Und mein Kollege schloss daraus: Das will der Vater sich selbst nicht zumuten.

Transkript

1 Domprediger Friedrich-Wilhelm Hünerbein Sonntag Lätare, 6. März 2005, 10 Uhr Predigt über Johannes 6, Liebe Gemeinde, ein Kollege erzählt folgende Begebenheit: Er bekam einen Anruf. Ein Vater kündigt an, dass er aus der Kirche austreten will. Er sagt: er möchte es seinen Kindern ersparen, dass sie sich mit diesem schrecklichen Foltergerät, dem Kreuz, auseinandersetzen müssen. Mein Kollege denkt sofort an die Diskussion, die vor einiger Zeit über das Kreuz in öffentlichen Räumen geführt wurde. Aber das war nicht alles. Der Vater setzt noch eins drauf: Er möchte nicht, dass seine Kinder sich mit den abartigen kannibalischen Gebräuchen wie dem Verspeisen eines Leibes in dem so genannten Abendmahl auseinandersetzen müssen. Die Geburtsgeschichte sei ja noch ganz hinnehmbar. Aber was dann kommt. Das wollte er seinen Kindern nicht zumuten. Und mein Kollege schloss daraus: Das will der Vater sich selbst nicht zumuten. Und das Ärgerliche ist, sagt der Kollege, das ärgerliche ist, dass ich keine Antwort fand, um ihn umzustimmen. Wir werden heute im verordneten Predigttext auf dieses Thema gestoßen: Was ist das heilige Abendmahl für uns? Der Evangelist Johannes erzählt die Geschichte von der Speisung der 5000 Menschen am See Tiberias. Alle wollten Jesus sehen und hören. Sie hatten Hunger. Doch es war nur ganz wenig da, fünf Brote und zwei Fische. Alle wurden satt. Das ist ein Wunder, sagten die Anwesenden. Das ist ein Wunder sagten die, die es hörten. Wir wollen noch mehr Wunder erleben. Gib uns allezeit so Brot, dann sind wir schon zufrieden. Und Jesus antwortet ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Johannes erzählt weiter, wie sich die Juden über die Worte Jesu stritten. Denn Jesus hat hinzugefügt: Dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt. Was ist das für eine Zumutung. Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben und sein Blut, dass die Juden nach den mosaischen Gesetzen nicht essen dürfen! Bis heute nicht. Ein Wort ergibt das andere in der Synagoge zu Kapernaum. Viele sind abgestoßen von der harten Rede Jesu. Und hier schließt der Predigttext dieses Sonntags an:

2 (55)Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. (56)Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. (57)Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. (58)Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. (59)Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte. (60) Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? (61)Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Ärgert euch das? (62)Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? (63) Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben. (64)Aber es gibt einige unter euch, die glauben nicht. Ja, das ist eine harte Rede. Da haben die Männer und Frauen Recht, die damals extra zu Jesus hinaus gewandert sind. Da haben die Jünger Recht, die nun auch nichts mehr verstehen und murren. Sie sind es gewohnt, dass Jesus immer wieder Geschichten erzählt und Beispiele bringt, die manchmal nicht auf den ersten Blick verständlich sind. Aber er konnte doch auch anders reden. Johannes, der sein Evangelium etwa um 100 nach Christus aus den Überlieferungen aufschreibt, muss sich mit seiner Umwelt auseinander setzen. Da war die Frage: Was tun die so genannten Christen eigentlich. Sie kommen zusammen. Sie versuchen nach den Worten dieses Jesus zu leben. Und sie feiern das Abendmahl. Ihr Christen verspeist ja euren Herrn, sein Blut, sein Fleisch, seid ihr Kannibalen? Nicht wahr, liebe Gemeinde, nichts ist schlimmer, als so lächerlich gemacht zu werden und dann noch mit so etwas wichtigem. Für mich wichtigem! Sind wir darüber erhaben? Oder haben wir es schon längst aufgegeben, Antworten zu finden und Erklärungen, die wir begreifen können? Schauen wir uns einmal unsere Abendmahlslieder an, so können wir feststellen: Unseren Vätern im 16. bis 18. Jahrhundert hat der Vergleich zwischen Brot und Wein und Fleisch und Blut keine Schwierigkeiten gemacht.

