4. Neues zum Urlaubsrecht
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- Heike Schmitt
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1 Neues zum Urlaubsrecht AR 4. Neues zum Urlaubsrecht Nachdem das Bundesarbeitsgericht am (9 AZR 983/07) als Reaktion auf die Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH (vom RS C 350/06 und 520/06) seine langjährige und gefestigte Urlaubsrechtsprechung quasi revolutioniert hat, gilt folgender Grundsatz: Gesetzliche Urlaubsansprüche, die der Arbeitnehmer wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte, verfallen nicht mit Ablauf des Übertragungszeitraums (31.3. bzw. nach 26 TVöD/TV-L des Folgejahres). Vielmehr bleibt dem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer sein Urlaubsanspruch erhalten. Seit diesen weitreichenden Änderungen der Rechtsprechung werden die sich daraus ergebenden Folgefragen diskutiert und zunehmend einer Klärung zugeführt. 4.1 Verfall des tariflichen Mehrurlaubs Bereits mit Urteil vom AZR 128/09 hat das BAG entschieden, dass der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende tarifliche Urlaub im Falle der Arbeitsunfähigkeit verfällt, sofern die Tarifvertragsparteien ein eigenständiges, weitgehend vom BUrlG losgelöstes Urlaubsregime geschaffen haben. Bejaht wurde dies seitens des BAG für den MTAng-BfA, der eine den 47 ff. BAT entsprechende Tarifregelung zum Verfall des Urlaubs enthält. Mit dem Urteil des BAG vom AZR 80/10 hat diese Rechtsprechung eine weitere Konkretisierung erfahren. Der Tarifvertrag müsse deutliche Anhaltspunkte dafür enthalten, dass der Tarifvertrag vom grundsätzlichen Gleichlauf zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub abweiche. Dies sei der Fall, wenn der Tarifvertrag entweder zwischen gesetzlichem Urlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheide oder sowohl für Mindest- als auch Mehrurlaub wesentlich von 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Übertragungs- und Verfallsregeln bestimme. Unterscheide der Tarifvertrag zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem Mehrurlaub, so sei es regelmäßig gerechtfertigt, auch hinsichtlich des Verfalls von Urlaubsansprüchen entsprechend zu differenzieren. Ein entsprechender, zwischen beiden Urlaubsarten differenzierender Regelungswille der Tarifvertragsparteien lasse sich jedoch nicht schon daraus herleiten, dass ein Tarifvertrag sich vom gesetzlichen Urlaubsregime löst und stattdessen eigene Regeln aufstelle (so aber: LAG Hamm, Urteil vom Sa 727/10; LAG Düsseldorf, Urteil 45
2 AR Neues zum Urlaubsrecht vom Sa 1493/10; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom Sa 244/10). 26 Abs. 2 Buchst. b) TVöD/TV-L differenziert hinsichtlich der Zwölftelung des Urlaubs bei Beginn oder Ende des Arbeitsverhältnisses im Laufe eines Jahres ausdrücklich zwischen dem Tarifurlaub und dem gesetzlichen Mindesturlaub. Dort heißt es ausdrücklich: 5 BUrlG bleibt unberührt.. Nach Auffassung des BAG (Urteil vom AZR 80/10, Rn. 28 unter Bezug auf LAG München, Urteil vom Sa 280/09) reiche jedoch allein eine solche tarifliche Abweichung von der Zwölftelungsregelung des 5 BUrlG nicht aus, um einen eigenständigen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien anzunehmen. Entscheidend sei vielmehr, ob vom Fristenregime des BUrlG abgewichen oder zumindest durch die Differenzierung zwischen Mindest- und Mehrurlaub erkennbar gemacht werde, dass der Arbeitnehmer für den Mehrurlaub das Verfallsrisiko tragen solle. Für die im konkreten Fall in Streit stehende Urlaubsregelung des Manteltarifvertrags Nr. 14 für das Bodenpersonal (MTV Boden) des beklagten Dienstleistungsunternehmens zur Wartung, Instandhaltung und Ausstattung von Flugzeugen hat das BAG eine ausreichende Differenzierung abgelehnt. Der Urlaub verfiel nach dem Tarifvertrag wie der gesetzliche Mindesturlaub am des Folgejahres. Hinweis 26 Abs. 2 Buchst. a) TVöD/TV-L regelt vom BUrlG abweichende Übertragungsfristen. Kann der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum des Folgejahres angetreten werden, so ist er bis zum anzutreten. Damit weicht der TVöD/TV-L vom Fristenregime des BUrlG ab, was eine Streichung des über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubs rechtfertigt. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung zum TVöD/TV-L bleibt abzuwarten. 4.2 Verjährung von Urlaubsansprüchen? Auch hinsichtlich der Frage, ob Urlaubsansprüche der 3-jährigen Verjährungsfrist unterliegen, gibt es unterschiedliche Entscheidungen der Instanzgerichte. 46
