Grenzverlauf zwischen Störung und Krankheit
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- Lothar Kappel
- vor 7 Jahren
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1 Grenzverlauf zwischen Störung und Krankheit Univ. Prof. Dr. Andreas C. Sönnichsen Vorstand des Instituts für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg Was ist eigentlich gesund? WHO-Definition von Gesundheit Health is a state of complete physical, mental and social wellbeing and not merely the absence of disease or infirmity
2 Der Mensch ist per definitionem krank Es gibt keine Gesunden es gibt lediglich Menschen, die noch nicht hinreichend ausführlich untersucht wurden Was ist eigentlich normal? Beispiel Blutdruckwert Normalbereich 95-8 mmhg, Median 3-4 mmhg 2
3 Sind Normalität und Krankheit messbar? Validität Objektivität Reliabilität Genauigkeit: messe ich, was ich zu messen glaube Unabhängigkeit vom Untersucher: messen wir Untersucher alle gleich Zuverlässigkeit: ist das Messergebnis reproduzierbar Die Vierfelder-Tafel des diagnostischen Tests Ergometrie + Ergometrie Koronarstenose ja a: 3 c: 2 a+c: 5 Koronarstenose nein b: 85 d: 865 b+d: 95 pos. prädikt. Wert = Posttestwahrscheinlichkeit: a/a+b = 26,% neg. prädikt. Wert: d/c+d = 97,7% a+b+c+d = Sensitivität: a/a+c = 6,4% N Engl J Med 333 (995):3-37 Spezifität: d/b+d = 9,% Prävalenz = Prätestwahrscheinlichkeit: a+c/a+b+c+d = 5,% 3
4 Ergometrie + Ergometrie Das Bayes sche Theorem - hohe Prätestwahrscheinlichkeit Koronarstenose ja Koronarstenose nein pos. prädikt. Wert = Posttestwahrscheinlichkeit: 87,% neg. prädikt. Wert: 65,7% Sensitivität 6,4% N Engl J Med 333 (995):3-37 Spezifität 9,% Prävalenz = Prätestwahrscheinlichkeit: 5,% Ergometrie + Ergometrie Das Bayes sche Theorem - niedrige Prätestwahrscheinlichkeit Koronarstenose ja Koronarstenose nein pos. prädikt. Wert = Posttestwahrscheinlichkeit: 26,% neg. prädikt. Wert: 97,7% Sensitivität 6,4% N Engl J Med 333 (995):3-37 Spezifität 9,% Prävalenz = Prätestwahrscheinlichkeit: 5,% 4
5 Prävalenz psychiatrischer Störungen in Europa Diagnose (CIDI, SCAN 2, DIS 3 ) Abhängigkeitssyndrome Psychosen Depression Bipolare Affektive Störungen Angst- u. Zwangsstörungen Somatoforme Störungen Ess-Störungen Sonstige (25 nicht erfasst) Mindestens eine Störung Composite international diagnostic interview 2 Schedules for clinical assessment in neuropsychiatry 3 Diagnostic Interview Schedule -J.-Prävalenz % 25 2,9,8 6,9,9 4,2 6,3,4-27,4 -J.-Prävalenz % 2 4,,2 6,9,9 8, 4,9,5, 38,2 Wittchen et al., EurJNeuropharmacol 25;5:357 Wittchen et al., EurNeuropsychophar 2;2:655 5
6 Sonstige psychiatrische Störungen... Borderline-Persönlichkeit, Dissoziale Persönlichkeit, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS), Autismus, Verhaltensstörung, Schlaflosigkeit u.a. Wittchen et al., EurNeuropsychophar 2;2:655 Disease Mongering Früher Traurigkeit Schüchternheit Aufgewecktes Kind Ungezogenes Kind Angst Leicht gereizt Eigenbrödler gehört zum Leben Heute Depression Sozialphobie ADHS Verhaltensstörung Angststörung Dissoziale Persönlichkeit Autismus behandlungsbedürftig 6
7 Wie gut sind unsere Messinstrumente? Eingesetzte Instrumente CIDI, Auto-CIDI (composite international diagnostic interview) SCAN (schedules for clinical assessment in neuropsychiatry) DIS (diagnostic interview schedule) Sensitivität 7% 67-94% 75% Spezifität 9% 92-99% 94% Epidemiologie der Depression in der europäischen Bevölkerung Krank Gesund Summe Prädiktiver Wert Test positiv 69 Test negativ 93 Summe n Prävalenz? 7