3 Wie oft singen wir: Gott sei gelobet und gebenedeiet, der uns selber hat gespeiset mit seinem Fleische und mit seinem Blute, das gib uns, Herr Gott zu gute. Kyrie eleison." Oder in einem anderen Lied: EG S. 218, 4: "Nein, Vernunft, die muss hier weichen, kann dies Wunder nicht erreichen, dass dies Brot nie wird verzehret, ob es gleich viel Tausend nähret, und dass mit dem Saft der Reben uns wird Christi Blut gegeben. Gottes Geist nur kann uns leiten, dies Geheimnis recht zu deuten." In den neueren Liedern wird von Brot und Wein gesungen. EG S. 228: "Er ist das Brot, er ist der Wein, steht auf und esst, der Weg ist weit..." Wie oft wird das Bild vom Leib gebraucht. Wir als Gemeinde sind der Leib Christi. Da stoßen wir uns nicht. Wir verstehen dieses Bild als Symbol. In den Abendmahlsworten sagt Jesus uns: Das ist mein Leib. Das ist mein Blut. Ich bin das Brot des Lebens. Die alte Kirche kannte in ihrem Denken keinen Gegensatz zwischen Symbol und Wirklichkeit. Durch das Symbol Brot und Wein - hat man an der Wirklichkeit am Leib und Blut Christiteil. Ja, wir Menschen brauchen Nahrung. So wie es der Volksmund sagt: Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Aber meine Seele und mein Glaube brauchen auch Nahrung. Und Christus nachfolgen, das ist, wie eins mit ihm werden. Jesus Christus ist für uns Mittel zum Leben- oder noch besser die beiden Worte zusammengezogen: Mittel zum Leben Lebensmittel. Dass diese Argumentation Jesu uns auf den zweiten Blick doch nicht so ganz fremd ist, lassen Sie mich an gängigen Sprichwörtern zeigen: Du bist mein und ich bin dein oder : Wir sind ein Herz und eine Seele oder auch: Liebe geht durch den Magen. In diesen Sprichwörtern wird etwas angedeutet, was jeder versteht. Die, die ein Herz und eine Seele sind, haben jeder ein Herz und eine Seele. Logisch. Albern, dass du das nicht verstehst, würden wir vielleicht einem sagen, der diese Worte so hinterfragt. Aber wie ist es mit den beiden Sprichwörtern: Ich könnte dich glatt vernaschen? oder: Ich habe dich zum Fressen gern? Hat das schon einmal jemand zu Ihnen gesagt? Oder haben Sie diese Worte schon einmal jemandem ins Ohr geflüstert? Diese Worte sagt man nicht beim ersten Treffen, wenn es für beide darum geht, sich behutsam und vorsichtig aneinander heranzutasten, sich anzunähern. Ich habe dich zum Fressen gern : Bis man diese Worte sagt, muss es schon ein sehr vertrautes Miteinander gegeben haben. Wer solche Worte wagt, der weiß, wie der andere ist.

