Synkopen und orthostatische Intoleranz
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- Gregor Geier
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1 M. Rosenkranz, S. Koeppen Synkopen und orthostatische Intoleranz ISBN Kapitel C3 aus T. Brandt, H.C. Diener, C. Gerloff (Hrsg.) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2012 Kohlhammer
2 C 3 von M. Rosenkranz und S. Koeppen * C 3.1 C Klinik Definitionen Die Synkope ist definiert als plötzlich einsetzender, kurz anhaltender, spontan komplett reversibler Bewusstseinsverlust infolge einer vorübergehenden globalen zerebralen Minderperfusion (Moya et al. 2009). Der Begriff orthostatische Intoleranz beschreibt eine Kombination von Symptomen, die im Stehen durch eine gestörte Kreislaufregulation auftreten, u. a. Schwindel, Benommenheit, Palpitationen, Schweißausbruch, Ohrgeräusche, Nackenschmerz, okzipitaler Kopfdruck, unspezifische Sehstörungen und Übelkeit (Mathias et al. 1999, Naschitz und Rosner 2007). C Klinische Symptomatik Die Semiologie von Synkopen ist je nach Pathomechanismus unterschiedlich. Leitsymptom ist der plötzlich einsetzende transiente Bewusstseinsverlust von nur kurzer Dauer. Gelegentlich gehen einer Synkope Symptome der orthostatischen Intoleranz voraus. Die Synkope selber geht mit einem Tonusverlust der Haltemuskulatur mit Verlust der posturalen Kontrolle einher. Gelegentlich werden motorische Entäußerungen beobachtet (konvulsive Synkope). Fokalneurologische Zeichen fehlen. Die Synkope dauert wenige Sekunden, selten mehrere Minuten. Die Patienten sind nach der Synkope rasch reorientiert. Für die Dauer der Synkope besteht eine Amnesie. Eine retrograde Amnesie ist nicht typisch, kann aber besonders bei älteren Patienten gelegentlich beobachtet werden. Einige Patienten berichten über eine ausgeprägte Müdigkeit nach Wiedererlangen des Bewusstseins. C Klassifikation und Pathophysiologie Bei Synkopen kommt es durch einen Blutdruckabfall unter die individuell unterschiedliche autoregulatorische Schwelle des Gehirns zu einer globalen zerebralen Minderperfusion. Synkopen lassen sich pathophysiologisch in drei große Gruppen klassifizieren (Tab. C 3.1). Bei einigen Synkopen liegen mehrere Pathomechanismen zugrunde, sodass hier keine eindeutige Klassifizierung möglich ist. Tab. C 3.1: Pathophysiologische Klassifikation der Synkopen Reflexsynkopen Vasovagal orthostatisch getriggert emotional getriggert (Angst, Schreck, Schmerz) Situationsbedingt postprandial post-exercise pressorisch (Husten, Defäkation, Lachen) viszerale Reizung (Miktion, Schlucken) Karotissinus-Syndrom Atypische Formen Kardiogene Synkopen Arrhythmie Rhythmusstörung Herzschrittmacher-Dysfunktion strukturelle Herzerkrankungen koronare Herzkrankheit Herzklappenfehler Pulmonalarterienstenose Endokarditis/Myokarditis Kardiomyopathie Herztumor Herzbeuteltamponade andere strukturelle Erkrankungen Lungenembolie pulmonale Hypertonie Aortenstenose, -dissektion Orthostatische Hypotension Autonome Dysregulation pure autonomic failure Systemdegeneration (MSA, M. Parkinson, Lewy-Körper-Erkrankung) akute autonome Polyneuropathie (Pandysautonomie) chronische autonome Polyneuropathie (HSAN Typ I-V, Dopamin-β-Hydroxylase-Mangel) Amyloidose Diabetes mellitus nach Myelonschädigung Intravasaler Volumenmangel Hämorrhagie Exsikkose Diarrhoe M. Addison Medikamenteninduzierte orthostatische Hypotension Antihypertensiva Psychopharmaka andere HSAN = hereditäre sensible und autonome Neuropathie MSA = Multisystematrophie * Autoren dieses Kapitels in der 5. Auflage: S. Koeppen und Th. Pfefferkorn. 222
