10 Mehrdimensionale Differentialrechnung
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- Elisabeth Winter
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1 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung 10.1 Grundlagen Skalar- und Vektorfunktionen Eine Funktion f : D(f) R R ordnet jeder reellen Zahl x D(f) eine reelle Zahl f(x) zu. Nun betrachten wir Funktionen, bei denen die unabhängige Variable und eventuell auch die abhängige Variable n-tupel sind. Definition Seien n N >0 und m N >1. Man nennt f : D(f) R n R f : D(f) R n R m Skalarfunktion, Vektorfunktion. Abkürzend sagt man in beiden Fällen auch wieder Funktion. Die Funktion f : D(f) R n R ordnet also jedem n-dimensionalen Spaltenvektor oder n-tupel x D(f) die reelle Zahl zu. Man sagt daher auch, dass f(x) = f((x 1,...,x n )) =: f(x 1,...,x n ) f : D(f) R n R, (x 1,...,x n ) f(x 1,...,x n ) eine Funktion der n unabhängigen Variablen x 1,...,x n ist. Eine Vektorfunktion f : D(f) R n R m ist somit darstellbar als f(x) = f 1 (x 1,...,x n ). f m (x 1,...,x n ), wobei f i : D(f) R n R die Koordinatenfunktionen von f sind. Bemerkung Wir verzichten auf eine besondere Kennzeichnung von mehrdimensionalen Vektoren. Ob eine Funktion Vektorfunktion oder eine Funktion mehrerer Variabler ist, sieht man an der Definition der Funktion. 203
2 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung Der Graph einer Skalarfunktion f : D(f) R 2 R, graph(f) = {(x,y, z) R 3 : (x,y) D(f), z = f(x,y)}, kann häufig als Fläche F im x,y, z-raum interpretiert werden. Die Mengen N a = {(x,y) D(f): f(x,y) = a} stellen im regulären Fall Niveaulinien oder Höhenlinien zum Niveau a dar. z y D(f) graph(f) x Beispiel Für die Funktion f : D(f) = R 2 R mit f(x,y) = x 2 + 4y 2 gilt W(f) = [0,+ [. Die Niveaulinie zum Niveau a ist die Menge N a = {(x,y) R 2 : x 2 + 4y 2 = a}. Wir haben N 0 = {(0,0)}, N a = für a < 0. Für a > 0 ist N a eine Ellipse mit den Halbachsen a und a/2. Ferner sind die Schnitte von graph(f) mit (zur x,z-ebene parallelen) Ebenen y = c die Parabeln z = x 2 + 4c 2. Man nennt graph(f) daher elliptisches Paraboloid Stetigkeit ( ) Definition Eine Folge (x m ) m N mit x m = x (m) 1,...,x (m) n R n heißt konvergent ( ) mit dem Grenzwert x 0 = x (0) 1,...,x(0) n R n falls lim x m x 0 = 0. m Schreibweise: lim m x m = x 0. Definition Eine Funktion f : D(f) R R heißt stetig in einem Punkt x 0 = (x (0) 1,...,x(0) n ) D(f), falls lim m f(x m ) = f(x 0 ) für jede Folge von Punkten (x m ) m N D(f) mit lim x m = x 0 gilt. Die Funktionf heißt stetig, falls f in allen Punkten x D(f) m stetig ist. 204
3 10.2 Differenzierbarkeit Beispiel Wir untersuchen die Stetigkeit von f : R 2 R, f(x 1,x 2 ) = x x 2 2 in x 0 = (1,2) stetig. Es sei (x m ) m N mit x m = (x (m) mit lim x m = x 0. Wegen m gilt dann 1,x (m) 2 ) eine beliebige konvergente Folge lim x m x 0 = 0 lim m m x(m) 1 = 1 lim m x(m) 2 = 2 lim m f(x(m) 1,x (m) 2 ) = lim m ( x (m) 1 ) 2 + lim m ( x (m) 2 ) 2 = = 5 = f(1,2), d. h. f ist im Punkt x 0 = (1,2) stetig. Man kann zeigen, dass f für alle x R 2 stetig ist. Beispiel Sei f : R 2 R mit f(x,y) = Wegen ist f in (0,0) nicht stetig. lim ξ 0 f(ξ,ξ) = 1 2 lim ξ 0 f(ξ, ξ) = 1 2 xy x 2 +y 2 für (x,y) (0,0), und f(0,0) = Differenzierbarkeit Ableitungsbegriff Wir wollen den Ableitungsbegriff auf Abbildungen f : D(f) R n R m mit n 1 oder m 1 verallgemeinern, so dass möglichst viele der Eigenschaften der skalaren Ableitung dabei erhalten bleiben. Definition Der Punkt x 0 D R n heißt innerer Punkt von D, wenn es ein ε > 0 derart gibt, dass x D für alle x R n mit x x 0 < ε gilt. Die Menge D R n heißt offen, wenn sie nur aus inneren Punkten besteht. Definition Eine Abbildung L: R n R m heißt linear, wenn L(αx+βy) = αlx+βly für alle x,y R n, αβ R gilt. Satz Eine Abbildung L: R n R m ist genau dann linear, wenn eine Matrix A R m n existiert mit Lx = A x für alle x R n. 205
4 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung Definition Die Abbildung f : D(f) R n R m heißt differenzierbar in x 0 D(f), wenn x 0 innerer Punkt von D(f) ist und wenn eine lineare Abbildung L: R n R m und eine Abbildung R: R n R m existieren mit R(h) f(x 0 + h) = f(x 0 ) + L(h) + R(h) für x 0 + h D(f), lim = 0. h 0 h Die von x 0 abhängige lineare Abbildung L heißt (Fréchet-)Ableitung oder totale Ableitung von f in x 0 und wird mit f (x 0 ) bezeichnet, d. h. f (x 0 ) = L. Definition Die nach Satz zu f (x 0 ) gehörende Matrix J f (x 0 ) heißt Jacobi- Matrix zu f an der Stelle x 0. Anstelle von f (x 0 ) können wir also auch J f (x 0 ) bestimmen. Definition Die Abbildung f : D(f) R n R m heißt differenzierbar auf M D(f), wenn f in jedem Punkt x 0 M differenzierbar ist. f heißt differenzierbar, wenn f auf D(f) differenzierbar ist. Satz Sei f : D(f) R n R m differenzierbar in x 0 D(f). Dann ist f in x 0 stetig Partielle Ableitungen von Skalarfunktionen Sei f : D(f) R n R. In vielen Fällen interessiert uns nicht die volle lineare Approximierbarkeit von f bei einer Stelle x 0 D(f) sondern nur bei x 0 in vorgegebenen Richtungen r R n, r = 1.Spezielle Richtungsableitungen sind die partiellen Ableitungen als Richtungsableitungen in Koordinatenrichtung: Definition Existiert der Grenzwert i f(x 0 ) = d dτ f(x1 0,...,x i 1 0,τ, x i+1 0,...,x n 0) 1 τ=x i = lim 0 τ 0 τ [f(x 0 + τe i ) f(x 0 )], so heißt er partielle Ableitung von f in x 0 nach der i-ten Variablen. Bemerkung Sei f : D(f) R n R. Die partielle Ableitung i f(x 0 ) erhält man also dadurch, dass man die Koordinaten x k mit k i fixiert, x k = x k 0, und nur xi variiert.sie werden also unter Festhalten der anderen Koordinaten wie die skalare Ableitung berechnet. 206