4 Ganz nahe möchte man sein. Den anderen gleichsam einverleiben, ganz, mit Haut und Haaren. Er soll ganz nahe sein und immer bei mir sein. In Fleisch und Blut soll er in mich übergehen. Diese Worte können nur gesprochen werden, wenn die Liebe Tiefe und Vertrauen gewonnen hat, und der andere nicht erschreckt und sich bedrängt fühlt. Dass diese Worte vom anderen auch verstanden werden und auf Gegenliebe stoßen. Wenn Jesus Christus zu uns sagt: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm, dann ist das nichts anderes als eine sehr drängende und leidenschaftliche Werbung, eine innige Liebesbeziehung mit ihm einzugehen. Wenn ihr zu mir und zu Gott gehören wollt, dann schenkt mir eure Liebe. Es reicht nicht, wenn ihr mich verstehen wollt oder philosophische Gespräche mit mir führen wollt oder mich als Lebensberater haben wollt. Wenn ihr zu mir und zu Gott gehören wollt, lasst euch von meiner Liebe durchdringen. Macht euch immer mehr mit mir vertraut. So geht euch meine Liebe in Fleisch und Blut über und ihr fühlt euch lebendig, heil und erfüllt. Dann lebt ihr aus meiner Liebe und gebt sie an andere weiter. Ist mir das ist Ihnen das zu nahe?, liebe Gemeinde? Das Abendmahl ist darum alles andere als ein Erinnerungsmahl. Denn der, dem wir in der Feier des Abendmahls ganz nahe kommen, ist mitten unter uns anwesend. Er ist gegenwärtig, nicht als bloßer Gedanke, sondern geprägt durch seine Geschichte, die wir hier in den Altarfenstern so deutlich vor Augen haben: als Kind in der Krippe: Johannes schreibt: Das Wort wurde Fleisch oder anders übersetzt: Mensch. Als Verurteilter am Kreuz. Als von Gott Auferweckter. Im Abendmahl wird aber nicht nur das vergangene oder gegenwärtige, sondern auch das zukünftige Heilsgeschehen Gegenwart. Denn wir hoffen darauf, dass Christus das vollenden wird, was er angefangen hat, dass er die Welt zum Ziel zu Gott - führt. Das Abendmahl ist ein Vorgeschmack der künftigen Freude und der Gemeinschaft mit Gott. Wie Jesus Brot und Wein nahm und dankte, so tritt die Gemeinde mit Brot und Wein vor Gott, um ihn zu loben und zu danken für Jesus Christus, für seinen Tod und seine Auferstehung, eben für sein Fleisch und Blut. Wir bekommen es zugesprochen: "...das stärke und bewahre euch im aufrichtigen Glauben hin zum ewigen Leben". So ist das Abendmahl eine Feier der Freude. Eine Feier der Liebe. Eine Feier des Sich- Dahingebens. In der alten Kirche wurden die Sakramente als Mysterium als Geheimnis des Glaubens bezeichnet. Für mich ist die Liebe, mit Haut und Haaren, zu einem Menschen ein Geheimnis. Für mich ist das Abendmahl wie auch die Taufe und der Glaube ein Geheimnis. Das wir in so schlichten Dingen wie Brot und Wein die Nähe Gottes erfahren, das ist ein Geheimnis, das sich dem erschließt, der sich davon ergreifen lässt. dass wir im Brot und Wein Anteil haben an Jesu Leben, Tod und Auferstehung, das ist ein Geheimnis des Glaubens.

5 Welche Antwort könnte ich dem Vater vom Anfang oder anderen geben? Glauben kann ich nicht erklären, ich kann ihn bezeugen. Liebe kann ich nicht erklären. Ich kann sie nur leben und zeigen. Brot und Wein im Abendmahl kann ich nicht erklären. Ich kann sie nur dankbar empfangen wie Glauben und Liebe. So ist das Abendmahl Mittel zum Leben eben Lebensmittel für meinen Weg in der Gemeinde, in dieser Welt, für meinen Weg hin zu Gott. Die immer währende Einladung gilt: "Kommt, denn es ist alles bereit, Schmecket und sehet wie freundlich Gott ist." EG 224,3: Nun segne, Herr, uns Brot und Wein,/ deins Tisches edle Gaben!/ Du selbst willst gegenwärtig sein/ und wunderbar uns laben./ Gib über Bitten und Verstehn,/ wie du versprachst zu geben!/ In dem, was unsre Augen sehn,/ gib dich uns selbst zum Leben!