Arbeitskonzept zur Beratung oder Behandlung von Kindern in Familien mit psychisch- oder suchtbelasteten Eltern
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- Ida Baumgartner
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1 Arbeitskonzept zur Beratung oder Behandlung von Kindern in Familien mit psychisch- oder suchtbelasteten Eltern Dr. med. Johannes Hoppmann Monika Burek Sabine Kliem Erwin Wieskus-Friedemann fa me am fa me am NischE NischE
2 Einleitung Kinder psychisch- und suchterkrankter Eltern werden als Risikogruppe für die Entwicklung eigener psychischer Auffälligkeiten aufgrund der fachlichen Entwicklung in den Bereichen der Jugendhilfe und der Gesundheitssysteme differenzierter wahrgenommen. Hintergrund für diese fachliche Entwicklung liegt sicherlich in der Tatsache begründet, dass eine starke Zunahme der Fälle mit dieser Problematik erkennbar ist. Dies ist nicht erstaunlich: 50 % aller psychisch erkrankten Menschen in Deutschland sind auch Eltern. Laut der Statistik der Bundespsychotherapeutenkammer von 2007 geht man von Kindern psychisch kranker Eltern aus (Deutsches Ärzteblatt ). Alleine für den Kreis Gütersloh kann man davon ausgehen, dass in ca. 800 Familien, in denen ein Elternteil psychisch erkrankt ist, Kinder leben. Ebenso ist davon auszugehen, dass mindestens die gleiche Anzahl der Kinder in Familien mit einem suchterkrankten Elternteil im Kreis Gütersloh aufwachsen. Jüngste Ergebnisse aus der High-Risk-Forschung machen deutlich, dass psychische Erkrankungen eines oder beider Elternteile für die gesunde psychische Entwicklung eines Kindes ein erhebliches Risiko darstellen. Das Risiko von Kindern depressiver Eltern, eine affektive Störung zu entwickeln, ist um das 1,75fache höher als bei Kindern mit gesunden Eltern. Bei Eltern mit Angststörungen liegt das Risiko sogar um das Siebenfache höher. 1/3 aller Kinder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben mindestens einen psychisch erkrankten Elternteil. In seinem Fachreferat wies Herr Dr. Hipp Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes Hilden - auf dem Fachtag Kinder mit ver-rückten Eltern schon 2008 in der LWL Klinik Gütersloh darauf hin, dass psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen als Familienerkrankungen zu bezeichnen sind; es sind immer die Eltern u n d die Kinder betroffen. Um diese Familien ganzheitlich wahrnehmen und unterstützen zu können, ist daher eine enge Zusammenarbeit zwischen der Erwachsenenpsychiatrie, Kinder und Jugendpsychiatrie und der Kinder- u. Jugendhilfe unabdingbar. Auf der anderen Seite beobachtet man in dem stark sektorisierten, hochkomplexen psycho-sozialen Versorgungssystem eine Kultur der Abgrenzung. D.h. in weiten Teilen der Bundesrepublik gibt es faktisch wenig Kooperation, wenig Kommunikation zwischen den Institutionen der Psychiatrie und denen der Kinder- und Jugendhilfe. Diese Sektorisierung des sozialen Versorgungssystems verhindert den Blick auf die Kinder psychisch- und suchtbelasteter Eltern. Dies wurde in der Stadt und dem Kreis Gütersloh schon früh erkannt, so dass im Jahr 2008 die erste Kooperationsvereinbarung zwischen den Jugendämtern der Stadt und des Kreises Gütersloh, dem Kreisgesundheitsamt Gütersloh und der LWL-Klinik Gütersloh geschlossen wurde. Ziel dieser Vereinbarung ist die Versorgung von Kindern mit sucht- und psychisch kranken Eltern durch eine verbesserte Kommunikation und Entwicklung bedarfsgerechter Angebote der Systeme Gesundheit und Kinder- u. Jugendhilfe effektiver und effizienter zu gestalten. Mit diesem Ziel war das Projekt NischE des AWO/Kinderschutz-Zentrums in Stadt und Kreis Gütersloh in dem Zeitraum von Nov bis Okt tätig. Es konnten 180 Familien unterstützt werden. Das Projekt wurde finanziert mit Mitteln von Aktion Mensch und Mitteln des Fördervereins des AWO/Kinderschutz- 2