8 Epidemiologie der Depression in der europäischen Bevölkerung Sensitivität: 9%; Spezifität 95% Test positiv Test negativ Summe n Krank Gesund Summe Prädiktiver Wert a+b = c+d=93 a/(a+c)=,9 93 b/(b+d)=,95,9a/,9+9(69-a)=93 Prävalenz? Epidemiologie der Depression in der europäischen Bevölkerung Sensitivität: 9%; Spezifität 95% Test positiv Test negativ Summe n Krank Gesund Summe Prädiktiver Wert 29,% 99,8% Prävalenz 2,2% 8
9 Interessenkonflikte? Wer steckt hinter den epidemiologischen Studien? European College of Neuropsychopharmacology (ECNP) - großzügige Förderung durch die Industrie Fa. Lundbeck European Federation of Neurological Societies - großzügige Förderung durch die Industrie H.U. Wittchen fungiert als Berater für sechs Psychopharmakahersteller wes Brot ich ess des Lied ich sing Aber: None of the authors have conflicts of interest associated with the work reported in this paper Der Zweck der Übung ist... In der Bevölkerung und bei Ärzten das Problembewusstsein zu fördern Bevölkerung, Ärzten und Politikern zu suggerieren, dass das Problem maßlos unterschätzt wird Bevölkerung, Ärzten und Politikern zu suggerieren, dass die Bevölkerung hinsichtlich des Problems medizinisch unterversorgt ist Die Menschen dazu zu bewegen, mehr Medikamente zu fordern Die Ärzte dazu zu bewegen, mehr Medikamente zu verschreiben 9
10 Es ist nicht alles Gold was glänzt Zulassungsstudien für verschiedene Antidepressiva (v.a. SSRI) FDA-eingereicht publiziert Turner et al. NEJM 28, 3583:252 Wem soll ich denn nun glauben? Zulassungsstudien für verschiedene Antidepressiva Zahl der Studien 3 davon positiv 2 FDA publiziert Turner et al. NEJM 28, 3583:252
11 Überschätzung des Effekts in Publikationen gegenüber FDA-Daten Überschätzung des Effekts in % Bupropion Citalopram Duloxetin Escitalopram Fluoxetin Mirtazapin Nefazodon Paroxetin Sertralin Venlafaxin Alle Turner et al. NEJM 28, 3583:252 Ist Johanniskraut genauso gut? Responder-Rate bei Major-Depression in % Johannis Trizyklische Metaanalyse inkludiert 5 RCTs Johannis SSRI Metaanalyse inkludiert 2 RCTs Linde et al. Cochrane Review 28: 4
12 .oder besser? Therapieabbruch wegen Nebenwirkungen in % Johannis Trizyklische Metaanalyse inkludiert 5 RCTs Metaanalyse inkludiert 2 RCTs Linde et al. Cochrane Review 28: Johannis SSRI Antidepressiva: mehr Schaden als Nutzen? Relatives Risiko für verschiedene Ereignisse unter antidepressiver Therapie bei alten Menschen (n=6746) Ohne antidepressive Therapie Therapie mit trizyklischen AD Therapie mit SSRI Therapie mit anderen AD Mortalität Suizidversuch,2,7,5 2,2,7 5,2 Stürze,3,7,4 Frakturen,3,6,6 GI Blutung,3,2,4 Hyponatriämie,,5,3 Coupland et al, BMJ 2; 343:d455 2
13 Arzneimittelausgaben in Deutschland Milliarden 2,5 2,5,5 Analgetika Psychopharmaka Immunmodulatoren Antihypertensiva Antidiabetika Broncholytika Magen-Darm Antibiotika Zytostatika Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2 Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts- Syndrom 3% aller deutschen Kinder werden mit ADHS diagnostiziert,7 Tonnen Ritalin/Jahr 9.. 3
14 Wenn mir immer nur erzählt wird, wie schwer psychisch krank ich sei, traue ich mir nichts mehr zu, ich gebe mich auf und falle in eine Opferrolle.ich bin ein hoffnungslos krankes Opfer und komme überhaupt nicht auf die Idee, auch alleine etwas zu können. Hannelore Klafki Psychatriepatientin: Referat vor der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin, 23 4
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