der Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit, Christine Lieberknecht (CDU)

Transkript

1 Rede der Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit, Christine Lieberknecht (CDU) anlässlich der Fachtagung "Eltern die anders sind Kinder psychisch kranker Eltern zwischen den Systemen" am Mittwoch, 25. Juni 2008 um Uhr in Erfurt, Thüringer Landtag zum Thema "Kinderschutz heißt: Kinder und Eltern im Blick haben Eine Aufgabe aller beteiligten Systeme" Sperrfrist: Beginn der Rede. Es gilt das gesprochene Wort!

2 Sehr geehrte Abgeordnete des Thüringer Landtages, sehr geehrter Herr Prof. Lenz, sehr geehrter Herr Kölch, sehr geehrte Referentinnen und Referenten, sehr geehrte Damen und Herren, 2 seit heute morgen beschäftigt sich diese Fachtagung mit Kindern, deren Eltern psychisch erkrankt sind. Eine psychische Erkrankung ist kein individuelles Ereignis, sondern von einer solchen Erkrankung sind immer alle Mitglieder der Familie betroffen. Umso dankbarer bin ich Ihnen, dass Sie sich speziell mit der Situation der Kinder beschäftigen. Gerade die jüngsten Familienmitglieder sind in einer besonders schwierigen Situation, wenn ein

3 Elternteil unter einer psychischen Krankheit leidet. 3 Zu Ihrer Fachtagung hier im Erfurter Regierungsviertel überbringe ich Ihnen die Grüße der Landesregierung, insbesondere die Grüße unseres Ministerpräsidenten Dieter Althaus. Sehr geehrte Damen und Herren, das gesunde Aufwachsen von Kindern und der Schutz vor Gefährdungen ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern auch Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Das Grundgesetz weist die Sorge für Kinder zurecht primär ihren Eltern zu. Gleichzeitig weist es allerdings dem Staat die Verantwortung zu, über die Ausübung der elterlichen Sorge zu wachen. Angesichts der gravierenden Fälle von Kindesvernachlässigung, angesichts des

4 tragischen Todes mehrerer Kinder in unserem Freistaat Thüringen, sind weitere Initiativen von allen Verantwortlichen zum verbesserten Schutz von Kindern unverzichtbar. 4 Zur Stärkung des Kinderschutzes in Thüringen und um Gewaltanwendungen gegen Kinder besser entgegenzuwirken, hat die Landesregierung bereits am 12. Dezember 2006 einen umfassenden Maßnahmekatalog beschlossen. Durch die Vernetzung verschiedener Hilfsangebote, von Institutionen und Organisationen haben wir in Thüringen ein soziales Frühwarnsystem entwickelt. Trotz aller Bemühungen kommt es jedoch immer wieder zu gravierenden Einzelfällen wie kürzlich erst in Jena.

5 Dies zeigt: Eine absolute Sicherheit für die Kinder gibt es nicht. Gerade gegen kriminelle Energie ist niemand gefeit. 5 Unser Ziel ist es daher, den Schutz von Kindern aus besonders belasteten Familien vor Vernachlässigung und Misshandlung zu verbessern insbesondere durch die Stärkung der Erziehungskompetenz ihrer Eltern und durch die Einleitung früher Hilfen. Dazu wollen wir auf vorhandenen Erfahrungen aufbauen. In den vergangenen Jahren wurden bei uns in Thüringen zahlreiche Projekte zu einem besseren Schutz in der frühen Kindheit umgesetzt. Die Erfahrungen zeigen, dass es durch vernetzte, niedrigschwellige und frühzeitige Angebote durchaus gelingen kann, auch solche Eltern zu erreichen, die in besonders schwierigen Situationen leben und von sich aus keine Hilfe suchen. Wir müssen daher vermehrt versuchen, den Zugang zu diesen Familien zu finden.

6 Was sich auch immer wieder zeigt: Zusammenarbeit macht das Hinschauen leichter und die Hilfe wirksamer. 6 In diesem Sinne ist die heutige Fachtagung eine gute Möglichkeit, um den Austausch und die Diskussion zu fördern. Die mehr als 150 Anmeldungen von Fachleuten, Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendhilfe zeigen auch, dass das Thema Ihnen allen unter den Nägeln brennt. Wir wissen, dass Kinderschutz zuallererst eine Aufgabe der Eltern ist. Aber was geschieht, wenn Eltern nun mal anders sind? Wenn sie psychische Erkrankungen oder Störungen haben? Eltern und Kinder müssen in solchen Situationen im Blick der Helfer und Hilfesysteme sein, um Unterstützung zu erfahren. So haben wir auf der einen Seite die Erwachsenenpsychiatrie. Deren Ziel ist es, das erkrankte Elternteil zu