5 10.2 Differenzierbarkeit Bemerkung Für n = 2 schreibt man z. B. auch Analog wird in R 3 verfahren. 1 f(x,y) = x f(x,y) = f x(x,y) = d dτ f(τ,y) τ=x, Beispiel Für f : R 2 R mit f(x,y) = x 3 cos y gilt 1 f(x,y) = x f(x,y) = 3x2 cos y, 2 f(x,y) = y f(x,y) = x3 siny. Definition Sei f : D(f) R n R in x 0 D(f) partiell nach allen Variablen differenzierbar. Dann heißt der aus den partiellen Ableitungen gebildete Vektor Gradient von f in x 0. gradf(x 0 ) := f(x 0 ) := ( 1 f(x 0 ),..., n f(x 0 )) Beispiel Für f : R 2 R mit f(x.y) = sinx+cos y gilt gradf(x,y) = (cos x, siny). Satz Sei die Vektorfunktion f : D(f) R n R m in x 0 D(f) differenzierbar. Dann existieren die partiellen Ableitungen i f k (x 0 ) der Koordinatenfunktionen f k von f in x 0 und für die Jacobi-Matrix gilt J f (x 0 ) := 1 f 1 (x 0 ) n f 1 (x 0 ).. 1 f m (x 0 ) n f m (x 0 ) = gradf 1 (x 0 ). gradf m (x 0 ) Beispiel Sei f : R 2 R 3 mit f(x,y) = (sin(xy),2x 2 + y, xy 2 ). Dann gilt y cos(xy) xcos(xy) J f (x,y) = 4x 1. y 2 2xy Beispiel Sei f : D(f) R 2 R 2 mit D(f) = ]0, [ ]0,2π[ und f(r, ϕ) = (r cos ϕ, r sinϕ). Dann gilt ( ) cos ϕ r sinϕ J f (r, ϕ) =. sinϕ r cos ϕ Differenzierbarkeit und partielle Ableitungen Beispiel Wir betrachten erneut f : R 2 R mit f(x,y) = xy für (x,y) (0,0), x 2 +y 2 und f(0,0) = 0. Wie in Beispiel 10.7 bemerkt, ist f nicht stetig in (0,0). Es gelten jedoch f(ξ,0) = f(0,ξ) = f(0,0) = 0 und daher existieren die partiellen Ableitungen 1 f(0,0) = 2 f(0,0) =
6 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung Die Existenz aller partieller Ableitungen i f(x 0 ), i = 1,...,n, in einem Punkt x 0 enthält nur geringe Information über das Verhalten von f in der Umgebung von x 0 : Bemerkung Aus der Existenz aller partieller Ableitungen (im Unterschied zur Differenzierbarkeit) folgt nicht die Stetigkeit in x 0 und somit erst recht nicht die Differenzierbarkeit. Wir brauchen also mehr als nur partielle Differenzierbarkeit. Definition Wir nennen f stetig partiell differenzierbar, wenn alle partiellen Ableitungen 1 f k (x),..., n f k (x) der Koordinatenfunktionen für alle x D(f) existieren und stetig von x abhängen. Wir nennen f stetig differenzierbar, wenn f differenzierbar ist und wenn die Ableitungsfunktion x f (x) in folgendem Sinne stetig ist: Für jedes x D(f) und jedes ε > 0 existiert ein δ > 0 mit f (x)(h) f (y)(h) < ε für alle y D(f) mit x y < δ und alle h R n mit h 1. Satz Sei f : D(f) R n R m mit offenem D(f). Ist f in x 0 stetig partiell differenzierbar, so ist f in x 0 differenzierbar. f ist stetig partiell differenzierbar genau dann, wenn f stetig differenzierbar ist. Bemerkung Die äquivalenten Begriffe stetig partiell differenzierbar oder stetig differenzierbar sind also die für die mehrdimensionale Differentialrechnung angepassten Begriffe. Bezeichnung: Sei D R n offen. Die Menge aller stetig (partiell) differenzierbaren Funktionen f : D R n R m wird mit C 1 (D, R m ) bezeichnet Algebraische Eigenschaften der Ableitung Ähnlich zum skalaren Fall gilt: Satz (Rechenregeln). Seien f,g: D R n R m in x 0 D differenzierbar. Dann gelten: 1. (αf + βg) (x 0 ) = αf (x 0 ) + βg (x 0 ) für α, β R (Linearität); 2. (fg) ( ) (x 0 ) = g(x 0 )f (x 0 ) + f(x 0 )g (x 0 ), wenn m = 1 (Produktregel); f 3. (x 0 ) = g(x 0)f (x 0 ) f(x 0 )g (x 0 ) g g(x 0 ) 2, wenn m = 1 und g(x) 0 in einer Umgebung von x 0 (Quotientenregel). 208
7 10.3 Geometrische Interpretationen Satz (Kettenregel). Sei f : D R n R m differenzierbar im inneren Punkt x 0 von D. Sei weiter g: E R m R k differenzierbar im inneren Punkt f(x 0 ) von E. Dann ist g f in x 0 differenzierbar und es gelten (g f) (x 0 ) = g (f(x 0 )) f (x 0 ), J g f (x 0 ) = J g (f(x 0 )) J f (x 0 ). Beispiel Seien f : R 2 R und g: D(g) R 2 R 2 mit D(g) = ]0, [ ]0,2π[ und f(x,y) = e xy, g(r, ϕ) = (r cos ϕ, r sinϕ). Gesucht ist die Jacobi-Matrix zu f g an einer Stelle (r, ϕ). Es gilt (siehe Beispiel 10.23) ( J f (x,y) = (ye xy xe xy cos ϕ r sinϕ ) und J g (r, ϕ) = sinϕ r cos ϕ Da f und g stetig differenzierbar sind, folgt damit J f g (r, ϕ) = J f (g(r, ϕ)) J g (r, ϕ) = (r sinϕe r2 sin ϕ cos ϕ ( r cos ϕe r2 sin ϕ cos ϕ cos ϕ r sinϕ ) sinϕ r cos ϕ = r 2 e r2 sin ϕ cos ϕ (2 sinϕcos ϕ cos 2 ϕ sin 2 ϕ) = r 2 e 1 2 r2 sin 2ϕ (sin2ϕ cos 2ϕ). Man kann hier das Ergebnis natürlich auch direkt durch (f g)(r, ϕ) = e r2 sin ϕ cos ϕ erhalten. ) ). Satz Eine Funktion, die aus differenzierbaren Funktionen nur durch Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division und Verkettung entsteht, ist in allen inneren Punkten ihres Definitionsbereich differenzierbar Geometrische Interpretationen Tangentialhyperebene und Normalenvektor Sei f : D(f) R n R. Weiter sei f differenzierbar im inneren Punkt x 0 von D(f). Wir betrachten die Mengen {( ) T f (x 0 ) := x 0 +h,f(x 0 )+gradf(x 0 ) h : h R n} und graphf = {(x,f(x)): x D(f)}. Für n = 1 stellt T f (x 0 ) eine Gerade und graphf eine Kurve im R 2 dar. Für n = 2 ist T f (x 0 ) eine Ebene und graphf eine Fläche im R
8 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung Satz Die Mengen T f (x 0 ) und graphf berühren sich in (x 0,f(x 0 )) mit der Ordnung 1, d. h. ( ) f(x 0 + h) f(x 0 )+gradf(x 0 ) h = R(h) für x D mit R(h) h 0 für h 0. Für jedes h R n liegt damit der Vektor ( h, gradf(x 0 ) h ) parallel zu T f (x 0 ). Beweis. Die erste Aussage folgt unmittelbar aus der Definition der Ableitung als lineare Approximation. Die zweite Aussage ist offensichtlich. Definition Die Menge T f (x 0 ) heißt Tangentialhyperebene an die Hyperfläche graphf im Punkt (x 0,f(x 0 )). Jeder Vektor ( h,gradf(x 0 ) h ) mit h R n heißt Tangentialvektor an graphf im Punkt (x 0,f(x 0 )). Bemerkung Für n = 1 bzw. n = 2 heißt die Tangentialhyperfläche T f (x 0 ) auch Tangente bzw. Tangentialebene. Offensichtlich steht der Vektor n = ( gradf(x 0 ),1) senkrecht auf allen Tangentialvektoren ( h, gradf(x 0 ) h ) und damit auf der Tangentialebene und heißt Normalenvektor. f(x 0 ) + gradf(x 0 ) h f(x 0 ) ( gradf(x 0 ),1) 1 gradf(x 0 ) x 0 T f (x 0 ) graphf x 0 + h Lemma Der Vektor n = ( gradf(x 0 ),1) ist Normalenvektor an die Tangentialhyperebene in (x 0,f(x 0 )). Beispiel Wir betrachten f(x,y) = 4x 2 3y auf D = R 2 in ( 1,3). Es gilt 1 f( 1,3) = 8, 2 f( 1,3) = 18, so dass n = (8,18,1) Normalenvektor an die Tangentialhyperebene in ( 1,3,f( 1,3)) ist. Wegen n = = 389, ist n 0 = (8,18,1) Normaleneinheitsvektor. 210
