Übung bei Wiss.Ang. Mathis Bader Folien. Einheit Fall 9
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- Christel Lioba Pohl
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1 Übung bei Wiss.Ang. Mathis Bader Folien Einheit Fall 9 Organstreitverfahren der Koalitionsfraktionen gegen den Bundespräsidenten gem. Art. 93 I Nr.1 GG, 13 Nr.5, 63ff BVerfGG A) Zulässigkeit I. Beteiligtenfähigkeit, 63 BVerfGG 1. Fraktionen = taugliche Antragssteller 63 BVerfGG: - oberstes Bundesorgan (-) - in GG / GO mit Rechten ausgestattetes Teil eines Bundesorgans (+) Fraktion = gem. 10ff GO-BT berechtigter Teil des Bundestags Fraktionen = taugliche Antragssteller (+) 2. Bundespräsident = tauglicher Antragsgegner Gem. 63 BVerfGG (+)
2 II. Antragsgegenstand, 64 I BVerfGG Rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners Voraussetzung: Handlungspflicht Bundespräsident könnte gegen für rechtliche Wirksamkeit des Gesetzes unverzichtbare und damit rechtserhebliche Ausfertigungspflicht gem. Art. 82 GG verstoßen haben vgl. Wortlaut: werden ausgefertigt Unterlassene Unterzeichnung = Antragsgegenstand (+) III. Antragsbefugnis, 64 I BVerfGG Geltendmachung, dass Antragssteller oder Organ, dem der Antragsteller angehört (=Prozessstandschaft), durch Maßnahme des Antragsgegners in eigenen Rechten nach dem GG verletzt oder unmittelbar gefährdet ist Darlegung reicht aus, wenn Verletzung/Gefährdung nicht von vorneherein rechtlich oder faktisch ausgeschlossen ist, sondern möglich erscheint (Möglichkeitstheorie) Recht des Bundestags, dem die Fraktionen angehören, zur Gesetzgebung gem. Art 77 I 1 GG, bzw. Art. 77 II 5 GG Verweigerung der Gesetzesausfertigung vereitelt Gesetzgebungskompetenz Antragsbefugnis (+) IV. Form und Frist, 23 I, 64 II, III BVerfGG Antrag müsste schriftlich, begründet, mit Nennung der potentiell verletzten Norm und innerhalb von 6 Monaten ab Verweigerung der Ausfertigung gestellt werden
3 V. Ergebnis Zulässigkeit des Antrags (+) B) Begründetheit Gem. 67 S.1 BVerfGG (+), wenn Norm des GG verletzt I. Verstoß des Bundespräsidenten gegen Art. 82 I GG Verweigerung der Ausfertigung = Pflichtverletzung i.s.v. Art. 82 I GG? Gesetze werden unterzeichnet Grds. Verpflichtung zur Unterzeichnung (+) Aber: nach den Vorschriften dieses GG zustande gekommene Gesetze auszufertigen Diesbezügliche Prüfungskompetenz und ggf. Verweigerungsrecht des Bundespräsidenten?
4 1. Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten a) Formelle Prüfungskompetenz Formelle Verfassungsmäßigkeit (Zuständigkeit, Verfahren, Form) voll überprüfbar? Vgl. Art. 82 I 1 GG i.v.m. Art. 78 GG: Bundespräsident fertigt nur Gesetze aus, die zu Stande gekommen sind = formelle Verfassungsmäßigkeit s. Art. 78 GG Formelle Verfassungsmäßigkeit = unbedingte Voraussetzung für Ausfertigung Formelle Prüfungskompetenz unstr. (+) b) Materielle Prüfungskompetenz Materielle Verfassungsmäßigkeit (Übereinstimmung mit ges. GG) voll überprüfbar? Auslegung des Art. 82 I 1 GG:
5 aa) Grammatische Auslegung Auszufertigen sind nach den Vorschriften dieses GG zustande gekommene Gesetze betrifft an sich alle Normen im Zusammenhang mit Art. 78 GG 1 des Grundgesetzes = Einschränkung auf formelle Verfassungsmäßigkeit? Allerdings: Gleiche Termini können in verschiedenen Normen verschiedene Bedeutungen haben (vgl. öffentliche Gewalt : Art. 19 IV 1 GG Art. 93 I Nr.4 GG) zustande gekommenes Gesetz kann in Art. 82 GG anderes bedeuten als in Art. 78 GG Pro materielle Prüfung (Trotzdem eher) Contra materielle Prüfung Grammatische Auslegung zweideutig 1 Argument an der Grenze zwischen Systematik und Wortlaut; grammatisch-systematisches Argument
6 bb) Historische Auslegung Art. 70 WRV: unstr. umfassende Prüfungskompetenz des Reichspräsidenten Pro materielle Prüfung: Con materielle Prüfung: Bundespräsident soll gleiche Bundespräsident im Ver- Befugnis wie Reichspräsident gleich zum Reichspräsidenhaben ten zum Repräsentanten entmachtet Aber: Bundespräsident hat an- Aber Zirkelschluss: dere Rolle als Reichs- Welche Macht der Bundespräpräsident sident hat, ist gerade die Frage cc) Systematische Auslegung Historische Auslegung zweideutig - Pro: Untrennbarkeit von formellem und materiellem Verfassungsrecht (-) Jedes materiell verfassungswidrige Gesetz hat auch den formellen Mangel, nicht als verfassungsänderndes Gesetz gem. Art. 79 GG eingebracht worden zu sein Jedes materiell verfassungswidrige Gesetz ist auch formell verfassungswidrig (Unstr.) formelle Prüfungskompetenz = materielle Prüfungskompetenz Aber: - Konstruiert: Gesetzgeber will bei verfassungswidrigem Gesetz keine Verfassungsänderung, sondern glaubt an Verfassungsmäßigkeit - Art. 79 I 1 GG: Verfassungsänderndes Gesetz wäre vor einfachem Gesetz zu erlassen