7 unterstützen und zu heilen. Auf der anderen Seite gibt es die Kinder- und Jugendhilfe, die die Bedürfnisse und das Wohl der Kinder im Blick haben muss. 7 Gerade bei Eltern mit psychischen Erkrankungen wird deutlich, dass ein Schutz und eine Unterstützung der Kinder am besten mit interdisziplinärer Zusammenarbeit erreicht werden kann. Dies ist für die einzelnen beteiligten Institutionen, Professionen und Fachkräfte eine große Herausforderung. Die heutige Fachtagung ist jedoch ein Schritt in die richtige Richtung. Sie haben am heutigen Vormittag schon die Einschätzungen von Herrn Dr. Kölch, Herrn Prof. Lanz und auch die Sicht eines Familienrichters gehört: Es wird deutlich, dass es kaum ein Arbeitsfeld im Kinderschutz gibt, in dem es so wichtig ist, die Schnittstellen zwischen den einzelnen Bereichen zum Wohle der Kinder zu analysieren und intensiv daran zu arbeiten.

8 8 Ich halte es für besonders wichtig, dass auf der politischen Ebene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Arbeit der Akteure vor Ort verbessern können. Der Kinder- und Jugendschutz ist bundesweit eine kommunale Pflichtaufgabe. Die Jugendämter brauchen jedoch Maßstäbe für ihr Handeln, sie brauchen Spielräume für ihre eigenen Wege im Kinder- und Jugendschutz. Ein Beispiel dafür ist das von der Bundesregierung kürzlich verabschiedete "Gesetz zur Erleichterung der familiengerichtlichen Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung", das in Kürze in Kraft treten wird. Hier steht besonders die Schnittstelle Jugendhilfe und Familiengerichte im Mittelpunkt. Meine sehr geehrten Damen und Herren,

9 Kinderschutz ist eine kontinuierliche Daueraufgabe. Auch die Thüringer Landesregierung ist sich ihrer Verantwortung bewusst. 9 So konnte in den letzten Wochen zum Beispiel die Thüringer Meldeverordnung geändert werden. Somit können nunmehr die Jugendämter wenn sie es denn wünschen für den Erstkontakt mit den Eltern von Neugeborenen die entsprechenden Daten übermittelt bekommen. An weiteren Vorhaben wird mit Hochdruck gearbeitet. Dazu gehören zum Beispiel die Erarbeitung einer Kooperationsempfehlung zur Verbesserung des Kinderschutzes zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und der Landesregierung oder die Entwicklung von Mindeststandards für den allgemeinen Sozialen Dienst in den kreisfreien Städten Thüringens. Gegenwärtig ist Thüringen gerade dabei, neue gesetzliche Regelungen vorzubereiten.

10 Aktuell möchte ich auf zwei wichtige Vorhaben verweisen, die auch Bestandteil unseres Maßnahmekatalogs sind: 10 - Das Thüringer Gesetz zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes: zentrale Regelung ist hier die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen. Diese Früherkennungsuntersuchungen sind ein wichtiges Angebot an Familien mit Kindern, um eine Gefährdung frühzeitig zu erkennen und ihr zu begegnen. Weiterhin - das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule: hier geht es aus Sicht der Jugendhilfe neben einer gezielten Kooperation u. a. um die Konkretisierung des Schutzauftrags für Schulen und Kindertageseinrichtungen.

11 Ich weiß, dass es gerade bei uns in Thüringen darüber hinaus sehr gute Ansätze auf der örtlichen Ebene gibt. Das TMSFG hat in verschiedenen Kommunen Modellprojekte gefördert und begleitet. 11 Unser gemeinsames Ziel war und ist es, für Familien und Kinder Lösungen zu finden, die zum einen natürlich das Kind schützen, das Kindeswohl im Blick haben und auf der anderen Seite aber auch Hilfe und Unterstützung für die Familien darstellen, die sie annehmen können und wollen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur durch das "Voneinander wissen" das "Miteinander reden" ist es möglich, Kinder zu schützen und ihr Wohl ins Zentrum der Bemühungen zu rücken. Nur im Miteinander und im konstruktiven Dialog ist es möglich, Unterstützung für Eltern,

12 die sich gerade in belasteten Familiensituationen befinden, zu organisieren. 12 Der Dialog muss auf den verschiedenen Ebenen organisiert werden: - auf der Ebene der Ministerien steht das Sozialministerium in engem Kontakt mit dem Justiz-, Kultus- und Innenministerium. - auf der örtlichen Ebene, dort wo die Akteure direkt mit den Familien und Kindern in Kontakt sind. Hier sind es vor allem die Jugendämter, die Gesundheitsämter, die niedergelassenen Ärzte, die Kindertageseinrichtungen, die Familienrichter, Kinderschutzdienste und Frühförderstellen, aber auch die Polizei, die voneinander wissen müssen. Aber auch den Informationsfluss aus der "Basisarbeit" vor Ort zurück an die Ministerien halte ich für außerordentlich wichtig. Die Fachpolitiker müssen wissen, wo vor Ort der Schuh drückt. Insofern ermutige ich

13 Sie auch am heutigen Tag ausdrücklich zu einem 13 kritischen und konstruktiven Dialog. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen weiterhin einen guten Verlauf Ihrer Tagung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.