3 C Reflexsynkopen Unter dem Begriff Reflexsynkopen wird eine heterogene Gruppe von Synkopen zusammengefasst, bei denen es nach einem Reiz reflektorisch zu Blutdruckabfall mit Synkope kommt (van Dijk und Sheldon 2008). Reflexsynkopen werden anhand ihres Auslösemechanismus in Subtypen unterteilt. Pathophysiologisch unterscheiden sich die Subtypen hauptsächlich durch den auslösenden Trigger (Afferenz) und weniger durch die Reflexantwort (Efferenz). Die Reflexantwort ist gekennzeichnet durch eine zentrale Vagusaktivierung und Inhibition des Sympathikotonus mit der Folge einer reflektorischen Bradykardie (kardioinhibitorische Komponente) und/oder peripheren Vasodilatation (vasodepressorische Komponente). Klinisch werden Reflexsynkopen anhand der spezifischen Trigger, des Bewusstseinsverlusts aus meist vertikaler Körperposition heraus und der raschen Rückkehr des Bewusstseins in Horizontallage diagnostiziert. Häufig gehen Reflexsynkopen unspezifische Prodromi voraus, die den Symptomen der orthostatischen Intoleranz ähneln. Die vasovagale Synkope ist die häufigste Form unter den Reflexsynkopen und die häufigste Ursache von Synkopen überhaupt. Oft verwendete Synonyme sind neurokardiogene Synkope oder vasovagale Reaktion. Sie treten erstmalig bevorzugt im Alter von ca. 13 Jahren auf, bei Erstmanifestation vor dem 45. Lebensjahr handelt es sich in 86 % der Fälle um vasovagale Synkopen (Sheldon et al. 2006). Bei älteren Patienten liegt häufig eine autonome Dysregulation zugrunde (Alboni et al. 2008). Vasovagale Synkopen werden durch emotionale Reize und/oder eine anhaltende orthostatische Belastung getriggert. Emotional getriggerte vasovagale Synkopen treten häufig im Rahmen von Schmerz, Schreck, Verletzungen oder dem bloßen Anblick einer Verletzung oder Blut auf. Orthostatische vasovagale Synkopen werden durch längeres Stehen oder Sitzen getriggert. Die genauen Reflexmechanismen sind nicht bekannt. Die zur Aufrechterhaltung des Blutdrucks beim Aufstehen benötigten kardiovaskulären Reflexe sind prinzipiell intakt. Möglicherweise spielen kardiale und pulmonale Drucksensoren eine Rolle, die bei Abfall des thorakalen Blutvolumens infolge eines venösen Poolings nach längerem Stehen/Sitzen aktiviert werden und die vasovagale Antwort auslösen. Die situationsbedingten Synkopen treten auf in Verbindung mit vorangegangener körperlicher Belastung oder nach dem Essen, pressorischen Triggern oder viszeraler Reizung. Die post-exercise Synkope tritt bevorzugt bei jungen athletischen Menschen auf. Bei Patienten mittleren und höheren Alters können sie auf eine frühe Manifestation einer sich entwickelnden autonomen Störung hinweisen und der Entwicklung einer orthostatischen Hypotension vorausgehen. Postprandiale Hypotension/Synkopen werden gehäuft bei älteren Patienten beobachtet und können in kausalem Zusammenhang mit einer Anämie, Dehydratation, orthostatischen Hypotension, Medikamenten oder Nebennierenrindeninsuffizienz stehen. Als pathophysiologischer Mechanismus wird ein Anstieg des Blutvolumens im Splanchnikusgebiet diskutiert in Verbindung mit einer fehlenden Zunahme des peripheren Gefäßwiderstandes. Beim Karotissinus-Syndrom werden durch mechanische Reizung des Karotissinus (z. B. Kopfrotation, Manipulation am Hals) Barorezeptoren im Karotissinus aktiviert. Die Reflexefferenz ist die gleiche wie bei der vasovagalen Synkope. Man unterscheidet den kardioinhibitorischen Typ vom selteneren