Vorlesungsmanuskript Dr. Murken, SS 2004, Religionspsychologie. Neue Religiöse Bewegungen
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- Silvia Acker
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1 1 Neue Religiöse Bewegungen Teil 5: Möglichkeiten und Risiken aus sozialwissenschaftlicher und religionspsychologischer Sicht Dr. Sebastian Murken Blockseminar am Institut für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie, Karl-Franzens-Universität Graz, SS 2004 Neue Religiöse Bewegungen (NRB) Begriff: neu? religiös? Bewegung? Unterschiede größer als Gemeinsamkeiten Einteilung Reller (1993), Eggenberger (1994) Freikirchen mit ökumenischen Beziehungen inkl. charismatische Bewegungen sowie Sondergemeinschaften, z.t. ökumenische Beziehungen Gemeinschaften mit christlichen Überlieferungen, meist ohne ökumenischen Bezug, außerbiblische Offenbarungsquellen (z.b. Neuapostolische Kirche, Zeugen Jehovas) esoterische/neugnostische Weltanschauungsbewegungen (z.b. Rosenkreuzer, Anthroposophen) missionierende Religionen des Ostens, Neureligionen, Jugendreligionen (z.b. Vereinigungskirche, Bhagwan/Osho) 1
2 2 NRB-Debatte 1 hohes öffentliches (Medien-)Interesse Sekte, Jugendreligion, destruktive Kulte, Gefährdungspotenzial dramatische Einzelfallberichte Generalisierung Einzelfall vs. Einzelgruppe vs. alle NRB NRB vs. Großkirchen NRB-Debatte 2 staatliche/kirchliche Sekten-/Weltanschauungsbeauftragte in D kaum sozialwissenschaftliche Forschung keine Längsschnittstudien Anti-Kult-Wissenschaftler vs. Kult-Apologeten Aussteigerberichte vs. Mitgliederbefragungen religiöser Anspruch von NRB: nein vs. ja Wahl- vs. Geburtszugehörigkeit Enquete-Kommission 2
3 3 Leitfragen zu NRB Welche sozialwissenschaftliche Evidenz gibt es? Rekrutierung: Wie wird man Mitglied einer NRB? Persönlichkeit: Wer wird Mitglied einer NRB? Ausstieg: Ist freiwilliger Ausstieg möglich? Folgen: Schädlich oder stabilisierend? Rekrutierung: Wie wird man Mitglied einer NRB? Populäre Stereotype durch öffentliches Anwerben wehrlos, zwangsläufig geködert, gefangen, snapping brainwashing, mind control plötzlich 3
4 4 Rekrutierung: Sozialwissenschaftliche Evidenz 1 nicht Fremde, sondern significant others z.b. Soka Gakkai UK Wilson (1994) 42% Freunde 23% Partner, Familie 14% Arbeitskollegen, Nachbarn, Bekannte 6% öffentliche Informationen Rekrutierung: Sozialwissenschaftliche Evidenz 2 nicht Jeder wird (sofort) Mitglied z.b. Vereinigungskirche UK/USA Barker (1983), Galanter (1979) Einführungs-Workshop 100% (N = 1 017) Folge-Workshop 29% Mitglied 9% Mitglied nach 4 Monaten 6% Mitglied nach 2 Jahren 4% 4
5 5 Rekrutierung: Sozialwissenschaftliche Evidenz 3 Entscheidung zur Mitgliedschaft zumeist allmählich z.b. Ananda Marga, DLM, Vereinigungskirche A Berger (1981) langandauernder Konversionsprozess meist Monate, zuweilen Jahre hoher aktiver Anteil der Konvertiten Konversionsprozess wie bei Großkonfessionen Persönlichkeit: Wer wird Mitglied einer NRB? Populäre Stereotype Alle sind (für Alles) anfällig, keiner ist gefeit Sekten-Persönlichkeit mit prädisponierenden Merkmalen 5
