbar. Da viele Dinge in Wedekinds Werk anders scheinen, wie sie sich am Schluss entwickeln, beschäftigt sich diese Erörterung mit der Überprüfung der Hypothese, ob es sich in der Kindertragödie Frühlings Erwachen um eine Mischform des offenen und geschlossenen Dramas handelt. Diese Erörterung beginnt mit einer schriftlichen Diskussion, über zutreffende Aspekte, zentraler Merkmale beider Dramenformen, auf Wedekinds Werk. Nach der Untersuchung des Dramenaufbaus und der Handlung, wird sich dieser Aufsatz mit der Analyse der Struktur von Raum und Zeit, den Personen und der Sprache beschäftigen. Ein geschlossenes Drama erkennt man an dem zentralen Merkmal, dass es sich bei der beschriebenen Handlung um einen Ausschnitt aus einem vollständigen Stück handelt. Das heißt, dass dieser eine Ausschnitt zusammenhängend und ohne große Lücken geschrieben wurde. Das zentrale Merkmal eines offenen Dramas ist, dass das Stück von Vielheit und Dispersion geprägt wird. Dispersion kommt von dem lateinischen Wort dispergere, welches mit den Verben "ausbreiten" und "zerstreuen" übersetzt werden kann. In der Germanistik wird mit dem Begriff "Dispersion", ähnlich wie das Wort "Vielheit" das Vorkommen, einer Vielzahl von Nebenaspekten, wie zum Beispiel, Nebenrollen, Subhandlungen oder Schauplätzen beschrieben. Veranschaulicht soll dies heißen, dass sich eine große Menge an verschiedenen Aspekten zu einem Ganzen zusammenfügt, obwohl es in Abschnitten präsentiert, variiert oder kontrastiert wurde. In der Kindertragödie "Frühlings Erwachen" handelt es sich um ein Drama, welches, mit einem Zeitraum von einem halben Jahr (vgl. S.8, Z.5; S.67, Z.24 ff.) einen Abschnitt aus dem Leben der jugendlichen Hauptpersonen darstellt, dies lässt auf die strukturierte Form eines offenen Dramas deuten. Dagegen spricht allerdings, die fehlenden Abschnitte, von welchen das Werk durchzogen wird und welche offene Zeiträume in der Handlung darstellen, wie zum Beispiel die Abwesenheit Melchiors (S.59, Z.24 ff.), als er sich in der Erziehungsanstalt

5 befindet. Zwischen seiner Abschied und seiner Rückkunft steht eine zeitliche Lücke von einem viertel Jahr (vgl. S.59, Z.24 ff; S.67, Z.24 ff.), in dieser Zeit werden keinerlei Geschehnisse beschrieben. Da es sich zusätzlich in der Gliederung der Tragödie um drei hauptsächliche Handlungsstränge handelt, aus welchen verzweigt die Nebenhandlungen ausgehen, wird das Merkmal des offenen Dramas erkennbar. verstärkt wird diese These durch die Vielzahl an Nebenfiguren (vgl. S.5, Z.1 ff.) und Handlungsorte (vgl. S.7, Z.1; S.18, Z.14; S.46, Z.1), welche allerdings noch einmal in einem späteren Abschnitt der Erörterung weiter thematisiert werden. Der Aufbau des Dramas weißt ebenfalls unterschiedliche Aspekte auf, so dass man erneut Zusprüche für beiden Dramenformen erkennen kann. Der Aufbau eines geschlossenen Dramas wird durch festgesetzte Merkmale gekennzeichnet, wie die Exposition, den Wendepunkt, das retardierende Moment, der Höhepunkt, die Katastrophe und die Lösung. Im klassischen offenen Drama werden diese Punkte in einer pyramidialen Struktur angeordnet, welche sich durch die Anordnung der Einzelteile in eine Hierarchie bildet. In Wedekinds Werk sind einige dieser Unterpunkte nachweisbar, wie zum Beispiel das retardierende Moment, welcher durch den Szenenabschluss 1.5, als Melchior Wendla schlägt (vgl. S.24, Z.24), zu Stande kommt. Ebenfalls ist ein Höhepunkt erkennbar, dieser wir durch das sexuelle Vergnügen der beiden, eben genannten Hauptpersonen, auf dem Heuboden, gebildet (vgl. S.37, Z.1 ff.). Die Katastrophe stellt der Tod Wendlas, auf Grund ihrer Unaufgeklärtheit dar (vgl. S. 68, Z.30) und die Lösung wird durch den Entschluss Melchior, gegen den Tod (vgl. S.71, Z.9), beschrieben. Allerdings sind nicht alle Merkmale des klassischen Dramenaufbaus nicht vollständig nachweisbar. Ein Beispiel stellt die Exposition des Stückes dar, zwar wird zum einen die eigentümliche Stimmung des Stückes widerspiegelt, in dem eine Diskussion zwischen der Jugendlichen Wendla und ihrer erwachsenen Mutter beschrieben wird (vgl. S.7, Z.1 ff.). Zum anderen fehlt allerdings die Beschreibung von Ort und Zeit, welche in einem geschlossenen Drama normalerweise in der ersten Szene zu erkennen ist. Auffällig ist auch, dass die Einzelpassagen nicht in einem gleichmäßigen Rhythmus oder einer gesteigerter Hierarchie angeordnet sind, dies verdeutlicht ebenfalls die Widersprüchlichkeit der Merkmale des offenen Dramas, an Hand der Kindertragödie.