vasodepressorischen Typ. Häufig liegen Mischtypen vor. C Orthostatische Hypotension Beim schnellen Aufstehen versacken etwa 500 ml Blut in der unteren Körperhälfte. Hierdurch wird der venöse Rückstrom zum Herzen und damit die kardiale Vorlast reduziert und sekundär die kardiale Auswurfleistung vermindert. Autonome reflektorische Kompensationsmechanismen (Vasokonstriktion, Zunahme der Herzfrequenz) verhindern normalerweise einen relevanten Blutdruckabfall. Bei der orthostatischen Hypotension (OH) kommt es nach variabler Latenz nach dem Hinstellen zu einem anhaltenden Blutdruckabfall. Klinisch kann der Blutdruckabfall asymptomatisch bleiben oder mit Symptomen der orthostatischen Intoleranz einhergehen, bis hin zur Synkope. Meist liegt eine autonome Störung zugrunde. Im Gegensatz zu Reflexsynkopen ist also die Reflexefferenz gestört, mit der Folge einer beeinträchtigten autonomen vaskulären und kardialen Innervation. Prädisponierende Faktoren für die klinische Manifestation sind u. a. rasches Aufrichten, vorausgegangene Nahrungsaufnahme, Bettlägerigkeit, Dehydratation, Einnahme von Antihypertensiva, Diuretika oder Psychopharmaka, Alkoholkonsum und hohes Lebensalter. Die orthostatische Kreislaufregulation unterliegt tagesperiodischen Schwankungen, am labilsten ist sie in den frühen Morgenstunden und um die Mittagszeit. Im Liegen normalisieren sich Blutdruck und evtl. Symptome rasch. Je nach zugrunde liegender Erkrankung treten Symptome innerhalb von Sekunden bis zu mehr als einer halben Stunde nach dem Hinstellen auf. Die klassische OH ist definiert als anhaltender Abfall des systolischen Blutdrucks um 20 mm Hg und/oder des diastolischen Blutdrucks um 10 mm Hg innerhalb von drei Minuten nach dem Hinstellen (The Consensus Committee of the American Autonomic Society and the American Academy of Neurology 1996). Pathophysiologisch liegt ein unzureichender Anstieg des peripheren Widerstands beim Aufrichten durch eine autonome Störung zugrunde. Meist betrifft dies ältere Patienten. Bei der initialen OH kommt es infolge einer Dysbalance zwischen kardialer Auswurfleistung und peripherem Widerstand binnen Sekunden nach dem Hinstellen zu einem systolischen Blutdruckabfall um > 40 mm Hg, der sich meist binnen 30 Sekunden normalisiert. Sie tritt sowohl bei jüngeren athletischen als auch bei älteren Menschen auf. Die progrediente OH ist gekennzeichnet durch einen langsamen Abfall des systolischen Blutdrucks im Stehen. Betroffen sind meist ältere Menschen mit verminderter kardialer Auswurfleistung und autonomer Störung. Dem Blutdruckabfall kann eine reflektorische Bradykardie folgen, was die Abgrenzung gegenüber Reflexsynkopen erschwert. Eine Sonderstellung nimmt das überwiegend bei jüngeren Frauen auftretende posturale orthostati- 223 C 3
4 Epilepsien und Synkopen sche Tachykardiesyndrom (POTS) ein. Beim POTS kommt es innerhalb 10 Minuten nach dem Hinstellen zu einem Anstieg der Herzfrequenz um > 30/Minute oder auf eine Frequenz > 120/Minute (Grubb et al. 1997, Jacob et al. 2000), meist ohne relevanten Blutdruckabfall (Low 1998), aber mit den klinischen Zeichen der orthostatischen Intoleranz. Die Latenz vom Hinstellen bis zum POTS ist variabel. Typischerweise findet sich ein Anstieg der Plasma-Noradrenalin-Konzentration auf über 600 pg/ml im Stehen (Shannon et al. 2000), vermutlich verursacht durch eine verminderte synaptische Noradrenalin- Inaktivierung infolge einer genetisch bedingten oder medikamenten- (trizyklische Antidepressiva) oder