Inhalte und Methoden der Antidiskriminierungsberatung

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1 Inhalte und Methoden der Antidiskriminierungsberatung Darstellung auf der Grundlage des Beratungsansatzes von basis & woge e.v. im Projekt Antidiskriminierungsberatung für MigrantInnen Erstellt von: Birte Weiß basis & woge e.v. Steindamm Hamburg Zur Verfügung gestellt für das Projekt Diskriminierungsschutz: Handlungskompetenz für Verbände am Deutschen Institut für Menschenrechte

2 Gliederung Bedeutung von Beratung bei Diskriminierungserfahrungen durch Betroffenenverbände Diskriminierung erkennen: Wo findet Diskriminierung statt? Gegen Diskriminierung handeln mit Fallbeispielen: Was bedeutet Antidiskriminierungsberatung? Welche Handlungsoptionen beinhaltet sie?

3 Diskriminierung ist Alltagserfahrung Diskriminierung erleben wir alltäglich. Es ist schwer auszuhalten. Wenn ich früher von dieser Unterstützungsmöglichkeit erfahren hätte, hätte ich eingegriffen. Es hätte alles nicht so weit kommen müssen. Aber alleine hätte ich es nicht geschafft, mich zu wehren. Quelle: Zitate von Ratsuchenden, basis & woge e.v.

4 Diskriminierung ist Alltagserfahrung Viele MigrantInnen, Frauen, Lesben, Schule, Behinderte oder Junge oder Alte machen aufgrund ihrer (zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer Gruppe Diskriminierungserfahrungen Diskriminierung wird manchmal direkt ausgesprochen, oft ist sie aber auch versteckt in Regeln, Gesetzen, Strukturen und Maßnahmen Diskriminierung ist deswegen für die Betroffenen eine Alltagserfahrung, die oft traurig, hilflos, ohnmächtig macht Weil Diskriminierung in der Gesellschaft häufig bestritten wird, spielt Beratung eine wichtige Rolle, um Diskriminierungserfahrungen aufzunehmen und Handlungsoptionen zu suchen Dazu benötigen BeraterInnen Kenntnisse um Diskriminierung zu erkennen Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln bzw. weiterzuverweisen

5 Auf welche Bereiche beziehen sich Diskriminierungsbeschwerden? 1. Staatliche Einrichtungen: Ämter und Behörden 2. Arbeitsmarkt (Arbeitsplatz, Zugang zu Stellen, Anerkennung von Abschlüssen, Vertragsbedingungen / Kündigungen) 3. Wohnen 4. Bildung 5. Zugang zu Dienstleistungen (Diskothek, Fitnessclub u.ä.) 6. Polizei/Gerichte

6 Bedeutung rechtlicher Beratung am Beispiel unseres Projekts Eine Auswertung von 80 Antidiskriminierungsberatungsfällen, bei denen kostenlose Rechtsberatung als zusätzliche Option angeboten wurde zeigt: 56 % nahmen zusätzliche Rechtsberatung wahr In 26 % Rechtsmittel (inklusive Beschwerden) eingelegt Von den 26% der eingelegten Rechtmittel hatten 28% einen Bezug zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Daraus schließen wir: Rechtsberatung ist ein zentrales Angebot der Antidiskriminierungsarbeit und wird dann angenommen, wenn es niedrigschwellig angeboten wird Der überwiegende Teil der Diskriminierungsbeschwerden, die rechtliche geahndet werden werden zur Zeit u.a. aufgrund der Mängel des Gesetzes, insbesondere der Fristen noch ohne das AGG behandelt werden

7 Was passiert in einer Antidiskriminierungsberatung? Beratungsgespräch(e) Ratsuchende (RS) berichtet über Diskriminierung Nachfragen der BeraterIn (B) dienen dem Sortieren von Erinnerung, ohne Diskriminierung in Frage zu stellen Je nach Wunsch RS und Kompetenz B: emotionale Auswirkung der Diskriminierungserfahrung beleuchten/empowerment Gemeinsam Erarbeiten: Was soll sich aus Perspektive des RS verändern? Interventionsmöglichkeiten darstellen Handlungsmöglichkeiten RS erhöhen Weitere mögliche Interventionen: Kontakt zur beschuldigten Person aufnehmen Stellungnahme Vermittelndes Gespräch führen Begleitung zu Behörde / Stelle Beschwerde / Widerspruch einreichen Recherche, Testing Rechtliche Möglichkeiten klären Evtl. Klage einreichen oder Strafanzeige stellen Öffentlichkeitsarbeit/ Skandalisierung Politische Einflussnahme Weitere Unterstützung, Verweis an andere Beratungsstellen Dokumentation

