100 Kühe pro Stunde ein frommer Wunsch

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1 100 Kühe pro Stunde ein frommer Wunsch In der Mehrzahl der Melk stände könnte effektiver gemolken werden. Die häufigsten Schwachpunkte in der Praxis zeigt Dr. Lutz Daßler vom Sächsischen Landeskontrollverband in Lichtenwalde. Hundert Kühe pro Arbeitskraftstunde (Akh)! Das klingt einfach gut, nicht wahr? Mit der Wirklichkeit haben solche Aussagen, die man in der Literatur und häufig auch in bunten Werbeprospekten der Hersteller findet, aber leider selten zu tun. Es gibt zwar Betriebe, die alle 25 Sekunden einer anderen Kuh ein Melkzeug anhängen und damit sogar 144 Kühe pro Arbeitskraftstunde melken, doch das sind Ausnahmen. Zudem ist fraglich, wie lange die Mitarbeiter eine solche Akkordarbeit bei entsprechender Arbeitsqualität leisten können und wollen. Die meisten Betriebe sind von derart hohen Durchsätzen weit entfernt. Das haben Praxiserhebungen in sächsischen Betrieben gezeigt (Übersicht 2). Dabei fällt auf, dass kleinere Melkstände mit optimierten Abläufen einen höheren Durchsatz erreichen können als größere Anlagen. Für welche Melkstand- oder Übers. 1: Wie groß sollte der Melkstand sein? Melkstand Kuhbestand 2 x 4 (2 x 5) ca. 80 Kühe 2 x 6 ca. 120 Kühe 2 x 8 ca. 150 Kühe 1 x 10 (2 x12) ca Kühe 2 x Kühe Karussell ab 32 Plätze Karussell ab 32 Karussell ab 50 Karussell ab 60 ab (400) 500 Kühe 1 Person 2 x Melken 2 Personen 3 x Melken 2 Personen 2 x Melken Für die Wahl der richtigen Melkstand- Größe haben sich diese Werte bewährt. Karussellgröße man sich entscheiden sollte, hängt von mehreren Faktoren ab: Wie soll sich die Kuhzahl entwickeln? Soll zwei- oder dreimal täglich gemolken werden? Soll in Schichtarbeit oder im geteilten Arbeitstag gemolken werden? Hierbei spielt natürlich die Herdengröße die entscheidende Rolle. Übersicht 1 enthält Orientierungswerte für Melkstandgrößen. Die Melkstandgröße ergibt sich aus der Dauer der täglichen Melkzeit und welcher Durchsatz dafür nötig ist. Der theoretisch mögliche Durchsatz eines Übers. 2: Durchsätze in der Praxis Melkstand Durchsatz in Kühe/h Kühe/Akh min. max. Durchschnitt FGM 2 x FGM 2 x FGM 2 x FGM 2 x FGM 2 x Tandem 2 x 2 x Side by Side 2 x Side by Side 2 x er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell er-Karussell Melkstandes oder Karussells wird berechnet, in dem die Zahl der Melkzeuge mit 60 multipliziert und durch den Zeitaufwand für den Platzwechsel (Karussell-Umdrehung) in Minuten geteilt wird. Wer den gewünschten Durchsatz in seinem Betrieb nicht einmal annähernd erreicht, sollte nach den Einflussfaktoren und Ursachen fragen. Dabei spielen die Technik, das Tier und der Mensch die entscheidenden Rollen. Im Folgenden sind die häufigsten Bremsblöcke für einen hohen Durchsatz aufgeführt. Praxiserhebungen haben gezeigt, dass in kleineren Melk ständen mit optimalen Abläufen oft ein höherer Durchsatz möglich ist als in größeren Anlagen. R 34 top agrar 5/2012