3 Neues zum Urlaubsrecht AR Das LAG Düsseldorf (Urteil vom Sa 650/10) hat entschieden, dass Urlaubsansprüche in 3 Jahren verjähren und die Verjährungsfrist stets zum Schluss des Urlaubsjahres beginne. Für Beginn und Lauf der Verjährungsfrist sei unerheblich, ob der Arbeitnehmer arbeitsfähig oder langandauernd arbeitsunfähig ist. Das LAG Hessen (Urteil vom Sa 939/10) und das LAG Schleswig- Holstein (Urt. v Sa 209/10) vertreten dagegen die Auffassung, dass Urlaubsansprüche während der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig nicht verjähren. Die Verjährungsfrist habe mangels Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs während der Arbeitsunfähigkeit nicht jeweils mit dem Schluss des Urlaubsjahres begonnen. Abzuwarten bleibt, wie das BAG die Verjährungsfrage entscheiden wird. 4.3 Begrenzung des Urlaubs bei mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit auf 15 Monate Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte den EuGH um die Beantwortung der Frage ersucht, ob gesetzliche Mindesturlaubsansprüche bei längerfristig arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern über mehrere Jahre angesammelt werden können oder ob eine zeitliche Begrenzung auf eine angemessene Zeit von beispielsweise mindestens 18 Monaten möglich ist. Eine Begrenzung könne sich aus Sicht des LAG Hamm aus dem Übereinkommen Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO Abkommen Nr. 132) ergeben, dessen Art. 9 Abs. 1 vorsehe, dass Urlaub spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres zu gewähren und zu nehmen sei. Am hat der Europäische Gerichtshof über das vorgenannte Vorabentscheidungsersuchen entschieden (EuGH, Urteil vom , RS. C-214/10 Schulte ). Sachverhalt: Der Kläger des Ausgangsverfahrens war vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum bereits mehrere Jahre arbeitsunfähig krank und schwerbehindert. Er begehrte Abgeltung des Urlaubs für die Jahre 2006 bis 2008, nämlich pro Jahr den tariflichen Urlaub von 30 Arbeitstagen sowie 5 Tage Schwerbehindertenzusatzurlaub. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen Anwendung, dessen 11 (Grundsätze der Urlaubsgewährung) vorsah, dass Urlaub der wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlischt. 47
4 AR Neues zum Urlaubsrecht Die Entscheidung: Eine tarifvertragliche Regelung, wonach Urlaubsansprüche bei Langzeiterkrankung nicht zeitlich unbegrenzt angesammelt werden können, sondern 15 Monate nach Ablauf des Bezugszeitraums erlöschen, ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. Das EU-Recht verlangt lediglich, dass der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums deutlich überschreitet. Ein unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen während einer mehrjährigen Arbeitsunfähigkeit würde nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen. Der Urlaub dient zum einen der Erholung von der Arbeit und zum anderen der Zurverfügungstellung eines Zeitraums für Entspannung und Freizeit. Die Übertrag des Urlaubs darf eine gewisse zeitliche Grenze nicht überschreiten, da irgendwann die positive Erholungswirkung des Urlaubs entfällt. In den Schlussanträgen der Generalanwältin hieß es dazu: Der Erholungszweck werde nicht mehr erreicht, wenn der Urlaub erst Jahre später genommen werde. Eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre im Sinne einer Verdopplung oder sogar Verdreifachung der Mindesturlaubszeit führe nicht zu einer erhöhten Erholungswirkung. Die Erholungswirkung lasse sich durch Kumulierung des Urlaubs nicht steigern. Für die Länge des Übertragungszeitraums sind folgende zwei Aspekte zu berücksichtigen: Zugunsten der Arbeitnehmer muss gewährleistet sein, dass der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums, für den der Anspruch gewährt wird, deutlich überschreitet. Zugunsten der Arbeitgeber ist sicherzustellen, dass diese vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und den Schwierigkeiten geschützt werden, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können. Die Generalanwältin hat in ihrer Beschlussempfehlung darauf abgehoben, dass die mit einer unbegrenzten Urlaubsabgeltung verbundenen Belastungen der Arbeitgeber für diese einen Anreiz darstellen könnten, eine möglichst frühzeitige Kündigung arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer durchzusetzen. Nach den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen kann ein Zeitraum, der wie im konkreten Streitfall 15 Monate beträgt, vernünftigerweise als Übertragungszeitraum angesehen werden, der dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub 48