8 Einzelne Handlungsoptionen an Fallbeispielen: Fallbeispiel 1 1. Sprechen über Diskriminierung Klärung Was ist geschehen? Wer war beteiligt? Was soll sich verändern? Welche Interventionen gibt es? Was kann die Beratungsstellle / der Verband leisten? An wen kann vermittelt werden? Worin wünscht sich RS Unterstützung? Diskriminierung bei Vergabe einer Wohnung Zwei Schwestern suchen eine Wohnung für die Familie. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft lehnt sie mit der Begründung ab, die Eltern sprächen zu schlecht deutsch. 3. Ergebnis: - Schwestern führen aufgeklärt über ihre Rechte und dadurch in ihrer Position gestärkt erneut ein Gespräch mit Vermieter und verweisen auf das AGG. Sie bekommen die Wohnung. 2.Handlungsoptionen aufzeigen und ausloten Beratungsgespräch mit den betroffenen Schwestern Aufklären über den rechtlichen Rahmen und die Möglichkeiten, die das AGG bietet Wenn möglich: Unterstützung durch Verband bei Gerichts- und Beschwerdeverfahren anbieten Argumentationslinien für ein Gespräch mit Vermieter entwickeln Dokumentation

9 Handlungsoption 1: Beratung Die Beratungsgespräche stellen den Kern der Begleitung von Betroffenen in der Antidiskriminierungsarbeit dar Das erste Gespräch dient dazu, das Vertrauen zwischen Beraterin/-er und Ratsuchender/-m aufzubauen, der/dem Ratsuchenden die Möglichkeit zu geben, über die Diskriminierung zu sprechen. Wenn die/der Berater/-in dafür ausgebildet ist und es dem Anliegen der/des Ratsuchenden entspricht, kann es sinnvoll sein, die emotionale Belastung, die aus der Diskriminierung entsteht in der Beratung zum Thema zu machen mit der ratsuchenden Person gemeinsam die Situation zu sortieren. Oft gilt es aus Vorgeschichte und genauer Beschreibung herauszufiltern, wo der drängendste Bedarf liegt Den Blick auf gewünschte Veränderung zu ermöglichen und zu entwickeln, welche Art der Veränderung für den Ratsuchenden wichtig wäre. Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten auszuloten.

10 Einzelne Handlungsoptionen an Fallbeispielen: Fallbeispiel 2 1. Sprechen über Diskriminierung Klärung Was ist geschehen? Wer war beteiligt? Was soll sich verändern? Welche Interventionen gibt es? Was kann Beratungsstellle/Ver band leisten? An wen kann vermittelt werden? Worin wünscht sich RS Unterstützung? Diskriminierung bei Vermittlung von Stellenanzeigen in Jobcenter Bei Erzieherin, die ein muslimi-sches Kopftuch trägt, lehnt der Vermittler Weitergabe von Stellenanzeigen ab, zudem wird sie im Gespräch beleidigt. 3. Ergebnis: Mehrere Beratungsgespräche helfen Sortieren der Situation und Verletzung RS findet ohne Jobcenter Stelle und möchte Kontakt mit Vermittler vermeiden Beratungssstelle reicht Beschwerde ein 2.Handlungsoptionen aufzeigen und ausloten Weitere Beratungsgespräche, um Verletzung aufzuarbeiten Beschwerde bei Teamleiter Klärungsgespräch Teamleiter, Vermittler, Beratungsstelle und Ratsuchende Wechsel des Vermittlers Dokumentation

11 Handlungsoption 2: Beschwerde Die Diskriminierungsbeschwerde kann zunächst mit Bitte um Stellungnahme an die beschuldigte Person herangetragen werden. Dies kann von der Beratungsstelle schriftlich oder mündlich geschehen. Ebenso ist möglich die Beschwerde bei einem Vorgesetzten einzureichen. Ein mögliches Ergebnis kann ein Klärungsgespräch sein, dessen Ergebnis eine Richtigstellung oder Entschuldigung sein könnte. Will die/der Ratsuchende kein Gespräch, so bewirkt die Beschwerde durch die Beratungsstelle, dass der Sachverhalt in der jeweiligen Institution zumindest bekannt wird. Eine Beschwerde kann auch als Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Dienstaufsicht führenden Stelle eingereicht werden, dies kann u.u. auch über einen Rechtsanwalt erfolgen.

