Predigt im Festgottesdienst zum 150-jährigen Jubiläum des MGV Freundschaft am 15. Juni 2008 in der Michaeliskirche in Schwiegershausen
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- Elizabeth Goldschmidt
- vor 7 Jahren
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1 1 Predigt im Festgottesdienst zum 150-jährigen Jubiläum des MGV Freundschaft am 15. Juni 2008 in der Michaeliskirche in Schwiegershausen Liebe Gemeinde, die Legende von Babylon und was geschah, hat uns auch heut noch allerhand zu sagen. Was sich hinter diesem vielsagenden allerhand verbirgt, darum soll es heute in der Predigt gehen. Es ist ein Text, der auf den ersten Blick erst einmal wenig zu tun hat mit dem Thema Musik. Dafür um so mehr mit dem Thema Gemeinschaft. Und das ist ja etwas, was den Sängern eines Vereins, der sich MGV Freundschaft nennt, auch am Herzen liegt. Und es wird auch noch, das verspreche ich, um die Musik gehen. Aber hören wir zuerst den Predigttext aus dem 1. Buch Mose im 11. Kapitel: Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder. (1 Mos 11,1-9)
2 2 Das gigantische Projekt des Turmbaus zu Babel beginnt mit einer Angst. Man überhört es fast: Denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Hier haben Menschen Angst, dass ihre Gemeinschaft zerfällt. Was hält uns zusammen? Das fragen sich die Menschen von Babel bange. Und die Strategie, die sie entwickeln, ist immer noch sehr nachvollziehbar. Eine gemeinsame Aufgabe soll es geben, ein gemeinsames Projekt. Sie wollen etwas schaffen, auf das sie stolz sein können. Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen! Einen Namen wollen sich die Menschen von Babel machen. Schaut, was wir geschaffen haben! Wer zu uns gehört, der kann stolz sein! So weit ist das erst einmal nachvollziehbar. Und ist daran auch gar nichts auszusetzen. Gemeinsame Ziele und Aufgaben halten eine Gemeinschaft zusammen. Auch ein Chor arbeitet auf seine Auftritte hin. Fiebert und bangt. Und möchte da in einem guten Licht erscheinen und seine Sache ordentlich machen. Sich einen Namen machen das will auch ein Chor. Man denke nur an die Sängerwettbewerbe, die es früher ja häufiger gab. Und wenn Leute einem sagen: Mensch, ihr habt schön gesungen!, dann macht das Singen nochmal so viel Spaß! Stolz auf den eigenen Chor, seine Geschichte, seine Leistungen das darf ja sein und ist etwas Schönes. So weit, so gut! Nur, dass die Menschen von Babylon offensichtlich bei ihrem gemeinsamen Projekt jedes Maß verloren haben. Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen! Hier wollen Menschen etwas Gigantisches schaffen. Etwas noch nie Dagewesenes. Bis an den Himmel soll ihr Turm reichen. Die Wolken soll er kratzen. Den größten Turm, den Menschen jemals gebaut haben! Hier werden sie uns vielleicht langsam unheimlich, diese Menschen von Babylon, mit ihrer Maßlosigkeit. Sie wollen nicht nur Großes schaffen. Sie wollen die Allergrößten sein. Und man fragt sich schon langsam: Kann das gut gehen?
3 3 Tröstlich vielleicht, dass dieser gigantische Turmbau aus der Perspektive des Himmels so gigantisch auch wieder nicht ist. Die Geschichte erzählt das mit Humor. Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Die Menschen wollen einen Turm bauen, der bis zum Himmel reicht. Und Gott muss erst einmal herabsteigen, um zu sehen, was diese Zwerge da unten eigentlich anstellen. Als müsste er sich das erst einmal genauer anschauen, weil er das von so weit oben gar nicht erkennen kann. Bis an den Himmel reicht dieser Turm also noch lange nicht! Was uns gigantisch und größenwahnsinnig vorkommt, ist vor Gott, dem Ewigen, immer noch fast lächerlich klein. Quasi so eine Art Modelleisenbahnlandschaft! Größeres bringen wir nicht zustande, vom Himmel aus betrachtet! Und am Ende bleibt der Turm, dieses gigantische Projekt, eine gigantische Bauruine. Gott verweist den Menschen in seine Grenzen. (Als Sie es eben gesungen haben, sind Sie richtig laut geworden!) Er verwirrt ihre Sprache. Keiner versteht mehr den anderen. Und gerade das passiert, wovor die Menschen solche Angst hatten: Ihre Gemeinschaft zerbricht. Was hält uns zusammen? Das war die geheime Frage bei diesem Projekt. Am Ende hält sie nichts mehr zusammen! Was hat das alles mit dem Männergesangverein zu tun? Dass Sie babylonische Türme bauen, maßlose Projekte angehen, wird man Ihnen kaum vorwerfen können. Vielleicht, habe ich gedacht, ist ja ein Gesangverein im Idealfall eher so etwas wie ein Gegenmodell zum Turmbau von Babylon. Denn es gibt ja wichtige Unterschiede zwischen den Menschen von Babel und Ihrem Gesangverein. Ein erster Unterschied: Die Menschen von Babylon loben vor allem sich selber. Ihr eigenes Können. Ihre eigene Größe. Im Gesangverein haben Sie es sich auch zur Aufgabe gemacht, immer wieder Gott zu loben. Das war von Anfang an so. In der Chronik war es nachzulesen. Bei der Feier zu Luthers 400. Geburtstag 1883 sang der MGV Psalm 121 und das große Gloria. Ehre sei Gott in der Höhe.
