Geburten, Alterung und Wirtschaftswachstum
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- Martin Krause
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1 Mannheim Research Institute for the Economics of Aging Universität Mannheim Prof. Axel Börsch-Supan, Ph.D. Kurzzusammenfassung der Projektstudie Geburten, Alterung und Wirtschaftswachstum Axel Börsch-Supan, Joachim Winter, Barbara Berkel, Alexander Ludwig Der sich allmählich beschleunigende demographische Wandel gehört zu den wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungen der Zukunft. Durch den Alterungsprozeß nimmt die Zahl der Älteren gegenüber dem Anteil der produktiven Bevölkerung zu. Die steigende Alterslast wird somit in der Zukunft auf immer weniger Schultern verteilt werden können. Dies führt zu einem weiterhin wachsenden Druck auf die Sozialsysteme und die Gesamtwirtschaft. Bislang wird vor allem über die sozialpolitischen Konsequenzen der Alterung, bspw. über die Finanzierung und Ausgestaltung des staatlichen Rentenversicherungssystems diskutiert. Es liegt jedoch nahe, auch die Ursachen der Alterung anzugehen. Die Frage liegt auf der Hand: Ist das Problem der Alterung durch eine höhere Geburtenrate lösbar? Ausgehend von dieser Überlegung untersuchen wir in dieser Projektstudie die Auswirkungen der Geburtenrate auf das Wirtschaftswachstum. Dabei nehmen wir an, daß die gesamtdeutsche Geburtenrate von derzeit 1,36 auf 1,8 Kinder pro Frau ansteigt. Eine Geburtenrate dieser Größenordnung kann man derzeit in Frankreich (1,8), in einigen skandinavischen Ländern (Dänemark = 1,65, Norwegen = 1,7) und in den Vereinigten Staaten (1,93) finden. Alternativ gehen wir auch von einem Szenario aus, in dem die Geburtenrate auf 1,1 Kinder pro Frau fällt. Dies entspricht ungefähr der Geburtenrate einiger südeuropäischer Länder (Spanien = 1,13 oder Italien = 1,20) sowie vieler osteuropäischer Länder (z.b. Bulgarien = 1,10, Tschechische Republik = 1,16). Ziel ist es, die gesamtwirtschaftlichen Effekte einer Geburtenrate, die sich in der Größenordnung anderer Länder bewegt, mit adäquaten Mitteln zu quantifizieren. Der Alterungsprozeß einer Gesellschaft wirkt eindeutig negativ auf das Wirtschaftswachstum. Insbesondere wenn die Babyboomer in den Jahren 2020 bis 2040 in Rente gehen, wird sich das Alterungsproblem verschärfen. In einer schrumpfenden Bevölkerung besteht jedoch langfristig immer das Problem, daß weniger Erwerbstätige einen größeren Anteil älterer Personen versorgen müssen. Durch eine höhere Geburtenrate kann die Belastung durch Steuern und Sozialabgaben langfristig sinken, das Humankapital einer Gesellschaft erhöht werden und somit ein positiver Wachstumseffekt entstehen. Doch verursachen Kinder auf kurze Sicht zunächst zusätzliche Kosten, die von der Gesellschaft zu tragen sind. In einer alternden Gesellschaft sind die Effekte einer höheren Geburtenrate auf das Wirtschaftswachstum deshalb umstritten. mea Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel Gebäude L 13, 17_D Mannheim_Telefon _Sekretariat _Telefax _ axel@boersch-supan.de Wie können die Effekte einer höheren Geburtenrate analysiert werden? Am einfachsten erscheint es zunächst, die Vergangenheit zu betrachten und eine
2 Kurzzusammenfassung Geburten, Alterung und Wirtschaftswachstum Seite 2 empirische Analyse durchzuführen. Sie würde allerdings aus folgenden Gründen zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen führen: 1. Der Alterungsprozeß ist historisch einmalig. 2. Der beobachtbare Zeitraum des Alterungsprozesses reicht nicht aus, um die Effekte der Geburtenrate auf das Wirtschaftswachstum empirisch abzubilden. Der Alterungsprozeß resultiert aus den niedrigen Geburtenraten seit Mitte der 60er Jahre und ist daher gerade mal eine Generation alt. Wegen der Kindheits- und Ausbildungszeiten sind Effekte über die Geburtenrate jedoch erst mit einer Verzögerung von 20 bis 25 Jahren beobachtbar. 