Grußwort zur aktuellen Bildungspolitik und zu den Perspektiven des Zweiten Bildungswegs
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- Maria Diefenbach
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1 Grußwort zur aktuellen Bildungspolitik und zu den Perspektiven des Zweiten Bildungswegs Sehr geehrte Frau Walter, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen ganz herzlich für die Einladung, heute in Vertretung für Frau Ministerin Sylvia Löhrmann, die aufgrund zwingender Landtagstermine verhindert ist, ein Grußwort an Sie zu richten. Der Mensch ist, was er sein soll, erst durch Bildung. Dieser Satz stammt von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und verdeutlicht, dass Bildung der Schlüssel dafür ist, sich persönlich zu entfalten, gesellschaftlich zu engagieren und beruflich zu entwickeln. Bildung ist demzufolge die Voraussetzung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das gilt in einer Zeit, die viele Menschen verunsichert umso mehr. Bildung ist das Fundament für jeden einzelnen, um seine Position in dieser Gesellschaft zu finden. Dieses Verständnis von Bildung schlägt sich auch in den bildungspolitischen Zielen der Landesregierung nieder. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um kein Mitglied der Gesellschaft zurückzulassen und ein System zu schaffen, in dem jeder Mensch seine Talente bestmöglich entfalten kann. Die soziale Herkunft und der Geldbeutel der Eltern dürfen nicht die entscheidenden Koordinaten für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen sein. Auch wenn es unser erklärtes und vorrangiges Ziel ist, alle Kinder und Jugendlichen im ersten Bildungsweg bestmöglich zu fördern, damit eine erfolgreiche Bildungslaufbahn und hochwertige Abschlüsse erreicht werden können, werden wir auch weiter das Prinzip der zweiten Chance brauchen. Das Weiterbildungskolleg ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Partner und im Bildungssystem Nordrhein- Westfalens fest verankert, auch weil es trotz aller Bemühungen immer noch Schülerinnen und Schüler gibt, die im 1. Bildungsweg nicht zu einem angestrebten Abschluss kommen. Diesen Schülerinnen und Schülern, deren Bildungsverläufe aus ganz unterschiedlichen Gründen oftmals nicht gradlinig und erfolgreich verlaufen sind, bietet das Weiterbildungskolleg die eben erwähnte zweite Chance.
2 Die Weiterbildungskollegs sind auch deshalb erfolgreich, weil sie ihre Angebote sehr genau auf die Bedürfnisse junger berufstätiger und arbeitssuchender Erwachsener abgestimmt haben. Der zweite Bildungsweg ist in einer Zeit entstanden, in der nur ein sehr geringer Teil das Abitur erreichte und die weitaus größte Zahl der Kinder mit 14 oder 15 Jahren die Schule verließen, um zu arbeiten und das Familieneinkommen zu unterstützen. Für diese Kinder, die ihre Schulzeit aus existentiellen Gründen früh beenden mussten, stellte sich die Frage nach höheren Schulabschlüssen und damit zum Zugang zu einem Hochschulstudium oftmals erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die Institutionen des Zweiten Bildungswegs setzten genau an diesem Punkt an. Seit seiner Entstehung bieten Abendrealschulen und Abendgymnasien jungen Erwachsenen die Chance, Bildungsabschlüsse jenseits klassischer Schullaufbahnen nachzuholen. Es im Zweiten Bildungsweg geschafft zu haben war und ist etwas, worauf junge aber auch ältere - Erwachsene zu Recht sehr stolz sein durften und dürfen. Und nicht wenige, die es über den Zweiten Bildungsweg geschafft haben, sind dann auch sehr erfolgreich gewesen wobei natürlich nicht jeder Bundeskanzler werden kann. Nun befinden wir uns im Jahr Was hat sich geändert? Schon über den ersten Bildungsweg erreichen bundesweit fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler eine Zugangsberechtigung zu einem Fachhochschul- oder Universitätsstudium an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen. Zudem eröffnen sich auch über den beruflichen Bereich heute viele Möglichkeiten zu einem Studium auch ohne formal erworbene Hochschulreife. Vor diesem Hintergrund hat sich die Zielgruppe der Institutionen des Zweiten Bildungsweges in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. Oftmals geht es heute darum, jungen Menschen, deren Bildungsbiographie aus unterschiedlichen Gründen Brüche aufweist, eine zweite Chance zu geben und damit die Möglichkeit, mit einem Neuanlauf die in ihnen steckenden Potentiale zu entfalten.