3 Zentrums. Aufgrund der Evaluierungsergebnisse des Projektes wurde insbesondere deutlich, dass eine enge Kooperation zwischen Erwachsenenpsychiatrie, Kinderund Jugendpsychiatrie und den öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe Voraussetzung ist, um für die Familien und die betroffenen Kinder passgenaue Hilfen zur Verfügung zu stellen. Ab Dez ist es gelungen eine Finanzierung der NischE des AWO/Kinderschutz- Zentrums in Verzahnung mit der familienmedizinischen Ambulanz des LWL Klinikums Gütersloh ( fa me am) durch Mittel der LWL Klinik Hamm ( KJP ), des LWL Klinikums Gütersloh und der öffentlichen Träger der Jugendhilfe im Kreis Gütersloh zu erreichen. Ziele der Beratungs- und Behandlungsangebote von NischE und fa me am Ziel der NischE ist es, den von psychischen Krankheiten und Suchterkrankungen betroffenen Eltern frühzeitig ( Präventionsaspekt ) zu ermöglichen, die Problemlagen ihrer Kinder wahrzunehmen und Hilfe ( Clearing- u. Casemanagementorientierung ) anzunehmen. Den Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden, in einem geschützten Raum über ihre Erlebnisse in den Familien zu erzählen und mehr über die Erkrankung des psychisch kranken Elternteils zu erfahren. Insbesondere gilt es Präventionsleistungen und Behandlungsleistungen durch eine organisatorisch enge Verzahnung der NischE des AWO/Kinderschutz-Zentrums und der familienmedizinischen Ambulanz des LWL Klinikums Gütersloh zu verbinden. Die familienmedizinische Ambulanz ist das Ergebnis einer Entwicklung sowohl im kinder- u. jugendpsychiatrischen als auch im erwachsenenpsychiatrischen Bereich. Neben der psychiatrisch- psychotherapeutischen Behandlung eines erkrankten 3
4 Elternteils richtet sich der Blick verstärkt auf die ganze Familie. Es geht darum, das Risiko der Kinder und Partner ebenfalls psychisch zu erkranken bzw. eine Suchterkrankung zu entwickeln, zu verringern. Die familienmedizinische Ambulanz stellt ein Behandlungsangebot dar, in dem Fragen der Bindungsentwicklung, Besonderheiten der kindlichen Entwicklung, Ablösungsproblematiken, Adoleszenz und Elternrollen in einem medizinischen und psychotherapeutischen Behandlungskonzept bearbeitet werden. Die Blickrichtung in der Behandlung der Zielgruppe orientiert sich systemisch an den Familien und dem Helfer- und Institutionsumfeld. Zielgruppe Familien, in denen ein oder mehrere Familienmitglieder durch eine sucht- oder psychische Erkrankung belastet sind oder Hinweise auf eine psychische Erkrankung bzw. Suchterkrankung bestehen und eine Abklärung erforderlich ist. Zu dem erweiterten Kreis der Zielgruppen gehören Institutionen der Jugendhilfe, des Gesundheitssystems und des Bildungssystems, die mit dieser Personengruppe in Kontakt sind und Beratungsbedarf haben (Fachberatung ). Zugang Die betroffenen Familien oder die professionellen Helfer/ Behandler können sich an die NischE oder die fa me am wenden. Vor dem Hintergrund der Evaluationsergebnisse der NischE ergibt sich die Notwendigkeit der betroffenen Zielgruppe einen niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen. Niedrigschwelligkeit meint vor allem eine Barrierefreiheit im Zugang, sowohl räumlich, zeitlich und verfahrenstechnisch. Die Beratungsangebote der NischE können in der Familie selber, in der Beratungsstelle des Kinderschutz-Zentrums oder in Räumen der familienmedizinischen Ambulanz stattfinden, sind anonym und kostenfrei. Zeigt sich im Prozess, dass eine ärztliche Beratung oder Behandlung erforderlich ist, folgt eine Vorstellung in der familienmedizinischen Ambulanz. 4
