Christi Himmelfahrt 2016

Transkript

1 Christi Himmelfahrt 2016 Den ersten Bericht habe ich gegeben, lieber Theophilus, von all dem, was Jesus von Anfang an tat und lehrte bis zu dem Tag, an dem er aufgenommen wurde, nachdem er den Aposteln, die er erwählt hatte, durch den Heiligen Geist Weisung gegeben hatte. Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt... Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der heißt Ölberg und liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg entfernt. Apopstelgeschichte 1

2 Predigt zu Apostelgeschichte 1, 1-12 Christi Himmelfahrt 2016 Liebe Gemeinde, ein wenig Bibelkunde am Himmelfahrtstag, dazu will ich Sie einladen heute morgen. Unser Ziel soll sein, dass wir dabei etwas vom Christi Himmelfahrt verstehen. Fangen wir ganz einfach an: vier Männer erzählen uns die Jesusgeschichte in der Bibel, es sind die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Es ist jedes Mal dieselbe Geschichte, aber jeder Evangelist hat seine eigenen Akzente gesetzt. Einem davon wollen wir uns in diesem Gottesdienst anvertrauen, es ist der dritte, Lukas, der Arzt, wie es heißt. In 24 Kapiteln erzählt er uns die Jesusgeschichte. Um das Jahr 80 nach Christus hat er sein Evangelium geschrieben, sagen die Forscher. Wie gesagt: ein Arzt soll er gewesen sein, man merkt es seinem Evangelium an, dass er ein gebildeter Mann war. Er hat die Ereignisse der damaligen Weltgeschichte in sein Buch einfließen lassen: Cyrenius, Augustus, Herodes, Tiberius - die Politiker der damaligen Zeit kommen in seinem Buch vor, freilich nur als Randfiguren. Denn entscheidend ist natürlich ein anderer, Jesus von Nazareth, der Kyrios, der Herr, wie Lukas immer wieder betont. In 24 Kapiteln erzählt Lukas seine Geschichte. Und nun schreibt Lukas noch ein zweites Buch. Als einziger der vier Evangelisten schreibt Lukas noch ein zweites Buch, eine Fortsetzung seines Evangeliums. Den Anfang dieses zweiten Buches, der Apostelgeschichte, habe ich Ihnen als Predigttext eben vorgelesen: Den ersten Bericht habe ich gegeben, lieber Theophilus... So beginnt er. Wer Theophilus war keiner weiß es. Manche sagen, damit seien wir alle gemeint, wir, die das lesen. Denn Theophilus heißt auf deutsch Gottesfreund - vielleicht ist die Anrede ganz allgemein an alle gerichtet, die dieses Buch in die Hand nehmen. Lieber Leser, lieber Gottesfreund... Warum schreibt Lukas eigentlich ein zweites Buch? Die anderen drei, Matthäus, Markus und Johannes, tun das ja nicht! Lukas hat im ersten Buch erzählt, wie der Engel zu Maria kommt und zu ihrer Base Elisabeth, hat erzählt von der Geburt Jesu und des Täufers Johannes, vom Leben Jesu, von seiner Kreuzigung und Auferstehung. Das Ende des Lukasevangeliums, die Himmelfahrt, haben wir vorhin als Lesung gehört.

3 Und jetzt fängt Lukas ein zweites Buch an. Er beginnt da, wo er vorhin aufgehört hatte, bei der Himmelfahrt. Bei Himmelfahrt denkt man: damit ist die Jesusgeschichte jetzt abgeschlossen. Und Lukas hat damit ja auch seinen Bericht über das Leben Jesu abgeschlossen. Wenn er jetzt noch einmal anfängt zu schreiben, will er damit sagen: Die Himmelfahrt ist nicht das Ende, sondern die Himmelfahrt ist ein neuer Anfang. Vor hundert Jahren gab es einen kritischen Theologen aus Frankreich, Alfred Loisy, der gesagt hat: Jésus annonçait le royaume, et c est l Église qui est venue. Jesus kündete das Reich Gottes an und es war die Kirche, die gekommen ist Er wollte damit sagen: Jesus predigte etwas Mitreißendes, einen Aufbruch und es kam die Kirche mit ihren Vorschriften und Paragraphen... Ironisch hat er das gesagt, der Alfred Loisy, aber auch ein wenig traurig. Lukas macht uns Mut, dass wir nicht resignieren, wenn wir an die Kirche denken. Er taucht die Feder nochmal ein und schreibt ein zweites Buch: Passt auf, will er sagen, die Jesusgeschichte, das war die Grundlage, der Anfang, aber jetzt geht es weiter, ja jetzt kommt noch viel mehr: die Ausbreitung des Evangeliums bis an die Enden der Erde. Christi Himmelfahrt das ist nicht das Ende, das ist der Anfang. Man muss zwischen den Zeilen lesen bei solchen fremdartigen Geschichten. Ich hab's schon öfters gesagt: das wörtliche Verstehen von Christi Himmelfahrtdas ist, wie wenn man mit dem Kopf gegen die Wand rennt. Wenn Christus mit Lichtgeschwindigkeit zum Himmel aufgefahren wäre, dann wäre er heute noch unterwegs, er hätte nach 2000 Jahren erst 2 Prozent der Milchstraße durchquert, wäre quasi noch gar nicht im Himmel angekommen, ja, wo soll denn dieser Himmel sein, zu dem Jesus auffährt? Die biblischen Geschichten erzählen mit Bildern, die wir verstehen, von Dingen, die wir uns gar nicht vorstellen können. Versuchen wir, zwischen den Zeilen zu lesen: Vierzig Tage lang, so lesen wir, war der auferstandene Jesus bei seinen Jüngern. Er zeigte sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige. Vierzig Tage, also von Ostern an bis zum heutigen Himmelfahrtstag. Vierzig da fallen uns viele Geschichten ein: vierzig Jahre war das Volk Israel in der Wüste, vierzig Tage war der Prophet Elia am Gottesberg, vierzig Tage war Jesus in der Wüste... vierzig das ist eine besondere, runde, außergewöhnliche Zeit. Es ist eine Hoch-zeit. Manchmal gibt s das ja im Leben: Hoch-zeiten, Zeiten, in denen das Leben besonders dicht ist,