12 Handlungsoption 2: Beispiel für eine Beschwerde Genaue Adresse und Name der anzusprechenden Person, z.b. Geschäftsführerin eines Einzelhandelsladens Sehr geehrte Frau xxx, Von einer Kundin Ihrer Filiale xxx ist uns folgende Situation berichtet worden: möglichst genaue Situationsbeschreibung mit Datum und Uhrzeit und allen für die Rekonstruktion hilfreichen Details Wir bitten Sie um eine Stellungnahme zu diesem Vorfall. Herr yyy wünscht sich insbesondere, die Gründe für das Verhalten der Mitarbeiterin zu erfahren und fragt, wie die Geschäftsführung sich zu dem Fall verhält, insbesondere, um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Ich bitte Sie um eine schriftliche Antwort bis Frist 2 Wochen später und verbleibe mit freundlichen Grüßen Name der Beraterin und Beratungsstelle / des Verbandes

13 Einzelne Handlungsoptionen an Fallbeispielen: Fallbeispiel 3 1. Sprechen über Diskriminierung Beratung der Mutter Was ist geschehen? Wer war beteiligt? Was soll sich verändern? Welche Interventionen gibt es? Was kann Beratungsstellle/Ver band leisten? An wen kann vermittelt werden? Worin wünscht sich RS Unterstützung? Rassistische Beleidigung unter SchülerInnen Zwei Schwarze SchülerInnen werden wiederholt von MitschülerInnen rassistisch beleidigt. Die Mutter der Kinder erlebt eine Situation mit und sieht, dass die Lehrerin nicht eingreift. 3. Ergebnis: -Gespräch der Mutter mit Lehrerin, Eltern und Schulleitung ohne Ergebnis: Mutter wird von ihnen als Problemverursacherin gesehen -Vermittlungsgespräch mit Schulleitung - Lehrerkonferenz zum Thema 2.Handlungsoptionen aufzeigen und ausloten Zusätzliches Beratungsgespräch mit den (betroffenen) Kindern Gespräch der Ratsuchenden (Mutter) mit Lehrerin Beschwerde bei Elternsprechtag, Elternbrief Elternabend zum Thema Vermittlungsgespräch mit Schulleitung Dokumentation

14 Handlungsoption 3: Begleitung und / oder Klärungsgespräch Um die Situation für die/den Ratsuchenden möglichst schnell zu verbessern kann es hilfreich zu einem Gespräch zu begleiten. Diese Begleitung kann als Unterstützung gedacht sein oder in einem Gespräch Klärung herbeiführen. Manchmal kann es auch darum gehen, eine Entschuldigung zu erlangen. Unter Umständen wird die/der Ratsuchende mit dem Anliegen durch die Begleitung ernster genommen. Möglich ist auch, dass die reine Anwesenheit einer Person, die potenziell unterstützen kann, die Ruhe und Kraft des/der Ratsuchenden so stärkt, dass ein Eingreifen gar nicht nötig ist.

15 Einzelne Handlungsoptionen an Fallbeispielen: Fallbeispiel 4 1. Sprechen über Diskriminierung Was ist geschehen? Wer war beteiligt? Was soll sich verändern? Welche Interventionen gibt es? Was kann Beratungsstellle/Ver band leisten? An wen kann vermittelt werden? Worin wünscht sich RS Unterstützung? Wiederholte Ablehnung eines qualifizierten Bewerbers Diskriminierungsverdacht 3. Ergebnis: - Weitere Bewerbung, parallel Testing durch Beratungsstelle - Telefonat mit Personalverantwortlicher -Rechtsberatung/Klage; Unterstützung durch Beratungsstelle, Entschädigung über 5.400, Pressearbeit 2.Handlungsmöglichop tionen aufzeigen und ausloten Gespräch mit Personalverantwortliche n suchen Gewerkschaft einschalten Erneute Bewerbung mit Testing Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Rechtliche Schritte (AGG) prüfen Dokumentation

16 Handlungsoption 4: Testing Ein Testing ermöglicht es einen bestehenden Diskriminierungsverdacht zu überprüfen bzw. beweisbar zu machen. Eine vergleichbare Situation wird mit einer Person hergestellt, bei der alle Merkmale übereinstimmen nur das nicht, aufgrund dessen der Diskriminierungsverdacht besteht Für das Fallbeispiel 3 bedeutet dies: Ein deutscher Mann ohne Migrationshintergrund ruft bei der Personalverantwortlichen an, um zu fragen, ob die Stelle noch frei sei. Dies wird bestätigt Daraufhin reichen beide Männer, der Ratsuchende und die Testperson ihre vergleichbaren Bewerbungsunterlagen ein, der Ratsuchende wird erneut abgelehnt, der deutsche Mann ohne Migrationshintergrund wird angerufen.