9 10.3 Geometrische Interpretationen Richtung des steilsten Anstieges Satz Sei f : D(f) R n R in x 0 D(f) differenzierbar. Der Gradient von f in x 0 zeigt in Richtung des stärksten Anstieges von f in x 0. Beispiel Man finde die Richtung, in der f(x,y) = 4x 2 3y am stärksten im Punkt (1,1) wächst. Es gilt 1 f(1,1) = 8, 2 f(1,1) = 6 und daher gradf(1,1) = (8, 6). 1 In Richtung (8, 6) = ( 8 10, 6 10 ) tritt also der stärkste Anstieg von f in (1,1) auf Notwendige Bedingungen für lokale Extrema Definition Die Abbildung f : D(f) R n R hat bei x 0 D(f) ein lokales Minimum ( Maximum), wenn eine Umgebung U von x 0 existiert mit f(x) f(x 0 ) (f(x) f(x 0 )) für alle x U D(f). Ein lokales Extremum ist ein lokales Minimum oder Maximum. f hat bei x 0 ein strenges Minimum (Maximum), wenn f(x) > f(x 0 ) (f(x) < f(x 0 )) in einer Umgebung von x 0 gilt. Satz (Satz von Fermat). Sei f : D(f) R n R, x 0 D(f) innerer Punkt von D(f), und sei f in x 0 partiell differenzierbar. Dann gilt: f hat in x 0 lokales Extremum gradf(x 0 ) = 0. Bemerkung Wenn x 0 kein innerer Punkt ist, muss die Behauptung nicht gelten! Betrachte z. B. x x 2 auf [ 1,1]. Es liegen lokale Maxima in 1 und 1 vor, aber die Ableitung verschwindet dort nicht. 211
10 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung Niveaulinien Sei f : D R 2 R stetig differenzierbar auf D. Dann ist durch graphf eine Fläche im R 3 gegeben. Für c R betrachten wir die Menge N c = {x R 2 : f(x) = c}, welche Niveaulinie von f zum Niveau c heißt. Satz Unter obigen Voraussetzungen steht der Gradient von f in einem Punkt x N c der Niveaulinie N c von f zum Niveau c senkrecht auf allen Tangenten an N c und damit auf N c im Punkt x und zeigt in Richtung wachsender Werte von c und damit in Richtung wachsender Werte von f Höhere Ableitungen Höhere partielle Ableitungen und Vertauschbarkeit Sei f : D(f) R n R. Existiert die partielle Ableitung k f, so können wir wieder nach ihrer Differenzierbarkeit fragen, wir erhalten z. B. eine partielle Ableitung zweiter Ordnung i k f(x) := i ( k f) (x). Analog kann man partielle Ableitungen dritter und höherer Ordnung betrachten, z. B. i k l f(x) := i ( k l f) (x). Auf diese Weise definieren wir iterativ eine n-te partielle Ableitung als eine partielle Ableitung einer (n 1)-ten partiellen Ableitung. Ohne denbegriff derhöherendifferenzierbarkeit hiergenaueruntersuchenzuwollen, nennen wir eine Funktion f : D(f) R n R m aufgrund Satz n-mal [stetig] (partiell) differenzierbar, wenn alle n-ten partiellen Ableitungen n-ter Ordnung (und damit auch der niederen Ordnungen) von f existieren [und stetig sind]. Im Allgemeinen gilt i k f(x) k i f(x) für i k, d. h., es kommt auf die Reihenfolge an, in der differenziert wird. Jedoch gilt: Satz (Satz von Schwarz). Für die Funktion f : D(f) R n R, D(f) offen, mögen die partiellen Ableitungen i k f und k i f auf D(f) existieren und stetig sein. Dann gilt i k f(x) = k i f(x) für x D(f) und i,k {1,...,n}. 212
11 10.4 Höhere Ableitungen Bemerkung Dies zeigt erneut, dass stetige (partielle) Differenzierbarkeit der angepasste Begriff ist. Beispiel Gesucht ist 2 1 f für die Funktion f : R 2 R mit f(x,y) = sinx 1 + x 2 + cos(xy2 ), (x,y) R 2. Die direkte Berechnung von 2 1 f (in dieser Reihenfolge der Differentiation) ist wegen des ersten Summanden umständlich. Da f aus beliebig oft stetig (partiell) differenzierbaren Funktionen zusammengesetzt ist, existieren die zweiten partiellen Ableitungen und sind stetig. Nach Satz kann man die Reihenfolge der partiellen Ableitungen vertauschen. Mit 2 f(x,y) = 2xy sin(xy 2 ) folgt 2 1 f(x,y) = 1 2 f(x,y) = x [ 2xy sin(xy2 )]= 2y sin(xy 2 ) 2xy 3 cos(xy 2 ). Im folgenden interessieren uns vor allem partielle Ableitungen zweiter Ordnung von Skalarfunktionen. Definition Die n n-matrix H f (x 0 ) := ( i j f(x 0 )) i,j = 1 1 f(x 0 ) 1 n f(x 0 ).. n 1 f(x 0 ) n n f(x 0 ) heißt Hesse-Matrix der Funktion f : D R n R im Punkt x 0 D. Sind alle vorkommenden partiellen Ableitungen in x 0 stetig, so ist H f (x 0 ) nach Satz symmetrisch Mehrdimensionale Taylor-Formel zweiter Ordnung Satz Sei f C 2 (D, R), D R n offen, x 0 D. Dann gilt f(x 0 +h) = f(x 0 )+gradf(x 0 ) h+ 1 R(h) 2 h H f (x 0 )h+r(h) für x 0 +h D, lim h 0 h 2 = 0. Beispiel Sei f C 2 (R 2, R) mit f(x,y) = sin(x + 2y). Dann gelten ( ) sin(x + 2y) 2 sin(x + 2y) gradf(x,y) = (cos(x + 2y),2cos(x + 2y)), H f (x 0 ) = 2 sin(x + 2y) 4 sin(x + 2y) und somit f(x+h, y+k) = sin(x+2y)+cos(x+2y)(h+2k)+sin(x+2y)( 1 2 h2 2hk 2k 2 )+R(h, k). 213
12 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung 10.5 Extremwertprobleme Extremwertprobleme ohne Nebenbedingungen Sei f C 2 (D, R) und x 0 D ein kritischer Punkt, also gradf(x 0 ) = 0. Nach Folgerung gilt f(x 0 + h) = f(x 0 ) + gradf(x 0 ) h }{{} = h H f (x 0 )h + R(h), lim h 0 R(h) h 2 = 0. Der Graph von h f(x 0 ) h H f (x 0 )h stellt eine quadratische Fläche in in R n+1 dar. Definition Eine symmetrische Matrix A R n n heißt: positiv definit, wenn h Ah > 0 für alle h R n \ {0}, negativ definit, wenn h Ah < 0 für alle h R n \ {0}, indefinit,wenn es h 1,h 2 R n gibt mit h 1 Ah 1 < 0 < h 2 Ah 2. Bei n = 2 sind diese quadratischen Flächen nach oben bzw. unten geöffnete elliptische Paraboloide, wenn H f (x 0 ) negativ bzw. positiv definit sind,oder hyperbolische Paraboloide, wenn H f (x 0 ) indefinit ist. Satz Sei f C 2 (D, R) und x 0 D mit gradf(x 0 ) = 0.Dann liegt in x 0 ein lokales Minimum, lokales Maximum bzw. ein Sattelpunkt vor, wenn H f (x 0 ) positiv definit, negativ definit bzw. indefinit ist. Definition Sei A = (a ij ) n i,j=1 Rn n eine symmetrische Matrix. Die Zahl heißt k-ter Hauptminoren von A. µ k := det(a ij ) k i,j=1 Bemerkung Für n = 2 gelten µ 1 = a 11, µ 2 = a 11 a 12 a 12 a 22 = a 11a 22 a
13 10.5 Extremwertprobleme Satz Seien µ 1,...,µ k die Hauptminoren von H f (x 0 ). H f (x 0 ) ist genau dann positiv definit, wenn µ k > 0 für alle k gilt. H f (x 0 ) ist genau dann negativ definit, wenn ( 1) k µ k > 0 für alle k gilt. H f (x 0 ) ist genau dann indefinit, wenn es ein gerades k mit µ k < 0 gibt. Satz Sei f : D R 2 R zweimal stetig differenzierbar im kritischen Punkt x 0 D Dann sind die folgenden Bedingungen hinreichend: lokales Minimum: 1 2f(x 0) > 0 und 1 2f(x 0) 2 2f(x 0) ( 1,2 f(x 0 )) 2 > 0 lokales Maximum: 1 2f(x 0) < 0 und 1 2f(x 0) 2 2f(x 0) ( 1,2 f(x 0 )) 2 > 0 Sattelpunkt: 1 2f(x 0) 2 2f(x 0) ( 1,2 f(x 0 )) 2 < 0 Beispiel Sei f(x,y) = 3x 2 y + 4y 3 3x 2 12y auf R 2. Wir haben und daher als kritische Punkte. Weiter gelten gradf(x,y) = (6xy 6x,3x y 2 24y) (0,0), (0,2), (2,1), ( 2,1) 2 1f(x,y) = 6y 6, 2 2f(x,y) = 24y 24, 1,2 f(x,y) = 6x. Wir fassen die Ergebnisse in einer Tabelle zusammen: (x,y) 2 1 f(x,y) 2 2 f(x,y) 1,2f(x,y) (0,0) lokales Maximum (0,2) lokales Minimum (2,1) kein lok. Extremum aber Sattelpunkt ( 2,1) kein lok. Extremum aber Sattelpunkt Beispiel Gesucht sind lokale Extrema der Funktion f : R 2 R mit f(x,y) = x 3 + 3xy 2 15x 12y. Lösung: Aus gradf(x,y) = (3x 2 + 3y 2 15,6xy 12) = (0,0) folgt y = 2/x, 3x = 0, also x 4 5x = 0 und daher x 2 = 5 x 2 2 ± 5 2 ± 3 2,also x2 = 4 oder x 2 = 1. Kritische Punkte sind somit (2,1), ( 2, 1), (1,2), ( 1, 2) = Da D(f) offen ist und f auf ganz D(f) differenzierbar ist, sind dies alle kritischen Punkte. Es gelten 2 1f(x,y)= 6x, 2 2f(x,y)= 6x, 1,2 f(x,y)= 6y. Wir werten die Daten tabellarisch aus: 215