4 Glanzpunkte, Gipfelerfahrungen, von denen man ein ganzes Leben lang zehrt... darüber könnte jeder von uns mal nachdenken: was waren in meinem eigenen Leben besondere Höhepunkte, Hoch-zeiten? Auch weltgeschichtlich gibt es solche Gipfelzeiten, der Philosoph Karl Jaspers aus Heidelberg hat solche Zeiten Achsen-zeiten genannt: zum Beispiel die Zeit der Propheten in Israel, 600 vor Christus, oder das Auftreten von Gautama Buddha in Indien, oder Sokrates, Plato, Aristoteles in Griechenland, oder eben Jesus von Nazareth. Höhepunkte kann man nicht festhalten. Nichts lässt sich festhalten im Leben, das ist ja unsere Lebens-erfahrung. Nach jedem Sonntag kommt ein Montag, nach jedem Gipfel muss man wieder hinunter ins Tal. Und so ist es auch mit den Jüngern und Jesus: die Zeit der besonderen Jesuserfahrung geht zu Ende, die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus ist ein Ausnahmezustand, das bleibt nicht so. Es kommt die Zeit der Kirche, da hat Alfred Loisy schon recht, aber die Zeit der Kirche ist nicht die verkörperte Trostlosigkeit, sagt uns Lukas, sondern Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. Wir wissen alle nicht, was auf uns zukommt. Keiner weiß, was morgen ist. Aber sagt uns Lukas in seiner Apostelgeschichte der Weg in die Zukunft wird ein Weg mit Christus sein. Das ist das Geheimnis der Kirche, dass es sie auch nach vielen Jahrhunderten immer noch gibt, dass sie zwar manchmal müde daherkommt, aber dann gibt es immer wieder auch neue Aufbrüche, gibt es Begeisterung --- bis an die Enden der Erde. Und dann ist da noch die Sache mit den Männern in weißen Gewändern. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Jünger in unserer Geschichte gar nicht so richtig mitbekommen, was da eigentlich geschieht am Himmelfahrtstag. Wir lesen: Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. Immer, wenn in den biblischen Geschichten die Menschen perplex sind und nicht mehr weiter wissen, tauchen in diesen Geschichten plötzlich Männer in weißen Gewändern auf denken sie an die Hirten in der Weihnachtsgeschichte: Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch große Freude...

5 ... oder bei den Frauen, die an Ostern zum Grab gehen und dort Jesus den Gekreuzigten nicht finden Bleibt nicht stehen, macht euch auf den Weg!, sagen die Männer in weißen Gewändern: geht nach Bethlehem, dort werdet ihr finden... oder: geht zu seinen Jüngern und verkündigt ihnen: der Herr ist auferstanden und auch hier jetzt: was steht ihr rum und starrt in den Himmel? Geht zurück nach Jerusalem... Ihr steht nicht am Ende, sondern am Anfang der Geschichte! Vielleicht ist das der wichtigste Satz am Himmelfahrtstag: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Ihr Männer und Frauen von Hugsweier, was zerbrecht ihr euch den Kopf am Himmelfahrtstag über diesen Jesus, von dem es heißt, es sei aufgefahren in den Himmel??? Dort oben seht ihr nichts! Geht zurück nach Jerusalem, geht in euren Alltag, dort, zwischen Lahr und Langenwinkel, Hugsweier und Sulz, werdet ihr ihn entdecken. Jesus ist nicht irgendwo oben, sondern ganz nah zu finden, in den biblischen Geschichten, die ihr alle daheim in eurer Bibel findet, in der Gemeinschaft, die entsteht, wenn ihr miteinander singt, lebt, betet. Jesus ist keine Person der Vergangenheit, er ist eure Zukunft. Ich will's zum Schluss noch einmal ganz einfach und ganz persönlich sagen. Wenn man Pfarrer geworden ist, dann begleiten einen die biblischen Geschichten das ganze Leben lang. Ein Pfarrer liest ja schon beruflich regelmäßig in der Bibel. Die Kinder in der Schule oder auch manche Konfirmanden haben mich schon gelegentlich gefragt: Ist das nicht manchmal auch langweilig immer wieder diese alten Geschichten und Texte, das kennt man doch irgendwann auswendig...?? Und da kann ich ganz klar sagen: Nein, das wird erstaunlicherweise nicht langweilig. Man kennt diese Geschichten und kennt sie doch nicht, man liest die alten Texte und entdeckt sie immer wieder neu. Die Bibel ist unerschöpflich, nicht auslotbar, manchmal abgründig, erschreckend und fürchterlich, kein Buch, das man irgendwann verstanden hat und weglegen könnte. Immer wieder ist sie zu vernehmen, die Stimme jener Männer mit den weißen Gewändern, diese Aufforderung, dass wir nicht stehenbleiben sollen, nicht nach oben oder in die Vergangenheit gucken sollen, als wäre die Kirche ein Jesus-erinnerungsverein, nein, der Glaube ist immer ein Blick in die Zukunft. Jesus haben wir nie hinter uns, sondern immer vor uns. ER ist unsere Zukunft, er kommt uns aus der Zukunft entgegen und ruft uns in seine Nachfolge. Jesus lebt in Hugsweier und in Langenwinkel. Amen.