Keine Regung in der Luft als ein leichtes Wehen

Transkript

1 Keine Regung in der Luft als ein leichtes Wehen Waldbilder von Thomas Kohl H. W. Fichter Kunsthandel

2 MYTHOS WALD, VON DER ROMANTIK BIS ZUM 20. JAHRHUNDERT Baum und Mensch Nur ein einz ger, traurig schweigsam/ Einz ger Baum steht unentlaubt,/ Feucht von Wehmutsthränen gleichsam,/ Schüttelt er sein grünes Haupt./ Ach mein Herz gleicht dieser Wildnis,/ Und der Baum den ich dort schau/ Sommergrün, das ist dein Bildnis,/ Vielgeliebte, schöne Frau! 1 Sind denn Bäume auch nur Menschen? Das rezente, höchst erfolgreiche Buch eines ungewöhnlichen Forstmanns legt dies anhand erstaunlicher Beobachtungen und Forschungsergebnisse durchaus nahe. 2 Im populären Wortsinn ist der Autor kein Romantiker, noch weniger Esoteriker, vielmehr lässt sein Material auch jenseits suggestiver Formulierungen kaum andere Schlüsse zu. Dieses geheime Leben der Bäume spielt sich überwiegend im nichtsichtbaren Bereich des Waldes, unter dem Boden ab, wo Bäume über ihr Wurzelwerk und Pilzgeflechte untereinander kommunizieren und sich in Notsituationen gegenseitig unterstützen. Um die Bäume als Lebewesen, die sich zwischen den Sphären Erde, Wasser und Luft erstrecken, wissen aber auch die Künstler. So schildert Thomas Kohl die spezifische Erfahrung eines Buchenwaldes in einem herbstlichen Winter: Ich sehe ein offenes, pulsierendes, vitales Gebilde organischer Formen, vom Wind geneigt und vom Innern gehalten. Ich folge diesem Weg in die Tiefe, in die Höhe, dem Blick gegen die Kronen, weil die Erde mich bindet. 3 Schon diese Worte des Malers zeigen den Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen und einer künstlerischen Auffassung des Waldes, denn sie weisen auf den aktiven Anteil der Rezipienten am ästhetischen Erlebnis. In der Literatur der Romantik hat die inspirierende ästhetische Erfahrung 1 ~ Aus: Heinrich Heine: Spätherbstnebel, kalte Träume. Zitiert nach Klaus Seehafer (Hg.), Wenn ich durch Wald und Fluren geh. Deutsche Naturgedichte der Klassik und Romantik, Berlin 2000, S ~ Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume. Was sie fühlen, wie sie kommunizieren die Entdeckung einer verborgenen Welt (2015). 29. Aufl. München ~ Thomas Kohl: Landschaft. In: Axel Hinrich Murken (Hg.), Romantik in der Kunst der Gegenwart. Ausst. Kat. Aachen/ Friedrichshafen , Köln 1993, S. 30.

3 Zerstörung der Regenwälder bedürfte es womöglich eines globalen, wirkmächtigen Waldmythos, um dieser Entwicklung noch Einhalt zu gebieten. Gewiss präsentieren auch Thomas Kohls Gemälde und Zeichnungen keine Waldidyllen im Sinne einer eskapistischen Gegenwelt; sein Gemälde Teleskop (Abb.) erinnert aber daran, dass die Suche nach einer vom Menschen unberührten und nicht gefährdeten Natur sich längst in unser Sonnensystem und über dessen Grenzen hinaus verlagert hat. Hierbei scheinen die zugleich markanten und durch Verwischen der Konkretion wieder entzogenen Fichten, die in ihrem geraden Wuchs auf die Erde ausgerichtet sind, eine Gebirgsregion anzuzeigen. Nun sind oder waren, wie der Harz während der deutschen Teilung, Gebirge oft auch Grenzen, so dass der Aspekt des Transitorischen, aber auch eine gewisse Bedrohlichkeit ins Spiel kommt, denn womöglich hat die schemenhafte Anlage militärische Funktion. Erneut erweist sich die Kunst Thomas Kohls damit als welthaltig. Wenn jedoch seine Titel, so etwa Eltville, Vorstellungen und insofern mögliche Bilder konkreter Orte evozieren, wird man enttäuscht, oder aber von der neuen Ordnung oder Unordnung überrascht, in der uns die Wahrnehmungsfragmente begegnen. Auf keinen Fall liefern die Werktitel Anleitungen, die eine Deutung der zunächst rein malerischen Vorgänge von Kreation und Zerstörung, Illusion und Desillusionierung als unmittelbaren Reflex etwa von Umweltzerstörungen oder exakt definierten mentalen Ereignissen erlauben. Zugleich vermögen die Baum- und Waldstudien, wie Föhre, Ulme und Waldstück, in ihrer Differenziertheit für die Intensität der Empfindungen und Beobachtungen zu sensibilisieren, die in die jeweilige Bildkonkretion eingeflossen sind, und sei es nur als Erinnerungen. Charakteristische Morphologien und Leidenszustände von Baum-Individuen, und ebenso besondere Lichtbedingungen und Atmosphären strukturieren offenbar Formfindung und Farbgestaltung, ohne im Sinne von Ausdruck unmittelbar manifest zu werden. Schon die Rolle von Inversion, Ironie und Mehrdeutigkeit in der historischen Romantik verrät den Zweifel an der Kommunizierbarkeit hochspezifischen Erlebens. Durch die Omnipräsenz und Verfügbarkeit digitaler Bildformeln wird diese Problematik für die bildende Kunst heute wesentlich verschärft. Thomas Kohl zieht daraus auf die analogen Medien Zeichnung und Malerei konzentrierte Konsequenzen. Ulrich Pfarr