2 Schneller Gruppenwechsel: Schnellaustriebe für einen zügigen Gruppenwechsel sind ab 2 x 10 Plätzen sinnvoll. Hier ist aber eine anschließende Selektion notwendig, wenn der Melkstand mit Tieren der neuen Gruppe aufgefüllt wird. Verzichtet man darauf, bleiben am Ende einer Gruppe immer Melkplätze leer, was den Durchsatz reduziert. Großer Vorwartehof: Diese Räume sollten groß, luftig und trittsicher sein. Die Größe richtet sich nach den Gruppengrößen. Pro Kuh sind mind. 1,7 bis 2 m 2 nötig. Kühe haben eine Sozialdistanz, die von einem stabilen Umfeld abhängig ist. Wird diese unterschritten bedeutet das Stress. Die Tiere sollten im Vorwartehof maximal eine Stunde, besser 30 Minuten, stehen. Der Raum muss ständig neu gefüllt werden, um hohe Durchsätze zu erreichen. Der Zutrieb sollte gewährleisten, dass die Tiere geradlinig in den Melkstand gelangen. Steigt der Vorwartehof an, richten sie sich zudem besser aus. Der Raum sollte insgesamt nicht heller sein als der Melkstand selbst. Denn sonst stockt der Tierfluss, weil sie nicht gerne weiter gehen. Ventilatoren sollten gegen die Laufrichtung der Kühe blasen, so dass auch die Fliegenbelastung reduziert wird. Breiter Zutrieb, schmaler Abtrieb: Alle Trieb wege sollten trittsicher sein. Dabei wird oft nicht bedacht, dass auch Gummimatten rutschig werden können. Im Zutrieb müssen Tiere andere überholen können, sonst werden die letzten Kühe beim Treiben einem zu großen Stress ausgesetzt. Der Abtrieb scheint weniger problematisch zu sein. Allerdings sind Richtungsänderungen von 90 auf engem Raum immer hinderlich. Bewährt haben sich Sichtblenden, damit die Kühe im Zutrieb die Tiere im Abtrieb nicht sehen können. In diesem Fall wäre auch ein sehr schmaler Abtriebsgang wie im Bild möglich. j top agrar 5/2012 R 35

3 Nachtreiber mit Hupe: Ein mechanischer Treiber ohne Strom erhöht den Durchsatz. Zudem ermöglicht er, dass eine Gruppe gleich hinter der anderen eingetrieben werden kann. Eine Gummilippe zum Abschieben ist nur bei Spaltenböden möglich, da sonst die letzten Kühe im Kot stehen. Günstig ist, wenn der Treiber mit einer Hupe arbeitet. Breite Ein- und Auslasstore: Die Herzfrequenz von Kühen ist beim Ein- und Austrieb am höchsten. Deshalb sind die Ein- und Auslässe sehr wichtig. Sie dürfen auf keinen Fall wie im Bild zu eng sein. Die Kühe sollten außerdem immer Blickkontakt zu ihren Gruppenmitgliedern haben. Bei den Einlasstoren sollte es nicht möglich sein, dass Kühe wieder heraus gedrängt werden oder dass sie beim Öffnen zurücktreten müssen. Leitgitter vor dem Einlass bewirken, dass Kühe hier nicht quer stehen können. Die Mindestausstattung sind Gitter, die in Form eines Trichters platziert sind, um Kühe in den Melkstand zu leiten. Schneller Eintrieb: Haben Kühe beim Eintrieb oder am Melkplatz zu wenig Platz oder zu wenig Kopffreiheit, werden sie den Melkstand immer unwillig betreten. Der Eintriebsbereich sollte gut beleuchtet sein und den gleichen Belag haben wie im Melkstand. Um Kühen beim Loslaufen Unterstützung zu geben, kann man mit Druckluft von der Seite arbeiten. Mit Lockfutter kommen die Kühe ebenfalls schneller. Stellt sich nur die Frage, ob die Kosten dafür im Verhältnis stehen. Hinzu kommt, dass eine gute Hygiene der Futtertröge zusätzliche Arbeit macht. Behandlungen, Impfungen oder der Einzug von Ohrmarken beim Melken führen außerdem dazu, dass die Tiere den Melkstand nur zögerlich betreten. Funktionierende Tiererkennung: Im Melkstand funktioniert oft die Tiererkennung nicht 100 %-ig. Jede nachträgliche Eingabe der Kuhnummern kostet Zeit und senkt den Durchsatz. Auch sollte eine Separation von Kühen vom Melkstand aus möglich sein. Sinnvoll ist eine so genannte sprachunterstützte Melkroutine. Monitore im Melkstand (Foto) allein reichen dafür nicht aus. Per Computer und Lautsprecher kann auf Kühe mit Besonderheiten akustisch hingewiesen werden, z. B. auf eine Milchminderleistung oder auf ein Schlägertier. Irritationen vermeiden: Die Tiere registrieren jede kleine Veränderung im Melkstand, wie z. B. einen Eimer mit einer anderen Farbe. Erste Betriebe installieren deshalb am Eintrieb von Karussellen Sichtblenden, um Kühe nicht zu irritieren. Im Foto dient die Sichtblende dem schnelleren Austrieb. Prinzipiell sind Lärm und Vibrationen zu vermeiden. Schläge z. B. durch zufallende Tore erschrecken Kühe und kosten Zeit, weil sie in der Folge langsamer in den Melkstand kommen. Bisher wird noch nicht über den Einfluss von Gerüchen diskutiert, obwohl bekannt ist, dass Kühe ausgezeichnet riechen können und Gerüche eine wichtige Rolle in ihrem Verhalten spielen. Fotos: Daßler (5) R 36 top agrar 5/2012