4 4 Und wenn ich den Chorsatz mit dem Titel Mahnung, der in der Chronik abgedruckt ist, richtig entziffert habe, dann beginnt er mit den Worten: Vergiss ihn nicht, vergiss ihn nicht, des Wort die Welt bereitet! Und diese Tradition haben Sie weiter fortgeführt, bis heute. Wer singt Großer Gott, wir loben dich, der will und muss nicht selber der Allergrößte sein. Der muss keine Türme bis zum Himmel bauen, sondern kann mit seinen Grenzen leben. Gott loben das klingt so altmodisch und wenig aufregend. Aber vielleicht ist gerade das heute etwas sehr Aktuelles. Vielen ist unsere Welt heute ein bisschen unheimlich geworden. Wo man hinschaut der Mensch scheint maßlos geworden zu sein. Ob es nun um unseren Umgang mit der Schöpfung geht oder um Profitstreben in der Wirtschaft, um die Gentechnik in der Wissenschaft oder um Krieg und Frieden in der Politik es scheint etwas aus dem Lot geraten zu sein. Da scheinen Menschen wieder eifrig an ihren größenwahnsinnigen babylonischen Wolkenkratzern zu bauen. Gott loben, demütig sein vielleicht ist das heute wichtiger denn je: Du bist groß, Gott! Und wir sind Menschen. Menschen mit Grenzen. Lass uns das nicht vergessen! Der zweite Unterschied: In Babel versteht niemand mehr die Sprache des anderen. Wenn man dem Spruch auf Ihrer Fahne glauben will, dann haben Sie eine Sprache gefunden, die diese Sprachverwirrung unterläuft: Man kann zu allen Zeiten / Im Lied sich recht verstehn! So müsste man nach diesem Spruch die Legende von Babylon vielleicht noch ein bisschen anders weiter erzählen. Und Gott verwirrte ihre Sprache, dass keiner mehr des andern Sprache verstand. Als Gott aber die Verwirrung sah, die unter den Menschen entstand, da sagte er: Siehe, die Menschen sind verwirrt und verstehen einander nicht. Ich will nicht, dass sie wieder alle eine Sprache sprechen. Aber ich will ihnen die Musik schenken. Sie wird die Herzen der Menschen anrühren und sie miteinander verbinden, auch ohne Worte. Natürlich, das gemeinsame Singen löst auch nicht alles in Wohlgefallen auf. Aber dass man, wenn man zusammen singt, eine gemeinsame
5 5 Ebene findet, auch mit Menschen, die einem innerlich sehr fernstehen, das glaube ich schon. Ich denke da an das Konzert Anfang des Jahres zurück, als Sie zusammen mit dem Vivat-Ensemble Ich bete an die Macht der Liebe gesungen haben. Auf russisch und auf deutsch. Zweisprachig. Die Worte der anderen verstand man nicht. Aber Sie waren sich nah in der Musik. Man kann zu allen Zeiten / Im Lied sich recht verstehn! Und schließlich noch ein dritter Punkt. Die Menschen in Babel sprechen sozusagen mit einer Stimme. Sie sprechen dieselbe Sprache, sie haben dasselbe Ziel. Ihr Gesangverein der singt nicht mit einer Stimme, sondern nach Möglichkeit mit mindestens vier Stimmen. Und die Schönheit entsteht dadurch, dass diese unterschiedlichen Stimmen zusammenklingen. Das ist, wenn man so will, ein anderes Modell von Gemeinschaft. Die Menschen im Babylon meinen, Gemeinschaft heiße, dass alle mit einer Stimme sprechen. Chormusik das bedeutet, dass erst die Vielstimmigkeit reizvoll und wirklich schön ist. In der Musik ist das so. Und wohl auch im Leben. Das ist anstrengender und anspruchsvoller, als wenn alle mit einer Stimme sprechen und singen. Denn man muss viel mehr aufeinander hören, Sie wissen das. Aber die Mühe wird belohnt. 150 Jahre MGV Freundschaft. Ein stolzes Jubiläum. Und natürlich auch eines, das wir mit einem gewissen Bangen feiern. Männerchöre haben ja zur Zeit nicht gerade Rückenwind. Das ist nicht nur in Schwiegershausen so. Und die Frage stellt sich schon: Klingt mit Ihnen diese stolze Chorgeschichte aus? Die Befürchtung ist da und wird ja auch von Ihnen offen angesprochen. Schade wäre das allemal. Die Musiklandschaft in unserem Dorf wäre ärmer. Und schmerzlich wäre es auch. Ich weiß, wie sehr viele an ihrem Männergesangverein hängen. Wir haben das nicht in der Hand. Ein Gesangverein ist kein Turm von Babylon gebaut für die Ewigkeit. Er ist wie alles, was wir Menschen zustande bringen. Begrenzt. Vergänglich. Und gerade in diesen Grenzen kostbar.
6 6 Heute können wir dankbar sein, dass es diese 150 Jahre gab. Dass es über diesen langen Zeitraum so viele Männer hier im Dorf gab all diese Wodes und Waldmanns, Spillners und von Daakes, Strüvers, Großkopfs, Rustebergs und Bodes und Sonntags und Niehus und und und die gemeinsam singen wollten. Die Gott und das Leben loben wollten. Diese Menschen, ihre Freude am Singen, ihre Lebensgeschichten das ist etwas ungeheuer Kostbares. Und wenn Sie so am MGV hängen, dann sind es sicher auch diese Gesichter, die Ihnen den Verein lieb und wert machen. Die Zukunft, die sei Gott befohlen. Wir haben sie nicht in der Hand. Aber ich wünsche es unserem Dorf, dass sich auch in Zukunft Menschen zusammenfinden, die die Musik lieben. Die Gott und das Leben loben. Die gern singen. Und darin auch aneinander nahe sind. Gott gebe es! Amen. (Pastor Stefan Schmidt)
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