PD Dr. Frank Almai Epochenschwellen im Vergleich: 1550, 1720, 1800, 1900
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- Stefan Kappel
- vor 8 Jahren
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1 Institut für Germanistik Professur für Neuere deutsche Literatur und Kulturgeschichte : 1550, 1720, 1800, Vorlesung: Block III: 1800: Klassik und Romantik II
2 Gliederung 1. Zum Verhältnis von Klassik und Romantik: Romantische Klassikkritik am Beispiel von Schillers Lied von der Glocke 2. Zur Programmatik der Romantiker 2.1 Inszenierungsstrategien an der Epochenschwelle Gruppenbildung und Salonkultur 2
3 Schiller: Das Lied von der Glocke Wo rohe Kräfte sinnlos walten, Da kann sich kein Gebild gestalten. Wenn sich die Völker selbst befrein, Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn. Freiheit und Gleichheit! hört man schallen, Der ruhige Bürger greift zur Wehr, Die Straßen füllen sich, die Hallen, Und Würgerbanden ziehn umher, Das werden Weiber zu Hyänen Und treiben mit Entsetzen Scherz, Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, Zerreißen sie des Feindes Herz. In: Schiller, Friedrich: Werke und Briefe. Band 1. Gedichte. Hrsg. Von Georg Kurscheidt. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1992, S
4 Schiller: Würde der Frauen (2. Fassung): Ehret die Frauen! sie flechten und weben Himmlische Rosen ins irdische Leben, Flechten der Liebe beglückendes Band, Und in der Grazie züchtigem Schleier Nähren sie wachsam das ewige Feuer Schöner Gefühle mit heiliger Hand. Aber mit sanft überredender Bitte Führen die Frauen den Scepter der Sitte, Löschen die Zwietracht, die tobend entglüht, Lehren die Kräfte, die feindlich sich hassen, Sich in der lieblichen Form zu umfassen, Und vereinen, was ewig sich flieht. Der Meister kann die Form zerbrechen Mit weiser Hand, zur rechten Zeit. In: Schiller, Friedrich: Werke und Briefe. Band 1. Gedichte. Hrsg. Von Georg Kurscheidt. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1992, S. 185f. 4
5 Friedrich Schlegel: Ach wie gefällt die Glocke dem Volk und die Würde der Frauen! Weil im Takte da klingt alles, was sittlich und platt. 5
6 Schleiermacher: Es muß also einen Zustand geben, der diese beiden Bereiche (häusliche Privatheit und Beruf/Öffentlichkeit F.A.) ergänzt, der die Sphäre eines Individuums in die Lage bringt, daß sie von den Sphären Anderer so mannigfaltig als möglich durchschritten werde, und [damit] jedem [ ] die Aussicht in eine andere und fremde Welt gewährt, so daß alle Erscheinungen der Menschheit ihm nach und nach bekannt, und auch die fremdesten Gemüter und Verhältnisse ihm befreundet und gleichsam nachbarlich werden können. Diese Aufgabe wird durch den freien Umgang vernünftiger sich untereinander bildender Menschen gelöst. Schleiermacher: Versuch einer Theorie des geselligen Betragens. In: Werke. Auswahl in 4 Bänden. Band 2. Leipzig S
7 Hier nähert man sich dem Ideal der Menschheit über die Summe von sich darstellenden Individuen immer mehr an, die, befreit von Determination und Fremdbestimmungen verschiedenster Art, dokumentieren, was sie sind und was sie sein könnten. Selbstbewußtsein und Gattungsbewußtsein bedingen einander und konvergieren. Peter Seibert: Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz. Stuttgart, Weimar: Metzler S
8 Friedrich Nicolai Freuden des jungen Werthers Ein junger Mensch, ich weiß nicht wie, Starb einst an der Hypochondrie Und ward denn auch begraben. Da kam ein schöner Geist herbei, Der hatte seinen Stuhlgang frei, Wie's denn so Leute haben. Der setzt notdürftig sich auf's Grab, Und legte da sein Häuflein ab, Beschaute freundlich seinen Dreck, Ging wohleratmet wieder weg, Und sprach zu sich bedächtiglich: Der gute Mensch, wie hat er sich verdorben! Hätt er geschissen so wie ich, Er wäre nicht gestorben. 8
9 Eichendorff: Ahnung und Gegenwart (Auszug): Der Sonnenschein, der laue Wind und Lerchensang verwirrte sich in das Bild, und so entstand in seinem glücklichen Herzen folgendes Liedchen, das er immerfort laut vor sich hersang: Grüß' euch aus Herzensgrund: Zwei Augen hell und rein, Zwei Röslein auf dem Mund, Kleid blank aus Sonnenschein! Nachtigall klagt und weint, Wollüstig rauscht der Hain, Alles die Liebste meint: Wo weilt sie so allein? Weil's draußen finster war, Sah ich viel hellern Schein, Jetzt ist es licht und klar, Ich muß im Dunkeln sein. 9
10 Sonne nicht steigen mag, Sieht so verschlafen drein, Wünschet den ganzen Tag, Daß wieder Nacht möcht' sein. Liebe geht durch die Luft, Holt fern die Liebste ein; Fort über Berg und Kluft! Und Sie wird doch noch mein! Das Liedchen gefiel ihm so wohl, daß er seine Schreibtafel herauszog um es aufzuschreiben. Da er aber die flüchtigen Worte anfing bedächtig aufzuzeichnen und nicht mehr sang, mußte er über sich selber lachen und löschte alles wieder aus. Joseph von Eichendorff: Ahnung und Gegenwart. Sämtliche Erzählungen I. Hrsg. von Wolfgang Frühwald und Brigitte Schillbach. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag S
11 116. Athenäums Fragment: Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und der Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen [ ]. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehre Systeme in sich enthaltenden System der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht. [ ]. Die romantische Dichtung ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, das sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. 11
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