5 Kooperationsmodell NischE Fa me am Kinderschutz-Zentrum Gütersloh LWL Klinikum Gütersloh Familien mit psychischer Erkrankung / Suchterkrankung Institutionen aus der Jugendhilfe, dem Gesundheitssystem und dem Bildungssystem NischE Kinderschutz-Zentrum Gütersloh Fa me am Familienmedizinische Ambulanz LWL Klinikum Gütersloh Gesamtteam NischE u. Fa me am Gemeinsame Fallabklärung Beratung durch NischE Behandlung durch Fa me am 5
6 Prozessgestaltung: Neben den Fachberatungen stellt sich insbesondere die Frage nach der Gestaltung des Beratungs- und Behandlungsprozesses bezogen auf die Familien mit ihren Helfersystemen. Der Prozess ist begrenzt auf bis zu 15 Einheiten und lässt sich in folgende Phasen gliedern: Eröffnungsphase: Aufbau eines Arbeitsbündnisses mit der Familie Auftragsabklärung Familiendiagnostische Abklärung des Bedarfes ( Clearing, Ressourcenanalyse)) Fallvorstellung im Gesamtteam NischE und fa me am Entscheidung über Einbeziehung von familienmedizinischer Behandlung oder Beratung durch die NischE Arbeitsphase bezogen auf Gesamtfamilie Psychische/Suchterkrankung und deren Auswirkungen in der Familie für alle Beteiligten besprechbar machen Beratung in Erziehungsfragestellungen Sozialräumliche Orientierung ( welche Unterstützungssysteme können aus dem Umfeld für die Kinder u. Eltern stärker aktiviert werden) Vorbeugung Krisensituationen ( Notfallkoffer) Krisenintervention im Rahmen eines laufenden Beratungs- und Behandlungsprozesses Förderung der Bereitschaft der Eltern bei Bedarf weitere Unterstützungssysteme in Anspruch zu nehmen bei Bedarf Weitervermittlung an andere Beratungsstellen Empfehlung und Vermittlung einer fachpsychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung Vernetzung mit bereits bestehenden Behandlungs- u. Beratungsangeboten Arbeitsphase bezogen auf betroffene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene Einzelangebot für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bzw. Angebote für das gesamte Geschwistersystem der betroffenen Familien Anwendung altersgemäßer Interventionen mit dem Ziel dem Kind/Jugendlichen/jungen Erwachsenen die Möglichkeit zu geben, seine belastende Situation in der Familie zum Ausdruck zu bringen Förderung der Problemlösungskompetenz im Umgang mit der familiären Situation Altersgemäße Informationsvermittlung über die Erkrankung der Eltern Unterstützung in den gemeinsamen Familiengesprächen Unterstützung der Kinder/Jugendlichen beim Aufbau von Kontakten zu außerfamiliären Aktivitäten Entwicklung eines individuellen Notfallkoffers Empfehlung und Vermittlung einer kinder- u. jugendpsychiatrischen Behandlung 6
7 Abschlussphase Beendigung des auf den Auftrag bezogenen Hilfeprozesses Weitervermittlung bei Bedarf Qualifizierung Aufbau kollegialer Beratungsgruppen für MitarbeiterInnen aus den Bereichen Kinder- u. Jugendhilfe und Gesundheit Fachvorträge zu konzept- und prozessbezogenen Themenbereichen. prozessbegleitende Supervision Evaluation Das gesamte Angebot der NischE und der familienmedizinischen Ambulanz wird im Hinblick auf seine Wirksamkeit für die betroffene Zielgruppe prozessbegleitend durch das Forschungsinstitut des LWL-Klinikums Gütersloh evaluiert. 7
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