3. Die Interaktionen zwischen Geburtenrate und Wirtschaftswachstum sind sehr komplex und dürften daher in einem einfachen statistischen Regressionsmodell kaum abbildbar sein. Daher ist ein datengestütztes makroökonomisches Simulationsmodell für diese Fragestellung besser geeignet. Es kann die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Alterungsprozeß und makroökonomischen Variablen wie dem Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum über einen Zeitraum von mehr als einer Generation strukturell abbilden. In diesem Modell können verschiedene Geburtenraten simuliert und ihre Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum über den Zeitraum 2000 bis 2100(!) berechnet werden. Neben kurzfristigen müssen auch sehr langfristige Entwicklungen betrachtet werden, denn eine Veränderung in der Geburtenrate führt zu Auswirkungen, die eine ganze Lebenslänge betreffen! Das Simulationsmodell besteht aus drei Komponenten, die aufeinander aufbauen: einem Bevölkerungsmodell, einem Erwerbstätigenmodell und einem Makromodell. In das Erwerbstätigenmodell geht die Bevölkerungsentwicklung als primärer Input ein. Die im Erwerbstätigenmodell generierten Erwerbstätigenzahlen bilden dann wiederum eine fixe Inputgröße für das Makromodell. Mit Hilfe des Makromodells werden schließlich die zentralen makroökonomischen Größen simuliert. Neben den Preisen für die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, dem Reallohn und der Kapitalrendite, ermittelt dieses Modell auch das Produktivitätswachstum der Gesamtwirtschaft sowie das Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum. Das Makromodell ist vor allem durch zwei Charakteristika gekennzeichnet: Zum einen tragen wir den langfristigen Interaktionen zwischen den Generationen Rechnung und legen ein Makromodell überlappender Generationen zugrunde. Die Generationen sind u.a. durch eine umlagefinanzierte Rentenversicherung miteinander verbunden. Zum anderen benutzten wir aufgrund der Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit der Weltwirtschaft und insbesondere im Zuge der Euro-Einführung ein Modell, das die deutsche Volkswirtschaft im Rahmen der EU simuliert. Wir können dazu partiell auf ein vom MEA entwickeltes Simulationsmodell für die Bundesrepublik Deutschland zurückgreifen. Das Modell stützt sich empirisch auf Daten der jüngeren und mittleren Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland. Die Parameter des Modells
3 Kurzzusammenfassung Geburten, Alterung und Wirtschaftswachstum Seite 3 sind so bestimmt, daß sie die tatsächliche Entwicklung der deutschen Wirtschaft und Bevölkerung für den Zeitraum 1960 bis 2000 möglichst exakt abbilden. Zentrale Ergebnisse In diesem Modell werden nun demographische Szenarien simuliert, die wie oben erwähnt die Geburtenraten anderer europäischer Länder widerspiegeln. Die von uns simulierten Geburtenraten erreichen ihr neues Niveau von 1,8 bzw. 1,1 Kinder je Frau jeweils bis Unter diesen Annahmen werden die Auswirkungen einer steigenden bzw. fallenden Geburtenrate auf die Entwicklung des Bruttosozialprodukts (BSP), des BSP pro Kopf und auf deren Wachstum untersucht. Zudem betrachten wir, welche Auswirkungen eine höhere bzw. niedrigere Geburtenrate auf Sozialversicherungsbeiträge, Steuern und damit letztlich auf die Nettolöhne hat. Folgende zentrale Ergebnisse lassen sich für die Auswirkungen einer höheren Geburtenrate, die auf 1,8 Kinder pro Frau ansteigt, zusammenfassen: 1. In einer alternden Gesellschaft erhöht eine höhere Geburtenrate langfristig das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Mit einer Verzögerung von 20 Jahren führt sie zu mehr produktiver Erwerbsbevölkerung. Durch diesen größeren Pool an Beschäftigten kann die Alterslast einer Gesellschaft auf mehr Schultern verteilt werden. 2. Kurzfristig ergeben sich jedoch Wachstumseinbußen. Mehr Kinder müssen von der Gesellschaft versorgt und ausgebildet werden. Statt zu investieren werden Ressourcen für den Konsum der Kinder benötigt. Daher sinken der Kapitalbestand und das Wirtschaftswachstum pro Kopf. Darüber hinaus sinken die Pro-Kopf-Größen schon allein rein rechentechnisch, da der zu verteilende Kuchen auf eine größere Anzahl von Personen nämlich auch auf die Kinder aufgeteilt werden muß. 3. Dieser Übergangseffekt hält gerade so lange an, bis (a) die höhere Geburtenrate im Jahre 2015 erreicht ist, (b) die Kinder ausgebildet sind und mit 20 Jahren ins Erwerbsleben eintreten und (c) die Wachstumseinbußen durch die Kosten der Kinder wieder hereingeholt sind. Dies macht insgesamt immerhin einen Zeitraum von ungefähr zwei Generationen aus! 4. Zusätzlich verjüngen Kinder das Durchschnittsalter einer Gesellschaft und erhöhen ihr Humankapital. Wenn Humankapital in unserem Modell berücksichtigt wird, führt dies zu einer höheren Produktivität und somit zu positiven Wachstumseffekten. Die in 2. und 3. beschriebenen zunächst negativen Effekte einer höheren Geburtenrate verringern sich. Der positive Wachstumseffekt einer höheren Geburtenrate tritt schneller ein und ist deutlicher ausgeprägt, wenn der Humankapitaleffekt das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum beschleunigt. In diesem Fall wächst auch langfristig das Bruttosozialprodukt pro Kopf.
