Gottesdienst in Ronsdorf am Predigt zu Von guten Mächten wunderbar geborgen

Transkript

1 1 Gottesdienst in Ronsdorf am Predigt zu Von guten Mächten wunderbar geborgen von Pfr. Dr. Jochen Denker Von guten Mächten wunderbar geborgen. Diese Worte aus Dietrich Bonhoeffers Gedicht zur Jahreswende 1944 sind fast so bekannt, wie der Anfang des 23. Psalms. Lasst uns heute, 72 Jahre später, wieder zur Jahreswende, Bonhoeffers Gedicht noch einmal nachdenken. Dem ganzen Gedicht, nicht nur seiner letzten Strophe. Es lohnt sich, weil in ihm gelebter Glaube zum Ausdruck kommt. In der uns bekanntesten Vertonung ist die letzte Strophe zum Kehrvers geworden, der zu oft und vor allem zu früh erklingt. Ohne die ersten sechs Strophen droht er aber billig zu werden. Wenn wir das Lied während der Predigt singen, lasst es uns anders halten. Der Refrain wird immer instrumental erklingen und wir singen gemeinsam jeweils eine Strophe. Die Strophen 4-6 singen wir dann hintereinander, bevor wir zum Schluss auch in den Text der letzten Strophe einstimmen. Refrain instrumental 1. Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mich euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr. Die Tür fällt ins Schloss. Der Schlüssel wird herumgedreht. Durch die Betongänge des Gestapo-Gefängnisses in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin hallt das metallene Geräusch nach. Sauber geputzte Stiefel entfernen sich im militärischen Schritt. Von guten Mächten treu und still umgeben, schreibt Bonhoeffer auf ein Blatt Papier. Was sind das für gute Mächte, die ihn treu und still umgeben hier, wo andere nur die Hölle wahrnehmen? Bonhoeffer redet nicht gleich von Gott. Erst viel später wird er das tun. Und nur einmal, in der vorletzten Zeile. Es sind ganz irdische und für ihn doch himmlische Dinge, die er im Blick hat. Es ist sein Familien- und Freundeskreis, zu dem er weiterhin durch Briefe und Besuche erschwerten, aber intensiven Kontakt hat. Es ist das Wissen, dass die Weihnachtstage, die anstehende Geburtstagsfeier der Mutter, der Jahreswechsel ins Jahr 1945 trotz allem den gewohnten Gang gehen werden.

2 Am Silvesterabend wird die Mutter wie jedes Jahr Psalm 90 lesen und dann werden alle gemeinsam, die Gläubigen mit den Nichtgläubigen, beide gibt s in der Familie, die 15 Strophen von Paul Gerhards Lied: Nun lasst uns gehen und treten auswendig(!) singen. Die Zuhause sollen wissen, diese guten Mächte umgeben Dietrich auch hier in der Hand böser Menschen. Sie behüten und trösten ihn und machen es ihm in der Trennung möglich, diese Tage mit den Seinen zu leben und mit ihnen in ein neues Jahr zu gehen. Damit beginnt das Gedicht: Die guten Mächte! Lasst das Erste wirklich das Erste sein. Böses gibt s auch. Laut und aufdringlich ist es. Die Erde ist noch nicht der Himmel. Sie ist noch nicht am Ziel. Aber sie ist auch nicht die Hölle. Sie ist noch nicht am Ende. Akzeptiert, dass es Böses gibt. Belügt euch nicht. Aber niemals, niemals kapituliert davor. Gebt ihm nicht das erste Wort und überlasst ihm auf keinen Fall das letzte. Die guten Mächte sind da! Bonhoeffer benennt sie nicht theologisch obwohl er es könnte. Er benennt sie mit Hinweisen auf gelebtes, geradezu alltägliches Leben. Das Gedicht schickt er seiner Braut, Maria Wedemeyer, zusammen mit einem Weihnachtsbrief. In dem schreibt er: Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und meine Studenten an der Front, sie alle sind für mich stets gegenwärtig. Deine Gebete, gute Gedanken, Worte aus der Bibel, längst vergangene Gespräche, Musikstücke und Bücher das alles gewinnt Leben und Realität wie nie zuvor. Es ist eine große, unsichtbare Welt, in der man lebt. Die guten Mächte sind da, sie umgeben uns treu und still. Wohl dem, der sie zu sehen lernt, schätzt und schützt. Die guten Mächte haben das erste Wort. Sie sind es, die im Recht sind. Aber ihnen wird das Recht streitig gemacht. Wir leben in ihrer Gegenwart, aber noch nicht in Frieden, sondern aufgeschreckt und unsicher, geplagt und voller Sehnsucht nach heilem Leben. Darum hebt Bonhoeffer an zum Gebet. Refrain instrumental 2. Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast. 2