3 Welchen Herausforderungen muss sich das Weiterbildungskolleg nun konkret stellen und welche Faktoren gilt es zu reflektieren? Das Programm des heutigen Bildungsforums Chancen nutzen Bildung gestalten bietet dazu Denkanstöße. Die Auswahl der Themen der einzelnen Workshops verdeutlicht, dass Sie - die Vertreterinnen und Vertreter der Weiterbildungskollegs - die Situation der Schulformen analysiert, Arbeitsbereiche ausfindig gemacht und erste Konzepte zur Lösung in den Blick genommen haben. Das ist aus meiner Sicht notwendig und weitsichtig, denn nur mit einer Planung, die alle Faktoren der sich ändernden gesellschaftlichen und schulischen Rahmenbedingungen einbezieht, kann ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Konzept entstehen. Auf zwei Aspekte möchte ich hier ganz besonders das Augenmerk richten: Erstens auf die Gelingensbedingungen des Schulbesuches in den Bildungsgängen des Weiterbildungskollegs und zweitens auf die Beschulung von neu zugewanderten Flüchtlingen. Zum ersten Punkt: Die Studierenden im Zweiten Bildungsweg bringen die unterschiedlichsten Lernbiographien mit. Dies bedeutet häufig, dass anfänglich erhebliche Lernschwierigkeiten und Frustrationen auftreten, mit denen Sie als Lehrkräfte umgehen müssen und dies auch mit hohem persönlichen Engagement tun. Trotz aller Anstrengungen, auf die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen der Studierenden einzugehen, ist an den Weiterbildungskollegs dennoch eine hohe Abbrecherquote zu verzeichnen, gerade in den Anfangssemestern. Es muss eines unserer vordringlichen Ziele sein, die Ursachen für die Abbrecherquote genau zu analysieren und die unmittelbaren Einflussmöglichkeiten von Schule auf den Bildungserfolg der Studierenden auszuschöpfen, um die Dropout -Quote zu verringern. Ist dieser Schritt erstmal getan, gilt es, die erwachsenen Studierenden zu möglichst guten Abschlüssen zu führen. Dieses Ziel ist nicht erreichbar ohne individuelle Förderung und kompetenzorientierten Unterricht. Lehrkräfte an Weiterbildungskollegs
4 stehen beständig vor der Aufgabe, abschlussrelevante Kompetenzen erwachsenengerecht zu vermitteln und dabei die individuellen Ausgangslagen und Entwicklungsmöglichkeiten der heterogenen Studierendenschaft angemessen zu berücksichtigen. Einen wichtigen Fortschritt für die Unterrichtsqualität und Standardorientierung stellen die kompetenzorientierten Kernlehrpläne und die Teilnahme an zentralen Prüfungen dar. Diese tiefgreifenden Veränderungen waren für alle Beteiligten vor Ort sicherlich nicht einfach, doch rückblickend betrachtet, kann gesagt werden, dass der Zweite Bildungsweg seine Funktion des Nachholens von Schulabschlüssen auch unter den veränderten Prüfungsbedingungen gut erfüllt. Grundsätzlich meistern die Absolventinnen und Absolventen des Ersten und Zweiten Bildungsweges die Anforderungen des Zentralabiturs nämlich gleich gut. Die Abweichungen im gesamten Notendurchschnitt sind nur marginal. Dies ist in erster Linie auf die Qualität des Unterrichts in beiden Bildungssystemen zurückzuführen. Dazu tragen Sie mit Ihrem Engagement erheblich bei: Sie ermutigen junge Menschen zu guten Leistungen und sorgen durch Ihre Beratungs- und Förderangebote dafür, dass vielen Studierenden der Weg zu Abschlüssen nicht verwehrt bleibt. Es gibt jedoch noch Handlungsbedarf in den Kernfächern. So zeigt sich vor allem in Mathematik, dass Studierende des Zweiten Bildungsweges deutlich schlechter abschneiden als Schülerinnen und Schüler des Ersten Bildungsweges, die hier aber auch nicht immer glänzen. Es gilt daher, die bereits vorhandenen Maßnahmen zur individuellen Förderung weiter auszubauen und im Standardsicherungsprozess weitere Fortschritte zu erzielen. Kommen wir zum zweiten Aspekt. Angesichts der derzeit stetig wachsenden Zahl der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und der damit verbundenen Herausforderung der schulischen Versorgung haben Sie sich die Frage gestellt, welchen Beitrag der Zweite Bildungsweg zur Integration junger Erwachsener bzw. nicht mehr schulpflichtiger Jugendlicher leisten kann.