14 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung (x,y) 1 2f(x,y) 2 2 f(x,y) 1,2f(x,y) ( 1 2f 2 2 f ( 1,2f) 2 )(x,y) Typ f(x,y) (2,1) 12 > > 0 lok. Min. 28 ( 2, 1) 12 < > 0 lok. Max. 28 (1,2) 6 > < 0 Sattelp. 26 ( 1, 2) 6 < < 0 Sattelp Extremwertprobleme mit Nebenbedingungen Beispiel Gesuchtist einrechteckmaximalenflächeninhalts beivorgegebenem Umfang u. Wir haben also f(x,y) = xy, D(f) = R 0 R 0 zu maximieren unter der Nebenbedingung 2(x + y) = u. Aus der Nebenbedingung finden wir y = u/2 x. Damit ist g(x) = f(x,u/2 x) = x (u/2 x) auf [0,u/2] zu maximieren. Es gilt g (x) = u/2 2x, so dass sich x 0 = u/4 [0,u/2] als kritischer Punkt ergibt. Offensichtlich ist dies auch die globale Maximalstelle. Das Rechteck mit größtem Flächeninhalt bei gegebenem Umfang ist also das Quadrat. Verallgemeinerung: Gegeben sei eine Funktion f : D(f) R n R und eine Nebenbedingungs- oder Restriktionsmenge N := {x D(f): ϕ(x) = 0} mit ϕ: D(f) R p, d. h. mit p Nebenbedingungen in Gleichungsform. Definition f hat in x 0 N ein relatives oder bedingtes Maximum (Minimum) unter der Nebenbedingung N, wenn eine Umgebung U von x 0 existiert, so dass f(x) f(x 0 ), (f(x) f(x 0 )) für alle x U N D(f). Satz Seien f C 1 (D(f), R), ϕ C 1 (D(f), R p ) mit offenem D(f) R n, n p. Sei weiter N = {x D(f): ϕ(x) = 0}, x 0 N, d. h., ϕ(x 0 ) = 0, und die p n-matrix J ϕ (x 0 ) habe eine invertierbare p p-untermatrix. Wenn f in x 0 ein relatives Extremum unter der Nebenbedingung N hat, dann existieren Zahlen λ 1,...,λ p mit p gradf(x 0 ) λ j gradϕ j (x 0 ) = 0, ϕ(x 0 ) = 0. (10.1) j=1 Bemerkung Im Fall p = 1 hat J ϕ (x 0 ) = gradϕ(x 0 ) genau dann eine invertierbare 1 1-Untermatrix, wenn gradϕ(x 0 ) 0 gilt. Gleichung (10.1) bedeutet dann, dass gradf(x 0 ) und gradϕ(x 0 ) parallel sind. 216
15 10.5 Extremwertprobleme Bemerkung Die Zahlen λ i heißen Lagrange-Multiplikatoren. Meist haben sie keine inhaltliche Bedeutung. In einigen Fällen können sie aber als Zwangskräfte (Physik) oder Schattenpreise (Wirtschaft) interpretiert werden. Beispiel Man finde alle Punkte (x,y) auf der Ellipse ϕ(x,y) := 4x 2 + y 2 4 = 0, für welche der Abstand zu (2,0) extremal wird. Da der Abstand genau dann extremal wird, wenn sein Quadrat extremal wird, können wir also nach Extremstellen von f(x,y) = (x 2) 2 + y 2 suchen. Da erhalten wir als notwendige Bedingung gradf(x) = (2(x 2),2y), gradϕ(x) = (8x,2y), 2(x 0 2) 8λx 0 = 0, 2y 0 2λy 0 = 0, 4x y 2 0 = 4. Wenn y 0 0, dann folgt λ = 1 und daher x 0 = 2 3 und y 0 = oder y0 = Wenn y 0 = 0, dann folgt x 0 = 1 oder x 0 = 1 mit λ = 1 4 bzw. λ = 3 4. Durch geometrische Betrachtungen erhalten wir, dass in ( 2 3, ) und ( 2 3, ) relative Maxima und in (1,0), ( 1,0) relative Minima vorliegen. Beispiel Gesucht sind die Extrema von x+y + z unter den Nebenbedingungen x + z = 1 und x 2 + y 2 = 4. Lösung: Mit f : R 3 R und ϕ: R 3 R und f(x,y, z) = x + y + z, ϕ(x,y, z) = ( ) x + z 1 x 2 + y 2 4 sind die Extrema von f unter der Nebenbedingung ϕ = 0 zu suchen. Da die eingehenden Funktionen ausreichend oft stetig differenzierbar sind, ist die Existenz eines λ = (λ 1,λ 2 ) mit gradf(x,y, z) λ 1 gradϕ 1 (x,y, z) λ 2 gradϕ 2 (x,y, z) = 0, ϕ(x,y, z) = 0 notwendig für ein Extremum in (x,y, z). Wir erhalten die Gleichungen 1 λ 1 2λ 2 x = 0, 1 0 2λ 2 y = 0, 1 λ 1 0 = 0, x + z = 1, x 2 + y 2 = 4. Aus der dritten Gleichung folgt λ 1 = 1, die erste Gleichung ergibt dann λ 2 x = 0, welche genau dann gilt, wenn λ 2 = 0 oder x = 0 gilt. Wenn λ 2 = 0 gilt, dann erhalten wir einen Widerspruch zur zweiten Gleichung. Also muss x = 0 und damit z = 1 und y = 2 oder y = 2 gelten. Offenbar erhalten wir so tatsächlich die Lösungen der fünf Gleichungen. Kritische Punkte sind damit nur (0, 2,1), (0,2,1). Da f auf der Menge {(x,y, z): ϕ(x,y, z) = (0,0)} Maximum und Minimum annehmen muss, muss in einem dieser Punkte das Maximum, im anderen das Minimum vorliegen. Da = 1 < = 3 ist 1 das gesuchte Minimum und3das gesuchte Maximum, welche in (0, 2,1) bzw. (0,2,1) angenommen werden. 217
16 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung 10.6 Homogene Funktionen und Partielle Elastizitäten Homogenität Definition Eine stetige Funktion f : D(f) R n R heißt homogene Funktion vom Grad α 0, falls f(λx 1,λx 1 x 2,...,λx n ) = λ α f(x 1,...,x n ) für alle x = (x 1,...,x n ) D(f) und alle λ 0 gilt. Im Fall α = 1, α < 1 bzw. α > 1 heißt f linear-, sublinear- bzw. superlinear-homogen. Beispiel Eine Funktion f : R n R, f(x 1,...,x n ) = a 1 x 1 +a 2 x 2 + +a n x n kann als Gesamtkostenfunktion betrachtet werden, die sich additiv aus den Einzelkostenfunktionen f 1 (x 1 ) = a 1 x 1, f 2 (x 2 ) = a 2 x 2,..., f n (x n ) = a n x 2 zusammensetzt. Eine Erhöhung bzw. Verminderung aller Einzelkosten um den gleichen Faktor λ führt dann zu einer entsprechenden Erhöhung bzw. Verminderung der Gesamtkosten: f(λx 1,...,λx n ) = λa 1 x λa n x n = λ(a 1 x a n x n ) = λf(x 1,...,x n ), d. h.f ist linear-homogen (α = 1). Beispiel Wir betrachten f : R n 0 R, f(x 1,...,x n ) = c x α 1 1 x α 2 2 x αn n mit c 0 und α 1 0,...,α n 0. Diese Funktion ist homogen vom Grad α = α α n, denn es gilt f(λx 1,...,λx n ) = c(λx 1 ) α1 (λx n ) αn = cλ α 1+ +αn x α 1 1 xαn n = λ α f(x 1,...,x n ). Ist beispielsweise f eine Produktionsfunktion, die den Produktionsfaktoren x 1,...,x n die Produktionsquantität y zuordnet, so bedeutet die Eigenschaft der Homogenität vom Grad α, dass die Produktionsquantität y um den Faktor λ α ansteigt, bzw. fällt, wenn alle Produktionsfaktoren um λ ansteigen bzw. fallen. Funktionen dieses Typs heißen Cobb-Douglas- Funktionen Partielle Elastizität Definition Es sei f : D(f) R n R eine partiell differenzierbare Funktion von n Variablen. Dann heißen (x k) f (x) = x k f(x 1,...,x n ), ε (x k) f(x) f (x) = x k x k f(x 1,...,x n ) f(x) die partielle Änderungsrate bzw. partielle Elastizität von f bzgl. x k (k = 1,...,n) im Punkt x D(f). 218
