Psychotherapie in der Behandlung schwerer Menschenrechtsverletzungen. Frauen und Kindern: Spezielle Herausforderungen. Mag. a Nora Ramirez Castillo

Transkript

1 Psychotherapie in der Behandlung schwerer Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Kindern: Spezielle Herausforderungen Mag. a Nora Ramirez Castillo Hemayat Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende

2 Psychotherapie in der Behandlung von Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Kindern Mag. a Nora Ramirez Castillo

3 Inhalt Hemayat: Betreuungskontext Frauen in Kriegs- und Krisengebieten Trauma als Folge schwerer Menschenrechtsverletzungen: Konzeptuelle Ansätze Traumafolgen bei Kindern Grundlagen in der psychotherapeutischen Behandlung

4 Hemayat 1995 gegründet Psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung für Minderjährige und Erwachsene die von Krieg und Folter betroffen waren Dolmetschgestütztes Setting Wartezeit: Ca. 1 ½ Jahre Zusatzangebote: Shiatsu Sport-/Bewegungsgruppe Offenes Atelier Kunsttherapiegruppe für Kinder

5 Geschlechterverteilung

6 Alter unserer PatientInnen

7 Betreuungsstunden 2013

8 Herkunftsländer Afghanistan 129 Nigeria 4 Ägypten 3 Pakistan 7 Albanien 2 Palästina 3 Algerien 5 Russische Föderation 4 Armenien 6 Dagestan 8 Bangladesch 3 Inguschetien 3 Bosnien Herzegowina 14 Tschetschenien 350 Burundi 1 Senegal 1 DR Kongo 3 Serbien Montenegro 6 Elfenbeinküste 1 Sierra Leone 2 Eritrea 1 Somalia 9 Gambia 2 Sri Lanka 1 Georgien 11 Sudan 3 Guinea 5 Syrien 5 Guinea Bissau 2 Türkei 17 Irak 12 Usbekistan 4 Iran 59 VR China 2 Kamerun 1 Weißrussland 2 Kasachstan 1 Kirgisistan 1 Kolumbien 1 Kosovo 3 Kroatien 2 Libanon 2 Libyen 2 Marokko 2

9 Situation der Frauen in den Herkunftsländern Traditionelle Strukturen, die Gewalt an Frauen zulassen Zwangsheirat Misshandlungen in der Beziehung Diskriminierung Eingeschränkter Zugang zu Bildung und Rechten Häufig Diskrepanz zwischen rechtlicher Lage und gelebter Praxis

10 Frauen im Krieg Vergewaltigungen Systematisch als Waffe eingesetzt: Zerstörung der Gesellschaft von innen Stigmatisierung und Isolation der Frauen Gefahr von Schwangerschaft, Verletzung und Krankheiten Folter Verschwundene Familienmitglieder Kriegsverletzungen Frauenhandel Diese Gewalterfahrungen haben soziale, physische und psychische Folgen für die Betroffenen.

11 Trauma vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten welches mit mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt Fischer & Riedesser, 2003, S. 79

12 Sequenzielle Traumatisierung (Becker, 2006) 1. Phase: Vor Beginn des traumatischen Prozesses 2. Phase: Beginn der Verfolgung 3. Phase: Akute Verfolgung der direkte Terror 4. Phase: Akute Verfolgung Chronifizierung 5. Phase: Zeit des Übergangs 6. Phase: Nach der Verfolgung

13 Traumafolgestörungen PTSD/PTBS (DSM-V bzw. ICD-10) Auslösendes, traumatisches Ereignis Übererregung/Hyperarousal Wiedererleben/Intrusionen Vermeidung/Betäubung Depression, Angststörungen, Sucht, somatoforme Schmerz- und dissoziative Störungen Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung Häufig Chronifizierung und Komorbidität

14 Trauma ist nicht gleich Trauma Politische und soziokulturelle Ursachen vs. Fokus auf individuelle Pathologie Trauma ist nicht gleich Trauma: manmade-desaster, Typ I und Typ II Traumata (Terr) PTBS als westliches Konstrukt Erweiterte Konzepte: z.b. Komplexe PTBS (Herman), Extremtraumatisierung (Becker), Psycho-soziales Trauma (Martín-Baró)

15 Traumatisierte Kinder Primär und/oder sekundär traumatisiert (fam. Gewalt, traumatisierte Eltern) Häufig parentifiziert bzw. mit hohen Erwartungen konfrontiert Vielfältige, entwicklungsabhängige Symptome zb Vorschulalter: Rückbildung sprach. EW, Einnässen, Einkoten, psy. som. Beschw., WH & Reinszenierung Volksschulalter: Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, agg. Verhalten Jgdl.: Symptome nähern sich jene Erwachsener, Probleme mit Impuls- und Affektregualtion

16 Situation in Österreich Vergangenheit: multiple Traumatisierungen Ungewisses Warten aufs Asyl: Hilflos, sprachlos, arbeitslos Befragungen, Verdächtigungen Gefahr der Rückschiebung Schubhaft Auch in Österreich: Opfer familiärer Gewalt, Zwangsheirat...

17 Zwei Beispiele Fr. M., aus Tschetschenien, Mitte 30 In der Heimat: Zwangsheirat, Verfolgung und Ermordung des Gatten, Kindesabnahme, Flucht In Österreich: Ablehnung ihres Antrags, leben in der Illegalität, Schlafen am Gang, erneute Heirat und schwere Gewalt in der Beziehung Fr. S., aus Afghanistan, Teenager In der Heimat: Beobachtet als Kind die Enthauptung des Onkels, Haus wird angezündet, Flucht in den Iran, darf nicht zur Schule gehen In Österreich: Familie erhält Asyl, sich macht den HS- Abschluss, Familie möchte sie gegen ihren Willen verheiraten

18 Grundlagen der Therapie Herstellen von Vertrauen und Sicherheit Weibliche Behandlerinnen/Dolmetscherinnen Positionierung gegen Menschenrechtsverletzungen, Solidarität Respektieren der Grenzen und Autonomie Akzeptanz und Toleranz dem Fremden gegenüber Zuhören und Empathie vermitteln

19 Was hilft? Zeit und Raum zum Sprechen und Trauern Erarbeitung von Ressourcen Übungen zur Stabilisierung Hoffnung vermitteln Netzwerke etablieren Therapeutin/Dolmetscherin als alternative Rollenbilder: Neues Bild von Frau-Sein Fördern von Integration

20 Grenzen der Arbeit Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden. Die Therapie schenkt kein Vergessen. Symptomfreiheit häufig nicht möglich - Linderung Therapeutin ist gegenüber gewissen Umständen machtlos (Abschiebung...) Nicht jede/jeder kann durch das Angebot der Therapie erreicht werden Gefahr der Vermischung von Rollen, eigene Grenzen anerkennen

21 Danke für Ihre Aufmerksamkeit!