7 - Pro: Art. 56 GG (-) Bundespräsident hat Grundgesetz zu wahren und zu verteidigen Nur möglich bei umfassender Prüfung der Einhaltung des GG Aber Zirkelschluss: Bundespräsident darf das GG nur im Rahmen seiner Kompetenzen wahren und verteidigen Welche Kompetenzen er hat, ist aber gerade die Frage - Pro: Art. 61 I GG (-) Bundespräsident kann bei vorsätzlicher Verfassungsverletzung angeklagt werden Bundespräsident darf dann nicht gezwungen sein, an Verfassungsverletzung durch Ausfertigung mitzuwirken Aber Zirkelschluss wie oben: Verfassungsverletzung durch Unterzeichnung setzt Kompetenz zur Verweigerung der Unterzeichnung voraus Inwieweit diese Kompetenz besteht, ist aber gerade die Frage - Con: Gewaltenteilung gem. Art. 20 II GG (-) Nur Bundesverfassungsgericht als dritte Gewalt zur Prüfung berechtigt? Aber: - Verwerfungs-, nicht Prüfungsmonopol gem. Art. 100 GG und nur gegenüber Gerichten - Entscheidung des Bundespräsidenten bleibt justitiabel - Con: Art. 54 GG (+) Nur mittelbare Legitimation des Bundespräsidenten Befugnisse müssen moderat bleiben
8 - Pro: Art. 20 III GG (+) Staatsorgane müssen verfassungsmäßige Ordnung beachten Ausfertigung = rechtswahrende Kontrolle durch Bundespräsidenten Kein Zirkelschluss, da keine spezielle Anforderung für Amtsinhaber, sondern allgemeine Anforderung an Amtstätigkeit - Zwischenergebnis systematische Auslegung: Art. 79, 56, 61, 20 II GG ohne Ergebnisse Art. 54 contra Art. 20 III Pro dd) Teleologische Auslegung Volle Prüfungskompetenz Gar keine Prüfungskompetenz Gem. Art. 54 GG nur mittelbar Bundespräsident = bloßer, völlig legitimierter Bundespräsident machtloser Staatsnotar trotz kassiert Gesetz des unmittelbar Art. 20 III GG legitimierten Bundestags Evidenzkontrolle 2 = Bundespräsident kann materielle Verfassungsmäßigkeit überprüfen, Unterzeichnung aber nur bei offensichtlicher Verfassungswidrigkeit verweigern 2. Verfassungswidrigkeit des Gesetzes 2 H.M., con: Was ist Evidenz? Wie ist sie abzugrenzen, inwieweit kann sie eine verfassungsrechtliche Kategorie darstellen?
9 a) Formelle Verfassungswidrigkeit Gesetz formell verfassungsgemäß zustande gekommen? - Zuständigkeit (= Gesetzgebungskompetenz) des Bundes (+) s. Art. 74 I Nr.1, 2.Var. GG - Verfahren - Einleitungsverfahren, Art. 76 GG Gesetzesinitiative nur durch Bundestag, -rat, -regierung, nicht durch Vermittlungsausschuss Aber: Art. 77 II 5 GG? Vermittlungsausschuss kann Änderung eines Gesetzesbeschlusses vorschlagen, über die dann abgestimmt wird Gesetz zur Änderung des 211 StGB = Änderung des Gesetzes zur Änderung des 177 StGB? (-), anderer Regelungsgegenstand Art. 77 II 5 GG (-) Unzulässige Gesetzesinitiative des Vermittlungsausschusses Einleitungsverfahren fehlerhaft Formelle Verfassungswidrigkeit (+) b) Evidente materielle Verfassungswidrigkeit Einführung der Todesstrafe = evidenter Verstoß gegen Art. 102 GG (+) Evidente materielle Verfassungswidrigkeit (+) 3. Ergebnis Gesetz formell und evident materiell verfassungswidrig Verweigerungsrecht des Bundespräsidenten (+) Verstoß gegen Art. 82 I GG (-) II. Ergebnis Organstreitverfahren der Fraktionen zulässig, aber unbegründet Exkurs I: Rechtmäßigkeit der Abschaffung des Art. 102 GG
10 (-), da Verstoß gegen: - Art. 79 III GG (= verfassungswidriges Verfassungsrecht ) - Menschenwürde gem. Art. 1 I GG betroffen Todesstrafe = unzulässige Antastung der Menschenwürde - Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 III GG betroffen Abschaffung der Todesstrafe = Element des Rechtsstaatsprinzips Fakultativprotokoll der EMRK Todesstrafe hier in Friedens-, wie in Kriegszeiten abgeschafft Von BRD unterzeichnet und somit verbindlich Exkurs 2: Wahrnehmung der Prüfungskompetenz durch die Bundespräsidenten Literaturstreit unverhältnismäßig zu praktischer Bedeutung der Frage Übliches Verfahren des Bundespräsidenten bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes: Zweifel artikulieren, Prüfung vor dem BVerfG anregen und unterzeichnen Bsp.: Rau bei Zuwanderungsgesetz, Köhler bei Luftsicherheitsgesetz Aber: Köhler zuletzt offensiver: - Flugsicherungsgesetz nicht unterzeichnet Privatisierung = (Evidenter materieller) Verstoß gegen Gebot der undeseigenen Verwaltung gem. Art. 87 d GG - Verbraucherinformationsgesetz nicht unterzeichnet Übertragung von Infopflichten an Kommunen durch Bund = (evidenter materieller) Verstoß gegen Verbot der Aufgabenübertragung Bund-Kommunen gem. Art. 84 I 7 GG n.f.
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