6 6 Persönlichkeit: Sozialwissenchaftliche Evidenz 1 Nicht Alle sind empfänglich Eine einheitliche Sekten-Persönlichkeit gibt es nicht hohe Variation von soziodemographischen und Persönlichkeitsmerkmalen zwischen den Gruppen z.b. Vereinigungskirche, D: eher Unterschicht, wenig Selbstbewusstsein z.b. Osho, D: pädagogisches Umfeld, ledig, Beziehungsstörungen z.b. okkulte Gemeinde, USA: unauffällige Mittelmäßigkeit z.b. Hare Krishna, USA: zwanghafte Persönlichkeit teilweise spezifische Passung zwischen Bedürfnis und Angebot Persönlichkeit: Sozialwissenschaftliche Evidenz 2 Lebenskrisen oder Beschäftigung mit existentiellen Fragen gehen der Mitgliedschaft häufig voraus Verlust, Vereinsamung, Beziehungsprobleme, Depression Sucherschaft, religiös-philosophische Literatur z.b. Vereinigungskirche USA Kox (1991): Lebenskrisen, schlechtes soziales Netzwerk z.b. Hare Krishna USA Poling (1986): Entfremdung, mangelndes Identitätsgefühl, traumatische Kindheit, allgemeine Suche z.b. Osho D Klosinski (1985): Sinnfragen, religiöse Suchende 6
7 7 Ausstieg: Ist freiwilliger Ausstieg möglich? Populäres Stereotyp Ohne fremde Hilfe ist ein Ausstieg ein kaum lösbares Unterfangen Ausstieg: Sozialwissenschaftliche Evidenz 1 Mitgliedschaft ist häufig kurz, Durchgangsphase z.b. Vereinigungskirche GB Barker (1988): 50% < 2 Jahre Mitgliedschaft z.b. Hare Krishna USA Rochford (1989): 55% < 1 Jahr Mitgliedschaft z.b. mehrere Gruppen CDN Levine (1984): 90% < 2 Jahre 7
8 8 Ausstieg: Sozialwissenschaftliche Evidenz 2 Es ist möglich, NRB aus eigener Motivation und ohne Hilfe zu verlassen Aber: Der Ausstieg ist meist eine labilisierende, krisenhafte Erfahrung Die Art des Ausstiegs ist entscheidend für die retrospektive Bewertung z.b. Vereinigungskirche USA Galanter (1983) Gruppe eigener Antrieb : auch positive Aspekte nach 3.5 Jahren Gruppe Deprogrammierung : feindliche Sichtweise nach 3.5 Jahren Schädlich oder stabilisierend? Populäre Stereotype setzt Psychopathologie voraus psychische und soziale Gefährdung durch NRB Einschränkung der Autonomie destruktive Kulte 8
9 9 Sozialwissenschaftliche Evidenz 1 uneinheitliche Befunde zur prämorbiden Persönlichkeit z.b. verschiedene Gruppen USA Ullman (1982) über 70% (KG: 23%) feindliche/instabile Elternbeziehungen z.b. DLM USA Galanter (1989) 38% vor Mitgliedschaft psychotherapeutische Behandlung z.b. verschiedene Gruppen USA Levine (1976) keine Auffälligkeiten hinsichtlich primärer Psychopathologie Sozialwissenschaftliche Evidenz 2 Bewältigung spezifischer Entwicklungsaufgaben möglicherweise erschwert hohe Inzidenz in psychiatrischen Praxen Klosinski (1990), Lang (1983) Entwicklung psychosexueller Identität ekklesiogene/religiöse Neurose Berufliche Orientierung 9
10 10 Sozialwissenschaftliche Evidenz 3 Mitgliedschaft kann auch stabilisierend sein z.b. DLM USA Galanter (1978) z.b. Vereinigungskirche USA Galanter (1979) z.b. Jesus People, Hare Krishna, Maharaj Ji RSA Stones (1980) z.b. Vereinigungskirche, DLM, Ananda Marga A Berger (1981) z.b. verschiedene Gruppen D Kuner (1981) Reviews Robbins (1982), Rochford (1989) Sozialwissenschaftliche Evidenz 4 Mitgliedschaft kann stabilisierend sein Beendigung illegitimer Drogeneinnahme Abnahme psychosomatischer Symptome Selbstmordverhütung erneuerte Berufsmotivation Abnahme von Anomie, Zunahme sozialer Verantwortung erfüllende soziale Beziehungen Erleben von Identität und Lebenssinn 10
11 11 Schlussfolgerungen stabilisierende Effekte + kurze Verweildauer Vermutung: Was ursprünglich hilfreich und strukturierend war, wird später als einengend und entwicklungshemmend empfunden Ist Regen gut für die Ernte? individuelle Anteile Anteile der Struktur oder Lehre einer Gruppe spezifische Wechselwirkungen 11
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