5 Neues zum Urlaubsrecht AR nicht zuwiderläuft, da er sicherstellt, dass dieser Anspruch seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit behält. Folgen für die Praxis: Abzuwarten bleibt, ob die deutschen Arbeitsgerichte die vom EuGH als ausreichend festgelegte Frist von 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahres unmittelbar berücksichtigen und umsetzen können ob also die 15-Monats-Frist automatisch Anwendung findet und quasi in das BUrlG bzw. die Tarifverträge hineingelesen werden kann, oder ob es eines Tätigwerdens des Gesetzgebers bzw. der Tarifvertragsparteien bedarf. Dem BAG obliegt es, das nationale Recht im Lichte des Europäischen Rechts auszulegen. Dies berücksichtigend erscheint es geboten, den Urlaub im Rahmen der Rechtsfortbildung längstens für die Dauer von 15 Monaten zu übertragen. 4.4 Befristung von Urlaubsansprüchen aus früheren Zeiträumen wann muss der wegen Krankheit übertragene Urlaub genommen sein? In 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG ist geregelt, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG nur möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. In diesem Übertragungsfall muss der Urlaub in den ersten 3 Monaten des folgenden Kalenderjahres, also spätestens am 31.3., angetreten werden, kann der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum angetreten werden, ist er bis zum des Folgejahres anzutreten ( 26 Abs. 2 Buchst. a) TVöD/TV-L). BAG, Urteil vom , 9 AZR 425/10 Das Bundesarbeitsgericht hatte die Frage zu entscheiden, was mit Urlaubsansprüchen aus früheren Zeiträumen, konkret nach längerer Arbeitsunfähigkeit geschieht und inwieweit diese Ansprüche befristet sind. Sachverhalt: Der Kläger steht seit 1991 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten und hat einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen. Vom bis zum war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit im Jahr 2008 wurden ihm in diesem Jahr 30 Arbeitstage Ur- 49
6 AR Neues zum Urlaubsrecht laub gewährt. Der Kläger begehrt nun die gerichtliche Feststellung, dass ihm gegen die Beklagte aus den Jahren 2005 bis 2007 resultierende weitere 90 Arbeitstage Urlaub zustehen. Die Entscheidung: Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen, da der von dem Kläger geltend gemachte Urlaubsanspruch (90 Arbeitstage Urlaub für die Jahre 2005 bis 2007) spätestens mit Ablauf des untergegangen sei. Mangels abweichender einzeloder tarifvertraglicher Regelungen verfalle der am Ende des Urlaubsjahres (= Kalenderjahres) nicht genommenen Urlaub, wenn kein Übertragungsgrund nach 7 Abs. 3 BUrlG vorliege. Ein solcher Übertragungsgrund sei zwar gegeben, wenn der Arbeitnehmer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen, z. B. wegen einer Arbeitsunfähigkeit, an der Urlaubsnahme gehindert sei. Übertragene Urlaubsansprüche seien in gleicher Weise befristet. Wenn ein zunächst arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer im Kalenderjahr einschließlich des Übertragungszeitraums so rechtzeitig wieder gesund werde und seine Arbeitsfähigkeit wiedererlange, dass er in der verbleibenden Zeit den angesammelten Urlaub nehmen könne, erlösche auch der aus früheren Zeiträumen stammende Urlaubsanspruch ebenso wie der Anspruch, der zu Beginn des Urlaubsjahres neu entstanden sei. Folgen für die Praxis: Nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gilt 7 Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitnehmer muss seinen während der Arbeitsunfähigkeit angesammelten Urlaubsanspruch (soweit möglich) in dem laufenden Urlaubsjahr nehmen. Tut er dies nicht, verfällt sein Urlaubsanspruch. Die vorausgegangene längere Arbeitsunfähigkeit spielt dabei keine Rolle. 4.5 Urlaub im ruhenden Arbeitsverhältnis, z. B. bei Erwerbsminderungsrente Zunehmend tritt die Frage in den Blick, ob Urlaubsansprüche auch im ruhenden Arbeitsverhältnis entstehen und angesammelt werden können. Auf der gesetzlichen Ebene führt beispielsweise allein der Bezug einer Erwerbsminderungsrente noch nicht zwingend zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Eine entsprechende gesetzliche Bestimmung fehlt. 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD/TV-L ordnet jedoch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses bei Gewährung einer Erwerbsminderungsrente auf Zeit ausdrücklich an. 26 Abs. 2 Buchst. c) TVöD/TV-L bestimmt des Weiteren: Ruht das Arbeitsverhältnis, so vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel. 50
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