drogeninduzierten (Kokain, Amphetamine) Hemmung des Noradrenalin-Transportmechanismus. C Kardiogene Synkopen Ursachen rhythmogener Synkopen sind Störungen der kardialen Erregungsbildung und/oder -leitung. Bei Ausfall der physiologischen Erregungsbildung wird der Herzrhythmus meist von langsameren und mit Verzögerung einsetzenden Schrittmachern bestimmt. Die Folge sind kardiale Pausen/Bradykardie mit Abfall der kardialen Auswurfleistung. Komplizierend können bei bradykarden Rhythmusstörungen polymorphe ventrikuläre Tachykardien auftreten. Auch paroxysmale Tachykardien gehen mit einer verminderten kardialen Auswurfleistung einher und können Synkopen verursachen. Medikamenteninduzierte rhythmogene Synkopen können durch bradykarde oder tachykarde Rhythmusstörungen verursacht werden. Meist handelt es sich um negativ chrono- oder dromotrope Substanzen (Antiarrhythmika) oder um Substanzen, die das QT-Intervall verlängern (Antiarrhythmika, Antibiotika, Neuroleptika u. a.) mit der Gefahr von Torsades de pointes. Hinweise auf rhythmogene Synkopen sind Palpitationen und Synkopen im Liegen. Den strukturellen kardiogenen Synkopen liegen meist Erkrankungen der Klappen, des Myokards oder des Perikards zugrunde. Pathophysiologische Grundlage ist die mechanisch eingeschränkte kardiale Auswurfleistung, häufig in Verbindung mit Rhythmusstörungen. Synkopen unter körperlicher Belastung müssen an strukturelle Herzerkrankungen denken lassen. C 3.2 Epidemiologie und Verlauf Synkopen sind häufig, ca. l % der Patientenvorstellungen in Notaufnahmen erfolgen wegen Synkopen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung erleidet im Verlauf des Lebens mindestens eine Synkope. Bei 465 wegen Synkopen in ein Krankenhaus eingewiesenen Patienten führte die Basisdiagnostik in 50 % und die erweiterte Diagnostik in 98 % zur Diagnosestellung, mit einem Anteil an Reflexsynkopen von 66 %, einer OH von 10 %, primären Arrhythmien von 11 %, strukturellen kardiogenen Synkopen von 5 % und nicht-synkopalen Ereignissen von 6 % (Brignole et al. 2006). Bei Patienten mit Synkopen unklarer Ätiologie lässt sich in 14 % der Fälle ein hypersensibler Karotissinus nachweisen (Humm und Mathias 2006). Die Prävalenz von ersten Synkopen ist besonders hoch im Alter zwischen Jahren, mit einem Gipfel um das 15. Lebensjahr (Serletis et al. 2006). Nur 5 % der Bevölkerung erleidet jenseits des 40. Lebensjahres eine erste Synkope (Colman et al. 2004). Ab 70 steigt die Inzidenz von Synkopen. In der Framingham-Studie betrug die Synkopenrate pro Patientenjahre bei Männern im Alter von Jahren 5,7 und im Alter von Jahren 11,1 (Soteriades et al. 2002, Colman et al. 2004). Der Zeitpunkt der Erstmanifestation unterschiedlicher Synkopenformen weist klassische Altersgipfel auf. Bei 12 % der jüngeren und 34 % der älteren Patienten handelt es sich um kardiogene Synkopen, bei 68 % der jüngeren und 54 % der älteren Patienten um vasovagale Synkopen (Del Rosso et al. 2005). Im Kindesalter dominieren Reflexsynkopen, bei Kleinkindern beträgt die Prävalenz ca. 1 % (Wieling et al. 2004). Bei Kindern und Jugendlichen beträgt die Synkopenprävalenz %. Eine Erhebung an 62 Medizinstudenten zeigte eine Lebenszeitprävalenz für vasovagale Synkopen von 32 % (Frauen 42 %, Männer 31 %) (Serletis et al. 2006). Die Wahrscheinlichkeit, vasovagale Synkopen erlitten zu haben, war signifikant größer, wenn auch die Eltern eine positive Anamnese für vasovagale Synkopen aufwiesen. Bei älteren Patienten sind Synkopen oft multifaktorieller Genese