17 Handlungsoption 5: Öffentlichkeitsarbeit In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, die Öffentlichkeit einzuschalten, um auf den Missstand aufmerksam zu machen und gegebenenfalls auch Druck aufzubauen Dabei ist von großer Bedeutung, den Fall gut zu prüfen, ob er sich für eine Darstellung in den Medien eignet und welche Art des Mediums dafür sinnvoll ist Hier sind verlässliche Absprachen mit Journalisten wichtig Im Mittelpunkt muss die Frage stehen, ob und in welcher Weise der/die Ratsuchende eine öffentliche Darstellung wünscht und mögliche Konsequenzen tragen kann. Dies sollte in der Beratung gründlich und verbindlich erörtert werden Bei Fallbeispiel 3 bedeutete dies: Eine Journalistin, mit der die Beratungsstelle gute Erfahrungen gesammelt hat, interviewt die Mitarbeiterin der Beratungsstelle gemeinsam mit dem Ratsuchenden für eine Radiosendung

18 Handlungsoption 6: Rechtliche Schritte nach AGG Rechtliche Schritte nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz werden sinnvollerweise mit einem Anwalt geklärt, der das AGG kennt und im Sinne des Schutzes von Betroffenen einzusetzen weiß. Eine Begleitung zur Rechtsberatung und bei weiteren rechtlichen Schritte halten wir für sinnvoll! Innerhalb von 2 Monaten müssen gegenüber der Person, die der Diskriminierung beschuldigt wird, Ansprüche geltend gemacht werden. Dies kann, muss aber nicht durch einen Anwalt geschehen! Hier kann auch eine Beratungssstelle / ein Verband tätig werden. Aus dem Schreiben muss u.a. eine Beschreibung des Tatbestands hervorgehen, sowie die Aussage, dass Ansprüche nach AGG geltend gemacht werden. Der nächste Schritt besteht je nach Reaktion des Beschuldigten dann darin, Klage einzureichen. Ein Antidiskriminierungsverband kann als rechtlicher Beistand auftreten Im Fallbeispiel 3 wird Klage eingereicht, das Gericht verurteilt die Deutsche Post AG zu einer

19 Zum Weiterlesen I: Handbuch Diskriminierung erkennen und handeln! Aus dem Inhalt: Begriffe: Was ist Rassismus, was ist Diskriminierung etc. Rechtliche Grundlagen, Europ. Richtlinien, AGG etc. Beratung und Intervention anhand von Beispielen: Etappen des Beratungsprozesses, Beratungscheckliste Erkennen und Nachweis von Diskriminierung Handlungsmöglichkeiten und Dokumentation Serviceteil: Adressen und Gesetz Bestellungen (kostenlos) und Rückfragen: basis & woge e.v., Birte Weiß,

20 Zum Weiterlesen II: Standards für eine qualifizierte Antidiskriminierungsberatung Veröffentlicht im Oktober 2009: Eckpunkte des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland (advd) Beinhaltet: Inhaltliche Prinzipien der Antidiskriminierungsberatung Prinzipien für den Beratungsrahmen Prinzipien der Qualitätssicherung und entwicklung Kontakt: Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) Tempelhofer Ufer Berlin

21 Zum Weiterlesen III: Broschüre 2 Jahre Antidiskriminierungsberatung in Hamburg Beinhaltet: Beispiele und Ergebnisse aus dem Projekt Antidiskriminierungsberatung für MigrantInnen von basis & woge e.v. Neben der Auswertung von 80 Diskriminierungsfällen aus dem Projekt werden 8 Fälle und daraus resultierende Handlungsmöglichkeiten konkret beschrieben. Erscheinungsdatum: Februar 2010 Bestellungen (kostenlos) und Rückfragen: basis & woge e.v., Birte Weiß, birte.weiss@basisundwoge.de,