4 Angepasste Karussell-Geschwindigkeit: Eine automatische, auf den Milchfluss abgestimmte Drehgeschwindigkeit des Karussell kann zu einer Optimierung führen, hat sich aber in der Praxis noch nicht durchgesetzt. Standard sollte zumindest ein automatischer Stopp sein. Foto: Lehnert Foto: Lehnert Optimale Arbeitsplatz-Gestaltung: Hohe Durchsätze sind nur möglich, wenn der Arbeitsplatz optimal gestaltet und der Mensch motiviert ist. Ist er unzufrieden, überträgt sich das auf die Tiere. Wichtig ist deshalb neben einer guten Belüftung und einer angenehmen Temperatur vor allem die Beleuchtung. Ein schlecht ausgeleuchteter Melkstand wie im Foto geht auf Kosten der Arbeitsqualität und der Zeit. Die Belüftung des Melkstandes erfolgt am besten am Fußboden. Hier kann im Winter Warm- und im Sommer Frischluft eingeblasen werden. Durch die Luftbewegung wird zusätzlich die Fliegenplage minimiert, Schadgase werden aus der Grube befördert. Kühe nehmen Menschen anhand der Farbe der Kleidung wahr. Dies bedeutet, dass Melker nie die gleiche Farbe der Kleidung von z.b. dem Klauenschneider oder dem Tierarzt tragen sollten. Auch die Farbe des Melkstandes selbst ist zu bedenken. Durchsatzmindernd sind auch unterschiedliche Abläufe in verschiedenen Schichten. Nicht zuletzt ist wichtig, beim Treiben und Melken immer ruhig vorzugehen. Stress und Hektik reduzieren eher den Durchsatz als das sie ihn steigern! top agrar 5/2012 R 37

5 Foto:Dylka Automatische Stimulation: Eine automatische Vorstimulation nimmt Arbeitsroutinen ab und steigert den Durchsatz. Das gilt vor allem, wenn das Melkzeug bei der ersten Kuh angehängt wird, bevor die letzte den Melkstand betritt. Ohne automatische Vorstimulation melken Kühe zudem etwas langsamer, auch wenn die Melkroutine angepasst wurde. Melkzeuge müssen für eine optimale Position und schnellen Milchfluss frei am Euter hängen. Deshalb sind flexible, kurze und lange Puls- und Milchschläuche aus Silicon zu empfehlen. Gummiringe oder Schlauchbänder führen zur Aussteifung der Melkzeuge. Bei einem Milchfluss von mind. 800 ml/min sollte die Nachmelkautomatik einschalten. Abgeschaltet wird nicht unter 250 bzw. 300 g/min. Je früher abgeschaltet wird, desto größer ist zwar der Durchsatz, aber eventuell auch der Anteil der unausgemolkenen Tiere. Gesunde Klauen, schöne Euter: Tiere mit schlecht melkbaren Eutern (z. B. Stufeneuter, tiefhängende Euter, abnorme Zitzenstellung, zu kleine oder zu große Zitzen) reduzieren den Durchsatz ebenso wie Tiere mit Klauenproblemen. Dies ist auch eine Frage der Zucht. Kühe sollten nicht nur eine hohe Milchleistung besitzen, sondern müssen sich auch leicht melken lassen. Wer die Melkzeit verkürzen will, muss außerdem auf eine gute Zitzenkondition achten. Die Zitzen sollten keine Hyperkeratosen haben! Wer sich nicht von Schwermelkern trennen will, sollte sie kennzeichnen und zuerst anhängen. Oft führt das allerdings zu einer Unterbrechung der Arbeitsroutine. Wo möglich, sollten Schwermelker oder euterkranke Tiere in einer separaten Gruppe am Ende der Melkzeit gemolken werden. Störungsfrei Melken geht außerdem nur, wenn die Euter sauber sind. Das hängt vor allem von der Aufstallung ab. Neben einer sehr guten Boxenpflege ist außerdem zu empfehlen, die Euterhaare der Kühe regelmäßig abzuflammen und die Schwänze zu scheren. Automatische Hygiene: Damit die Laufflächen nach jedem Durchgang schnell wieder sauber sind, eignen sich in die Grubenfertigkante eingelassene Sprühdüsen. Danach sollten die Flächen aber so sauber sein, dass kein weiteres Abschieben mehr notwendig ist. Eine Melkzeug-Zwischendesinfektion reduziert zwar den Durchsatz, ist aber aus Sicht der Eutergesundheit unverzichtbar. Hier schaffen automatische Systeme Abhilfe, die allerdings recht teuer sein können. Abends später melken: Die Morgengemelke sind höher als die Abendgemelke, was auch erklärbar ist. Auch das führt zur Verlängerung der Melkdauer. Warum nicht abends eine Stunde später mit dem Melken beginnen? R 38 top agrar 5/2012