und häufiger vasodepressorisch bedingt. Bei sehr alten Patienten sind Synkopen häufig auf eine OH zurückzuführen. Auch kardiogene Synkopen und Synkopen bei Karotissinus-Syndrom kommen überwiegend bei älteren Patienten vor. Ein hypersensibler Karotissinus schließt insbesondere bei älteren Patienten eine andere Synkopenursache nicht aus. Nahezu die Hälfte der Patienten weist zusätzlich eine OH auf (Mulcahy et al. 2003). Die Beurteilung der Prognose betrifft sowohl das Risiko für lebensbedrohliche Ereignisse (vor allem kardial) als auch für erneute Synkopen. Die Prognose kardiogener Synkopen ist mit einer Einjahresmortalität von % schlechter als bei nicht-kardialen Synkopen (0 12 %) und bei ätiologisch unklaren Synkopen (0 6 %) (Kapoor 1990). Patienten mit vasovagalen Synkopen weisen keine erhöhte Mortalität gegenüber Patienten ohne Synkopen auf (Soteriades et al. 2002). Strukturelle Herzerkrankungen und Rhythmusstörungen sind bei Synkopenpatienten Risikofaktoren für einen plötzlichen Herztod. Patienten mit koronarer Herzkrankheit und induzierbarer ventrikulärer Tachykardie, denen nach einer Synkope ein Defibrillator implantiert worden war (n = 67), hatten weiterhin eine signifikant schlechtere Prognose als die Vergleichspopulation ohne induzierbare Tachykardie (Ein- und Zweijahresüberlebensrate 77 % bzw. 45 % gegenüber 94 % bzw. 84 %) (Mittal et al. 1999). Junge Patienten mit Reflexsynkopen, bei denen eine strukturelle kardiale Erkrankung und Rhythmusstörungen ausgeschlossen wurden, haben eine sehr gute Prognose (Soteriades et al. 2002). In ca. 1 2 % der Fälle liegt der kindlichen Synkope allerdings eine ernste Erkrankung zugrunde (Batra 2005). In einer prospektiven Kohortenstudie über knapp fünf Jahre war die OH unabhängig von anderen Blutdruckparametern mit einer erhöhten Mortalität behaftet (Fisher et al. 2005). 224
5 Das Wiederholungsrisiko für erneute Synkopen hängt vom Alter der Patienten und der Ursache der Synkope ab. Je mehr Synkopen in der Vergangenheit aufgetreten sind, desto höher das Risiko für weitere Synkopen. Die Wiederholungsrate von Reflexsynkopen liegt bei % binnen eines Jahres. Bei Kindern beträgt die Wiederholungsrate 7 % nach einem Jahr und 15 % nach 21 Monaten. Auf die Beeinflussung der Rezidivrate durch therapeutische Maßnahmen wird in Abschnitt C 3.4 eingegangen. C 3.3 Diagnostik Die diagnostische Aufarbeitung beim Leitsymptom transienter Bewusstseinsverlust sollte drei Fragen beantworten: 1. Liegt/lag eine Synkope vor? 2. Was ist die Synkopenursache? 3. Liegt eine gefährliche Erkrankung zugrunde? Unterschiedliche Ereignisse und medizinische Zustände können irrtümlich als Synkope gewertet werden (Tab. C 3.2). Bei Verdacht auf eine Synkope sollte zunächst eine strukturierte Basisdiagnostik erfolgen, basierend auf einer ausführlichen Eigen-/ Fremdanamnese, einer körperlichen Untersuchung inklusive Schellong-Test (s. u.) und 12-Kanal-EKG. Die Basisdiagnostik erlaubt die korrekte Diagnose der Synkopenursache bei bis zu 50 % der Patienten und ist unter bestimmten Umständen ausreichend, eine Synkope zu diagnostizieren und deren Ursache festzulegen (Tab. C 3.3). Bei diagnostischer Unsicherheit sind ggf. weiterführende diagnostische Maßnahmen indiziert. Tab. C 3.2: Ereignisse und medizinische Zustände, die häufig inkorrekt als Synkope gewertet werden Ereignisse mit nur scheinbarem Bewusstseinsverlust psychogene Pseudosynkope Stürze anderer Ursache fokale epileptische Anfälle Kataplexie Ereignisse mit Bewusstseinsverlust