4 Kurzzusammenfassung Geburten, Alterung und Wirtschaftswachstum Seite 4 5. Fazit: Eine höhere Geburtenrate kann nicht eine Reform der sozialen Sicherungssysteme zur Lösung der unmittelbaren Alterungsprobleme ersetzen, die 2020 bis 2040 ohne Reformen zu einer Krise der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung führen würden. Dies gilt auch, wenn man den Humankapitaleffekt einbezieht. Eine höhere Geburtenrate dämpft aber deutlich das langfristige Alterungsproblem nach Für eine bis 2015 fallende Geburtenrate gelten entsprechend die gegenteiligen Effekte (wobei der zeitliche Verlauf wegen der komplexen Bevölkerungsdynamik nicht exakt spiegelbildlich ist): 1. Eine fallende Geburtenrate führt in einer alternden Gesellschaft langfristig zu einem niedrigeren gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftswachstum. Kurzfristig ergeben sich jedoch positive Effekte, da weniger Kinder von der Gesellschaft ausgebildet und versorgt werden müssen. 2. Eine niedrigere Geburtenrate führt zu weniger Kindern und jungen Erwerbstätigen und verringert somit das Humankapital einer Gesellschaft. Berücksichtigt man diesen Humankapitaleffekt, dann verstärkt sich der langfristig negative Effekt einer fallenden Geburtenrate auf das Wirtschaftswachstum zusätzlich. 3. Insgesamt verschärft eine fallende Geburtenrate das langfristige Alterungsproblem nach Sie führt auch langfristig zu einem fallenden BSP pro Kopf. MEA Mannheim Research Institute for the Economics of Aging Mit dem Altersaufbau der Gesellschaft werden sich auch alle wirtschaftlichen Größen ändern. Das Alterungsproblem ist daher das zentrale und gleichzeitig sehr breite Forschungsgebiet des MEA. Mittels empirischer Modelle analysiert MEA diesen Strukturwandel und prognostiziert die zukünftigen Entwicklungen. Diese Prognosen, die sich auf deutsche, europäische und globale Daten stützen, dienen dazu, die Abhängigkeit der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungen von politischen Parametern abzubilden. Aus ihnen soll MEA empirisch fundierte Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik ableiten. Die Arbeit des Instituts wendet sich daher in seiner Beratungstätigkeit an Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft und dient zur Information der interessierten Öffentlichkeit. Bis jetzt bezogen sich Prognosen fast immer auf die Folgen der Alterung für die Rentensysteme makroökonomische Aspekte spielten hingegen in der europäischen Forschung kaum eine Rolle. Im MEA beschäftigt sich ein eigener Forschungsbereich mit den makroökonomischen Folgen des demographischen Wandels. Mit Hilfe gesamtwirtschaftlicher Modelle beispielsweise dem hier verwendeten Simulationsmodell werden die
5 Kurzzusammenfassung Geburten, Alterung und Wirtschaftswachstum Seite 5 Auswirkungen der Alterung auf den Arbeitsmarkt und die Märkte für Kapital und Güter untersucht. Forschungsschwerpunkt ist aber die Veränderung der wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Staaten. Bislang wurde untersucht, welche Folgen die Alterung für den internationalen Kapitalverkehr hat. Die Effekte auf die internationalen Kapitalmärkte und Kapitalströme sind deutlich spürbar. Besonders interessiert dabei, wie sich dadurch die Kapitalrenditen in den Entwicklungs- und Industrieländern entwickeln. Um solche Prognosen treffen zu können, werden jedoch zuerst entsprechende Daten benötigt. Oft gibt es jedoch keine brauchbaren Quellen. Daher ist MEA im deutschen und europäischen Rahmen maßgeblich an Umfragen zur Erfassung neuer Datensätze zum Sparverhalten und zur ökonomischen und sozialen Situation älterer Personen beteiligt. Ein Großteil der Kosten für die vier Forschungsbereiche im MEA Makroökonomik, Sparverhalten, Sozialversicherungssysteme und die europäische Haushaltsbefragung SHARE tragen der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e.v. und das Land Baden-Württemberg. Sie stellen die Finanzierung des MEA sicher, unabhängig von einzelnen Forschungsprojekten. Diese großzügige Grundfinanzierung erlaubt es dem MEA, auch Grundlagenforschung in einer langfristigen Perspektive zu betreiben.
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