3 Ihr Lieben, das Gedicht wird zum Gebet. Fünf Strophen lang. Herr, da ist manches, was quält. Es sind böse Tage sie haben ihre Zeit. Sie kommen nicht an die guten Mächte heran. Aber sie quälen und schrecken auf. Das alte Jahr hat uns Schweres angeheftet. Noch drückt es uns. Aber es hat doch nur seine Zeit. Herr, bitte, es soll zeitlich sein. Geschaffen hast Du uns doch für anderes. Bonhoeffer quält und drückt der gescheiterte Putsch vom 20.Juli 1944, der Zusammenbruch aller politischen Hoffnungen, die Trennung von der Familie, die nun schon18 Monate währt und der Verlust treuer Weggefährten. Was uns aus dem alten Jahr noch quälen mag, ist objektiv mit Bonhoeffers Lage kaum vergleichbar. Aber Not hat eben auch eine subjektive Seite, über die sich nicht wirklich diskutieren lässt. Manches aus dem vergehenden Jahr mag Dich noch schwer drücken. Der Tod eines lieben Menschen; eigene Krankheit vielleicht; eine bittere Enttäuschung, mit der Du einfach nicht fertig wirst; die Bosheit von Nachbarn, die es auch in Ronsdorf gibt; die Sorge, was aus der Welt, die verrückt geworden scheint, im kommenden Jahr wird. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seele, das Heil, für das du uns geschaffen hast. Eine bemerkenswerte Bitte. Bonhoeffer bittet nicht: Gib uns das Heil, das du für uns geschaffen hast. So beten wir oft, glaube ich. Herr, gib uns dies und das. Du hast es doch für uns gemacht. Gib uns Gesundheit, Arbeit, Glück, Erfolg. Im Mittelpunkt stünde der Mensch, dem was fehlt, was Gott ihm vielleicht gar vorenthält. Wir haben gerade singend anders gebetet: Gib uns das Heil, für das du uns geschaffen hast. Nicht wir warten auf etwas, sondern da wartet etwas auf uns. Herr, führ uns unserer Bestimmung zu. Geschaffen sind wir zum Heil. Teil einer heilen Welt sollen wir sein, in der Gerechtigkeit und Frieden einander küssen, in der Mitmenschlichkeit gefeiert und nicht verzweifelt ersehnt wird, in der Gott mitten unter uns wohnt und nicht ans Kreuz geschlagen und mit Füßen getreten wird. Dazu sind wir geschaffen, dieses Heil zu leben. Das hat Bonhoeffer gelernt und lehrt es nun: Durch alle bösen Tage hindurch, nicht an ihnen vorbei, mit aufgeschreckter Seele flehen wir zu Gott, dass er uns zum Ziel bringt, für das er uns schuf auf dem Weg, den er uns führt. (Refrain instrumental und dann 3. Strophe) 3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand. 3

4 Ihr Lieben, diese Strophe singt oder betet man nicht mal eben so. Nicht selten scheut man sie und lässt sie aus. Aber ohne sie ist dieses Gedicht nicht Bonhoeffers Gedicht. Und es wäre am Ende flache, religiöse Poesie. Bonhoeffer gewann gerade in der Gefangenschaft die Lieder Paul Gerhardts lieb. Erfahrungsdurchtränkt sind sie. Lange und unnachgiebig diesseitig. Alles Frömmelnde ist da geläutert, weil es das harte Leben ausgehalten hat. Und gerade deshalb sind sie so trostvoll. Bonhoeffer scheut den Blick auf den bitteren Kelch nicht, der ihm gereicht wird. Auf dem Weg zu dem Heil, für das Gott uns geschaffen hat, kann dieser Kelch auf uns warten. Bonhoeffer sah ihn im Dezember 1944 vor sich stehen. Seit Oktober war durch die Verhaftung enger Weggefährten des 20 Juli alle Hoffnung auf ein Entkommen zunichte gemacht worden. Wer hat sein Leben nun in der Hand? Adolf Hitler? Die Gestapo? Die Mörder und ihre willigen Helfer? Aus wessen Hand soll er den Kelch nehmen, der vor ihm steht? Dass es wohl der Todeskelch sein wird, war ihm bewusst. An seine Braut schrieb er schon am 13. August: Meine geliebte Maria, lass uns nie an dem irre werden, was uns widerfährt. Es kommt alles aus guten, guten Händen. Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist unserem Herrn. Dieses Bibelwort gewinnt für Dietrich Bonhoeffer Aktualität. Nur aktuell, nur in deinem und meinem Leben kann es seine Tragfähigkeit erweisen. Auch Leiden, Kreuz und Tod sind nicht Orte der Abwesenheit Gottes, sondern um Jesu willen zeigt sich gerade dort die tiefste Tiefe, in die Gott uns begleitet. Zynisch, wer sagt: Gott will die Kreuze dieser Erde. Trostlos wer sagt: Hier zeigt sich seine Niederlage. Wer gewinnt denn dann? Die Mörder über ihre Opfer, die Gewalt über die Liebe. Die Furcht über die Besonnenheit. Der Tod über das Leben. Welche Kelche im kommenden Jahr auf Dich und mich auch warten nehmen wir sie aus Gottes Hand. Sprechen wir nichts und niemandem anderen die Macht zu, sie uns zu reichen. Ob s uns gelingt, sie dankbar, ohne Zittern anzunehmen, steht dahin. Dass seine Hand uns am Ende nicht fallen lassen wird, nicht. 4