4 2. Eltville ~ 70 x 100 cm ~ 1993 ~ Öl auf Leinwand

5 8. Waldstück 9/9 ~ 25 x 35 cm ~ 1995 ~ Öl auf Papier

6 15. Forêt Bessêde (VI) ~ 25 x 50 cm ~ 2001 ~ Öl auf Papier

7 23. Der Anger (11) ~ 18 x 25 cm ~ 2003 ~ Öl auf Papier

8 31. Rincon (2. 8.) ~ 33,3 x 70 cm ~ 2015 ~ Öl auf Karton

9 37. Minho, ~ 12,8 x 20 cm ~ 2013 ~ Aquarell auf Papier

10 44. Fiè ~ 14,8 x 28,8 cm ~ 2008 ~ Bleistift auf Papier

11 Biographie Arbeiten in öffentlichen Sammlungen (Auswahl) 1960 in Düsseldorf geboren, lebt und arbeitet in Düsseldorf und Geilnau/Lahn Sprach- und Philosophiestudium an der Universität Düsseldorf Studium der Bildhauerei bei Tony Cragg und Günther Uecker sowie der Malerei bei Gerhard Richter an der Kunstakademie Düsseldorf, Meisterschüler von Gerhard Richter Arbeitsstipendium der Stadt Marseille Stipendiat der Villa Arson, Nizza Artiste en Résidence, Musée Villefranche Stipendium Deutsch-Französischer Kulturrat Stipendiat der Stiftung Künstlerhaus Boswil Burgund-Stipendium, Dijon Reisestipendium des Landes NRW, Dordogne Reisestipendium des Landes Rheinland-Pfalz, Marokko seit 2015 lehrt Malerei und Zeichnung am IKKG der Hochschule Koblenz Kupferstichkabinett Berlin Deutscher Bundestag, Berlin Kunstsammlung der Universität Bochum Kunstmuseum Bonn MMM Bozen Kunstmuseum Chur Kunsthalle Darmstadt Kupferstichkabinett, Dresden Leopold-Hoesch-Museum, Düren Kunstsammlung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf MAMCO, Genf Hamburger Kunsthalle Mittelrhein-Museum Koblenz Museum Ludwig, Köln Museum der Bildenden Künste, Leipzig Museum Schloss Morsbroich, Leverkusen Kunstsammlung des Landes Rheinland-Pfalz, Mainz Städtische Kunsthalle Mannheim Museum Schloss Moyland Lenbachhaus, München Staatliche Graphische Sammlung München Staatsgalerie Stuttgart Neues Museum Weimar Von-der-Heydt-Museum Wuppertal

12 Einzelausstellungen (Auswahl ab 1996) Gruppenausstellungen (Auswahl ab 1996) 2015 Pulchri, Den Haag 2013 KAF Fulda 2010 Niederrheinischer Kunstverein 2007 Kunstsammlungen der Universität Bochum 2006 CCA Dijon 2004 Sinclair-Haus, Bad Homburg 2003 Würzburger Kunstverein 2001 Peinture-Projekt, Berlin 2000 Mannheimer Kunstverein 1999 Kunsthalle Wil/St. Gallen Von-der-Heydt-Museum Wuppertal 1998 Hospitalhof Stuttgart 1997 Neuer Sächsischer Kunstverein, Dresden 1996 Kunsthalle Darmstadt Museum Morsbroich, Leverkusen 2015 Graphische Sammlung München 2013 Kunsthalle Emden 2011 Osthaus-Museum Hagen 2010 Langen Foundation, Raketenstation Hombroich Deutsches Glasmalerei-Museum Linnich 2009 Museum Frieder Burda, Baden-Baden Pinakothek der Moderne, München 2008 Museum Morsbroich, Leverkusen 2007 Sinclair-Haus, Bad Homburg 2004 Staatsgalerie Stuttgart 2003 Bonner Kunstverein 2002 Heidelberger Kunstverein 2001 Mittelrhein-Museum Koblenz 2000 Mannheimer Kunstverein 1998 Museum Moderner Kunst Passau CRAC Alsace, Straßburg und Altkirch 1996 Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen