Diesen Kuss der ganzen Welt Predigt über Lk 22,47-53 für den Sonntag Okuli, 8. März 2015

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1 Diesen Kuss der ganzen Welt Predigt über Lk 22,47-53 für den Sonntag Okuli, 8. März 2015 Vorbemerkung: In der Evangelischen Kirche werden die Predigttexte in einem längeren Prozess der sogenannten Perikopenrevision erweitert. Mit schient, das Wort Gottes soll uns immer mehr leuchten zu uns sprechen. Da ist eine Sehnsucht in unserer Kirche des Wortes, diesen Schatz immer mehr zu heben, damit wir alle noch deutlicher wissen, warum und wofür wir Christinnen und Christen sind und dass die ganze Geschichte für uns geschehen ist. Die Theologinnen und Theologen betreiben die Wortsuche mit einem sehr tiefen Ernst und wir dürfen uns freuen, denn zu diesem Sonntag Okuli ist auch ein besonderes Evangliumsfragment hinzu gekommen, das wir jetzt hören: Das Predigtwort Als er aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich zu Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss? Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn. Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis. 1

2 Die Predigt Der Judaskuss diesen Kuss der ganzen Welt der Kuss des Verrats, der Verlogenheit und der Heuchelei. diesen Kuss der ganzen Welt. Seit dem ersten Hören hebt ein innerer Schmerz an wissen wir doch von der Gebrochenheit in diesem Bild: dass einer von den Zwölfen Judas den Jesus küsst um ihn zu verraten. Warum hat uns diese Geschichte denn auch immer berührt mit eben der Wucht, die alle Passionsgeschichten in sich tragen und mit der sie die Gottes-Botschaft durch die Jahrtausende zu den Erfahrungen der Menschen bringen zu uns immer wieder, wenn wir sie hören, lesen, nachempfinden in einer Passionsmusik Und warum berührt uns die Geschichte? Der zärtlichsten Geste wegen und wegen der Verwundbarkeit alles Menschlichen. Wien ist ja auch eine Stadt der Küsse: Klimt sein Kussbild hat die Welt erobert Küssen, den Abstand aufgeben, sagt Manfred Hinrich, ein Philosoph unserer Zeit, Kleine Kinder fragen: haben sie sich geküsst. Und wenn es so ist, dann ist die Freude groß Ja, sie haben sich geküsst- endlich Die Geschichte vom Judaskuss berührt uns so sehr, weil wir wissen, wir verwundbar wir sind, wenn wir einen solchen Mut zur Zärtlichkeit aufbringen und weil wir wissen, dass wir verraten worden sind in unserem Leben, dass wir selten klug werden aus Erfahrung und auch, weil die Geschichte von Judas uns viel näher ist, als wir das wollen. Judas ist uns so fremd in dem, was er tut Und er ist uns so fremd, wie wir es uns selber sind, wenn wir so sind wie er Die Frage ist nur: sehen wir uns so? Sehe ich mich so? Sonntag Okuli Oculi mei semper ad Dominum Meine Augen schauen stets auf den Herrn Wie sehe ich mich in den Augen Gottes? Bin ich mir nah und der Wahrheit Gottes? An die Kinderfrage Haben sie sich geküsst? habe ich denken müssen 2

3 Und die Freude, wenn ein Erwachsener sagt: Ja, sie haben sich geküsst! Denn mir hat eine Mutter über ihren Sohn erzählt, der aus einer tiefen Lebensunzufriedenheit eine Affäre begonnen hat. Mit seiner Liebschaft ist er in eines der besten Restaurants in Wien gegangen. Der Lebenspartner musste vor dem Hotel, in dem das Restaurant war, warten, bis seine Freundin an der Seite dieses anderen Mannes heraus kam. Der Wartende fühlte sich betrogen, mutlos, wertlos Er lebt in der letzten Zeit an der Seite einer Fremden Und weiß nicht weiter und wie er seine Würde wieder findet. Die Mutter sagt, mein Sohn ist so frustriert, er will nur verletzen Ein anderer Freund sagt, es habe hier in Wien nach einem Burnout endlich einen tollen Job gefunden. Jetzt ist er den auch los. Das Schlimmste war nicht, den neuen Job zu verlieren. Das Schlimmste war das Lächeln seines Konkurrenten und wie er obwohl er schon alles wusste den Arm um ihn gelegt hatte. Jetzt hat er den Job Einmal, liebe Gemeinde, da war ich im Burgtheater und habe einem Konzert der Toten Hosen gelauscht. Darin kam ein Lied Der Letzte Kuss Es ist ein Lied von unsrem Leben: Irgendwann kommt für jeden der Tag An dem man für alles bezahlt, dann stehn' wir da Denken, wie schön es mal war Bereuen unsere Fehler, hätten gern alles anders gemacht Hätten all unsere Boshaftigkeiten niemals getan Wir leben versteckt, wischen all unsere Spuren weg Vor den anderen und vor uns selbst Damit kein Mensch jemals sieht, wer wir in Wahrheit sind... Wo ist der Ort für den ehrlichsten Kuss Ich weiss, dass ich ihn für uns finden muss Auf 'ner Strasse im Regen, auf 'nem Berg nah beim Mond Oder kann man ihn nur vom Totenbett holen Wo ist der Ort für einen ehrlichen Kuss Den einzigen, den ich Dir noch geben muss... All denen, die uns am nächsten steh'n, tun wir am liebsten weh Und die Frage warum das so ist, bleibt unser Leben lang steh'n Wann ist die Zeit für einen ehrlichen Kuss Der all unsere Lügen auslöschen muss Gib' mir die Zeit für einen ehrlichen Kuss So wollen wir uns küssen, wenigstens am Schluss Es wird ein Kuss sein, der alles verzeiht Der alles vergibt und uns beide befreit Du musst ihn mir schenken - ich bin zwar ein Dieb Doch gestohlen ist er wertlos, und dann brauch ich ihn nicht. 3

4 Wann ist die Zeit für einen ehrlichen Kuss? Auf die Frage, die der Kuss des Jusas aufwirft, hat der seelsorgerliche Theologe einmal wunderbar geantwortet, er hat gesagt: "Das Neue Testament ist das Buch der Sorge um Judas von Ischariot. Es ist gute Botschaft für Judas. Jesus ist am Kreuz nicht wegen Judas gestorben, er ist für Judas gestorben. Er ist für die abgründigste Tat des Menschen gestorben, für den schlimmsten Verrat, die gemeinste Geste, die größte Gier. Er ist für uns gestorben. So endet die Geschichte Judas nicht mit seinem Tod. Sie endet mit Jesu Worten am Kreuz:,Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.'" Die Geschichte des Judas wird uns erzählt, um uns zu trösten in all unsrer Zerrissenheit, so wie es ja Judas zerreißt und er am Ende sich selbst zerstört, sich sein Leben nimmt, weil er Jesus das Leben nimmt. Keiner will mit so einem etwas zu tun haben. Judas hinweg von mir (fast wie) Satan, möchte man ihn fort rufen, ausgrenzen den Bösen. Bis Judas instrumentalisiert werden konnte Ein kluger Kunstgriff der Theologie. Ohne Judas wäre der Heilsplan Gottes nicht aufgegangen. Der Zweck heiligt die Mittel. Aber Gott rechnet nicht. Nie. Er kann nur lieben. Er will die Freiheit des Menschen. So von Anfang an bis zum letzten Atemzug. Es wird ein Kuss sein, der alles verzeiht, der alles vergibt und uns beide befreit. So wie Jesus die Hand auf das Ohr des Knechtes legt, so legt er die Hand auf die Wunde alles Menschlichen, auf den Schmerz der Welt und heilt. Siehe, das ist Deine Mutter Siehe, das ist Dein Sohn Die Erde soll in der Gnade sein, im schönsten Zustand von Freiheit, im Trost Gottes, der uns versteht auch das, was Judas ist in Dir in mir Wann ist die Zeit für einen ehrlichen Kuss, Wann ist die Zeit für einen ehrlichen Blick Wann ist die Zeit für eine ehrliche Umarmung, 4

5 ein ehrliches Mail Wie sind so sehr berührt von der Geschichte des Judas, weil wir tief in uns spüren: Die Hölle, das sind eben nicht die anderen. Das sind wir Das hatte auch Dietrich Bonhoeffer an seiner Gestalt entdeckt, als er 1944 das Matthäusevangelium in seiner Zelle gelesen hatte "Da kam Judas, einer von den Zwölfen" Das bewegt ihn, dass er einer von den Zwölfen war Ob wir etwas spüren von dem Grauen, mit dem der Evangelist dieses kleine Satzteilchen geschrieben hat? Judas, einer von den Zwölfen. Was war hier mehr zu sagen? Das heißt doch, es war unmöglich, dass dies geschah, es war ganz unmöglich und es geschah doch. Nein, hier ist nichts mehr zu erklären und verstehen." Der Verrat kommt nicht von außen, er kommt von tief innen In der Gestalt des Judas er wurde ja auch und besonders antisemitische aufgeladen, ausgenutzt sein Bild für die Machenschaften, derer wir fähig sind in jedem Namen Judas zeigt uns das Angesicht des verborgenen Bösen. Wir leben versteckt, wischen all unsere Spuren weg Vor den anderen und vor uns selbst Damit kein Mensch jemals sieht, wer wir in Wahrheit sind... Aber Jesus kommt, um eben genau diese Wahrheit Radikal wie irgend möglich anzunehmen. Die Wahrheit der Annahme, sie ist das Kreuz! Und wenn Jesus die Rechthaber korrigiert, indem er das zerschlagene Ohr des Judas heilt, weist er auf das hin, was wir am Kreuz noch sehen werden. Sonntag Okuli: die Mitte der Passionszeit Meine Augen sehen stets auf den Herrn. Durch seine Wunden sind wir geheilt. Dies geschieht in den Stunden des Macht und der Finsternis. In die er gekommen ist als ein Licht Immer mehr lernt die Geschichte des Christentums, Judas zu sehen. Erst das Inbild menschlicher Lüge und des Verrats 5

6 Bestechlich, geldgierig. Ein Beutel Silberlinge, tragischer Lohn, der ihn verstrickt bis in den Tod "Das Neue Testament ist das Buch der Sorge um Judas von Ischariot. Es ist gute Botschaft für Judas. Jesus ist am Kreuz nicht wegen Judas gestorben, er ist für Judas gestorben. Er ist für die abgründigste Tat des Menschen gestorben, für den schlimmsten Verrat, die gemeinste Geste, die größte Gier. Er ist für uns gestorben!... Und heute, da wissen wir doch, Judas ist das Spiegelbild meiner Macht und Finsternis. Und mit ihm, Judas, darf ich auf Jesus sehen. Den Anfänger und Vollender meines Glaubens! + Amen. 6

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