5 5 (Refrain instrumental) Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang. Wer Leid und Tod ins Auge gefasst hat, dem wird das Diesseits deshalb nicht wertlos. Wer auf das Heil hofft, dem wird die Freude an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, nicht gleichgültig. Das wohltuende Kerzenlicht in dunkler Zeit, Gemeinschaft mit Menschen, die uns gut tun, der unerklärliche Friede mitten im Strudel der Zeiten, die unsichtbare Welt, die uns umgibt und für die, die Ohren haben zu hören, voller Lobgesang der Kinder Gottes ist Bonhoeffer sehnt sich auch nach ihnen. Ganz gehört Gott unser Leben nur, wenn wir Freude und Leiden von ihm annehmen, unsere Vergangenheit bei ihm ruht, unsere Gegenwart Sein Heute ist und unsere Zukunft Sein Heil. Noch einmal einen Abschnitt aus dem Weihnachtsbrief an seine Braut Maria: Deine Gebete, gute Gedanken, Worte aus der Bibel, längst vergangene Gespräche, Musikstücke und Bücher - das alles gewinnt Leben und Realität wie nie zuvor. Es ist eine große, unsichtbare Welt, in der man lebt. An ihrer Realität gibt es keinen Zweifel. Wenn es in dem alten Kirchenlied von den Engeln heißt: zwei, um dich zu decken, zwei, um dich zu wecken, - so ist diese Bewahrung durch gute, unsichtbare Mächte am Morgen und in der Nacht etwas, das Erwachsene heute genau so brauchen, wie Kinder. Darum sollst Du nicht denken, ich wäre unglücklich. Was ist Glück und Unglück? Es hängt so wenig von den Umständen ab. Es hängt eigentlich nur von dem ab, was im Menschen vorgeht. Täglich bin ich dankbar, dass ich Dich habe, das macht mich glücklich. Eine große unsichtbare Welt, in der man lebt inmitten einer kleinen Zelle! An ihrer Realität gibt es keinen Zweifel sie ist Bonhoeffer so gewiss, wie die Wände seines Kerkers. Die Umstände zeigen nur Unglück aber in ihm geht etwas anderes vor. Eine unsichtbare Welt weitet sich.

6 Bonhoeffer liebte das alte Glaubensbekenntnis in dem es heißt: Wir glauben an den einen Gott, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Auch die unsichtbare Welt! Die guten Gedanken, die Erinnerungen, die Engel, die Welt, in die die Verstorbenen eingegangen sind bis zur Auferstehung der Toten auch diese unsichtbare Welt ist Bonhoeffer Realität. Und wenn die Stille sich tief um ihn weitet, möchte er aus ihr der sichtbaren Welt wie zum Protest entgegengesungen den hohen Lobgesang der Kinder Gottes hören. Vom Ziel her sollen sie singen, zu Trost und Kraft derer, die noch auf dem Wege sind. Und so mündet das Lied in die letzte Strophe. Wer nur sie liest oder singt, wer sie von dem Weg trennt, der zu ihr hinführt, hat ein romantisch frömmelndes Gedicht vor sich. Diese Strophe allein hätte Bonhoeffer wohl selber billige Gnade genannt, die weder die Tiefe des Lebens noch die Größe Gottes zu Gesicht bekommt. Wer aber den Weg mitgeht, den das ganze Gedicht beschreibt, der findet in dieser letzten Strophe die friedliche und getroste Summe eines geprüften und bewährten Glaubens: Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Und er führt uns dem Heil zu, für das er uns geschaffen hat. Ich wünsche uns, dass Gott uns im kommenden Jahr Augen und Ohren für die guten Mächte schenkt, die uns treu und still umgeben. Ich wünsche niemanden einen bitteren Kelch, aber ich wünsche uns, dass wir die, die auf uns warten, aus Gottes Hand nehmen. Ich möchte schließen mit einem letztes Zitat, aus Bonhoeffers Brief vom 21(!).Juli 1944 an seinen Freund Eberhard Bethge: Gott führe uns gnädig durch diese Zeiten; aber vor allem führe er uns zu sich. (Strophe instrumental, Refrain gesungen) 7. Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. 6 Amen.