17 10.6 Homogene Funktionen und Partielle Elastizitäten Die partielle Änderungsrate (x k) f beschreibt die (relative) Änderung vonf in Abhängigkeit nur von x k, bezogen auf den jeweiligen Funktionswert f(x). Die partielle Elastizität ε (x k) f (x) hingegen entspricht dem Verhältnis von relative Änderung von f in Abhängigkeit nur von x k und der relativen Änderung von x k selbst. Beispiel Wir betrachten eine Produktionsfunktion vom Cobb-Douglas-Typ f : R 2 0 R, f(x 1,x 2 ) = cx α 1 1 xα 2 2 mit positiven c, α 1, α 2. Dann gelten (x 1) f 1 x α xα 2 2 (x) = cα 1x α 1 1 cx α 1, ε (x 1) f (x) = α 1, (x 2) f (x) = cxα 1 1 xα cx α 1 1 xα 2 2, ε (x 2) f (x) = α 2, d. h. die Parameter α 1 bzw. α 2 der Cobb-Douglas-Funktion sind die konstanten partiellen Elastizitäten bzgl. x 1 und x 2. Beispiel Sei f : D(f) R n R homogen mit Grad α. Man erhält n d k f(λx 1,...,λx n ) dλ (λx k) = d dλ f(λx 1,...,λx n ) k=1 und daher für λ = 1 die Eulersche Homogenitätsrelation = d dλ λα f(x 1,...,x n ) = αλ α 1 f(λx 1,...,λx n ) n k f(x 1,...,x n ) x k = αf(λx 1,...,λx n ). k=1 Mit Division durch f(x 1,...,x n ) folgt hieraus n k=1 für die partiellen Elastizitäten von f. ε (x k) f (x 1,...,x n ) = α 219
18 10 Mehrdimensionale Differentialrechnung 220
19 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Differentialgleichungen sind spezielle Gleichungen für gesuchte Funktionen. Der Grad der höchsten auftetenden Ableitung der gesuchten Funktion ergibt die Ordnung der Differentialgleichung, die Dimension der Funktion die Dimension der Differentialgleichung. Je nachdem, ob die gesuchte Funktion nur von einer Variablen oder von mehreren Variablen abhängt, betrachtet man gewöhnliche oder partielle Differentialgleichungen. Wir betrachten hier nur spezielle eindimensionale Differentialgleichungen erster Ordnung und eindimensionale, lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung. Eine Lösung einer Differentialgleichung ist eine Funktion die entsprechend der Ordnung der Differentialgleichung ausreichend oft differenzierbar ist und bei Einsetzen in die Differentialgleichung der Differentialgleichung genügt Spezielle Differentialgleichungen erster Ordnung Differentialgleichungen mit trennbaren Variablen: y = g(x) h(y) Wir betrachten hier eine Differentialgleichung der Form mit g C(I), h C(J), wobei I,J R Intervalle sind. y = g(x) h(y) (11.1) Solche Differentialgleichungen treten häufig als eigenständiges Problem aber auch als Hilfsproblem bei der Betrachtung spezieller Differentialgleichungen (Ähnlichkeitsdifferentialgleichungen, Bernoullische Differentialgleichungen, lineare Differentialgleichungen erster Ordnung mit variablen Koeffizienten) auf. Wenn y 0 J eine Nullstelle von h ist, so ist y: I R mit y(x) = y 0 für alle x I eine stationäre Lösung von (11.1). Wir setzen daher nun h(y) 0 für alle y J voraus. Angenommen, y: D(y) I R ist eine Lösung von (11.1) mit y(x 0 ) = y 0 J und h(y(x)) 0 für x D(y). Dann gilt 1 h(y(x)) y (x) = g(x) für x D(y) und daher x x 0 1 h(y(ξ)) y (ξ) dξ = x x 0 g(ξ) dξ für x D(y), Mit der Substitutionsregel ergibt sich die implizite Lösungsdarstellung 221
20 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen y(x) y 0 dη x h(η) = g(ξ) dξ für x D(y). (11.2) x 0 Satz 11.1 (Trennung der Variablen). Seien g C(I), h C(J). 1. Wenn h(η) 0 für alle η J, dann ist y: D(y) R R mit y(x 0 ) = y 0 J genau dann eine Lösung von (11.1), wenn (11.2) gilt. 2. Wenn h(y 0 ) = 0 für ein y 0 J, dann ist y: I R mit y(x) = y 0 für x I eine stationäre Lösung von (11.1) auf I. Satz 11.1 impliziert folgendes formales Verfahren: Methode der Trennung der Variablen zur Lösung der DGL y = dy = g(x) h(y). (11.3) dx 1. Trennung der Variablen: Division durch h(y) und formale Multiplikation mit dx ergibt dy = g(x) dx. h(y) 2. Integration der linken Seite vom Anfangswert y 0 J bis zum Wert y J und der rechten Seite vom Anfangswert x 0 I bis x I ergibt y y 0 dη h(η) = x x 0 g(ξ) dξ. (11.4) 3. Eine Lösung der DGL (11.3) mit der Anfangsbedingung y(x 0 ) = y 0 erhält man durch Auflösung von (11.4) nach y in einer Umgebung von (x 0,y 0 ). Beispiel Man löse die Anfangswertaufgabe (x 2 1)y + 2xy 2 = 0, y(0) = 1. (11.5) Lösung: Für x 1 formen wir die implizite DGL (11.5) um in die explizite DGL Damit erhalten wir und somit y 1 y = y 2 2x x 2 1. dη x η 2 = 2ξ 0 ξ 2 1 dξ 1 y + 1 = ln x2 1 + ln 0 1 für x 1. Auflösung nach y ergibt y(x) = 1 ln x für x D(y), 222
21 11.1 Spezielle Differentialgleichungen erster Ordnung wobei D(y) ] 1,1[ ein Intervall mit 0 D(y) und ln x für x D(y) ist. Die Gleichung ln x = 0 für x ] 1,1[ ergibt (x 2 1) = e 1, d. h., x = 1 e 1 bzw. x = 1 e 1. Maximales Lösungsintervall ist somit D(y) = ] 1 e 1, 1 e 1 [. Beispiel Man bestimme die Lösung mit maximalem Existenzbereich zur Differentialgleichung y = 1 + y 2 mit der Anfangsbedingung y(x 0 ) = y 0 durch Trennung der Variablen. Lösung: Seiy: D(y) R eine LösungderAnfangswertaufgabe. Aus derdifferentialgleichung y = 1 + y 2 und der Anfangsbedingung folgt y(x) 1 x y η 2dη= dξ x 0 arctany(x) arctany 0 = x x 0 y(x) = tan(x x 0 + arctany 0 ) für x D(y). Offenbar muss D(y) {x: (x x 0 ) ]arctany 0 π 2, π 2 arctany 0[} gelten. Tatsächlich gilt D(y) = {x: x x 0 ]arctany 0 π 2, π 2 arctany 0[}. Beispiel Man löse die Differentialgleichung yy y(x 0 ) = y 0 mit y > 0 durch Trennung der Variablen. = 1 mit der Anfangsbedingung Lösung: Die DifferentialgleichungistdefiniertaufR (R\{0}). Seiy: D(y) R eine Lösung der Differentialgleichung yy = 1 mit den Anfangswerten (x 0,y 0 ). Wegen des Definitionsbereiches der Differentialgleichung muss y 0 0 gelten. Es gilt dann y(x) x ηdη= dξ y 0 x y2 (x) 1 2 y2 0 = x x 0 y 2 (x) = 2(x x 0 ) + y 2 0, also y(x) = 2(x x 0 ) + y0 2 oder y(x) = 2(x x 0 ) + y0 2. Wegen y 0 > 0 entfällt die zweite Möglichkeit und es folgt y(x) = 2(x x 0 ) + y 2 0 für x D(y) = ]x y2 0, [. 223
