Thomas de Padova: "Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit" Piper Verlag. 347 Seiten. 22,99 Euro. Rezension von Eva Marburg

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1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 DIE BUCHKRITIK Thomas de Padova: "Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit" Piper Verlag 347 Seiten 22,99 Euro Rezension von Eva Marburg Dienstag, 07. Januar 2014 (14: Uhr)

2 Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR 2 Die Buchkritik können Sie auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: buchkritik.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de Von Eva Marburg

3 REZENSENTIN: Nichts ist so einfach wie der schnelle Blick auf die Uhr. Die Zeit ist unsere engste Begleiterin sie ist uns Selbstverständlichkeit. Doch: was ist Zeit eigentlich? Der feste Zeitstandard hat dazu beigetragen, dass wir den Begriff der >Zeit< heute so verwenden, als handele es sich dabei um eine sichere Sache, um irgendwas, das außerhalb unserer Köpfe existiert. Aber was soll das sein? Was misst die Uhr? REZENSENTIN: Um dies zu beantworten, nimmt der Autor uns mit auf eine Entdeck-ungsreise in die Vergangenheit der Zeit. Bevor die Uhren ticken lernten, orientierte man sich an zeitlichen Unterteilungen, die heute längst vergessen sind: Dämmerung, Einbruch der Nacht, Kerzenanzünden, dunkle Nacht, Spätnacht, Morgengrauen und Hahnenschrei. REZENSENTIN: Erst die Erfindung der Uhr Mitte des 17. Jahrhunderts, das zuverlässige taktgebende Räderwerk, löste das unmittelbare, anschauende Verhältnis zur Sternen- und Sonnenzeit ab. Der Siegeszug der Uhr ging dabei einher mit neuen wissenschaftlichen Messungen, experimentel-len Methoden und Erkenntnissen: die Welt wurde berechenbar. Protagonisten dieser neuen mathematischen Weltanschauung am Übergang vom 17. Zum 18. Jahrhundert waren Isaak Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz. Das Buch verfolgt eine Kulturgeschichte der Zeit anhand der Lebens- und Forschungswege dieser

4 beiden Wissenschaftler. Mit viel Humor und Sinn für das Anekdotische portraitiert der Autor zwei Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Hier - das eigensinnige, eifrig korrespondierende Universalgenie Leibniz. Ein umtriebiger und unerschrockener Visionär, der unablässig neue Erfindungen ausheckt, die erste Rechenmaschine entwickelt und am Liebsten das gesamte Weltwissen sammeln und neu ordnen möchte. Da - der nicht minder geniale Newton, ein einsamer und von Depressionen heimgesuchter Forscher und widerwilliger Briefe-schreiber. Er teilt seine Erkenntnisse nur ungern und misstraut seinen Ergebnissen oft bis zum Schluss: Mir selbst komme ich vor wie ein Knabe, der am Meeresufer spielt und sich damit belustigt, dass er dann und wann einen glatten Kiesel oder eine schönere Muschel als gewöhnlich findet, während der große Ozean der Wahrheit unerforscht vor ihm liegt. REZENSENTIN: Das ungleiche Paar Newton und Leibniz, das sich nur einmal begegnete, beschäftigt jedoch dasselbe Problem: wie kann man die Berechnung der Zeit auf eine fundierte mathematische Basis stellen? Über das Ergebnis geraten die beiden in einen erbitterten Plagiats-streit. Erst spät kommen sie zu einer wegweisenden Diskussion über Raum und Zeit. Anders als Newton, der Raum und Zeit eine von den Dingen unabhängige Wirklichkeit zuschreibt, äußert Leibniz bestimmt:

5 Was meine Meinung betrifft, so habe ich mehr als einmal gesagt, dass ich den Raum ebenso wie die Zeit für etwas rein Relatives halte. REZENSENTIN: Streckenweise liest sich das Buch wie ein kluger Wissenschaftskrimi, doch darin erschöpft sich der Lesegenuss nicht. Es wirft ein inspirierendes Licht auf eine Epoche, in der sich eine im doppelten Sinn neue Zeitrechnung ankündigt. Mit großem Verständnis für die Symptome der Neuzeit, entfaltet der Autor ein komplexes Panorama jener kulturellen und wissenschaftlichen Veränderungen, in denen die Umrisse unserer heutigen Welt schon aufscheinen. Die Zeit, die uns heute so selbstverständlich ist, ist ein mühsam errungenes Kultur-produkt. Nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie dieses Sachbuchjuwel. Sie werden nie mehr einfach nur auf die Uhr schauen. Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit von Thomas de Padova ist im Piper Verlag erschienen, es dauert 347 Seiten und kostet 22,99.