5 Ihr Bestreben und hohes Interesse, sich in diesen Bereich einzubringen, ist nachvollziehbar, denn die Weiterbildungskollegs verfügen über eine langjährige und umfangreiche Expertise in der erfolgreichen Arbeit mit Migrantinnen und Migranten. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, bei allem Respekt vor Ihrer Expertise und bei aller Wertschätzung für Ihr Engagement, muss ich für Ihr Verständnis werben, wenn ich als Vertreter des Schulministeriums auch auf die derzeit geltenden rechtlichen Grenzen hinweisen muss, wenn es um die Rolle geht, die von den Weiterbildungskollegs im Rahmen des Bildungsangebots für Migrantinnen und Migranten mit Zuwanderungsgeschichte übernommen werden kann. Das heißt, dass auf die in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Weiterbildungskollegs festgelegten Aufnahmevoraussetzungen nicht verzichtet werden kann. Andernfalls liefen die Weiterbildungskollegs Gefahr, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aus der Liste der förderfähigen Ausbildungsstätten gestrichen zu werden, so dass keine Studierende und kein Studierender dieser Schulen mehr BAföG beantragen könnte. Die zu Recht zu stellende Frage, wie unsere Gesellschaft mit jungen, nicht mehr schulpflichtigen Zuwanderern umgeht, kann nicht allein durch schulische Angebote beantwortet werden. Und wenn es schulische Antworten gibt, dann dürfte für den ganz überwiegenden Teil der Betroffenen die berufliche Bildung der sinnvollste Ansatz sein gerade auch, weil über diesen Weg heute mehr als früher auch weitere Bildungsperspektiven geöffnet sind. Zudem ist eine Berufsausbildung und damit der zeitnahe Weg in eine eigenständige Existenz für eine berufliche und gesellschaftliche Integration junger, erwachsener Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im Regelfall der sinnvollste Weg. Gleichwohl kann aber für einen eher kleinen Teil der Zuwanderer auch das Weiterbildungskolleg im gegebenen Rechtsrahmen ein sinnvolles Angebot sein. Ich denke hier insbesondere an jene, die berufliche Erfahrungen nachweisen können
6 und tatsächlich bereit sind, sich auf einen mehrjährigen Weg zu begeben, an dessen Ende das Abitur, die Fachhochschulreife oder ein Schulabschluss der Sekundarstufe I steht. Und hier hat das Ministerium mit der Neuausrichtung der Vorkurse ja auch Möglichkeiten geschaffen. Aber das dürfte eine Minderheit in der Gruppe sein, über die wir reden, denn für die Mehrheit dürfte der Weg zu einer eigenen Existenz in dieser Gesellschaft über die berufliche Bildung und die Berufstätigkeit gehen, die wie schon betont auch viele Wege offen hält. Nach derzeitiger Rechtslage kann es daher keinesfalls das Ziel sein, Kurse an den Weiterbildungskollegs zu etablieren, die dann letztlich nur dazu dienen, dass junge, nicht mehr schulpflichtige Erwachsene an einer Abendrealschule, einem Abendgymnasium oder einem Kolleg die deutsche Sprache erlernen. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Angebote geschaffen werden müssen, aber hier müssen in Abstimmung mit Bund, Ländern und Kommunen Wege gefunden werden. Und entsprechende Gespräche werden ja auch geführt. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, In einer Welt, deren Wissensgrundlagen sich ständig und tiefgreifend wandeln und in der leider vielfache, gesellschaftliche Faktoren dazu beitragen, dass Bildungsverläufe nicht immer gradlinig sind, wird der Zweite Bildungsweg auch weiterhin für viele eine wichtige Chance bieten, um Bildungsabschlüsse zu ermöglichen und Aufstiegschancen zu verbessern. Es bleibt unsere gemeinsame Aufgabe für die Zukunft, daran zu arbeiten, alle Talente zu fördern und alle Potenziale zu entwickeln. Ziel ist es, allen Menschen unabhängig von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft Bildung, Aufstieg und Chancen zu ermöglichen und sie damit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu befähigen, denn durch Bildung ist der Mensch erst das, was er sein soll. Dabei wird
7 der Zweite Bildungsweg auf lange Zeit unverzichtbar sein, auch wenn sich seine Zielgruppe und damit seine Angebote stetig verändern. Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, möchte ich zum Schluss einen ertragreichen informativen Tag, erfolgreiche Diskussionen und viele Denkanstöße für Ihre weitere Arbeit wünschen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es gilt das gesprochene Wort.
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