22 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Ähnlichkeitsdifferentialgleichung: y = f(y/x) Eine Differentialgleichung y = f( y x ) (11.6) auf I mit f C(J) und I,J als Intervalle in R heißt Ähnlichkeitsdifferentialgleichung. 1. Wenn f(z) = z für z J, dann ergibt (11.6) die DGL y = y x. die durch Trennung der Variablen gelöst werden kann. 2. Sei nun f(z) z für z J. Sei y: D(y) R eine Lösung von (11.6). Sei z: D(y) R definiert durch z(x) = y(x) für x D(y). x Dann gilt z (x) = y (x) x y(x) x 2 Die Funktion z ist also Lösung der DGL = z = (f(z) z) 1 x, f(z(x)) z(x) x welche durch Trennung der Variablen behandelt werden kann. Durch Rücktransformation erhält man die Lösungen des Ausgangsproblems.. Beispiel Man löse Lösung. Mit z = y x erhalten wir ( y ) 2 y 1 =, y(1) = x 3. z = (z 2 z) 1 x, z(1) = 1 3. Die Gleichung z 2 z = 0 hat die Lösungen 0 und 1. Aufgrund der Anfangsbedingung sind daher Lösungen mit Werten im Intervall ]0,1[ zu suchen. Durch TdV erhalten wir z 1 3 dζ z ( 1 ζ 2 ζ = 1 ζ 1 1 ) x dξ dζ= ζ 1 ξ 3 und somit ln z 1 ln z ln ln 1 = lnx ln1 für x > 0 (11.7) 3 und z in einem Intervall, welches 0, 1 nicht jedoch aber 1 3 und oder enthält. Das maximale Intervall mit dieser Eigenschaft ist ]0,1[. Aus (11.7) erhalten wir damit ln 1 z z ln = lnx, d.h. 1 z z = 2x, 224
23 11.1 Spezielle Differentialgleichungen erster Ordnung d. h., nach Auflösen nach z, z(x) = 1 2x + 1 für x D(z) 1 mit 1 D(z) ]0, [ und 2x+1 0, 1 2x+1 1 für x D(z).Die Gleichung 1 2x+1 = 0 hat 1 keine Lösung. Die Gleichung = 1 hat die Lösung x = 0. Wir erhalten D(z) = ]0, [ und 2x+1 y(x) = x z(x) = x 2x + 1 für x ]0, [ Lineare Differentialgleichungen 1. Ordnung Eine Differentialgleichung y = p(x) y + q(x) (11.8) mit p, q C(I) nennt man lineare Differentialgleichung erster Ordnung auf dem Intervall I. Sie heißt homogen, wenn q = 0, und andernfalls inhomogen. 1. Homogener Fall q = 0. Stationäre Lösung ist y(x) = 0 für x I. Die anderen Lösungen finden wir durch TdV durch y dη x y 0 η = p(ξ)dξ x 0 als y(x) = e P(x) P(x 0) y 0 für x R, wobei P eine Stammfunktion zu p auf R ist und x 0 und y 0 freie Parameter sind (x 0 könnte fixiert werden, die Lösung genügt der Anfangsbedingung y(x 0 ) = y 0 ). Man beachte, dass wir die stationäre Lösung durch y 0 = 0 erhalten. Die allgemeine Lösung der homogenen linearen DGL ist damit gegeben durch Y h (x,c) = Ce P(x). 2. Inhomogener Fall. Wir suchen eine Lösung y mit y(x 0 ) = y 0 und machen dazu den Ansatz (Variation der Konstanten) y(x) = C(x)e P(x). Durch Einsetzen in (11.8) erhalten wir C (x)e P(x) + C(x)e P(x) p(x) = p(x) C(x)e P(x) + q(x), also Dies ergibt C (x) = e P(x) q(x). x C(x) = C(x 0 ) + e P(ξ) q(ξ) dξ x 0 225
24 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen und damit Mit y(x 0 ) = y 0 folgt C(x 0 ) = y 0 e P(x 0), d. h., x y(x) = C(x 0 )e P(x) + e P(x) P(ξ) q(ξ) dξ. x 0 y s (x;x 0,y 0 ) = e P(x) P(x 0) y 0 + x x 0 e P(x) P(ξ) q(ξ) dξ ist die Lösung von (11.8) mit der Anfangsbedingung y(x 0 ) = y 0. für x R Satz Sei P eine Stammfunktion von p. 1. Die allgemeine Lösung der homogenen linearen Differentialgleichung (11.8) ist die Schar der Funktionen Y h (x,c) = Ce P(x) für x R mit C R. 2. Eine spezielle Lösung von (11.8) zur Anfangsbedingung y(x 0 ) = y 0 ist y s (x;x 0,y 0 ) = e P(x) P(x 0) y 0 + x x 0 e P(x) P(ξ) q(ξ) dξ für x R. 3. Die allgemeine Lösung der linearen Differentialgleichung (11.8) ist die Schar der Funktionen Y (x,c) = Y h (x,c) + y s (x) für x R mit C R, d. h., die Summe aus der allgemeinen Lösung der homogenen Gleichung und einer speziellen Lösung der inhomogen Gleichung. Beispiel Man bestimme die allgemeine Lösung zu y = y + sinx. Lösung: Hier gilt p(x) = 1, q(x) = sinx. Stammfunktion zu p ist P mit P(x) = x. Die allgemeine Lösung des homogenen Problems besteht aus der Funktionenschar Y h (x,c) = Ce x für x R mit C R. Einespezielle LösungderinhomogenenGleichungfindenwirzurAnfangsbedingungy(0) = 0 durch y s (x) = x Damit stellt die Funktionenschar die allgemeine Lösung dar. 0 e P(x) P(ξ) sinξ dξ = x 0 e x ξ sinξ dξ = 1 2 cos x 1 2 sinx ex für x R. Y (x,c) = ce x 1 2 cos x 1 sinx für x R mit c R 2 226
25 11.2 Lineare skalare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Beispiel Man löse y = xy + 1, y(0) = 0. Lösung: Hier gilt p(x) = x, q(x) = 1. Stammfunktion zu p ist P mit P(x) = 1 2 x2. Die Lösung ist gegeben durch y(x) = e 1 2 x x 0 x e 1 2 x2 1 2 ξ2 1 dξ = e 1 2 x2 e 1 2 ξ2 dξ für x R. Beispiel Man bestimme die allgemeine Lösung zu y = x y 2x. Lösung: Hier gilt p(x) = x, q(x) = 2x. Stammfunktion zu p ist P mit P(x) = 1 2 x2. Es ist nicht schwer, die spezielle Lösung y(x) = 2 zum inhomogenen Problem zu sehen. Damit ist die allgemeine Lösung gegeben durch die Funktionenschar Y (x,c) = Ce 1 2 x2 + 2 für x R mit C R Lineare skalare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Definition und Lösbarkeit Es seien a i,r: I R, i = 0,...,n, Funktionen auf einem Intervall I. Weiter sei der Einfachheit halber a n (x) 0 für x I. Dann ist die gewöhnliche (skalare) Differentialgleichung a n (x) y (n) + a n 1 (x) y (n 1) + + a 2 (x) y + a 1 (x) y + a 0 (x) y = r(x) (11.9) eine lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung. Sie ist homogen, wenn r = 0, sonst inhomogen. Satz Es seien a i,r: I R stetig mit a n (x) 0 für x I. Dann ist (11.9) mit der Anfangsbedingung y(x 0 ) = y 0, y (x 0 ) = y 1,..., y (n 1) (x 0 ) = y n 1 mit (x 0,y 0,...,y n 1 ) I R n eindeutig lösbar auf I Superpositionsprinzip Satz Sei y p eine Lösung von (11.9) auf I. Dann ist jede Lösung y von (11.9) auf I darstellbar als y = y h + y p, wobei y h Lösung des homogenen Problems auf I ist. 227
26 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Bemerkung Die Gesamtheit aller Lösungen von (11.9) erhalten wir also durch eine spezielle oder partikuläre Lösung von (11.9) und der Gesamtheit aller Lösungen des homogen Problems auf I. Beispiel Wir betrachten das Anfangswertproblem y x y = 2, y(0) = 0, y (0) = 1 auf I = ] 1, [. Lösungen des homogenen Problems sind gegeben durch y h ( ;c 1,c 2 ): I R 2 mit y h (y;c 1,c 2 ) = c 1 + c 2 ln(1 + x), wie man durch Einsetzen sieht. (Ob dies alle Lösungen des homogenen Problems sind, klären wir im nächsten Abschnitt.) Eine partikuläre Lösung y p : I R 2 des inhomogenen Problems ist offensichtlich y p (x) = 1 2 x2 + x, x I. Wir suchen daher die Lösung y in der Form y(x) = y h (x;c 1,c 2 ) + y p (x) = c 1 + c 2 ln(1 + x) x2 + x. Durch Einsetzen der AB y(0) = 0 folgt c 1 = 0.Die Anfangsbedingung y (0) = 1 ergibt y (0) = c = 0, Also c 2 = 0. Folglich ist y(x) = 1 2 x2 + x, x R eine Lösung des Anfangswertproblems mit dem Differentialgleichungssystem Lösungsraum homogener, linearer Differentialgleichungen Wir betrachten (11.9), wobei die Koeffizienten a 0,...,a n konstant seien mit a n 0: a n y (n) (x) + a n 1 y (n 1) (x) + + a 1 y (x) + a 0 y(x) = r(x). (11.10) Das zugehörige homogene Problem ist a n y (n) (x) + a n 1 y (n 1) (x) + + a 1 y (x) + a 0 y(x) = 0. (11.11) Gesucht ist die Gesamtheit aller Lösungen von (11.11). Bemerkung Man kann zeigen, dass der Lösungsraum zu (11.11) ein n-dimensionaler Vektorraum ist. Das Problem besteht also nur noch darin, eine n-dimensionale Lösungsbasis zu finden. 228
27 11.2 Lineare skalare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Wir versuchen eine Lösung zu bestimmen. Mit dem Ansatz y(x) = e λx und Einsetzen in (11.11) erhalten wir die Bedingung (beachte (e λx ) = λe x,..., (e λx ) (k) = λ k e λx ) a n λ n e λx + a n 1 λ n 1 e λx + + a 1 λe λx + a 0 e λx = 0. Da e λx 0 für alle x R, können wir durch e λx dividieren und wir erhalten die algebraische Gleichung a n λ n + a n 1 λ n a 1 λ + a 0 = 0 (11.12) zur Bestimmung des Parameters λ. Definition Die Gleichung (11.12) heißt charakteristische Gleichung zu (11.11). Satz Eine Lösungsbasis aus n reellen Fundamentallösungen erhält man durch; a) Ist λ eine m-fache Lösung von (11.12), so sind die m Funktionen x e λx, x x e λx,..., x x m 1 e λx Lösungen der Differentialgleichung (11.11). b) Sind λ = α+i β undλ = α i β ein Paar zueinander komplex konjugierter Lösungen von (11.12) jeweils der (algebraischen) Vielfachheit m, so sind die 2 m Funktionen x e αx sinβx, x x e αx sinβx,..., x x m 1 e αx sinβx, x e αx cos βx, x x e αx cos βx,..., x x m 1 e αx cos βx reelle Lösungen der Differentialgleichung (11.11). Beispiel Wir untersuchen die Differentialgleichung y a 2 y = 0, a R. (11.13) Deren zugehörige charakteristische Gleichung lautet λ 2 a 2 = 0 und besitzt die Lösungen λ 1 = a, λ 2 = a. Gilt a 0, so sind beide einfach und x e ax, x e ax bilden ein Fundamentalsystem. Alle Lösungen der Differentialgleichung (11.13) für a 0 sind also gegeben durch y(x) = Ae ax + Be ax, A, B R. Man beachte, dass auch x sinhax, x coshax 229
28 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen ein Fundamentalsystem bilden. Daher sind auch alle Lösungen von (11.13) darstellbar in der Form y(x) = c 1 sinhax + c 2 coshax, c 1,c 2 R. Sei nun a = 0. Dann ist 0 zweifache Nullstelle des charakteristischen Polynoms und x 1, x x bilden ein Fundamentalsystem. Alle Lösungen der Differentialgleichung (11.13) für a = 0 sind also gegeben durch y(x) = A + Bx, A, B R. Beispiel Betrachtet wird die Differentialgleichung Die charakteristische Gleichung lautet Die Lösungen dieser Gleichung sind y (4) 2y (3) + 2y (2) 2y (1) + y (0) = 0. (11.14) λ 4 2λ 3 + 2λ 2 2λ + 1 = 0. λ 1 = 1, λ 2 = 1, λ 3 = i, λ 4 = i, also tritt λ = 1 mit der (algebraischen) Vielfachheit 2 und die Lösungen λ = ±i mit der Vielfachheit 1 auf. Die Fundamentallösungen gemäß obigem Satz erhält man also in der Form x e x, x xe x }{{} zweifache Nullstelle 1, x sinx, x cos x }{{}. konjugiert komplexe Nullstellen ±i Damit ist jede Lösung y der Differentialgleichung (11.14) darstellbar in der Form y(x) = c 1 e x + c 2 xe x + c 3 cos x + c 4 sinx, c 1,...,c 4 R. Beispiel Gesucht ist die die allgemeine Lösung der Differentialgleichung y (4) +2y + y = 0. Lösung: Charakteristische Gleichung ist 0 = λ 4 + 2λ = (λ 2 + 1) 2. Diese besitzt die Lösungen λ 1,2 = i, λ 3,4 = i. Die allgemeine Lösung der DGL lautet also y(x) = c 1 cos x+c 2 xcos x+c 3 sinx+c 4 xsinx, x,c i R. 230
29 11.2 Lineare skalare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Inhomogenes Problem Ziel ist nun die Bestimmung der Lösungen von (11.9), d. h. a n (x)y (n) (x) + a n 1 (x)y (n 1) (x) + + a 1 (x)y (x) + a 0 (x)y(x) = r(x) mit stetigen Koeffizienten mit a n (x) 0. Nach den Ergebnissen des vorherigen Abschnittes zum homogenen Problem und nach Satz 11.11, genügt es eine partikuläre Lösung y p von (11.9) zu bestimmen. Zur Bestimmung einer partikulären Lösung y p gibt es im wesentlichen vier Methoden: Variation der Konstanten, spezielle Ansätze, Laplace-Transformation und die Verwendung von Potenz- und Fourierreihen. Hier betrachten wir nur die beiden ersten Variation der Konstanten: Allgemeiner Zugang Sei {y 1,...,y n } ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenen Problems n-ter Ordnung (11.11).Gesucht wird eine partikuläre Lösung y p der Form Es seien c(x) = Dann folgt bzw. c 1 (x) c 2 (x). c n (x), Y (x) = y p (x) = c 1 y 1 (x) + + c n y n (x). y 1 (x)... y n (x) y 1 (x)... y n(x) (x)... y n (n 1) (x) y (n 1), b(x) = a n r(x). Y (x)c (x) = b(x). (11.15) x y p (x) = e 1 Y (x) Y 1 (t) b(t) dt, x 0 e 1 = (1,0...,0) R n. (11.16) Beispiel Wir untersuchen die Differentialgleichung y a 2 y = sinx, a R \ {0}. (11.17) Mit y 1 (x)e ax, y 2 (x) = e ax ergeben sich ( e ax e Y (x) = ax ae ax ae ax ), b(x) = ( ) 0. sinx 231
30 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Eine partikuläre Lösung y p ergibt sich folglich aus x y p (x) = (1 0)Y (x) Y (t) 1 b(t) dt 0 ( e ax e = (1 0) ax ) x ae ax ae ax 1 ( ae at e at 0 2a ae at e at = ( e ax e ax) ( 1 ( x ) 2a ) 0 e at sint dt x 0 eat sint dt 1 ( = e ax 2a(a 2 e ax) ( 1 + e ax (cos x + asinx) + 1) 1 e ax (cos x asinx) 1 = 2a(a 2 + 1) (2asinx + e ax e ax ). )( ) 0 dt sinx ) Ansatzmethode Wir betrachten erneut (11.10), d. h. mit a n 0. a n y (n) (x) + a n 1 y (n 1) (x) + + a 1 y (x) + a 0 y(x) = r(x) Falls die Struktur der Störfunktionr(x) aus Summen, Differenzen oder Produkten von Termen x k, e αx, sinβx, cos βx besteht, führt ein Ansatz vom Typ der Störfunktion mit unbestimmten Koeffizienten zur Ermittlung von y p (x). Im Folgenden betrachten wir einzelne Typen der Störgliedfunktion. I. Die Störfunktion ist Produkt aus Exponential- und Polynomfunktion: r(x) = e αx [b 0 + b 1 x + + b m x m ], b m 0. Die partikuläre Lösung y p (x) muss die inhomogene Differentialgleichung a n y (n) (x) a 1 y (x) + a 0 y(x) = e αx [b 0 + b 1 x + + b m x m ] erfüllen. Dazu muss sich der auf der rechten Seite der Gleichung stehende Term auch auf der linken Gleichungsseite ergeben. Da die Koeffizienten a i, i = 0,...,n, sämtlich konstant sind und die Ableitung eines Produktes aus Exponential- und Polynomfunktion wieder vom gleichen Typ ist, wählt man als Ansatz für eine derartige partikuläre Lösung eine Funktion dieses Types: y p (x) = e αx (B 0 + B 1 x + + B m x m ) x s. 232
31 11.2 Lineare skalare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Bemerkung Die Zahl m im Ansatz ist der Grad m des Polynoms. 2. Sollten im Polynom einige Potenzen vom Grad kleinermfehlen, so sind im Ansatz trotzdem alle B k aufzuführen. 3. Der Erweiterungsfaktor x s verhindert die Übereinstimmung zwischen homogener und partikulärer Lösung (Resonanz zwischen Eigenfrequenz und Erregerfrequenz): Die Zahl s ist die Vielfachheit der Nullstelle α des charakteristischen Polynoms (also insbesondere s = 0, wenn α keine Nullstelle ist). Beispiel Wir betrachten y y 6y = 5e 2x. Homogenes Problem: Die charakteristische Gleichung lautet λ 2 λ 6 = 0 und hat die Lösungen λ 1 = 3 und λ 2 = 2 (jeweils einfach). Die Lösungen y h des homogenen Problems haben also die Form y h (x) = c 1 e 3x + c 2 e 2x. Partikuläre Lösung: Wegen einfacher Resonanz (s = 1) machen wir den Ansatz Wir erhalten y p (x) = x Be 2x. y p(x) = Be 2x 2xBe 2x, y p(x) = 2Be 2x 2Be 2x + 4xBe 2x. Durch Einsetzen in die Differentialgleichung ergibt sich 4Be 2x + 4xBe 2x Be 2x + 2xBe 2x 6x Be 2x = 5e 2x, also B = 1 und y p (x) = xe 2x. II. Die Störfunktion ist Produkt aus Exponential-, Polynom- und Sinus bzw. Cosinus: r(x) = e αx [b 0 + b 1 x + + b k x k ] sinβx, b k 0 oder r(x) = e αx [d 0 + d 1 x + + d l x l ] cos βx, d l 0 { } oder r(x) = e αx [b 0 + b 1 x + + b k x k ] sinβx + [d 0 + d 1 x + + d l x l ] cos βx. Da die Ableitung eines aus Exponential-, Polynom- und Sinus- bzw. Kosinusfunktion bestehenden Produktes neben der Exponential- und Polynomfunktion auch Sinus- und Kosinusfunktion beinhalten kann, ist dies im Ansatz für eine partikuläre Lösung bereits zu berücksichtigen: y p (x) = e αx {[B 0 + B 1 x + + B m x m ] sinβx + [D 0 + D 1 x + + D m x m ] cos βx} x s. 233
32 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen Bemerkung Falls nur die Sinus- bzw. nur die Kosinusfunktion im Störglied auftritt, sind trotzdem im Ansatz beide Funktionen zu berücksichtigen. 2. Die Zahl m ist das Maximum der Polynomgrade k und l. Es sind im Ansatz alle Koeffizienten B i und D i mit 0 i m aufzuführen. 3. Der Exponent s ist die Vielfachheit der Nullstellen λ = α + iβ und λ = α iβ des charakteristischen Polynoms, wobei s = 0, wenn α + iβ und α iβ keine Nullstelle sind. Beispiel Wir betrachten y + 9y = cos(3x). Homogenes Problem: Charakteristische Gleichung ist λ = 0 mit den konjugiert komplexen Nullstellen 3i und 3i. Die Lösungen y h des homogenen Problems haben also die Form y h (x) = c 1 cos(3x) + c 2 sin(3x), c i R. Partikuläre Lösung: Da 3i und 3i einfache Nullstelle des charakteristischen Polynoms sind, ist der Ansatz y p (x) = B 0 sin(3x) x + D 0 cos(3x) x zu wählen. Es gilt y p(x) = 3B 0 cos(3x) x + B 0 sin(3x) 3D 0 sin(3x) x + D 0 cos(3x) y p(x) = 9B 0 sin(3x) x + 6B 0 cos(3x) 9D 0 cos(3x) x 6D 0 sin(3x). Durch Einsetzten in die Differentialgleichung erhalten wir 9B 0 sin(3x) x + 6B 0 cos(3x) 9D 0 cos(3x) x 6D 0 sin(3x) + 9B 0 sin(3x) x + 9D 0 cos(3x) x = cos(3x) und somit (6B 0 1) cos(3x) 6D 0 sin(3x) = 0. Dies ergibt B 0 = 1 6 und D 0 = 0. Damit ist y p (x) = 1 6 xsin(3x), x R eine partikuläre Lösung und alle Lösungen y der Differentialgleichung haben die Form y(x) = c 1 cos(3x) + c 2 sin(3x)+ 1 6 xsin(3x), c i R. 234
33 11.2 Lineare skalare Differentialgleichungen n-ter Ordnung Beispiel Wir betrachten y (4) y + 3y + 5y = r(x) mit verschiedenenstörfunktionen. Indiesem Beispiel solldas Aufstellen des Ansatzes demonstriert werden. Die Berechnung der unbestimmten Koeffizienten wird für das Selbststudium vorgeschlagen. Die Lösungen der charakteristischen Gleichung λ 4 λ 3 + 3λ 2 + 5λ = 0 ergeben sich zu λ 1 = 0, λ 2 = 1, λ 3 = 1 + 2i, λ 4 = 1 2i, womit sich die allgemeine Form der Lösungen y h der zugehörigen homogenen Differentialgleichung ergibt als y h (x) = c 1 +c 2 e x +c 3 e x cos(2x)+c 4 e x sin(2x). 1. r(x) = 2x 2 + 3x 3. Ansatz: y p (x) = (D 0 + D 1 x + D 2 x 2 + D 3 x 3 )x 1, da 0 einfache Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist (r(x) enthält den Faktor e 0x = 1!). 2. r(x) = 2e x x. Ansatz y p (x) = (D 0 + D 1 x)e x x 1, da 1 einfache Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist. 3. r(x) = 3xcos 2x. Ansatz y p (x) = (B 0 + B 1 x) sin2x + (D 0 + D 1 x) cos 2x. 4. r(x) = e x (4 sin2x 3 cos 2x). Ansatz: y p (x) = [e x (B 0 sin2x + D 0 cos 2x)]x 1, da 1 ±2i einfache Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist. 5. r(x) = 4xe x cos 2x. Ansatz: y p (x) = e x {(B 0 + B 1 x) sin2x + (D 0 + D 1 x) cos 2x}. 6. r(x) = 2 + cosh x = ex e x. Zusammengesetzter Ansatz: y p = D 0 x + E 0 e x + F 0 e x x, da 0 und 1 einfache Nullstellen des charakteristischen Polynoms sind. 235
34 11 Gewöhnliche Differentialgleichungen 236
35 Inhaltsverzeichnis 1 Mengen und Funktionen Grundlagen Logik Äquivalenz von aussagenlogischen Ausdrücken Prädikative Ausdrücke, Quantifikatoren Mengen Teilmengen Leere Menge Potenzmengen Mengenalgebra Komplement Regeln für das Rechnen mit Mengen Mengenfamilien Kartesisches Produkt und Relationen Abbildungen und Funktionen Abbildungsbegriff Verkettung von Funktionen Umkehrabbildung Zahlen Natürliche Zahlen Menge der natürlichen Zahlen Induktionsprinzip Prinzip der rekursiven Definition Kombinatorik Permutationen Anordnung ohne Wiederholung Anordnung mit Wiederholung Variationen Auswahl mit Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung AuswahlmitBeachtungderReihenfolge undmitwiederholung Kombinationen Auswahl ohne Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung Auswahl ohne Beachtung der Reihenfolge und mit Wiederholung Zusammenfassung
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