ohne globale zerebrale Minderperfusion Epileptischer Anfall Schädel-Hirn-Trauma Vertebrobasiläre Durchblutungsstörung/Blutung Intoxikation Metabolische Störung (z. B. diabetisches Koma, Hypoglykämie) C Basisdiagnostik Die Diagnose»Synkope«setzt einen akuten Beginn, kurze Dauer und spontane Remission voraus. Entsprechend ihrer Definition lässt sie sich nur durch den Nachweis der globalen zerebralen Minderperfusion beweisen. Im Falle eines transienten Bewusstseinsverlusts mit Tonusverlust der Haltemuskulatur und ohne zusätzliche klinische Zeichen ist das Vorliegen einer Synkope aber wahrscheinlich. Ist der Bewusstseinsverlust nicht vollständig oder nicht transient, muss an andere Ursachen gedacht werden. Ist ein transienter Bewusstseinsverlust anzunehmen, muss zwischen einer inneren (z. B. Synkope, epileptischer Anfall) und einer äußeren Ursache (Bewusstseinsverlust durch Trauma) unterschieden werden. Wenn es keinen Hinweis auf eine traumatische Ursache gibt, muss eine Synkope als Ursache des transienten Bewusstseinsverlusts abgegrenzt werden von anderen Ursachen, wie epileptischen Anfällen oder einer psychogenen Pseudosynkope. Im Zweifel sollten je nach Semiologie weitere Zusatzuntersuchungen erfolgen. Der Anamnese kommt eine besondere Bedeutung zu. Neben der Klärung relevanter Vorerkrankungen (Herzerkrankung, neurologische oder metabolische Erkrankungen), der Medikamenten-/Drogen- und Familienanamnese (plötzlicher Herztod) sind wegweisend: die Umstände, unter denen die Synkope aufgetreten ist (Trigger), Synkopenhäufigkeit; Alter bei erster Synkope, klinischer Beginn (mit/ohne Prodromi, kardiale/ thorakale Beschwerden, Palpitationen, vegetative Zeichen), fremdanamnestische Schilderung (Dauer, motorische Entäußerungen, Hautkolorit, Atemmuster, Art des Sturzes), Phase unmittelbar nach Synkope (Erholungsphase, Reorientierung, Verletzungen/Zungenbiss, Enuresis, Übelkeit). Die klinische Untersuchung beinhaltet neben der neurologischen Untersuchung einen Schellong-Test, insbesondere wenn eine Synkope unter Orthostase- Bedingungen aufgetreten ist. Besonderes Augenmerk gilt der Hydratation sowie kardialen Erkrankungen. Beim Schellong-Test wird der Blutdruck im Liegen und dann nach dem Aufstehen wiederholt über mindestens drei Minuten gemessen. Der Test ist positiv bei Blutdruckabfall um 20 mm Hg systolisch oder 10 mm Hg diastolisch, oder auf < 90 mm Hg systolisch. Der Schellong-Test erlaubt im pathologischen Fall die Diagnose einer OH, einer orthostatischen Reflexsynkope oder eines POTS, kann aber auch falsch negative Ergebnisse ergeben, wenn z. B. zum Zeitpunkt einer orthostatischen Hypotension eine geringere Hydratation bestand als zum Zeitpunkt der Testung. Ein 12-Kanal-EKG zum Nachweis einer Myokardischämie und von Erregungsbildungs-/Erregungsleitungsstörungen kann bei spezifischen EKG-Veränderungen eine kardiale Synkopenursache mit ausreichender Sicherheit klären (Tab. C 3.3). C Weiterführende Diagnostik Besteht weiterhin Unsicherheit darüber, ob es sich bei einem transienten Bewusstseinsverlust um eine Synkope handelt und/oder bleibt die Synkopenursache unklar, ist eine weiterführende Diagnostik notwendig. Auch wenn die Synkopenursache klar ist, sind ggf. weitere Untersuchungen indiziert, um gefährliche Grunderkrankungen zu diagnostizieren. Lässt sich eine kardiogene Synkope nicht ausschließen, sollte je nach vaskulärem Risikoprofil eine unverzügliche kardiale Diagnostik erfolgen. 225 C 3
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